Im frühen 16. Jahrhundert verstärkten und vervielfachten sich die religiösen Interessen, was auch eine Inflation religiöser Zeichen mit sich brachte. Kaum eine Zeit war so spannungsgeladen und widersprüchlich wie der Vorabend der Reformation. In einem dichten Netz mittelalterlicher Wallfahrtswege nach Wilsnack schien jedermann auf den Beinen zu sein, und jeder wollte auf seine Art davon profitieren. Auch das 1287 gegründete Kloster Heiligengrabe versuchte, nicht abseits zu stehen. Eine angeblich 'alte' Gründungslegende wurde erschaffen, um seine Bedeutung aufzuwerten. Dabei griff man auf das Stereotyp des jüdischen Hostienfrevels zurück, das bereits kurz zuvor im mecklenburgischen Sternberg und in Brandenburg tödliche Folgen für die kleinen Gruppen noch geduldeter Juden gehabt hatte.
Der repräsentative Neubau der Heiliggrabkapelle, mit denen sich das Kloster schließlich als Wallfahrtort präsentierte, ermöglichte auch die Erneuerung der Klosteranlage. Leider gingen die Schätze der Wallfahrt und die einst reiche mittelalterliche Ausstattung nach der Reformation und mehreren Bränden verloren; nur einige der 1532 gemalten Legendentafeln existieren noch.
Aus dem nahegelegenen Annenwallfahrtsort Alt Krüssow haben sich dagegen zahlreiche mittelalterliche Skulpturen erhalten, die eine reiche Stiftungstätigkeit belegen. Am eindrucksvollsten aber ist die dortige Wallfahrtskirche selbst. Auffällig ist deren repräsentativer Ostgiebel. Er folgt dem der Grabkapelle von Heiligengrabe und wiederholt wie dieser und die Giebel weiterer Kirchen an den Pilgerwegen das Vorbild des Südgiebels der Wallfahrtkirche in Wilsnack. Sie alle sind gleichsam Wegweiser der Wallfahrt und somit Zeugnisse religiöser Mobilität, und zugleich belegen sie die technischen Möglichkeiten des jeweils tätigen Baubetriebs.