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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter May 12, 2023

Jüdische Spenden und Stiftungen im fraktalen Raum des Heiligen Römischen Reichs

Jewish Donations and Foundations in the Fractal Space of the Holy Roman Empire
  • Michaela Schmölz-Häberlein EMAIL logo
From the journal Aschkenas

Abstract

The essay deals with the donation activities of Jewish people in the Franconian area during the 18th century. Helping those in need was an integral part of religious practice. Donations to co-religionists as well as to Christian institutions and individuals can be proven regularly. The five charitable foundations, which were set up by wealthy members of the Bamberg rural Jewish community, also served the purpose of maintaining the memory of the founder and his family in the long term. With the proceeds from the foundation capital, scholarships were financed and needy relatives supported. They represented important references for the family members, who often lived scattered. Thus had an effect of forming a Common identity. The case of Meyer Levi, who at the same time established religious foundations in the Franconian rural community of Zeckendorf and the suburban community of Pfersee beyond the gates of the imperial city of Augsburg, documents that the supra-regional and cross-territorial interdependencies of Jewish society can be seen within the Zedaka.

Im Jahre 1732 verfügte ein gewisser Meyer Levi (PID 881) in Bamberg, dass aus seinem Nachlass eine Stiftung errichtet werden sollte, deren Zweck laut einer Aussage aus dem frühen 19. Jahrhundert die Bezahlung von Schulgeld für arme Kinder im allgemeinen gewesen sei.[1] Während bei einigen jüdischen Stiftern in der fürstbischöflichen Residenzstadt der persönliche Hintergrund bekannt ist, konnte Meyer Levis Person lange Zeit nicht verortet werden. Erste Hinweise auf seine Identität finden sich im Kontext von Synagogenbauten in zwei fränkischen Landgemeinden. Im Jahre 1722 sammelte er mit dem Deputierten der Landjudenschaft des Hochstifts, seinem Bruder Jakob Levi (PID 7127),[2] und dem Bamberger Gemeindevorsteher und Hoffaktor Moses Isaak Brillin (PID 956)[3] Geld für den Kauf des Synagogengebäudes in dem reichsritterschaftlichen Ort Aufseß, in dem zeitgleich auch ein Friedhof angelegt wurde.[4] Im Jahr darauf spendete er eine hohe Summe für die Errichtung einer neuen Synagoge in Zeckendorf, die nach dem Vorbild der Bamberger konzipiert[5] und 1727 eingeweiht wurde.[6] Im Gegenzug für seine Großzügigkeit gewährte der lokale Grundherr, Abt Gallus Knauer (1654–1728) des Zisterzienserklosters Langheim bei Lichtenfels,[7] dem die jüdische Gemeinde für den Bau zinspflichtig war, Meyer Levi und seiner Familie das Privileg, Zeit seines Lebens die Synagogenstühle zinsfrei zu nutzen. Der Abt betonte,

daß Levi Juden zu Pfirscha negst Augspurg alß dem ersten und für nehmbsten Guththäter bey diesem vorseyenden Syangog-bau drey neue Stühl, benanntlich zwey Männer= und ein Weiber Stuhl lebenslänglich vorbehalten seye, auch so lang handlohn- und Zins-frey passiren, die Lehens recognition aber gegen entrichtung des hergebrachten Schreibgeldtes durch einen Lehensträger gleichwohl geschehen [solle].[8]

Dieses grundherrliche Privileg gibt einen Hinweis, warum Meyer Levi sich nicht in fränkischen Quellen findet, obwohl er Zeit seines Lebens unter dem Schutz der Freiherren von Aufseß[9] in der Gemeinde Zeckendorf stand, die von 1654 bis 1674 auch der Rabbinatssitz der Bamberger Landjudenschaft war.[10] Gleichzeitig war er nämlich in dem etwa 200 Kilometer von Zeckendorf entfernten schwäbischen Ort Pfersee vor den Toren der Reichsstadt Augsburg ansässig,[11] was ihm den Beinnamen Pfersig oder Pferschau einbrachte.

An den Lebensumständen Meyer Levis lässt sich die »Vielheit der Referenzebenen«, von denen der französische Historiker Christophe Duhamelle in Bezug auf das Heilige Römische Reich spricht, exemplarisch aufzeigen. Zum einen prägten Juden die religiöse Landschaft,[12] zum anderen nutzen sie die zahlreichen territorialen Grenzen, die sich vielfach überlappenden Herrschaftsrechte sowie die verschiedenen Jurisdiktionen, um sich wirtschaftliche Optionen zu erschließen und so ihr Auskommen zu sichern. Ein zentrales Rechtsinstrument war dabei der Judenschutz, der die Grundlage der jüdischen Existenz im Reich bildete. Das ursprünglich kaiserliche Judenregal war im Rahmen der vormodernen Territorialisierungsprozesse sukzessive auf die Landesherren übergegangen. In Schwaben und Franken, den Verdichtungsräumen jüdischen Lebens auf dem Gebiet des heutigen Freistaats Bayern, blieb die Reichsnähe durch die habsburgischen Territorien in Vorderösterreich sowie die engen Bindungen von Reichstädten und Reichsritterschaften an Kaiser und Reich dauerhaft gewährleistet.[13]

Das unter habsburgischer Oberherrschaft stehende Pfersee gehörte zum schwäbischen, das hochstiftisch-bambergische Zeckendorf, in dem neben dem Kloster Langheim diverse reichsritterschaftliche Familien grundherrliche Rechte ausübten, zum fränkischen Reichskreis. Der Schwäbische Kreis umfasste das Herzogtum Württemberg, drei Hochstifte, 36 Prälaten, 35 Reichsstädte sowie 35 Grafen und Herren, während der fränkische sich aus den drei Hochstiften, dem Deutschmeister des Deutschen Ordens, den Komturen der Ballei Franken, acht weltlichen Fürsten, zwölf Grafen und Herren sowie fünf Reichsstädten zusammensetzte. Darüber hinaus existierten die nicht inkorporierten Reichsritterschaften, die wiederum in Kantonen zusammengeschlossen waren.[14] Die in diesen Kreisen zusammengefassten Herrschaften waren wiederum keine geschlossenen Territorien, sondern verfügten über zahlreiche Ex- und Enklaven, die aufgrund ihrer Nähe zu den territorialen und konfessionellen Grenzen den Obrigkeiten zahlreiche Möglichkeiten lokaler und territorialer Einflussnahme eröffneten. Zugleich waren sie selbst von Ex- und Enklaven durchzogen.[15] Nach Christophe Duhamelle bot

die räumliche Nähe einer Fremde, die so wenig fremd war wie das Nachbarterritorium, zahlreiche Möglichkeiten. Man konnte fliehen (wobei der Begriff durchaus übertrieben ist, führte die »Flucht« in der Regel doch nur in die unmittelbare Nachbarschaft) oder die Leistungen des anderen in Anspruch nehmen, wenn die örtliche Obrigkeit zu streng in ihren Anforderungen war bzw. nicht zur Genüge auf die Forderungen der Bevölkerung einging. Gleichzeitig begünstigten die Entfernung vom politischen Zentrum und vor allem die räumliche Isolation eine hohe lokale Autonomie.[16]

Diese komplexe herrschaftliche Gemengelage prägte nicht nur die Existenzbedingungen der jüdischen Bevölkerung, sondern auch deren Selbstverständnis, das sich nicht mit einem einheitlichen Raum- und Regionsbegriff fassen lässt.[17] Das Beispiel Meyer Levis vermag zu zeigen, wie jüdische Akteure dieses fraktale Reichsgebilde für ihre Zwecke zu nutzen verstanden.[18] Seine Biographie, die stellvertretend für zahlreiche jüdische Lebensläufe im Süden des Reiches steht, verdeutlicht zugleich, wie überregionale Transferprozesse in diesem fraktalen Raum vonstattengingen.[19]

Das von Christophe Duhamelle und Falk Bretschneider entwickelte Konzept der Fraktalität des Reiches ermöglicht die Rekonstruktion der »Variablen menschlichen Handelns, die den verschiedenen Formen der Vergesellschaftung eine jeweils spezifische räumliche Gestalt gibt«,[20] und hilft, soziale Logiken zu entschlüsseln, die sich in den räumlichen widerspiegeln. Räumliche Strukturen entwickeln sich also aus den sozialen Interaktionen der Akteure, die wiederum den Raum prägen. Der fraktale Raum des Alten Reichs ist nach Bretschneider und Duhamelle ein maßgeblich durch Strukturanalogie und Selbstähnlichkeit geprägtes Mehrebenensystem, das historischen Akteuren flexibles Agieren zwischen den diversen Ebenen ermöglicht.[21] Nicht zuletzt jüdischen Individuen ermöglichte dies zusätzliche Handlungsoptionen. Die Verbindung der räumlichen Ausprägung mit den sozialen Praktiken jüdischer Akteure, deren Nutzung der politischen und sozialen Ordnungen und die Ausformung und Resilienz jüdischer Netzwerke sollen im Folgenden am Beispiel der Zedaka,[22] der jüdischen Form der Wohltätigkeit, sichtbar gemacht werden.

Nach einem kurzen Überblick über den Forschungsstand und die Überlieferungslage wird die Spendenbereitschaft der jüdischen Minderheit für Glaubensgenossen, aber auch gegenüber Christen dargestellt. Anschließend werden dokumentierte Fälle jüdischer Stiftungen im fränkischen Raum genauer in den Blick genommen. Danach wird Meyer Levis Biographie rekonstruiert und sein stifterisches Engagement vergleichend mit dem seiner Glaubensgenossen betrachtet. Abschließend wird der Versuch unternommen, das Phänomen Zedaka mit den Konzepten der Ähnlichkeit[23] und der Fraktalität zu verbinden.

1 Forschungs- und Quellenüberblick

Die Verpflichtung zur Zedaka (Gerechtigkeit) gegenüber Dritten stellt ein ethisches Prinzip (Tikun Olam) dar, das im Judentum eine große Rolle spielt. Männer und Frauen sind verpflichtet, von denjenigen Gütern, die Gott ihnen anvertraut hat, im Sinne der Wohltätigkeit regelmäßig zu geben und mit anderen zu teilen.[24] Unschuldig in Not geratenen Menschen sollte geholfen werden, langfristig auf eigenen Füßen zu stehen. Aber auch Investitionen in die gemeindliche Infrastruktur waren eine Möglichkeit, sich großzügig zu zeigen. Spenden für Synagogenbauten, die Finanzierung der Anlage von Friedhöfen oder Stiftungen sakraler Gegenstände waren insbesondere in der jüdischen Oberschicht weit verbreitet.

In den jüdischen Gemeinden des Hochstifts Bamberg manifestierte sich der Zedaka-Gedanke in einer beträchtlichen Anzahl wohltätiger Stiftungen, die als gelebter Glaube verstanden wurden und den von Gott geschenkten Überfluss an die Gemeinde zurückgeben sollten.[25] Christlichen wie jüdischen Stiftungen ist gemein, dass die zu Lebzeiten erworbenen Güter zum Wohle der Gesellschaft verwendet werden sollten. Der Bamberger Bischof Johann Gottfried von Aschhausen stiftete 1622 beispielsweise 3.000 Gulden für die Ausbildung armer Bamberger Bürgersöhne und Aussteuer von Bürgertöchtern.[26] Im 18. Jahrhundert wurden daher zahlreiche Familienstiftungen[27] zur Ausstattung armer Bräute und zur Unterstützung junger Männer beim Studium errichtet.[28] Aber auch Legate an Synagogen und Beerdigungsbruderschaften (Chevra Kadischa), die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in Aschkenas üblich wurden,[29] waren nicht selten, und die auf diesem Wege entstehenden Einrichtungen waren christlichen Institutionen der Sozialfürsorge nicht unähnlich.[30] Die Unterstützung christlicher Einrichtungen sowie bedürftiger Christen waren ebenfalls signifikant, da Spenden den persönlichen Reichtum einzelner jüdischer Menschen nach außen demonstrierten[31] und so deren Rolle in der Gesellschaft sichtbar machten. Stiftungen dienten auf diesem Wege der ideellen und sozialen Existenz der Gemeinde und trugen überdies dazu bei, die Erinnerung an die meist wohlhabenden Stifter wach zu halten.[32]

Während die finanzielle Unterstützung christlicher Bedürftiger bereits von den Zeitgenossen ausführlich kommentiert wurde, sind innerjüdische Stiftungen nach dem Mittelalter und vor dem 19. Jahrhundert wenig beachtet worden.[33] Nach Ansicht einiger modernen Autoren seien »sozial-karitative Stiftungen erst nach der Beseitigung der Gefahr der Vertreibung und mit Verbesserung des Rechtschutzes der Gemeinden in nennenswerter Zahl errichtet« worden.[34] Dieser Einschätzung widersprechen allerdings die Forschungen zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zedaka, die besonders deren Ähnlichkeiten mit christlichen Einrichtungen der Sozialfürsorge betonen.[35]

Informationen über jüdische Stiftungen sind in staatlichen Archiven des Untersuchungsraums nur deswegen überliefert, weil das neugeschaffene Königreich Bayern 1807 eine Verwaltungsreform in Angriff nahm, die u. a. dazu diente, die im Rahmen der Säkularisierung und Mediatisierung neu erworbenen Gebiete in den Staatsverband zu integrieren. Verbunden damit war eine umfassende Neuorganisation des Schulwesens und der sozialen Einrichtungen. Hierin begriffen war auch das Stiftungswesen, dessen zweckgebundene Mittel man künftig zielgerichteter einzusetzen gedachte. 57 bayerische Stiftungsadministrationen sollten ab 1808 das vielfältige private Stiftungswesen neu organisieren. Bereits 1817 wurde die Verantwortung jedoch wieder auf die einzelnen Stiftungen rückübertragen.[36] Wenige Jahre später ließ der bayerische Staat eine Bestandsaufnahme der jüdischen Stiftungen erstellen. In diesen Akten haben sich diverse Testamente und Verfügungen aus dem 18. Jahrhundert erhalten, deren Ziel es war, am Todestag des Stifters die Armen zu beschenken, jungen Männern ein Thorastudium und armen Bräuten eine Aussteuer zu ermöglichen.[37] Schenkungen an christliche Einrichtungen und Personen sind fast ausschließlich in amtlichen christlichen Quellen fassbar.

2 Jüdische Spenden an Glaubensgenossen und christliche Institutionen

Der Gedanke der Zedaka schließt Angehörige anderer Religionen ausdrücklich mit ein. Daher finden sich häufig finanzielle Zuwendungen von Mitgliedern der jüdischen Minderheit an christliche Gemeinden oder an städtische und kirchliche Einrichtungen, die die Bedeutung der jüdischen Minderheit für das Gemeinwesen unterstreichen.[38] Seit dem 16. Jahrhundert wurde die Versorgung der Armen und die Formen der Wohltätigkeit sowohl in den christlichen als auch in den jüdischen Gemeinden immer wieder neu organisiert.[39] Steuern als auch Spenden waren unter der christlichen Gemeinde als auch unter der Judenschaft zentral für den »gemeinen Nutzen«[40] und die Unterscheidung zwischen diesen Formen war in der Frühen Neuzeit nicht genau definiert. Hinzu kam, dass Strafgelder ebenfalls für wohltätige Zwecke verwendet wurden.[41] Dass die Mitglieder der Gemeinde sich für das Gemeinwohl einsetzten, wurde notfalls auch mit Zwang durchgesetzt.[42] In diesen Bereich mehr oder weniger freiwilliger Beiträge jüdischer Familien der Oberschicht für die christlichen Mehrheitsgesellschaft fallen die folgenden Beispiele.

Fürstbischof Friedrich Carl von Schönborn forderte am 29. April 1736 die Fürther Handelsgesellschaft Zacharias Fränkel selig Erben[43] auf, anlässlich des Neubaus des Bamberger Priesterseminars zu Beginn der 1730er Jahre 5.000 Reichstaler an den Baumeister Balthasar Neumann auszuzahlen und Kapital sowie Zinsen als eine zur gemeinsamen Wohlfahrt erforderliche Sach in aufrechnung zu bringen.[44] Handelte es sich hier um eine einmalige Abgabe, die der jüdischen Minderheit unter dem Schutz des Bamberger Bischofs unter dem Signum des Gemeinwohls auferlegt wurde, scheinen andere Zuwendungen freiwillig erfolgt zu sein. Der Bamberger Hoffaktor Wolf Nathan Heym (PID 941) (gest. 1740)[45], ein Geschäftspartner der Fränkels, der mit Jentel (PID 989), einer Tochter Samson Salomons aus Baiersdorf (PID 953) verheiratet war, spendete für die Vollendung des Priesterseminars zwischen 1730 und 1738 beträchtliche Summen.[46] Er zählte zu den bedeutenden Persönlichkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinde Bambergs im frühen 18. Jahrhundert und war Mitglied der örtlichen Begräbnisbruderschaft (Chevra Kadischa). Dass einer seiner Söhne 1733 zum Katholizismus übergetreten ist, dürfte dabei allenfalls eine geringe Rolle gespielt haben.[47] Die Muster der Wohltätigkeit spiegeln die Werte und Wahrnehmungen sowie die finanziellen Möglichkeiten von Spendern und Empfängern wider. Debra Kaplan betont dementsprechend »the dynamics of power that existed between and among those who gave and those who received«.[48] Wohlhabende jüdische Familien positionierten sich hier durch ihre demonstrativ zur Schau gestellte Großzügigkeit als Wohltäter der christlichen Mehrheitsgesellschaft des Hochstifts.

Für Juden in Süddeutschland wie in ganz Europa war das Leben in der Diaspora[49] Teil ihres Selbstverständnisses, und die territoriale Kleinkammerung des Heiligen Römischen Reiches bot ihnen zahlreiche Migrations- und Ansiedlungsoptionen. Bezeichnenderweise befanden sich die Zielorte vertriebener Jüdinnen und Juden häufig in Räumen mit überlappenden Herrschaftsrechten, die Spielräume für Verhandlungen mit den jeweiligen lokalen Obrigkeiten boten. So führte die Ausweisung der Juden aus Wien im Jahre 1670 zu Niederlassungen in den Siebengemeinden im Burgenland, in Brandenburg (insbesondere in der Residenzstadt Berlin) sowie in Franken, allen voran im als »fränkisches Jerusalem« bezeichneten Fürth.[50] Von der Abwanderung der Juden in Burgellern nach 1699 profitierte das knapp 25 Kilometer entfernte Aufseß, wo der evangelische Reichsritter Carl Heinrich von Aufseß wiederholt Ansiedlungsmöglichkeiten für jüdische Familien schuf.[51] Als die österreichische Erzherzogin und ungarische Königin Maria Theresia (1717–1780) 1744 die Juden aus Böhmen ausweisen ließ, bot sein Sohn Christoph Ludwig von Aufseß vier vermögenden jüdischen Familien den Aufenthalt in seiner Reichsritterschaft an.[52] Dabei griffen die Vertriebenen auf persönliche Netzwerke zurück[53] und nutzten geschickt die Möglichkeiten, die die Struktur des Heiligen Römischen Reiches bot. Jüdinnen und Juden zeigten aber auch Solidarität mit christlichen Vertriebenen.

Die Ausweisung von Angehörigen der evangelischen Religion aus dem Erzstift Salzburg und der Fürstpropstei Berchtesgaden im Oktober 1731 wurde von der protestantischen Publizistik zu einem Medienereignis gemacht, das auch die Aufmerksamkeit von Jüdinnen und Juden fand. Rund 20.000 Salzburger Protestanten verließen ihre Heimat und zogen durch die protestantischen Regionen Süddeutschlands nach Preußen. In der von dem lutherischen Pfarrer Gerhard Göcking (1705–1755) veröffentlichten Chronik der Ereignisse wird auch die jüdische Zedaka für die Salzburger Exulanten erwähnt. Göcking betonte, dass die Juden den Glaubens=Helden an vielen Orten Liebe erwiesen, fast in keinem eintzigen aber ihnen das geringste Leyd zugefüget hätten.[54]

Fast nirgends, so Göcking weiter, habe sich ein Jude gefunden, der diese Betrübten noch weiter betrübet hätte.[55] Denn allenthalben, wo Juden wohnten, erwiesen sie diesen Flüchtlingen alles Liebe.[56] – Hingegen hätten katholische Pfarrer verhindert, dass ihre Gemeindemitglieder die durchwandernden Salzburger unterstützten. Im konfessionell fragmentierten schwäbischen Raum, der von vielfältigen Grenzen durchzogen war, hätten sich die Angehörigen der jüdischen Minderheit als großzügig gegenüber den Exulanten erwiesen und würden damit die Katholiken beschämen.[57]

Auf ihrer Reise durch Franken wurden die Salzburger ebenfalls von evangelischen Christen wie jüdischen Einwohnern unterstützt, im Februar 1732 beispielsweise in der brandenburgisch-ansbachischen Amtsstadt Schwabach,[58] wo bereits 1686 Hugenotten aus Frankreich Zuflucht gefunden hatten. Auch an weiteren Stationen dieses Exodus zeigte man sich großzügig. In Fürth soll ein nicht namentlich genannter Jude über hundert Gulden gespendet haben,[59] und ein in der Nähe der Residenzstadt Coburg wohnender Jude habe

am 21. Juni 1732, als man vor die Saltzburger Burger eine Collecte sammlete, zwey Gulden aufs Rath Haus [geschickt], mit dieser Uberschrifft: Standhafften, armen vertriebenen Leuten ein klein Präsent. Deßgleichen thaten auch eben dahmals die Würtzburgischen und Bambergischen Juden, welche durch Coburgische Bürger etliche Gulden und Thaler überreichen liessen.[60]

In ihrer Bereitschaft zur Unterstützung religiös Verfolgter waren sich evangelische und jüdische Einwohner süddeutscher Territorien offenkundig einig.

Die unter katholischer Schutzherrschaft stehenden Juden stellten sich in diesem Fall auf die Seite der Ausgewiesenen, selbst wenn sich ihre Obrigkeiten solidarisch mit dem Salzburger Erzbischof erklärten. Der Chronist Göcking betonte auch, dass die Juden die Exulanten nach ihrem Vermögen unterstützt hätten: Der Banquier von der Jüdischen Nation zu Nimwegen, Benedict Levi Gompertz [(PID 524)], erzeigete ihnen nicht nur alle Freundschafft, sondern theilete zwölfhundert Gulden unter sie aus, welche er auf Rechnung vieler Personen angenommen hatte.[61] Die Unterstützung dieser Vertriebenen ermöglichte ihnen die Weiterreise nach Preußisch-Litauen, wo ihnen König Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) im Rahmen seiner Peuplierungspolitik vakante Bauernstellen angeboten hatte.[62] Mit der finanziellen Unterstützung dieser Gruppe war somit nach jüdischem Verständnis die höchste Stufe der Mildtätigkeit gemäß dem großen spanischen Gelehrten des Mittelalters Maimonides (1135/8–1204) erreicht, da es den Beschenkten am Zielort ermöglicht wurde, ihren eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten.[63] Gleichzeitig zeigte man sich solidarisch mit einer Gruppe Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden – eine Erfahrung, die Juden und Salzburger teilten. Zudem adaptierte man durch die Unterstützung migrierender Personen Praktiken des jüdischen Plettenwesens und damit eine Form der Unterstützung Fremder, die persönlich um Hilfe baten. Diese Berechtigungsscheine ermöglichten wandernden Juden, die ein Leumundszeugnis mit sich führten, die Versorgung durch die Gemeinde, die auf ihrem Weg lagen.[64] Dies konnte für die betroffenen Kommunen durchaus eine hohe finanzielle Belastung darstellen,[65] war jedoch eine »gute Tat im Hier und Jetzt, die diesseitige Verantwortung des Einzelnen«.[66]

Dass die jüdische Wohltätigkeit gegenüber Vertriebenen gerade in evangelischen Schriften hervorgehoben wird, hat zum einen mit der zu dieser Zeit einsetzenden pietistischen Judenmission zu tun,[67] die auf millenaristische Erwartungen rekurrierte. Mitarbeiter von Johann Heinrich Callenbergs (1694–1760) »Institutum Judaicum et Muhammedicum« in Halle, einer von 1728 bis 1792 aktiven, stark pietistisch geprägten Einrichtung, deren vorrangiges Ziel die Missionierung der jüdischen Bevölkerung in Europa war,[68] besuchten auf ihren Missionsreisen jüdische Familien, um mit ihnen die Heilserwartung zu diskutieren. Der Missionar Johann Georg Wiedmann (1696–1753) schilderte einen Besuch im Hause des Bamberger Hoffaktors Menasse Marx (PID 792) (gest. 1742) am letzten Sabbat des Jahres 1731. Dieser gehörte zu den bedeutenden jüdischen Persönlichkeiten Bambergs, deren familiäre Netzwerke sich überregional erstreckten und der in seinem Haus eine Jeschiwa unterhielt.[69] Wiedmann nahm dort an der gemeinsamen Mahlzeit teil, und eine anwesende Frau (vermutlich Menasse Marx’ Ehefrau Schöne Heym (PID 7706)) griff nach dem weißen Brodt, um ihm zedekah [zu] geben.[70] Das Teilen des Brotes bildete die gemeinsame religiöse Basis für jüdischen Gastgeber und christlichen Gast.

3 Stiftungen von Mitgliedern der Bamberger Landjudenschaft

Auch wenn Zedaka der christlichen Mehrheitsgesellschaft im Allgemeinen oder protestantischen Flüchtlingen im Besonderen zugutekommen konnte, stand selbstverständlich die jüdische Gemeinschaft im Zentrum dieser Form der Wohltätigkeit. Während das Plettenwesen, die Versorgung durchwandernder Personen, von der jüdischen Gemeinde als Korporation getragen wurde, waren Stiftungen oder große Zuwendungen individuelle Leistungen vermögender – meist männlicher – Personen,[71] die den Status ihrer Familie in der Gemeinde damit verbessern und überdies die sozialen Bindungen innerhalb der eigenen Familie sowie dieser Familie an die jüdische Gemeinde festigen wollten.[72]

Wertvolle Objekte wie Teile von Synagogenausstattungen und Ritualgegenstände waren häufig mit Inschriften der Stifter versehen[73] und dienten deren Memoria. Die erfolgreiche Kauffrau Esther aus Kronach (PID 7601) stiftete 1703 beispielsweise ein Thoraschild, das an den gewaltsamen Tod ihres Mannes erinnern sollte.[74] Die Hamburger Geschäftsfrau Glikl bas Juda Leib (PID 967) schenkte der Synagoge in Baiersdorf einen prunkvollen Thoravorhang. In diese Gemeinde hatte um 1700 einer ihrer Söhne, Moses Goldschmidt (PID 968), eingeheiratet.[75] Dessen Schwiegervater Samson Salomon Baiersdorfer (PID 953) (gest. 1712), dessen Familie aus Wien stammte, hatte die 1711 eingeweihte Synagoge finanziert; 1707 hatte er sich bereits am Neubau der Synagoge in Bruck bei Erlangen beteiligt.[76] Im unterfränkischen Mainort Marktbreit, der unter der Herrschaft der Fürsten von Schwarzenberg stand, stifteten der aus Worms stammende Samson Isaak Wertheimer (PID 5771) und seine Frau Krönle (PID 14804) nach dem Synagogenbrand im Jahr 1714 den Neubau samt der Inneneinrichtung und verewigten sich dort durch eine Stiftertafel.[77] Derartige Stiftungen sind laut Barbara Staudinger »nicht ausschließlich als religiöser Akt zu verstehen, sondern auch ein Mittel, sich vor der Gemeinde zu positionieren, einen Führungsanspruch zu erheben und sich in die jüdische Geschichte und Kultur« vor Ort einzuschreiben.[78]

Als Spender aufgezeichnet und memoriert zu werden, war ein Kennzeichen für sozialen Status und erwiesene Frömmigkeit.[79] Dies gilt auch für die sechs Kapitalstiftungen, die aus dem 18. Jahrhundert für das Hochstift Bamberg bekannt sind. In der Residenzstadt wurden fünf davon errichtet, eine weitere in dem Amtsort Burgkunstadt.[80] Drei dieser sechs Stiftungen stammten aus den 1730er Jahren – einer Zeit, in der die jüdische Gemeinde Bambergs ihre größte ökonomische Bedeutung und überregionale Ausstrahlung vor dem 19. Jahrhundert hatte.[81] Drei weitere wurden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ins Leben gerufen.[82] In Testamenten und Stiftungsbriefen legten die Stifter fest, wie ihr Geld angelegt werden sollte. All diesen Beispielen für Zedaka ist gemeinsam, dass die Kapitalerträge teilweise für die schulische Ausbildung jüdischer Kinder (meist aus der näheren oder weiteren Verwandtschaft) verwendet werden sollten; der größte Teil sollte der Aussteuer bedürftiger Frauen zugutekommen oder Männer bei ihrem Studium unterstützen. Damit unterschieden sich die Bamberger Fälle nicht wesentlich von jüdischen Stiftungen, die aus anderen Regionen bekannt sind.[83]

Tab. 1:

Jüdische Stiftungen des 18. Jahrhunderts[84]

Stifter

Wohnort(e)

Schutzherr

Gründungszeitpunkt

Summe

Wolf Isaak Brillin (PID 991)

(1644–1730)

Bamberg

Hochstift Bamberg

Um 1730

2.500 Gulden

Meyer Levi (PID 881)

Pfersee/Zeckendorf

von Aufseß

1733

237 Gulden 30 Kreuzer

Joseph Heilbronner

(PID 587)

Fürth

Dompropstei

Um 1737

1.000 Gulden

Samuel Heym

(PID 12080)

Bamberg

Hochstift Bamberg

Um 1777

450 Gulden

Koppel Henoch (PID 12449)

(gest. 1783)

Burgkunstadt

?

1783–1786

2.000 Gulden

Samuel Michael Hesslein (PID 2837)

(1713–1788)

Bamberg

Hochstift Bamberg

Um 1790

Mindestens

10.000 Gulden

1784 stiftetet der Kaufmann Koppel Henoch aus Burgkunstadt,[85] der sich 1756 sowie von 1758 bis 1760 auf den Leipziger Messen nachweisen lässt,[86] 2.000 Gulden, deren jährliche Erträge für eine Vielzahl an sozialen Aufgaben herangezogen werden sollten. Zudem sollte der Zehnt eines seiner Grundstücke in dem Ort Mainroth für wohltätige Zwecke verwendet werden, wie es die Tradition des aschkenasischen Judentums vorsah.[87] Das Kapital – 1.000 Gulden zu vier Prozent Zinsen und derselbe Betrag zu fünf Prozent – wurde bei der Bamberger Landjudenschaft angelegt. Daraus sollte das Schulgeld für ein armes Kind aus der Freundschaft und ein Stipendium für einen studierenden Jungen, der nicht mit der Familie des Stifters verwandt sein musste, finanziert werden. Ferner wurden arme Bräute aus der Verwandtschaft ausgesteuert und Überschüsse an die Armen verteilt. Außerdem erhielt der Stiftungsverwalter, der Kaufmann Seligmann Koppel Thurnauer (PID 16550) (1749–1825) in Burgkunstadt, eine jährliche Belohnung. Thurnauer war selbst eine angesehene Person in der Gemeinde: Er war mit Rosa (PID 16549), einer Schwester des jüdischen Aufklärers Aaron Halle-Wolfssohn (PID 803), verheiratet, und sein jüngerer Bruder Scheyer Koppel Thurnauer (PID 16551) (geb. 1767) war als Hoffaktor des Grafen Carl Christian Heinrich Ernst von Giech zu Buchau (1763–1818) tätig.[88]

Für seine Memoria in der Synagoge stiftete Koppel Henoch eine Gesetzrolle nebst Bekleidung von Silber, auch den Vorhang, mit dem Vorbehalt, daß sie nie und zu keiner Zeit verkauft werden dürfen; vielmehr müsse diese kostbare Ausstattung auf seinen Namen iederzeit in der Synagoge daselbst bleiben. Zudem vermachte er der Gemeinde seinen Gebetsstand mit dem bedüngen, daß jederzeit ein Gelehrter darauf stehen muß, welcher Aufsicht über den Unterhalten des ewigen Lichtes und auf die Gesetzrolle nebst zugehörung haben soll.[89] Die zehn Männer, die während des Trauerjahres täglich früh und abends für ihn beteten und so die Erinnerung an ihn aufrechterhielten, wurden mit jeweils fünf Gulden belohnt. In den folgenden Jahren sollten 25 Gulden für das Öl zum ewigen Licht (Ner Tamid), das sich vor dem Toraschrein befindet und an die ständige Präsenz Gottes erinnern soll, verwendet werden. Diese Zuwendung wurde als verdienstvolle Tat (Mitzwa) angesehen. Die übrigen 25 Gulden sollten an arme Gelehrte sowie an diejenigen Armen, die an Koppel Henochs Todestag beteten, verteilt werden.[90]

Um den Stiftungszweck zu erfüllen, musste Kapital gegen Zins verliehen werden. Geldanlagen erfolgten sowohl bei der Korporation der Landjudenschaft als auch in Form von Darlehen an christliche und jüdische Einwohner sowie an Handelsgesellschaften.[91] Wie viele andere Stifter legte auch Koppel Henoch detailliert fest, wie sein Kapital angelegt werden sollte. Die Wolf Isaak Brillinsche Stiftung hatte ihr Kapital bei der Bamberger Judenschaft und später bey der landjudenschaftlichen Schuldentilgungskassa zu 5 P[rozent] ferzinslich eingelegt.[92] Dies galt auch für das Vermögen der Josef Heilbronnerʼschen Stiftung und der Stiftung des Samuel Hayum. Das Geld der Meyer Levi’schen Stiftung war ebenfalls bei der Judenschaft angelegt und wurde seit 1824 vom Bamberger Stadtmagistrat verwaltet. Während 100 Gulden bei der Staatsschuldenkasse zu einem Zinssatz von vier Prozent angelegt waren, waren die restlichen 137 Gulden 30 Kreuzer privat verliehen und das Kapital mit einer gerichtlichen Hypothek abgesichert worden.[93]

Bei der Anlage von Stiftungskapital bemühte man sich um möglichst sichere Erträge. Einlagen bei Korporationen wie jüdische und christliche Einrichtungen, Bruderschaften oder Städten sind ebenso dokumentiert wie Kredite an solvente Personen oder Einlagen bei etablierten Handelsgesellschaften. So finden sich unter den Gläubigern der Zacharias Fränkel’schen Handelsgesellschaft in Fürth im Jahre 1750 neben zahlreichen Privatpersonen und Handelshäusern eine Almosenbüchse für die Gefangenen, Kapital aus der Schul- und Stipendienstiftung Gabriel Fränkels (PID 1316) für den Unterhalt der Fürther Klaus (Jeschiwe)[94] sowie Stiftungskapital seines Sohnes Wolf Gabriel Fränkel (PID 1997) in Höhe von 700 Gulden. Auch die Ehefrau von Gabriels Enkel Gabriel Abraham Fränkel (PID 15519), Hindel Lemberg (PID 15518), die eine Enkelin des Rabbiners Gabriel Eskeles[95] (PID 2874) war, hatte Stiftungskapitel in der Firma eingelegt. Ihr Mann war ein Sohn des Abraham Gabriel (PID 1996) und Edels (PID 2054), einer Tochter des aus Wien vertriebenen Vorstehers der Fürther Judenschaft David Isaak Fränkel (PID 98). Dieser wiederum, ein Sohn des Wiener Rabbiners Koppel Fränkel[96] (PID 93), hatte zusammen mit seinen Brüdern und einem Schwager für 4.000 Gulden den Wiener Friedhof unterhalten, wo ihr Vater seine letzte Ruhe fand.[97] David Isaaks Sohn Bärmann Fränkel (PID 97) heiratete die Tochter des Fürther Vorstehers Salomon Schneior Fromm (PID 14) namens Bunle (PID 100) und führte die Zedaka seiner Familie fort. In seinem Testament legte er fest, dass aus seinem nachgelassenen Vermögen eine Klaus in Fürth errichtet werden solle.[98] Auch seine Schwiegertochter Ester (PID 12062), die Ehefrau von Bärmann Fränkels Sohn Salomon Löw Schneior[99] (PID 2089), setzte die Familientradition fort. Sie hatte ihr Stiftungskapital in der Fränkelʼschen Handelsgesellschaft eingelegt, die auch mit Kapitaleinlagen mehrerer Begräbnisbruderschaften, der Kasse für die Armen in Jerusalem (mit immerhin 1990 Gulden)[100] sowie einer Stiftung für Kranke wirtschaftete.[101]

Die hier zusammengetragenen Daten verweisen einerseits auf eine starke Tradition der Zedaka innerhalb einer der führenden jüdischen Familien Fürths; andererseits ist auffällig, dass die meisten dieser Stiftungen auf Nachkommen der 1670 aus Wien vertriebenen Familien zurückgehen. Erzwungene oder freiwillige Migration prägten somit auch die Muster jüdischer Wohltätigkeit. Wenn Darlehensnehmer wie die Fränkel-Gesellschaft zahlungsunfähig wurden, gingen allerdings auch Stiftungskapitalien verloren; im Extremfall konnte nach solchen Ausfällen die Stiftung erlöschen[102] und dadurch die Ehre der Familie in Mitleidenschaft gezogen werden.

4 Meyer Levi und seine Stiftungen

Am Tag des Neumonds im Monats Cislov 493 verschriftlichte der Rabbiner zu Pferschau und des Schwabenlandes Isaak Menasse Etthausen (PID 5276) (1685–1763) posthum den letzten Willen Meyer Levis,[103] der am 25. Juni 1732 in Pfersee vor den Toren Augsburgs verstorben war.[104] Etthausen hatte mit dem Sterbenden vor seinem Tod gesprochen und seinen letzten Willen zur Steuer der Wahrheit und zur Ehre des ruhmvollen edlen Mannes […] als Nachweis für künftige Zeiten festgehalten. Er betonte einleitend, dass Meyer Levi auf seinem Krankenbett große Unterstützung erhalten habe und bei vollem Bewusstsein gewesen sei, als er seinen letzten Willen kundtat.

Es giengen Leute zu und ab, den kranken, und selig verlebten, gelehrten und hochverehrten Maier Levi aus Pferschau zu besuchen. Als wir zu ihm kamen, und er mich zu Gesichte bekam, wollte er aufstehen; er gab mir die Hand, ihn aufzurichten, und strengte sich an im Bette zu sitzen. Ich sah, daß er bei vollen Sinnen, der Sprache mächtig, und sich wie ein Gesunder zu besprechen vermögend war. Ich fragte, ob er hinsichtlich seines Eheweibes, seiner Verwandten, oder zum Heil seiner Seele etwas zu verordnen hätte. Er seufzte tief, sagte, daß er nicht Kraft genug hätte, sein Testament in Ordnung zu bringen, oder reiflich nachzudenken, was zu thun sey; sondern er wolle Alles seinen busenfreunden, dem Oberlandrabbiner und seinem Schwager Heyum Gh (wahrscheinlich Gunzenhausen[105]) überlassen; diese werden thun, was für ihn gut sey, denn es sey bekannt, daß diese Männer rechtlich gesinnt, gerade denkend und besonnen sind, und daher nichts Unbilliges thun werden.[106]

Der Status Meyer Levis in der Gemeinde wird durch die Betonung der Vielzahl an Besuchern an seinem Krankenbett sowie durch Hinweise auf seine familiären Beziehungen hervorgehoben. Dass diese Verbindungen die »Rangstufung innerhalb der jüdischen Gesellschaft« reflektieren sowie Kriterien wie »die religiöse Bildung, religiös-ethisches Handeln und wirtschaftlichen Erfolg zusammen bewerteten und Status und Ruf der Familie in dieses ranking einbezogen«, hat bereits Rotraud Ries betont.[107] Im Gegensatz zu dem noch weitgehend unbekannten Stifter Henoch Koppel im Burgkunstadt der 1780er Jahre ermöglichen punktuelle Archivfunde genauere Einblicke in das Netzwerk Meyer Levis.

Dieser war ein angesehener Mann in der jüdischen Gemeinde Pfersee, und seine Familie im fränkischen Zeckendorf gehörte ebenfalls der lokalen Oberschicht an. Sein Vater, der Kaufmann und Vorsteher der jüdischen Gemeinde Zeckendorf Moses Meyer Levi (PID 1095),[108] mit der sein Sohn Zeit seines Lebens in engem Kontakt stand, verschied achtzigjährig im Jahre 1727.[109] Sein Onkel Isaak Seligmann Levi (PID 2137), der 1709 verstarb, amtierte in Zeckendorf als Ältester und Deputierter der Bamberger Landjudenschaft. Dieser hatte »im fortgeschrittenen Alter und nachdem er seine Ämter seinem jüngeren Bruder Moses übergeben hatte, seinen langgehegten Traum« erfüllt und sich dem Studium gewidmet. Dabei arbeitete er mit dem Rabbiner Simon Akiba ben Joseph Bär (1698–1724) (PID 7679), der sich anschließend in Gunzenhausen niederließ, zusammen und veröffentlichte 1702 mit ihm gemeinsam das Werk Pi Sch’najim ([aus] Zweier Mund).[110] Wie sein Vater und sein Onkel gehörten auch Meyer Levis Brüder Isaak (PID 7074) und Henoch (PID 7116) zur Führungsschicht der jüdischen Gemeinde.[111] Seine Schwestern waren ebenfalls mit führenden Gemeindevertretern oder Gelehrten verheiratet. Einer seiner Schwäger war ein Hayum Kriegshaber (PID 11877), den er als seinen Busenfreund bezeichnete; ein weiterer war der Unterrabbiner Salomon (PID 7727),[112] der zum Zeitpunkt des Todes Meyer Levis den Familiensitz in Zeckendorf bewohnte. Die Hälfte des Hauses hatte er 1686 von seinem Vater Moyses Meyern überkommen und durch seinen bruder Jacob Levi empfangen.[113] Die Brüder des seeligen M[ayer] Pferschau, Henoch und Isaak, wollten dem Unterrabbiner das Wohnrecht entziehen, wogegen dieser sich allerdings zur Wehr setzte. Als Schiedsrichter in der Erbschaftsauseinandersetzung wurde der Unterrabbiner Wolf Reckendorfer[114] (PID 5236) von allen Parteien akzeptiert. Zu den Pflichten des Schlichters gehörte es, den Unterrabbiner Salomon vor Schaden zu wahren, damit die wohltätige Gesinnung nicht vereitelt werden, die der Verewigte lebenslänglich in Absicht auf besagten Herrn Wolf hegte.[115] Bei Salomon handelt es sich um den 1727 erwähnten Salomon Fränkel oder der Silber Jud.[116] In seiner Funktion als Unterrabbiner in Zeckendorf war er zugleich Vertreter (Landesdajan) der reichsritterschaftlichen Juden im Rabbinat Bamberg.[117]

Meyer Levi gehörte demnach zum Kreis der Hoffaktoren, Gemeindevorsteher und Gelehrten, die im Laufe ihrer Karrieren eine beträchtliche geographische Mobilität aufwiesen und sich dabei häufig zwischen städtischen und ländlichen Räumen bewegten.[118] Schon in jungen Jahren hatte er offenbar seine Heimat verlassen, denn bereits 1686 wird er als Meyer Levi zu Pfirsch bezeichnet, wo er auch seine Ausbildung erhielt.[119] Um diese Zeit dürfte er Lea (PID 1034), eine Tochter des Pferseer Agenten der Wiener Oppenheimer-Gesellschaft und späteren Vorstehers der jüdischen Gemeinde Simon Ullmann (PID 4254) und seiner aus Wien stammenden Ehefrau Esther Mirels (PID 4253), geehelicht haben.[120] Am Wohnort seiner Frau, an dem 40 jüdische Familien lebten, ist er 1701 als Beisitzer ohne eigenen Hausbesitz mit einem Vermögen von 600 Gulden belegt.[121] 1713 versuchte er dort ein Anwesen zu erwerben. Ein Kaufvertrag mit der Christin Magdalena Völck konnte jedoch nicht ratifiziert werden, da er aufgrund der restriktiven Judenpolitik vor Ort keinen Schutzbrief erhalten konnte.[122] Meyer Levi behielt zeitlebens seinen Schutzstatus in seiner Heimatgemeinde Zeckendorf.

Im Oktober 1721 beschwerte sich Meyer Levi gemeinsam mit dem Vorsteher der Fürther Judenschaft und dompropsteilichen Schutzjuden Salomon Moses Ullmann (ID 129),[123] einem Neffen seines Schwiegervaters, bei der Innsbrucker Regierung über die finanziellen Belastungen, die anfielen, wenn Juden in der Reichsstadt Augsburg ihren Geschäften nachgehen würden.[124] Im folgenden Jahr waren Meyer Levi und seine Frau Lea als Vorstände eines Haushalts mit zwei Dienstboten in Pfersee registriert. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ein Bruder seiner Frau namens David Simon (1372) als Knecht bei ihnen.[125]

Der Pferseer Rabbiner Isaak Etthausen betonte in der Niederschrift seines letzten Willens, dass Meyer Levi bei vollem Bewusstsein und Verstand war – eine wichtige Formel für die Gültigkeit seiner Verfügung – und er in der Gemeinde hochgeschätzt gewesen sei. Für seine Memoria, zur Steuer der Wahrheit und zur Ehre des ruhmvollen edlen Mannes, sollte eine Stiftung errichtet sowie das Wissen des Verstorbenen der Nachwelt erhalten werden, um weiterhin dem gemeinen Nutzen zu dienen. Als Verwalter und Vorsteher dieser frommen Stiftung des M. Pferaschau wurde der als ein Gottesfürchtiger, religiöser und wohlthätiger Mann bekanndt[e] Bamberger Meyer David Eger eingesetzt.[126] Dieser sollte 400 Gulden Stiftungskapital verwalten, die das Thorastudium junger Männer sowie die Publikation der Schriften Meyer Levis finanzieren sollten. Etthausen betonte, er

habe das Zutrauen zu dem Gottesfürchtigen Meyer Eger, daß er sich dem Geschäfte mit Eifer unterziehen wird, jenen seeligen Gelehrten, Hr. Maier Pferschau zu willfahren, dieses Druckgeschäft zu realisieren,[127] und den Erlöß aus den büchern unter seiner Hand zu einem Kapitalfond zu bilden, um daraus Söhne armer Leute zum Toralernen zu unterstützen.

Meyer David Eger sollte

mit einem Theil dieses geldes zwey sehr Gelehrte dingen, die im Stande sind, eine gelehrte Abhandlung genau zu prüfen und richtig zu würdigen. Diese sollen eine Auswahl unter den Manuscripten des seeligen Maier Pferschau treffen, und eine blumenlese aus seinen lieblichen Aufsätzen vornehmen. Die Vorzüglichsten seiner gelehrten Arbeiten nun, die ihnen als solche erscheinen, es seien dieselben Erklärungen talmudischer Segen, Rechtsaufgaben, oder was auch sonstigen Inhalt, sollen sie in schöner, gutdünckender Ordnung sammeln, daraus ein Werk formieren, es der Presse übergeben, und unter Israel zu verbreiten suchen. Dieser wird ihm zum Seelenvergnügen, zum Ruhme und zur Namensverewigung dienen.

Damit sollte das Lebensmotto Meyer Levis, der Mensch müßte seine Worte nicht unnütz aussprechen, nach Ansicht des Rabbiners Isaak Menasse Etthausen umgesetzt werden. Den Wert der mehr den Einhundert bogen theologische Novellen im Nachlass Meyer Levis konnte Etthausen sehr gut einschätzen, denn auch er war auf diesem Gebiet produktiv. Seine Sammlung von 58 Responsen mit dem Titel »Or Ne’elam« (Verborgenes Licht) und der Kommentar »Or lob e-Zion« (Ein Licht ist in Zion) wurde 1765 posthum von seinem Sohn Juda Löw Etthausen (5275) bei Wilhelm Friedrich Lotter in Karlsruhe veröffentlicht.[128]

Ob die Schriften Meyer Levis je im Druck erschienen sind, konnte bisher nicht ermittelt werden. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, da Publikationen in dieser Gesellschaftsschicht und speziell in dieser Familie Tradition hatten. Zudem fällt auf, dass deutlich weniger Kapital angelegt wurde, als Meyer Levi gestiftet hatte. Eine Summe von 237 Gulden 30 Kreuzer, die zur Bezahlung des Schulgeldes armer Kinder verwendet werden sollte, stand noch in den 1820er Jahren zur Verfügung. Die Ausschüttung der Gelder wurde von den amtierenden Vorstehern der jüdischen Gemeinde Bambergs vorgenommen.[129]

Im Gegensatz zu anderen jüdischen Stiftern der 1730er Jahre im Hochstift Bamberg, die fest in der Region verankert waren, pendelte Meyer Levi zwischen dem schwäbischen Pfersee und dem fränkischen Zeckendorf. Dort hatte er bis zu seinem Tod einen festen Stuhl in der Synagoge inne, und seine Frau verfügte über einen Platz auf der Frauenempore.[130] Im Vergleich zur Stiftung Wolf Isaak Brillins, deren Aufgabe die Unterstützung bei der Erlernung der Dora [Thora], Aussteuer armer Bräute und Krankenhülfe für verarmte Verwandte war und die über ein Kapital von 2.500 Gulden verfügte, oder diejenige Joseph Heilbronners im Jahre 1737, die mit 1.000 Gulden ausgestattet war, fällt das Kapital Meyer Levis relativ bescheiden aus. Jedoch war er bereits zu Lebzeiten finanziell stark in Zedaka involviert, indem er Gelder für Synagogenbauten sammelte und auch selbst dafür spendete.

Da Stiftungen »eine Form, sich in der Gemeinde zu positionieren und ›Ehre zu erlangen‹« darstellten, standen laut Barbara Staudinger die »besonders angesehenen Familien […] in der Pflicht, die ihnen zuteil gewordene Ehre immer wieder unter Beweis zu stellen und zu erneuern.«[131] Dies lässt sich auch für die jüdischen Stifter innerhalb der fränkischen Landjudenschaft beobachten. Wolf Isaak Brillin (ca. 1644[132]–1730) gehörte einer Familie an, die zur süddeutschen Wirtschaftselite um 1700 gerechnet werden kann und mit führenden Vertretern jener Elite verwandt und verschwägert war,[133] die sich auch als Stifter an verschiedenen Orten Mitteleuropas finden.[134] Neben seiner eigenen Stiftung engagierte er sich in der Bamberger Begräbnisbruderschaft (Chevra Kadischa)[135] und wurde 1729 Kassierer und Rechnungsführer der Landjudenschaft.[136] Joseph Heilbronner ist vermutlich mit dem dompropsteilichen Schutzjuden in Fürth und Hoffaktor des Eichstätter Bischofs Johann Anton I. Knebel von Katzenelnbogen (reg. 1705–1725) identisch,[137] der 1727 wegen seiner geschäftlichen Beziehungen dorthin vorübergehend in Fürth in Arrest genommen worden war.[138] 1730 überschrieb er sein Haus an seinen Sohn Isaak (PID 12067) anlässlich von dessen Hochzeit mit Rachel (PID 12068), der Tochter des Fürther Arztes Aaron Moses Schwab (PID 205).[139] Für die korrekte Abfassung der Testamente und letztwilligen Verfügungen wurde der Rat von Rabbinern wie Isaak Etthausen eingeholt. Die Verwaltung der Stiftungen wurde in die Hand angesehener Männer gelegt, die ehrenamtliche Aufgaben für die Landjudenschaft übernommen hatten. Ähnlich wurde auch bei christlichen Stiftungen verfahren, deren Pfleger häufig ebenfalls zentrale Positionen in der Gemeinde innehatten.[140]

5 Resümee

Bei den Stiftungen, die in der Bamberger Landjudenschaft getätigt wurden, ging es nicht um vergleichbare Summen, wie sie die Erben des kaiserlichen Hoffaktors Samson Wertheimer (1658–1724) in Wien für Zedaka zur Verfügung stellten. Letztere stifteten 150.000 Gulden in fundis publicis, deren Zinsen darauf verwendet werden sollten, verschiedene fromme Stiftungen, Schuelen, Erziehungs Anstalten, und ansehnliche Stipendien für Schuelkinder, und studierende Jünglinge zu finanzieren.[141] Dennoch weisen auch die fränkischen Beispiele Parallelen zur Stiftertätigkeit der »großen« Hoffaktoren auf.

Spenden an Bedürftige und Stiftungen gehörten zum Selbstverständnis jüdischer Gemeinden. Von dieser Großzügigkeit profitierten mitunter auch christliche Einrichtungen oder Personen. Die zahlreichen Familienstiftungen zur Ausstattung armer Bräute und zur Unterstützung junger Männer erfüllten den Stiftungszweck auch noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts.[142] Damit unterschieden sie sich prinzipiell nicht von christlichen karitativen Stiftungen, die oft ebenfalls für die Aussteuer armer Frauen und die Ausbildung junger Männer verwandt wurden und die ihre Erträge mitunter auch für die Unterstützung taufwilliger Juden einsetzten.[143] Daneben kamen Legate an Synagogen sowie Zuwendungen an Begräbnisbruderschaften häufiger vor, um die Memoria der Stifter lebendig zu halten.[144] Spenden, Legate und Stiftungen dienten dem irdischen Wohlergehen innerhalb der jüdischen Gemeinden ebenso wie dem »Seelenheil ihrer lebenden und verstorbenen Mitglieder«.[145] Vermögende Juden engagierten sich auch außerhalb der eigenen Gemeinde und Region, orientierten sich dabei jedoch stets an familiären Verbindungen,[146] wie auch für die fränkischen Juden gezeigt werden konnte.

Christlichen wie jüdischen Stiftungen ist gemein, dass die zu Lebzeiten erworbenen Güter zum Wohle der Allgemeinheit verwendet werden sollten, und stellten damit eine gesellschaftliche Praxis des sozialen Ausgleichs dar,[147] wobei den Empfängern in vielen Fällen ein eigenständiges Leben ermöglicht werden sollte.[148] Die Wohltätigkeitsformen jüdischer und christlicher Prägung weisen auf dynamische Austauschprozesse zwischen den beiden religiösen Gruppen hin, die in Ähnlichkeiten hinsichtlich der Ausgestaltung und des Vollzugs der Stiftungen resultierten. Die vorliegende Untersuchung jüdischer Stiftungen bestätigt somit die These von Debra Kaplan, dass es direkte Wechselwirkung und Abstimmungsprozesse zwischen christlichen und jüdischen Gemeinden in Bezug auf Wohltätigkeit und Armenfürsorge gab.[149]

Inwieweit spiegelt sich in den hier vorgestellten Beispielen die Fraktalität des Reiches? Für Meyer Levi waren sowohl das habsburgische Pfersee als auch das im Hochstift Bamberg liegende Zeckendorf »Räume der Identifikation«,[150] die seine »mental map« prägten. Seine Lebenswelt und seine Raumvorstellung waren offenkundig beeinflusst von der Fraktalität des Reiches, und die damit verbundenen, »kulturell vermittelte[n] (Welt-)Bilder« wirkten sich auf seine Gemeinschafts- und Identitätsbildung aus.[151] Diese war sowohl an seinen Schutz- und Heimatort Zeckendorf als auch an seinen Wohn- und Arbeitsort Pfersee gebunden. Die im Süden des Alten Reiches vorherrschende territoriale Kleinkammerung, die der Ausprägung landesfürstlicher enge Grenzen setzte,[152] eröffnete jüdischen Menschen Ansiedlungsoptionen und den Inhabern des Judenschutzes die Option, auf diesem Wege ihre lokale Machtposition auszubauen. Gleichzeitig ermöglichte die Vielzahl territorialer und herrschaftlicher Grenzen jüdischen Menschen Handlungsspielräume, die sie kreativ ausgestalteten.[153] Die für Personen wie Meyer Levi geltenden sozialen Logiken spiegeln sich auch in den räumlichen wider,[154] wie die oben erwähne Beschwerde an die Innsbrucker Regierung über die Einschränkung jüdischer Geschäftstätigkeit in der Reichsstadt Augsburg zeigt.

Meyer Levis Memoria sollte innerhalb der Bamberger Landjudenschaft gepflegt werden, unter deren Schutz er stand, und seine Bindung an seine Heimatgemeinde betonen. Das gleiche Muster ist auch bei den anderen Stiftern erkennbar. Joseph Heilbronner, der unter dem Schutz der Bamberger Dompropstei stand, orientierte sich an der Bamberger Landjudenschaft, als er einen Verwalter für seine Stiftung suchte. Auch in seinem Fall sollte die Memoria an dem Ort gepflegt werden, der ihm zu Lebzeiten Schutz gewährt hatte. Versorgt werden sollten mit den Schul- und Aussteuerstiftungen jedoch nähere und weitere Verwandte, die sich über das gesamte Reichsgebiet verstreut niedergelassen hatten, womit zugleich den rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen jüdischer Existenz Rechnung getragen wurde.

Vermögende Stifter bedachten oft mehrere Orte, an denen aber stets Familienmitglieder etabliert waren. Der Münchner Hoffaktor Wolf Samson Wertheimer, der in Kriegshaber bei Augsburg seine letzte Ruhestätte fand, vermachte sein Erbe den jüdischen Gemeinden Fürth und Amsterdam. Zudem stiftete er in Nikolsburg eine Rabbinerstelle und in Prag eine Kinderschule.[155] Mitglieder europäischer Hofjudenfamilien spendeten Beträge für das Lehrhaus in Jerusalem, um ihrer Verpflichtung zur Förderung der Bildung im Heiligen Land nachzukommen. Dies ist u. a. für Abraham Model Ries (PID 189) belegt.[156] Kapitaleinlagen von Stiftungen für das Heilige Land[157] finden sich auch als Depositen in fränkischen jüdischen Unternehmen, wie das Beispiel von Zacharias Fränkels Erben zeigt. Jüdische Spenden- und Stiftungstätigkeit weist somit sogar über den süddeutschen Raum und das fraktale Heilige Römische Reich hinaus auf das Heilige Land als dauerhaftem Bezugspunkt jüdischer Existenz.


Anmerkung

Dieser Beitrag enthält u. a. erste Ergebnisse des von der DFG geförderten Projekts »Religiöse Differenz und wirtschaftliche Kooperation: Christlich-jüdische Geschäftsbeziehungen in der Spätphase des Alten Reiches (1648–1806) (DFG SCHM 2-2)« an der katholischen Universität Eichstätt.


Published Online: 2023-05-12
Published in Print: 2023-06-30

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Downloaded on 27.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/asch-2023-2005/html
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