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BY 4.0 license Open Access Published by De Gruyter May 12, 2023

Soldaten vor der Tür – die jüdische Gemeinde in Fürth im Spannungsverhältnis zwischen Militär und Obrigkeit

Soldiers at the Door – the Jewish Community in Tension between the Military and the Authorities
  • Franziska Strobel EMAIL logo
From the journal Aschkenas

Abstract

Quartering soldiers in private houses was still very prone to conflict in the 18th century. In the following article, I focus on this practice using the example of quartering during the Seven Years’ War in the households of the inhabitants of Fürth, a market town near Nuremberg. Particular attention is primarily on the reaction and the opportunities for maneuver of the Jewish community and their efforts to free themselves from the quarterings between them and the Christian community and the Jewish community, respectively, as well as the divided local authorities. This conflict shows the way in which the religious and authoritarian boundaries functioned, and the extent they gave the individual actors room for action or limited it. A praxeological, actor-centered approach is employed to generate new insights into the conditions and manifestations of Jewish life.

Der Fürther Medizinalrat und Stadtchronist Dr. Tobias Fronmüller (1809–1889) kommentierte das Jahr 1757 in seiner Chronik mit den folgenden Worten:

Die Wunden, welche der dreißigjährige Krieg geschlagen hatte, waren noch nicht vernarbt, als ein neuer Kampf sieben Jahre lang Deutschland in große Verwirrung brachte und für unsere Gegend mancherlei Gefahren und Heimsuchungen im Gefolge hatte.[1]

Hingegen stellte der preußische Heeresreformer und Militärwissenschaftler Carl von Clausewitz (1780–1831) den Siebenjährigen Krieg in seinem unvollendeten Werk »Vom Kriege« drei Jahrzehnte früher in Bezug auf die Zivilbevölkerung folgendermaßen dar: »Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinets, an welchem das Volk nur als blindes Instrument Theil nahm«.[2] Diese Sichtweise war lange in der Forschung präsent,[3] denn sie konzentrierte sich vor allem auf große Schlachten und die daran beteiligten »großen Männer«.[4] In den letzten Jahren rückte der Siebenjährige Krieg als globaler Krieg in den Fokus der Geschichtswissenschaft.[5] Die Lebenswirklichkeit der Zivilbevölkerung, die unmittelbar vom Kriegsgeschehen betroffen war, sei es durch Bedrohung, Gewalt und Kontributionsforderungen seitens des Militärs, Einquartierungen von Soldaten in Privathäusern oder in Form existentieller Krisen aufgrund von kriegsbedingten Lebensmittelengpässen, wurde hingegen weitgehend ausgeklammert. Wenige Untersuchungen bedienten sich eines mikrohistorischen Zugriffs: Marian Füssel beschäftigte sich u. a. mit den Auswirkungen des Krieges auf Städte[6] oder der Rolle von Frauen.[7] Andreas Leipold untersuchte die Auswirkungen des Krieges im zum Hochstift Bamberg gehörenden Amt Scheßlitz.[8] Er konnte nachweisen, dass der Siebenjährige Krieg auch an einem Nebenkriegsschauplatz wie Franken große Entbehrungen und Truppendurchzüge viel Leid und Schaden über die Zivilbevölkerung brachten.

Nur punktuell thematisiert wurden die regelmäßigen Einquartierungen der Soldaten in Privathäusern. Während Ralf Pröve den Schwerpunkt auf das frühneuzeitliche Einquartierungssystem und die daraus resultierenden sozioökonomischen Folgen setzte,[9] konzentrierten sich andere auf bestimmte Festungs- und Garnisonsstädte. Birthe Herbst-Gehrking untersuchte für die Garnisonstadt Rendsburg vor allem einen sozialgeschichtlichen Gesichtspunkt und ging der Frage nach dem Verhältnis zwischen Bürgern und Soldaten in diesem Kontext nach.[10] Oliver Heyn beschäftigte sich in seiner Monographie zum »Militär des Fürstentums Sachsen-Hildburghausen« u. a. mit Versorgung und Einquartierungen der Soldaten im Spanischen Erbfolgekrieg, und Frank Kleinehagenbrock untersuchte die Belastungen durch die Einquartierungen am Beispiel eines hohenlohischen Amtes im Dreißigjährigen Krieg.[11] In einem Sammelband zu »Militär und ländlicher Gesellschaft in der frühen Neuzeit« wird punktuell auf Einquartierungen und das Verhältnis von Soldaten und Zivilbevölkerung eingegangen.[12] Bislang fehlt jedoch eine systematische Aufarbeitung dieses Themas. Die Frage wie und ob die jüdische Bevölkerung in das System der Einquartierung eingebunden wurde, ist nicht nur für den Siebenjährigen Krieg, sondern für die gesamte Frühe Neuzeit ein Forschungsdesiderat.[13]

Die Einquartierung von Soldaten in Privathaushalten evozierte in der Frühen Neuzeit zahlreiche Konflikte, insbesondere im Bereich der Organisation und Durchführung zwischen den Soldaten und den Quartierswirten.[14] In gemischt-religiösen Ortschaften wie Fürth vergrößerte sich das Konfliktpotential um die Aufteilung der Kriegslasten zwischen jüdischen und christlichen Einwohnern. Konfliktverstärkend wirkten zusätzlich die Herrschaftsverhältnisse vor Ort, die zwischen drei Obrigkeiten, der Dompropstei Bamberg, dem Markgraftum Brandenburg-Ansbach und der Reichsstadt Nürnberg, geteilt waren. Brandenburg-Ansbach beanspruchte die Hochgerichtsbarkeit, Bamberg die Gemeindeherrschaft sowie die niedere Gerichtsbarkeit und Nürnberg die Kirchenhoheit.[15] Den Judenschutz als weiteres Herrschaftsrecht behaupteten alle drei Obrigkeiten für sich – Bamberg und Ansbach nahmen Schutzjuden auf, wohingegen Nürnberg dieses Recht ausübte, indem es die Aufnahme und Anwesenheit von Juden in Fürth kategorisch ablehnte. Diese Aufsplitterung der Hoheitsrechte ist eines der prägendsten Elemente in der Geschichte Fürths und wird allgemein als Dreiherrschaft bezeichnet.[16] Die drei Herrschaftsträger versuchten ihren Machtanspruch über die Jahrhunderte stetig auch auf Herrschaftsrechte der anderen Parteien auszuweiten.[17] Damit ist Fürth jedoch kein Einzelfall, sondern vielmehr ein markantes Beispiel für die territoriale Kleinkammerung und die komplexen Herrschaftsverhältnisse mit den typischen Konkurrenzverhältnissen, die den fränkischen Raum insgesamt kennzeichneten. In Fürth spiegeln sich folglich auch Aspekte der Fraktalität, ein Konzept, das von Christophe Duhamelle und Falk Bretschneider für die frühneuzeitliche Reichsgeschichte entwickelt wurde und unterschiedliche obrigkeitliche Handlungsebenen sowie die Praktiken der Akteure in Bezug setzt. Das frühneuzeitliche Reich erscheint danach als eine Raumstruktur mit multiplen Zugehörigkeiten, in dem eine zentrale einheitliche Erzwingungsgewalt fehlte und in dem vielmehr plurale, sich widersprechende und miteinander konkurrierende Macht- und Herrschaftspole als Bezugspunkte existierten.[18]

Wendet man diese Sicht auf Fürth an, lassen sich in den verschiedenen Räumen des Ortes auch »multiple Zugehörigkeiten«, eine Vielzahl von Verbindungen und Zugehörigkeiten der jüdischen Akteure feststellen, die sich je nach betrachteten Raumtypus veränderten.[19] Die Judenschaft gliederte sich in Haushalte, die entweder unter dem Schutz von Brandenburg-Ansbach oder der Dompropstei Bamberg standen. Gleichzeitig waren die unter den verschiedenen Obrigkeiten stehenden Familien Teil der jüdischen Gemeinde mit Verbindungen zur christlichen Gemeinde. In Kriegs- und Friedenszeiten löste daher der Anspruch auf Einquartierungen von Soldaten in Fürth vielfältige und zunächst undurchschaubare Interaktionen zwischen den beteiligten Parteien aus, die erst entschlüsselt bzw. rekonstruiert werden müssen. Das Zusammenleben im Alten Reich lässt sich aufgrund der Vielschichtigkeit der obrigkeitlichen Verhältnisse nur verstehen, wenn man es nicht eindimensional analysiert, sondern alle horizontalen und vertikalen Verbindungen und Bezüge mit einbezieht, in welchen die Akteure agierten, ohne dass es ihnen oftmals selbst bewusst war. Ein permanentes Wechselspiel des sozialen Handelns zwischen den Ebenen des Reichs, der Territorien und der lokalen Ebene macht es notwendig, diese immer wieder kontextabhängig neu zu definieren, um die dahinterstehenden Dynamiken sichtbar zu machen. Als zentraler methodischer Ansatz für die Rekonstruktion der Netzwerke und Handlungsoptionen eignet sich die multiskalare Analyse, »die den dynamischen Verflechtungen und Zirkulationen von Akteuren und Praktiken die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenkt und die Interaktionen über die verschiedenen Reichsebenen hinweg nicht in erster Linie als ein Problem der politischen Strukturierung versteht.«[20] Dies ermöglicht die Dynamik der sozialen Praktiken und das Handeln der Akteure zwischen und auf den verschiedenen Ebenen sichtbar zu machen.[21]

Dabei spielt die Grenze als Eigenschaft der Metapher Fraktalität als omnipräsentes Merkmal menschlichen Zusammenlebens eine zentrale Rolle. Grenzen entstehen überall dort, wo Menschen aufeinandertreffen, d. h. sie kennzeichnen ökonomische und soziale Alltagsbegegnungen. Die Funktion der Grenze ist dabei nicht die Inklusion oder Exklusion, sondern nach Michel de Certeau das »Paradox der Grenze«: Da sie durch Kontakte entstehen, sind die Differenzpunkte der Akteure gleichzeitig Berührungspunkte und somit verbindendes und trennendes Element zugleich.[22] Die auf den ersten Blick vermutete Eindeutigkeit der Grenze verschwimmt je weiter man sich ihr nähert und ihre Zwei- oder Mehrdeutigkeit wird sichtbar.[23] In Kombination mit der multiskalaren Analyse kann die Metapher der Grenze ermöglichen, in Konflikten Motive und Ursachen des Handelns sichtbar und verständlicher zu machen. Denn der religiöse Raum und somit auch die religiöse Grenze war nicht geschlossen und starr, sondern komplex und fluide. Überschneidungen mit anderen rechtlichen, sozialen oder obrigkeitlichen Räumen und Grenzen, die wiederum anderen Logiken gehorchten, waren unausweichlich. Daher ist es nicht immer eindeutig, ob ein Konflikt unter Beteiligung jüdischer und christlicher Akteure in erster Linie eine religiöse Auseinandersetzung aufgrund sozialer Distinktion ist, die der religiösen Grenze automatisch innewohnt, oder aber der Streitsache ein anderer Auslöser zugrunde liegt, der erst durch die Annäherung und Rekonstruktion der Handlungsweisen der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen sichtbar wird.[24]

Im Folgenden wird auf die Praxis der Einquartierungen der Reichsarmee in den Häusern der Fürther Gemeindemitglieder und den damit verbundenen Belastungen im Winter 1757/1758 eingegangen, wobei vor allem die Reaktionen und der Handlungsspielraum der jüdischen Gemeinde im Umgang damit näher beleuchtet werden soll. Im Fokus stehen die Bemühungen um die Befreiung von den Einquartierungen zwischen jüdischer und christlicher Gemeinde bzw. jüdischer Gemeinde und zwei der drei Obrigkeiten der Fürther Dreiherrschaft. Anhand dieses Konflikts soll die Wirkungsweise der religiösen und obrigkeitlichen Grenze dahingehend analysiert werden, inwiefern sie den einzelnen Akteuren Handlungsspielraum ließ oder diesen beschränkte.

I Einquartierungen während des Siebenjährigen Krieges in Fürth

Der aus Halle stammende Jurist und Regimentsauditeur Johann Friedrich Seyfart beschreibt in seiner Geschichte der Kriegsereignisse von 1756 und 1757[25] ein Zusammentreffen zwischen preußischen Freikorps und Truppen des fränkischen Reichskreises unter dem Befehl des Würzburger Generalmajors Freiherr Kolb von Reindorf am 10. Juni 1757 in dem Dorf Vach zwischen Fürth und Erlangen aus Sicht des Fränkischen Kreises:

Die würzburgischen Völker stiessen fast an die Preussen, als aber diese den Endzweck merkten, daß sie abgeschnitten werden sollten, steckten sie die bey Vach über die Regnitz gebaute Brücke, welche bey 3000 Gulden gekostet haben sol, in Brand, mithin konten die verfolgenden würzburgschen Völker nicht sogleich über den Flus kommen, und es blieb also bey dem Stückfeuer mit welchem die Preussen über den Flus begrüsset wurden, wodurch ihnen ein Verlust von beinahe 40 Mann verursacht ward.[26]

Abb. 1: Christoph Nikolaus Kleemann: Angriff des preußischen Freikorps Mayr 10. Juni 1757
Abb. 1:

Christoph Nikolaus Kleemann: Angriff des preußischen Freikorps Mayr 10. Juni 1757

Das Ereignis, welches auch in einem Kupferstich von Christoph Nikolaus Kleemann[27] festgehalten wurde, markiert das Ende des ersten Vorstoßes preußischen Militärs in das Gebiet des heutigen Mittelfranken. Ende Mai 1757 marschierte der Obrist Johann von Meyer über das böhmische Pilsen und die Oberpfalz mit zwei Freibataillonen und 200 Husaren in das Territorium der Reichsstadt Nürnberg ein.[28] Damit erreichte der Krieg die Menschen endgültig direkt. Ziel der Aktion war es, den fränkischen Reichskreis so unter Druck zu setzen, dass sich einzelne Reichsstände zu einer Neutralitätserklärung bereit erklären würden, um das Zusammenziehen der Reichsarmee zu hemmen sowie Kontributionen zu erheben.[29]

Seine politischen Ziele konnte Meyer in Franken zwar nicht erreichen, denn die Reichsstände gaben keine Neutralitätserklärungen ab, jedoch war seine Schadensbilanz verheerend. Allein während seines Rückzugs auf dem Gebiet des Hochstifts Bamberg verursachte er durch das Einziehen von Kontributionen und Zerstörungen in den Ortschaften einen wirtschaftlichen Schaden von 58 137 Gulden.[30] Nicht nur auf dem Gebiet des Hochstifts, sondern auch auf dem Territorium der Reichsstadt Nürnberg und des Markgraftums Brandenburg-Ansbach waren die Belastungen der Bevölkerung aufgrund der Einquartierungen seiner Soldaten und Kontributionsforderungen massiv. Der Schaden in den ansbachischen Oberämtern Schwabach, Roßtal und Cadolzburg summierte sich dabei auf 13 564 Gulden.[31] Meyers Vorgehen hatte »den Charakter eines Beutezuges« angenommen bei dem »nichts mehr bezahlt« und neben Lebensmitteln auch vieles andere gefordert wurde.[32]

Diese Ereignisse finden sich in zahlreichen Chroniken wieder; insbesondere die der Bevölkerung in Fürth abverlangten Kontributionen werden detailliert geschildert. Der Chronist Fronmüller berichtet, dass am 2. und 3. Juni 1757 sowie am 9. Juni Teile des genannten Freikorps von Meyer nach Fürth kamen und von den Untertanen Kontributionen verlangt hätten. Beim ersten Mal forderten sie 2000 Pfund Brot, 20 Simra Hafer, 1000 Pfund Rindfleisch und 20 Eimer Bier. Sieben Tage später verlangten sie vier Simra Hafer und zwei Wagen Brot. Dazu erbeuteten sie 235 Carolin, jeweils zwei goldene Uhren, goldene Tabakdosen und Diamantringe im Gesamtwert von 3567 Gulden 35 Kreuzer.[33]

Ein zeitgenössisches Gedicht erweckt zudem den Eindruck, dass es vor allem die jüdische Gemeinde von Fürth war, die den Großteil der Kontributionen entrichten musste:

Au weh! Du Fürther Juden-Schaar!

Der Mayer ruft unabläßig: Baar

Zweihundert und mehr Carolins,

Auch goldene Uhren, goldene Rings.

Bringt her und schafft Tabatieren,

Die nehme ich von Herzen gern;

Hingegen will ich billig sein,

Mit Euch, liebe Mauschelein.[34]

Dass dabei die jüdische Gemeinde noch glimpflich davongekommen sei, machen die letzten beiden Verse deutlich, in denen angedeutet wird, dass er auch anders gegen die Juden hätte vorgehen können.[35]

Kurz nach dem Abzug des preußischen Freikorps von Meyer wurden seitens der Juden Vorsichtsmaßnahmen für weitere Einquartierungen und Durchmärsche getroffen. Nach den harten Kontributionsforderungen der Preußen gegenüber der jüdischen Gemeinde wurden neue Regeln aufgestellt. Frauen unter 30 Jahren war der Gang in die Synagoge untersagt, um sie so vor Übergriffen zu schützen. Darüber hinaus wurde die bestehende Kleiderordnung verschärft. Keiner Frau war es mehr erlaubt, Stirnbänder aus glänzenden Borten noch Juwelen oder goldene Ketten zu tragen.[36] Silberne Schlüssel durften nur verdeckt an den Kleidungsstücken hängen.[37]

Mit der Verschärfung der Ausgangsregeln und dem Verbot, in der Öffentlichkeit Schmuck zu tragen, handelte die jüdische Gemeinde proaktiv. Zum einen versuchte sie dadurch ihre Frauen zu schützen, zum anderen, jeden Anschein zu verhindern, dass in den Haushalten Geld und Vermögen zu holen sei.[38]

Nicht nur für die jüdische Gemeinde waren die Belastungen hoch. Die Einquartierung des Freikorps von Meyer war nicht die erste des Jahres 1757, die den Markt schwer belastete. Bereits im Januar mussten die von den österreichischen Niederlanden nach Böhmen marschierenden Soldaten der Reichsarmee verpflegt werden. Beherbergt wurde der Generalstab, 300 Mann Kriegsvolk und Bedienstete mit über 80 Pferden. Dazu kamen vier Kompagnien, die sich drei Tage und weitere 16 Kompagnien, die sich vier Tage ausruhten. Dies verursachte Kosten von über 5000 Gulden für die Gemeinde.[39] Zwei Monate später musste die königliche Artillerie-Kompagnie mit 53 Personen versorgt werden. Bereits eine Woche später sollte man für des Herrn Herzogens Carls von Lothringen königl[iche] Hoheit Feldt Equipage, samt einer Compagnie Husaren […] auch dero Maulthiere die Einquartierung vorbereiten.[40]

Aufgrund der hohen Belastungen verschärfte sich die finanzielle Lage der Gemeinde Fürth in den Sommermonaten Juli und August zunehmend. Briefe der Bürgermeister und Vorsteher an den Fränkischen Kreis, der für die Zuteilung und Planung, aber auch für die Erstattung der für die Bevölkerung entstandenen Kosten der Einquartierungen verantwortlich war,[41] zeigen, dass die Gemeinde massiven Belastungen ausgesetzt war. In einem Brief vom 25. November wird der Ort als betrangter Flecken und die finanzielle Situation der Bewohner als nahe gänzlich ruiniret bezeichnet.[42] Dass gerade Fürth so viele Einquartierungen vornehmen musste, war politisch begründet. Die Region um Nürnberg war von den Reichsständen zum Sammlungsort der einzelnen Verbände der Reichsarmee und der Marktflecken Fürth zum Sitz des Hauptquartiers bestimmt worden.[43] Das Feldlager wurde auf den Wiesen und Feldern zwischen Fürth und den Dörfern Unterfarrnbach und Burgfarrnbach errichtet. Ein Kupferstich aus dem Jahre 1757 gibt uns eine Vorstellung der Organisationsstruktur.[44]

Herzog Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen (1702–1787), der den Oberbefehl über die Reichsarmee hatte, quartierte sich mit der gesamten Generalität, den Dienern, Knechten und Pferden Anfang Juli u. a. bei Johann Emmerling, Wirt des Gasthofs Brandenburgisches Haus ein, der an der Straße zwischen Nürnberg und Frankfurt am Main lag. Aus einem Brief der Bürgermeister mit einer Anlage des Besitzers des eben genannten Gasthofs an den Fränkischen Kreis vom 20. August geht hervor, dass die Generalität nach sieben Wochen noch immer keine Quartierskosten bezahlt habe. Zudem wäre auch das Gasthaus zum Roten Ross auf den Kosten sitzen geblieben, da ein Teil der Generalität, nämlich der Generalfeldmarschall-Lieutenant Prinz Ludwig von Hessen-Darmstadt, bereits abgereist sei, ohne die Quartiersrechnung zu begleichen.[45] Am Beispiel des Wirts Emmerling kann die finanzielle Belastung rekonstruiert werden. Um die Generalität beherbergen zu können, musste er all seinen beständigen Mietern kündigen, um seinen Keller, die Stallungen und 26 Kammern zur Verfügung zu stellen. Während dieser Zeit durften keine anderen Gäste bewirtet und keine Passagierkutschen in seinem Hof eingestellt werden. Der Wirt verlor während dieser Zeit nicht nur sein regelmäßiges Einkommen, sondern hatte zusätzlich hohe Kosten. Er bat daher an den Kassier des Fränkischen Kreises, dass der ajoustirten Rechnung mittelst Baarer bezahlung, eine Billigmässige Satisfaction gegeben werden solle.[46]

Abb. 2: Ordre de Bataille der Reichs Armée zwischen Fürth und Farrenbach im Monath August 1757
Abb. 2:

Ordre de Bataille der Reichs Armée zwischen Fürth und Farrenbach im Monath August 1757

Am 23. August brach endlich die Armee unter dem Oberbefehl von Herzog Joseph Friedrich von Sachsen-Hildburghausen und drei Tage später die letzte Kolonne unter dem Generalfeldzeugmeister Prinz Karl August von Baden-Durlach (1712–1786), sowie den königlich-kaiserlichen Kürassier-Regimentern Bretlach und Trautmannsdorf Richtung Erfurt auf, um sich dort mit der französischen Armee unter dem Befehl von Charles de Rohan Prinz Soubise (1715–1787), einem kroatischen Corps unter dem Generalmajor Gideon Ernst von Laudon (1717–1790), sowie den Husarenregimentern Spleni und Sceczeni unter dem Generalmajor Anton Graf Sceczeni aus Böhmen zu vereinigen.[47] Gemeinsames Ziel war es, das Königreich Sachsen von der preußischen Besatzung zu befreien. Sie waren jedoch nicht erfolgreich, sondern erlitten am 5. November 1757 in Roßbach eine katastrophale Niederlage.[48] Die Reichsarmee zog sich daraufhin zurück und nahm ihr Winterquartier zwischen Fürth und Nürnberg. Die fränkische Region war aufgrund ihrer strategischen Mittellage Durchmarschgebiet, Sammlungsort, Ruheraum und Operationsbasis der alliierten Armeen, und die Belastungen für die Bevölkerung waren aufgrund von Kontributionen, Zerstörungen und vor allem der Einquartierungen massiv.

II Konfliktlage und Akteure

1 Der Servis und die Ordonnanz des Fränkischen Kreises von 1757

Die Ursprünge des Einquartierungssystems finden sich im Dreißigjährigen Krieg und waren somit schon vor der Entstehung der stehenden Heere allgemeine Praxis.[49] Mit der Etablierung stehender Heere als verbesserte Reaktion auf kriegerische Auseinandersetzungen und Stütze der herrschaftlichen Macht wurde es jedoch notwendig, nicht nur die Verpflegung und Besoldung, sondern auch die Unterbringung der Mannschaften zu regeln. In diesem Zusammenhang wurde die Kriegssteuer modifiziert und um den sogenannten Servis erweitert. Dies war eine steuerliche Abgabe, die den Militärangehörigen gestaffelt nach militärischem Rang und Familienstand zustand, und von den Bürgern geleistet werden musste.[50]

Der Servis konnte in natura, das heißt durch die Aufnahme eines oder mehrerer Soldaten, entrichtet werden, wobei verschiedene Gruppen, wie Bürgermeister, Deputierte, Richter, Geistliche, Neubürger, aber auch Haushalte mit schwangeren Frauen, Wöchnerinnen oder eben oftmals die jüdischen Gemeindemitglieder, befreit waren. Es handelte sich dabei um privilegierte Gruppen und Personen mit besonderem Schutzbedürfnis, die von dieser Pflicht ausgenommen waren.[51] Die Zuteilung der Quartiere blieb dabei stets Sache der lokalen Obrigkeiten, die dafür in der Regel eigenes Verwaltungspersonal, die sogenannten Servis-Einnehmer oder Billetiers, beschäftigten.[52] In Fürth wurde die Verteilung der Billets von den Bürgermeistern durchgeführt. Wie viele Soldaten Quartier benötigten, teilten ihnen die Fouriere, die für Unterkunft und Verpflegung der gemeinen Soldaten verantwortlichen Unteroffiziere der Truppenverbände, mit.[53]

Um einen reibungslosen Ablauf der Einquartierungen und der Servis-Leistung garantieren zu können, verabschiedeten fast alle Territorien im Heiligen Römischen Reich Ende des 17. Jahrhunderts Ordonnanzen, die die Verpflegung der Soldaten und die Ausstattung der Unterkunft regelten.[54] Der Servis umfasste für gemeine Soldaten gewöhnlich eine Bettstelle, Feuer und Licht, die Möglichkeit zu kochen sowie die Bereitstellung von Grundnahrungsmitteln und Gewürzen.[55] Der Umfang der Leistungen wurde nach der Stellung der Soldaten geregelt – je höher der Rang, desto besser musste das Quartier ausgestattet sein.[56] Gemeine Soldaten ab dem Dienstgrad eines Feldwebels erhielten eine warme Kammer, ein Bett, Licht und Zugang zur geheizten Stube zur Verfügung gestellt. Sie durften jedoch keine Kost fordern, da sie täglich vom Fränkischen Reichskreis zwei Pfund Brot und Sold erhielten, um Konflikte mit den Quartierswirten zu verhindern und Excessen und schädlichen Desertiren vorzubeugen.[57] Der Fränkische Kreis bestimmte in seiner 1757 veröffentlichten Ordonnanz,[58] dass Offiziere von den Quartierswirten außer der Unterkunft selbst nichts weiter fordern dürften, da der Servis in ihrem Sold bereits inbegriffen sei.[59] Für ihren weiteren Bedarf mussten sie selbst aufkommen. Ihnen war zudem verboten, Eingriffe in der Wohnung des Quartierswirts vorzunehmen und auch unnötige Pferde, Wägen und Reisegepäck sollten diesem nicht zugemutet werden.[60] Die Offiziere hatten für Ordnung zu sorgen und ihre Soldaten zu disziplinieren. Sie waren dazu verpflichtet, jede Art von Verstößen gegen das Gemeinwohl, wie Diebstahl oder Einbruch, Jagd- und Fisch-Wilderei, zu verhindern. Bei Aufdeckung eines Vergehens hatten sie für die Bestrafung zu sorgen. Ebenso war ihnen untersagt, die Bevölkerung ohne Entlohnung mit Botenläufen, Fuhr- und Vorspanndiensten zu beauftragen.[61] Die Quartierswirte erhielten für ihre Leistungen gegen Quittung monatlich einen Kaisergulden als Entschädigung für die Einquartierungen aus der Kreiskasse.[62]

Trotz detaillierter Regelungen und Vorgaben war das Konfliktpotential dieses Systems sehr hoch. Den Bewohnern ging durch die Einquartierung eigener Wohnraum verloren bzw. konnten sie diesen nicht vermieten und daraus Einkommen generieren.[63] Zudem waren die Soldaten häufig krank, so dass die Angst vor ansteckenden Krankheiten unter den Quartierwirten immer wieder Auseinandersetzungen evozierte. Die Versorgung stellte eine weitere finanzielle Belastung für sie dar, da der Hygienebedarf und die Heizkosten stiegen.[64] Das Zusammenleben war zudem wegen fehlender gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz sehr störanfällig und bereits kleine Anlässe genügten, um schwelende Konflikte eskalieren zu lassen.[65]

Deshalb setzte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts immer stärker die Praxis durch, den Servis nicht mehr in natura zu leisten, sondern dem zugewiesenen Soldaten das Geldäquivalent auszuzahlen. Die Möglichkeit der Ausmietung ermöglichte den Soldaten, sich eine Unterkunft eigener Wahl zu suchen und der zugewiesene Quartierswirt musste keinen Fremden in seinem Haus aufnehmen, wenn er das nicht wollte. Gleichzeitig ergab sich für die ärmere Bevölkerung eine Einkommensmöglichkeit, da sie einen Teil ihrer Wohnung an Soldaten untervermieten konnten.[66]

2 Konfliktlage und Akteure im Winter 1757/1758

Am 15. Januar 1758 vermerkte das Gemeindeprotokoll der jüdischen Gemeinde von Fürth, wie man auf die bevorstehende Ankunft von weiteren Soldaten reagieren solle.[67] Aus diesem Eintrag geht erneut hervor, dass die jüdische Gemeinde von sich aus im Vorfeld aktiv wurde, um mögliche Gefahren und Probleme abzuwenden. Der Eintrag im Gemeindeprotokoll erscheint auf den ersten Blick unspektakulär. Wirft man jedoch einen etwas genaueren Blick auf die genannten Akteure, wird eine höchst komplexe Gemengelage verschiedener Interessen sichtbar. Es wurde beschlossen, dass Leib Cohen (PID 1401), einer der Vorsteher der jüdischen Gemeinde (Barnoss), beim Gesandten der Reichsarmee Gotthard Friedrich Freiherr von Appolt in Erfahrung bringen sollte, was im Hinblick auf die Einquartierungen geplant sei. Zugleich sandte man zwei Barnossen in Vertretung der bambergischen Schutzjuden mit einem Memorandum in das Bamberger Dompropsteiamt, das durch Amtmann Johann Georg Loderer[68] vertreten wurde. Darin baten sie ihre Schutzherrschaft um Unterstützung bei den drohenden Gefahren und verwiesen auf einen landesherrlichen Vergleich zwischen christlicher und jüdischer Gemeinde aus dem Jahre 1744, in dem bereits Regelungen zu dieser Problematik getroffen worden waren. Der Dompropst Marquard Wilhelm Graf von Schönborn (1683–1770) wurde gebeten, sich dafür einzusetzen, dass die jüdische Gemeinde von den Einquartierungen verschont bleiben solle.

Die handelnden Personen der jüdischen Gemeinde waren die Barnossen der Gemeinde. Drei von ihnen werden namentlich genannt: der Hoffaktor am Württembergischen Hof Leib Cohen, der unter ansbachischem Schutz stehende Seligmann Crailsheimer (PID 1) und der unter bambergischem Schutz stehende Bendit Hamburger (PID 575).[69] Hamburger war der damalige Monatsbarnoss, also quasi der erste Bürgermeister der jüdischen Gemeinde. Dieses Amt rotierte aufgrund des großen Zeitaufwands in Fürth monatlich.[70]

Genannt werden zudem die acht christlichen Bürgermeister.[71] Eine weitere Person wird in diesem kurzen Ausschnitt des Gemeindeprotokolls nicht erwähnt, sie spielte jedoch aufgrund der Verteilung der Herrschaftsrechte eine wichtige Rolle bei den Einquartierungen: der Geleitsmann von Fürth, der für die Durchsetzung des Geleitrechts des Oberamtes Cadolzburg[72] als Behörde des Markgraftums Brandenburg-Ansbach in Fürth im Geleitshaus saß. Er fungierte darüber hinaus als verlängerter Arm des Markgrafen und des Oberamtmannes in Fürth, wenn es in Bezug auf die Ausübung der Herrschaftsrechte zu Konflikten zwischen den Obrigkeiten oder Untertanen kam.[73] Der erwähnte Gesandte der Reichsarmee von Appolt gehörte dem Fränkischen Kreistag in Nürnberg an.[74] Der Fränkische Reichskreis tritt im Konflikt als dritter Akteur neben den beiden Obrigkeiten Brandenburg-Ansbach und Bamberg auf.

Die Akteure des Konflikts sind somit bekannt: Für die christliche Gemeinde traten die Bürgermeister auf, für die jüdische Gemeinde die Barnossen, und für zwei der drei Obrigkeiten – der Dompropstei Bamberg und dem Markgraftum Brandenburg-Ansbach jeweils die Vertreter vor Ort – der Amtmann der Dompropstei und der Geleitsmann für Brandenburg-Ansbach. Der Dompropst spielte als Empfänger des Memorandums und als Schutzherr der dompropstischen Juden von Fürth nur eine Rolle im Hintergrund.

Erkennbar wird hier das Fehlen einer klaren hierarchischen Ordnung und einer zentralen Entscheidungsinstanz, welche die jüdischen Belange aufgreift. Die jüdische Gemeinde wandte sich an mehrere Obrigkeiten, die wiederum auf diversen Ebenen tätig waren. Sie wartete nicht die Reaktion einer Partei ab, sondern agierte, indem sie an verschiedenen Stellen andockte, was von Bretschneider und Duhamelle mit dem Begriff »zirkuläre Interaktion«[75] bezeichnet wird. Die »Fluidität zwischen allen Ebenen«,[76] also der Möglichkeit der Akteure, sich gleichzeitig auf lokaler, territorialer und Reichsebene zu bewegen, ohne Fürth dafür verlassen zu müssen, war für sie eine gängige Option. Man kann hier in Anlehnung an den von Martin Dinges geprägten Begriff der Justiznutzung[77] von einer Herrschaftsnutzung sprechen, einer permanenten, verdichteten Interaktion zwischen diversen Ebenen, welche das Handeln der jüdischen Gemeinde auszeichnet und die sie für sich in Anspruch nimmt.

3 Normierungen und Regelungsversuche

Warum wurde die jüdische Gemeinde bereits vor einer Einquartierung aktiv? Darüber gibt der letzte Satz des Gemeindeprotokolls Aufschluss:

Es soll darum gebeten werden, dass, da neuerliche Einquartierungen zu erwarten sind, gnädigst befohlen werden möge, dass wir bis zum Verlassen [der Truppen] von diesen verschont bleiben.[78]

Mit Bezug auf die erfolgten Einquartierungen im Dezember 1757 wollte die Gemeinde quasi proaktiv verhindern, dass erneut Soldaten in ihren Häusern einquartiert werden. Denn in diesem Zusammenhang war es zu einem eklatanten Verstoß gegen den Vertrag über die Einquartierungen von Soldaten in Fürth sowie gegen weitere Regelungsversuche der Obrigkeiten zwischen der christlichen und jüdischen Gemeinde in den Jahrzehnten zuvor gekommen.

Im Jahre 1705 hatte Markgraf Karl Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Ansbach in einem Spezialdekret für die Juden des Markgraftums ein Privileg aus dem Jahr 1688 bestätigt, das diese von der Bereitstellung von Nacht- und Winterquartieren sowie des Botendienstes und Wegweisen befreite.[79] Die Exemtion von würcklichen Einquartierungen/Bottenlauffen und Wegweisen bedeutete, dass Juden den Servis in natura nicht zu leisten hatten.[80] Sie konnten sich davon freikaufen, indem sie einen entsprechenden Betrag an Christen zahlten, die die Einquartierung an ihrer Stelle übernahmen. Diese Summe setzte sich aus dem allgemeinen Aufschlag[81] für das Haus, den jeder zahlen musste, und einem Aufschlag für die tatsächliche Verpflegung des Soldaten zusammen.[82] Für die Freistellung vom Botenlaufen und Wegweisen mussten 15 Kreuzer für einen gehenden Soldaten, 20 Kreuzer für einen reitenden Soldaten und 30 Kreuzer für einen Dienst in der Nacht aufgewendet werden. Begründet wurde dies mit den harten Tractaments, die auch Christen von Offizieren und Soldaten erdulden mussten.[83]

Während also die unter dem Schutz von Ansbach stehenden Juden alle Dienste durch Geldzahlungen substituieren konnten, regelte das Reglement für [die] gemeine Judenschaft der Dompropstei aus dem Jahre 1719, dass

bey ereigneten Durchzügen und Einquartierungen […] die Juden am Sabbath und andern Feyertagen […] verschonet bleiben […], an andern Tagen aber damit ordentlich beleget werden, oder mit Geld bezahlen, dergleichen auch mit denen Nacht-Wachten gehalten und denen Juden vorhero bedeutet werden, Jemand von Christen oder Juden zu bestellen, oder mit Geld zu bezahlen.[84]

Die beiden Obrigkeiten regelten die Angelegenheit für ihre jeweiligen Untertanen auf verschiedene Weise. Während die Befreiung von den Einquartierungen für die dompropstischen Juden nur für den Sabbat und die jüdischen Feiertage galt, waren die Schutzjuden des Markgrafen bereits 1705 vollständig von Naturalleistungen (Servis in natura) befreit. Aber auch die Juden der Dompropstei hatten in ihrem Privileg von Sonntag bis Donnerstag die Möglichkeit, einen christlichen Ersatzwirt zu bezahlen und so einer tatsächlichen Einquartierung zu entgehen. Um Konflikte zu vermeiden, erließ das Richteramt im Cadolzburg am 29. Dezember 1736 die amtliche Weisung, dass sowohl die brandenburg-ansbachischen als auch die dompropstischen Juden in Fürth die Freiheit haben sollten, Einquartierungen und Botengänge mit Geldzahlungen zu substituieren.[85]

Mit jeder kriegerischen Auseinandersetzung stellte sich die Frage nach der Einquartierungspflicht für die jüdischen Untertanen erneut. Während des Österreichischen Erbfolgekriegs[86] in den Jahren 1740 bis 1748, als französische Solddaten und die Reichsarmee untergebracht werden mussten, wurden am 20. Oktober 1744 die Einquartierungsbestimmungen zwischen den christlichen Bürgermeistern und den Barnossen der jüdischen Gemeinde erneut geregelt.[87] Dieser Vertrag gibt nun Auskunft über die Rahmenbedingungen der Einquartierungen, die rein nominell auch noch für den Winter 1757 gültig gewesen wären:

Danach wurden jüdische Hausbesitzer bei der Verteilung durch das Billetamt wie die christlichen gelistet, und die Wirte per Losverfahren ermittelt. Sollte dieses auf einen jüdischen Haushalt fallen, dann wurde mit einem christlichen Quartierwirt getauscht. Das jüdische Gemeindemitglied war nun aber verpflichtet, den Servis an den Ersatzwirt zu zahlen. Dem Bürgermeister, der die Aufgabe des Billetiers innehatte, war es ausdrücklich verboten, den im Losverfahren gezogenen Juden in irgendeiner Weise den Soldaten oder dem Fourier bekannt zu geben, um in der Folge Übergriffen vorzubeugen.

Nur wenn die Plätze in den Häusern der Wirte und bei den christlichen Untertanen nicht ausreichten, sollten auch jüdische Untertanen herangezogen werden. Dabei durften sie weder übervorteilt noch in Gefahr gebracht werden. In diesem Fall hatten sie das Recht, die Herrschaft um Schutz zu ersuchen. Bei Differenzen zwischen Bürgermeistern und Judenschaft in Zusammenhang mit der Belegung der Häuser hatte das Oberamt Cadolzburg das entscheidende letzte Wort. Dies war ein sehr weitgehender, in die Zukunft gedachter Mechanismus der Konfliktregelung, da bereits Probleme, die im Vertrag nicht vorhergesehen waren, gelöst werden konnten. Das Markgraftum beanspruchte damit die letztendliche Entscheidungsinstanz analog zu seiner Herrschaftsposition in Fürth.

Vor diesem Hintergrund forderte nun die jüdische Gemeinde Anfang 1758 angesichts der erneut drohenden Einquartierungen den Dompropst auf, seinen Schutzverpflichtungen nachzukommen und die bereits bestehenden Rechte und Privilegien tatsächlich zu garantieren. Auch wenn in vielen Situationen die rechtliche Gemengelage sich zum Vorteil der jüdischen Einwohner auswirken konnte, war gerade in Kriegssituationen der Mangel an klaren Zuordnungen und die Vielschichtigkeit des institutionellen Gefüges für die jüdische Bevölkerung problematisch. Nicht unerwartet, wie die obrigkeitliche Überlieferung des Markgraftums Brandenburg-Ansbach zeigt, kam es im Dezember 1757 zu massiven Konflikten um die Praxis der Einquartierung zwischen den einzelnen Akteuren.

4 Die Verschränkung der Konfliktlagen mit der Herrschaftssituation

Um die Vielschichtigkeit des Konflikts zu verstehen, ist erneut ein Blick auf die komplexen Verschränkungen der Herrschaftsrechte zwischen der Dompropstei und dem Markgraftum notwendig. Die Dompropstei Bamberg übte u. a. die niedere Gerichtsbarkeit und Dorf- und Gemeindeherrschaft aus, die ihr mit dem Rezess von 1717 zugesprochen worden war. Aus der Gemeindeherrschaft und der Tatsache, dass damit die Mehrheit der jüdischen Hausbesitzer und Mieter unter den Schutz der Dompropstei fielen, leitete sie den Judenschutz ab, indem sie 1719 mit dem bereits erwähnten Reglement für [die] gemeine Judenschaft[88] die religiöse Gemeinde auch als einheitliche rechtliche Gemeinde fassen wollte[89] und damit das »Recht des faktischen Brauchs« in Anspruch nahm.[90] Dadurch befand die Dompropstei sich in einer Position der Stärke, woraus sie den alleinigen Judenschutz für sich beanspruchte. Um eine possessio vel quasi, den Rechtsanspruch, der durch Stillschweigen einer anderen Partei entsteht,[91] zu verhindern, forderte das Markgraftum Brandenburg-Ansbach durch den Anspruch auf das Privileg der Hohen Gerichtsbarkeit und der daraus abgeleiteten Landeshoheit über Fürth den Judenschutz auch für sich und nahm in der Folgezeit neue Schutzjuden auf.

Im Kriegsfall berief sich Brandenburg-Ansbach auf seine Militärhoheit (ius armorum) als Teil der Landeshoheit und beanspruchte die Durchführung der Einquartierungen für sich.[92] Zu ihrem Missfallen sei dies im Orth Fürth ganz anders geregelt, da [d]ie Einquartier- und Einrichtung der Durchzüge […] die Gemeind durchl. ihre Bürgermeister und Vorsteher, selbst zu besorgen beanspruche.[93] Zusätzlich fügten sie an, da sie das Recht hätten, Truppen in Kriegszeiten in Fürth zu unterhalten, wären folgerichtig ihre Beamten vor Ort zur Umsetzung befugt. Diese Auslegung des ius armorum stieß bei der Dompropstei auf Unverständnis, da ihr Amtmann die Einmischung des Geleitsamtes in diese Frage als praejudicirliche Eingriffe in ihr Recht ansah, die die Einquartierungen durch die Bürgermeister vorsah.[94]

Als im Dezember 1757 nun Kreistruppen der Reichsarmee in Fürth stationiert werden mussten, zeigte sich die Sonderstellung der jüdischen Gemeinde. Diese war nicht nur durch den Vertrag von 1744 gegeben, sondern zusätzlich durch die multiplen Zugehörigkeiten der jüdischen Gemeindemitglieder in Fürth. Sie veranschaulicht die komplexe Herrschaftssituation, in der die religiöse Grenze eine »komplexe Geometrie von Macht- und Bezugsräumen am Kreuzungspunkt von lokaler, territorialer und Reichsebene«[95] wirksam werden lässt. Obwohl die jüdischen Einwohner Fürths in anderen Gemeindeangelegenheiten mit den christlichen Gemeindegliedern gleichberechtigt agierten und auf der politischen Gemeindeebene dieselben Rechte und Pflichten hatten, konnten sie als religiöse Minderheit ihre Handlungsspielräume durch Aushandlungsstrategien mit den Obrigkeiten erweitern. Klare Regulierungen bei Einquartierungen minimierten das Konfliktpotential. Als es dennoch im Dezember 1757 zu Auseinandersetzung kam, hatte dies andere Gründe. Ursächlich für den Streit war 1757 nicht der religiöse Unterschied, also die religiöse Grenze, sondern vielmehr die obrigkeitliche Grenze zwischen Brandenburg-Ansbach und Bamberg, und resultierte daher aus der Frage, welche Obrigkeit nun eigentlich für die Einquartierungen zuständig sei.

Der Cadolzburger Oberamtmann Julius Gottlieb Voit von Salzburg berichtete am 3. Januar dem Markgrafen, dass das Dombprobstes Amt […] eine ganz andere Umquartierung durch zu treiben suche, alß welche von denen dasigen Glaits Ambt mit Zuziehung dern Bürgermeistern und ihres Gemeind Schreibers veranstaltet werden soll, und der Dompropst darauf dränge, dass auch bei den Juden Soldaten einquartiert werden sollen.[96] Dies wolle Bamberg mithilfe des Oberbefehlshaber der Reichsarmee, dem Prinzen von Sachsen-Hildburghausen, durchsetzen. Er betonte, dass Bamberg aufgrund der ihnen zugesprochenen Vogtei- und Gemeindeherrschaft die Durchführung der Marsch- und Winterquartiere für sich beanspruche. Bisher seien die Einquartierungen aber stets vom Markgraftum auf der Basis der landeshoheitlichen Rechte durchgeführt worden.

Als Verfahrensweg schlug er dem Markgrafen vor, der Kreis-Gesandtschaft in Nürnberg mitzuteilen, dass sie sich nicht mehr einmischen, sondern die Einquartierung nach den zwischen den Christen und Juden Gemeind zu Fürth getroffenen Vergleich durchführen solle.[97] Man solle also nach der über Verträge geregelten Praxis vor Ort verfahren. Problematisch erschien ihm ferner, dass die Dompropstei mit ihrem Eingriff in die Einquartierung ein Präjudiz schaffe und die ausgeübten Herrschaftsrechte von Brandenburg-Ansbach beschneiden wolle.

Voit von Salzburg betonte gegenüber Markgraf Karl Friedrich Wilhelm, dass er in der Sache zwischen den Bürgermeistern und Barnossen bereits vermitteln konnte und eine gütliche Auskunfft getroffen worden sei.[98] Im Grunde handelte es sich um eine Bestätigung der Regelung von 1744, indem man festlegte, dass die Mannschaften ausschließlich bei christlichen Hausbesitzern untergebracht werden sollten und die jüdischen Einwohner von tatsächlichen Einquartierungen verschont bleiben sollten. Man habe sich mit der Judenschaft auf den zu leistenden Betrag geeinigt.

Der bambergische Amtmann in Fürth vertrat hingegen einen anderen Standpunkt. Der Oberamtmann Julius Gottlieb Voit von Salzburg habe Bürgermeister und Barnossen anmasslich in das Geleitshaus citiren lassen. Für ihn sei der Vergleich, den jüdische und christliche Gemeindevertreter unter Beihilfe des Markgrafen getroffen hatten, ein Verstoß auf den Rezess von 1717.[99] Er betrachtete den Vertrag als Angriff auf die Gemeindeherrschaft der Dompropstei, da die große Mehrheit der Barnossen unter ihrem Schutz stünden, wie auch sechs der acht christlichen Bürgermeister. Die Bürgermeister seien nicht befugt, einen Vergleich mit Ansbach einzugehen, denn für sie sei allein die Dompropstei zuständig. Dasselbe gelte für die jüdische Gemeinde, da sich der Judenschutz aus der Gemeindeherrschaft sowie der niederen Gerichtsbarkeit ableitete.

Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Herrschaftsträgern legt nahe, dass die jüdische Gemeinde zum Spielball obrigkeitlicher Differenzen um die Herrschaftsrechte geworden sei. Aber war das wirklich so?

III Die jüdische Gemeinde als Akteur

Als infolge des strengen Winters 1756/57 die Brennholzpreise gestiegen waren, erklärte sich die jüdische Gemeinde bereit, ihren Beitrag für den Servis um drei Kreuzer pro Soldaten zu erhöhen, da sie selbst von den Einquartierungen verschont blieben. Die Fürther Gemeindekasse war aufgrund der geleisteten Versorgungsaufgaben nicht mehr in der Lage, die Kosten zu stemmen. Die Reichsarmee war inzwischen aus den spanischen Niederlanden eingetroffen. Um Schaden für den Markt abzuwenden, vereinbarten die Bürgermeister mit den Barnossen, dass die jüdische Gemeinde einmalig 200 Gulden in die Gemeindekasse zahlen würde. Als Gegenleistung erfolgte die Zusicherung der christlichen Gemeinde, dass die jüdische mit der gegenwärtigen ausserordentlich selbstigen Bequartierungs Last ihres Orths völlig verschont bleiben solle.[100] Bis zum Herbst des Jahres blieb die Vereinbarung in Kraft. Am 30. Oktober zahlte der Barnosse Jacob Simon Falkenauer stellvertretend für die jüdische Gemeinde erneut 40 Gulden als Abschlag für die Befreiung von den Lasten. Die vier anwesenden Bürgermeister quittierten mit ihrer Unterschrift.[101] Beide Seiten kooperierten zum Wohle des Zusammenlebens, und die Absprachen scheinen funktioniert zu haben. Dafür spricht auch, dass im Protokoll der Gemeinde Fürth am 26. September 1757 festgehalten wurde, dass diese die von der jüdischen Gemeinde vorgeschoßene 235 Stück Carolins, die als Kontributionsleistung an den Obrist von Meyer gezahlt wurden, den Juden wieder erstattete.[102]

Ende des Jahres 1757 wurde erneut um anstehende Einquartierungen verhandelt. Am 27. Dezember verteilten drei der Bürgermeister im Geleitshaus Billets. Zuvor war mit den Vertretern der Judenschaft ein Plan erstellt worden, wie die Unterbringung der Soldaten ohne einen Rückgriff auf jüdische Häuser erfolgen sollte.[103] Am 28. Dezember supplizierte die jüdische Gemeinde gegen die Einquartierung der salzburgischen und pfälzischen Soldaten der Bayerischen Kreistruppen und bat darum, dass der Anteil, für den sie aufkommen sollten, in die Wirtshäuser einquartiert werde. Das Geleitsamt bekam daraufhin die Anweisung aus Ansbach, die Umquartierung in die Wirtshäuser durchzusetzen.[104] Die jüdische Gemeinde hat sich in diesem Fall nicht an ihren eigentlichen Schutzherrn in Bamberg gewandt, der die Einquartierungen angeordnet hatte, sondern an den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, der nach ihrer Meinung dafür zuständig war und mit dessen Amtmann am Vortag bereits ein Verteilungsplan erarbeitet worden war.

Die Bayerischen Kreistruppen, die sich eigenmächtig und gewaltthätig […] aus denen Nürnberg[ischen]. Vorstätten und Caserne ohnlängst heraus gezogen [und] unter des Obristen Graffen von Orbea in Fürth [in die Häuser der jüdischen Untertanen] einquartirt haben,[105] erhielten demnach Unterstützung vom Dompropsteiamt, das den Verteilungsplan mit der brandenburg-ansbachischen Obrigkeit missbilligte und seine Rechte beschränkt sah, weil es selbst die Kontrolle über die Einquartierungen verloren hatte.[106]

Nur wenige Tage später, nachdem die jüdische Gemeinde den Geleitsmann um Unterstützung wegen der Einquartierungen der salzburgischen und pfälzischen Soldaten gebeten hatte, beschwerte sich der Oberamtmann Voit von Salzburg am 3. Januar bei der fränkischen Kreisgesandtschaft über die Dompropstei und den Obristen Graf von Orbea.[107] Die Gesandtschaft des fränkischen Kreises verurteilte das Vorgehen der Dompropstei und der Bayerischen Kreistruppen und antwortete dem Oberamt am 4. Januar, dass sie persönlich in Nürnberg beim Generalfeldmarschall von Hildburghausen und dem Kaiserlichen Minister vorsprechen würde. Diese sollten die Dislocation der bayerischen Kreistruppen befehlen. Sollten sie Erfolg haben, wären nicht nur das Oberamt Cadolzburg und das Geleitsamt in Fürth, sondern auch der Barnoss Levi Man (PID 13198) zu unterrichten.[108]

Am 10. Januar teilte der Gesandte des Fränkischen Kreises, Gotthard Friedrich von Appolt, dem Markgrafen von Ansbach mit, dass er dem Generalfeldmarschall die Beschwerden des Geleitsamtes vorgetragen hätte. Dieser habe ihm versicherte, dass er sich in die Auseinandersetzungen zwischen Bamberg und Ansbach nicht einmischen wolle.[109] Dem Grafen von Orbea würde er die Weisung erteilen, sich künftig bescheidener zubetragen. Von Appolt bat den General daraufhin, diesem ebenfalls die Weisung zu erteilen, sich nicht in den zwischen Christen und Juden geschlossenen Vertrag von 1744 einzumischen, worauf von Hildburghausen erwiderte, dass sich die Beschwerung in wenigen Tagen von alleine lösen würde, da das ganze Kommando noch diese Woche in die Oberpfalz abkommandiert werde.

Von Appolt teilte am gleichen Tag mit, dass in nächster Zeit die Reichs-Reserve-Artillerie mit circa 200 Mann im Oberamt Cadolzburg so nah wie möglich bei Nürnberg einquartiert werden solle.[110] Zwei Tage später wurde beschlossen, dass das Bayreuther Kürrassier-Regiment und die Reichs-Reserve-Artillerie im Oberamt Cadolzburg stationiert werden. Er würde sich aber dafür einsetzen, dass dies nicht in Fürth geschehe, weil der Flecken […] schon viel gelitten und noch leiden muss.[111]

Der Eintrag im jüdischen Gemeindeprotokoll erfolgte drei Tage nach von Appolts Mitteilung und bezieht sich somit auf die Möglichkeit, dass die Reichs-Reserve-Artillerie in Fürth einquartiert werden könnte. Am 17. Januar wurde jedoch beschlossen, die Soldaten nicht nach Fürth, sondern nach Cadolzburg zu schicken.[112] Bis Februar 1758 erfolgten keine weiteren Einquartierungen mehr in Fürth.

Die Judenschaft konnte sich durch finanzielle Zahlungen von der Verpflichtung der Einquartierung weitgehend freistellen. Konsens bestand bei den Obrigkeiten insoweit, dass diese Bevölkerungsgruppe deutlich mehr Konflikte mit Einquartierungen haben würde, als die christliche Mehrheitsgesellschaft.

IV Resümee

Aufgrund der Ereignisse im Winter 1757/1758 bildete sich zwischen der jüdischen Gemeinde und Brandenburg-Ansbach eine unerwartete Koalition, mit der sonst eher nicht zu rechnen war, da die Mehrheit der jüdischen Gemeinde unter dem Schutz der Dompropstei Bamberg stand und die ansbachischen Schutzjuden lediglich geduldet waren. Brandenburg-Ansbach unterstützte die Judenschaft in ihrem Anliegen, den Servis nicht in natura leisten zu müssen, sondern durch Geldzahlungen die tatsächliche Einquartierung in ihren Häusern zu verhindern.

Diese Allianz zwischen der jüdischen Gemeinde und Brandenburg-Ansbach wird erst verständlich, wenn man berücksichtigt, dass der Konflikt nicht aufgrund der religiösen Grenze und dem Schutz bzw. der Frage des Schutzes der jüdischen Gemeinde vor Einquartierungen entstand, sondern sich an der obrigkeitlichen Grenze entzündete, da Ansbach die ausgeübte Landeshoheit in Fürth gegenüber dem Übergriff Bambergs verteidigen wollte. Es ging hier ausschließlich um die Durchsetzung obrigkeitlicher Ansprüche und darum, ohne Gesichtsverlust das Gleichgewicht zu verschieben. Dies spielte jedoch im Alltag der Fürther Einwohner kaum eine Rolle. Die Zusammenarbeit funktionierte zwischen christlicher und jüdischer Gemeinde trotz dieser massiven finanziellen Belastung für alle Bewohner vergleichsweise gut. Die religiöse Grenze spielte bei der Bewältigung der Krise offensichtlich eher eine untergeordnete Rolle, vielmehr versuchte man sich gegenseitig zu unterstützen, wie beim Aufbringen der Summen für die Kontributionen an den preußischen Obristen Meyer im Sommer 1757 deutlich wurde.

Die jüdische Gemeinde agierte aktiv zwischen den konkurrierenden Obrigkeiten, um ihre Rechte zu wahren bzw. durchzusetzen. Aufgrund des Vergleichs aus dem Jahre 1744 und der Möglichkeit, in Ansbach zu supplizieren, hatte die jüdische Gemeinde durchaus Handlungsoptionen im Falle von Einquartierungen. Aus den Erfahrungen des Dezembers 1757 hatte sie gelernt, dass die mit der christlichen Ortsgemeinde und Brandenburg-Ansbach geschlossenen Verträge nicht ausreichend waren, um Einquartierungen abwenden zu können. Daher handelte sie direkt und beauftragte ihren Barnoss Leib Cohen, in direkten Kontakt mit dem Gesandten des Reichskreises von Appolt zu treten.

Erneut nutzte die Judenschaft die Möglichkeiten, die ihnen das Reich bot. Sowohl das Markgraftum Brandenburg-Ansbach wie die Dompropstei als Teil des Hochstifts Bamberg und die Reichstadt Nürnberg waren hier Mitglieder, die gemeinsam die Kreistruppen unterhielten, die ein Teil der Reichsarmee waren.[113] Der Gesandte des Reichskreises von Appolt bildete deshalb die Klammer der verschiedenen Herrschaftsträger von Fürth und moderierte zwischen den unterschiedlichen Interessen.

1757 hatten die christlichen Bürgermeister versucht, beim fränkischen Kreis Einfluss auf die Einquartierungen zu nehmen. Trotzdem blieb Fürth aufgrund der Nähe zu Nürnberg erste Wahl. Dies änderte sich Anfang des Jahres 1758 plötzlich. Im Januar setzte sich der Gesandte von Appolt dafür ein, dass keine Soldaten mehr in Winterquartiere in Fürth eingewiesen werden sollten. Als Fürsprecher für die Juden könnte Meyer Aaron Schwab (PID 7197) eingetreten sein, der als Admondiateur[114] des fränkischen Reichskreises im Januar die Versorgung der Soldaten mit Brot übernommen hatte. Ein weiterer Grund für den fränkischen Kreis, auf Einquartierungen in Fürth vorerst zu verzichten, mag auch darin gelegen haben, dass sie sich nicht in den Konflikt um die Herrschaftsrechte zwischen Brandenburg-Ansbach und der Dompropstei Bamberg einmischen wollten, was auch der Generalfeldmarschall von Hildburghausen gegenüber von Appolt erwähnt hatte. Auch die Person von Appolt selbst könnte ein Grund für den Verzicht auf Winterquartiere in Fürth ab Februar 1758 gewesen sein. Vor seiner Tätigkeit als Gesandter des fränkischen Reichskreises war er über 20 Jahre Hof- und Regierungsrat in Ansbach gewesen, und noch im selben Jahr wurde er zum Geheimen Staatsminister sowie Hof- und Regierungsratspräsident in Ansbach ernannt.[115] Die Unterstützung der jüdischen Belange, die gleichzeitig einer Unterstützung Ansbachs im Konflikt mit Bamberg gleichkam, könnte auf seine Loyalität gegenüber Brandenburg-Ansbach als ehemaliger und zukünftiger Arbeitgeber zurückzuführen zu sein.

Geschickt nutzte die Judenschaft hier die Konkurrenzsituation der Obrigkeiten, um ihr eigenes Anliegen zu vertreten. Situativ mussten die Vereinbarungen unter den Parteien immer wieder neu ausgehandelt und angepasst werden.

Der Erfolg der jüdischen Gemeinde resultierte u. a. daraus, dass diese den Handlungsspielraum, den die Fraktalität des Reiches mit seinen verschiedenen Institutionen bot, aktiv für sich zu nutzen wusste. Dabei musste sie kurzzeitig Einquartierung über sich ergehen lassen und, wie das eingangs zitierte Gedicht betont, durchaus erhebliche Geldzahlungen leisten. Jedoch bot ihr das Fehlen einer zentralen Entscheidungsinstanz vielfache Handlungsoptionen. Das Machtspiel um die Einquartierungen führte letztendlich dazu, dass der Fränkische Kreis im Winter 1758 vorerst darauf verzichtete, Soldaten in Fürth unterzubringen, was der ganzen Gemeinde zugutekam.

Published Online: 2023-05-12
Published in Print: 2023-06-30

© 2023 bei den Autoren, publiziert von De Gruyter.

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Downloaded on 27.4.2024 from https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/asch-2023-2004/html
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