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Buchcover zu "Chronik meiner Straße" von Barbara Honigmann.

© promo / Verlag

Barbara Honigmann: "Chronik meiner Straße": Das ewige Provisorium

Der Stoff, aus dem das Leben ist: Barbara Honigmann schreibt Berichte in eigener Sache. Diesmal eine Chronik ihrer Straße.

Häufig ist es so im Leben, dass man sich in Provisorien einzurichten pflegt, in Zuständen und Ortschaften, die allenfalls vorübergehend erträglich scheinen, die sich dann aber doch als dauerhaft erweisen. So ist es auch der Schriftstellerin Barbara Honigmann ergangen, als sie 1984 aus der DDR nach Straßburg übersiedelte, um sich dort der jüdischen Gemeinde anzuschließen. Die Rue Edel, in die sie zog, ist eine Straße der Ankunft und des Anfangs, wo Dealer und Kinderkrippe in friedlicher Nachbarschaft koexistieren, wo auch mal ein Auto gebrannt hat, wo Kurden und Kasachen und Ungarn und auch Juden wohnen, eine Jugendgang herumlungert und auch Katzen und Hunde nicht fehlen.

Die Bewohner der Rue Edel kommen aus aller Welt und tragen die verlorene Heimat noch mit sich herum, und doch – oder gerade deshalb – geht es hier recht provinziell und gemächlich zu. Wenn einer den Motor seines Wagens aufheulen lässt oder die kasachische Großfamilie mit lautem Getöse abfährt, ist das schon eine Attraktion. Es ist eine ganz normale, ärmliche Straße, die ebenso gut in Kreuzberg liegen könnte, wenn es für Barbara Honigmann 1984 nicht genau darum gegangen wäre, als Jüdin nicht in Deutschland zu leben, aber doch in Sicht- und Gebrauchsweite der deutschen Sprache.

Das Provisorium hat sich als hartnäckiger Dauerzustand erwiesen. 30 Jahre später wohnen sie und ihr Mann noch immer in der „Straße des Anfangs“. Vielleicht hat die Existenz im Dauerprovisorium etwas mit der jüdischen Identität zu tun, die Honigmann in Straßburg entdeckte und lebte und die sie in ihren Büchern immer wieder umkreiste. So auch in der „Chronik meiner Straße“, wenn dort im Hof das Laubhüttenfest in einem auf moderner Zelttechnik basierenden Outdoor-Laubhütten-Kit gefeiert wird, ein Zelt ohne Dach, weil das mit Zweigen belegt werden muss, um vorschriftsgemäß durchsichtig und regendurchlässig zu sein. Nachbarn, die es seltsam finden, dass Juden eine Woche lang abends in so einem Ding zusammenhocken und dort essen, werden mit schriftlichen Erklärungen beruhigt; und doch kam es schon vor, dass faulige Tomaten von den Balkonen geworfen wurden.

Barbara Honigmann schreibt Berichte in eigener Sache

Honigmanns Bücher sind Berichte in eigener Sache, autobiografische Reportagen, wenn es so etwas gibt. Ihre Familiengeschichte und die Herkunft aus einem kommunistischen Elternhaus, in dem das Jüdischsein keine Rolle spielte, hat sie dabei mehrfach abgeschritten. Den Antrieb zum Schreiben bezog sie aus der Abstoßungsenergie zur DDR und der Anziehungskraft des Thora-Judentums der Straßburger Gemeinde. Zwischen diese Pole passten die vielfältigsten Erinnerungen und Liebesgeschichten. Man konnte miterleben, wie ihre Kinder erwachsen wurden und wie ihre Eltern starben.

Autorin Barbara Honigmann.
Autorin Barbara Honigmann.

© dpa

Inzwischen, so ist im neuen Buch zu erfahren, hat sie für sich selbst ein Grab in Straßburg gekauft: Aber will man das wissen? Die intime Nähe, die da entsteht, ist deshalb unangenehm, weil sie so unverstellt biografisch bleibt und es keine literarische Ebene gibt, der die Erfahrung zugeführt würde.

Es könnte sein, dass Honigmann den autobiografischen Stoff allmählich ausgeschrieben hat. Die „Chronik meiner Straße“ ist eine Anekdotensammlung mit zum Teil durchaus eindrucksvollen Lebensgeschichten. Die DDR spielt keine Rolle mehr; die in das Buch integrierte Berlin-Reise steht da merkwürdig deplatziert. Auch das Judentum ist in den Hintergrund geraten, ja wird am Beispiel eines zu heftigster Orthodoxie neigenden Paares fast schon mit belustigtem Kopfschütteln und distanziertem Blick betrachtet. Doch insgesamt fehlt diesen Berichten aus der Nachbarschaft die innere Spannung. Dass die Zeit vergeht, die Kinder erwachsen werden und bald eigene Kinder haben, dass die Menschen alt und älter werden und sterben, das ist so, in dieser wie in jeder anderen Straße. Man grüßt sich, vom Balkon herab oder von unten herauf, und erinnert sich noch eine Weile an die, die weggezogen oder gestorben sind.

So ist dieses Buch nicht mehr als ein netter Gruß, milde und freundlich: ein Blick auf die Straße durch die Geranien hindurch, die die Nachbarin ungefragt hinter dem Schreibtisch der Autorin in einen Kasten gepflanzt hat. Zu Literatur sind all diese Ansichtskarten aber nicht geworden.
Barbara Honigmann: Chronik meiner Straße. Hanser Verlag, München 2015. 152 Seiten, 16,90 €.

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