J. Schlumbohm (Hrsg.): Soziale Praxis des Kredits

Titel
Soziale Praxis des Kredits. 16.-20. Jahrhundert


Herausgeber
Schlumbohm, Jürgen
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen
Erschienen
Anzahl Seiten
200 S.
Preis
€ 23,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Steinbrink, Universität der Bundeswehr München

Als Ergebnis zweier Tagungen, die 2005 vom Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen durchgeführt wurden, legt Jürgen Schlumbohm eine Auswahl der dort gehaltenen Referate vor. Der Band vereint neun Beiträge, die sich mit den unterschiedlichen Ausformungen von Kreditbeziehungen befassen. Der Bogen ist dabei erfreulich weit gespannt, reicht er doch von der Frühen Neuzeit bis zu einer Analyse moderner Pfandkredite.

In seiner knappen, das Thema eingrenzenden Einführung stellt Jürgen Schlumbohm zunächst die Bedeutung des Kredits für die Erforschung sowohl ökonomischer als auch sozialer Beziehungen heraus und geht knapp, mit Verweis auf die folgenden Beiträge, auf aktuelle Forschungsfragen ein.

In ihrem forschungsorientierten Überblick aus kulturanthropologischer Sicht weist Carola Lipp auf einige der grundlegenden Bedingungsfaktoren von Krediten und Kreditbeziehungen hin. Sie arbeitet heraus, dass Kreditbeziehungen ein Mittel zur Analyse von sozialen Beziehungsnetzwerken darstellen können. Dabei macht sie darauf aufmerksam, dass „Kredit [...] nicht immer gleich Kredit“ (S. 26) sei, sondern der jeweilige Zusammenhang berücksichtigt werden müsse. Dennoch kann sie einige allen Kreditbeziehungen anhaftende Merkmale benennen. So spielte in der Frühen Neuzeit der unmittelbare ökonomische Gewinn gegenüber der langfristigen Beziehung der Kreditpartner eine eher untergeordnete Rolle. Die Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner waren dabei wesentlich vielschichtiger, als die klassische Wirtschaftsgeschichte glauben machen wollte. So sollte nicht nur die Reputation des Schuldners, sondern auch die moralische Integrität des Gläubigers für das Zustandekommen von Krediten intensiver untersucht werden. Dabei spielte der Kredit als Mittel zur Stärkung von politischen und sozialen Beziehungen in der „historischen face-to-face community“ (S. 31) eine eminent wichtige Rolle und hing wiederum von direkter Kommunikation und persönlicher Bekanntschaft ab.

Auch Mark Häberlein macht in seinem zusammenfassenden Überblick auf die jüngsten Forschungserkenntnisse aufmerksam und formuliert deutliche Forderungen an zukünftige Untersuchungen zu Kreditbeziehungen im deutschsprachigen Raum. Als besondere Felder von Interesse stellt er dabei das Nebeneinander von institutionalisierten und nicht-institutionalisierten Kreditquellen, die Rolle der Vermittler von Krediten und die Verwendung der Kreditsummen heraus. Weiter sollte die Verbindung von „Kredit, Vertrauen und Reputation“ (S. 47) stärker untersucht werden. Durch die deutlichere Ausrichtung auf diese Fragenkomplexe könne die „spezifisch soziale und kulturelle Logik“ (S. 38) des vormodernen Kredits besser beleuchtet werden.

Es folgen sechs Aufsätze, die sich speziellen Kreditverbindungen widmen. Sehr quellennah berichtet Beate Sturm über Schuldkonflikte und deren Regelungen im frühneuzeitlichen Hannover. Sie kann dabei aufzeigen, dass die Anrufung von Gerichten zur Vollstreckung von Schulden nur als letztes Mittel angewandt wurde und oftmals außergerichtliche Vereinbarungen im Vordergrund standen. Dabei war die Schuldeinforderung für die Gläubiger mitunter mit hohen, die Kreditsumme übersteigenden Kosten verbunden. Deutlich wird aber auch, dass Schulden instrumentalisiert und zur Verschärfung bereits bestehender Konflikte eingesetzt werden konnten. Diese Erkenntnis wiegt umso mehr, als die Gründe für eine Verschuldung vielfältig und Schulden allgegenwärtig waren.

Christine van den Heuvel rekonstruiert auf der Grundlage des Anschreibebuchs des Osnabrücker Juristen Justus Möser vom Ende des 18. Jahrhunderts die Kreditbeziehungen zwischen bürgerlichen Geldgebern und adligen Schuldnern. Für beide Seiten waren langjährige Kreditbeziehungen von Vorteil, konnte der Adel doch nur durch Kredite das aufwendige standesgemäße Leben finanzieren, während gleichzeitig das Kapital der Bürger nach Anlagemöglichkeiten suchte. Durch die Streuung der Kredite auf verschiedene Gläubiger entstand ein territorial abgegrenztes Netzwerk, bei dem freilich die Überschuldung der adligen Güter nicht immer sichtbar wurde.

In seiner Untersuchung der Kreditverhältnisse bei Oberharzer Bergleuten kann Johannes Laufer herausarbeiten, dass die Kredite als Strategien sozialer Sicherung der Unterschichten verstanden werden können. Während die kurzfristige Geldleihe Versorgungsengpässe überbrückte, stellten die langfristigen Hypothekendarlehen die Grundlage zum Erwerb von Hausbesitz und damit den Zugang zum Bürgerstatus sicher. Im Verlaufe des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelte sich durch verschiedene Kassen ein reger Kapitalmarkt. Das berufsständische Prestige und die soziale Herkunft der Bergleute waren ausschlaggebend für die Kreditwürdigkeit. Gleichzeitig spielten auch außerökonomische Motive eine wichtige Rolle bei der Kreditvergabe, so dass Laufer von „sozialen Krediten“ schreibt.

Andreas Kulhawy wendet sich in seinem Beitrag dem Braunschweigischen Leihaus zwischen 1830 und 1930 zu. Dieses fungierte als Ablösungsinstitut des Staates für die bäuerlichen Besitzungen im Zuge der Agrarreformen des 19. Jahrhunderts. Für die Landbevölkerung wurde dadurch eine Möglichkeit geschaffen, zu moderaten Kreditbedingungen dringend benötigtes Kapital zu erhalten. Auf der Grundlage der Untersuchung von 379 Bauernstellen kann Kulhawy deutlich machen, dass der Erfolg des braunschweigischen Leihauses in den bewusst einfach gehaltenen Kreditverfahren lag. Darüber hinaus war das Verhalten des Kredithauses durch soziale Fürsorge geprägt und vor allem bei der Vollstreckung gegen säumige Schuldner auf Ausgleich bedacht. Dadurch boten sich den Bauern finanzielle Spielräume, die so auch für Investitionen genutzt werden konnten und damit die Modernisierung des Agrarbereiches weiter vorantrieben.

Die Kreditbeziehungen zwischen christlichen und jüdischen Personen in zwei Orten im Kanton Aargau im 19. Jahrhundert stehen im Mittelpunkt der Untersuchung von Alexandra Binnenkade. Dabei wird deutlich, dass das stereotype Bild des jüdischen Gläubigers und christlichen Schuldners nicht aufrecht zu halten ist. Exemplarisch an einem Fall macht Binnenkade die Vielzahl der Beziehungen sichtbar, die durch ausgeprägte Kreditketten und -netzwerke entstanden. Der Kredit wurde hier zu einem Medium sozialer Verflechtung, wobei er nicht nur Mittler zwischen den Personen war, sondern auch als Gradmesser für soziale Nähe und Distanz aufgefasst werden kann. Für den untersuchten ländlichen Raum hat sich darüber hinaus gezeigt, dass sich dort auf der Grundlage von Schuld- und Pfandbriefen ein einfaches Buchgeldsystem entwickelt hat, das Naturalien und Schuldbriefe als Geldsurrogate voll akzeptierte. Dies galt dabei für alle Schuldner-Gläubiger-Verbindungen, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit. Binnenkades Ergebnis zeigt, dass der Kredit als „soziale Angelegenheit mit wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ (S. 171) verstanden werden muss und damit über den rein ökonomischen Bereich hinaus weist.

Friedrich Thießen geht in seinem Blick auf den modernen Pfandkredit aus historischer Perspektive ein. Die Pfandleihe stellt dabei eine Form der Geldbeschaffung vor allem für den Klein- und Kleinstbedarf dar und spielt bei der Überbrückung von Notsituationen eine wichtige Rolle. Dabei ist er mit hohen Risiken verbunden, da die Zahlungsunfähigkeit besonders hoch ist, wie Thießen zeigen kann. Dadurch wird der Pfandkredit vor allem ein Problem für die einkommensschwächsten Kreditnehmer, die keine günstigeren Kreditierungsinstrumente nutzen können. Aus diesem Grund plädiert Thießen für eine Regelung in diesem Bereich.

Die Zusammenstellung der Beiträge macht die Vielseitigkeit der historischen Kreditforschung deutlich, ein Feld, das in jüngster Zeit deutliche Impulse erfahren hat. 1 Dadurch tritt hervor, dass die jeweiligen Kreditbeziehungen zwar grundsätzlich ähnlichen Mechanismen folgten, dass aber in der spezifischen Umgebung jeweils unterschiedliche Bedingungen galten. Weitere Detailstudien, wie im vorliegenden Band mehrfach gefordert, sollten angestellt werden, um diese für das Verständnis von ökonomischen und sozialen Verbindungen so wichtige Instrument besser einordnen zu können. Daher ist es etwas bedauerlich, dass nicht alle auf den Tagungen gehaltenen Referate in dem Band veröffentlicht sind, zumal sie an manchen Stellen angesprochen wurden, so etwa die Untersuchung von Michaela Fenske, oder Forschungen in den Bereichen, die als Desiderat erkannt wurden, etwa zu Familienkrediten. Dennoch bleibt ein sehr lesenswertes Buch, das die deutsche Forschung zum Kredit in der Frühen Neuzeit stärker auf die internationalen Untersuchungen zum Kredit als sozialer Komponente ausrichtet und stärkt. Die angesprochenen Fragenkomplexe markieren dabei in sinnvoller Weise den Ausgangspunkt für weitere Forschung.

Anmerkung:
1 Lorenzen-Schmidt, Klaus-J. (Hrsg.), Geld und Kredit in der Geschichte Norddeutschlands, Neumünster 2006; siehe auch die Tagung „Kreditbeziehungen und Netzwerkbildungen. Die soziale Praxis des Kredits“, die 2006 in Trier stattfand und deren Beiträge demnächst erscheinen werden.

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