R. Pommerin; M. Uhlmann (Hgg.): Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1815-1991

Cover
Titel
Quellen zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1815-1991.


Herausgeber
Pommerin, Reiner; Uhlmann, Manuela
Reihe
Quellen zu den Beziehungen Deutschlands zu seinen Nachbarn im 19. und 20. Jarhhundert , Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe 10
Erschienen
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lars Jockheck, Fachbereich Pädagogik, Seminar für Geschichtswissenschaft, Universität der Bundeswehr Hamburg

Eine sorgfältig ausgewählte und zuverlässig edierte Quellensammlung zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert wäre besonders als Hilfsmittel für die Lehre willkommen. Der von Reiner Pommerin und Manuela Uhlmann vorgelegte Band genügt jedoch allein nach formalen Kriterien an vielen Stellen nicht den Ansprüchen, die an eine wissenschaftliche Quellenedition zu stellen sind.

Das auf den ersten Blick für den schmalen Band recht umfangreich erscheinende Quellen- und Literaturverzeichnis (S. XXI-LIII) und die darauf basierende Einleitung (S. 1-24) entsprechen nicht durchweg dem Stand der Forschung. Berücksichtigt wurden ausschließlich in deutscher oder englischer Sprache vorliegende Titel. Besonders die englischsprachigen Veröffentlichungen sind dabei in einer eher willkürlich anmutenden Auswahl vertreten 1. Dafür finden sich in der Liste etliche Publikationen, deren wissenschaftlicher Wert zumindest zweifelhaft ist 2. Zahlreiche Fehlschreibungen von Titeln und Verfassernamen, die Verwechslungen der Vor- und Nachnamen von Verfassern, die vielfache Nichtberücksichtigung überarbeiteter Neuauflagen und meist fehlende Hinweise, dass es sich bei vielen Titeln nicht um Original-, sondern um Neuausgaben oder Übersetzungen handelt, vermitteln einen ersten Eindruck von einem leider durchgängig zu bemerkenden Mangel an editorischer Sorgfalt 3. Besonders auffällig ist hierbei, dass offenkundig weder Reiner Pommerin noch Manuela Uhlmann oder die weiteren im Vorwort genannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Edition der polnischen Sprache mächtig sind. Anders lassen sich die häufigen Fehlschreibungen polnischer Eigen- und Ortsnamen, der zufällig anmutende Einsatz bzw. das Fortlassen diakritischer Zeichen, fehlende Übersetzungen polnischer Ausdrücke und weitere Nachlässigkeiten nicht erklären 4.

Dass die Quellenauswahl sich auf in deutscher Sprache verfasste Texte beschränkt, vor 1871 einer borussozentrischen Perspektive huldigt und fast ausschließlich die politische Beziehungsgeschichte beleuchtet, sind bedauerliche, aber legitime Verengungen. Dass auch die älteren der 133 Quellentexte, die bis auf sechs Ausnahmen anderen Quelleneditionen oder der Literatur entnommen wurden, stillschweigend weitgehend an die vor 1998 übliche Duden-Schreibung angepasst wurden, ist für eine Edition mit wissenschaftlichem Anspruch mindestens ungewöhnlich, mag aber ebenfalls noch hinnehmbar erscheinen. Schwerer zu verschmerzen sind fehlende Regesten zu Entstehung und Inhalt der Quellentexte, obwohl die nötigen Angaben zumeist leicht den benutzten Editionen hätten entnommen werden können. Die knappen Überschriften oder Kopfzeilen zu den Dokumenten geben kaum Informationen, sondern führen bisweilen sogar noch in die Irre 5. Ärgerlich wird es spätestens, sobald sich in die Übernahmen aus anderen Werken ungezählte entstellende Schreibfehler einschleichen. Einer der Höhepunkte ist hier erreicht, wenn im Auszug aus einem Redebeitrag Honeckers vom Dezember 1980 ein gewisser „Leonid Il’i Brenev“ (S. 207) bzw. „Brenev“ (S. 208) sowie eine polnische Gewerkschaft namens „Solidarno“ (S. 210) bzw. „Solidarnoość“ (S. 211) auftaucht 6. Noch schwerer wiegen Eingriffe in den Text der Dokumente, die den Inhalt verändern und nicht als solche gekennzeichnet sind. Es zeugt von der bereits monierten mangelnden editorischen Sorgfalt, wenn Anführungszeichen überlesen werden und so Satzteile, die nicht zur Quelle gehören, in diese einfließen, sinnentstellend Schreibungen verändert oder wesentliche Teile von Dokumenten fortgelassen werden, ohne dies zu kennzeichnen 7. Dass Pommerin und Uhlmann nur sehr sparsam erläuternde Fußnoten setzen, obschon solche in den Quelleneditionen, auf die sie sich stützen, durchaus vorhanden sind, ist da nur noch ein zusätzliches Ärgernis. Es ist fast schon überflüssig hinzuzufügen, dass sich in den wenigen Anmerkungen wie auch im Personenregister wiederum etliche sachliche Fehler finden 8.

Fazit: In ihrer jetzigen Form ist die von Reiner Pommerin und Manuela Uhlmann vorgelegte Quellensammlung ihren stolzen Preis nicht wert. Handelte es sich nicht um geistige Ware, sondern um ein technisches Gerät, hätten die Käufer der Fabrikationsfehler wegen einen Rechtsanspruch auf Wandlung oder Nachbesserung – so bleibt nur die Hoffnung auf eine von Grund auf überarbeitete Neuauflage.

Anmerkungen:
1 Inzwischen liegt eine breit angelegte, annotierte Bibliografie zur Geschichte der polnisch-deutschen Beziehungen vor: Andreas Lawaty und Wiesław Mincer (Hg.): Deutsch-polnische Beziehungen in Geschichte und Gegenwart. Bibliographie 1900-1998. Unter Mitwirkung von Anna Domańska. 4 Bde. Wiesbaden: Harrassowitz 2000.
2 So z.B. S. XLIX: Friedrich Wilhelm von Oertzen: Polen an der Arbeit. Wie die Annexion Ostdeutschlands 1919-1933 vorbereitet wurde. Kiel: Arndt 1986 [Neuausgabe einer deutschnationalen Kampfschrift von 1932 mit einem ‚revisionistischen’ Vorwort]; Christa Olschewski: Der nationalistisch-revanchistische Inhalt des deutschen „Volkstumskampfes“ und die faschistische Taktik gegen Polen, in: Jenaer Beiträge zur Parteiengeschichte 48 (1986). S. 87-90. – Dagegen fehlt die in diesem Zusammenhang grundlegende Studie von Mathias Niendorf: Minderheiten an der Grenze. Deutsche und Polen in den Kreisen Flatow (Złotów) und Zempelburg (Sępólno Krajeńskie) 1900-1939. Wiesbaden: Harrassowitz 1997.
3 Nur wenige Beispiele: Martin Broszats 1963 bei Ehrenwirt in München erstmals erschienene grundlegende Monografie „Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik“, zuletzt vorgelegt in der 4. Auflage der revidierten und erweiterten Ausgabe, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1986 (1. Auflage dieser Ausgabe 1972), wird unter „Gedruckte Quellen“ (!) folgendermaßen aufgeführt: „Broszat, Martin: Zweihundert Jahre deutsche Polen-Politik. Frankfurt am Main 1963“ (S. XXV). Aus Bogdan Musiał wird „Bogdan, Musial“ (S. XXX), aus Paweł Korzec „Pawel, K“ (S. XXXI) aus Gerard Koziełek „Kozielek, Gerhard“ (S. XLI), aus F.W. v. Oertzens Pamphlet „Polen an der Arbeit“ (siehe oben Anmerkung 2) „Polen an die Arbeit“.
4 Um von ungezählten weiteren nur zwei besonders augenfällige Beispiele zu nennen: Der in jedem Konservationslexikon zu findende polnische Nationaldichter Adam Bernard Mickiewicz wird im Personenregister als „Mickiéwicz, Adam Bernhard“ (S. 246) aufgeführt; im Sachregister (!) findet sich noch einmal der Eintrag „Mickiéwicz“ (S. 257). Auch die korrekte Schreibweise des Namens von Polens erstem freigewählten Nachkriegs-Ministerpräsidenten Tadeusz (nicht: Tadeus, S. 23 und S. 246) Mazowiecki hätte sich leicht nachschlagen lassen.
5 Wieder nur zwei Beispiele: Die „Deutsche Proklamation an die Polen“, die der Vorläufer des Posener Deutschen Nationalkomitees am 22. März 1848 verbreiten ließ, findet sich vollständig und ausführlich erläutert bei Hans Booms und Marian Wojciechowski (Hg.), Deutsche und Polen in der Revolution 1848-1849, Dokumente aus deutschen und polnischen Archiven, Boppard am Rhein: Boldt 1991, S. 194-196. Bei Pommerin und Uhlmann ist dieses Dokument mit „Deutsche Proklamation“ überschrieben, und die Urheber des Textes sind nicht erkennbar, da (ohne dies zu kennzeichnen) die zum Dokument gehörenden Namen der Unterzeichner fortgelassen wurden (S. 42). Die angebliche „Reichstagsrede“ von Ludwig Windthorst (S. 69-71, hier S. 69) wurde ebenso wie die vorstehende Rede Bismarcks am 28.1.1886 vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus gehalten. Sie bezog sich auch nicht auf „Polen als deutsche Staatsbürger“ (S. 71), sondern auf Polen als preußische Staatsbürger, wie aus dem Text leicht zu ersehen ist.
6 Es handelt sich um den Redebeitrag Erich Honeckers auf einem (nichtöffentlichen) Treffen führender Vertreter der Warschauer-Pakt-Staaten am 5. Dezember 1980 in Moskau – bei Pommerin und Uhlmann ohne Hinweis auf die näheren Umstände als „Rede Honeckers“ bezeichnet (S. 207). Die Ausschnitte aus der stenografischen Niederschrift des Moskauer Treffens sind der vollständigen Veröffentlichung dieses Protokolls bei Michael Kubina und Manfred Wilke (Hg.): „Hart und kompromißlos durchgreifen“, Die SED contra Polen 1980/81, Geheimakten der SED-Führung über die Unterdrückung der polnischen Demokratiebewegung, Berlin: Akademie 1995, S. 140-195, hier S. 166-171, entnommen. Bei Kubina und Wilke finden sich die erwähnten Fehlschreibungen nicht, wohl aber Hinweise zu Abweichungen von Honeckers Redeentwurf und zu Hervorhebungen im Protokoll, die bei Pommerin und Uhlmann fehlen.
7 Der Monographie von Manfred Laubert: Die preußische Polenpolitik von 1772-1914, Berlin 1920 (auch hier wurde die letzte, 3., verbesserte Auflage, Krakau: Burgverlag 1944, nicht berücksichtigt), S. 49f., haben Pommerin und Uhlmann Auszüge einer Denkschrift des Generals Friedrich von Roeder vom 5. Mai 1831 aus Posen (nicht: Berlin) entnommen und dabei einen von Laubert anstelle einer längeren Auslassung eingefügten Satzteil in den Text des Dokuments einfließen lassen (S. 33, 8. Zeile von oben: „Der hiesige Adel sah in der Nationalität“). Im übrigen liegt die zitierte Denkschrift auch ediert vor (Manfred Laubert: Die Verwaltung der Provinz Posen 1815-47, Herausgegeben mit Unterstützung der preußischen Archiv-Verwaltung, Breslau: Priebatsch 1923, S. 1 - 13), wäre also besser an diesem Ort entnommen worden. Um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Pommerin und Uhlmann geben eine „Erklärung deutscher Katholiken an die polnischen Katholiken“ aus Bromberg vom 27. April 1848 anscheinend vollständig wieder (S. 51f.). Im Vergleich mit der Quellenedition von Booms und Wojciechowski (wie Anm. 5), der das Dokument entnommen wurde, fallen willkürliche, sinnentstellende Änderungen von Groß- und Klein- sowie Zusammen- und Getrenntschreibung, ausgelassene Anführungszeichen und vor allem das (nicht gekennzeichnete) Fortlassen der zum Text dieses Dokuments gehörenden Namen der Unterzeichner auf.
8 Bis auf ganz wenige Ausnahmen fehlen Erläuterungen zu den in den Quellen genannten und häufig in heute unüblicher oder entstellter Form geschriebenen Ortsnamen, zu Institutionen, zu amtlichen Bezeichnungen oder zu den Ereignissen, auf die in den Dokumenten Bezug genommen wird. Auch die Angaben zu Personen erweisen sich mehrfach als falsch: Mit dem „Reichsminister und Chef der Reichskanzlei“ in einer Denkschrift des Generalgouverneurs Hans Frank an Hitler vom 19. Juni 1943 ist Hans-Heinrich Lammers (1879-1962) gemeint und nicht der Staatsminister und Chef der Präsidialkanzlei Otto Meißner (S. 176 u. S. 264). Im Personenregister wird auf S. 243 der Kommandierende General des V. Korps in Posen (1848-1851), Friedrich Wilhelm von Brünneck (1785-1859), mit seinem Bruder Magnus verwechselt. „Beauftragter für den Vier-Jahres-Plan im Generalgouvernement“ war 1940 Generalmajor Robert Bührmann (1879-1940), nicht „Generalmajor Rührmann“ (S. 247).

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