Thomas Meyer

Hannah Arendt

Die Biografie
Cover: Hannah Arendt
Piper Verlag, München 2023
ISBN 9783492059930
Gebunden, 528 Seiten, 28,00 EUR

Klappentext

"Ich glaube nicht, dass es irgendeinen Denkvorgang gibt, der ohne persönliche Erfahrung möglich ist. Alles Denken ist Nachdenken, der Sache nach - denken." Für Thomas Meyer bilden diese Sätze den Leitfaden seiner Biografie Hannah Arendts. Ihm folgt Meyer, wenn er anhand neuer Quellen ihr Leben und Werk von Königsberg nach New York, von der Dissertation über Augustin bis hin zum unvollendeten Opus magnum "Vom Leben des Geistes" nachzeichnet und deutet. Seine Biografie beleuchtet die Faszination und die Kritik, die ihre Person und ihre Schriften zeitlebens auslösten, und macht dabei sowohl für Interessierte wie für Kenner das Phänomen "Hannah Arendt" verständlicher. Der hier gewählte Zugang unterscheidet sich radikal von der bisherigen Forschung. Erstmals werden bislang völlig unbekanntes Archivmaterial und andere zuvor ignorierte Dokumente herangezogen, um Arendt in ihrer Zeit dazustellen. Dabei konzentriert sich die Biografie auf zwei Lebensphasen Arendts: die Pariser Jahre nach der Flucht aus Deutschland und die Zeit in den USA bis zur Publikation ihres ersten Hauptwerkes "Origins of Totalitarianism" 1951, auf Deutsch 1955 unter dem Titel "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft" erschienen. Daraus ergeben sich neue Perspektiven auf Arendts revolutionäres Denken. Thomas Meyers Biografie ist der Ausgangspunkt für eine notwendige Neubewertung von Arendts Leben und Werk.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.02.2024

Eigentlich ist die Bezeichnung "Biografie" für Thomas Meyers Buch über Hannah-Arendt nicht so ganz korrekt, meint Rezensentin Eva von Redecker. Es handele sich vielmehr um eine "philosophische Geschichtsdeutung"; die Redecker gar an das "Passagenwerk" Walter Benjamins Denken lässt. So lässt Meyer ganz nach Benjaminscher Art, die Dokumente im Text selbst sprechen, meint die Kritikerin, verbindet sie zu einer Collage, in der "sensationelle" Quellenfunde Meyers nebeneinanderstehen. Am beeindruckendsten findet Redecker das Archivmaterial, das Arendts Engagement für die zionistische Jugend-Alijah detailliert nachvollziehbar macht und die Rettung hunderter jüdischer Kinder vor den Nationalsozialisten bezeugt. Auch der philosophische Ansatz des Autors, der Arendts Denken mit dem wiederum Benjaminschen Begriff der "Erfahrung" fassen will, findet Zustimmung bei Redecker. Für die Jahre kurz vor Arendts Exil nach Paris betreibt Meyer "Konstellationsforschung auf neuem Niveau", überhaupt ist Redecker beeindruckt vom Kenntnisreichtum und attestiert Meyer "detektivisches Genie" beim Aufzeigen überraschender Zusammenhänge.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 04.11.2023

Es sind gerade auch die Widersprüchlichkeiten, die das Werk Hannah Arendts ausmachen, stellt Rezensent Magnus Klaue mit der Biografie des Philosophen Thomas Meyer aufs Neue fest. Diese "gewisse Inkonsistenz" ihrer Philosophie ist wohl auch der Grund, warum sich Arendt bei den unterschiedlichsten politischen und intellektuellen Bewegungen großer Beliebtheit erfreut und warum sie dabei auch falsch interpretiert wurde, erklärt Klause. So beziehe sich zum Beispiel Judith Butler auf Arendt aufgrund ihrer "vermeintlichen Zionismus-Kritik". Hier stellt Mayers Band einiges richtig, so der Kritiker, indem er anhand von neuem Quellenmaterial Arendts Engagement für einen jüdischen Staat deutlich macht. Auch auf ihre Tätigkeit für die Kinder-und Jugend-Alijah, in deren Rahmen sie jüdischen Kindern bei der Emigration nach Palästina half, legt der Band einen Fokus. Trotz dieser Beweise für Arendts "Affinitäten zum Zionismus" bleibt ihre harsche Kritik an den "Judenräten", die sie in ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess formulierte, für den Kritiker ein Widerspruch, den Mayer allerdings in das "Kapitel zu ihrer Werkgeschichte auslagert." Ein wenig zu kurz kommen dem Rezensenten die Debatten zwischen Arendt, Horkheimer und Adorno über das geistige Erbe Walter Benjamins, in dessen Werk noch jene "messianische Hoffnung" zu finden ist, die nach dem Holocaust nicht mehr möglich war.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2023

Einiges Aufschlussreiches über das Leben Hannah Arendts findet Rezensent Konstantin Sakkas in der Biografie von Thomas Meyer. Nicht alles ist neu, meint Sakkas, so ist zum Beispiel über die Ehe zwischen Günther Stern und Arendt schon viel geschrieben worden. Aber Meyers intensive Archivarbeit hat zahlreiche neue Quellen zu Tage gefördert, die vor allem die dunklen Jahre im Leben Arendts, 1933-1941, beleuchten, aber auch erhellende Einblicke in Arendts Kindheit geben und ihre soziale Herkunft aufschlüsseln. Als Verdienst des Buchs sieht der Rezensent an, dass es vor allem die weniger bekannte, aktivistische Seite Arendts ausleuchtet, die beispielsweise als Mitarbeiterin der Kinder- und Jugend-Alijah in Paris mehreren hundert jüdischen Kindern zur Emigration nach Palästina verhalf und damit deren Leben rettete.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 17.10.2023

"Ausgeufert" ist die Hannah-Arendt-Forschung in den letzten Jahren, konstatiert Rezensent Klaus Bittermann, die letzte große Biographie ist 1986 erschienen. Thomas Meyer veröffentlicht nun eine neue - und was für eine, schreibt Bittermann begeistert. "Mit einem ungeheuren Wissenshintergrund" gelingt es dem Arendt-Experten Meyer besonders Arendts Exil-Jahre 1933 bis 1941 in Paris als essenziell für ihr späteres Werk herauszustellen. Auf die Frage, ab wann sich Arendt von Heideggers Denken abgewendet hat, findet auch Meyer keine befriedigende Antwort, moniert Bittermann. Trotzdem: Meyer schafft es  gekonnt Arendts Weg zum "leuchtenden Fixstern" in der jüngsten Philosophiegeschichte nachzuzeichnen, schließt der glückliche Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.10.2023

Einen interessanten Zugriff auf die Biografie Hannah Arendts wagt Thomas Meyer in seinem Buch, hält Rezensent Jens Balzer fest: Die "Frage nach der Aktualität" einer noch immer viel gelesenen Denkerin will er gezielt nicht beantwortet, stattdessen Leben und Denken in ihren Kontexten erörtern. Dazu werden erfreulicherweise viele bislang nicht bekannte Archivalien herangezogen, um etwa auch Arendts Beziehung, sowohl in philosophischer als auch privater Hinsicht, zu beleuchten, oder die von ihr selbst später kaum beachtete Hilfsarbeit, um, selbst geflüchtet, jüdische Kinder aus Nazi-Deutschland zu retten, schildert Balzer. Dabei scheut er sich nicht davor, auch schwierige Momente wie ihre Ablehnung der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den Blick zu nehmen, das erfordert für den Rezensenten aber manchmal etwas zu viele Vorkenntnisse. Zum Start in die Arbeit mit Arendt eignet sich dieses Buch wohl eher nicht, aber sobald die Grundlage da ist, eine "unbedingt lesenswerte Neuinterpretation ihres Lebens", wie geurteilt wird.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.10.2023

Äußerst zwiespältig liest sich, was der frühere Hanser-Lektor Wolfgang Matz über diesen Band berichtet. Zunächst einmal geht ihm die Großsprecherei auf die Nerven. Warum soll das "die" Biografie sein, wie es im Untertitel heißt? Als wünschenswert hätte Matz ein neues Standardwerk ja durchaus angesehen, denn Elisabeth Young-Bruehls bisher maßgebliche Biografie ist vierzig Jahre alt. Aber Meyer wird für Matz seinem Anspruch nicht gerecht, allein schon sprachlich nicht: Matz zitiert einige grauenhaft geschriebene und lektorierte Sätze, in denen zuweilen auch das Denken in Konflikt mit der Sprache gerät. Dennoch attestiert er dem Band auch große Verdienste: Erstens in der Konzentration auf Arendts Pariser Zeit. Diese sei bisher wenig erforscht und führe uns eine Hannah Arendt vor, die jüdische Kinder nach Palästina bringen hilft. Zweitens durch die Konzentration auf die Figur Heidegger. Hier sei die Darstellung "gründlich und dem Gegenstand angemessen", und Arendts widersprüchliches Verhältnis zu ihrer "Lebensbeziehung" wird Matz anschaulich vor Augen gestellt. Als drittes lobt Matz Meyers Erforschung ihrer Königsberger Jugend. Uneingeschränkt kann Matz den Band am Ende nicht empfehlen, Young-Bruehls Biografie bleibt für ihn das Standardwerk.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2023

Eine erstaunliche, wichtige Hannah-Arendt-Biografie legt Thomas Meyer hier vor, so Rezensent Peter Neumann, und zwar, weil der Autor das politische Handeln der Philosophin ins Zentrum stellt. Akribisch hat Meyer laut Rezensent  vor allem die frühen Jahre des Pariser Exils recherchiert und stellt dar, was vorher höchstens bruchstückhaft bekannt war: Arendts Unterstützung jüdischer Flüchtlinge, die Hunderten die Reise nach Palästina ermöglichte. Dabei erwies sie sich, so Neumann nach Meyer, schnell als Medienprofi, und ließ ihre wissenschaftliche Arbeit zunächst ruhen. Dass Arendts Schreiben von Erlebtem geprägt ist, ist zwar bekannt, erläutert Neumann, aber Meyer zeigt ihm, dass etwa die Totalitarismusanalyse direkt aus der politischen Praxis heraus entstanden ist. Auch in der Nachkriegszeit blieb Arendt politisch aktiv und stets um die jüdische Sache, insbesondere um jüdische Selbstbestimmung bemüht. Nur Spezialisten werden alle Details nachvollziehen können, die Meyer hier präsentiert, resümiert Neumann, aber dennoch gelinge dem Autor ein völlig neuer Blick auf Arendts Leben.

Buch in der Debatte

9punkt 15.12.2023
"Zunächst einmal war Masha Gessen eine würdige Preisträgerin", meint Hannah-Arendt-Biograf Thomas Meyer im FR-Gespräch mit Michael Hesse: "Der Artikel im New Yorker stellt das infrage. Sachliche Fehler, krude Konstrukte sind das eine und gehören in einer demokratischen Gesellschaft zur Meinungsfreiheit. Die Gleichsetzungsmanie zwischen Israels Krieg in Gaza und den Taten der Nationalsozialisten ist etwas anderes. Das ist eine völlige Entgleisung, von der ich nur hoffen kann, dass dahinter kein Programm steht. Dass sich die Böll-Stiftung zurückzog, begrüße ich. Arendt als Gewährsfrau für diese Geschichtsverdrehungen fällt vollständig weg - sie ist hier bloßes Dekor." Er stellt klar: Arendt "war sicherlich keine Israel-Kritikerin in dem Sinne, dass sie das faktische Existieren Israels jemals infrage gestellt hat. Sie hat jedoch den Staatsbildungsprozess sehr kritisch begleitet und war auch der Überzeugung, dass die Art und Weise, wie Israel etabliert und mit welchen Argumenten die Staatsgründung durchgesetzt wurde, falsch waren. Die Gründung beruhte ihrer Meinung nach auf einem veralteten Nationalstaatskonzept. Aber in dem Moment, wo Israel als Staat existierte, hatte sie ein klassisch-kritisches Verhältnis zu einzelnen Politikern. Der Staat stand dann außer Frage." Unser Resümee