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Titel
Na posterunku. Udział polskiej policji granatowej i kryminalnej w Zagładzie Żydów
Weitere Titelangaben
[Auf dem Posten. Die Beteiligung der polnischen blauen und Kriminalpolizei an der Vernichtung der Juden]


Autor(en)
Grabowski, Jan
Erschienen
Wołowiec 2020: Wydawnictwo Czarne
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
44,90 PLN
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Agnieszka Wierzcholska, Deutsches Historisches Institut Paris

Es ist erstaunlich, dass die erste Monografie über die Beteiligung der polnischen Polizei am Holocaust erst im Jahre 2020 erschienen ist. Denn obwohl die Polizisten häufig in den Erfahrungsberichten der überlebenden Jüdinnen und Juden auftreten, berührt das Thema doch einen neuralgischen und hoch umstrittenen Punkt der polnischen Geschichte: die Verstrickung von Polen in die Vernichtung der Juden. Es erfordert daher einiges an Mut und unabhängigem Denken, sich dieses Forschungsgegenstandes anzunehmen. Jan Grabowski, Professor an der Universität Ottawa, füllt diese Forschungslücke nun mit einer soliden, spannend zu lesenden, auf Grundlage mühevoller Archivrecherche entstandene Studie.

Grabowski war Gründungsmitglied des Zentrums für Holocaustforschung an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (Centrum Badań nad Zagładą Żydów) und hat bereits eine Vielzahl von Studien zum Holocaust im besetzten Polen vorgelegt.1 Ein großes Verdienst der aus dem Zentrum hervorgegangenen Arbeiten ist die Beschäftigung mit den besetzten Gesellschaften. Dies ging mit einem Perspektivwechsel von der deutschen Täterforschung hin zu den Besetzten als handelnden Akteuren und zu sozialen Dynamiken vor Ort einher. Zum einen untersuchten die Forschenden den Alltag und das Handlungsspektrum der verfolgten Jüdinnen und Juden; zum anderen widmeten sie sich der Rolle der nichtjüdischen Polinnen und Polen während des Holocaust.2

Genau hier reiht sich auch die vorliegende Studie ein, in der Jan Grabowski die Stellung polnischer Polizisten im Kontext des deutschen Besatzungsapparats untersucht, sich mit ihren Handlungsoptionen beschäftigt und somit die Frage aufwirft, inwiefern diese eigenmächtig und eigeninitiativ agierten. Grabowski nutzt dafür ein breites Spektrum an Quellen, von Berichten jüdischer Überlebender bis hin zu Stationstagebüchern ausgewählter Polizeikommandanturen. Sein Material stammt sowohl aus Großstädten wie Warschau als auch aus kleineren Ortschaften, über die wir bislang noch sehr wenig wissen. Angesichts der Vielzahl der erhaltenen Quellen, die Grabowski ausfindig machen konnte, erstaunt es umso mehr, dass das Ausmaß der Beteiligung der polnischen, aufgrund der Farbe ihrer Uniformen so genannten „Blauen Polizei“ am Holocaust bislang in der Forschung weitestgehend ein weißer Fleck war.3

Grabowskis Studie gliedert sich in zwei Teile. Auf den ersten, chronologisch angelegten Teil (Kapitel 1–5) folgt ein zweiter, der ausgewählte Problemfelder vertieft in den Blick nimmt: die spezifische Situation in der Großstadt Warschau (Kapitel 6), die Mitwirkung der Kriminalpolizei an der Ermordung von Juden (Kapitel 7) sowie die Rolle polnischer Polizisten als Retter von Juden (Kapitel 8).

Nach der deutschen Invasion 1939 wurde die polnische Polizei der Vorkriegszeit, deren Beamte sich zu 90% aus römisch-katholischen, ethnischen Polen rekrutierten, von den deutschen Besatzern reorganisiert: Während höhere Offiziere zum größten Teil entlassen wurden, übernahm man bis 1940 circa 10.000 Mann in eine neu geschaffene „polnische Polizei des Generalgouvernements“, die somit rund ein Drittel ihrer Vorkriegsstärke umfasste. Diese „Blaue Polizei“ unterstand fortan dem deutschen Besatzungsapparat, konkreter dem Kommandeur der deutschen Ordnungspolizei, und war in Städten meist der Schutzpolizei dienstverpflichtet. Die innere Struktur der polnischen Polizei wurde jedoch weitgehend beibehalten. Polnische Kriminalbeamte der Vorkriegszeit wurden hingegen unmittelbar in die neu geschaffene Struktur der Kriminalpolizei eingegliedert, deren Kommissariate von Deutschen geleitet wurden und – anders als die „polnische Polizei“ – der deutschen Sicherheitspolizei unterstellt waren.

Zum Tätigkeitsfeld der polnischen Polizisten gehörten neben ordnungspolizeilichen Aufgaben die Unterstützung der deutschen Besatzer bei der Verschleppung der lokalen Bevölkerung zur Zwangsarbeit, die Kontrolle der Kontingentabgaben der Bauern und gegebenenfalls die Eintreibung dieses Kontingents (S. 68f.). Partisanenbekämpfung kam erst ab 1943 als weitere Aufgabe hinzu (S. 69).

Grabowski räumt mit der bislang verbreiteten These auf, die polnische Blaue Polizei habe sich erst in der dritten Phase des Holocaust, also nach der Liquidierung der Ghettos 1942/43, aktiv an der Judenverfolgung beteiligt. Vielmehr habe sie seit Beginn der Besatzung zur Umsetzung der judenfeindlichen Politik der Deutschen beigetragen (S. 57ff.). Es oblag polnischen Polizisten zu kontrollieren, ob Jüdinnen und Juden die weiße Armbinde mit blauem Davidstern trugen. Nach der Schließung der Ghettos gingen sie dazu über, Jüdinnen und Juden auf der „arischen“ Seite aufzuspüren, auszurauben, zu erpressen oder deutschen Behörden auszuliefern. Die Blaue Polizei bewachte die Ghettomauern und kontrollierte die Ghettoeingänge. Sie hatte somit erheblichen Einfluss darauf, welche Schmuggelware die Eingesperrten erreichte. Zugleich bot diese Tätigkeit den schlecht bezahlten Polizisten die Möglichkeit, Schmiergelder zu kassieren. Nachdem ab 1941 nur noch gegen Typhus geimpfte Polizisten das Warschauer Ghetto bewachen durften, begann ein regelrechter Kampf unter den Kommissariaten um die Schutzimpfungen, da jede Einheit ihr „Monopol“ auf das lukrative Geschäft mit dem Ghetto sichern wollte (S. 267).

Gewalt und Machtbefugnisse der polnischen Polizei waren Grabowski zufolge umgekehrt proportional zur Präsenz deutscher Uniformierter (S. 66, 174–175). Je weniger deutsche Besatzer vor Ort waren, umso eigenmächtiger und brutaler agierten die polnischen Polizisten gegenüber den Jüdinnen und Juden. In Großstädten übernahmen polnische Polizisten während der „Aussiedlungen“ im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ „Hilfstätigkeiten“. In Kleinstädten und Dörfern, wo im Frühjahr und Frühsommer 1942 viele Jüdinnen und Juden noch in ihren eigenen Häusern lebten, machten die polnischen Polizisten selbst (zuweilen mithilfe der Freiwilligen Feuerwehr) Jüdinnen und Juden ausfindig, brachten sie zu Sammelplätzen und lieferten sie den Deutschen in der nächsten Stadt ab. Aufgrund fehlender deutscher Kräfte wurden also einige „Aussiedlungsaktionen“ in kleineren Dörfern oder Kleinstädten zwar auf Befehl der deutschen Besatzer durchgeführt, aber ohne deren personelle Beteiligung, wie beispielsweise im südpolnischen Markowa (S. 125f., 174–178). Die polnischen Polizisten aus Włodawa transportierten die ortsansässigen Jüdinnen und Juden nicht zur nächsten Sammelstelle, sondern lieferten sie sogar direkt an den Toren des Vernichtungslagers in Sobibór ab (S. 179). In diesem kleinstädtischen Kontext handelte es sich um Menschen, die einander gut kannten: Die Täter nannten ihre Opfer oft beim Vornamen (S. 169).

Grabowski gibt an, bei seiner breit angelegten Untersuchung keinen Fall gefunden zu haben, in dem ein Polizist dafür bestraft wurde, dass er bei der Judenvernichtung nicht mitmachen wollte. Vielmehr seien immer genügend polnische Polizisten bereit gewesen, an den judenfeindlichen „Hilfstätigkeiten“ während unterschiedlicher Phasen des Holocaust mitzuwirken. Wie Grabowski im letzten Kapitel seiner Studie zeigt, mussten sich polnische Polizisten, die sich entschlossen, Juden zu helfen, nicht nur den Deutschen widersetzen, sondern auch dem Korpsgeist unter den eigenen Kollegen (S. 356ff.).

Zugegebenermaßen, der Leserin stellten sich zuweilen die Nackenhaare vor Entsetzen auf, denn Grabowski führt uns tief in die Realität des Mordens während des Holocaust im besetzten Polen. Hatte sich die deutsche Täterforschung bereits den killing fields im östlichen Europa zugewandt, so zeigen uns neuere Studien aus Polen, wie diese killing fields aus unmittelbarer Nähe aussahen. Grabowskis Studie ist ein weiterer, wichtiger Beitrag zum Verständnis sozialer Dynamiken in Besatzungsgesellschaften und zur Verstrickung der Lokalbevölkerung während des Holocaust.

Wünschenswert wäre es allerdings gewesen, die Beteiligung der polnischen Polizisten am Holocaust auch in Relation zu ihren anderen Tätigkeiten für den deutschen Besatzungsapparat zu analysieren. Inwiefern agierten die Polizisten anders (oder doch ähnlich), wenn es beispielsweise um die Eintreibung von Kontingenten bei polnischen Bauern oder Hilfstätigkeiten bei der Verschleppung von Polen zur Zwangsarbeit ging? Dies hätte Lesern ein noch genaueres Bild von sozialen Dynamiken in Besatzungsgesellschaften vermitteln können.

Grabowskis Buch macht zudem deutlich, welche Forschungsdesiderata es auf diesem Feld noch gibt: Breit angelegte Studien zur Rolle der polnischen Feuerwehr, des Baudienstes oder des Bahnschutzes im Holocaust im besetzten Polen stehen noch aus. Grabowskis fundiert recherchiertem, fesselnd geschriebenem und mit vielen Fotografien illustriertem Buch ist jedenfalls zu wünschen, dass es rasch ins Deutsche und Englische übersetzt wird, um ein noch größeres Publikum zu erreichen.

Anmerkungen:
1 Jan Grabowski, Judenjagd. Polowanie na Żydów 1942–1945. Studium dziejów pewnego powiatu, Warszawa 2011 (engl.: Hunt for the Jews. Betrayal and Murder in German-occupied Poland, Bloomington, Indianapolis 2013); Jan Grabowski / Dariusz Libionka (Hrsg.), Klucze i kasa. O mieniu żydowskim w Polsce pod okupacją niemiecką i we wczesnych latach powojennych, 1939–1950. Warszawa 2014; Barbara Engelking / Jan Grabowski (Hrsg.), Dalej jest noc. Losy Żydów w wybranych powiatach okupowanej Polski, 2 Bde, Warszawa 2018, rezensiert für H-Soz-Kult von Ingo Loose, 09.11.2020, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-28315 (12.02.2022).
2 Siehe exemplarisch Barbara Engelking, Jest taki piękny słoneczny dzień. Losy Żydów szukających ratunku na wsi polskiej 1942–1945, Warszawa 2011; Barbara Engelking u.a. (Hrsg.), Zarys krajobrazu. Wieś polska wobec zagłady Żydów 1942–1945. Warszawa 2011; Barbara Engelking, „Szanowny panie gistapo”. Donosy do władz niemieckich w Warszawie i okolicach w latach 1940–1941. Warszawa 2003; sowie die seit 2005 erscheinende Zeitschrift des Zentrums: Zagłada Żydów. Studia i Materiały.
3 1990 erschien bereits eine Studie zur polnischen Polizei während der deutschen Besatzung, die sich aber nicht primär mit deren Beteiligung an der Ermordung von Juden befasste: Adam Hempel, Pogrobowcy klęski. Rzecz o policji “granatowej” w Generalnym Gubernatorstwie, Warszawa 1990.

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