ISBN:
3446199861
Language:
German
Pages:
416 Seiten
,
Illustrationen
Edition:
2. Auflage
Year of publication:
2001
Abstract:
Um die erschütternde seelische Befindlichkeit eines verstörten, eines entwurzelten Menschen, der keine Heimat hatte und nie eine hat finden können, dem sogar die Erinnerung an seine allerfrühste Kindheit und jede mütterliche Wärme abhanden gekommen war, geht es in dem Roman "Austerlitz" von Winfried G. Sebald. Schritt für Schritt enthüllt Autor Winfried G. Sebald die tragische Lebensgeschichte eines jüdischen Flüchtlingskindes, das seine Eltern bewusst nie kennen lernte, dem folglich auch das Urvertrauen zum Leben wie zur Gesellschaft verloren ging. Lebenslang ein Ausgegrenzter Lebenslang wird diese Titelfigur von dem marternden Gefühl gepeinigt, ein Fremder, ein Ausgegrenzter zu sein. Dieses depressive Lebensgefühl eines unschuldig zur Einsamkeit Verdammten schildert Winfried G. Sebald akribisch im Stil eines nüchternen, scheinbar unbeteiligten Berichts, der mit illustrierenden Fotos Authentisches zu untermauern sucht. Das Ganze wirkt wie die Chronik einer zu Beziehungslosigkeit verurteilen Existenz. Als Ich-Erzähler folgt der Autor Winfried G. Sebald den Spuren eines zunächst unbekannten, aber doch faszinierenden Mannes, dem er per Zufall in den dunklen Bahnhofshalle Antwerpens begegnet. Aus der Bekanntschaft entwickelt sich Freundschaft. Der Flüchtlingsjunge Austerlitz ist kein Engländer, obwohl er seit vielen Jahren in London lebt. In den vierziger Jahren schickten seine verzweifelten Eltern ihn nach Wales. Mit dieser schweren Entscheidung retteten sie ihm auf diese Weise das Leben. Dort wuchs er in einem spärlichen, unfreundlichen Pfarrhaus auf, das alles andere als heimelig war, vielmehr mit seinen ständig zugezogenen Vorhängen, seiner Düsterkeit und Freudlosigkeit in dem Jungen jedes Selbstgefühl auslöschte. Bei dem verhärmt frömmelnden Paar beherrscht Sprachlosigkeit die Szenerie, wird jedes zwischenmenschliche Miteinander pflichtschuldigen Betätigungen geopfert. Abstauben, Wischen, Polieren. Die Frau des Predigers ist mit ihrem Haushalt befasst, mit Abstauben, Abwischen, dem Polieren der Messingbeschläge, dem Richten der Kochwäsche, mit Kontrollgängen rund ums Anwesen und der Zubereitung karger, überaus geschmackloser Mahlzeiten. Kaum Zuwendung erfährt das Pflegekind Austerlitz, das sich beim Einschlafen fühlt als sei es untergegangen in einem dunklen Wasser. In der Schule erfährt das Flüchtlingskind von der bekannten Schlacht um Austerlitz. Es erfährt von diesem geschichtsträchtigen, mährischen Hügelland um Olmütz und Brünn, von den Dörfern Bellwitz, Skolnitz und Kobeltiz, eben des Terrains, dessen Namen es trägt. Hilary, der liebevolle Lehrer, der es fördert, kennt die Geschichte dieser Region aus dem Effeff. Schillernd sind seine Erzählungen über die österreichischen und russischen Truppen, die sich wie eine Lawine über die Bergkämme robbten. Als gäbe es überhaupt keine Zeit. Als Austerlitz schließlich erfährt woher er kommt, registriert er bewusst, warum er sich wie ein Fremdling vorkommen muss: "Es scheint mir nicht" sagt Austerlitz, "dass wir die Gesetze verstehen, unter denen sich die Wiederkunft des Vergangenen vollzieht, doch ist es mir immer mehr, als gäbe es überhaupt keine Zeit, sondern nur verschiedene, nach einer höheren Stereometrie ineinander verschachtelte Räume, zwischen denen die Lebendigen und die Toten, je nachdem, wie ihnen zumute ist, hin und hergehen können, und je länger ich es bedenke, desto mehr kommt es mir vor, dass wir, die wir uns noch im Leben befinden, in den Augen der Toten, irreale und nur manchmal, unter bestimmten Lichtverhältnissen und atmosphärische Bedingungen sichtbar werdende Wesen sind. Christa Raab Quelle: ©MainEcho (15.10.2003)
URL:
http://archiv.buchhandel.de/vlb/show.cgi?bh_aref=49
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