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Zwischen Orient und Europa

2019
978-3-7720-5642-0
A. Francke Verlag 
Chiara Adorisio
Lorella Bosco

Der Band hinterfragt den Nutzen des Begriffs "Orientalismus" zur Erforschung der vielfältigen deutsch-jüdischen kulturellen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei wird Orientalismus einerseits als postkolonialer Diskurs verstanden, der Identitätskonflikte und Sprachprobleme der jüdischen Diaspora in den Blick nimmt, andererseits als philologische Wissenschaft vom Orient. Die Beiträge behandeln folgende Fragen: In welchem Maße wurden deutsche Juden vom zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs über den "Orient" und den "Orientalen" beeinflusst bzw. gestalteten ihn mit? Wie tief verinnerlichten Juden die stereotypen Bilder ihrer Umgebung und inwiefern konnten die deutsch-jüdischen Orientalisten diese Vorurteile und deren philosophische Legitimierung wissenschaftlich widerlegen? Wie veränderte sich das Bild des Orients, als viele emigrierte deutsche Juden sich in Palästina mit dem "wahren" Orient konfrontiert sahen?

Chiara Adorisio, Lorella Bosco (Hg.) Zwischen Orient und Europa Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert Zwischen Orient und Europa Band 8 Herausgegeben von Matthias Luserke-Jaqui (Darmstadt) in Verbindung mit Albrecht Beutel (Münster) und Peter Seibert (Kassel) Chiara Adorisio, Carmela Lorella Bosco (Hg.) Zwischen Orient und Europa Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20.-Jahrhundert Umschlagabbildung: Ephraim Moses Lilien, Umschlagbild für „Ost und West“, 1901. https: / / commons.wikimedia.org/ wiki/ File: Ost_und_west.jpg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Publiziert mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung, Bonn. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: CPI books GmbH, Leck Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de ISSN 1614-5917 ISBN 978-3-7720-8642-7 Inhaltsverzeichnis 5 Inhaltsverzeichnis Chiara Adorisio/ Lorella Bosco Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Dominique Bourel Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Chiara Adorisio Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy in the Nineteenth Century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Michael Engel The Academic Reception of Beḥinat haDat : Criticizing Jewish Historiography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Maria Carolina Foi East-West Experiments in the Prose of the Young Heine . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Mauro Ponzi Orientalismus als Paradox. Die deutsch-jüdische Spannung bei Heine, Zunz und dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden. . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Marina Foschi Albert Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti von Friedrich Rückert (dvandva, bahuvrīhī, karmadhāraya) . . . . . 87 Kathrin Wittler West-östliche Ordnungen von Weltliteratur. Anthologisierung jüdischer Literatur im 19.-Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Roberta Ascarelli Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6 Inhaltsverzeichnis Doerte Bischoff Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Massimiliano De Villa Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Christine Kanz Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie. Else Lasker-Schülers literarische Briefe an „wirklich lebende Menschen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Mark H. Gelber Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus. . . . . . . 197 Gabriele Guerra Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen . . . 209 Lorella Bosco Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim . . . . . . 225 Giuliano Lozzi Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman. . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Vivian Liska Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco . . . . . . . . 253 Eva Kocziszky „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Irene Kajon Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali. Il tardo-antico come fonte dell’Europa moderna . . . . . . . 279 Camilla Miglio „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“ ? Paul Celans geopoetischer Osten . . . . . . . 297 Inhaltsverzeichnis 7 Giulia A. Disanto „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“. Symptomatik des Orientalismus im Werk Elias Canettis . . . . . . . . . . . . . . . 317 Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert Einleitung Chiara Adorisio/ Lorella Bosco Seit der Veröffentlichung von Eduard Saids einschlägigem Buch Orientalism (1978) ist der Terminus „Orientalismus“ zu einem der zugleich am kontroversesten diskutierten und am meisten verwendeten Begriffe auf dem Feld der Geistes- und Sozialwissenschaften avanciert. Er hat zudem weitere Entwicklungen im Bereich der Kolonialen und Postkolonialen Studien eingeleitet und zu einer Horizonterweiterung der Geisteswissenschaften beigetragen. In Anlehnung an Foucaults Theorien versteht Said unter ,Orientalismus‘ den europäischen Orientdiskurs, „a set of representative figures, or tropes“, 1 welcher mithilfe ideologischer Konstruktionen die politische und kulturelle Autorität der westlichen Mächte über die als subaltern eingestufte orientalische Welt instituiert und verstärkt hat. Orientalismus, als Ergebnis westlicher Wissensproduktion über den Orient, bringt einen ,orientalisierten‘ Orient 2 hervor, welcher als das Andere schlechthin geschildert wird. Darüber hinaus betont Said, dass die Entwicklung der Wissenschaften im Westen mit der Konstruktion des ,Orientalen‘ und des ,Orientalischen‘ eng einhergeht, zumal das Wort ,Orientalismus‘ ursprünglich das philologisch fundierte Studium der „orientalischen“ Sprachen (Arabisch, Chinesisch, Hindustani, Japanisch, Persisch und Türkisch u. a.) bezeichnete. Man denke etwa - im Hinblick darauf - an die sprachwissenschaftlichen Wurzeln des sich im Laufe des 19. Jahrhunderts allmählich etablierenden „arischen Mythos“. 3 Saids Thesen einer für das westliche Denken charakteristischen grundlegenden Dichotomie zwischen Orient und Okzident, zwischen einem orientalischen Objekt und einem beherrschenden westlichen Subjekt, haben eine breite Debatte angeregt und Kritiken hervorgerufen. Der Haupteinwand bestand in der theoretisch-methodischen Unschärfe von Saids Ausführungen, welche nicht 1 Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 1995, S. 71. 2 Vgl. ebd., S. 5. 3 Vgl. dazu Maurice Olender: Le langues du paradis. Aryens et Sémites, un couple providentiel, Paris 1989. 10 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco selten auf essentialistische und eurozentrische Positionen verfallen. Man warf Said vor allem die ungenügende Kenntnis der marxistischen Philosophie und die nicht immer stringente Einbettung von Foucaults und Gramscis Gedanken in das theoretische Gerüst seines Buches vor. Auch die Gender-Implikationen des Orientalismus-Diskurses sind bei ihm weitgehend ausgeblendet. 4 In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Saids Thesen, vor allem im Hinblick auf die deutsche Orientalistik des 18. Jahrhunderts, bemerkt Katherine Arens deshalb: Said’s Orientalism is thus an Orientalizing methodological fantasy, just as it is a map of a particular imaginary European colonialism. He takes Arab/ Islamic and Christian cultural blocks as monolithic; he ignores the ways in which the material practice and dissemination of institutionalized knowledge bases vary, across history and across national lines; and he rejects any notion that local everyday practices might impact blanket Orientalist attitudes. His is a world without stable bilingualism, competing class, gender, and ethnic positions within the nationalist identity, pilgrimages, crusades, business trips, and beneficial relationships across block lines. 5 Einwände kamen vor allem aus dem Lager von Intellektuellen und Wissenschaftlern aus den einst ‚subalternen‘ Ländern. 6 Homi K. Bhabha z. B. hat an Saids postkoloniales Paradigma angesetzt und es revidiert. Er greift auf strukturalistische Philosophie, auf Semiotik und Psychoanalyse zurück, um die Starrheit von Saids Dichotomien durch den zentralen Begriff der kulturellen Differenz zu lockern und den Blick stattdessen auf die Aushandlungsprozesse zwischen den Kulturen zu lenken. Sie finden nicht nur an den Peripherien, sondern schon immer im Zentrum statt. Differenzen betreffen also zugleich das Außen und das Innen von Kulturen und Subjekten, sie trennen und verbinden gleichzeitig, indem sie die Grenzen zwischen Fremdem und Vertrautem ständig verschieben, neu definieren, anders setzen oder gar unterlaufen. Darüber hinaus beschreibt Bhabha ein „in-between“ oder „third space“ innerhalb der und zwischen den Kulturen und Individuen, wo Identitäten und Positionen in 4 Vgl. Gayatri Chakravorty Spivak: Can the Subaltern Speak? , in: Cary Nelson/ Lawrence Grossberg (ed. by): Marxism and the Interpretation of Culture, Basingstoke 1988, S. 271- 313, hier vor allem S. 284f. 5 Katherine Arens: Said’s Colonial Fantasies: How „Orientalism“ Marginalizes Eighteenth-Century Germans, in: Herder Jahrbuch/ Herder Yearbook 7 (2004), S. 11-29, hier-22. 6 Vgl. u. a. Robert J. C. Young: Postcolonialism: An Historical Introduction, Oxford 2011, S. 383-394; s. auch den orthodoxen indischen Marxisten Ajaz Ahmad: In Theory: Classes, Nations, Literatures, London/ New York 1992, S. 159-219; ferner John M. MacKenzie: Orientalismus. History, Theory and the Arts, Manchester/ New York 1995, S. 1-42. Zu Said und Foucault s. auch Timothy A. Brennan: The Illusion of a Future: „Orientalism“ as a Traveling Theory, in: Critical Inquiry 26 (2000), S. 558-583. Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur 11 einem ständigen und ununterbrochenen Verhandlungsprozess hervorgebracht und modelliert werden. 7 The concept of cultural difference focuses on the problem of the ambivalence of cultural authority: the attempt to dominate in the name of a cultural supremacy which is itself produced only in the moment of differentiation. […] Cultures are never unitary in themselves, nor simply dualistic in the relation of Self to Other. 8 Bhabha hat dabei das Konzept von „kultureller Hybridität“ 9 herausgearbeitet, welches sich jeder hegemonialen Denkkategorie und jedem Versuch, die orientalischen Kulturen zu definieren und zu kontrollieren, entzieht. Der Begriff bezeichnet die prozessuale und schöpferische Transformation von Identitäten und die Neubesetzung von eindeutig kodierten, hegemonischen Zuordnungen, die auf diese Weise polysemische, ambivalente, widersprüchliche Zeichen hervorbringen. Diese Strategie der Veruneindeutigung stellt insofern einen Gegenentwurf zu Saids binärer Denkstruktur dar, als sie auf beiden Seiten wirksam wird, sie betrifft also sowohl die Kolonisatoren als auch die Kolonisierten. Durch die Entwicklung von Mimikry-Strategien können die ,Orientalen‘ zudem koloniale Herrschaftsstrukturen subversiv und erfolgreich unterwandern. Bhabha bringt dieses Verfahren auf die Formel „the ambivalence of mimicry, always the same, but not quite […] almost the same but not white .“ 10 In seinem Buch hatte Said außerdem bestritten, dass Deutschland - aufgrund der bis zur Reichsgründung andauernden politischen Fragmentierung - eine mit dem britischen oder französischen Orientalismus vergleichbare Rolle gespielt hätte. Said hatte zwar erkannt, dass deutsche Wissenschaftler und Orientforscher zur Etablierung der Orientalistik und letztendlich eines Orientalismus-Diskurses maßgeblich beigetragen hatten, ohne jedoch auf ihre Arbeit und ihre Spezifizität näher einzugehen. Unter den Wissenschaftlern, die Saids Thesen weiterentwickelt oder zurechtgewiesen haben, findet sich auch Susanne Marchand mit ihrem 2009 veröffentlichten Buch German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship. 11 Dieses Buch ergänzt Saids Studie, indem es unterstreicht, wie deutsche Wissenschaftler zur Wiederentdeckung und zum Studium der orientalischen Literatur und Philosophie beigetragen haben, obwohl sie von Vorurteilen und imperialistischen Interessen nicht frei waren. Marchand schreibt: 7 Vgl. Homi K. Bhabha: The Location of Culture, London/ New York 1994, S. 2. 8 Ebd., S. 34ff. passim . 9 Ebd., S. 4. 10 Ebd., S. 86, 89. 11 Susanne Marchand: German Orientalism in the Age of Empire. Religion, Race and Scholarship, Cambridge 2009, S. xx. 12 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco We need […] a synthetic and critical history, one that assesses oriental scholarship’s contributions to imperialism, racism, and modern anti-Semitism, but one that also shows how modern orientalism has furnished at least some of the tools necessary for constructing the post-imperialist worldviews we cultivate today. 12 Marchand konzentriert sich in ihrem Buch auf einige der prominentesten deutschen ,Orientalisten‘, z. B. Heymann Steinthal, Max Müller, Carl Heinrich Becker, Ignaz Goldziher, Carl Brockelmann, Theodor Noldeke, deren Werke und Tätigkeit Saids Thesen widersprechen. Sie stellt klar, dass in ihrem Buch der Begriff „Orientalismus“ beschrieben und definiert wird als: a set of practices, practices that were bound up with the Central European institutional settings in which the sustained and serious study of the languages, histories, and cultures of Asia took place. Many, but by no means all, of the scholars treated in this book actually did call themselves “orientalists” - some would have described themselves as theologians, classicists, historians, geographers, archaeologists, or art historians. 13 Obwohl Deutschland bis in die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts hinein von den politischen und imperialistischen Auswirkungen des Orientalismus weitgehend ausgeschlossen blieb, waren die deutsche Wissenschaft und Philologie an der Hervorbringung eines Wortschatzes, eines Wissens und eines hegemonialen Denkens über den Forschungsgegenstand ,Orient‘ beteiligt. Methoden und Ergebnisse der deutschen Wissenschaft trugen zur Etablierung kolonialer Machtverhältnisse erheblich bei. Im deutschsprachigen Raum haben Wissenschaftler deshalb auf Saids zugleich einengende und verallgemeinernde Verwendung des Begriffs ,Europa‘ verwiesen, der bei ihm mit Großbritannien oder Frankreich gleichzusetzen ist, 14 und ihm die Ausblendung der Orientalistik im 18. Jahrhundert („insensitivity to eventual differences between eighteenthand nineteenth-century scholarship and nation-states“) 15 vorgeworfen, die ja andere Fragestellungen aufwirft und einen ausdifferenzierteren Zugang erfordert. Diese Kritik trifft teilweise auch auf Susanne Zantops Konzept der colonial fantasies 16 zu, das im Wesentlichen Saids Thesen - vor allem im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen einem manifesten und einem latenten 12 Ebd., S. xxiii 13 Ebd., S. xxiii. 14 Vgl. John M. Efron: Orientalism and the Jewish Historical Gaze, in: Ivan D. Kalmar/ Derek J. Penslar (ed. by): Orientalism and the Jews, Hanover/ London 2005, S. 80-93. 15 Arens: Said’s Colonial Fantasies, S. 25. 16 Vgl. Susanne Zantop: Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770-1870), Berlin 1999. Orientalismus - zu teilen scheint. 17 In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit Saids Orientalismus-Theorien hat Andrea Polaschegg 2005 deshalb den Begriff eines „anderen Orientalismus“ geprägt. Ihr zufolge habe Said seine Thesen, die fast ausschließlich aus der Erforschung der englischen und französischen Kultur- und Wissensschaftslandschaft zwischen dem 18. und dem 19. Jahrhundert hervorgehen, auf das gesamte Spektrum der westlichen Beziehungen mit dem Orient angewandt. Die deutsche Literatur- und Kulturgeschichte scheint jedoch seinem Konzept nicht zu entsprechen. Autoren wie Wieland, Herder, Voss, Hammer-Purgstall, Goethe, Platen, Rückert oder Hauff weisen eine „deutsch-morgenländische Imagination“ auf, deren Regeln sich durch eine nicht hegemonisch geprägte Auseinandersetzung mit dem in seiner Eigenheit anerkannten Orient auszeichnen und zu einer produktiven Anverwandlung und Übersetzung von Texten aus nicht westlichen Kulturen führen. 18 Konstruiert wird auf diese Weise nicht nur das Fremde, sondern auch das Eigene. Die kritischen Revisionen, denen der Orientalismus-Begriff in seiner ursprünglichen Prägung durch Said und die postkoloniale Kritik unterzogen worden ist, haben einen nachhaltigen Einfluss nicht nur auf die Erforschung der Beziehungen zwischen Osten und Westen ausgeübt. Sie haben seinen ausdifferenzierteren Zugang zum Verständnis der Beziehungen zwischen Mehrheiten und Minderheiten in unterschiedlichen Ländern und politisch-gesellschaftlichen Kontexten ermöglicht. Gerade im Hinblich auf das, was Ulrike Brunotte, Anna-Dorothea Ludewig und Axel Stähler den deutschen „colonial exceptionalism“ 19 nennen, gilt es, den Blick auf die Verflechtungen zwischen den politischen und ökonomischen Aspekten des Kolonialismus und der Wahrnehmung des Fremden sowohl außerhalb als auch innerhalb nationaler und kultureller Grenzen zu lenken. Hier kommt man an den Knotenpunkt von Orientalismus- und Antisemitismusdiskursen, auf den auch Said in seinem Vorwort zu Orientalism verwiesen hat. 20 Vor allem in den USA sind die Jewish Studies vor dem Hintergrund der Multikulturalismusdebatte diesen Verflechtungen nachgegangen und haben ihre Auswirkungen auf die Entwicklung zionistischer Diskurse und auf die Bildung des Staats Israel erforscht. Susannah Heschel hat beispielweise 17 Vgl. Arens: Said’s Colonial Fantasies, S. 23ff. 18 Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin/ New York 2005, insbesondere S. 1-59. 19 Ulrike Brunotte/ Anna-Dorothea Ludewig/ Axel Stähler (ed. by): Orientalism, Gender and the Jews: Literary and Artistic Transformations of European National Discourses, Berlin/ Munich/ Boston 2015, S. 1-16, hier S. 2. 20 Vgl. Said: Orientalism, S. 27: „I have found myself writing the history of a strange, secret sharer of Western anti-Semitism. That anti-Semitism and […] Orientalism resemble each other very closely is a historical, cultural, and political truth that needs only to be mentioned to an Arab Palestinian for its irony to be perfectly understood.“ Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur 13 14 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco behauptet: „although the Jews did not constitute a territory colony of Europe, they formed an internal colony within Europe, under the domination of christian powers.“ 21 Aufgrund ihrer weit zurückliegenden orientalischen Wurzeln wurden Juden häufig (nicht immer im positiven Sinn) als Orientalen bezeichnet und verwendeten nicht selten diese Benennung als Selbstdefinition. Bedenkt man außerdem die Rolle der jüdischen Minderheiten innerhalb der deutschsprachigen Länder, scheint es von Belang, die Bedeutung von ,Orient‘ und ,Orientalismus‘ sowohl als theoretisch-wissenschaftliche Begriffe als auch als Leitbilder der deutsch-jüdischen Beziehungen zu hinterfragen und die Rolle zu analysieren, welche sie in der Selbstdefinition der jüdischen Minderheit spielten. So hat etwa die Historikerin Shulamit Volkov die Spezifizität des jüdischen Lebens im deutschsprachigen Raum vor dem Zweiten Weltkrieg als einen „dritten Raum“ zwischen der Loyalität zur eigenen Tradition und Kultur und der Sehnsucht nach Integration in die Mehrheitkultur aufgefasst: „Die meisten von ihnen [den Juden, scil. ] lebten in einer dritten Sphäre, die sich während des Jahrhunderts langsam entwickelte. Sie lebten in ihrem eigenen deutsch-jüdischen Kultursystem […], vertraten eine Vielzahl widerstreitender ideologischer Positionen und versuchten, eine gemeinsame jüdische Tradition zu konstruieren.“ 22 In diesem Raum verkörpern Juden die ambivalente Rolle der Kolonisierten und der Kolonisierer, der insiders und der outsiders zugleich. 23 Sie werden vom zeitgenössischen Diskurs über den ,Orient‘ und den ,Orientalen‘ beeinflusst und gehen affirmativ oder ablehnend damit um. Auf mehr oder weniger tiefgreifende Weise interiorisierten Juden die stereotypischen Bilder, Vorurteile und Klischees ihrer Umgebung und setzten sich damit auseinander. 24 Im Hinblick darauf nehmen die Werke deutscher Orientalisten jüdischer Herkunft, deren Leistungen Said in seinem Werk kaum würdigt, einen Stellenwert ein. Erst mit der Entstehung und Etablierung einer Wissenschaft des Judentums im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurden die in der deutschen Orientalistik zum Stereotyp geronnenen Vorstellungen des Orients neu thematisiert und hinterfragt. Zu dieser Zeit eröffneten deutsch-jüdische Intellektuelle und Wissenschaftler, die gleichzeitig Hebräisch, Arabisch und selbstverständlich Deutsch beherrschten, neue Perspektiven auf den Orient und insbesondere 21 Susannah Heschel: Jewish Studies as Counterhistory, in: Dies./ David Biale/ Michael Galchinsky (ed. by): American Jews and Multiculturalism, Berkeley/ Los Angeles/ London 1998, S. 101-115, hier S. 101. 22 Shulamit Volkov: Das jüdische Projekt der Moderne. Zehn Essays, München 2001, S. 123. 23 Vgl. dazu Achim Rohde: Asians in Europe. Reading German-Jewish History through a Postcolonial Lens, in: Brunotte/ Ludewig/ Stähler (ed. by): Orientalism, Gender and the Jews, S. 17-32, hier S. 32. 24 Vgl. dazu Sander Gilmans Arbeiten: Jewish Self-Hatred. Antisemitism and the Hidden Language of the Jews, Baltimora/ London 1986; The Jew’s Body, London/ New York 1991. auf den kulturellen Austausch zwischen dem Osten und Westen, vor allem im Hinblick auf die wechselseitigen Einflüsse zwischen beiden Welten im Mittelmeerraum. Sie propagierten ein meist positiv besetztes Bild des Orients. Angesichts des prekären Status deutsch-jüdischer Gelehrten und Wissenschaftler an deutschen Universitäten, entschieden sich einige von ihnen für die Emigration nach Frankreich, wo sie günstigere Arbeitsbedingungen fanden. 25 Ihnen ist die Etablierung der Jüdischen Studien als eigenständiges Fach an den europäischen Universitäten zu verdanken. Dieses Projekt, das 1818 mit der Gründung des Vereins für die Wissenschaft des Judentums von Leopold Zunz initiiert wurde, wurde zunächst von Zunz selbst und dann von Salomon Munk in Frankreich fortgesetzt. Für Zunz und seine Schüler und Mitgründer der Wissenschaft des Judentums stellte jede Manifestation jüdischen Lebens und jüdischer Kultur den Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung dar. Linguistik und Komparatistik, Philologie, Geschichte, Archäologie und Philosophie bildeten das Instrumentarium, mit dessen Hilfe die deutsch-jüdischen Gelehrten ihre Ziele realisieren wollten. Nach der Gründung des Vereins konzipierte Zunz gemeinsam mit Abraham Geiger und Eduard Gans das Projekt einer Reihe von kommentierten Übersetzungen jüdischer und arabischer Texte in die jeweiligen europäischen Zielsprachen (Deutsch und Französisch). Salomon Munk war z. B. derjenige, der die erste Übersetzung von Maimonides’ Führer der Unschlüssigen aus dem judäoarabischen Original ins Französiche anfertigte. Seine Übertragung bildet - neben Ibn Tibbons hebräischer Übersetzung - bis heute einen durchaus wichtigen Bezugstext zu einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Maimonides. In vieler Hinsicht leisteten deutsch-jüdische Wissenschaftler Pionierarbeit, indem sie nicht nur die wichtigsten religiösen und philosophischen Strömungen innerhalb des Judentums und des Islams untersuchten, sondern auch auf die Beziehungen dieser Strömungen zu christlichen Denktraditionen eingingen. Ziel des vorliegenden Bandes ist es, der Vielfalt der deutsch-jüdischen Auseinandersetzung mit den Orient- und Orientalismusdiskursen im 19. und 20. Jahrhundert in einer fachübergreifenden Perspektive auf die Spur zu kommen. Deutsch-jüdische Intellektuelle hinterfragten die Grenzen zwischen orientalischer und westlicher Kultur und situierten sich an der Schnittstelle von linguistischen, ethnischen und nationalen Identitäten. Ihre Perspektive dynamisierte herkömmliche, in Dichotomisierungen gesetzte nationale Grenzziehungen. Der vorliegende Sammelband vereint zwanzig Beiträge. Ihre Reihenfolge richtet sich nach der Chronologie der behandelten Themen. Der Band setzt mit Dominique Bourels (Paris) Beitrag zur Geschichte der deutsch-jüdischen Orientalistik ein. Er erläutert dabei die Rolle, die deutsch-jüdische Intellektuel- 25 S. dazu den Beitrag von Dominique Bourel in diesem Band. Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur 15 16 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco le im Umkreis der Wissenschaft des Judentums bei der Herausbildung einer eigenständigen, vom Studium der klassischen Philologie unabhängigen Wissenschaft der orientalischen Sprachen und Kulturen spielten. Er hebt dabei auch den Beitrag hervor, den deutsch-jüdische Wissenschaftler (Derenbourg, Oppert, Munk, um nur einige Beispiele zu nennen) im Kulturtransfer zwischen Deutschland und Frankreich leisteten. Deutsch-jüdische Orientalisten (Horovitz, Weil) spielten ebenfalls eine bedeutende Rolle bei der Etablierung ihres Faches an den Hochschulen in Palästina und später in Israel. Anknüpfend an Bourels Schilderung der deutsch-jüdischen Orientalistik geht Chiara Adorisio (Rom) auf das Werk von Salomon Munk (1803-1867) ein, der Anfang des 19. Jahrhunderts nach Paris auswanderte, um dort seine Studien fortzusetzen. Er zählt zu den interessantesten, zugleich aber auch am meisten vernachlässigten deutsch-jüdischen Orientalisten und Philosophiehistorikern. Mit seinen Entdeckungen im Bereich der Geschichte der jüdischen und islamischen Philosophie des Mittelalters hat Munk nicht nur einem neuen Forschungsgebiet den Weg gebahnt, sondern auch die deutsche und französische Philosophiegeschichtsschreibung beeinflusst und zudem den Orientalismus seiner Epoche kritisiert, indem er auf der Grundlage einer genauen philologischen Kenntnis der mittelalterlichen Quellen des jüdischen, islamischen und christlichen Denkens die Kategorien ,Orient‘ und ,Okzident‘ neu überdacht hat. Michael Engel (Hamburg) diskutiert den Fall der unglücklichen Rezeptionsgeschichte von Eljia del Medigo. Die moderne Geschichtsforschung habe ihn bloß als rationalistischen Philosophen und Vorläufer der modernen Vernunftauffassung verstanden, dabei sei er in seiner Komplexität als ein auch an kabbalistischen und mystischen Quellen des jüdischen Mittelalters interessierter Philosoph kaum erfasst worden. Maria Carolina Fois (Triest) und Mauro Ponzis (Rom) Beiträge arbeiten die vielfältigen Darstellungen sowohl des nahen als auch des europäischen Ostens in der deutsch-jüdischen Literatur des 19. Jahrhunderts heraus. Foi untersucht Heines ,west-östliche‘ literarische Experimente, die zwischen 1821 und 1824 im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Arbeit des Vereins für Cultur und Wissenschaft des Judentums und mit den ersten Forschungsergebnissen der Wissenschaft des Judentums entstanden. Sie lenkt dabei das Augenmerk auf Heines west-östliche Verschiebungsprozesse und auf das Hybridisierungsverfahren von romantischen Themen und Motiven, die in Heines Frühwerk - vor allem in Über Polen und in Der Rabbi von Bacherach - ihre Entfaltung finden. Ein wichtiger Aspekt von Heines Konfrontation mit dem Judentum sei dabei die Auseinandersetzung mit den Ostjuden. Von Heines Werk ausgehend präsentiert Mauro Ponzi das Werk von Leopold Zunz, dem Gründer des Vereins für die Wissenschaft des Judentums, als Versuch der Selbstfindung im Spannungsfeld von Bewusstsein um die eigene jüdische Identität und Assimilation. Mit ihrer Forschungsarbeit hätten deutsch-jüdische Intellektuelle im Umkreis der Wissenschaft des Judentums das nationalistische Postulat der Reinheit der Kultur in Frage gestellt und stattdessen auf die kulturellen Zwischenräume und Hybridisierungsprozesse aufmerksam gemacht, wie es vor allem bei Heine ersichtlich wird. In Marina Foschi Alberts (Pisa) Essay geht es hingegen um eine bedeutende Facette der vielfältigen Auseinandersetzung mit dem Orient im 19. Jahrhundert, nämlich um Friedrich Rückerts Übersetzung orientalischer Texte ins Deutsche. Seine Übertragungen, die den ,orientalistischen‘, exotischen Erwartungen des damaligen Publikums nicht entsprachen, versuchten, die deutsche Sprache durch die Übernahme fremdsprachlicher Konstruktionen zu bereichern, wie Foschi vor allem am Beispiel sanskritischer Wortverbindungen zeigt. Kathrin Wittler (Berlin) untersucht die Bedeutung deutsch-jüdischer Anthologien orientalischer Dichtung - vor allem Heimann Jolowiczs Polyglotte der orientalischen Poesie (1853), Blüthenkranz morgenländischer Dichtung (1860); Ludwig August Frankls Libanon. Ein poetisches Familienbuch (1855) - bei der Vermittlung jüdischer literarischer Texte an ein breites Publikum und bei ihrer Einbettung in den deutschsprachigen Kanon. Sie analysiert ferner die diskurspolitische Dimension dieser Textsammlungen, die auch durch ihre Aufmachung und Ausstattung die jüdische literarische Überlieferung zwischen Osten und Westen verorten. Die mittleren Beiträge des Sammelbandes befassen sich mit weiteren Aspekten des deutsch-jüdischen Orientalismus, vor allem im Hinblick auf den aufkommenden Zionismus und auf den Kulturzionismus. Roberta Ascarelli (Rom) bettet ihre Lektüre von Theodor Herzls Roman Altneuland in die Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung des Zionismus auf europäischer und deutschsprachiger Ebene ein. Sie betont zudem Herzls Desinteresse am Exotismus und seine folgenreiche Unterschätzung der arabischen Frage. An der Rezeption der Figur des Shabbatai Zewi im Roman zeige sich außerdem, wie der anfängliche Erfolg des falschen Messias allein auf die Sehnsucht des jüdischen Volkes nach einer Erlösung zurückzuführen sei, die erst durch den Zionismus konkrete Gestalt annehmen könne. Doerte Bischoff (Hamburg) setzt sich mit dem essaystischen Werk Jakob Wassermanns und dessen scharfem Bewusstsein um die ambivalente Stellung des Juden, vor allem des jüdischen Schriftstellers, in der Moderne auseinander. Durch das Konzept des „Juden als Orientalen“ plädiere Wassermann für ein diasporisches Verständnis des westlichen Judentums als Widerstandsform gegen die Rhetorik der Assimilation einerseits und des Nationalismus andererseits. Anhand der Erfindung des authentischen Juden als Orientalen schildert Massimiliano De Villa (Rom) die Beziehung zwischen Orientalismus und Judentum im deutschen Kulturzionismus und fokussiert dabei vor allem auf Martin Bubers Mythos des Ostjudentums und auf Else Lasker-Schülers Orients- Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur 17 18 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco bild in den Hebräischen Balladen . Im Rahmen des ästhetischen Programms einer jüdischen Renaissance am Anfang des 20. Jahrhunderts erscheinen sowohl der Jude als Orientale als auch der biblische Jude als positive Gegenentwürfe zu den zeitgenössischen deutschen Juden, sie weisen aber zugleich auch auf das Spannungsfeld zwischen Faktualität und Fiktionalität, Wirklichkeit der deutsch-jüdischen Beziehungen und deren symbolischer Überhöhung hin. Else Lasker-Schülers Orientalismus widmet sich ebenfalls Christine Kanz (Linz). Sie erläutert in ihrem Beitrag die Abgrenzungsstrategien (nicht zuletzt die orientalisierenden Ich-Figurationen) der Erzählerin in Mein Herz . Lasker-Schüler hebe ihre Andersheit und Fremdheit bewusst hervor, um ihre Identität als Frau, Jüdin und avantgardistische Künstlerin neu zu definieren. Es gehe dabei vorwiegend um einen strategischen und inszenatorischen Orientalismus, der sich zwischen verschiedenen heterogenen kulturellen Identitäten positioniert. Mark H. Gelber (Negev) spürt die Positionierung der Prager Kulturzionisten (Buber, Bergmann, Brod, Kohn) im Hinblick auf die Araberfrage und auf deren Lösungsmöglichkeiten nach und unterstreicht damit die Bedeutung von Kafkas Erzählung Schakale und Araber , die auf diesen Hintergrund vielfach Bezug nimmt. Gabriele Guerra (Rom) knüpft an Mark Gelber unmittelbar an und untersucht dabei die Reterritorialisierung des Symbolischen in der schon zitierten Erzählung Kafkas Schakale und Araber . Der Text verweigere jede eindeutige politische Lesart, denn Schakale ließen sich - aufgrund ihrer symbolischen Besetzung im alten Ägypten - nur teilweise mit den Juden identifizieren. Die Erzählung stelle zugleich eine Parodie pseudomessianischer Erwartungen dar. Lorella Bosco (Bari) widmet sich in ihrem Beitrag Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim . Sie zeigt, wie De Vriendts Positionierung zwischen Juden, Arabern und Engländern, Orient und Okzident mithilfe binärer Kategorien nicht beizukommen ist. Die Ambivalenz des Helden überträgt sich auf die Schilderung der Stadt Jerusalem, die Fremdheit und Zugehörigkeit zugleich verkörpert. Jerusalem erscheint als hybrider Ort, in dem nationale, ethnische, kulturelle, religiöse und nicht zuletzt geschlechtliche Kodierungen ins Wanken geraten. Giuliano Lozzi (Rom) untersucht Margarete Susmans Positionierung innerhalb des Kulturzionismus - ausgehend von Vom Sinn der Liebe und Spinoza und das Weltgefühl bis zum Buch Hiobs und das Schicksal des jüdischen Volkes . Dabei hebt er hervor, wie sich Susmans Zionismus, in seinem Versuch, Differenzen produktiv zu verarbeiten, von Herzls Konzept distanziert und stattdessen auf eine Auffassung von Staat und Nation abzielt, die auf der Gemeinschaft der Seele und auf dem Monotheismus ruht. Zwei weitere Beiträge setzten sich mit dem Thema Orientalismus und Prophetie auseinander. Vivian Liska (Antwerpen) greift Blanchots Auffassung der prophetischen Rede in La parole prophétique auf, um - vor allem anhand von Else Lasker-Schülers Werk - den Zusammenhang zwischen Prophetie, Orient, Krise (vor allem Sprachkrise) einerseits und der Suche nach neuen dichterischen Ausdrucksformen in der Moderne zu erläutern. Liska unterscheidet zwischen einer nicht-jüdischen Moderne (George, Nietzsche, Ball), die sich an das Vorbild des poeta vates anlehnt, und einer jüdischen (Ehrenstein, Mynona, Lasker-Schüler), die den Dichter als biblischen Propheten und Apokalyptiker stilisiert. An die Funktion der prophetischen Rede in der Moderne knüpft auch Eva Kocziszky (Veszprém) an. Sie stellt Yvan Golls prophetischen Gestus ins Zentrum ihres Beitrags. Ausgehend von der Feststellung des unaufhaltsamen Zerfalls Europas und der Erkaltung des jüdischen Lebens und der Welt, entwerfe Goll in seiner Lyrik ein universalistisches Konzept des Judentums, dessen Züge der Nomadismus, der Kosmopolitismus und die Verbindung mit dem Hellenismus und dem Katholizismus seien. Irene Kajon (Rom) argumentiert am Beispiel der Rezeption von Henri Pirennes 1937 posthum erschienenem Buch Mahomet et Charlemagne , wie die deutsch-jüdischen Intellektuellen während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts einen Kosmopolitismus entwickelten, der die Dichotomie zwischen Orient und Okzident in Frage stellte. Aby Warburg, Ernst Cassirer, Erwin Panofsky und Raymond Klibansky untersuchten deshalb vor allem Aspekte der westlichen Kultur, an denen die Üperlappungen zwischen Orient und Okzident besonders hervortraten. Die letzten zwei Beiträge gehen Aspekten des orientalistischen Diskurses nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoah auf die Spur. In ihrem Celan gewidmeten Beitrag verfolgt Camilla Miglio (Rom) einen geopoetischen Ansatz, um die semantische Vielschichtigkeit des Wortes ,Osten‘ bei Paul Celan auszuloten. Wie es sich besonders in den Briefen an die rumänischen Freunde zeigt, verwende Celan das Wort ,Osten‘ während seiner Pariser Jahre als Negation seiner westlichen politischen und kulturellen Umwelt, in der er sich nie heimatlich fühlte. Er habe deshalb - ähnlich wie Kafka oder Roth - einen inneneuropäischen Orientalismus entwickelt, dessen semantische und begriffliche Tragweite im Wort ,Ägypten‘ zur Sprache kommt. Ägypten bezeichne einen „A-Topos“, einen Zwischenraum, der sich weder mit ,Exil‘ noch mit ,Heimat‘ identifizieren lasse. Anhand von Elias Canettis Die Stimmen von Marrakesch legt Giulia A. Disanto überzeugend nah, wie Canettis Reise als Suche nach einem Ursprung zu verstehen ist, der mit den eigenen sephardischen Wurzeln eng verbunden ist. Sie sei deshalb von tiefen Ambivalenzen gezeichnet, weil Canettis jüdische Identität dem ,Westen‘ zuzuschreiben sei. Das stelle Saids West-Ost-Dichotomie in Frage, obwohl die Erzählstimme einen westlichen Standpunkt annimmt. Auch die Grenzziehung zwischen Fremdem und Eigenem beginne im Laufe der Reise zu bröckeln. Zwischen Orient und Europa. Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur 19 20 Chiara Adorisio/ Lorella Bosco Der vorliegende Band versammelt die Beiträge des Humboldt-Kollegs „Zwischen Orient und Europa: Orientalismus in der deutsch-jüdischen Kultur im 19. und 20. Jahrhundert“, das vom 3. bis 5. November 2016 am Istituto Italiano di Studi Germanici in Rom stattfand. An der Tagung nahmen HumboltianerInnen und andere AkademikerInnen aus Europa und aus Israel teil. Die Tagung wurde von den Herausgeberinnen organisiert. Die Vorbereitung und die Durchführung der Konferenz wären ohne die Unterstützung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung nicht möglich gewesen. Ihr gilt an dieser Stelle unser besonderer Dank. Unserem Gastgeber, dem Istituto Italiano di Studi Germanici, und dessen Leiterin, Prof. Dr. Roberta Ascarelli, sei ebenfalls herzlich gedankt. Ziel der Tagung war es, im Austausch der eingeladenen WissenschaftlerInnen - vom Orientalismusdiskurs ausgehend - das breite Spektrum und die Vielfalt deutsch-jüdischen Lebens im 19. und 20. Jahrhundert zu beleuchten und neue interdisziplinäre Perspektiven zu eröffnen. Bei der Herausgabe der Beiträge haben die Herausgeberinnen die drei Tagungssprachen (Deutsch, Englisch, Italienisch) bewusst beibehalten. Die Publikation dieses Buches wurde durch einen substantiellen Kostenzuschuss der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht, bei der wir uns auch dafür aufrichtig bedanken möchten. Bari/ Berlin/ Rom, Mai 2018 Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 1 Dominique Bourel Mohamed Arkoun in memoriam Die Frage nach der jüdischen Orientalistik ist seit etlichen Jahren akut geworden. Nicht jene Bewegung in der Malerei ist damit gemeint, die sich mit orientalischen Themen und Motiven auseinandersetzte, sondern die Geschichte der Orientforschung bei jüdischen Philologen, Philosophen oder Historikern. Unmittelbar nach der Entstehung der Wissenschaft des Judentums anfangs des 19. Jahrhunderts in Deutschland fragte Abraham Geiger 1833: Was hat Mohammed aus dem Judenthume genommen 2 . Seit Mitte des 19. Jahrhunderts haben jüdische Gelehrte ihre Aufmerksamkeit dem Islam gewidmet. Dazu gibt es verschiedene Gründe. Wir wissen, dass ein Großteil der jüdischen Geschichte auf islamischen Boden stattfand und auf Arabisch geschrieben wurde. Fromme 1 Vgl. zu diesem breiten Forschungsgebiet: -Robert Jütte: Die Emigration der deutschsprachigen ,Wissenschaft des Judentums‘. Die Auswanderung jüdischer Historiker nach Palästina 1933-1945, Stuttgart 1991; Julius Carlebach (Hg.): Wissenschaft des Judentums. Anfange der Judaistik in Europa , Darmstadt 1992; Martin Kramer (ed.): The Jewish Discovery of Islam. Studies in Honor of Bernard Lewis, Tel Aviv 1999; François Laplanche (dir.): Les sciences religieuses. Le XIXe siècle 1800-1914, Paris 1996; Sabine Mangold: Eine ,weltbürgerliche Wissenschaft‘. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004; Eva Telkes-Klein: L’Université hébraïque de Jérusalem à travers ses acteurs, Paris 2004; Michel Espagne: Itinéraires orientalistes entre France et Allemagne, Paris 2008 (in: Revue Germanique Internationale, vol. 7); Angelika Neuwirth und al. (Hg.): „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung , Würzburg 2008; Michel Espagne/ Perrine Simon-Nahum (Hg.): Passeurs d’Orient. Les Juifs dans l’orientalisme, Paris 2013. Absichtlich haben wir die Vortragsweise beibehalten. Die Sprache wurde von Dr. Lorella Bosco und von Julia Wachenfeld korrigiert, bei denen ich mich dafür herzlich bedanke. 2 Die Dissertation wurde in Marburg verteidigt, in Bonn gedruckt und preisgekrönt. Die zweite Ausgabe (Leipzig 1902) wurde von Josef Horovitz kritisiert. S. dazu Moshe Perlmanns: Prolegomenon des Nachdrucks (New York 1970, S. VII-XXVI). Ferner: Jacob Lassner, in: Kramer: Les sciences religieuses, S. 103-135, die zahlreichen Arbeiten von Susannah Heschel und das erste Kapitel in: Neuwirth: „Im vollen Licht der Geschichte“, S. 65-98. 22 Dominique Bourel Juden, die nicht Rabbiner werden wollten, fanden in der Islamwissenschaft eine neue Bildungsnische. Die Jungen, die Hebräisch konnten und an der Universität eine andersweitige klassische Bildung erhielten (Griechisch und Latein), hatten die beste Voraussetzung, gute Orientalisten zu werden. Wir werden unsere Ausführungen in zwei Teilen darstellen: In einem europäischen Teil mit Schwerpunkt Frankreich und einem zweiten Teil über Jerusalem. In beiden Fällen war die deutsche wissenschaftliche Bildung grundlegend, und die Wissenschaft des Judentums eng mit der Islamkunde verknüpft, was heute aus verschiedenen Gründen weniger der Fall ist. Deutsch-jüdische Orientalisten in Frankreich In Deutschland wurde die Arabistik im Rahmen der Semitistik unterrichtet. Da Deutschland keine Kolonien besaß, wurde die Kenntnis der arabischen Sprachen und Kunde zur rein akademischen Angelegenheit. In Frankreich waren die Bedingungen ganz unterschiedlich, weil seit 1830 Algerien ein Teil des Französischen Reiches und später der Republik wurde. Inzwischen kennen wir - dank der Bücher von Henry Laurens, Alain Messaoudi und François Pouillon 3 usw. - die Geschichte des französischen wissenschaftlichen Orientalismus ziemlich gut. Diese Studientradition wurde von Raymond Schwab mit seinem epochemachende Buch La renaissance orientale eingeleitet. 4 Man kann aber schon früh den wissenschaftlichen Austausch und die Konkurrenz zwischen Franzosen und Deutschen, Juden oder Nichtjuden beobachten. 5 Zu diesem institutionsgeschichtlichen Ausblick sollten wir hinzufügen, dass die Orientalistik in Deutschland meistens an den Universitäten vertreten war. In Frankreich wurde sie sowohl am Collège de France 6 als auch an der Ecole des langues Orientales 7 und dann an der École Pratique des Hautes Études (EPHE) nach dem deutschen Modell gegründet 8 und gelehrt. Da in Frankreich die Universität sich allmählich eher in eine Diplomfabrik entwickelte, war die EPHE als eine Institutionalisierung der angestrebten Harmonie zwischen Forschung und Lehre konzipiert, mit der berühmten Erfahrung der ,Seminare‘, die nicht als 3 Françoise Pouillon: Dictionnaire des orientalistes de langue française , Paris 2008. 4 Paris 1950 (Nachdruck 2008). 5 In Palästina/ Israel werden diese Fächer hingegen inmitten einer arabischsprechenden (christlichen und islamischen) Umwelt betrieben. 6 André Tuilier (Hg.): Histoire du Collège de France, Bd. I: La création, Paris 2006. 7 Pierre Labrousse (Hg.): Langues’ O 1795-1985. Deux siècles d’histoire de l’Ecole des langues orientales, Paris 1995. 8 Alain Messaoudi: Les études arabes et islamiques, in: Céline Trautmann-Waller (Hg.): De la philologie allemande à l’anthropologie française. Les sciences humaines à l’EPHE (1868-1945) , Paris 2017, S. 225-257. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 23 Vorlesungen konzipiert waren. Deswegen heißt die École - die in der Sorbonne beheimatet ist - pratique . Besonders nach dem Preußisch-Französischen Krieg, bei dem bekanntwerweise nicht nur die Armee, sondern auch die Lehrer ( instituteurs ) gewonnen hatten, wurde die École erweitert. Und dort fand man Juden aus Deutschland, die in ihrer Heimat keinen Platz erhalten hatten. 9 Heute noch ist die EPHE ein Ort, an dem die neuen Disziplinen Eingang in den Lehrbetrieb finden, bevor sie an der Universität anerkannt werden. In Frankreich wurde ein Teil der Orientalistik und der Wissenschaft des Judentums zum Schlachtfeld zwischen Franzosen und Deutschen, besser gesagt: zwischen Katholiken und Protestanten! Es fängt im Grunde genommen schon mit Antoine-Isaac Silvestre de Sacy (1758-1838) 10 an. Im Deutschland des 18. Jahrhunderts wurde die Entwicklung der Orientalistik in eine von den Bibelstudien emanzipierte Wissenschaft zur neuen Aufgabe des Faches. Allmählich emanzipierte sich die Arabistik von der Hebraïstik und der Theologie und dank mehrerer wissenschaftlicher Reisen, linguistischer Entdeckungen und des konsequenten Wissenszuwachses entstand ein neues Forschungsfeld. Der erste Aufsatz von Silvestre de Sacy wurde in Deutschland veröffentlicht, aber zu ihm strömten viele deutsche Orientalisten. Inzwischen hatte die französische Revolution die Juden emanzipiert. Preußen und andere deutsche Staaten wollten auch ähnliche Prozesse in die Wege leiten, änderten aber sehr schnell - besonders nach 1815 - den Kurs oder legten gar diesen Plan ad acta . Das erklärt die Masse deutscher Flüchtlinge, die nach Frankreich und besonders nach Paris kamen. Darunter befanden sich zahlreiche Juden. Im Rahmen der Transfer-Studien 11 sind bereits viele Publikationen zu diesem Thema entstanden. Selbstverständlich bleibt es für die Orientalisten nach wie vor von großer Bedeutung. Um die Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Forschungsmentalität besser zu veranschaulichen, auf welche die ausgewanderten Wissenschaftler stießen, werde ich nun ein Beispiel aus einem anderen Bereich, der Philosophie, anführen. Es betrifft Kant. Wilhelm von Humboldt, der damals in Paris weilte, hatte mit den besten Köpfen der französischen Philosophie diskutieren wollen. Also wurde er kurzerhand zu einem Gespräch eingeladen: Am 17. Mai 1798 fand sein erstes metaphysisches Gespräch mit Destutt de Tracy 9 Michel Espagne: Les Juifs allemands de Paris à l’époque de Heine. La translation ashkenase, Paris 1996. 10 Michel Espagne/ Pascale Rabault-Feuerhahn (Hg.): Silvestre de Sacy. Le projet européen d’une science orientaliste, Paris 2014. 11 So wird die von Michael Werner und Michel Espagne gegründete Forschungsgruppe bezeichnet, die heute noch in erweiterter Form an der École Normale Supérieure seine Arbeit fortsetzt. Michel Espagne: Les transferts culturels franco-allemands , Paris 1999. 24 Dominique Bourel statt, das dann am 27. Mai - anläßlich einer Methaphysik-Konferenz, zu der Tracy eingeladen wurde - seine Fortsetzung fand. Wilhelm von Humboldt sollte dabei einfach die deutsche Metaphysik darstellen. Sein Fazit war katastrophal! An Friedrich Schiller schrieb er am 23. Juni 1798 über die französischen wissenschaftlichen Gepflogenheiten: „Ihre Vernunft ist nicht unsere, ihr Raum ist nicht unser Raum, ihre Einbildungskraft nicht die unsrige.“ 12 Ich glaube auch, dass die für unsere Disziplin so relevanten Begriffe von Text, Urtext, Tradition, Wahrheit in Deutschland und in Frankreich eine unterschiedliche Bedeutung haben. Auch die Kataloganordnung in den Bibliotheken erteilte damals Aufschluss über die Benutzungweise, vor allem was den Standort von Bibelausgaben, Kommentaren und Übersetzungen betraf. Es ist klar, dass die Tradition der deutschen Philologie spezifische Merkmale aufweist. Auch die Universitäten, die Bibliotheken und die Seminare waren anders organisiert als die französischen. Zudem hatten die deutschen Juden eine doppelte Bildung genossen, eine, die aus dem deutschen Wissenschaftssystem stammte und eine andere, die von der traditionell jüdischen Erziehung geprägt war. Sie kamen nach Frankreich, weil dort keine Diskriminierung den Juden gegenüber im Universitätsbereich herrschte. Geboren in Deutschland oder in Osteuropa, waren sie zwei oder dreisprachig aufgewachsen, kamen manchmal direkt aus den Yeschivot, promovierten bei Theodor Mommsen, Ulrich von Wilamowitz Moellendorf, Leopold Ranke, und später bei Friedrich Meinecke. Da diese jungen hochbegabten Juden in Deutschland keine Zukunft hatten, überquerten sie den Rhein, wurden Deutschlehrer, manchmal Bibliotekare und dann schließlich Professoren, in der Provinz und erst dann in Paris und eventuell am Collège de France, das das höchste Ziel einer akademischen Karriere in Frankreich und Europa darstellte. Es sollen kurz an dieser Stelle vier Institutionen genannt werden, die eine sehr wichtige Rolle für die orientalistischen Studien gespielt haben. Das Collège de France, 13 das 1530 gegründet wurde, war mit Lehrstühlen für hebräische und arabische Sprache besonders ausgestattet, um gegen den religiösen und katholischen Einfluss der Sorbonne zu kämpfen. Die École Normale Supérieure (ENS) wurde 1794 im Zug der Französischen Revolution gegründet. Hier wurden die Spitzenschüler schon zwei oder drei Jahre nach dem Abitur rekrutiert. Da diese jungen Dozenten herrvoragend Griechich und Latein beherrschen mussten, war die deutsche Wissenschaft in ENS nicht nur präsent, sondern gar über- 12 Friedrich Clemens Ebrard (Hg.): Neue Briefe Wilhelm von Humboldts an Schiller 1796- 1803, Berlin 1911, S. 216. 13 Wolf Feuerhahn (Hg.): La politique des chaires au Collège de France, mit einem Vorwort von Antoine Compagnon, Paris 2017. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 25 repräsentiert. 14 Heute noch zeugt die Bibliothek von der Bedeutung der deutschen intellektuellen Präsenz. Die École Nationale des Langues Orientales ist auch ein Produkt der Französischen Revolution. Sie entstand in der Nachfolge der École des Jeunes de Langue 15 . Die Ecole Pratique des Hautes Etudes wurde 1866 gegründet, um ,Lehre und Forschung‘, das deutsche Modell humboldtscher Prägung, nach Frankreich zu importieren - gegen die strikt rhetorische (katholische) Art der Bildung, die sonst in der Sorbonne zu Hause war. Nach der Niederlage im Jahr 1870/ 71 wurde auch die EPHE eine Hochburg der deutschen Wissenschaften, an der Protestanten und Juden ungehindert lehren konnten. Sie werden sofort bemerken, dass die Beispiele, die ich erwähne, aus der deutsch-jüdischen Geistesgeschichte stammen. Es muss noch hinzugefügt werden, dass die jüdischen Gelehrten gar nicht proselitisch arbeiteten - im Gegenteil zu ihren christlichen Hebräistik-Kollegen. Das gilt auch für die Islamwissenschaft. Bernard Lewis hat schon vor Jahren von den „Pro-Islamic Jews“ geredet. 16 Sehen wir uns nun - kurz - ein paar Fälle näher an: Heinrich Weil (1818-1909) aus Frankfurt kam 1842 nach Frankreich. Als ein ehemaliger Schüler von Franz Bopp, August Böckh und Gottfried Hermann, hatte er in Leipzig promoviert, 1871-1891 unterrichtete er Griechisch am Tempel der Wissenschaft, an den ENS, nachdem er zuvor in Strasbourg und in Besançon gelehrt hatte. Dass er als Henri Weil auch in der EPHE zu Hause war, braucht nicht betont zu werden. Joseph Dernburg (1811-1895) hatte in Giessen, Marburg und Bonn studiert. 1844 wurde er Franzose, schrieb sich dann Derenbourg und unterrichtete Deutsch am Elitengymnasium Henri IV in Paris. Danach wurde er in der Imprimerie Nationale und 1852 in der Bibliothèque Nationale mit der Orientalistik vertraut. Mitglied des Institut de France (1871), bekam er 1877 einen Lehrstuhl für rabbinische Studien an der EPHE. Sein Sohn, Hartwig Derenbourg (1844-1908), ebenfalls als Arabist bekannt, machte in Frankreich auch eine glänzende Karriere. In Paris geboren, studierte in Göttingen und promovierte dort (1866). Er war Professor sowohl am Séminaire Israélite de France als auch an der EPHE. Er hat auch Thedor Nöldeke übersetzt. Julius Oppert (1825-1905) aus Hamburg studierte Jurisprudenz und orientalische Philosophie in Heidelberg und Bonn. Als er 22 Jahre alt war, las er schon Arabisch, Sanskrit und veröffentlichte seine ersten Abhandlungen über Persien. Ende 1847 kam er nach Frankreich. Er beteiligte sich an den Expeditionen in Mesopotamien, besonders in Mossoul 1852. 1854, 14 Michel Espagne/ Katharina Middell (Hg.): L’École Normale Supérieure et l’Allemagne, Leipzig 1995. 15 Vgl. dazu Labrousse: Langues’ O 1795-1985, und Dominique Bourel: La tradition savante aux Langues Orientales, in: François Azouvi (Hg.): L’Institution de la raison. La révolution culturelle des idéologues, Paris 1992, S. 151-161. 16 In: Judaism 4 (1968), S. 391-404. 26 Dominique Bourel zurück in Paris, ragte er als Epigraphist hervor. Seine Bücher, besonders die Einführungen, werden heute noch sehr geschätzt. 1848 unterrichtete er Deutsch in Laval, wurde Sanskritist, bekam 1874 den ersten Lehrstuhl für Assyriologie am Collège de France, 17 wo er seit 1869 lehrte - allerdings als Professor an der Königlichen Bibliothek, die einige Professuren, besonders für seltene Sprachen, förderte. 1881 wurde er Mitglied der Académie des Inscription et Belles-Lettres. Übrigens war Oppert als Gegenkandidat Renans am Collège de France tätig. Das berühmteste Beipiel aus der deutsch-französischen Wissenschaft des Judentums ist Salomon Munk. 18 Geboren in Glogau 1803, genoss er eine fromme religiöse Bildung. Student in Berlin, hörte er die Vorlesungen von Franz Bopp, August Böckh und Hegel. 1827 war er in Bonn, wo er Arabistik bei Georg Wilhelm Freytag und Sanskrit bei Christian Lassen studierte. Er hatte auch die Vorlesungen von Barthold Georg Niebuhr und August Wilhelm von Schlegel besucht. Da er Jude war, hatte er keine Aussichten in Deutschland. Es muss noch hinzugefügt werden, dass ein richtiger Lehrstuhl für Jüdische Studien weder in Deutschland noch irgendwoanders auf der Welt existierte. Der erste wurde 1925, parallel mit der Gründung der Hebräischen Universität, für Harry A. Wolfson in Harvard eingerichtet. 19 In Paris studierte Munk bei Antoine Isaac Silvestre de Sacy, wurde Privatlehrer bei der Familie Rothschild, befreundete sich mit Samuel Cahen, bekannt für seine Bibelübersetzung, sowie mit dem ungekrönten Papst der französischen Universität, Victor Cousin. Bekannt ist Munk für die Mélanges de philosophie juive et arabe (1857-1859). Er beschränkt sich nicht darauf, an der Bibliothèque Impériale zu arbeiten, sondern fährt ab 1838 mit Moses Montefiore und Adolphe Crémieux in den Orient vor dem Hintergrund der Damaskus Affäre, um Handschriften zu kaufen. Zu diesem Zeitpunkt erfolgt seine große bahnbrechende Entdeckung: Hinter dem Namen eines Philosophen namens Avicebron, Autor des Fons vitae , 20 sonst nur wegen einer lateinischen Übersetzung bekannt, verbarg sich der jüdische Denker und Poet Salomon ibn Gabirol (ca.1021-ca.1058) 21 . Wichtig ist Munk auch als Verfasser der ersten modernen, wissenschaftlichen Beschreibung des heiligen Landes, Palestine. Description géographique, historique et archéologique (1845). Seine Ausgabe 17 Dominique Charpin: Comment peut-on être assyriologue, Paris 2015. 18 Vor kurzem hat Chiara Adorisio einige seiner grundlegenden Aufsätze und eine Monographie über ihn veröffentlicht. Vgl. Chiara Adorisio: Dialectic of Separation. Judaism and Philosophy in the Works of Salomon Munk, Boston 2017 und selbsverständlich Perrine Simon-Nahum: La cité investie. La ‘science du judaïsme français’ et la République, Paris 1991. 19 Leo W. Schwarz: Wolfson of Harvard. Portrait of a Scholar, Philadelphia 1978. 20 Französische Übersetzung von Jacques Schlanger, Paris 1970 (Nachdruck 2015). 21 Jacques Schlanger: La philosophie d’ibn Gabirol, Leiden 1968 (Nachdruck Paris 2015). Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 27 und französische Übersetzung des Guide des égarés ( Führer der Verirrten ) wird heute noch benutzt. Als Renan seine Leçon inaugurale am 22. Febuar 1862 hielt, wurde er noch am selben Abend vom Dienst suspendiert! Er hatte nämlich Jesus als personne remarquable bezeichnet und war also der theologischen Frage ausgewichen. 22 Wer hätte nun sein Nachfolger werden können? Nach seiner erfolgreichen Bewerbung um die Stelle wurde Munk als Nachfolger ernannt. Es war unerhört, dass ein Jude, ein Deutscher noch dazu, auf den begehrtesten Lehrstuhl der Geschichte der Bibel berufen wurde! In der Jüdischen Zeitschrift für Wissenschaft und Leben wusste Abraham Geiger diese Tatsache angemessen zu würdigen. Als Munk am 5. Februar 1867 starb, stellte sich das Problem der Lehrstuhlbesetzung erneut. Auf der Liste möglicher Nachfolger findet sich wieder ein deutscher Jude, und zwar Joseph Derenbourg, Sohn des Mainzer Rabbiners Zvi Hirsch Dernburg! Renan wurde am Ende, am 17. November 1870, inmitten der 1870-Kriege, wieder auf seinen alten Lehrstuhl berufen. Als er im Oktober 1892 starb, musste seine Stelle erneut besetzt werden. Man nahm am Ende einen Protestanten, Philippe Berger, als ob dieser Lehrstuhl nur mit Außenseitern (d. h. mit Nicht-Katholikern) besetzt werden könnte. Es ist möglich, die Liste der deutschen Juden im akademischen Milieu ohne Schwierigkeiten um weitere Beispiele aus der Wissenschaftsgeschichte zu erweitern. Die Familie Darmstätter ist hier besonders zu erwähnen. Der Vater kam aus Frankfurt am Main und die Brüder haben sich in Frankreich vollständig integriert. Arsène Darmstätter war Professor für Französische Literatur an der Sorbonne und James unterrichtete Persisch an der EPHE und am Collège de France. Dasselbe trifft auch auf eine andere Familie aus Frankfurt zu: die Reinachs. Die sehr begabten Söhne wurden alle in Frankreich geboren: Joseph Reinach wurde als Politiker bekannt, Theodor hat Numismatik an Collège de France und Salomon Griechisch an der Sorbonne gelehrt! Ich schweige ganz von „französischen“ Musikern wie Jacques Offenbach und Giacomo Meyerbeer. In Frankreich ist diese untergründige deutsch-jüdische Tradition heute noch der Untersuchung wert. Es muss hinzugefügt werden, dass die Revue des Etudes juives (1880 gegründet) zahlreiche Beiträge aus der deutsch-jüdischen Wissenschaft druckte, mehr als die Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums Beiträge aus der Feder französischer Wissenschaftler veröffentlichte! 23 Aber auch Rabbiner und Gelehrte mit deutscher Bildung und 22 Henry Laurens (Hg.): Ernest Renan. La Science, la Religion, la République, Paris 2013. 23 Simon Mimouni/ Judith Olszowy-Schlanger (Hg.): Les Revues scientifiques d’études juives: Passé et avenir. A l’occasion du 120 e anniversaire de la Revue des Etudes Juives, Paris/ Louvain 2006. 28 Dominique Bourel Hintergrund wie Zadok Kahn (1839-1905), Israel Lévi (1856-1939), 24 Julien Weill und Maurice Liber hatten nicht nur ihre Dissertationen in Frankreich verfasst, sondern bekamen auch Lehrstühle an der École Pratique des Hautes Études. Nachfolger von Liber wurde der berühmte Georges Vajda, der aus Ungarn kam. Er unterrichtete sowohl an der EPHE als auch am Séminaire Israélite de France in Paris. Er wurde später der erste Professor für Hebräische Philosophie an der Sorbonne (Paris III). Deutsch-jüdische Orientalisten in Jerusalem Als die hebräische Universität im April 1925 in Jerusalem eröffnet wurde, war ein Institut für Jüdische Studien schon Ende 1924 gegründet worden. Da diese Universität eine sehr starke deutsche Tradition hatte, waren die deutschen Orientalisten gut vertreten und selbstverständlich deutsche (oder österreichische) Juden. Seit kurzer Zeit liegt uns eine vorzügliche Geschichte der Hebräischen Universität 25 in vier Bänden vor, die u. a. ein Kapitel über die Geschichte der Jüdischen Abteilung und der Orientalischen Abteilung aus der Feder von Menahem Milson enthält. 26 Die Jüdische Abteilung war „als Forschungszentrum über Judentum, jüdische Religion, hebräische und semitische Sprachen, Literatur, Geschichte, hebräisches Recht, Philosophie und andere Themen/ Aspekte in Beziehung mit der jüdischen Geschichte insgesamt und besonders Palästina“ konzipiert. Sie wurde am 22. Dezember 1924 in Anwesenheit der Professoren Jacob Epstein, Joseph Klausner, Samuel Klein eröffnet. Jacob Nahum Epstein (1878-1962) stammte aus Brest Litovsk (Brisk in Litauen), wo ihm eine ,klassische‘ Bildung ( Cheder usw.) zuteil wurde. Er besuchte die Cheder und Yeschiva in Mir und Vilna, das Rabbinische Seminar (1907) und die Universität in Wien (1911), studierte dann semitische Philologie, Philosophie und Geschichte in Bern, wo er seine Dissertation unter der Leitung von Karl Marti schrieb (1913). Er kam nach der Eröffnung der Hebräischen Universität im April 1925 in Jerusalem dorthin. Sein Lehrstuhl hieß: Talmudische Philosophie. 24 Evelyne Patlagean: Israel Levi. Le ravissement du messie à sa naissance et autre essais, Paris/ Louvain 1994. S. auch: Mélanges offerts à Israel Lévi par ses élèves et ses amis à l’occasion de son 70 e anniversaire , Paris 1926. 25 Hagid Lavsky et al. (eds.): The History of the Hebrew University of Jerusalem, Jerusalem 2004-2015 (der letzte, von Asaf Selzer herausgegebene Band ist in englischer Sprache übersetzt). 26 Ebenfalls in englischer Sprache verfasst ist: The Beginnings of Arabic and Islamic Studies at the Hebrew University of Jerusalem, in: Judaism 45 (1996), S. 169-183. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich bei Ofer Tzemach, dem Archivar der hebraïschen Universität, für seine Hilfe bedanken. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 29 Er wollte, dass die Universität ein Zentrum der Wissenschaft sei und sich auf gar keinen Fall in eine religiöse Einrichtung verwandele. Joseph Klausner (1874-1958) stammte auch aus Litauen, aus Olkeniki, im heutigen Russland. Er besuchte die Cheder , dann die Yeschiva bis zum Abitur am Gymnasium in Odessa. Ab 1897 studierte er Semitische Philologie und Sprache, Philosophie (bei Kuno Fischer) Geschichte und politische Wirtschaft (bei Max Weber) an der Universität Heidelberg bis zu seiner Dissertation (1902). Er kam 1919 nach Palästina. Schon vor seiner Auswanderung leitete er als Nachfolger von Achad Ha-Am die Zeitschrift Ha-Shiloah (1903-1918) und unterrichte an der Universität Odessa. Er wurde Professor für Moderne Hebraïsche Literatur in Jerusalem, und erst 1944 wurde er an den Lehrstuhl für Geschichte des Zweiten Tempels berufen. Er vereinte zwei Lehrstühle - mit großem publizistischen Erfolg. Es soll hier noch Samuel Klein (1886-1940) erwähnt werden. Er stammte aus Ungarn (Szilas-Balhas), wo sein Vater Rabbiner war. Er besuchte das Gymnasium in Budapest bis zum Abitur (1905), dann das Rabbinerseminar in Berlin. Nach seiner Dissertation in Heidelberg (1909) und der rabbinischen Smiha (1910) kam er erst 1929 nach Jerusalem und unterrichtete hier Palästinologie und Topographie von Erez Israel. Schon 1920 hatte er das Jüdisch-palästinensische Corpus Inscriptionum gegründet. Innerhalb von kurzer Zeit wurden auch „junge Löwen“ wie Gershom Sholem (1897-1982) nach Jerusalem eingeladen, dessen Autobiographie Von Berlin nach Jerusalem ein einzigartiges historisches Dokument darstellt. 27 Harry Torczyner (Tur Sinai, 1886-1973) hatte auch in Berlin studiert und in Wien promoviert und wurde 1933 Bialikprofessor für Hebraïsche Sprache. Mosche Schwabe (1889- 1956), der Direktor des Gymnasiums in Kaunas (wo Emmanuel Lévinas Schüler war), hatte in Halle und Berlin studiert, war Gräzist und Latinist, stand aber auch mit der jüdischen Abteilung in Verbindung. Einen besonderen Fall stellt Hartwig Baneth (1893-1973) dar, dessen Vater (Ezekiel) Rabbiner und ehemaliger Professor für Talmud und Midrasch an der Berliner Hochschule für Wissenschaft des Judentums war. Hartwig Baneth hatte 1920 über die Briefe Muhamads promoviert und die ersten Schritte des Instituts für Orientalische Forschung in Jerusalem 1926 begleitet. Er wurde Nachfolger von Levi Billig, der 1936 ermordert wurde. Sein Schwerpunkt war die jüdisch-arabische Sprache 28 . Diese Domäne wurde zum Spezialgebiet der Hebräischen Universität. Die School of Oriental Studies sollte ihren Sitz eben nicht am Institut für Jüdische Studien haben, sondern eine eigenständige Universitätseinrichtung bilden. Sie wurde im 27 S. die zweite Ausgabe, Frankfurt a. M. 1994 (zweite hebräische Ausgabe: 1982). 28 Joshua Blau (Hg.): Studia Orientalia Memoriae D. Z. Baneth Dedicata, Jerusalem 1979. 30 Dominique Bourel April 1926 eröffnet. Horovitz kam 1925 zur Eröffnung und bekam die feindliche Stimmung bei den Arabern in Jerusalem zu spüren! Wir dürfen nicht vergessen, dass, bevor die hebräische Universität gegründet wurde, die israelitische, jüdische und christliche Geschichte ein Streitobjekt zwischen Juden und Christen einerseits, und zwischen Katholiken und Protestanten andererseits bildete. Die Exegese wurde auch zum Mittel der wissenschaftlichen Kriegsführung und zwar unter Einmischung der politisch-diplomatischen Organe. Nachdem zum ersten Mal ein englischer Konsul ernannt worden war (1838), wurde ein preußischer und unmittelbar danach ein französischer Konsul nach Jerusalem gesandt. Die ersten deutschen Konsulen waren Orientalisten. Dann enstand die von den französischen Dominikanern geleitete École Biblique et archéologique, 29 deren wissenschaftliche Autorität bald von deutschen Jesuiten in Frage gestellt wurde! Englische und amerikanische Institute für die Geschichte des Heiligen Landes waren ebenfalls in Jerusalem tätig. Diese Stadt wurde in kurzer Zeit das ,Mekka‘ der Wissenschaft des Judentums. Die damalige deutsche Judaïstik war eine Mischung aus zwei Traditionen: der rein philologischen Tradition und der ,anderen Tradition‘, die man an jüdischen Seminaren und Hochschulen hören könnte. In Breslau, in Wien, in Budapest und selbstverständlich in Berlin besuchte man hauptsächlich zwei Institutionen, die an manchen Orten - zum Beispiel in Berlin - drei wurden: Universität, Hochschule für Wissenschaft des Judentums und Rabbinerseminar, wie z. B. im Fall von Alexander Altmann, der damals eigens noch ein Rambam Seminar in Berlin gründete. Es ist also kein Wunder, dass die Wissenschaft des Judentums in Palästina/ Israel auch zur Hochburg der deutschen Wissenschaft wurde. Was sowohl die Judaistik und die Arabistik als auch die Islamwissenschaft angeht, ist der deutsche Einfluss nicht übersehbar. Aber kehren wir zurück zur Arabistik an der hebräischen Universität, die am Anfang in der jüdischen Abteilung angesiedelt war. Die eigentliche School of Oriental Studies ( ha merkaz/ machon le-madai ha-mizrach ) wurde erst 1926 gegründet. Fünf Gelehrte: Ludwig A. Mayer, David Hartwig (Zwi) Baneth, Levi Billig, Walter Joseph Fischel 30 und N. Braun, wurden hierhin berufen. Man wollte unbedingt eine Brücke zum überwiegend arabischen Umfeld schlagen. Übrigens wurde die Gruppe Brith Shalom um Buber, Scholem und die Arabisten aus diesen Instituten, die sich der jüdisch-arabischen Verständigung widmeten, auch 1925 gegründet. Man kann also auch in diesem Fall von einer deutschen (mitteleuropäischen) Konstellation sprechen. Schon als Student war Judah Ma- 29 Dessen Gründer Père Joseph Lagrange (1855-1938) ebenfalls in Wien studiert hatte. 30 1902-1973: Studium in Frankfurt und Giessen, 1926: Dissertation in Heidelberg, ab 1946 in Kalifornien. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 31 gnes, der erste Kanzler der Hebraïschen Universität, in Heidelberg und in Berlin. 31 Er promovierte über die arabische Kultur (Heidelberg 1902). Er lernte junge Judaisten kennen, die Islamwissenschaftler wie er waren, darunter drei, die später in Palästina tätig sein sollten: Arthur Biram (1878-1967), 32 Max Schloessinger (1877-1944) und Gotthold Weil (1882-1960). 33 Josef Horovitz (1873-1931), der erste und wichtigste unter den mitteleuropäischen Gelehrten, der schon 1925 Mitgleid des Kuratoriums der Hebräischen Universität war, stammte aus einer berühmten Rabbinerfamilie aus Frankfurt. Als Sohn des orthodoxen Rabbiners Markus Horovitz (1844-1910), war Josef der erste Direktor der School of Oriental Studies - als visiting director wohlbemerkt, weil er inzwischen 1915 als ordentlicher Professor für Semitische Philologie nach Frankfurt berufen worden war. Der ungarisch-stämmige Josef Horovitz war in Lauenburg geboren und hatte in Frankfurt und Berlin studiert. Er war Schüler von Eduard Sachau, dem Begründer des Seminars für Orientalische Sprachen. 1907 wurde Horovitz Professor. Als der junge Student nach Berlin ging, um dort sein Studium zu beginnen, das aus Neigung und innerem Bedürfnis gewählt war, und von dem man nicht wissen konnte, wie er es einmal zu einem bürgerlichen Berufe führen würde, war er für sein Fach mehr vorgebildet, als ein Student der orientalischen Sprachen gewöhnlich vorgebildet zu sein pflegt. Im dem Elternhause hatte er so viel Sinn für wissenschaftliches Denken und Arbeiten, so viel Scheu vor religiösem Erleben, soviel Verständnis für die liebvolle Versenkung in die Vergangenheit, so viel positive Kenntnis der hebräischen Sprache und der biblischen und nachbiblischen Literatur mit auf den Weg bekommen, dass die Erlernung des Arabischen und der anderen orientalischen Sprachen ihm leicht fiel, und dass ihm das Verständnis für die Religionen des Orients und insbesondere für die Muhammeds schnell aufging. Das Judentum hat nämlich mit dem Islam bei aller Verschiedenheit in der Zielsetzung doch eine Reihe wesentlicher Züge gemeinsam . 34 Sein Schüler, Freund und Nachfolger Gotthold Weil, von dem das obige Zitat stammt, fährt fort: 31 Arthur Goren: Dissenter in Zion. From the Writings of Judah L. Magnes, Cambridge/ London 1982. Ein Großteil des Nachlasses liegt in Central Archives for the History of Jewish People in Jerusalem vor. 32 In Sachsen geboren; 1902: Dissertation über den Philosophen Abu Rasid al-Nisaburi an der Universität Leipzig. 33 Wie Menahem Milson bemerkt, war Joseph Josel Rivlin (1890-1971) der einzige nicht ,europäische‘ Mitglied. Er wurde in Jerusalem geboren, hatte jedoch 1927 in Freiburg i.Br. promoviert. 34 Gotthold Weil: Josef Horovitz zum Gedächtnis, in: Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judentums 75 (1931), S. 322. 32 Dominique Bourel In beiden Religionsgemeinschaften wird Denken und Handeln der Bekenner von der Wiege bis zum Grabe und täglich vom Aufstehen bis zum Niederlegen durch einen Kanon, durch ein geoffenbartes sittliches Gesetz geregelt. Gleiche Ausgangspunkte führen häufig auf gleiche Wege und so nimmt es nicht Wunder, dass die Art der Überlieferung dieses Gesetzes, die Art, wie der gesamte Kanon dann gesammelt und gelehrt wird, wenn auch nicht gleiche, so doch auffallend ähnliche Entwicklungsreihe durchlaufen. Um den eigentlichen Kern der geoffenbarten Lehre bilden sich in beiden Religionen Schalen zum Schutze des Kerns, die ihrerseits kanonische Bedeutung erlangen und von sich zu ihrem Schutze immer wieder neue Schalen ansetzten. 35 Eduard Sachau, der spiritus rector der Ausgabe von ibn Sa’ds Kitab al-tabaqat al kabir ( Biographien Muhammeds, seiner Gefährten und der späteren Träger des Islams bis zum Jahre 230 der Flucht ) 36 war der Gründers des Seminars für orientalische Sprachen in Berlin. Horovitz’ Dissertation über De Waqidi libro kitab al-magazi inscribitur ( Das Leben Muhammeds ) wurde am 27. Juni 1898 verteidigt und im selben Jahr in Berlin gedruckt. Habilitiert hat er über den schiitischen Dichter Kumait. 37 Das Koranische Paradies wurde in der Reihe „Scripta Universitatis atque Bibliothecae Hierosolymitanarum“ veröffentlicht. 38 1907 war Horovitz Professor am berühmten Anglo-Oriental College in Aligarth, wo er sieben Jahre unterrichtete. Sommer 1915 fing er an, in Frankfurt zu lehren. Er hat nicht nur über den Koran gearbeitet, sondern auch über arabische Dichtung. Kurz vor der Eröffnung der Hebraïschen Universität notiert Magnes in seinem Journal: Relations with Arabs, Muslim world, whole Near East exacerbated. Horovitz reports Egyptian Scholars as now definitely hostile. University has political aspect in their eyes now. Only help for this is over a number of years to do useful scholarly work, particularly in language, literature, culture of East. The Jews the tool of imperialism. 39 Horovitz war in der wissenschaftlichen Verwaltung der neu enstandenen Universität sehr involviert. Schon am 14. Mai schickte er ein Memorandum an 35 Vgl. dazu Weil: Josef Horovitz zum Gedächtnis, S. 321-328; Shelomo Dov Goiten: -Joseph Horovitz, in: Der Islam 22 (1935), S. 122-137, und selbsverständlich Hava Lazarus-Yafeh: The Transplantation of Islamic Studies from Europe to the Yishuv and Israel, in: Kramer: The Jewish Discovery of Islam, S. 249-260.- 36 Hg. Eduard Sachau et alii, Leiden 1904-1940. Vgl. Dazu Eugen Mittwoch: Das Seminar für orientalische Sprachen an der Universität zu Berlin, in: Weltpolitische Bildungsarbeit an Preussischen Hochschulen. Festschrift fur C. H. Becker, Berlin 1926, S. 12-23. Horovitz hat 1904 und 1909 zwei Bände herausgegeben. 37 Josef Horovitz (Hg.): Die Hasimijjat des Kumait, Leiden 1904. 38 1923 in Jerusalem erschienen. 39 Goren: Dissenter in Zion, S. 231. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 33 Magnes, um ihm zu erklären, dass die arabischen und islamischen Studien am Institut für Jüdische Studien nicht am richtigen Platz seien. Nach der Sitzungen des Bord of Governors in München am 23.-24. September 1925 notiert Magnes: By the time we had reached the question of the establishment of School of Oriental Studies, so much time and energy had been taken up with the discussion of mathematics and physics and some of the other matters mentioned above, that Prof. Horovitz, who had come to the meeting for the purpose of reporting on the School of Oriental Studies, was greeted with the remark that everything that he would propose would be satisfactory and therefore it would not be ncessary for him to proceed. Prof. Horovitz, however, properly said that he had been listening to long and wearying discussions on other matters, and that he requested patient hearing for what he had to say because he did not want someone someday to stand up and to say that „Oh, I did not know that you were going to propose that“. The school of Oriental Studies was a far-reaching idea, and it was better that it be understood now rather than later. He thereupon unfolded his suggestions in his ouwn lucid way. 40 Horovitz starb 1931, bevor er die Arbeit an seinem großen Projekt, einer Ausgabe des arabischen Historikers al-Baladuri und einer Konkordanz der frühen arabischen Dichtung beenden konnte. Dank der Vorlesungsverzeichnisse kann man genau rekonstruieren, welche Themen er während seiner Lehrtätigkeit behandelt hat. Man merkt dabei auch, dass er mit Studenten die zeitgenössische arabische Presse las. Als er starb, wurde die Eulogie von Martin Buber höchstpersönlich im Namen der Hebräischen Universität in Frankfurt gehalten. Magnes sagt über Horovitz: „He was modest, simple, and kind and we feel in Jerusalem a great sense of personal loss.“ 41 Franz Schultz, der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Frankfurt, stellte fest: Er war kein Orientalist alten Schlages, der, so gelehrt er sein mochte, nie einen Fuß in das Land gesetzt hat, dem seine Forschung galt. Der achtjährige Aufenthalt in Indien hatte Horovitz geprägt und ihm jene Weltoffenheit und Weltläufigkeit und jene Einsicht in die Fragen der Weltpolitik gegeben, die man an ihm schätzte. Sein Buch über Indien unter britischer Herrschaft, das beste seiner Art, zeigt bei aller Verständnisinnigkeit und Umsicht jene nüchterne Klarheit, durch die sein Denken und Urteilen sich auszeichneten, diese Eigenschaften auch seiner übrigen wissenschaftlichen Arbeit. Sie imponiert im übrigen durch ihre Vielseitigkeit. Er war der beste Kenner besonders des indischen Islams, ihn beschäftigte die altarabische Dichtung 40 Ebd., S. 250. 41 Siehe hierzu die Ausgabe von Lawrence I. Conrad von Josef Horovitz: The Earliest Biographies of the Prophet and their Authors, Princeton 2002, und Gudrun Jäger, in: Neuwirth: „Im vollen Licht der Geschichte“, S. 117-130. 34 Dominique Bourel ebenso wie das ältere jüdische Schrifttum. Er widmete sich dem antiken Lustspiel im islamischen Schattenspiel. Sein Lebenswerk sollte der große wissenschaftliche Kommentar des Korans werden, ein Werk, das er nun unvollendet hinterlassen muss. Er war eine internationale Größe und Berühmtheit seines Faches. Man weiß, dass ihm die Einrichtung des orientalischen Instituts der Universität Jerusalem verdankt wird und dass es von ihm inspiriert wurde. 42 Seine Schüler, wie Shlomo Dov Goiten (1900-1988) oder Johann Fück (1894- 1974), haben einen entscheidenden Einfluss auf die jüdische Islamwissenschaft ausgeübt. Posthum ist sein Artikel „Islam“ in Enzyklopädia Judaica 43 erschienen und die Ausgabe des Al-Baladhuri 44 wurde erst 1936 von Shlomo Dov Goiten angefangen, „published for the first time by the School of Oriental Studies, Hebrew University.“ 45 Goiten war 1949-1956 der Direktor der School of Oriental Studies in Jerusalem, bevor er nach Amerika ging! Goitens Vertretung wurde von Martin Plessner 46 (WS 1931/ 32) übernommen. In Breslau geboren, Urenkel vom berühmten orthodoxen Prediger Solomon Plessner (1797-1883), wurde Plessner Assistent von Hellmut Ritter in Hamburg und arbeitete danach am Berliner Institut für Geschichte der Wissenschaften (1927-1929). 1933 ging er nach Palästina, unterrichtete in Beit sefer reali in Haifa und schrieb die erste arabische Grammatik in modernem Ivrit. Mitarbeiter der jüdischen Nationalbibliothek wurde er 1952 Assistent ( Marzeh ) und 1955 Professor an der Hebräischen Universität. „Die Islamwissenschaft, genauer: die Geschichte der politischen, kulturellen und geistigen Entwicklung der islamischen Welt als eines Ganzen sowie der einzelnen Völker, die sich zur Religion Muhammads bekannten oder bekennen, ist einer der jüngsten Zweige am Baume der morgenländischen Studien“ schrieb er in seiner Antrittsvorlesung, die am 21. Februar 1931 in Frankfurt stattfand. „Die Wissenschaft ist im Islam von allem Anfang an als ancilla theologiae aufgetreten; und schon weil sie in Übereinstimmung mit Glaube und Pflichtenlehre bleiben musste, konnte von Freiheit ebensowenig die Rede sein wie in Europa vor dem 19. Jahrhundert.“ Nachdem er 42 Gedenkreden gehalten an der Bahre von Dr. Josef Horovitz ö. Professor an der Universität, Frankfurt a. M., 8. Februar 1931, S. 6-7. 43 Berlin 1928-1934, S. 566-588. 44 Arabischer Historiker und Geograph, 892 in Bagdad gestorben. 45 Shelomo Dov Goiten (Hg.): Ansab al-ashraf of Al-Baladhuri , Bd. I, Jerusalem 1936. In der Vorrede ist die Rolle C. H. Beckers unterstrichen. Band IV/ A wurde von Max Schloessinger, Jerusalem 1971 herausgegeben und Band I/ 1 von Yusuf Al-Mar’aslit, Beyrouth 2008. Das Werk wurde von einer ,deutschen Institution‘ wie der von Hellmut Ritter-gegründeten Bibliotheca Islamica des Orient-Instituts (Bd. 28a1) veröffentlicht! Die weiteren Bände wurden zwischen 1978-2003 herausgegeben. 46 1900-1973. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 35 sein Programm beschrieben hatte, sagte Plessner zum Schluss: „Und vielleicht wird gerade die Kenntniss des ganz Andersartigen dazu beitragen, Gesichtspunkte für die Beurteilung unserer eigenen Verhältnisse zu gewinnen, die übrigens mit den islamischen, als dem Gegenstück zu denen des mittelalterlichen Abendlandes, viel mehr Beziehungen verknüpfen, als uns auf den ersten Blick scheinen möchte.“ 47 Nachfolger von Horovitz war der Berliner Gotthold Weil (1882-1960), der auch an den Balhaduri-Projekten entscheidend mitgearbeitet hat. Geboren in Berlin, war er der Urenkel von Simha Weil, dem Großrabbiner von Berlin am Ende des 18. Jahrhunderts. Er hat an der Universität studiert sowie an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Schüler des Arabisten Eduard Sachau, dessen Festschrift er herausgab, 48 wurde Weil nach seiner Dissertation (1905) Bibliothekar an der Kaiserlichen Bibliothek in Berlin (1906), wo er 1918 die Orientalische Abteilung mitgründete und leitete. 1920 war er Privatdozent für Semitische Philologie und Islam in Berlin. Sehr früh kam er als Professor für die noch zu eröffnende Hebräische Universität ins Gespräch: Im Namen des Herrn Dr. J. L. Magnes gestatten wir uns, Ihnen anbei einen Bericht über die kürzlich in London stattgefundene Universitätskonferenz zu überreichen. Die Konferenz beschloss, an mehrere jüdische Gelehrte heranzutreten und sie zur Übernahme von Lehrstühlen an dem zu gründenden judaistischen Institut einzuladen. Sie beschloss u. a. auch einen Lehrstuhl für die arabische Sprache zu schaffen und Herrn Prof. Mittwoch einzuladen, diesen zunächst für die Dauer eines Jahres, zu übernehmen. Da er Dr. Magnes, der von der Konferenz mit der Vorbereitungsarbeit für das Institut betraut worden ist, sehr in Zweifel ist, ob Prof. Mittwoch im gegenwärtigen Zeitpunkt bereit sein wird, das ihm angetragene Lehramt zu übernehmen, so hat er uns, entsprechend den ihm von der Konferenz erteilten alternativen Instruktionen ersucht, Sie zu befragen, ob Sie bereit wären, für den Fall, dass Herr Prof. Mittwoch nicht imstande ist, der Einladung zu folgen, das erwähnte Lehramt zu übernehmen. 49 1931 wurde Weil Nachfolger von Horovitz an der Universität Frankfurt. Im selben Jahr bekam er folgenden Brief von Judah Magnes: You will be glad to know that the meetings of the Board of Governors and the Academic Council have passed off satisfactorily and I am very happy to be able to inform 47 Martin Plessner: Die Geschichte der Wissenschaften im Islam als Aufgabe der modernen Islamwissenschaft, Tübingen 1931, S. 7, 19. 48 Gotthold Weil: Festschrift Eduard Sachau zum Siebzigsten Geburtstag gewidmet von Freunden und Schülern, Berlin 1915, wobei er bemerkte, dass von den 65 Autoren, die sich vor dem Krieg beteiligen wollten, nur 37 im Buch vertreten sind. 49 Leo Kohn an Gotthold Weil, 23. August 1924, Archiv der Hebräischen Universität, persönliche Akten von Gotthold Weil. 36 Dominique Bourel you that you were unanimously elected a member of the Board of Governors and that you are to be invited by unanimous vote to become the Visiting Director of the School of Oriental Studies in place of the late Professor Horovitz. You know how happy this makes me and how happy also Schloessinger 50 will be, and you will be pleased also to know that the members of the School of Oriental Studies in Jerusalem ware unanimous in urging us to have this invitation extended to you. I have heard about the possibility of your going to Frankfurt and I want to extend to you my very best wishes for fruitful scientific work in your new position. This will also give us the opportunity of being in closest touch with you and I hope that conditions may sometimes shape themselves in the not too distant future to enable us to bring you to Jerusalem, where I think you could perform a great service. 51 Die Zukunft kam viel schneller, als Magnes dachte: 1933 stand Weil unter Berufsverbot und etablierte sich in Jerusalem; kurz vorher wurde ihm die Redaktion der berühmten Zeitschrift der deutsche Morgenländische Gesellschaft angeboten: „Dass eine solche Zeitschrift notwendig ist und dass es trotz der Schwere der Zeiten möglich sein muss, sie durchzuhalten und ihr weitere Bedeutung zu verleihen, erscheint mir zweifellos. Gewisse organisatorische Gaben scheinen mir für die Leitung einer solchen Zeitschrift notwendig zu sein, aber dass Sie diese zu Genüge besitzen, haben Sie ja in Ihrer früheren Tätigkeit bewiesen.“ 52 Weil war auch am Anfang, zwischen 1931-1935, visiting Director . In diesem Jahr ersetzte er Shmuel Hugo Bergmann als Direktor der Universitäts-und Nationalbibliothek (bis 1946). Übrigens dank des in Jerusalem geborenen Gelehrten Abraham Shalom Yahuda und des in Collège de France lehrenden Louis Massignon wurde die Bibliothek von Ignaz Goldziher von der Bibliothek der hebräischen Universität gekauft. Weil hat bis 1952 regelmäßig mit Erfolg im Gebiet der semitischen Linguistik and arabischen Sprache und Literatur (so wurde sein Lehrstuhl genannt) gelehrt. Sein Spezialgebiebt war die türkische Sprache. 53 Ein Blick in seinen Aufsatz Zum Verständnis der Methode der moslemischen Grammatiker: Ein Beitrag zur Geschichte der Wissenschaften in Islam 54 50 Max Schloessinger (1877-1944): Studium in Heidelberg, Wien, Berlin (dort 1901: Dissertation) und 1915-1939 in Palästina, wo es seit 1973 sowohl ein Max Schloessinger Memorial Fund, um arabische Text zu veröffentlichen, als auch die „Jerusalem Studies in Arabic and Islam“ existieren. 51 Archiv der Hebräischen Universität, persönliche Akten von Gotthold Weil. 52 Paul Kahle an Gotthold Weil, 21. März 1932, Archiv der Hebräischen Universität, persönliche Akten von Gotthold Weil. 53 Vgl. Arthur Biram/ Naftali Tur-Sinai/ Shlomo Dov Goitein (Hg.): Gotthold E. Weil. Jubilee Volume on the Occasion of his Seventieth Birthday, Jerusalem 1952. 54 Weil (Hg.): Festschrift Eduard Sachau, S. 380-392. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 37 zeigt den Unterschied zu unserer heutigen Auffassung der islamischen Kultur, was ihre Beziehungen zu der griechischen anbelangt: Sahen die Griechen das Allgemeine, von dem sie ausgegangen waren, stets hinter dem Einzelnen, so rangen sich die Muslime von dem gegebenen Einzelnen nur schwer zum Allgemeinen durch. Schufen die Griechen daher eine Theorie von der Sprache im Allgemeinen, die wegen ihrer formalen Gültigkeit auf alle Sprachen anwendbar ist, so ist die Terminologie der islamischen Grammatiker nur auf die Grammatik der arabischen Sprache anwendbar, weil sie nur aus ihr heraus abstrahiert ist. 55 Es wird im Folgenden auf weitere Unterschiede verwiesen: Auch hier sind dogmatische Gesichtpunkte methodisch von grundlegender und bestimmender Bedeutung gewesen. Ebenso wie Allah selbst, so ist auch der Qur’an als Gottes Wort die Vernunft schlechthin. Da aber die Sprache des Qur’an Repräsentant und Muster des Ausdrucks der arabischen Sprache ist, so muss die göttliche Vernunft und Vollkommenheit auch im Bau der arabischen Sprachen allenthalben zum Ausdruck kommen. Identifizierten die Griechen bewusst Sprechen und Denken, Sprachgesetze und Denkgesetze, so schufen die Moslems unbewusst die Gleichung von arabischer Sprache und absoluter Vernunft. 56 Also der Muslim denkt „unwissenschaftlich, stark subjektiv“! Leo Aryeh Mayer, der erste Direktor des Instituts, der nicht visiting oder in absentia war, stammte aus Galizien, wo er in Stanislawow 1895 geboren wurde, und starb 1956. Nach seinem Studium in Wien, Lausanne und Berlin promovierte er 1917 in Wien, wo er auch das Israelitische Theologische Seminar besuchte. Schon 1921 ist er in Jerusalem, nachdem er sowohl in Wien (1917-19) als auch - nach einem kurzen Aufenthalt am Gymnasium in Stanislawow - in Berlin unterrichtet hatte. In Berlin wurde er Gotthold Weils Bibliothekassistent. April 1925 wurde er Assistent ( marzeh ) für Islamische Kunst und Archäologie und dann 1935-1949 Direktor des Instituts für Orientalische Studien in Jerusalem. Als Dekan, Rektor und in verschiedenen hohen Verwaltungsämtern tätig, wohnte er übrigens ab 1939 in der Abrabanelstrasse 30 (ein paar Meter von Scholem entfernt, der seine Adresse in der Nummer. 28 hatte). Mit seinem Freund Elezar Lipa Sukenik (1889-1953), der ab 1911 in Jerusalem residierte und Vater von Ygal Yadin (1917-1984) war, 57 hat er viele Nachschlagwerke veröffentlicht, darunter das Corpus Inscriptionum Judaicarum Palestinensium , mit hebräischen, aramäischen und griechischen Inschriften. Das heutige Museum 55 Ebd. 56 Ebd. 57 Ygan Yadil studierte 1922-23 ebenfalls in Berlin, nachdem er ein Jahr an der École Biblique de Jérusalem (1921-1923) verbracht hatte. 38 Dominique Bourel für Islamische Kunst in Jerusalem (1962 gegründet) trägt seinen Namen. Sein Briefwechsel zeugt von den damaligen schwierigen technischen Bedigungen, unter denen die arabischen Druckereien standen: Wir sind in einer äusserst schwierigen Lage. Einerseits gibt es im Lande keine Buchdruckerei, die ein Buch anständig drucken kann und über einen genügenden Vorrat von arabischen Letters verfügt; die Nationaldruckerei in Cairo hat auf meine Anfrage geantwortet, dass sie den Auftrag nicht übernehmen kann und die amerikanische Buchdruckerei in Beyrouth hat ganz unzulängliche Proben geschickt. Andererseits kann man es keinem Buchdrucker übelnehmen, wenn er es nicht riskieren will, bestellen, die bei ihm Jahrzehnte lang ungenützt vergeben sollte. Drittens darf beim Zustand unserer Finanzen leider nicht ausser acht gelassen werden, dass auch die billigste Offerte von Brill beim jetzigen Stand der Valuta fast doppelt so teuer ist als die Offerte Azriels. 58 Nach zehn Jahren wurde eine Zusammenfassung der arabischen und islamischen Studien für den Hadassah Committee for the Study of Arab-Jewish Relations verfasst. Sie stammt aus der Feder von dem in Odessa geborenen Moshe Perlmann (1905-2001), 59 der zwischen 1925-1937 in Palästina lebte und zwischen 1930-1934 an der Hebräischen Universität Islam, Geschiche und Soziologie studierte. Seine Masterarbeit (1934) befasste sich mit Ibn Taghribirdi (1469 gestorben) als Quelle für Kunst und Archäologie in Palästina, Syrien und Ägypten. Seine Dissertation A Study of Muslims polemics directed against Jews hat er in London 1940 verteidigt: The Arab Studies were taken up at the University very early in the Spring of 1926. It was felt that the Hebrew University should become a center of study of the Arab and Islamic world (of which the Arabs of Palestine are a part) and that that study should become a part of the Yishub (sic) with the Arabs. This contact was visualized as a revived contact, calling for inquiry into the glorious past of Arab people, in which the Jewish factor had been of such distinction, and which had left a rich heritage to the Jewish people. 60 Nachdem Perlmann die Direktoren und die Professoren erwähnt hat, beschreibt er die Studentenschaft: 58 Leo A. Mayer an Gotthold Weil, 21. September 1932. Der Verlag Azriel in Jerusalem wurde von Moshe Azriel (1881-1916) gegründet. 59 Sabine Schmidtke: Moshe Perlmann (1905-2001): A Scholarly Biography, in: Jerusalem Studies in Arabic and Islam 36 (2009), S. 1-61. 60 Ebd., S. 25f. Die Diaspora der deutsch-jüdischen Orientalisten in Paris und in Jerusalem 39 The students, again, come from different circles. Some come from Palestine’s secondary schools, and these usually bring along quite a good elementary schooling in Arabic. Others come mostly from Poland and Germany, with a sprinkling of Americans. A Yemenite will come, with his fine feeling for the living Arabic idiom. All the students, in any case, come with the mastery of Hebrew, some with a good reading knowledge of Aramaic. The structure of a semitic tongue is not a new or alien thing to them, and therefore they are usually able to make progress more rapidly than the Western student. And while the latter must work hard to acquire the language as such, the students of Jerusalem can concentrate on the study of documents, sources, illustrative of Arabic-Islamic civilization. For those who cannot meet this standart the preparatory classes provide the necessary introductory training in reading. 61 Der Bericht beschreibt dann den Inhalt der Vorlesungen, Seminare und Forschungen mit einem Ausblick über die Bibliothek. Perlmann wird dann in Dropise College (1948/ 1955), in Harvard (1955/ 1961) und endlich in UCLA (1961/ 1973) unterrichten. Da unser Humboldt-Kolleg in Italien stattfindet, möchte ich zum Schluss ein weiteres Beispiel nennen. Nicht alle Professoren der Hebräischen Universität waren deutsche Juden. Ein Fall ist besonders interessant: Ein ,problematischer‘ Lehrstuhl war der für Bibelkunde, wie wir mit Renan gesehen haben. Wie sollte man die Bibel an einer Universität in Jerusalem unterrichten, in einer Stadt also, wo gleichzeitig auch yeschivot aktiv waren? Man hat deshalb einen Italiener, und zwar Umberto Moses David Cassuto (1883-1951) aus Florenz, berufen. Als Rabbiner und Professor zugleich, kam er erst 1939 nach Jerusalem; auch er hatte die deutsch-jüdische Gelehrsamkeit bei S. H. Margulies und Ismar Elbogen sich eigen gemacht. Auch wenn die Gelehrten Ostjuden waren, hatten sie alle eine Dissertation an einer deutschsprachige Universität geschrieben. Dort hatten sie die deutsche Wissenschafts- und Forschungsmethode gelernt. In Jerusalem wurde die Tradition lange Zeit wachgehalten auch dann, als neue Universitäten gegründet wurden (Tel Aviv, Haifa und Bar Ilan). Obwohl man heute das Wort Symbiose nicht ohne Weiteres verwenden darf, ist die Wissenschaft des Judentums ebenso wie die Arabistik eines der schönsten Produkte der deutsch-jüdischen Leidenschaftsgeschichte. 61 Ebd., S. 27. Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy in the Nineteenth Century Chiara Adorisio Ce qu’il (l’homme) doit surtout chercher a connaître c’est lui même, afin d’arriver par là à connaître les autres choses qui ne sont pas lui même […] (Salomon Ibn Gabirol, The Source of Life, Book 1, transl. in french by Salomon Munk) In a recent study in which she examines the history of the reception of medieval philosophy in the modern era, Catherine König-Pralong observes that the emergence of the idea of a common European philosophical culture between the eighteenth and nineteenth centuries engendered the view of Arabic and Jewish medieval philosophy as the ‘other’ - i.e., as a foreign element external to this European philosophical tradition. 1 This idea can be better grasped in terms of the eighteenth and nineteenth-century concept of the history of philosophy as a history of the genesis and development of modern reason. The rational, and therefore universalistic, component of modern European culture was identified with philosophical reason, whose birthplace was ancient Greece. As König-Pralong writes: “There is no philosophy other than Greek philosophy, [and philosophy belongs to Europe]. In the nineteenth century, this conception imposes 1 Catherine König-Pralong: L’histoire médiévale de la raison philosophique moderne (XVIIIe-XIXe siècles), in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 3 (2015), pp. 667-712. König-Pralong notes that before Hegel (who had contributed to this view of Islamic and Jewish elements as foreign to European culture), Herder had acknowledged the role of the Arabs in the development of European science and culture, while at the same time denying the existence of an original Arabic philosophical tradition. Herder was similarly hostile to the Jews, whom he described, in his Ideen zur Geschichte der Menschheit , as a “parasitic plant that has attached itself to almost all European nations, drawing to a greater or lesser degree their fluids into itself.” Johann Gottfried Herder: Ideen zur Geschichte der Menscheit, Wiesbaden 1985, p. 326. 42 Chiara Adorisio itself on the imagination of the European nations. In the twentieth century, it is still an unquestioned premise of philosophical historiography.” 2 This view, which had been adopted already before Hegel - by Herder, who had acknowledged the role of the Arabs in the development of European science and culture while at the same time denying the existence of an original Arabic philosophical tradition - was first challenged at the beginning of the nineteenth century by the German-Jewish scholars of the Science of Judaism who had engaged in the rediscovery and comparative study of the Arabic language manuscripts containing the works of the most important Islamic and Jewish medieval philosophers. Among this group of scholars, the most outstanding was Salomon Munk, a German Jewish Arabist and historian of philosophy, who emigrated from Germany to Paris in 1828 and who, exactly two decades later, published the first complete edition and french translation of Maimonides’s Guide for the Perplexed , in addition to other pioneering studies on medieval Arabic and Jewish philosophy. In the following article I will examine Munk’s critique to the German Orientalists, on the one hand, and historians of philosophy, on the other, in order to show to what extent Munk’s work was seminal for the recognition of the existence and importance of Arabic and Jewish medieval philosophy. German historians of philosophy, such as Heinrich Ritter, who were not able to recognize the importance and originality of Islamic and Jewish medieval philosophy and their influence on Christian thought, changed their mind, and acknowledged the existence of a whole new field of studies. During the first half of the nineteenth century, Paris was the capital of Arabic and Oriental Studies. German Orientalists in particular flocked to study with renowned scholars like Sylvestre de Sacy, whom they saw as having emancipated philology from theology. The German scholars brought with them their tradition of Altertumswissenschaft and the fruits of their research at their respective theological faculties in Germany or at the Deutsche Morgenländische Gesellschaft , founded in Leipzig in 1845. They published their studies in French academic journals: the Journal Asiatique , for example. In this journals Salomon Munk published also several of his own studies, thereby initiating a debate with prominent German Orientalists and historians of philosophy such as the German Orientalist and philologist Franz August Schmölders [and the French historian and Orientalist Amable Jourdain, whose 1843 work, Recherches critiques 2 König-Pralong: L’histoire médiévale, p. 673. K ö nig-Pralong traces the origin of these theories back to the end of the eighteenth century, quoting Peter Park’s essay on Christoph Meiner’s racist theory of philosophical cultures. Peter K. J. Park: Africa, Asia and the History of Philosophy: Racism in the Formation of the Philosophical Canon, 1780- 1830, Albany 2013. Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy 43 sur l’âge et l’origine des traductions latines d’Aristote , was considered seminal for the study of the Latin translations of Aristotle]. Munk’s critique of Schmölders - which appears in his discussions of the Islamic philosophical currents in the preface to his Mélanges de philosophie juive et arabe 3 and in the first chapter of his essay on Salomon Ibn Gabirol 4 , deserves special attention. Schmölders, a student of Silvestre de Sacy and later professor in Breslau, known for his editions of Al-Farabi and Avicenna, had provoked Munk’s indignation with statements he made in an essay on the schools of Arabic philosophy, which Munk quotes as proof of his ignorance of the philosophical doctrines of these thinkers. Schmölders maintained that Arabic philosophers were devoid of originality - Arabic philosophy being, in his view, merely a repetition of Aristotle’s philosophy. Munk, in response, deplored what he saw as Schmölders’s ignorance of the very sources on which he had based his “exaggerated” judgments: La vérité est que M. Schmölders n’a point abordé la lecture des principeaux philosophes arabes, dont les écrits originaux sont excessivement rares, mais dont nous possédons des versions Hébraïques très fidèles. Quant à Ibn-Roschd, cet nom même lui est peu familier, et il écrit constamment Abou-Roschd. Par ce qu’il dit sur le Téhâfot, ou la Desctruction des philosophes, d’Al-Gazali, on reconnait qu’il n’a jamais vu cet ouvrage, comme nous le montrerons encore plus loin. Il n’a pas toujours jugé à propos de nous faire connaître les autorités sur lesquelles il base ses assertions et ses raisonnements, et par là il n’inspire pas toujours la confiance nécessaire. 5 In criticizing Schmölders, Munk sided with one of Schmölders own former rivals, the historian of philosophy Heinrich Ritter. The debate between Ritter and Schmölders reflected a more general clash between two opposing camps of nineteenth-century German Oriental scholarship: that of the historians of philosophy, who professed a relative interest in Islamic and Jewish philosophy (especially the Arabic Aristotelian tradition) on the one hand, and that of the Orientalists, who refused to recognize the significance of the Islamic (not to mention the Jewish) philosophical tradition, on the other. Ritter, the author of a twelve-volume History of Philosophy , was aware of his insufficient knowledge of Arabic and Jewish sources, and was thus - as a disciple of Schleiermacher rather than of Hegel - relatively open to Munk’s criticism. Therefore the relationship between Munk and Ritter, as it emerges from Munk’s critique of Ritter’s History of Philosophy , constitutes a central chapter in the history of the nineteenth-century debate between German Orientalists and German-Jewish scholars. 3 Salomon Munk: Mélanges de philosophie juive et arabe, Paris 1859 [1857], p. vii. 4 Ivi, p. 151, 170, 337n.2. 5 Ibidem . 44 Chiara Adorisio The polemic between Schmölders, Munk and Ritter on Islamic philosophy took place in the context of a broader debate surrounding Schmölders’s theory of cultures - a debate in which Victor Cousin and Ernest Renan were also involved. Schmölders’s thesis regarding the lack of originality of Islamic philosophy and its role as a mere custodian of knowledge that had been “temporarily deposited” with the Arabs had its roots in the notion, common at the time, of the inferiority of Semitic culture with respect to that of the Indo-European or Aryan race, which Schmölders identified with the speakers of the ancient Greek and Indic languages. 6 In Ritter, a prominent representative of the German historical school associated with Ranke and Schleiermacher, Munk saw a fellow adversary of Hegel potentially disposed to accept (even if only in part) his vision of Islamic and Jewish philosophy, and a potentially in fighting Schmölders’s theories. In fact, in 1843, a year after the publication of the Schmölders’s controversial book on the History of Philosophy among the Arabs, Ritter, instructed by Munk, would have publicly challenged the latter’s thesis before the Royal Society of Sciences in Göttingen. Significantly, it was from Munk’s work and from their debate over the history of philosophy that Ritter drew inspiration for his response to Schmölders. The beginning of the debate between Munk and Ritter was sparked by the extensive review of Ritter’s History of Philosophy Munk published in the French (political, scientific and literary) daily Le Temps in 1837 - a decade after speaking out against Hegel’s position on Jewish and Islamic philosophy as a student in Berlin. Munk challenged Ritter to reconsider his approach to the history of philosophy and avoid forcing it into Hegelian categories, eventually convincing him to partially revise his work. Munk’s critique is essentially a reflection on the notion that the historian of philosophy - though as a philosopher he may value the progress of philosophy in his own epoch - should avoid forcing the results of his research into external philosophical categories. This reflected his own positivist approach, which held that if the historian of philosophy is as familiar with the philosophy of his own time as he is with that of past epochs (that is, if he acquires objective scientific knowledge of his own epoch as well), he will be able to incorporate his point of view into his historico-philosophical analysis without the risk of his argument becoming external or subjective. In the the opening sentence of the review, which confronts the reader with an essential question: “What is the history of philosophy? ” Munk claims that in order to answer this question, it is first necessary to define the object of the 6 Franz August Schmölders: Essai sur les écoles philosophiques chez les Arabes , Paris 1842, p. 3. history of philosophy: philosophy itself. Munk admits that it is not so much an objective answer he is looking for, but rather a clear definition that may give an exact idea of the philosophical science to those who, as yet, have none. Yet precisely herein lies the difficulty; for the day such a definition can be given, the human spirit will have, if not completed its work, then at least found a solid base on which to build its oeuvre and to achieve an aim it believes to have grasped today, but which will elude it tomorrow; and philosophy will have attained a rank among the exact sciences which, at present, it is permissible to contest. 7 According to Munk, it is precisely because no clear definition of philosophy exists that the task of deciding what pertains to the domain of philosophy falls to the historian of philosophy. Although Ritter did claim philosophy was a science, he stopped short of offering a clear definition of that science, outlining it only vaguely - in what Munk called a “negative way” - by distinguishing it from various heterogeneous elements, such as religion or poetry. Munk found that Ritter’s work, although apparently impartial and critical, actually reflected a Hegelian model in which the history of philosophy is understood as a progress of philosophical systems toward a final goal - the Hegelian system itself. In approaching the history of philosophy in this way, Ritter superimposed - as Hegel had - models constructed a priori on the critical study of history, at the cost of distorting the facts. The danger, Munk warned, is that the author of a system “is only too often led to believe that he has found the definitive solution to the metaphysical problems” and, convinced that his results are the natural conclusion of the previous systems, mistakenly equates “the operations performed by his individual reason [with] those of the universal reason of humanity.” He writes: L’auteur d’un système n’est que trop souvent porté à croire qu’il a trouvé la solution définitive des problèmes methaphysiques: il mesure sur son propre système la valeur de ceux qui l’ont précédé; il les considère tous comme aboutissant nécessairment là où il est arrivé, et il lui semble que les opérations de sa raison individuelle sont celles de la raison universelle de l’humanité. 8 7 “Ce n’est pas une réponse qui me manque, mais une définition claire qui puisse donner une idée exacte de la science philosophique à ceux qui n’en ont pas encore. Mais c’est là precisement la grand difficulté; au jour où cette définition pourra être donnée, l’esprit humaine aura sinon achevé son travail, du moins trouvé une base solide pour construire son oeuvre, et pour atteindre un but qu’il croit saisir aujourd’hui e qui lui échappera demain, et la philosophie aura pris parmis les sciences exactes un rang que jusqu’ici il est permis de lui contester.” Salomon Munk: [Revue] Henri Ritter: Histoire de la philosophie, traduction Tissot, in: Le Temps, 1 April and 8 August 1837, p. 722. 8 Ibidem . Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy 45 46 Chiara Adorisio The second part of Munk’s review deals with Ritter’s reconstruction of the genesis of Western thought, from a discussion of the first philosophers’ search for the principle of all that exists in the first volume of the work, to the second and third volumes, which examine what Ritter defined as ‘Socratic philosophy’ - the efforts of Socrates and his followers to elevate moral consciousness to the level of scientific certitude. According to Ritter, every philosophical school of the Socratic period based its ideas on the Socratic conceptions of knowledge and scientific method: he considers Plato and Aristotle followers and disciples of Socrates, Aristotle having “merely” given a more systematic form to Socratic ideas. Munk underscores the centrality of the idea of a progress of philosophical systems in Ritter’s reconstruction, while at the same time denying the existence of a linear process in philosophy: Les disciples de Platon se contentèrent de présenter les doctrines de leur maîtres sous une forme plus systématique et il n’y à la aucun progrès à signaler. La réalisation de l’idéal socratique sera continuéè par la plus digne disciple de Platon, Aristote. 9 In his review, Munk discusses Ritter’s work, treating in particular the period up to and including Aristotelian philosophy. Yet the essence of Munk’s criticism, which he would systematically formulate only twenty years later in the introduction to an 1855 essay, “ Des principaux philosophes arabes et de leurs doctrines ,” 10 pertained to Ritter’s reconstruction and evaluation of the role of medieval Islamic and Jewish thought. In this later essay, Munk takes issue with the fact that Ritter, in his volumes on medieval philosophy, hardly even mentions the medieval Jewish scholars and philosophers, including Maimonides, who had been of such importance to Christian thought, and hence to European thought in general. Having failed to recognize the existence of even a single original Jewish philosopher, Ritter had omitted Jewish philosophy from his history altogether. Munk’s criticism extended to Ritter’s treatment of medieval Arabic philosophy as well. According to Munk, Ritter, who lacked access to the original works of the medieval Arab philosophers and Aristotelians, had based his analysis of their doctrines essentially on available Latin translations of their works and on modern scholarship. In addition, he had overlooked the valuable insights available to him in the works of the medieval Christian theologians, and as a result had failed to appreciate the subtle distinctions between the doctrines of the Arab philosophers. Munk underscores his point by noting that, in his discussion of the doctrine of the Kalam , Ritter would have done better to quo- 9 Ibidem . 10 Munk: Mélanges, pp. 336-338 . te Maimonides’s Guide rather than a modern scholar like Schmölders - who, after having read two or three relatively recent studies, had claimed “to know more about the Arab philosophical schools than a twelfth-century philosopher immersed in a wealth of contemporary sources pertaining to the philosophical currents of his day.” 11 Despite these critique, Munk recognized the value of Ritter’s efforts, describing his book as a work of rigor and originality testifying to its author’s thorough knowledge of Islamic and Arabic philosophy. Munk particularly appreciated Ritter’s rigorous re-examination of the sources provided in Jacob Brucker’s Historia critica philosophiae of 1742 - a milestone in the development of modern philosophical historiography which had made documents essential for the reconstruction of the history of philosophy available to scholars for the first time, paving the way for much subsequent research. 12 In Munk’s view, Ritter was the first scholar to have conducted a thorough re-examination of Brucker’s sources, in an effort to discover new facts potentially valuable for the history of philosophy. By the time he composed the Mélanges , Munk had already examined a variety of Judeo-Arabic texts (including works of Al-Farabi, Al-Ghazali, Al-Kindi, Avicenna and Averroes), published several articles in the Dictionnaire des sciences philosophiques and devoted much time to the study of Maimonides’s Guide of the Perplexed - thereby acquiring greater knowledge of the reciprocal influences between Jewish medieval philosophers than any other scholar, German or French, of his time. With this authority, Munk once again challenged Ritter to rethink his dismissive attitude toward Jewish philosophy, in light of the fact that he had unknowingly “singled out a Jew as the most original thinker of the Arab period, one who shows us a side of Aristotelian teachings which emerges nowhere else with such clarity” - the thinker in question being, of course, the “enigmatic Avicebron,” or Salomon Ibn Gabirol. 13 Although Ritter, who felt his insufficient knowledge of Arabic was compensated by his genuine interest in Arabic and Islamic philosophy, 14 could admit this and other blunders in his interpretation of Avicenna, Ibn Bajja and Averroes, he was not yet prepared to recognize the importance and originality of Jewish medieval philosophy. Munk drew Ritter’s attention to the fact that Maimonides, and perhaps other Jewish philosophers as well, had been an essential source for Christian scholars in their study of medieval Aristotelian Arabic philosophical texts. Commenting on Ritter’s lack of regard for Maimonides, Munk noted that 11 Munk: Mélanges, pp. 323-324. 12 Jacob Brucker: Historia critica philosophiae a mundi incunabulis ad nostram aetatem usque deducta, Leipzig 1742, vol. 3. 13 Munk: Mélanges, p. 153. 14 Heinrich Ritter: Über unsere Kenntnis der Arabischen Philosophie, Göttingen 1844, p. 3 . Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy 47 48 Chiara Adorisio “one might well expect more from such a thorough and conscientious researcher. It appears to us that at least Maimonides, whose Guide for the Perplexed is available in Buxdorf’s Latin translation, should have deserved some attention.” 15 Ritter responded, in his own review of Munk’s translation of Sa’adia Gaon’s Book of Beliefs and Opinions , as follows: Herr Munk macht mir den Vorwurf, dass ich in meiner Geschichte der Philosophie die Werke der jüdischen Philosophen nicht genug berücksichtigt hätte. Wenn er dies besonderes auf Moses Maimonides bezieht, so will ich zugestehen, dass ich auf ihn etwas genauer hätte eingehen können, weiss aber doch kaum zu sagen, welche neuen Einsichten daraus hervorgegangen sein würden… Meine Meinung über die jüdischen Philosophie ging von der allgemeinen Betrachtung aus, dass die Juden in der Zerstreuung ihre literarische Bildung überall an die Literatur der Völker, unter welchen sie lebten, angeschlossen haben, was sehr natürlich ist. 16 In addition to rectifying Ritter’s errors and deepening the insights contained in his text, Munk’s essays were also meant to draw the attention of the German Orientalists to the importance and originality of Arabic philosophy which, as Munk had written in his entry in Adolphe Franck’s Dictionary of Philosophy , had passed through “more or less all the phases in which [philosophy] had appeared in the Christian world,” including “dogmatism, skepticism, the theory of emanation” and even “doctrines analogous to Spinozism and modern pantheism”: En général, on peut dire que la philosophie chez les Arabes, loin de se borner au péripatetisme pur, a traversé à peu près toutes les phases dans lesquelles elle s’est montrée dans le monde chrétien. Nous y retrouvons le dogmatisme, le scepticisme, la théorie de l’émanation et même quelquefois des doctrines analogues au spinozisme et au panthéisme moderne. 17 15 Salomon Munk: Mélanges, p. viii. For more on Munk’s articles on Arabic philosophers, see the discussion of Munk’s contribution to Adolphe Franck’s Dictionnaire de philosophie . 16 Heinrich Ritter: Die jüdischen Religionsphilosophen des Mittelalters, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 1 (1847), pp. 603-614. For more on Ritter ’ s position, see his Geschichte der Philosophie, Hamburg 1845, vol. 8, p. 178. For a discussion of Ritter ’ s response to Munk, see: Martin Ritter: Dolmetscherin der Vergangenheit und Prophetin der Zukunft: Das Profil der jüdischen Philosophie im Werk von Leopold Zunz, Abraham Geiger und Salomon Munk, in: Archiv für Begriffsgeschichte 45 (2003), p. 143. On the role of Julius Fürst and his journal the Orient in drawing wider public attention to Munk and Ritter ’ s debate, see Kerstin von der Krone: Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschriften, Berlin 2012, pp. 337-339 . 17 Salomon Munk: Philosophie des Arabes, in: Adolf Franck (ed.): Dictionnaire des sciences philosophiques, Paris 1844-1852, vol. 1, p. 168-180. This aspect of Munk’s work can be better appreciated when seen in the context of the collaboration that existed between German and Jewish scholars of Islamic and Jewish Studies around 1845 - a phenomenon described by Ismar Schorsch in his essay on the intersection of Jewish and Islamic Studies in nineteenth-century Germany. According to Schorsch, this collaboration was largely the result of the efforts of Heinrich Leberecht Fleischer, Germany’s most prominent Arabist and founder of the Deutschen-Morgenländischen-Gesellschaft , who was also a friend and admirer of Munk’s. 18 Evidence of the high regard in which Fleischer held Munk is provided by a letter of 1857 in which Munk expresses his gratitude for his friend’s warm response to the first volume of his translation of the Guide : Your heartfelt words stirred me deeply … If anything is able to strengthen my resolve to persevere in my arduous efforts, it is the encouragement offered by men like you. [Moreover], your favorable opinion of my work is of supreme importance to me. Given how much stock I put in your judgment, I have reason to hope that my edition and translation of the Guide will not be unworthy of the attention of Orientalists, theologians and philosophers. 19 Another piece of evidence quoted by Schorsch are letters by Fleischer in which the latter, impressed by “Munk’s facility with Arabic and familiarity with Jewish philosophy” repeatedly mentions Munk to his friend, the philologist and Orientalist Konrad Dietrich Hassler. 20 Munk’s work, which combined the techniques of Protestant biblical criticism with a deep knowledge of Hebrew and Arabic, attempted to challenge and undermine the hegemony of Christian theology vis-à-vis its position on Judaism, and to rewrite the history of the West from a distinctly Jewish perspective. As the debate with Ritter shows, Munk chose the study of the reciprocal rela- 18 Fleischer, a central figure in the dialogue between Jewish and Islamic studies in nineteenth-century Germany - and whose students included the famous Hungarian Orientalist, Ignaz Goldziher - did much to further the introduction of critical historical studies into the German university curriculum and the emancipation of Oriental studies from theology. Fleischer and Munk first met in 1828 as students of De Sacy in Paris. Their correspondence, which testifies to a relationship of friendship and mutual scholarly respect, is also a precious source of information on Munk’s standing in the world of German Orientalism. Ismar Schorsch: Converging Cognates. The Intersection between Jewish and Islamic Studies in Ninentheenth-Century Germany, in: Leo Baeck Institute Year Book 55 (2010), p. 12-13. 19 Schorsch: Converging Cognates, p. 12-13. 20 Additional encouragement came in the form of an eighteen-page review of the first volume of the translation, written by Abraham Geiger and published in the Zeitschrift der Deutschen-Morgenländischen-Gesellschaft in 1860. Upon Munk’s death in 1867, the journal published a three-page eulogy by Reinhard Gosche, author of the first independent study on Al-Ghazali, who ranked Munk among the founders of the Science of Judaism . Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy 49 50 Chiara Adorisio tionship between Christian, Jewish and Islamic thought as the symbolic battleground for his debate with Christian scholars. The conclusion of Munk’s review was that Ritter’s work, even when bolstered with the details on the Islamic authors furnished by Munk’s essays, was insufficient: sooner or later, a comprehensive history of Arabic philosophy would have to be written. At the same time, Munk took Ritter’s answer as a challenge to write his own history of Jewish philosophy, the Esquisse historique de la philosophie chez les Juifs , which he published two years later. Despite a certain resentment, Ritter was willing to concede his mistake and give Munk credit for having proven to him the importance of Jewish philosophers in the philosophical development of the Middle Ages, placing them on equal footing with their Muslim and Christian contemporaries. In the second edition of his history, Ritter, using Munk’s articles as sources, added numerous important details on Al-Ghazali, Ibn Bajja and Averroes, as well as a new section on the history of medieval Jewish philosophy which relies principally on Munk’s edition of the Fons Vitae . Ritter’s admission and recognition was an extraordinarily important achievement for Munk - a success that can be seen, in a more general sense, as a victory for the Science of Judaism as a whole. In discussing Munk’s central role in the growing influence of the movement on Christian scholarship, Leopold Löw emphasized: Munk war einer der ersten jüdischen Adepten der arabischen Sprache und Literatur, deren Studium von den jüdischen Gelehrten gänzlich vernachlässigt worden war, wiewohl es seit dem siebzehnten Jahrhundert nicht an Anregung dazu fehlte. Da aber die Sprache der christlichen Orientalisten die von den allerwenigsten jüdischen Gelehrten verstandene lateinische war, so ging der Aufschwung, den die arabischen und syrischen Studien seit dem siebzehnten Jahrhundert allmählich nahmen, an den jüdischen Schulen ganz spurlos vorüber. Erst im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts stellen sich einige jüdische Jünglinge unter die Fahne eines umfassenden semitischen Sprachstudiums. Unter diesen befand sich Salomon Munk. 21 Although Munk, as we learn from his Esquisse historique , inherited this conception, which brought him to emphasize the role of the medieval Jewish philosophers as mediators of Greek thought to the West through the medium of Arabic and Islamic philosophy, he also challenged the predominant view of his time from a Jewish perspective, proposing a novel reconstruction of the general history of philosophy. Referring in particular to the medieval era - he argued 21 Leopold Löw: Salomon Munk (1803-1867), in: Id.: Gesammelte Schriften, 2. Auflage, Szeged 1890, p. 454. for the existence of one philosophical tradition, written in (at least) three languages: Greek, Arabic and Hebrew, with Latin as a potential fourth language. Furthermore, Munk suggested that the efforts of thinkers like Maimonides to create a synthesis of philosophy and Judaism had also raised the possibility of an original Jewish philosophy in the Middle Ages. With this interpretation - which, one must note, was not devoid of clichés, including the view of the medieval Arab thinkers as mere mediators - Munk became an important voice in the debate on the role of the Arabs (and the Jews) in the transmission of Greek philosophy to European culture. By raising awareness of the interconnectedness between Islamic and Jewish Studies Munk revolutionized the study of medieval Jewish and Arabic philosophy. Confronted with a history of philosophy articulated from a prevalently Christian perspective, Munk not only argued against the ideas of German and French Orientalists and historians, who used linguistic arguments to “prove” the inferiority or non-rationality of Semitic cultures, but challenged the very foundations - philosophical as well as anthropological - of this idea. 22 In so doing, Munk rediscovered the complex process of the transmission of Platonic and Aristotelian philosophy through the works of the medieval Arabic and Jewish philosophers - an entire world that had been practically off-limits for centuries. 23 Munk’s achievements in this field, inspired by his universalistic interpretation of Judaism, were unique even compared to the significant contributions made by Munk’s fellow German-Jewish scholars to the critical study of Judaism in the nineteenth century. 24 In addition to his achievements as a librarian, cataloguer 22 The idea that the Arabs were incapable of rational thought and were thus more disposed to mystical tendencies remained, according to Dimitri Gutas, a prejudice of Orientalists well into the twentieth century. See Dimitri Gutas: The Study of Arabic Philosophy in the 20 th century: An Essay on the Historiography of Arabic Philosophy, in: British Journal of Middle Eastern Studies 29 ( 2002 ), pp. 5-25. 23 It is thanks to Munk that Jewish and Islamic medieval scholasticism found its place in the French and German history of philosophy. Interestingly, Munk’s focus on the Middle Ages, while typical of Jewish scholarship of the period, also reflects a tendency of French scholarship with its colonization of the past, in particular of the Middle Ages. 24 As Ismar Schorsch notes: “To no other field of study in nineteenth-century Germany did Jews, baptised or unbaptised, contribute more significantly than to the study of Islam. Their embrace of a preference for Sephardic as opposed to their own Ashkenazic Judaism in the first half of the century had predisposed them to take up the study of Jews under Islam in the second half of the century, when a trove of new Hebrew and Judeo-Arabic sources surfaced from public archives and private collections across Europe, nourishing their pride and vindicating their predilection.” Schorsch: Converging Cognates, p. 3. See also Bernhard Lewis: Islam in History. Ideas, People and Events, Chicago 2001, p. 142 and Martin Kramer: The Jewish Discovery of Islam, Tel Aviv 1999, pp. 1-48. Salomon Munk and the Historiography of Medieval Arabic and Jewish Philosophy 51 52 Chiara Adorisio and editor of Hebrew, Arabic and Judeo-Arabic texts, 25 it was the widespread influence he exerted on the scholarship of his time - fostered and facilitated by the relatively open intellectual atmosphere in France - that distinguished Munk from his colleagues. Writing in French, Munk was in a position to capture the attention of (and engage in open discussion with) the leading French and German scholars of Oriental Studies, becoming a protagonist in the war of linguistic and philological competency that raged between Orientalists and historians of philosophy in the mid-nineteenth century in the context of the philological and critical study of the Arabic commentaries of Aristotle. 25 Schorsch considers Munk’s work as philologist and cataloguer on a par with that of Moritz Steinschneider, known for the exhaustiveness and precision of his catalogues of the Hebrew and Judeo-Arabic manuscripts of the British Library and the Library of Berlin. He writes: “Spearheaded by Steinschneider in Berlin and Salomon Munk and Joseph Derenbourg in Paris during the second half of the nineteenth century, this extraordinary work of excavation not only paved the way for the appreciation of the flood-tide of documents that started flowing from the Cairo Geniza at the turn of the century, but also matched it in scope and significance. Above all, this cadre of polymaths established beyond cavil the inextricable link between archives and history, their catalogues and critical scholarship.” See Ismar Schorsch: Catalogues and Critical Scholarship: The Fate of Jewish Collections in 19 th -century Germany, in: Tablet Magazine, December 28, 2015 [http: / / www.tabletmag.com/ jewish-arts-and-culture/ books/ 194367/ catalogues-andscholarship]. The Academic Reception of Beḥinat haDat: Criticizing Jewish Historiography Michael Engel “The academic study of Judaism […] has its origins in a highly charged political environment and consequently emerged as an apologetic enterprise”. This passage, cited from Aaron Hughes’ Study of Judaism , 1 contains in a nutshell one of the main theses of his book. According to Hughes, the field of Jewish studies or לארשי תבשחמ has its roots in a profoundly apologetic enterprise. “The sense of mission and the desire to defend Judaism from the attacks of non-Jews”, Hughes writes, “played a formative role in the disciplinary formation of Jewish studies, and it is one that seems - whether consciously or unconsciously - to have remained at the heart of Jewish studies into the present.” 2 The validity of Hughes’ claim will be attested in this paper by turning to a particular test case - the academic reception of Beḥinat haDat (henceforth BH ) and the consequent canonization of its author, Elijah Del Medigo (c. 1460-1493), within the field of Jewish studies. Del Medigo’s story illustrates both aspects of Hughes’ claim: the apologetic roots of Jewish studies, on the one hand, and the impact of the apologetic formative stages on the current stage within the field, on the other. Before embarking on my analysis, I will provide a few bibliographical notes concerning the protagonist of this paper. Elijah Del Medigo was a Jew born in Crete in the second half of the 15 th century. Del Medigo received a traditional education and, most likely, a certain degree of philosophical training already at home. Crete being under Venetian rule at the time, the young Del Medigo moved to the lagoon city and spent almost ten years travelling between the cities of north Italy, mainly Venice and Padua. 3 During this period, Del Medigo was unofficially associated with the University of Padua, an affiliation clearly manifested in his literary activity. All of Del Medigo’s works written in Italy orbited 1 Aaron W. Hughes: The Study of Judaism, Albany 2013, p. 47. 2 Ibid ., pp. 50-51. 3 For a comprehensive biographical account see Michael Engel: Elijah Del Medigo and Paduan Aristotelianism: Investigating the Human Intellect, London 2017, pp. 5-32; Giovanni Licata: La via della ragione. Elia del Medigo e l’averroismo di Spinoza, Macerata 2013, pp. 23-83. 54 Michael Engel around the thought of the 12 th -century Andalusian philosopher Averroes (Ibn Rushd), who, thanks to the Latin translations of his works, was among the most influential authors studied at the University of Padua at the time. Del Medigo had access to both Hebrew and Latin versions of Averroes’ works, and played a major role in introducing the ideas of the Cordovan philosopher to his Christian patrons and benefactors, 4 translating the Hebrew versions of Averroes’ works from Hebrew into Latin, and composing works which elucidated Averroes’ ideas on Aristotelian physics, metaphysics, logic and psychology. In composing such works and translations on themes that were not particularly ‘Jewish’, Del Medigo was participating in the intellectual endeavor of a non-Jewish intellectual milieu . 5 I will return to this point later on. Sometime around 1490, Del Medigo returned to his native Crete (where he was to pass away a few years later) and composed his last and most celebrated work, the BH . Unlike his previous works, BH was written in Hebrew, explicitly addressing a Jewish readership, and treating themes that were widely discussed within the medieval Jewish tradition. 6 Most notably, BH examines the relation between reason and revelation and the rational foundation of Jewish belief, as opposed to the unnatural nature of the Christian creed. Similarly to Averroes’ Desicive Treatise , BH begins by asking whether the study of philosophy is forbidden, permissible or mandatory for the religious practitioner, and concludes with Del Medigo’s own idiosyncratic solution, which does not concern us here. 7 While the work touches upon other themes as well (including a critical account of the Kabbalah tradition), its focal points are the relation between reason and revelation and the rational foundations of Judaism. It is not surprising, therefore, that scholars working in the field of Jewish studies refer to BH as Del Medigo’s most significant achievement, mentioning his earlier works, if at all, 4 While originally composed in Arabic, many of Averroes’ works survived in Hebrew alone, and were translated into Latin in the 15 th and 16 th centuries, in what came to be known as the Renaissance translation movement. See Silvia Di Donato: Traduttori di Averroè e traduzioni ebraico-latine nel dibattito filosofico del XV e XVI secolo, in: Giovanni Licata (ed.): L’averroismo in età moderna (1400-1700), Macerata 2013, pp. 25-51; Dag Hasse: The Social Conditions of the Arabic-(Hebrew-)-Latin Translation Movements in Medieval Spain and in the Renaissance, in: Andreas Speer/ Lydia Wegener (Hg.): Wissen über Grenzen. Arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter, Berlin 2006, pp. 68-86. 5 Engel: Paduan Aristotelianism, pp. 15-23. 6 Del Medigo himself translated some of his works from Latin into Hebrew, yet it is still unclear which readership he had in mind. See Engel: Paduan Aristotelianism, pp. 23-24. 7 See Licata: La via della ragione, p. 292: םא תרתומ איה םאו ,אל םא ה”ערמ תרות איהו תאזה תדה ילעבל תרתומ המכחה תדימל םא הנושאר ןייענו בוט רתויה צ”ע וא הוצמ לבא דבל תרתומ אל התדימל ןכ םא היהתו חרכהה צ”ע. For a textual analysis of this paragraph and a comparison with Averroes’ Decisive Treatise see ibid. , p. 129. The Academic Reception of Beḥinat haDat : Criticizing Jewish Historiography 55 only in passing. 8 Moreover, it seems that BH is the sole reason why scholars of Jewish thought found interest in Del Medigo in the first place, and it is by virtue of BH that Del Medigo was canonized as a Renaissance ‘Jewish philosopher’. Del Medigo’s other, more ‘technical’ works mentioned above were only studied to the extent that they contained scattered remarks of a reflective nature on the relation between reason and revelation and philosophical practice. These notes are taken out of their original context and re-contextualized against the background of Del Medigo’s more systematic account of these themes, as discussed in BH . 9 BH was published no less than three times, and two of these editions may be considered critical. 10 The editio princeps appeared in 1629, and was known to 17 th -century Jewish intellectuals, among them Leone Modena and Spinoza 11 . The academic interest in BH began with the publication of the 1833 edition, published in Vienna and edited by Isaac Samuel Reggio. As noted by Giovanni Licata, Reggio was one of the major proponents of the Italian Haskalah , or ‘enlightenment’ movement. 12 In addition to editing BH , Reggio had translated the Torah into Italian, and was one of the founders of the rabbinical seminary in Padua. Reggio’s activity should therefore be evaluated in the context of a certain zeitgeist , characterized by an attempt to reform Judaism emphasizing its rational foundations and arguing against Kabbalistic interpretations. Del Medigo’s endorsement in BH of a rational form of Judaism as well as his attack on certain Kabbalistic trends, accorded well with Reggio’s own thought. Reggio found in Del Medigo - who also lived and worked in Padua - a predecessor of his own interpretation of Judaism. It is therefore not surprising that, in the introduction to his edition of BH , Reggio explicitly associates Del Medigo and Maimonides with the same rational trend within Judaism, a trend to which he himself felt he belonged. 13 The tangled relationship of scholarship, ideology, and biography, characteristic of the formation of Jewish studies in its early stage, can be clearly seen in this first modern attempt to canonize Del Medigo as a significant Jewish author. 8 Cf. Kalman Bland: Elijah Del Medigo, Unicity of Intellect, and Immortality of Soul, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 61 (1995), pp. 1-22. 9 On this scholarly tendency see Michael Engel: “The Relation between Philosophy and Religion in the Works of Elijah Del Medigo: A Study of Three Models”, in: Tradizione e illuminismo in Uriel da Costa, eds. Giovani Licata and Omero Proietti, Macerata Eum, 2016, p. 105-120. 10 Giovanni Licata: La via della ragione. Elia del medigo e l’averroismo di Spinoza; Jacob Joshua Ross: Sefer Behinat Hadat of Elijah Del Medigo. A critical edition with introduction, notes and commentary, Tel Aviv, The Chaim Rosenberg School of Jewish Studies, 1984. 11 Giovanni Licata: p. 18. 12 See Giovanni Licata: p. 106-110. 13 Cf. Hughes: The Study of Judaism , p. 101. 56 Michael Engel Similarly to Reggio, the German scholars of the Wissenschaft des Judentums and their successors saw in Del Medigo an intellectual and ideological father figure, a celebrated predecessor with whom they shared the same vision of Judaism and fought against the same irrational tendencies, embodied first and foremost in the dangerous teachings of the Kabbalah . The accounts of Del Medigo’s activity that began to appear from the second half of the 19 th century, all, without exception, refer to the BH as the main - if not only - gateway to Del Medigo’s thought. In 1878, censored sections from BH were published as a supplement to the Magazin für die Wissenschaft des Judentums , followed by Adolf Huebsch’s Elia Delmedigo’s Bechinath ha-Dath und Ibn Roshd’s Facl al-maqal in 1882. Early in the 20 th century, Julius Guttman, another significant figure in the later generation of German Jewish scholars published his Elia del Medigos Verhaeltnis zu Averroes in seinem Bechinat ha-Dat . Yet of particular interest in the context of this paper is Heinrich Graetz and his reading of BH . In his History of the Jews , published in 1894, Graetz argues that: It is a striking proof of his sober mind and healthy judgment that Elias del Medigo kept himself aloof from all this mental effeminacy and childish enthusiasm for the pseudo-doctrine of the Kabbalah. He had profound contempt for the Kabbalistic phantom, and did not hesitate to expose its worthlessness. He had the courage openly to express his opinion that the Kabbala is rooted in an intellectual swap. 14 Aaron Hughes depicts Greatz and Abraham Geiger as 19 th century figures who “shared a common assumption that Judaism possesses an internal structure” which one cannot simply reduce to its historical record. 15 Graetz’s ideological 14 Heinrich Graetz: History of the Jews, Philadelphia 1894, vol. IV, p. 292. Cf. Schreiner’s essay: Was ist uns die Wissenschaft des Judentums? , translated and cited in: Christian Wiese: Challenging Colonial Discourse: Jewish Studies and Protestant Theology in Wilhelmine Germany, Leiden/ Boston 2005, p. 77: “Jewish studies is the historical knowledge of Judaism, the science of its religious ideas, their revelation in the great individuals of the Jewish people. Its literature, its religious and moral life […]. It is great evidence of Judaism’s achievements in the past, of its right in the present and future, and it is our protection against prejudices disseminated over millennia, against all intellectual weapons concocted against us and our teachings. […] the difficult task still lies ahead, to awaken all good minds of our race with strong words against the destruction that has been caused by shortsightedness, ignorance, and indifference […] it will also have the duty to make a stand against the attempt to transform our religion into a syncretic construction by accepting foreign institutions.” The early Wissenschaft scholars, Gans (who would eventually convert to Christianity) and Zunz, were seeking, according to Wiese to “use scholarly thinking to achieve an intellectual legitimation of the cultural integration of the Jews, while maintaining their independent religious identity” ( ibid ., 79). 15 Hughes: The Study of Judaism, p. 47-48. Like Reggio, Geiger was a leading figure in the reform movement. See ibidem , p. 48. and polemical tendencies are clearly manifested in the passage cited above, where Del Medigo is praised for his rational methodology, again associating the latter with Maimonides. 16 Graetz, Hughes reminds us, viewed the medieval period as the golden age of Jewish rational thought and Del Medigo certainly belonged - in Graetz’s view as in Reggio’s before him - to that highpoint of Jewish intellectual history. 17 The attitude manifested by Reggio, Graetz, and other early scholars has dominated the study of Del Medigo ever since. Most (though not all) Del Medigo scholars in the 20 th and 21 st centuries seem to presuppose the following: 1. that the opposition between rationality and superstitious tendencies is the focal point of Del Medigo’s thought, and 2. that BH , where Del Medigo discusses the theme in a systematic manner, is the latter’s most significant work. The canonization of BH in the field of Jewish studies, a process characterized by the two assumptions cited above, is a clear manifestation of the apologetic roots of Jewish studies to which Hughes refers in his book. Del Medigo’s reception in modern scholarship also manifests the second of Hughes’ main claims: the damage to modern scholarship caused by these apologetic roots. As mentioned above, while numerous works were dedicated to the study of BH in the last century and a half, only a handful were dedicated to Del Medigo’s other works. 18 These works, composed in Italy, addressed traditional philosophical themes in the fields of Aristotelian logic, physics, and metaphysics. Moreover, in these works, Del Medigo, at the request of his non-Jewish patrons, intentionally omitted discussions of a religious nature that may have appeared polemical or contentious. 19 Del Medigo’s Italian works do not discuss the relation between reason and revelation, not to say the rational foundations of Judaism. Therefore, scholars in the field of Jewish studies found little interest in these works. Yet since Del Medigo was canonized as a ‘Jewish author’, he received very little 16 On the apologetic employment of Maimonides’ name in a different, contemporary and somewhat amusing context see Hughes: The Study of Judaism, p. 114. A comparison of Elijah Del Medigo and Maimonides is beyond the scope of this paper. Suffice it to mention, however, that the social, intellectual and cultural background of the two authors, as well as their philosophical sources, linguistic background, and literary conventions, were significantly different. This is true even if one takes into account Maimonides’ Guide of the Perplexed and Del Medigo’s BH , works which do, indeed, have much in common. 17 See Hughes: The Study of Judaism, p. 50. 18 See Michael Engel: Paduan Aristotelianism; Giovani Licata: Elia del Medigo sull’eternità del mondo, in: Giovani Licata/ Omero Proietti (eds.): Tradizione e illuminismo in Uriel da Costa, Macerata 2016, pp. 51-67; Antonino Poppi: Causalità e Infinità nella Scuola Padovana dal 1480 al 1513, Padova 1966. 19 See Engel: Paduan Aristotelianism, pp. 23-24. The Academic Reception of Beḥinat haDat : Criticizing Jewish Historiography 57 58 Michael Engel attention from scholars of the Aristotelian scholastic tradition, and his unedited works on physics and metaphysics were confined to the dusty shelves of various European libraries. The story of Del Medigo’s reception in modern scholarship is therefore an unfortunate one, and does not reflect his actual contribution to Western thought, which consists more in his introduction of Averroes’ thought to the Latin West, than his shaping of Jewish thought. The majority of his works - the so-called Italian works - were understudied throughout the generations, and still are. Consequently, Del Medigo’s recognition and subsequent canonization in the field of Jewish studies appear to have been based on a misconstrued understanding of his literary output. Not only is BH given exaggerated attention, it is analyzed out of context, without reference to Del Medigo’s prior philosophical activity among non-Jews, which certainly contributed, at least to some extent, to the apologetic nature of BH . In short, Del Medigo’s reception in modern scholarship reflects a distortion of the historical reality and a reinforcement of a misconstrued historiographical perception, a clear manifestation of the wider phenomenon to which Hughes refers in his book. 20 Conclusion This paper attempted a critical examination of the roots of Jewish historiography through the examination of a particular case study, the academic reception of Elijah Del Medigo’s BH . Future studies will hopefully contribute to this critical endeavor, either by corroborating its conclusions or, perhaps, revealing the author’s own biased assumptions and thereby modifying or restricting his critical reading. One methodological tool available for doing so is that of comparative analysis. Scholars in the fields of Latin and Arabic medieval philosophy have also reflected on the ideological roots of a given discipline, and their conclusions may contribute, mutatis mutandis , to the critical study of Jewish historiography. 21 Dimitry Gutas is one such scholar. In his The Study of Arabic 20 Interestingly, the aforementioned scholarly bias has persisted despite the attempt to amend our perception of Del Medigo and his literary output. In recent decades, and alongside the rehabilitation of Kabbalah both as an academic discipline and a historical phenomenon, Del Medigo’s attitude towards Kabbalah has been reexamined and redefined as well. Yet those who try to present a more nuanced version of the relation between philosophy and Kabbalah in the thought of Del Medigo are fated to repeat the methodological bias of Wissenschaft scholars: referring to the relation between reason and revelation as the focal point of Del Medigo’s activity, and to BH as his major work. Cf. Engel: Paduan Aristotelianism, pp. 9-11. 21 See, e.g., John Inglis: Spheres of Philosophical Inquiry and the Historiography of Medieval Philosophy, Boston and Leiden 1998. Philosophy in the Twentieth Century , Gutas criticizes what he calls the “Orientalist Approach” in the study of Arabic philosophy: It is an unfortunate distortion with grave consequences to state that the issue of religion versus philosophy was central in Arabic philosophy. […] not only is what was in reality a legal debate mistaken for a philosophical controversy […] but also the subject of that legal debate is taken to be representative of all Arabic philosophy and its central concern. 22 With few adjustments, Gutas’ critique may be applied to the case of Del Medigo’s reception as well. Employing Gutas’ terminology, Del Medigo scholars have replaced the study of “philosophy proper,” as it appears in Del Medigo’s Italian works, with the legal, meta-philosophical debate of the BH , taking this debate to represent Del Medigo’s oeuvre in its entirety. In addition, one may point to the “unfortunate distortion with grave consequences” evident in the scholarly reception of Del Medigo’s literary activity. To this “unfortunate situation”, to quote Hughes’ study, Del Medigo serves as single testimony among many others. 22 Dimitri Gutas: The Study of Arabic Philosophy in the Twentieth Century: An Essay on the Historiography of Arabic Philosophy, in: British Journal of Middle Eastern Studies 29, No. 1 (May 2002), pp. 14-15. The Academic Reception of Beḥinat haDat : Criticizing Jewish Historiography 59 East-West Experiments in the Prose of the Young Heine Maria Carolina Foi A fascination with the East permeates all the literature of the Goethezeit starting from Lessing’s eighteenth century masterpiece Nathan der Weise . In the age of Romanticism, the imagination of many German poets and writers (Novalis, Wackenroder, Tieck, Arnim, Brentano, Hoffmann - to mention just a few) veers decisively towards the East or, rather, to the many different Orients working in parallel in the fields of philology, linguistics and translation, with Friedrich Schlegel and Franz Bopp in the forefront. 1 With regard to the particular interest in the Orient in German-speaking countries - an interest which at that time was not sustained by colonial interests nor fuelled by direct contact with the Other - Eduard Said assigned to this singular German imaginative fascination with the Orient a kind of intellectual authority. 2 Another German author who shared this fascination with the Orient and bowed to its intellectual authority was Heinrich Heine, who was writing in the wake of, arguably, the greatest poetic achievement of that period, Goethe’s West-östlicher Diwan : “Unbeschreiblich ist der Zauber dieses Buches”; as Heine himself was to declare in his essay Die romantische Schule : “es ist ein Selam, den der Okzident dem Oriente geschickt hat.” 3 As has been authoritatively pointed 1 See among the most recent reference works on German literature and the Orient: Klaus-Michael Bogdal: Orientdiskurse in der deutschen Literatur, Bielefeld 2007; Philippe Alexandre/ Sylvie Grimm-Hamen: L’Orient dans la littérature et la culture allemandes 18ème-20ème siècles, Nancy 2007; Charis Goer/ Michael Hofmann (Hg.): Der Deutschen Morgenland: Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850, München 2008. 2 Cf. Eduard W Said: Orientalism. Western Conception of the Orient, New York 1978; for an articulate discussion on Said’s arguments and their reception see also: Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19. Jahrhundert, Berlin/ New York 2005, pp. 9-39. 3 Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, 12 Bd., München 1968, Bd 5, p. 403. Subsequent quotations from this work are cited parenthetically in the text using the following abbreviation: HB, volume and page number. 62 Maria Carolina Foi out, in all his poetic works Heine makes a “wise but also quietly shameless” 4 use of the themes, motifs and topoi of various aspects of the Orient, indulging in a dizzyingly ironic exploitation of their evident cliché -status. Experiments with the East, however, are striking features of Heine’s early literary production. And I am not referring to famous poems such as Auf Flügeln des Gesanges , Die Lotosblume , or Ein Fichtenbaum steht einsam , published in Buch der Lieder , 5 but rather to his tragedy Almansor , published in 1823. It is well known that Herder and the early Romantics had assigned a fundamental role to Spanish literature in the modern canon. In the years of the Restoration, this drama on which the young Heine had been working between 1820 and 1822 can be inserted into the rediscovery of Moorish Spain and the epoch of the Reconquista cultivated by the Spätromantik . The young Almansor, an Arab nobleman who, after the victory of the Christians had refused to renege his faith and chosen to go into exile, returns to his homeland of Granada to see again his one-time beloved who at this point has been converted and is about to be married. Their love is rekindled but the story ends tragically when the young lovers choose to die. But is Heine’s Almansor really a tragedy inspired by an attentive study of the Islamic world or simply a key drama, an allegory of the problematic Jewish-German identity of Heine himself? Considered in these terms, the alternative on which the scholars have worked so exhaustively, 6 is perhaps simply insoluble or ill-placed. In the first place, Almansor is only the first and, artistically speaking, the least successful of a whole series of experiments that hinge on relocations, plots and echoes of Oriental 4 See on this topic a fundamental text: Luciano Zagari: Il fascino del primitivo, in: L’Oriente. Storia di una figura nelle arti occidentali (1700-2000), a cura di P. Amalfitano/ L. Innocenti, vol. I, Roma 2007, pp. 277-320. 5 On Heine’s poetry and the East in general: Mirijam Weber: Der „wahre Poesie-Orient“: eine Untersuchung zur Orientalismus-Theorie Edward Saids am Beispiel von Goethes „West-östlichem Divan“ und der Lyrik Heines, Wiesbaden 2001; Paul Peters: Fichtenbaum und Palme: Politik und Poesie in Heines Orientalismus, in: Rüdiger Goerner/ Nima Mina (Hg.): ‚Wenn die Rosenhimmel tanzen‘: orientalische Motivik in der deutschsprachigen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, München 2006, p. 128-155; Joseph A. Kruse: Heine und der Orient, in: Goer/ Hofmann (Hg.): Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850, pp. 165-178. 6 On Almansor see the entry in Gerhard Höhn: Almansor, in: Ders. (Hg.): Heine-Handbuch. Zeit-Person-Werk, 3. Auflage, Stuttgart 2004, pp. 46-50; on Islamic motifs and themes: Mounir Fendri: Halbmond, Kreuz und Schibboleth. Heinrich Heine und der islamische Orient, Hamburg 1980; Joseph A. Kruse: ,Aber allah! Welch ein Anblick‘. Heine und der Islam, in: Heine-Jahrbuch 44 (2004), pp. 94-112; Karl-Joseph Kuschel: Heines Almansor als Widerruf von Lessigs Nathan? Heine und Lessing im Spannungsfeld von Judentum Christentum und Islam, in: Heine-Jahrbuch 44 (2004), pp. 42-62; Constantin Sonkwé Tayim: Hybridität und kulturelle Differenz: Anmerkungen zu Heinrich Heines Tragödie ‚Almansor‘, in: Heine-Jahrbuch 47 (2008), pp. 206-217. East-West Experiments in the Prose of the Young Heine 63 themes and motifs that were to be decisive in both the poetic and intellectual development of the young Heine. In his writings, in fact, there is an East at work that is specifically linked to Judaic culture in its various aspects. It is an East relocated both in Spain and in Eastern Europe: in both cases it is an Orient that should be investigated in the light of a recognition of the Jews as an Eastern people and of the Bible as a poetic text-- a recognition that had already been formed in the eighteenth century, 7 and that was to gain a firm hold in the early nineteenth century when it became a turning point in Jewish thought and self-representation. The East-West experiments of the young Heine on which I would like to focus took place, in fact, between 1821 and 1824 and they can be defined through his enthusiastic discussion of the themes of the Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden and then with the emerging Wissenschaft des Judentums , to which they provide a kind of literary countermelody. Heine’s dual concept of the East moves from West to East and from East to West and creates singular poetic concretions involving a hybridization of themes and motifs that interact within the context of the German and Romantic culture of the time. In order to understand how this comes about, I would like to concentrate on Heine’s prose of that period and to analyze in particular relevant passages taken from the travelogue Über Polen and from Die Harzreise , concluding with some observations on Der Rabbi von Bacherach . My intention, in short, is to establish whether and to what extent the historical-conceptual categories introduced by the Verein into research on Judaic identity in modern times were reworked and represented by Heine in a literary medium and what meaning the various Eastern motifs they evoke may have. To this end, it is necessary to briefly recapitulate on some of the objectives pursued by a group of young Jewish intellectuals who got together in Berlin in the Twenties. Under pressure from the political Restoration and growing anti-Semitism, they again asked themselves the question that had been posed by Moses Mendelssohn and the Maskilim : what does it mean for the followers of a modern culture to be Jews and, indeed, what makes a Jew a Jew? Fidelity to the laws or observance of the practices of the reformed Judaic faith seemed to be too centered on the individual and to now require a further, alternative justification. 8 7 Herder’s reflection on this point is fundamental: see the volume of miscellaneous essays by Cristoph Schulte (Hg.): Hebräische Poesie und judischer Volksgeist. Die Wirkungsgeschichte von Johann Gottfried Herder im Judentum Mittel- und Osteuropas, Hildesheim 2003. 8 Cf. on the Verein: Kerstin von der Krone: Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden, in: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK), Bd. 6, Stutt- 64 Maria Carolina Foi Many of the members of the Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden had had access to the excellent education guaranteed by the university system, which had been modernised in line with the ideals of the Wissenschaft as defined by Wilhelm von Humboldt. Undisputed stars of the German academic firmament, such as the jurist Savigny and the philosopher Hegel together with the great philologists Wolf and Boeckh, were teaching, in Berlin in those years. And their lessons left their mark. This was true, above all, in the case of Leopold Zunz 9 , who followed the great philologists but also to a certain extent the positive-historical approach to law of Savigny and the Historical School, when he grasped the importance of reconstructing the textual tradition of the Middle Ages. This can be deduced from his pioneering work of 1818, Etwas über die rabbinische Literatur . According to Zunz, the period in which he was living and the process of emancipation that at that time marked the end of the Rabbinic tradition in the history of the Jews also offered a unique opportunity to gather and organize post-biblical Judaic literature as a whole. From a religious and theological point of view, detaching oneself from the Talmud and the Rabbinic tradition, as indeed Mendelssohn had done, now signified being able to rediscover that tradition in the sign of a scholarly interest. In this respect philology represented the reference science. “Hier“ we read in the above-mentioned essay “wird die ganze Litteratur der Juden, in ihrem größten Umfange, als Gegenstand der Forschung aufgestellt, ohne uns darum zu kümmern, ob ihr sämmtlicher Inhalt auch Norm für unser eigenes Urtheilen soll oder kann.” 10 Only a scientific comparison with the post-biblical Judaic past can help provide an accurate image of the nature of the Jews and Judaism and of the significance of their history. Only careful philological research will make it possible to recognize and separate “das Alte brauchbare, das Veraltete schädliche, das Neue wünschenswerthe” 11 in the historical documents. gart/ Weimar 2015, pp. 256-259; for a scholarly overview see: Ismar Schorsch: Das erste Jahrhundert der Wissenschaft des Judentums, in: Michael Brenner/ Stefan Rohrbacher (Hg.): Wissenschaft von Judentum (1818-1919), Göttingen 2000, pp. 11-24; cf. also the still instructive contribution: Michael A. Meyer: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz. Jüdische Identität in Deutschland (1749-1824), 3. Auflage, München 2011. 9 See Glatzer’s introduction to: Nahum N. Glatzer (Hg.): Leopold Zunz: Jude, Deutscher, Europäer, Tübingen 1964; further the chapter on Zunz in: Meyer: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, pp. 166-212, and the recent biography by Ismar Schorsch: Leopold Zunz: Creativity in Adversity, Philadelphia 2016, pp. 1-54. 10 Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Litteratur, in: Id.: Gesammelte Schriften, Bd. I, Berlin 1875, p. 5. 11 Ibidem . East-West Experiments in the Prose of the Young Heine 65 While Zunz is looking to philology and the methods of the Historical School, 12 the president of the Verein, the jurist Eduard Gans is very far from Savigny’s systematic framework. 13 The three talks that Gans delivered for the Verein attribute the aspirations of that small intellectual avant-garde to Hegel’s philosophy of universal history and to his dialectics. 14 It is a question of vindicating now, from a non-confessional standpoint, the role that is due to Jewish Nationalität in modern times. In the face of the risk that within Hegel’s philosophical-historical framework Judaism would prove to be a great event belonging only to the past, Gans is only able to offer an evocative natural metaphor: “in die grosse Bewegung des Ganzen soll [das Judentum] untergegangen scheinen und dennoch fortleben, wie der Strom fortlebt in dem Ozean.” 15 The apologetic intention of the Verein , although it is in contrast with the desire for an objective study, is expressed in the mythologizing of a specific segment of the historical Diaspora: it glorifies the Golden Age of the Sephardic Jews in Spain. 16 The young Jewish scholars of Berlin celebrate this era as a great model that unites autonomous 12 Giuseppe Veltri has rightly pointed out the importance of Herder for Zunz: Giuseppe Veltri: Implizite Rezeption: Johann Gottfried Herder und Lepold Zunz, in: Schulte (Hg.): Hebräische Poesie und jüdischer Volksgeist, pp. 153-166. It might also be worthwhile to investigate a possible implicit reception of Savigny and of his arguments in the Kodifikationsstreit . This aspect has been neglected by Meyer as well as by Schorsch who insist instead on Savigny’s anti-Semitic position commented on by Zunz in order to justify the variance between himself and the founder of the Historical School: cf. Meyer: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, pp. 81-183, 247; Schorsch: Leopold Zunz, pp. 11-23, dwells extensively on Zunz’s university experience in his comparison with Rühs’ anti-semitic ideas. 13 Norbert Waszek: Eduard Gans (1797-1839): Hegelianer-Jude-Europäer, Frankfurt/ M. 1991, contains the three talks Gans delivered for the Verein (pp. 55-85); on the Judaism of Gans and his conflict with Savigny and on the analogies between criticism of the micrological method of the Historical School and the Rabbinic tradition: Norbert Waszek: Eduard Gans: una critica hegeliana a von Savigny, in: Giuseppe Cantillo/ Anna Donise (a cura di): Soggetto-Natura-Cultura, Napoli 2007, pp. 169-190; see also Joachim Rückert: Savigny-Studien, Frankfurt a. M. 2011 [Studien zu europäischen Rechtsgeschichte, Bd. 11], pp. 381-413, 415-447. 14 On the importance of Hegel for Gans and the Verein , see Willi Jasper: Hegel und die jüdische Intelligenz - Anmerkungen zur Problematik einer philosophischen Beziehungs- und Begriffsgeschichte, in: Reinhard Blänkner/ Gerhard Göhler/ Norbert Waszek (Hg.): Eduard Gans (1797-1839). Politischer Professor zwischen Restauration und Vormärz, Leipzig 2002, pp. 57-69; Norbert Waszek: „Wissenschaft und Liebe zu den Seinen.“ Eduard Gans und die hegelianischen Ursprünge der ‚Wissenschaft des Judenthums‘, in: Blänkner/ Göhler/ Waszek (Hg.): Eduard Gans (1797-1839), pp. 71-103. 15 Eduard Gans: Drei Reden von Eduard Gans im Kulturverein (1822), in: Waszek: Eduard Gans (1797-1839), p. 65. 16 For a recent reconstruction of this myth, see: Carsten Schapkow: Vorbild und Gegenbild. Das iberische Judentum in der deutsch-jüdischen Erinnerungskultur 1779-1939, Köln/ Weimar/ Wien 2011. 66 Maria Carolina Foi culture and social integration, a model that could and should be re-proposed for the present. But how and under what circumstances? The Verein , Heine would write in an affectionate and melancholy obituary in 1840, aimed high and followed “eine hochfliegend große, aber unausführbare idee” (HB 9, 179). [Der] esoterische Zweck jenes Vereins [war] nichts anderes als eine Vermittlung des historischen Judentums mit der modernen Wissenschaft, von welcher man annahm, daß sie im Laufe der Zeit zur Weltherrschaft gelangen würde. (HB 9, 183) As to the militancy of the young Heine in the Verein , especially in its last decade, there is no lack of studies, 17 starting from the scrutiny of the numerous accounts of the two years spent in Berlin between 1821 and 1823: the many letters sent to Moses Moser, whom Heine referred to as the “eigentliche Seele” (HB 9,180) of the group; the respect and admiration he expressed for Zunz, from whose teachings in the Synagogue he expected “freylich keine Erbauung und sanftmüthige Seelenpflaster; aber etwas viel besseres, eine Aufregung der Kraft“ (HSA 20, 72-73); and the attention he devoted to the Zeitschrift für die Wissenschaft des Judentums - he advised Zunz to insist on its cultural aspects and style with a view to making it more appealing to a wider audience (HSA 20, 102-103). Nevertheless, a critical reappraisal of Heine’s experience with the Verein in parallel with the publication and genesis of his other works of the same period may reveal a few surprises especially if we consider what Heine managed to achieve through the east/ west dichotomy. His indirect response, through the medium of literary essays, to the possibility of a new Jewish identity, vital and integrated in the present and, hence, his response to the suitability of the Spanish model for the Verein , consists in an inversion of that tendency or, in other words, a dislocation. The model Eastern Jew is no longer the Sephardic Jew of medieval Spain, but the kind of Jew he would meet when he left Berlin and travelled east. In his account of a journey he made to Poland in 1822 he tells of his first encounter, as a cultured Jewish intellectual from the German world, with the world of the shtetl . “Das Äußere des polnischen Juden ist schrecklich. Mich überläuft ein Schauder, wenn ich daran denke, wie ich […] zuerst ein polnisches Dorf sah, meistens von Juden bewohnt.” (HB 3,75) At the sight of that community made up of “zerlumpten Schmitzgestalten”, Heine is overcome by a feeling of nausea. 17 On the experience of Heine in the Verein , cf.: Edith Lutz: Der „Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden“ und sein Mitglied H. Heine, Stuttgart/ Weimar 1997; Ead: Heinrich Heine im ,Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden‘, in: PaRDeS 12 (2006), pp. 27-40. East-West Experiments in the Prose of the Young Heine 67 “Ihre Sprache ist ein mit Hebräisch durchwirktes, und mit Polnisch façonniertes Deutsch” (HB 3, 76) that grates on his ears. But - he goes on - that disgust “wurde […] bald verdrängt von Mitleid, nachdem ich den Zustand dieser Menschen näher betrachtete, und die schweinstallartigen Löcher sah, worin sie wohnen, mauscheln, beten, schachern und - elend sind” (HB 3, 76). In short, the Eastern Jews - Heine continues - “sind offenbar mit der europaischen Kultur nicht fortgeschritten und ihre Geisteswelt versumpfte zu einem unerquicklichen Aberglauben, den eine spitzfindige Scholastik in tausenderlei wunderlichen Formen hinein quetscht.” (HB 3, 76) In this judgment of the religious tradition of Jews from the East there can doubtlessly be traced some of the criticisms already leveled by the Haskalah, the Judaic enlightenment, at the Rabbinic tradition. And the remark on superstition might well lead us to believe that these observations also involve the Hasidic movement, which was considered a serious obstacle to the renewal of Judaism. There is a plethora of polemical writings by the Maskilim in which the mystic irrationalism and cultural practices of the new religious current (or, rather, neo-Hasidism) that had sprung up in Eastern Europe were unreservedly condemned. Regarding the situation of the Polish Jews in general, in his Polish travel memoir Heine confines himself to mentioning only Über die Verbesserung der Israeliten im Königreich Polen, a government report by David Friedländer, published in 1819 from which, in fact, he garnered a wealth of information. His praise of the report, however, is tempered by the critical reservation that the merits and moral standing of the Rabbis has not been fully understood. (HB 3, 74) In Über Polen , however, a few lines after the realistic description that introduces for the first time a large number of typical, albeit negative, features that would recur in a long series of literary portrayals of the Judaic world of Eastern Europe, a singular re-evaluation emerges: Dennoch, trotz der barbarischen Pelzmütze, die seinen Kopf bedeckt, und der noch barbarischen Ideen, die denselben füllen, schätze ich den polnischen Juden weit höher als so manchen deutschen Juden, der seinen Bolivar auf dem Kopf, und seinen Jean Paul im Kopfe trägt. (HB 3,77) How best to interpret such an explicit appreciation of a Judaic identity that has remained resolutely true to itself? Is it a criticism of the illusions of the advocates of a reformed Judaism? 18 Is it a reiteration of the critical reservations he had 18 The criticism of Friedländer, who dismissed the role played by the Polish Rabbis, tends in this direction. In several letters to friends in the Verein Heine bitterly criticises Friedländer’s position, for example in a letter to Wohlwill of Aprile 1823: “Einige Hüneraugenoperateurs (Friedländer &Co.) haben den Körper des Judenthums von seinem fatalen Hautgeschwür heilengesucht, und durch Ihre Ungeschicklichkeit und spinnwebige Ver- 68 Maria Carolina Foi expressed concerning the Friedländer report? If so, is it an indirect denunciation of the consequences of a model for emancipated Jews which, for the Western Jews, among whom Heine is also to be numbered, was taking shape within the distorting mirror of anti-Semitism? Another passage in the travelogue would lead us to think so: In der schroffen Abgeschlossenheit wurde der Charakter des polnischen Jude ein Ganzes […]. Der innere Mensch wurde kein quodlibetartiges Kompositum heterogener Gefühle und verkümmerte nicht durch die Einzwängung frankfurter Judengemauern […]. Der polnische Jude mit seinem schmutzigen Pelze, mit seinem bevölkerten Bart und Knoblauchgeruch und Gemauschel, ist mir noch immer lieber als mancher in all seiner staatspapiernen Herrlichkeit. (HB 3,77) A century later, Joseph Roth in Juden auf Wanderschaft , another East European travel memoir, was to celebrate, in almost the same words as Heine, the virtues of the Eastern Jew who has remained “echt und unberührt”, 19 authentic and intact. It would seem that Heine’s writing inspired the great rediscovery of the world of East European Judaism, in its turn a new form of mythologizing promoted by the Zionist movement at the beginning of the twentieth century, which arguably found its most famous literary celebration in the rewriting of the Hasidic legends by Martin Buber. 20 The question is, did Heine manage to express himself on the Ostjuden in these terms simply by virtue of an inspired and farseeing intuition? It is true that in those years there began to appear in print the first written examples of Hasidic literature 21 but it is highly unlikely that he was able to consult them nor can he have been inspired to express such a positive opinion by the contributions in the Zeitschrift that were published by the Verein . It is known that in the course nunftbandagen muß Israel verbluten.” (HSA 20, 72-73) On Friedländer: Meyer: Von Moses Mendelssohn zu Leopold Zunz, pp. 66-99; on his Polen-Bericht , the Introduction by Uta Lohmann in: David Friedländer: Werke, hg. von Uta Lohmann, Köln 2015, pp. 7-37. 19 Cf. Joseph Roth: Juden auf Wanderschaft, Berlin 2015, p. 15. See Steven A. Aschheim: Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German Jewish Consciousness 1800-1923, Madison 1982. For a comparison between literary recognitions of the places of Heine’s Eastern Judaism, Th. Lessing, A. Zweig e J. Roth, see: Claudia Sonino: Exil, Diaspora, Gelobtes Land? Deutsche Juden blicken nach Osten, Berlin 2002. 20 On the re-evaluation of the Ostjude in the early nineteenth century cf.: Michael Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, München 2000; on Buber’s rewritings, with a wide-ranging international bibliography on the history of the Hasidic movement see Andreina Lavagetto: Buber: i libri chassidici, in: Martin Buber: Storie e leggende chassidiche, a cura di Andreina Lavagetto, cronologia di Massimiliano De Villa, Milano 2008, pp. XII-LVII . 21 The first printed texts of the Hasidic movement appeared in Yiddish in 1814 in Byelorussia. East-West Experiments in the Prose of the Young Heine 69 of the nineteenth century the Wissenschaft des Judentums , which was more sensitive than the Maskilim to expressions of the popular Judaic spirit, was to judge the Hasidic phenomenon less severely. But in 1822, on the basis of what presuppositions did Heine view the opposition between Eastern and Western Jews? The reply to this question might, at first glance, be surprising: the interpretative categories which Heine uses to reappraise the authentic and integral life of the Ostjuden are, in fact, the same categories that he used to evaluate the tradition of popular German poetry as an expression of authentic life. In order to understand this, it is enough to turn to the Harzreise , the first and highly successful of the Reisebilder published just two years after his Polish travelogue and reread the pages that describe the encounter of a cultured, carefree law student with the miners of the Harz. As happened in the case of the intellectual narrator in the Polish travelogue, here too the first-person narrator visits a community that is a world unto itself, on the margins of social and cultural development, a world where the people are outsiders who still live and work according to the ancient customs. As in Über Polen , the narrator describes in realistic terms the extremely hard living conditions. But, exactly as it did with the Ostjuden, at a certain point, the narrator’s admiration becomes evident. The miners and their families, in fact, live a life that is completely justified in itself: “So stillstehend ruhig auch das Leben dieser Leute erscheint, so ist es dennoch ein wahrhaftes, lebendiges Leben” (HB 3,118). The narrator goes so far as to stay with the miners and take part in their community life, which is punctuated by the singing of Lieder , and the telling of legends and stories that have been handed down by word of mouth from generation to generation, a poetic heritage that nourishes and preserves a common identity. The re-evaluation of the Ostjudentum is couched in the same terms that are used to evaluate the tradition of popular Germanic poetry. 22 Heine’s East-West experiments are experiments that were made possible by the categories of German historical-philological science understood within a wider spectrum such as Wissenschaft des deutschen Volkes , which was born from the rib of the Historical School of Savigny and took its first steps alongside the studies initiated by Jacob Grimm on old popular German poetry. 23 Grimm believed that he could 22 On the comparison with Heine and the Historical School and with Gans and its poetic/ literary implications see: Maria Carolina Foi: „Die Harzreise“: Heine und die Rechstkultur seiner Zeit, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 61 (1997), pp. 236-255 . 23 On the relationship between Grimm and Savigny and its implications for emerging German Studies: Steffen Martus: Die Brüder Grimm. Eine Biographie, Berlin 2011, pp. 72-79, 169-260; Maria Carolina Foi: Heine e la vecchia Germania. La questione tedesca fra poesia e diritto, Trieste 2015, pp. 19-47; on the constitution of German Studies in the early 70 Maria Carolina Foi rediscover the most authentic traditions of the people in the Lieder, the fairytales, the sagas and legends and in poetry understood as a choral and collective expression in the marginal poetry of uncultivated people. His philological-cultural work served an identity function: recovering accounts of the German past meant being able to construct the future of the nation on that rediscovered and revitalized past, and to set it on the road to unification. In this context it is possible to note certain features in common with the search for Judaic identity pursued by the Verein . I will confine myself to pointing out a series of parallels: in the Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft of 1814 Savigny had recommended the study of the juridical heritage of the Holy Roman Empire - in contrast to Thibauts’s suggestion it be abolished - so that the scientia iuris could distinguish what is vital from what is no longer relevant in the collective juridical consciousness. 24 In the same way Zunz, as mentioned earlier, set out to recognize “das Alte brauchbare, das Veraltete schädliche, das Neue wünschenswerthe”. 25 The idea that the testimonials of the medieval Rabbinic tradition should be studied in a new way at a time when it was recognized that the sun of that tradition had set, brings to mind the urgency with which Jacob Grimm turned his attention to popular German poetry, sagas and fables because, as he was to say to Savigny in 1814: “Zeit zu sammeln ist jetzt noch, vor Jahrhunderten hätte es kräftiger geschehen können” and “wir [sammeln] kurz vor dem einbrechenden Untergang und dagegen”. 26 As the prose of the Reisebilder and his great essays of the Thirties demonstrate, Heine would be able to question the regressive and nationalistic tendencies of that Wissenschaft des deutschen Volkes which he had known intimately from its inception when he was studying in German universities. Already in the prose of Die Nordsee . Dritte Abteilung there is a distance from all forms of the mythologizing of identitarian compactness. The fishing community of the Island of Nornineteenth century: Frank Fürbeth (Hg.): Zur Geschichte und Problematik der Nationalphilologien in Europa. 150 Jahre Erste Germanistenversammlung in Frankfurt/ Main (1846-1996), Tübingen 1999; on the history of German Studies see the first chapter in: Pier Carlo Bontempelli: Knowledge, Power and Discipline: German Studies and National Identity, Minneapolis 2004. 24 Friedrich Carl von Savigny: Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, in: Hans Hattenauer: Thibaut und Savigny. Ihre programmatische Schriften, München 1973, p. 168. The scientia iuris proposed by Savigny has the goal of going back to the root of all subjects in order to discover the organic principle wherein everything that is vital must be separated automatically from what belongs to the past and is, therefore, dead: see Foi: Heine e la vecchia Germania, p. 78. 25 Leopold Zunz: Etwas über die rabbinische Literatur, p. 5. 26 Wilhelm Schoof (Hg. in Verbindung mit Ingeborg Schnack): Briefe der Brüder Grimm an Savigny, Berlin 1953, p. 174. East-West Experiments in the Prose of the Young Heine 71 derney described in that text is, in fact, also a tight-knit community that lives in an authentically poetic dimension like the Ostjuden and the miners of the Harz. But now, within a philosophical-historical perspective, Heine confines himself to noting the great pain, “[den] große Schmerz über den Verlust der National-Besonderheiten, die in der Allgemeinheit neuerer Kultur verloren gehen, ein[en] Schmerz, der jetzt in den Herzen aller Völker zuckt” (HB 3, 326). 27 This affirmation also sums up for him the final sense of the discussions of the Verein about the position to be assigned to the Judaic people and the Judaic spirit in the vicissitudes of World history. The great pain pulsating in the heart of all peoples also concerns the meaning and fate of Judaism in modernity that the Verein had tried in vain to recover and redefine. That attempt had also pursued Heine himself in Der Rabbi von Bacherach , the novel he conceived as a powerful historical fresco that would reckon with that great, specifically Jewish pain and that was also to include a re-elaboration of the myth of the Sephardic Jews in the Spanish Golden Age. The project - unsurprisingly, given its premises - was to remain uncompleted. The Rhine Rabbi, although educated in the highly cultured and tolerant school of Toledo, would never manage to return to the liberal Spain of the three cultures. In the last pages of the first chapter, where the writing proceeded in parallel with the writing of Harzreise, there is an implicit acknowledgement: the esoteric goal of the Verein , “die Vermittlung des historischen Judentums mit der modernen Wissenschaft” (HB 9,183) was not, in fact, achievable. Poetic creation can follow other paths. Here no mediation can be envisaged nor can there exist a plausible symbiosis between the world of the Rhine Father with its Nibelung treasure and the Judaic melodies of the Haggadah that rise to the lips of the beautiful Sarah in flight with her Rabbi husband as the umpteenth pogrom is under way in the community of Bacherach. As has been convincingly demonstrated, 28 it is here that the ‘third space’ of poetry emerges, a hybrid place in which over-sharply defined dichotomies and opposites interact in a play of perspectives that follow at the same time the fracture lines of the former. The last image that comes to the mind of the Rabbi’s wife as she is rocked by the waves of the Rhine is an Oriental fatherland that exists nowhere except in the individual and collective 27 Cf. Andreas B. Kilcher: Die Wissenschaft des Judentums und die Frage der deutsch-jüdischen Literatur, in: Hans-Otto Horch (Hg.): Handbuch der deutsch-jüdischen Literatur, Berlin/ New York 2016, pp. 72-73, which higlights the dialectic of universality and particularity as a basis of the historical and systematic description of Judaic literature in the Wissenschaft des Judentums of Immanuel Wolf e Leopold Zunz. 28 Lorella Bosco: Il terzo spazio. Ibridità e costruzione dell’identità ebraica nel “Rabbi von Bacherach” di Heinrich Heine, in: A.I. O. N. Sez. Germ. N. F. 17 (2007) 1-2, pp. 471-482; Steffen Leibold: „Der Rabbi von Bacherach“ - Heinrich Heines ,fragmentarisches‘ Verhältnis zu den Juden seiner Zeit, in: Heine-Jahrbuch 55 (2015), pp. 41-57. 72 Maria Carolina Foi Jewish memory: “es zeigte sich oben die heilige Stadt Jerusalem, mit ihren Türmen und Toren; in goldner Pracht leuchtete der Tempel; […] im Allerheiligsten kniete der fromme König David, […] und lieblich ertönte sein Gesang und Saitenspiel, - und selig lächelnd entschlief die schöne Sara” (HB 1, 474). The Eastern fatherland in which the harp of David rings out is the ideal poetic space that Heine claims for himself and his vocation as a Jewish and German writer. 29 The poet, to borrow from the phantasmagorical genealogy of a poem in Romanzero , the summa of Heine’s East-West imagination, is undoubtedly a pariah, a Schlehmil , but, above all, he is “der absolute Traumweltherrscher” (HB 11, 136). 29 Cf. Regina Grundmann: Haggada als Poesie - Poesie als Offenbarung: Heinrich Heines Transformation der rabbinischen Überlieferung, in: Heine-Jahrbuch 45 (2006), pp. 223-235; Bernd Witte: Jüdische Tradition und literarische Moderne: Heine, Buber, Kafka, Benjamin, Göttingen 2007 . Orientalismus als Paradox Die deutsch-jüdische Spannung bei Heine, Zunz und dem Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden Mauro Ponzi Die deutsche Differenz Als ich vor einigen Jahrzehnten als Humboldt-Stipendiat in Berlin Dominique Bourel kennenlernte, und merkte, dass er sich als ,Orientalist‘ bezeichnete, habe ich mir die Frage gestellt, was eigentlich „Orientalismus“ sei. Am Beispiel der deutschen Kultur ist dieser Begriff immer noch problematisch. Ohne den Anspruch zu erheben, eine ausführliche Definition des Begriffes zu liefern, brauchen wir doch eine Begriffsbestimmung des ,Orientalismus‘, oder besser gesagt, müssen wir deutlich erklären, was wir mit ,Orientalismus‘ meinen. Wie bekannt, hat Edward Said die Grundlinien der Begriffsbestimmung geliefert. 1 Mit dem Begriff Orientalismus bezeichnet er in seinem 1978 erschienenen Werk den eurozentrischen, westlichen Blick auf die Gesellschaften und Kulturen des Nahen Ostens bzw. auf die arabische Welt als eine Herrschaftsform und eine Umstrukturierung des Autoritätsbesitzes über den Orient. Dieses Denken drücke ein Überlegenheitsgefühl gegenüber dem Orient aus und sei ein Teil der modernen politischen und intellektuellen Kultur unserer Zeit. Der Orientalismus sei also nur ein Bild, eine vom westlichen Kolonialismus produzierte klischeeartige Vorstellung der Völker und Kulturen des Nahen Ostens. Bernard Lewis hat insofern Saids Begriffsbestimmung umgekippt, als er behauptet, dass der Orientalismus eine kulturelle und politische Selbstfindung, ein Bewusstwerden der Völker des Nahen Ostens dem westlichen Kolonialismus gegenüber sei. 2 Innerhalb der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte ist dieser Begriff mit der Vorstellung der Juden, die die deutsche Kultur hervorgebracht hat, und 1 Edward Said: Orientalism, London 1978. 2 Vgl. Bernard Lewis: The Middle East and the West, London 1964; Islam and the West, New York 1994. 74 Mauro Ponzi mit dem Gegensatz Identität-Assimilation eng verbunden. Es ist ja wahr, dass das Problem der Assimilation in jedem Land der Diaspora mehr oder weniger entstand. Wir können aber ohne weiteres von einer ,deutschen Differenz‘ sprechen, weil der Beitrag der ,deutschen Autoren jüdischen Glaubens‘ zur deutschen Literatur, Philosophie und Kultur viel entscheidender war als in jedem anderen europäischen Land. Die Besonderheit der zeitgenössischen italienischen Philosophie zwischen Marxismus und Biopolitik wird im amerikanischen Sprachraum ebenfalls als Differenz wahrgenommen und als italian difference bezeichnet. So können wir diese Definition entlehnen, um die besondere Eigenschaft der jüdischen Tradition innerhalb der deutschen Literatur- und Kulturgeschichte zu bezeichnen. Und diese Besonderheit des deutschen Judentums besteht darin, dass die jüdischen Autoren insgesamt Protagonisten der deutschen Literatur und Philosophie waren, so dass wenn die deutsch-jüdischen Autoren von der deutschen Literatur und Philosophie ausgeschlossen werden - wie manche Deutschnationalen einmal vorschlugen - wird die deutsche Kultur mindestens halbiert. Diese ,deutsche Differenz‘ bringt aber viele Probleme, Spannungen und Zerrissenheit mit sich. Die in der Zeit der deutschen Aufklärung entstandene Theorie der ,deutsch-jüdischen Symbiose‘ erwies sich als eine Legende. 3 Heinrich von Treitschke hielt die jüdischen Autoren deutscher Sprache für „unverfälschte Orientalen“, mit dem Ziel, sie von der ,wahren‘ deutschnationalen Kultur auszuschließen. Die Westjuden deutscher Sprache wurden immer - auch Jahrhunderte zuvor - von der ,bürgerlichen Gesellschaft‘ abgegrenzt. Die Bezeichnung der Westjuden als „Orientalen“ entstand viel früher, als Treitschke und Wassermann sie formulierten. Die ,deutsche Differenz‘ besteht in einer Spannung zwischen deutscher Kultur und jüdischer Tradition, die nie gelöst wurde und auf deren Grundlage die deutsch-jüdische Literatur und Philosophie analysiert werden muss. In dieser kulturpolitischen Situation der Ausgrenzung wurden die Westjuden gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: entweder eine Art Assimilation zustande zu bringen oder aber ihre jüdische Identität zu bestätigen und eine Form der Selbstabgrenzung zu bewirken. Die Suche nach einer kulturellen Identität greift immer auf die Tradition zurück und sie gründet auf dem Prinzip der Ausschließung: Die Begriffsbestimmung des Eigenen braucht die Darstellung einer entgegengesetzten Alterität, so wie die Bestimmung einer Identität ein äußeres, ausgeschlossenes Fremdes voraussetzt, das als eine Bedrohung empfunden wird und deshalb durch eine Demarkation, durch eine ständige Setzung von Grenzen, von unüberschreit- 3 Vgl. Hans Mayer: Der Widerruf. Über Deutsche und Juden, Frankfurt a. M. 1994. Orientalismus als Paradox 75 baren Grenzlinien, bestimmt wird. 4 Aber in dem gleichen Moment, in dem man Demarkationslinien festsetzt, entstehen - wie Derrida schreibt 5 - Grenzgebiete, welche sich immer wieder dieser strengen Unterscheidung entziehen. Grenzgebiete können nicht leicht unter festen Kategorien des ,entweder-oder‘ eingeordnet werden, sie überschreiten immer wieder diese Demarkationslinien. Die monokulturelle Obsession setzt immer neue Demarkationen der Vielfältigkeit der Zwischenräume gegenüber. Aber jede neue Demarkation bringt immer wieder neue Dekonstruktionen mit sich. Die Westjuden, die versucht haben, in die bürgerliche Gesellschaft einzutreten und darin mitzuwirken, stellten sich eben in diese Zwischenräume, in denen die Überlegung über die kulturelle Identität von den Beiträgen der Interferenzen, welche aus den fremden Räumen kommen, angereichert wird. Indem man die Denkkategorien, die das Eigene, das Deutsch-Nationale, das An-der-Tradition-Gefesselte verherrlichten, umkehrt, merkt man, dass die angebliche Reinheit der Kultur, die man durch die Ausschließung des Fremden erreichen will, eigentlich eine „erlogene Reinheit“ ist - um Goethe zu zitieren. 6 Es ist das, was Foucault Heterotopie nennt, ein Ort, der von anderen Topoi, von Grenzgebieten durchquert wird, es sind nämlich Zwischenräume, in denen heterogene Gegenstände nebeneinander bestehen, und die als solche feste Überzeugungen in Frage stellen und von uns fordern, vorherbestehende Kategorien neu zu denken, sie umzubilden. 7 Die westliche Denkungsart - in ihrer Form des Kolonialismus und des Nationalismus - hat immer seinen eigenen way of life als die einzige, als die Form verstanden, die man in die noch-nichtzivilisierten Länder exportieren muss, und sie hat dadurch eine kulturelle Hierarchie sowohl in der idealistischen Form des ,guten Wilden‘ als auch in der exotischen Form der Reise in die Ferne als auch in der angreifenden Form der Eroberung und der Zwangszivilisierung des Fremden aufgestellt. So ein Modell der Gesellschaft und der Kultur gründet auf dem Gegensatz in / out und in der Aufstellung einer einzigen Vorstellung der Gesellschaft, der Kultur, der Organisation und des Denkens. Dem Nationalismus ist es gelungen, die Überzeugung durchzusetzen, dass eine ,Kulturnation‘ das Recht und sogar die Pflicht hatte, mit Gewalt die Fremden zu zivilisieren und zu 4 Vgl. Sieglinde Borvitz/ Mauro Ponzi (Hg.): Schwellen. Aufsätze für eine neue Theorie des Raums, Düsseldorf 2014. 5 Vgl. Jacques Derrida: Die Schrift und die Differenz, Frankfurt a. M. 1972; Ders.: Randgänge der Philosophie, Wien 1988. 6 „Der Schnee ist eine erlogene Reinlichkeit“, in: Johann Wolfgang Goethe: Berliner Ausgabe, hg. von Siegfried Seidel. Bd. 18: Maximen und Reflexionen, Berlin/ Weimar 1972, S. 495. 7 Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. M. 1971, S. 22 f. 76 Mauro Ponzi modernisieren. Das Denken und die Kultur des Fremden waren für die Deutschnationalen unverständlich und unzugänglich: Sie wurden als eine Bedrohung wahrgenommen, die man entweder durch die Zwangsassimilation oder durch die einfache Vernichtung abwenden konnte. Die Westjuden sollten deshalb entweder den Weg der Assimilation oder aber den der Selbstausgrenzung und der Bestätigung der eigenen Identität wählen. Sogar die verschiedenen Vorstellungen des Orientalismus widerholen diese entgegengesetzten Positionen: Orientalismus als Bild des westlichen Kolonialismus oder als Selbstverständnis der Länder und Kulturen des Nahen-Ostens. Klaus Briegleb ist sehr radikal in der Bewertung der jüdischen Assimilationsversuche und bezeichnet sie als Marranentum. 8 Unter diesem Begriff versteht Briegleb „eine Gruppe Juden, die sich dadurch aus der Masse des Volks hervorheben, dass sie einmal eine Zeit hindurch, mindestens ein Jahrhundert lang, meist viel länger, Christen gewesen sind“. 9 Andere Forscher nennen den Versuch, das Judentum der deutschen Kultur anzupassen, eine Form der Hybridität. Wenn wir aber das kulturhistorische Phänomen mit den von Foucault und Waldenfels gelieferten Begriffsbestimmungen analysieren, scheint diese deutsch-jüdische Spannung eher ein paradigmatisches Beispiel der Heterotopie. Schriftsteller und Philosophen, die an zwei unterschiedlichen Traditionen teilnehmen, sind nicht Halbjuden und Halbdeutsche, sondern 100-Prozent Juden und 100-Prozent Deutsche. Ich würde weniger von Hybridismus sondern vielmehr von doppelter Identität, also von Heterotopie sprechen. Die jüdische Sittlichkeit des Dekalogs und der daran anschließenden Tradition werden bei den assimilierten Westjuden im Sinne der Moralphilosophie Kants als überzeitlich ausgegeben und damit in neuem Verständnis zur neuen Verbindlichkeit erhoben. Daraus folgt zwangsläufig der Schritt zur ,Entnationalisierung‘ der jüdischen Religion, wie sie einer Vielzahl von liberalen Reformversuchen innerhalb des deutschen Judentums im 19. Jahrhundert zugrunde liegt. 10 Die von der deutschen Aufklärung erfundene Theorie der ,deutsch-jüdischen Symbiose‘ hat seinen Ursprung in Kants Auffassung der Überzeitlichkeit und daher der Außergeschichtlichkeit der Universalien. Wenn man diese Lehre auf die politische Strategie der deutschen Juden überträgt, wird sie zur ,Entnationalisierung des Judentums‘ und stellt somit das Problem der Assimilation und 8 Klaus Briegleb: Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller der Moderne, München 1997, S. 5-19. 9 Ebd., S. 7. 10 Hans-Peter Bayerdörfer: Das Bild des Ostjuden in der deutschen Literatur, in: Herbert A. Strauss/ Christian Hoffmann (Hg.): Juden und Judentum in der Literatur, München 1985, S. 216; vgl. auch Heinz Mosche Graupe: Die Entstehung des modernen Judentums. Geschichte des modernen Judentums 1650-1942, Hamburg 1977, S. 142-152. Orientalismus als Paradox 77 der Gleichberechtigung als Hauptfrage. Auf die Frage der ,Entnationalisierung‘ hat der Zionismus in der Jahrhundertwende eine entscheidende Antwort gegeben. Das Paradox besteht darin, dass die Emanzipation der deutschen Juden nicht durch die Assimilation in den gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen des deutschen Staates, sondern durch den Zionismus und später durch die Gründung des Staates Israel stattfand. Das Konzept des Staates und der Nationalismus sind aber typische Produkte der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts, die eigentlich sehr gravierende Folgen gehabt hat. Die rationalistische und aufklärerische Komponente des deutschen Judentums - die Haskalah - hat hingegen eine andere Hypothese entwickelt, die nicht auf dem Begriff der Nation, sondern auf dem Prinzip der Internationalisierung des Judentums gründete. Diese Strategie hat viele sehr interessante kulturelle Ergebnisse hervorgebracht, sie erwies sich aber als unzulänglich und scheiterte. Der Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden Die kulturpolitischen Positionen von Heinrich Heine und Leopold Zunz, sowie die der Mitglieder des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden, müssen als eine Nachwirkung der Haskalah , dieser aufklärerischen Bewegung, die für die soziale und kulturelle Emanzipation der Juden kämpfte, verstanden werden. Die Ergebnisse dieser Bewegung waren vielseitig und sehr unterschiedlich. Der Fall Heine und der Fall Zunz stellen zwei besondere Varianten dieses Anspruchs zur Modernisierung des deutschen Judentums dar. Ich möchte hier eine Arbeitshypothese aufstellen: Zunz’ und Heines intellektuelle Vorgänge sind von einer Verortung gekennzeichnet: die Wiederentdeckung der jüdischen Identität am Beispiel des polnischen Städtl, die mit einer Zurückgewinnung der kulturellen und religiösen Quellen zusammenkommt. Hier spielt die Zentralität der Torah sowie die Übertragung ihrer Vorschriften eine zentrale Rolle. Dieser ,Orientalismus‘ - in beiden Sinnen des Wortes und zwar: Indem das Ostjudentum als Vorbild für die Westjuden gilt und Westjuden wiederum als ,Orientalen‘ der deutschen Kultur gehalten werden - kommt man zu einem überraschenden Ergebnis (wenigstens solange Heine Mitglied des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden war): nämlich die Verwendung der jüdischen Kultur und Wissenschaft, um mit vollem Recht in die deutsche bürgerliche Gesellschaft einzutreten. Es ist im Grunde eine Selbstfindung der jüdischen Identität, die paradoxerweise zur Assimilation führt. Und diese Verortung ist bei Heine auf noch ausgeprägtere Weise ausgeführt, wenn wir die Tatsache in Betracht ziehen, dass seine geistige Entwicklung, die mit seiner Reise nach Polen und mit dem Beitritt in den Verein anfing, einen literarischen Niederschlag in dem Ende des Rabbi von Bacherach als Idealisierung einer typischen Formel der Haska- 78 Mauro Ponzi lah findet. Er stellt - wenn nicht eine Symbiose -, mindestens eine friedliche Koexistenz und ein Beisammensein der starken jüdischen Identität mit dem aufklärerischen Christentum dar, und verortet diese idealisierte Vorstellung in Spanien, wobei diese Zeit- und Ort-Verschiebung die utopische Natur dieser Darstellung verstärkt. Die theoretische Paradoxie besteht also nicht nur in der Wiederentdeckung der starken Identität des Ostjudentums, um eine Form der Assimilation zu verwirklichen, sondern auch in der Tatsache, dass das östliche Vorbild symbolisch in Westen verortet wird, und zwar in einem utopischen und abstrakten Spanien. Bei Zunz ist diese Problematik vielleicht nicht so gespalten, dennoch entzieht sie sich nicht ganz einer paradoxen Ambiguität: In der Abhandlung Etwas über die rabbinische Literatur, erschienen im Jahre 1818, lieferte Zunz in eigentümlicher Weise das mögliche Programm der wissenschaftlichen Betrachtung des Judentums, welches ,die ganze Litteratur der Juden‘ umfassen sollte und so vielfältige Bereiche wie die Theologie, Mythologie, Dogmatologie, Religion, Jurisprudenz, Ethik, Naturwissenschaften, Medizin, Alterthumskunde und Sprachwissenschaften einschloss. Zunz beließ es nicht bei einer Aufzählung dessen, vielmehr unterzog er diese Forschungsbereiche einer eingehenden Bewertung hinsichtlich des gegenwärtigen Forschungsstandes auf jüdischer wie christlicher Seite. 11 Den Begriff der rabbinischen Literatur nutze er hier in symbolischer Weise, stellvertretend für die Missachtung der jüdischen Kultur in ihrer Gesamtheit und als Verweis auf die weitgehend negative Wertung, welche dem Attribut ,rabbinisch‘ in christlichen gelehrten Kreisen eingeschrieben war. In den folgenden Jahren sollte Zunz den Begriff der ,jüdischen Literatur‘ prägen. Dem von Zunz formulierten Anspruch eines universellen Erkenntnisinteresses war ein zugleich partikulärer, spezifisch jüdischer Bedeutungsgehalt beigegeben. Für Zunz erschien die Bearbeitung unserer Wissenschaft im großen Stile eine Pflicht, um den nachfolgenden Generationen eine im Zuge von Emanzipation und Akkulturation zu verschwinden drohende Kultur zu bewahren und als Erfahrungsraum zu erhalten. Dies bedeutete jedoch keineswegs, die traditionelle jüdische Gelehrsamkeit durch die moderne Wissenschaft zu ersetzen, vielmehr sollte sie mit ihrer Hilfe erneuert und fortgeführt werden. Die Idee der Erneuerung erstreckte sich dabei nicht allein auf Fragen der Methodologie, etwa im Umgang mit religiösen oder weltlichen Texten, sondern wurde mit der Erneuerung des Judentums in ihrer Gesamtheit gleichgesetzt. Damit knüpfte die moderne jüdische Wissenschaft an die Ideale der Haskalah, der jüdischen 11 Kerstin von der Krone: Wissenschaft in Öffentlichkeit. Die Wissenschaft des Judentums und ihre Zeitschrift, Berlin 2012, S. 1. Orientalismus als Paradox 79 Aufklärung, an, und weist sich als eine der bedeutsamsten innerjüdischen Reformbewegungen der Moderne aus. 12 Nur ein Jahr nach Erscheinen seiner Abhandlung gründete Zunz in Berlin gemeinsam mit Studienkollegen den Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden (1819-1824), der die Idee einer jüdischen Wissenschaft durch ein Vortrags- und Unterrichtsprogramm umzusetzen versuchte. Ungeachtet ihrer kurzen Lebensdauer und ihres bescheidenen Erfolges steht diese erste jüdische wissenschaftliche Zeitschrift symbolisch für die Anfänge der modernen jüdischen Wissenschaft, die in den nachfolgenden Jahrzehnten zahlreiche Werke zur jüdischen Geschichte, Literatur und Philosophie hervorbringen und gleichfalls eine eigenständige Wissenschaftspresse ausbilden sollte. Die Zeitschrift spielte eine entscheidende Rolle in der Selbstfindung, Bejahung und Bestätigung einer jüdischen Identität, Kultur und Wissenschaft im deutschsprachigen Raum. Die Berliner Mitglieder des Vereins waren von einer radikalen Reformvorstellung dominiert, deren Quelle die Hegelsche Philosophie war. Man hatte sich von Kants individualistischen Moralkategorien als Grundbestand auch deutsch-jüdischer Aufklärungskonzepte gelöst, also auch von der Berliner Aufklärung, und setzte auf die Entwicklungslogik des „sittlichen Staats“. 13 Briegleb sieht die Ursache des Kontrastes zwischen der Berliner und der Hamburger Gruppe des Vereins in dieser Hegelschen Auffassung der Berliner. Es ist wohl wahr, dass die Mitglieder des Hamburger Vereins den Reformansprüchen der Berliner Gruppe gegenüber sehr skeptisch waren. Diese Bedenken waren aber vielmehr von pragmatischen kulturpolitischen Überlegungen als von der Zugehörigkeit zur Kants Philosophie verursacht. Moses Moser meint, dass der Geschichtsgang der Vernunft über das Partikuläre hinweggehe, und dass die Geschichte der Vernunft in ihm als Schmerz zurückbleibe. Im Namen des Allgemeinen und der Modernisierung der Juden ist Moser - so wie Gans - bereit, die jüdische Religion in eine Weltreligion zu verwandeln und sich taufen zu lassen, um in die deutsche bürgerliche Gesellschaft einzutreten. Zunz hat Heines Dichtkunst beeinflusst; der religiöse Materialismus, die Körperlichkeit, die „blasphämisch-religiöse Körperwelt“, 14 welche Heines Werk charakterisieren, finden ihre Wurzel in der Kabalah und in den ,orientalischen‘ Studien von Zunz. In einem Brief an Moses Moser vom 18. Juni 1823 schreibt Heine: „Die Doktrin Zunzs hat mir mit thränenden ( Judaism) Augen geklagt; dass man ihren Mann ebenfalls zur Idee machen wollte, und dass sie dadurch all 12 Ebd., S. 2. 13 Briegleb: Bei den Wassern Babels, S. 32. 14 Vgl. Gerhard Sauder: Blasphämisch-religiöse Körperwelt, in: Wolfgang Kuttenkeuler (Hg.): Heinrich Heine: Artistik und Engagement, Stuttgart 1977, S. 118 ff. 80 Mauro Ponzi seine Kraft und Saft verlöre, Jost hätte sich deshalb vom Verein zurückgezogen und Auerbach sei mal dadurch krank geworden.“ 15 Heine Heines Auffassung der Moderne entstand aus seiner Auseinandersetzung mit dem Modernitätsbegriff der Romantischen Schule, sie wurde von den Pariser Ereignissen der Juli-Revolution bestätigt. Aber schon Anfang der 20er Jahre konfrontierte er sich mit einer anderen Auffassung der Moderne, in der die emanzipatorischen Züge in den Vordergrund rückten. Heines Entwicklung kann auch im Licht des Emanzipationsprozesses des deutschen Judentums interpretiert werden. Die Tatsache, dass er in einer Stadt aufgewachsen ist, in der das französische Bürgerrecht galt, und dass er dank dem code Napoleon fast automatisch eine Art französischer Bürgerschaft erwarb, hat zweifellos einen Einfluss auf seine Persönlichkeit und sogar auf seine Mentalität gehabt. 16 Der Emanzipationsprozess der deutschen Juden hat auch eine innere Spaltung zwischen kultureller Identität und politischem Kampf für die Bürgerrechte hervorgebracht. 17 Heines Zerrissenheit ist in erster Linie auf diesen Konflikt zwischen jüdischem Selbstbewusstsein und Assimilation zurückzuführen. Die jüdischen Autoren deutscher Sprache wurden von dieser Spannung geprägt: Einerseits bekennen sie sich zu einer religiösen Tradition, aus der sie Stil, Bilder, Themen und Motiven erben und entnehmen, und die sie dadurch mit allen möglichen Varianten entwickeln und verbreiten; andererseits aber denken und schreiben sie in deutscher Sprache, sie sind innerhalb der deutschen Kultur gebildet worden, sie sind in vollem Sinn des Wortes Autoren deutscher Sprache und Vertreter der deutschen Kultur. In Heine bringt diese Spannung eine Reihe bipolarer Konflikte mit sich: Deutschland-Frankreich, Spiritualismus-Materialismus, Romantik-Realismus, Dichtung-Gesellschaft, Religion-Politik, Na- 15 Heinrich Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse (= Säkularausgabe), hg. von Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten zu Weimar/ Centre National de la Recherche Scientifique de Paris, Berlin/ Paris 1970 ff., Bd. XX, S. 97. 16 „Es sind ja auch die staatsrechtlichen Folgen der vorübergehenden französischen Regierungszeit nicht zu vergessen: eine Verfügung vom Oktober 1814 gibt allen zwischen 1791 und 1801 in Düsseldorf Geborenen Wohnrecht in Frankreich, so daß Heine später im Pariser Exil keine Ausweisung zu befürchten braucht (wovon beispielsweise 1845 Karl Marx betroffen wird)“ (Walter Hinck: Die Wunde Deutschland. Heinrich Heines Dichtung im Widerstreit von Nationalidee, Judentum und Antisemitismus, Frankfurt a. M. 1990, S. 14). 17 Vgl.: Herbert A. Strauss: Akkulturation als Schicksal. Einleitende Bemerkungen zum Verhältnis von Juden und Umwelt, in Ders./ Hoffmann: Juden und Judentum in der Literatur, S. 7-26. Orientalismus als Paradox 81 zarenen-Hellenen, Kunstperiode-Moderne, usw. Alle Themen und Motive von Heines Leben und Werk können ohne weiteres auf den radikalen Identitätskonflikt zurückgeführt werden, der eigentlich seine Zerrissenheit bewirkt. Die Literaturkritik hat oft versucht, diesen Konflikt zugunsten eines der Gegenpole (in einer der Grundvarianten) zu lösen, aber die Spannung zwischen der Identitätsverbindung zur religiösen und kulturellen Tradition und der Notwendigkeit einer Emanzipation in der modernen Gesellschaft bildet eine einzige Konstellation, die man nicht beiseitelegen darf, wenn man sein Werk verstehen will. Diese Spannung blieb in Heine (und daher in seinen Werken) bis zum Ende ohne Lösung und sie ist eine Voraussetzung seiner literarischen Produktion und sogar ein werkimmanentes Element, das man als ungelösten Konflikt betrachten muss. Schon in Berlin hat Heine die Modernisierung als eine Voraussetzung zur Emanzipation verstanden, als einen notwendigen Schritt, um seine Ausgrenzung als Jude zu überwinden. Er wurde 1822 Mitglied des Vereins für Cultur und Wissenschaft der Juden, und diesen Eintritt kann man als Reaktion auf seine Enttäuschungen von den Burschenschaften und Studentengesellschaften, die sich als antisemitisch erwiesen, verstehen. Die Reise nach Polen hat seine Entscheidung bestätigt, im Verein aktiv zu werden, um eine kulturpolitische Antwort auf das Elend der östlichen Ghettos zu formulieren. 18 Der Verein kämpfte für die Modernisierung des Judentums, weshalb seine Mitglieder „Reformjuden“ genannt wurden. Eine entscheidende Persönlichkeit innerhalb des Vereins war David Friedländer, ein Schüler Moses Mendelssohns. Er trat für eine Zusammenarbeit zwischen den monotheistischen Religionen ein und behauptete, dass die Juden die Taufe als eine „bloße Form“ verstehen sollten, um die bürokratischen und juristischen Hindernisse der Universitäts- und Staatskarriere überwinden zu können. 19 Kein Zufall, dass diejenigen Juden, die eine entscheidende Rolle in den Berliner literarischen Salons spielten, getauft waren, und diese Taufe als 18 Vgl. Hinck: Die Wunde Deutschland, S. 44. 19 „Der Verein setzt Bestrebungen um eine Änderung herkömmlicher jüdischer Glaubenspraxis fort, die sich bis auf Moses Mendelssohns Einspruch gegen den rabbinischen Formalismus zurückführen lassen. Einen entscheidenden Schritt weiter als Mendelssohn geht sein Schüler David Friedländer mit Vorstellungen und Vorschlägen, die eine bemerkenswerte Folie für Heines spätere Konversion zum Protestantismus bilden. In der Absicht, den Zwang der Ortodoxie, den Zwang des jüdischen Zerimonialsystems abzuschütteln, fragt Friedländer in einem anonymen Sendschreiben an den Berliner Probst Teller nach Möglichkeiten für Juden in der ,großen protestantischen Gesellschaft‘ einen ,Zufluchtsort‘ zu finden (1799). Bekundet wird die Bereitschaft, sich der christlichen Taufezeremonie zu unterwerfen, der Taufe als einer ,bloßen Form‘, die keine Anerkennung kirchlicher Dogmen, sondern nur der ,ewigen Wahrheiten‘ einschließe“ (ebd., S. 42f.) . 82 Mauro Ponzi wesentlichen Schritt verstanden, um sich von den vorgeschriebenen Vorschriften der Tradition emanzipieren zu können und um in die moderne Gesellschaft eintreten zu dürfen. 20 Eduard Gans, Dozent für Jurisprudenz und Schüler Hegels, übernahm bald eine führende Rolle im Kulturverein, und war zugleich Heines Mentor für seinen Eintritt im Verein. Letzterer hatte ein Reform-Programm und stellte den Versuch dar, die berufliche und rechtliche Gleichsetzung der Juden in der modernen deutschen Gesellschaft zu verwirklichen. Und Heine hatte vor, eben in diesem Bereich tätig zu werden. 21 In einem Brief vom 23.8.1823 an Moses Moser bestätigt Heine seine Bereitschaft, sich für den Verein zu engagieren: Daß ich für die Rechte der Juden und ihre bürgerliche Gleichstellung enthousiastisch sein werde gestehe ich, und in schlimmen Zeiten, die unausbleiblich sind, wird der germanische Pöbel meine Stimme hören, daß es in deutschen Bierstuben und Palästen wiederschallt. Doch der geborene Feind aller positiven Religionen wird nie für diejenige Religion sich zum Champion aufwerfen, die zuletzt jene Menschenmäkeley 22 aufgebracht, die uns jetzt so viel Schmerzen verursacht. 23 Indem aber Heine das Modernisierungsprogramm des Vereins unterstützte, verstand er es nur als Eintrittskarte in die bürgerliche Gesellschaft, als Möglichkeit, eine Universitätskarriere aufbauen zu können. Diese Hoffnung erwies sich aber bald als Illusion. Er sah von vornherein die Fragwürdigkeit und den Widerspruch dieser Auffassung der Modernisierung und nutzte seine scharfe Ironie, um Theorie und Praxis der Vereinsmitglieder darzustellen. Besonders Gans’ Optimismus und dessen Versuch, eine neue Kolonie im Ausland zu gründen, wird Ziel seiner ironischen Bemerkung: Wenn einst Ganstown erbaut sein wird, und ein glücklicheres Geschlecht an Mississippi Lulef 24 benscht und Matzes kaut, und eine neu-jüdische Literatur emporblüht, dann werden unsere jetzigen merkantilischen Börsenausdrücke zur poetischer Sprache gehören, und ein poetischer Urenkel des kleinen Markus wird in Talles und Tefil- 20 Vgl.: Barbara Hahn (Hg.): „Im Schlaf bin ich wacher“. Die Träume der Rahel Levin Varnhagen, Frankfurt a. M. 1990; ferner: Gert Mattenklott: Über Juden in Deutschland, Frankfurt a. M. 1992. 21 Heine schrieb an Moses Moser am 18. Juni 1823: „Von Dir erwarte ich, daß Du mir schreibst (aber kurz) wie ich in Hinsicht des Vereines mich dort zu betragen habe, wen ich dort besuchen kann, und drgl. Kann ich dort einen bestimmten Auftrag des Vereins ausführen, der sich auf schon in Berlin besprochenes gründet, so will ich ihn gern übernehmen“. In: Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse, Bd. XX, S. 98. 22 Vgl. Lessings Nathan der Weise, II, 5. 23 Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Bd. XX, S. 107. 24 „Lulef“: Palmzweig für das Launhüttenfest. „Benschen“: jiddisch für beten, weihen. Orientalismus als Paradox 83 lim 25 von der ganzen Ganstowner Kille 26 singen: Sie saßen an den Wassern der Spree und zählten Tresorscheine, da kamen ihre Feinde und sprachen gebt uns Londoner Wechsel - hoch ist der Cours. 27 Hier verwendet Heine jiddische und jüdische Worte, er zitiert in umgebildeter Form den Psalm 137, 28 stellt aber den optimistischen und idealistischen Anspruch des Vereins der materialistischen und zielgerichteten Aufmerksamkeit auf das Geld und auf die Karriere seiner Mitglieder entgegen. Im oben zitierten Brief an Moses Moser vom 23. Mai 1823 schreibt er: „Hast Du nicht […] gemerkt, daß ich ein jüdischer Dichter bin? “ 29 Aber in einem späteren Brief vom 21. Januar 1824 behauptet er: „Eigentlich bin ich auch kein Deutscher, wie Du wohl weißt.“ 30 Diese Behauptungen werden zugleich in ihr Gegenteil umgekippt und sie werden so ironisch geäußert, dass ihr Wahrheitsgehalt in Frage gestellt wird. Eben in dem Moment, in dem Heine sich als „jüdischen Dichter“ bezeichnet, und seine Bereitschaft bestätigt, für den Verein zu arbeiten, schildert er mit Sarkasmus die Unzulänglichkeit der Strategie von Gans und ironisiert dessen Projekt, eine jüdische Kolonie in Amerika zu gründen. Nun wird dieser Sarkasmus mit einer erneuten Umkehrung der Positionen eben durch Bilder und Sprache geäußert, die aus der jüdischen Tradition stammen. So wie die Behauptung, er sei kein deutscher Dichter, eine polemische Nebenbedeutung beinhaltet, weil sie in dem Kontext einer ironischen Einschätzung des „indischen“ Stücks von Michael Beer geäußert wird. 31 Modernität und Judentum sind bei Heine zwei untrennbare Seiten seines Daseins. Seine Analyse der geschichtlichen und politischen Lage und seine Skepsis gegenüber der Glücksversprechung der Reformjuden sind - im Grunde genommen - die Säkularisierung seiner tiefen Beschäftigung mit der Schrift; und sie wird in der letzten Phase seines Lebens zu einer theologischen Neuformulierung seiner Poetik. Der Sarkasmus, mit dem Heine Gans’ Taufe, als Versuch eine Professur zu bekommen, schildert, widerspricht ganz und gar der Tatsache, dass er selber 25 „Talles“: jiddischer Ausdruck. Hebr.: tallit : Gebetsmantel. „Tefillim“. Hebr. tefillin : Gebetsriemen mit Kapsel. 26 Kille. Hebr.: Kehilla : Gemeinde. 27 Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Bd. XX, S. 87. 28 „An den Wassern zu Babel saßen wir, und weineten, wenn wir an Zion gedachten“ (Psalmen, 137, 1). 29 Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Bd. XX, S. 87. 30 Ebd., S. 136. 31 Vgl. Jürgen Stenzel: Das Opfer als Autor. Poetische Assimilation in Michael Beers „Der Paria“ , in: Albrecht Schöne (Hg.): Kontroverse, alte und neue. Akten des VII Internationalen Germanisten-Kongresses. Göttingen 1985, Bd. V, Tübingen 1986, S. 122-128. 84 Mauro Ponzi sich taufen ließ. Die scharfe Polemik gegen die „Wasserjuden“, 32 die man in seinem Briefwechsel mit Moser herauslesen kann, ist ein Zeichen seiner Spannung zwischen Identität und Assimilation, bzw. Eintritt in die moderne Gesellschaft. 33 Das Wasserbild wird von Heine stets als Symbol des Katholizismus und der religiösen Integration verwendet, was übrigens dem Programm des Vereins entspricht. Der erste Zyklus von Nordsee endet zum Beispiel mit dem Gedicht Frieden , wo das Wasserbild mit der Christusfigur verschmolzen wird und es auf die Assimilation verweist. Das Modernisierungsprogramm des Vereins scheitert, als es sich als illusorisch erweist und Heine feststellt, dass er jene gehoffte Eintrittskarte in die moderne Gesellschaft nicht einmal durch die Taufe bekommt. So fühlt er sich mehr denn je isoliert: „Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhasst. Ich bereue sehr, dass ich mich getauft hab, ich habe seitdem nichts als Unglück“ 34 - wie er in einem Brief an Moser vom 9. Januar 1826 schreibt. Trotz aller Identitätsprobleme 35 darf man den politischen Aspekt seiner formellen Bekehrung nicht unterschätzen. In den Geständnissen nennt er sich „einen protestierenden Protestant“, 36 indem er die instrumentelle Seite seiner Bekehrung betont: „Berlin vaut bien un prêche“. 37 32 In einem Brief an Moser vom 21. Januar 1824 schreibt Heine: „Diese Anspielung auf Christus mag wohl manchen Leuten gefallen, besonders da ein Jude, ein Wasserdichter, that will no say a jew who is a waterpoet, but a jew who is not yet baptised, a water-proove-jew! “ In: Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Bd. XX, S. 137. 33 „Ich weiß nicht was ich sagen soll, Cohn versichert mich Gans predige das Christenthum, und suche die Kinder Israel zu bekehren. Tut er dieses aus Überzeugung so ist er Narr; tut er es aus Gleisnerey so ist er ein Lump. Ich werde zwar nich aufhören Gans zu lieben, dennoch gestehe ich, weit lieber wärs mir gewesen wenn ich, statt obiger Nachricht, erfahren hätte, Gans habe silberne Löffel gestolen. Daß Du, lieber Moses, wie Gans denken sollst kann ich nicht glauben, obwohl es Cohn versichert und es sogar von Dir selber wissen will“. Ebd., S. 227. 34 Ebd., S. 234. 35 In einem früheren Brief an Moser hatte er September 1823 diesbezüglich geschrieben: „Wie Du denken kannst - kommt hier die Taufe zur Sprache. Keiner von meiner Familie ist dagegen, außer ich. Und dieser ich ist sehr eigensinniger Natur. Aus meiner Denkungsart kannst Du es Dir wohl abstrahiren, daß mir die Taufe ein gleichgültiger Akt ist, daß ich ihn auch symbolisch nicht wichtig achte, und daß er in den Verhältnissen und auf der Weise wie er bei mir vollzogen werden würde, auch für Andere keine Bedeutung hätte. Für mich hätte vielleicht die Bedeutung, daß ich mich der Verfechtung der Rechte meiner unglücklichen Stammesgenossen mehr weihen würde. Aber dennoch halte ich es unter meiner Würde und meine Ehre befleckend wenn ich, um ein Amt in Preußen anzunehmen, mich taufen ließe. Im lieben Preußen!!! Ich weiß wirklich nicht wie ich in meiner schlechten Lage helfen soll. Ich werde noch aus Aerger katholisch und hänge mich auf.“ Ebd., S. 113. 36 Heinrich Heine: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke (=- Düsseldorfer Heine-Ausgabe), hg. von Manfred Windfuhr, 16 Bde, Hamburg 1973-1997, Bd. XV, S. 50. 37 Ebd., S. 42. Orientalismus als Paradox 85 Heine ist nicht in der Lage, aus seinem innerlichen Zwiespalt theoretisch herauszukommen; er bildet den Gegensatz zwischen Identität und Assimilation in eine ironische und selbstironische Schreibweise um, die den Zwang dichterisch produktiv macht. Die deutsch-jüdische Spannung - man könnte aber zugleich die Gegenüberstellung zwischen Romantik und moderner Gesellschaft sagen - wird durch die ironische Zerstörung der einzelnen Gegenpole dichterisch überwunden. Und die Lösung erweist sich als die ,plastische‘ Darstellung dieser inneren Spaltung, die zur Allegorie der Übergangszeit wird. Als Heine eine Bilanz seines Lebens zieht, schreibt er: „Es ist nichts aus mir geworden, nichts als ein Dichter.“ 38 Keineswegs handelt es sich hier um eine „Bescheidenheit“, weil er sich mit Goethe gleichsetzt; und wenn wir den Bildern und der Sprache die entsprechende kommunikative und expressive Bedeutung, die Heine verlangte, zuschreiben, dann betrachtet er sein dichterisches Werk als ein typisches Produkt der Kunstperiode. Heine - wie er selber schreibt - übernimmt aus Madame de Staëls De l’Allemagne den gedanklichen Unterschied zwischen „Spiritualisten“ und „Materialisten“ als Kriterium der literarischen Analyse. 39 Er bekennt aber zugleich, dass er seine Aufsätze über die deutsche Literatur als Antwort auf und Korrektur der Darstellung von Madame de Staël geschrieben hat. 40 Die Gegenüberstellung von Materialisten und Spiritualisten wird nicht mit der Nationalität der Autoren verbunden. Heine behauptet im Gegensatz zu Madame de Staël, dass viele deutsche Autoren den Materialisten zuzuordnen seien, und dass Goethe ein „großer Hellene“ gewesen sei. Damit will er den literarischen Unterschied zwischen Goethe und der Romantik unterstreichen, d. h. dass eine unüberbrückbare Lücke zwischen der Kunstperiode und der neuen Zeit klafft. In der französischen Fassung der Geständnisse , die mit dem Titel Aveux de l’auteur 1855 veröffentlicht wurde, verschärft er seine Kritik an Madame de Staël. Man müsste den Unterschied zwischen Materialisten und Spiritualisten nicht an ihrer Nationalität sondern an ihrer Schreibweise messen. Der späte Heine gewinnt eine religiöse Dimension zurück, jedoch nicht eine „spiritualistische“ Schreibweise; ganz im Gegenteil, er verwendet die dichterische Sprache als Aufbaumaterial und verstärkt seine Ironie bis zum Sarkasmus. Bis zum Ende - in den Geständnissen , im zweiten Band von De l’Allemagne - bestätigt Heine die 38 Ebd., S. 55. 39 „Il n’y a donc dans l’Europe littéraire que deux grandes divisions très marquées: […] la littérature qui, dans son origine a reçu du paganisme sa couleur et son charme, et la littérature dont l’impulsion et le développement appartiennent à une religion essentiellement spiritualiste“. In: Germaine de Staël: De l’Allemagne, Paris 1968, S. 46. 40 „Ich ertheilte meinem Buche denselben Titel, unter welchem Frau von Staël ihr berühmtes Werk, das denselben Gegenstand behandelt, herausgegeben hat, und zwar that ich es aus polemischer Absicht“. In: Heine: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. XV, S. 15. 86 Mauro Ponzi politischen Valenzen der Unterscheidung zwischen Materialisten und Spiritualisten. In dem Moment, in dem er die biblischen Stellen zitiert und seinem „Freund Marx“ den Ratschlag gibt, die Bibel zu lesen, schreibt er wiederholt, eine „grèco-païenne“ 41 Natur zu haben; in dem Moment, in dem er Hegel mit dem Teufel vergleicht, ironisiert er die Tatsache, dass das weibliche Selbstbewusstsein sich in dem Wunsch eines Kleides konkretisiert. 42 Bei dem späten Heine also taucht der Orientalismus im Sinne einer tiefen Identifizierung mit der jüdischen Religion wieder auf. Kulturpolitisch aber wird diese jüdische Wurzel mit einer anderen östlichen heidnischen Komponente verschmolzen. Heines Orientalismus besteht immer wieder in der Kombination von zwei Kulturen und zwei ästhetischen Strategien, die nur in dem Zwischenraum des dichterischen Produktion ihren eigentlichen Ort finden. 41 Heine: Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Bd. XV, S. 149. In der deutschen Fassung: „meines hellenischen Naturelles wegen“. Ebd. XV, S. 41. 42 „Es stehen überhaupt noch viel schöne und merkwürdige Erzählungen in der Bibel, die ihrer [von Marx, Feuerbach, Bauer, Ruge] Beachtung werth wären, z. B. gleich im Anfang die Geschichte von dem verbotenen Baume im Paradiese und von der Schlange, der kleinen Privatdozentin, die schon sechstausend Jahre vor Hegels Geburt die ganze Hegelsche Philosophie vortrug. […] Sonderbar, so wie das Weib zum denkenden Selbstbewußtsein kommt, ist ihr erster Gedanke ein neues Kleid! “ In: Heine: Historisch-Kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. XV, S. 39f.). In der französischen Fassung wird die Schlange mit verstärkten Ironie „docteur subtil“ genannt (ebd., S. 148). Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti von Friedrich Rückert (dvandva, bahuvrīhī, karmadhāraya) Marina Foschi Albert Edward Saids bekannte Kategorie „Orientalismus“ 1 ist nicht unumstritten. Sie wird beispielsweise von Polaschegg 2 für unbrauchbar gehalten, wenn es darum geht, den zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Deutschland herrschenden Orient-Diskurs zu beschreiben. Nach Polaschegg kann die Situation des Zeitalters vor der Kolonialpolitik vielmehr durch die Kategorie „anderer Orientalismus“ beschrieben werden. Der andere Orientalismus erkenne den Orient als vertraute Kultur, um sich ihn anzueignen. Die dazu führenden Wege heißen Literatur, protestantische Theologie und historisch-vergleichende Sprachwissenschaft. Auch Messling und Ette 3 widersprechen Saids These, der europäischen Philologie sei eine wesentliche Verantwortung für die Entwicklung eines rassistischen Orientbilds zuzuschreiben. Sie weisen vielmehr darauf hin, dass es schon im 19. Jahrhundert philologische Ansätze gab, die eine Vorstellung der Alterität anbahnen. Eine positive Einschätzung hinsichtlich der Toleranz von deutschen Autoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts scheint Said selbst zu teilen, als er im Vorwort zur 2003 Neuausgabe seines Werks 4 die Vision der Weltliteratur hervorhebt, die u. a. bei Wolf, Goethe, Humboldt, Herder heranwächst. Die Frage, der hier nachgegangen wird, ist, ob auch Friedrich Rückert, orientinspirierter Dichter und Orientalist von Beruf, einen gebührenden Platz in diesem „alternativen Orientbild“ verdienen kann. Rückerts sprachbedingter Blick auf den Orient scheint alles andere als ein konventioneller und pointierter zu sein. Er betrachtet die Sprachen der orientalischen Dichtung, vor allem die arabische, persische und indische, vielmehr 1 Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, reprinted with a new preface, London 2003, S. xii-xxiii. 2 Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus, Berlin 2004. 3 Markus Meßling/ Ottmar Ette: Wort. Macht. Stamm. Rassismus und Determinismus in der Philologie (18./ 19. Jh.), Paderborn 2012. 4 Said: Orientalismus, S. xix. 88 Marina Foschi Albert als besonders leistungsfähige Ausdrucksmittel der Poesie, wobei er die poetische Sprache als das privilegierte Mittel ansieht, durch welches der menschliche Geist zum gegenseitigen Verständnis unter allen Völkern beitragen kann. Seine aufgeklärte Perspektive auf die orientalische Dichtung kostete Rückert vermutlich seinen dichterischen Ruf. Heute ist er als Lyriker so gut wie vergessen. Die Aktualität seiner Denkweise wurde allerdings in mehreren Gedenkartikeln anerkannt, die 2016 zu seinem 150. Todestag erschienen sind. 5 Seine Aktualität bestehe u. a. darin, wie halb humorvoll geschrieben wurde, 6 dass er schon damals wusste, „wie die Integration von Flüchtlingen gelingen kann.“ Diese Arbeit gliedert sich in drei Hauptteile, in denen es jeweils um Rückerts Rezeption und um seine Auffassung von Sprache und Philologie mit besonderem Augenmerk auf seine Tätigkeit als Übersetzer aus den orientalischen Sprachen geht (1). Es soll danach an einem konkreten Beispiel - der Wortbildung des Sanskrits - Rückerts Programm gezeigt werden, durch Aneignung fremdsprachiger Ausdrucksmöglichkeiten aus dem Orient, die deutsche Sprache zu bereichern und „Universalpoesie“ zu verwirklichen: So wird in (2) die Wortbildung des Sanskrits in großen Zügen präsentiert, um eine Hypothese über die Übertragung fremder Mechanismen von altindischen Wortbildungsformen in Rückerts Nachdichtung Ral und Damajanti (1838) zu erstellen (3). Es werden schließlich die Ergebnisse der Wortbildungsanalyse derselben präsentiert, wobei es um das Verhältnis von „fremden“ dvandva- und bahuvrìhì- Bildungen und „typisch deutschen“ karmadhāraya- Komposita geht (4). 7 Rückert als Dichter und Orientalist: die Aufgabe der Philologie Rückert war ein Virtuose der lyrischen Form und verfasste in Versen auch Texte anekdotischer und moralischer Natur. Sein dichterisches Werk steht zum großen Teil unter dem Einfluss des Orients, darunter die Gedichtsammlungen Ghaselen nach Dschelaleddin Rumi (1819) und Östliche Rosen (1821) (inspiriert von Goethes West-Östlichem Divan ) sowie seine Morgenländische Sagen und Geschichten 5 Vgl. u.a.: Friedrich Rückert, in: Fachdienst Germanistik 3 (2016), 4-5; Christoph Meyer: 150. Todestag von Friedrich Rückert - Vergesst Goethe, lest Rückert, in: Süddeutsche Zeitung, 31. Januar 2016 [URL: http: / / www.sueddeutsche.de/ kultur/ -todestag-von-friedrich-rueckert-vergesst-goethe-lest-rueckert-1.2842772]; Manfred Orlick: Vermittler zwischen Orient und Okzident, in: Literaturkritik.de (31.01.2016). 6 Vgl. Meyer: 150. Todestag von Friedrich Rückert. 7 Ich danke an dieser Stelle Katharina Salzmann sehr für die sprachliche Überprüfung dieses Textes. Für die Hilfe bei der Transliteration und Übersetzung der Wörter aus dem Sanskrit sowie für zahlreiche Auskünfte über die Wortbildung der Sanskritsprache, bin ich Saverio Sani, dem Autor der Grammatica Sanscrita (Pisa/ Roma 2012), aufrichtig dankbar. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 89 (1837). Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war er ein sehr populärer Dichter: Sein sechsbändiges Lehrgedicht Weisheit des Brahmanen (1836/ 39) und die Gedichtsammlung Liebesfrühling (1844) gehören zu den meistgelesenen Büchern seiner Zeit. Rückert hat kein in sich geschlossenes, größeres Werk verfasst 8 . Er publizierte vor allem in kleinformatigen Taschenbüchern und versuchte dabei, aus finanziellen Gründen so viele Gedichte wie möglich zu platzieren. Die Fülle und Verschiedenartigkeit seiner Produktion fiel schon in seiner Zeit negativ auf. So schrieb etwa der Kritiker Wilhelm Müller (1824): Es scheint wahrlich, als triebe Rückert die Poesie […] als eine Fabrik: Heut wollen wir hundert Sonette anfangen, die werden übermorgen fertig; dann kommen ein paar Schock Epigramme daran, dann liefern wir orientalische Arbeit, einige Dutzend Ghaselen, und daß wir nicht aus der Übung kommen, lassen wir zu guter letzt italienische Ware folgen. 9 Rückert ist heute insgesamt besser bekannt im Kreis der Orientalisten als im Germanistenbereich, 10 wo seine dichterische Produktion als „Epigonenlyrik“ eingestuft 11 und als „Gartenlauben-Dichtung“ abgewertet wird 12 . Sein Name zirkuliert vor allem dank der zahlreichen Vertonungen seiner Lieder, darunter diejenigen von Fanny Mendelssohn-Hensel. 13 In einer Zeit, wo Romane und Reisebeschreibungen sehr beliebt waren, zeigte Rückert keine Duldung für Unterhaltungsliteratur. Als „Polenlieder“ zur Mode wurden, 14 weigerte er sich, sich mit dem Genre zu beschäftigen, obwohl er seinen früheren poetischen Ruf der patriotischen Geharnischten Sonette verdankte 15 . Stattdessen konzentrierte er seine Produktion auf Übersetzungen und Nachdichtungen aus den orienta- 8 Vgl. Wolfgang Weyers: „Der große Zauberer“. Leben und Lieder von Friedrich Rückert , Freiburg i.Br./ Berlin/ Wien 2014, S. 10. 9 Zit. nach Weyers: „Der große Zauberer“, S. 166. 10 Vgl. Herman Kreyenborg: Friedrich Rückert als Interpret orientalischer Dichtungen, in: Spektrum Iran 13 (2000), S. 95-127 [1927], hier S. 99. 11 Vgl. Heinrich Henel: Epigonenlyrik: Rückert und Platen, in: Euphorion 55 (1961), S. 260- 278. 12 Vgl. Annemarie Schimmel: Friedrich Rückert. Lebensbild und Einführung in sein Werk . Neuausgabe, hg. von Rudolf Kreutner, Göttingen 2016, S. 133. 13 Fanny Mendelssohn-Hensel ermöglicht die Verknüpfung zum Tagungsthema: Sie war offenbar nicht weniger talentiert als ihr Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy, durfte aber als Frau aus einer reichen, jüdischen Familie die Musik nicht zum Beruf machen. Die Publikation ihrer Lieder (u. a.) hätte ihre gesellschaftliche Akzeptanz gefährdet (vgl. Weyers: „Der große Zauberer“, S. 105). Fragen der sozialen Akzeptanz von Seiten der bürgerlichen Schicht, die sich damals Kultur leisten konnte, stellten sich auch für Rückert. 14 Nach dem 1830-Aufstand der Polen gegen die russische Fremdherrschaft wurde „Freiheitslyrik“ u. a. von August von Platen, Emanuel Geibel, Georg Herwegh verfasst. 15 Vgl. Weyers: „Der große Zauberer“, S. 167. 90 Marina Foschi Albert lischen Sprachen. Damit stieß er auf Unverständnis. In den Blättern für literarische Unterhaltung hieß es 1843, Rückert sei „fast außer Zusammenhang mit der übrigen deutschen Dichterwelt“. Sein Versuch, bestimmte Strukturen der orientalischen Sprachen zu verdeutschen, verursachte scharfe Kritik an seinem Stil, z. B. gegen „Geschmacklosigkeiten“, „ungeschickte Wortstellung“, „triviale Sprache“, wovon 1840 in den Hallischen Jahrbüchern für Deutsche Wissenschaft und Kunst die Rede war. 16 Rückert betrachtete Sprachen als Ausdrucksmittel des menschlichen Geistes. Sprachkenntnis und die Kenntnis der Poesie fremder Völker und Zeiten konnten seiner Ansicht nach zur allgemeinen Weltversöhnung beitragen. 17 Seine Vorstellung über Sprache zeigt sich im folgenden Gedicht (Nr. 297) aus der Sammlung Die Weisheit des Brahmanen (1836-1839): Sprachen vereinigen in sich ein universales Element und ein eigenartiges Element: den menschlichen Geist (I, 2) und die „Seele“ des jeweiligen Volks (I, 9): Mit jeder Sprache mehr, die du erlernst, befreist Du einen bis daher in dir gebundnen Geist, Der jetzo tätig wird mit eigner Denkverbindung, Dir aufschließt unbekannt gewes’ne Weltempfindung, Empfindung, wie ein Volk sich in der Welt empfunden; Nun diese Menschheitsform hast du in dir gefunden. Ein alter Dichter, der nur dreier Sprachen Gaben Besessen, rühmte sich, der Seelen drei zu haben. Und wirklich hätt’ in sich nur alle Menschengeister Der Geist vereint, der recht wär’ aller Sprachen Meister. 18 Rückerts Auffassung von Sprache als Einheit in der Vielheit, die er der Naturphilosophie Johann Jakob Wagners ( Organon der menschlichen Erkenntnis , Erlangen, 1830) 19 entnahm, wird in seiner 1811 vorgelegten Dissertation De idea 16 Vgl. ebd., S. 395. 17 Vgl. ebd., S. 195. 18 Friedrich Rückert: Die Weisheit des Brahmanen, ein Lehrgedicht in Bruchstücken, 6 Bde., Leipzig 1836-1839, Bd. 2 (1837), S. 181. 19 Wagner - dessen Vorlesungen in Würzburg Rückert besuchen konnte - spricht in seinem Organon der menschlichen Erkenntnis (Erlangen 1830) vom Wesen, das allen Dingen gemeinsam ist, wobei „die Form aber jedem Dinge eigenthümlich und selbst Ursache der Vielheit“ sei (zit. nach Weyers: „Der große Zauberer“, S. 26). philologiae ( Über den Begriff der Philologie ) postuliert. Wie im Abschnitt 4 seiner Dissertation zu lesen ist, widerspiegelt sich die natürliche Dichotomie zwischen Wesen und Form in der Sprache: Lingua mundi humani interni ideoque mundi externi imago, ut una quidem et tota, in ipsa mente consistit, sed forma duplici ex mente prodit, sono et litera. Sonus et litera pariter in se effingunt mundi ideam, sonus fluens in tempore, litera consistens in spatio, sonus per aurem ad mentem loquens, aurem ad mentem loquens, litera per oculos. 20 Die wesentliche Universalität der Sprache zeigt sich nach Rückert dadurch, dass Sprache Organ der menschlichen Erkenntnis sowie Ausdruck des menschlichen Geistes ist. Rückerts Vorstellung der Philologie stimmt nicht mit derjenigen seiner Zeitgenossen überein, die durch etymologische Untersuchungen die Ursprache oder gemeinsame Sprache zu entdecken suchten. Sein Interesse gilt der lebendigen Sprache und nicht deren Beschreibung, wie „die Sprache“, die Hauptfigur des Gedichts Die Sprache und ihr Lehrer , ihrem „Lehrer und Meister“ erklärt: Die Sprache ging durch Busch und Gehege, Sie bahnte sich ihre eigenen Wege. Und wenn sie einmal verirrt im Wald, Doch fand sie zurecht sich wieder bald. Sie ging einmal den gebahnten Steg, Da trat ein Mann ihr in den Weg. Die Sprache sprach: Wer bist du dreister? Er sprach: Dein Lehrer und dein Meister. Die Sprache dacht’ in ihrem Sinn: Bin ich nicht selber die Meisterin? Aber sie ließ es sich gefallen, Ein Streckchen mit ihrem Meister zu wallen. Der Meister sprach in einem fort, Er ließ die Sprache nicht kommen zum Wort. Er hatt’ an ihr gar manches zu tadeln, 20 „Sprache ist Spiegelbild des menschlichen Innenraums sowie des weltlichen Außenraums. Im individuellen Geist hat sie nur eine und dieselbe Gestalt, wobei sie aber dem Geist auf zwei Arten entspringt: als Laut und als Buchstabe. Laut und Buchstabe sind gleichmäßig dazu geeignet, die Anschauung der Welt zu verbildlichen. Der Laut fließt in der Zeit, die Buchstabe ist im Raum vorhanden. Der Ton spricht dem Geist durch das Ohr, der Buchstabe durch die Augen zu.“ (Meine Übersetzung). In: Friedrich Rückert: Dissertatio philologico-philosophica de idea philologiae, Jena 1811. [URL: http: / / reader. digitale-sammlungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb10583108_00005.html ] Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 91 92 Marina Foschi Albert Sie sollte doch ihren Ausdruck adeln. Die Sprache lächelte lang’ in Huld, Endlich kam ihr die Ungeduld. Da fing sie an, daß es ihn erschreckte, Zu sprechen in einem Volksdialekte. Und endlich sprach sie gar in Zungen, Wie sie vor tausend Jahren gesungen. Sie konnt’ es ihm am Maul ansehn, Daß er nicht mocht’ ein Wort verstehn. Sie sprach: Wie du mich siehst vor dir, Gehört’ das alles doch auch zu mir; Das solltest du doch erst lernen fein, Eh’ du wolltest mein Lehrer sein. Drauf gingen sie noch ein Weilchen fort, Und der Meister führte wieder das Wort. Da kamen sie, wo sich die Wege theilten, Nach jeder Seit’ auseinander eilten. Die Sprache sprach: Was räthst nun du? Der Meister sprach: Nur gerade zu! Nicht rechts, und links nicht ausgeschritten; Immer so fort in der rechten Mitten! Die Sprache wollt’ einen Haken schlagen, Der Meister packte sie beim Kragen: Du rennst mein ganz System über’n Haufen. Wenn du so willst in die Irre laufen. Die Sprache sprach: Mein guter Mann, Was geht denn dein System mich an? Du deutest den Weg mir mit der Hand, Ich richte mich nach der Sonne Stand; Und wenn die Stern’ am Himmel stehn, So lassen auch die mich nicht irre gehn. Macht ihr nur keinen Dunst mir vor, Daß ich sehn kann den ewigen Chor. Doch daß ich jetzo mich links will schlagen, Davon kann ich den Grund dir sagen: Ich war heut’ früh rechts ausgewichen, Und so wird’s wieder ausgeg lichen. 21 21 In: Friedrich Rückert: Gesammelte Gedichte, Bd. 4, Erlangen 1837, S. 231-233. Im Gedicht wird Sprache als ein alle „Volksdialekte“ (I, 20) aller Zeiten umfassendes, lebendiges Wesen repräsentiert, die sich in den unterschiedlichen Formen manifestiert, welche die Sprachen der Welt im Laufe der menschlichen Geschichte übernahmen. In ihrer naturgemäßen Entwicklung orientiert sich die lebendige Sprache an dem „Stand der Sonne und der Sterne“, nicht an grammatischen Vorschriften (vgl. Die Sprache und ihr Lehrer , II, 16-17). Rückert betrachtet Poesie als die älteste Ausdrucksform aller Völker. In den lyrischen Formen werden alte Verwandtschaften zwischen den Sprachen sichtbar, die sich im Laufe der Geschichte auseinanderentwickelt haben. 22 Formale Beziehungen werden durch Reim und Metrik auch zwischen Wörtern erstellt, die aus verschiedenen Wortfeldern stammen. 23 Philologische Arbeit stellt für Rückert die Basis für die Übersetzungsarbeit dar, wobei Ziel der Übersetzungsarbeit ist, die Universalsprache der Poesie zu konstruieren, die das kulturelle Gesamtvermögen der Menschheit zu vermitteln vermag. 24 Nur die Universalsprache kann - im erwähnten Gedicht - „den ewigen Chor“ (die poetische Produktion aller Völker und Zeiten) „sehen“ ( Die Sprache und ihr Lehrer , II, 20), d. h. sichtbar und wahrnehmbar machen. Rückert war also kein Philologe im engeren Sinn, obwohl er Orientalist von Beruf war, Professor für Orientalische Sprachen an der Universität Erlangen (1826-1841) und später (1841-1848) in Berlin. Er lehnte die „trockene Philologie“ ab, die in seiner Zeit nach dem Vorbild Wilhelm von Humboldts die Merkmale der einzelnen Sprachen auf der Grundlage empirischer sprachlicher Daten rekonstruiert. 25 Seine Reflexionen über die formalen und semantischen Verwandtschaften von Wörtern sind mehr assoziativ als systematisch . 26 Er strebt 22 In Rückerts Dissertation erscheint somit Philologie als gleichbedeutend wie Philosophie. Philologie ermöglicht, die inneren Zusammenhänge der Natur hervorzuheben. Auch der Philosophie Friedrich Schellings - wie Weyers betont (Weyers: „Der große Zauberer“, S. 31) - lagen oft etymologische Ableitungen zugrunde. 23 Peter-Arnold Mumm: Friedrich Rückerts Bostan-Notizen und ihr sprachwissenschaftlicher Hintergrund, in: Friedrich Rückert: Werke der Jahre 1850-1851. Zweiter Band: Saadi’s Bostan, aus dem Persischen übersetzt von Friedrich Rückert. Bearbeitet von Jörn Steinberg, Jalal Rostami Gooran, Annemarie Schimmel und Peter-Arnold Mumm, Schweinfurt 2013, S. 445-459. [Abrufbar unter: URL: http: / / www.academia.edu/ 23275946/ Friedrich_R%C3%BCckert_und_die_Sprachwissenschaft. Die digitale Fassung weicht in Satz und Paginierung ab.] 24 Mumm: Friedrich Rückerts Bostan-Notizen und ihr sprachwissenschaftlicher Hintergrund, S. 2. 25 Vgl. Kurt Mueller-Vollmer/ Volker Heeschen: Wilhelm von Humboldts Bedeutung für die Beschreibung der südostasiatisch-pazifischen Sprachen und die Anfänge der Südostasien-Forschung , in: Peter Schmitter (Hg.): Geschichte der Sprachtheorie: Sprachtheorien der Neuzeit. III/ 2: Sprachbeschreibung und Sprachunterricht. Teil 2, Tübingen 2007, S. 430-461. 26 Weyers: „Der große Zauberer“, S. 209. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 93 94 Marina Foschi Albert nicht nach theoretischen Erkenntnissen und zeigt kaum Interesse an den philologischen Debatten seiner Zeit, u. a. um die Urheberschaft des Nibelungenlieds oder der Ilias. 27 Rückert betont immer wieder, dass er „eigentlich nur darum ein Orientalist geworden sei, weil ein Poet keine Familie ernähren kann“ 28 . In Rückerts Zeit gehört die Orientalistik in Deutschland zur festen Grundausstattung der Philosophischen Fakultäten. Die Aufteilung in die Subdisziplinen für semitische und indogermanische Sprachen war noch nicht etabliert. 29 Rückert, der insgesamt 44 Sprachen und 25 Schriftsysteme kannte, musste mehrere Sprachen unterrichten, vor allem diejenigen, die zur Ausbildung der Theologen dienten: Hebräisch, Syrisch und Chaldäisch. Seine Vorliebe galt aber den Sprachen, die ein umfangreiches und interessantes poetisches Korpus vorzeigen konnten. Sein größter Beitrag auf dem Gebiet der sprachwissenschaftlichen Studien hat Rückert durch seine Übersetzungstätigkeit und die Verbreitung der persischen, arabischen und altindischen Literatur geleistet. 30 Im Vorwort zur ersten Ausgabe der Makamen des Hariri (1848) wies er hin auf die Besonderheit „der unendlichen Wort- und Klangspiele, der gereimten Prosa, der übertriebenen Bilder, des spitzsündigen überkünstlichen Ausdrucks, kurz, alles dessen, was man den falschen orientalischen Geschmack nennen kann“. Anschließend erklärt er, dass genau in dieser „ausschweifenden Form“ ein Geist wohne, und dass ein solcher Geist, „nur in dieser Form sichtbar werden“ kann. 31 Übersetzung bedeutet für ihn nicht allein die Übertragung gedanklicher Inhalte. Er versucht zugleich, bestimmte Strukturen der orientalischen Sprachen in der eigenen Sprache nachzubilden, um den „Geist des Orients“ zu vermitteln. Durch philologische Arbeit versucht Rückert, die Strategien der poetischen Sprache ausfindig zu machen, welche die großen dichterischen Werke der verschiedenen Kulturen aufweisen. In jeder Fremdsprache erkennt Rückert besondere Strategien, die zum Ausdruck der Poesie besonders dienlich sind. Es ist für ihn Aufgabe des Übersetzers, diese Strategien zu ,verdeutschen‘, um das Repertoire der poetischen Ausdrucksmittel der deutschen Sprache zu erweitern. Die deutsche Sprache, die alle metrischen Formen nachbilden und unbegrenzt neue Wortbildungen produzieren kann, 32 sieht Rückert wegen ihrer Duktilität als ein besonders gut geeignetes Mittel zur Entwicklung der Universalsprache der Poesie. Bei der Übersetzung des Korans hebt Rückert vor allem Reime und Assonanzen hervor. Für die Übertragung der 27 Ebd., S. 215. 28 Schimmel: Friedrich Rückert, S. 35. 29 Sabine Mangold: Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“. Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2004, S. 102. 30 Vgl. Schimmel: Friedrich Rückert, S. 92. 31 Zit. nach Weyers: „Der große Zauberer“, S. 178. 32 Vgl. ebd., S. 32, 203. Makamen von Hariri (1100) - Gattung der arabischen Literatur, gekennzeichnet durch die Verwendung von Reim im Prosatext - spielen eine wichtige Rolle Wortspiele, Doppelsinne, witzige Bemerkungen. 33 Bei der persischen Poesie des Hafis geht es vor allem um sprachliche Zweideutigkeiten, die das „Opalisieren, Schweben zwischen dem Sinnlichen und dem Geistigen“ 34 ermöglichen. Als ein besonders suggestives Mittel für den Ausdruck der Poesie erkennt schließlich Rückert die Wortbildung des Sanskrits. Bausteine der Universalsprache der Poesie: Wortbildung des Sanskrits Obwohl Rückert keine theoretischen Studien publiziert hat, zeigen seine formalen Übertragungen altindischer Texte, dass er die Wortbildung des Sanskrits gut kannte. Wortbildung als autonome Disziplin entwickelt sich in Deutschland genau in der Zeit, als Rückert sein Studium des Sanskrits beginnt. 35 Im zweiten Band der Deutschen Grammatik (1826) von Jacob Grimm wird sie in Abgrenzung zur Flexion bestimmt. Obwohl schon Adelung ( Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart 1774-1786) die Wichtigkeit der Komposita für die deutsche Wortbildung - sowie ihre binäre Struktur - erkannt hatte, 36 wird 33 Vgl. Schimmel: Friedrich Rückert, S. 94. 34 Ebd., S. 83. 35 Der Anlass zum Studium des Sanskrits kam für Rückert von Friedrich Schlegels Werk Über die Sprache und Weisheit der Inder (1808). In der ersten Hälfte der 20er Jahre, als er sein Studium begann, waren die reichhaltigsten Bücher- und Handschriftensammlungen des Sanskrits vor allem in Paris und London. In Rückerts Zeiten standen authentische Quellen zur Verfügung: z. B. Originalwerke über die indische Grammatik, u.a.: The Grammatical Sutras or aphorisms of Pänini with selections from various Commentators . (Nagarí Character II, Bd. 8., Calcutta 1809); The Siddhänta-Kaumudt, a Grammar conformable to the system of Pänini by Bhattoji Diksita (Nagorj Character I, Bd. 4. Calcutta 1812), die kurze Sprachlehre des Vopadeva, erschienen unter dem Titel: The MugdhiG Bodha. A Grammar by Vopadeva (Bengali Character I, Bd. 12, Serampore 1807). Die Methode der alten Indischen Sprachlehrer ist streng wissenschaftlich. Diese - wie Staal betont (1972: 52) -„legen es keineswegs darauf an, die Anfangsgründe zu erleichtern. Sie sprechen die allgemeinen Gesetze in Formeln aus, welche den algebraischen an Kürze gleichen, und mit ihnen den Vortheil gemein haben, dass, wenn man sie einmal begriffen hat, alle darunter befassten Fälle mit Sicherheit aufgelöst werden können. Was sich nicht unter eine Regel bringen lässt, wollen sie dem Gedächtnisse durch allerley mnemonische Kunstgriffe eingeprägt wissen.“ Als bahnbrechendes Werk für die Wissenschaft der indogermanischen Sprachen gilt Franz Bopps Schrift Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen , lateinischen , persischen und germanischen Sprache (1816). 36 Barbara Kaltz/ Odile Leclercq: Word-formation research from its beginnings to the 19th century, in: Peter O. Müller/ Ingeborg Ohnheiser/ Susan Olsen/ Franz Rainer (Hg.): Word formation. Word-Formation An International Handbook of the Languages of Europe , Berlin 2015, S. 22-37, hier S. 25. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 95 96 Marina Foschi Albert die Beschreibung und Klassifizierung von deutschen Komposita nach syntaktisch-semantischen Kriterien erst im 19. Jahrhundert durch das Studium der Altgrammatik des Sanskrits maßgeblich beeinflusst. In Franz Bopps Werk Ausführliches Lehrgebäude der Sanskritsprache (1827) werden altindische Komposita in sechs Klassen unterteilt: 37 1. Copulative Composita , genannt dvandva („die Zweiheit“). Die Klasse besteht nach Bopp aus der Zusammenstellung von zwei oder mehr Substantiven, die einander koordiniert sind, im gleichem Kasusverhältnis stehen und dem Sinne nach durch und verbunden sind. Beispiele: candrādityau 38 (aus candra „Mond“ + āditya „Sonne“; „Mond und Sonne“); agnivāyuravibhyas (aus agni „Feuer“ + vāyu „Luft“ + ravi „Sonne“; „aus Feuer, Luft und Sonne“) 39 ; 2. Possessiva Adjektive , genannt bahuvrīhī („viel Reis besitzend“). Das letzte Element ist ein Substantiv oder ein substantivisch gefasstes Adjektiv; das erste kann jeder anderen Wortart als Verb, Konjunktion oder Interjektion angehören. Die Bildung bezeichnet ein Merkmal, das der Referent trägt. Sie kann mit einer haben -Konstruktion paraphrasiert werden. Beispiele: kāmopahatacittāṅga (komplexe Bildung aus dem Determinativkompositum 40 kāma „Liebe“ + upahata „geschlagen“ und Kopulativkompositum cittā „Geist“ + aṅga „Körper“) („liebegeschlagenen Geist und Körper habend“); pīnaśroṇīpayodhara (aus pīna „stark, dick“ + śroṇī „Hüfte“ + payodhara „Brüste“) („starke Hüften und Brüste habend“); 41 3. Determinativa , genannt karmadhāraya („der Förderer/ Unterstützer der Handlung“) 42 . Das zweite Wort dieser Komposita ist ein Substantiv oder Adjektiv, das durch das erste näher bestimmt wird. Beispiele: priyabhāryā (aus 37 Die Transliteration der Devanāgarī-Schrift in Bopp erfolgt nach den Konventionen, die das „Translitteration Committee“ des 10. Orientalisten-Kongresses in Genf (September 1894) erstellte. 38 Das zweigliedrige Kompositum candrādiya zeigt die Dualendung im Kasus Nominativ/ Akkusativ/ Vokativ au . 39 Bopp gibt die durch aus eingeleitete Präpositionalphrase ‚aus Feuer, Luft und Sonne‘ als semantische Äquivalente des Kompositums agnivāyuraviim Dativ/ Ablativ mit Pluralendung bhyas an. Vgl. Franz Bopp: Ausführliches Lehrgebäude der Sanskritsprache, Berlin 1827, S. 311f. [URL: https: / / archive.org/ stream/ ausfhrlichesleh00boppgoog#page/ n18/ mode/ 2up]. 40 „Abhängigkeitskompositum“ nach Bopp, vgl. Nr. 4. 41 Ebd., S. 314f. 42 Die Bezeichnung dieser Wortbildungsklasse ist unergründlich. In den meisten Fällen (Nr. 1, 2, 4, 5) stellen die Bezeichnungen Beispiele der jeweiligen Wortbildungsklassen dar. Die Bezeichnung der 6. Klasse verweist auf ein Attribut der Wortklasse (Adverbien sind unflektierbar). priya „lieb“ + bhāryā „Gattin“) („liebe Gattin“); nīlāmbudaśyāma (aus nīlā „blau“ + ambuda „Wolke“ + śyāma „dunkel“) („wie eine blaue Wolke blau“); 43 4. Abhängigkeits-Composita , genannt tatpuruṣha („dessen Knecht“). Das erste Glied des Kompositums dieser Art ist vom zweiten abhängig oder wird von diesem regiert, daher kann dieses irgendein Kasusverhältnis ausdrücken. Beispiele: mahīpati (aus mahī „Erde“ + pati „Herr“) („Herr der Erde; Erde-Herr“); hastyaśvarathaghoṣa (aus hasti „Elephant“ + aśva „Pferd“ + ratha „Wagen“ + ghoṣa „Lärm“) („Lärm eines von Elephanten und Pferden gezogenen Wagens“); 44 5. Collective Composita , genannt dvigu („zwei Kühe“): Es handelt sich um Kollektiva, die durch ein vorgesetztes Zahlwort näher bestimmt sind. Beispiele: triguna (aus tri „drei“ + guna „Eigenschaft“) („die drei Eigenschaften“); pañcendriya (aus pañca „fünf“ + indriya „Sinn“) „die fünf Sinne“; 45 6. Adverbiale Composita ( avyayíbhȃva ) („unflektierbar“) 46 : zusammengesetzte Adverbien, wovon das erste Element ein Indeklinabile ist, und das zweite ein Substantiv im Akkusativ als Adverbialkasus. Beispiele: asaṃśayam (aus a als Negationgspräfix + saṃśaya „Zweifel“ + Akkusativaffix m ) („ohne Zweifel“); pratyakṣam (aus prati „vor“ + akṣa „occhio“ + Akkusativaffix m ) „Angesichts, vor Augen“. 47 Die vergleichende Forschung des 19. Jahrhunderts erkennt die mannigfaltige Typologie der indoeuropäischen Wortformen, 48 wobei im Allgemeinen gilt, dass die Gesamtbedeutung zusammengesetzter Wörter anders ist als die Bedeutung der jeweils entsprechenden syntaktischen Verbindungen. In Brugmann 49 werden sieben Klassen indoeuropäischer Komposita unterschieden: 50 1. Iterativkomposita oder Wortwiederholungen. Beispiel: lat. quis-quis ; ai. píba-piba „trinkt immer wieder“ 51 [Ø]; 2. Kopulativkomposita ( dvandva ) 52 [1]; 3. verbale Reaktionskomposita: ein Nomen ist regiert von einem Verbum oder einer Satzaussage. Beispiel: ahd. wār-queto „veridicus“ 53 [Ø]; 4. Komposita mit präverbi- 43 Vgl. Bopp: Ausführliches Lehrgebäude, S. 320f. 44 Ebd., S. 322. 45 Ebd., S. 323f. 46 S. Anmerkung 40. 47 Vgl. Bopp: Ausführliches Lehrgebäude, S. 324-325. 48 Vgl. u. a. Karl Brugmann/ Berthold Delbrück: Grundriss der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen, Strassburg 1897. 49 Karl Brugmann: Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen, Strassburg 1904, S. 287f. 50 Im Text, in eckigen Klammern, wird auf die Entsprechungen bei Bopp (s. o.) verwiesen. 51 Brugmann: Kurze vergleichende Grammatik, S. 300. 52 Ebd., S. 301. 53 Ebd., S. 302. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 97 98 Marina Foschi Albert aler Präposition oder Partikel. Beispiel got. af standen 54 [Ø]; 5. Präpositionale Rektionskomposita: ein Kasus oder ein Adverb ist von einer Präposition regiert. Beispiel mhd. āne koufes „umsonst“ 55 [6]; 6. Determinative Nominalkomposita: das eine Wortglied wird durch das andre (im Allgemeinen das zweite durch das erste) näher bestimmt. Beispiel: ai. brahma-putrá-s „Priesterssohn“ 56 [3]; 7. Mutierte Komposita ( bahuvrȋhȋ ): ein Substantiv wird in ein Adjektiv verwandelt. Beispiel: ai. kul ᶏ -kula-s „von Haus zu Haus gehend“ 57 [2]. Zwei dieser Wortbildungsklassen (Nr. 2. und 7.) werden mit den altindischen Benennungen dvandva und bahuvrìhì bezeichnet. Der explizite Verweis auf die altgrammatische Terminologie des Sanskrits durch die dvandva - und bahuvrìhì -Komposita wird dank Hermann Paul 58 in der Wortbildungslehre des Deutschen eingebürgert. 59 Der selektive Gebrauch von nur diesen bestimmten Bezeichnungen kann dadurch erklärt werden, dass die indoeuropäischen Kompositionsverfahren dvandva und bahuvrìhì ein für die deutsche Sprache seltenes Phänomen darstellen. Das am häufigsten vorkommende, produktivste Wortbildungsverfahren des Deutschen ist auch heute die klassische Zusammensetzung zur Bildung von Determinativkomposita aus zwei Wortelementen, in den meisten Fällen Substantiven. 60 Wortbildung aus dem Orient: dvandva, bahuvrīhī, karmadhāraya in Ral und Damajanti Rückerts erste Übersetzung aus dem Sanskrit betrifft die altindische Geschichte Ral und Damajanti (1838), Teil des altindischen Nationalepos Mahābhārata . 61 54 Ebd., S. 302. 55 Ebd., S. 302. 56 Ebd., S. 303. 57 Ebd., S. 304. 58 Vgl. Hermann Paul: Ueber die Aufgaben der Wortbildungslehre, in: Aus den Sitzungsberichten des philosophisch-philologischen und der historischen Classe der kaiserlichen bayerischen Akademie der Wissenschaft 4 (1896) [URL: http: / / reader.digitale-sammlungen.de/ de/ fs1/ object/ display/ bsb11023732_00027.html]; ders.: Deutsche Grammatik, Halle 1916. 59 Vgl. Kaltz/ Leclercq: Word-formation research from its beginnings to the 19th century, S. 26. 60 Wolfgang Fleischer/ Irmhild Barz: Wortbildung der deutschen Gegenwartssprache, 2. Auflage, Tübingen 1995, S. 84. 61 Er hat sich sowohl mit sakralen Texten aus den Veda („Wissen, Heiliges Gesetz“ = die heiligen Texte des Hinduismus, die das Wissen der Brahmanen enthalten) als auch mit altindischer Volksdichtung beschäftigt. Er übersetzte Teile des Rigveda (< veda = „Wissen“; ṛc = „Verse“), der Sammlung sakraler Hymnen und Mantren der vedischen Tradition, und unterließ außerdem ein Manuskript, fast ein Drittel des Atharvaveda , der Sammlung vedischer Zauberhymnen und -formeln, umfassend, in lateinisch transkribiert, mit Ak- Die Geschichte ist in fünf Gesänge aufgeteilt. Hier eine kurze Zusammenfassung der Handlung: 1. Gesang. Fürst Ral im Nischada-Land besitzt alle Eigenschaften, die man sich wünschen kann: Er ist stark, tapfer, schön, weise, fromm und mächtig. Auch der Fürst Bima in der Widarba-Region ist tugendhaft und mächtig. Er sehnt sich aber nach Nachkommenschaft und bindet sich demnach den Göttern durch ein kräftiges Gelübde. So kommen Damas, Dantas und Damana zur Welt sowie ihre Schwester Damajarti. Das Mädchen ist so schön, dass ihre Augen die Götter vom Himmel herabziehen können (vgl. I, v. 59). In Damajartis Gegenwart wird der tugendreiche Fürst Ral oft und hoch gepriesen, so dass sie sich in ihn verliebt. Auch Ral hört oft vom „Frauenstern“ Damajarti (I, 67) Lob sagen. Von Sehnsucht nach dem unerreichbaren Mädchen erfasst, geht er eines Tages jagen und trifft eine goldene Gans. Diese fordert ihn auf, ihr das Leben zu ersparen, damit sie nach Widarba fliegen und dafür sorgen kann, dass Damajanti seine Liebe erwidere. Ral tut es und die Gans hält ihr Versprechen. 2. Gesang. Die Liebe für Ral, die ihr die goldene Gans zugeflüstert hat, gibt Damajanti keine Ruhe. Als ihr Vater merkt, dass sie heiratsreif ist, veranstaltet er eine Gattenwahl. Alle reichen und mächtigen Könige aus allen indischen Ländern kommen zur Gattenwahl Damajantis, alle fahren mit großen Gefolgen. Nur Ral reist allein und hat als einzige Weggefährtin seine Liebe. Unterwegs trifft er die Herren der vier Elemente: Indra, der die Luft verwaltet, Agni, der das Feuer gestaltet, Waruna, Herr des Gewässers, und Iaura, König des Erdengrunds, die bei Ankündigung der Gattenwahl jeden Kampf und Streit vergessen haben. Sie fordern Ral auf, ihnen als Bote zu dienen. 3. Gesang. Ral sagt zu und erfährt erst danach, dass er für sie als Brautbote bei Damajanti dienen und das Mädchen fragen soll, wer für sie werben darf. Ral erschrickt, kann sich aber nicht zurückziehen, weil er es versprochen hat. Er bringt Damajanti die Botschaft von Seiten der vier Elemente und sagt nichts vom eigenen Wunsch, für sie zu werben. zenten sowie mit grammatischen, metrischen, prosodischen, mythologischen und etymologischen Anmerkungen versetzt: der kritische Apparat konnte bisher nicht publiziert werden (vgl.: Atharwaweda, Berlin 2013, S. 12 [Nachgedruckt aus Grundlage der Ausgabe: Atharwaweda , übertragen von Friedrich Rückert, aus dem ungedruckten Nachlasse des Dichters zum ersten Male herausgegeben von Herman Kreyenborg, Hannover 1923]. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 99 100 Marina Foschi Albert 4. Gesang. Damajanti gesteht Ral, dass sie der Gans versprochen hat, ihn zu lieben und dass die Gattenwahl nur für ihn veranstaltet wurde. Ral versucht, sie zu überreden: Wie kann sie einen Sterblichen wählen, wenn sie einen Unsterblichen haben kann? Damajanti lässt sich aber nicht umstimmen: Die Götter betet sie an, als Gatten hat sie ihn gewählt. Aber Ral, der als Bote kam, kann nicht für sich selbst werben. Damajanti übergibt ihm die Botschaft: Alle vier Götter sollen in seiner Begleitung zur Gattenwahl kommen. Ral richtet die Botschaft aus und lässt sich von seiner Botenpflicht entledigen. 5. Gesang. Der Tag der Gattenwahl ist gekommen. Die vier Götter treten auf, Ral in ihrer Mitte. Mit andächtigem Respekt nähert sich Damajanti den Göttern. Sie bittet sie, ihr den Gatten zu zeigen, mit dem sie die Goldgans liiert hat: Es mögen die Götter ihr den Weg zeigen, damit sie ihrem Versprechen treu bleiben kann! Die Götter erkennen ihre Treue und beschenken das Brautpaar mit ihren Gaben: Ral erhält vom Luftherr Durchsichtigkeit und leichtes Gemüt, vom Feuergott Mut und Optimismus, vom Erdherr Festigkeit und Mäßigkeit, vom Wassergott Geschicklichkeit und Toleranz; Damajanti soll ihrem Mann Kinder schenken: ein Mädchen und ein Knabe. Mit Bezug auf seine Übersetzung der Geschichte Ral und Damajanti schrieb Rückert einmal: Was ich hier gebe, ist keine Übersetzung, die sehr überflüssig wäre, sondern ein Versuch, die schöne fremde Geschichte durch Umbildung der deutschen Sprache selbst anzueignen […]. Diesen Zweck der Nationalisierung nun habe ich zu erreichen gesucht zuerst durch Selbständigmachung der Episode, sodann durch Einkleidung in ein volksmäßig deutsches Gewand , mit Ausschaltung alles desjenigen Fremdartigen, was für uns nur auf gelehrtem Wege und nicht unmittelbar durch das Gefühl, verständlich ist, doch mit Beibehaltung der örtlichen Farben , insoweit dadurch der poetische Eindruck nicht gestört, sondern verstärkt zu werden schien. 62 Zum Zweck der - wie im obigen Zitat vermerkt - „Einkleidung in ein volksmäßig deutsches Gewand“ ersetzte Rückert den Shloka , die wichtigste Strophenform der altindischen Epik, durch den Knittelvers. Zur „Beibehaltung der örtlichen Farben“ dienen u. a. indische Orts- und Personennamen. Das Programm der „Umbildung“ der deutschen Sprache - so lautet die These, die im Folgenden überprüft werden soll - wird durch einen ungewöhnlichen Gebrauch der Wortbildung realisiert. Die Frage ist also, wie in Rückerts Werk das Verhält- 62 Zit. nach Kreyenborg: Friedrich Rückert als Interpret orientalischer Dichtung, S. 120. Meine Hervorhebung. nis von „fremden“ dvandva- und bahuvrìhì- Bildungen und „typisch deutschen“ karmadhāraya -Determinativkomposita beschaffen ist. Aus der Analyse der komplexen Wörter, die in Ral und Damajanti (im Folgenden: RuD) vorkommen, resultiert das folgende Verhältnis: Wie die Tabelle zeigt, gehört die Mehrheit der Vorkommen (68 %) zur Klasse der Determinativa, die hier als karmadharaya angerechnet und nicht weiter differenziert wurden. Die Anzahl der dvandva -Komposita ist gering (insgesamt drei Vorkommen): • „Mit Elefanten-Roß-Wagentos die Welt erfüllend“ (RuD II, 47) • „die schweigend-herzbefehdende “ (RuD III, 83) • „mit steif-unwelkenden Kränzen“ (RuD V, 98). Der dvandva -Klasse habe ich auch die zahlreichen (25) Ausdrücke zugeschrieben, die durch und verbunden sind und für einen einzigen Referenten stehen. Beispiele: • „der Feinde Schrecken und Grauen “ (RuD I, 19) • „ wankend und schwankend wie trunken“ (RuD II, 6) • „ Siech und krank “ (RuD II, 17) • „auf Sitz und Lager “ (RuD III, 57) • „in Lust und Freuden “ (RuD V, 201). Ein Teil der koordinierten Ausdrücke kommt als Hendiadyoin vor. Beispiele: • „In Sinnen und Staunen versunken“ (RuD II, 5) • „Die Wangen wechselnd roth und blaß “ (RuD II, 11) Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 101 Wie die Tabelle zeigt, gehört die Mehrheit der Vorkommen (68%) zur Klasse der Determinativa, die hier als karmadharaya angerechnet und nicht weiter differenziert wurden. Die Anzahl der dvandva-Komposita ist gering (insgesamt drei Vorkommen): „Mit Elefanten-Roß-Wagentos die Welt erfüllend“ (RuD II, 47) „die schweigend-herzbefehdende“ (RuD III, 83) „mit steif-unwelkenden Kränzen“ (RuD V, 98). dvandva-Klasse habe ich auch die zahlreichen (25) Ausdrücke zugeschrieben, die durch und verbunden sind und für einen einzigen Referenten stehen. Beispiele: „der Feinde Schrecken und Grauen“ (RuD I, 19) „wankend und schwankend wie trunken“ (RuD II, 6) „Siech und krank“ (RuD II, 17) „auf Sitz und Lager“ (RuD III, 57) „in Lust und Freuden“ (RuD V, 201). Ein Teil der koordinierten Ausdrücke kommt als Hendiadyoin vor. Beispiele: „In Sinnen und Staunen versunken“ (RuD II, 5) „Die Wangen wechselnd roth und blaß“ (RuD II, 11) „wir haben nirgends gesehn / Einen wie Rala stehn und gehen“ (RuD I, 128s.) „Doch vor dem klaren Angesicht / Schämte sich Sonn- und Mondenlicht“ (RuD III, 56f.) dvandva 10% bahuvrihi 22% karmadharaya 68% komplexe Wörter 102 Marina Foschi Albert • „wir haben nirgends gesehn / Einen wie Rala stehn und gehen “ (RuD I, 128. s.) • „Doch vor dem klaren Angesicht / Schämte sich Sonn- und Mondenlicht “ (RuD III, 56 f.) • „Von Fürsten und Fürstensöhnen “ (RuD V, 119). Auch zu den als bahuvrȋhȋ bewerteten Ausdrücken gehören wenige Komposita im engen Sinn. Beispiele: • „höre du anmuthsittige “ (RuD I, 122) • „Von uns, o schwebetrittige “ (RuD I, 123) • „Rette mich, o schöngliedrige “ (RuD IV, 35). Bei den insgesamt zahlreichen (58) Vorkommnissen handelt es sich vielmehr um Partizipialformen, welche die semantische Funktion der altindischen bahuvrȋhȋ- Adjektive nach dem Modell kul ᶏ -kula-s („von Haus zu Haus gehend“) übernehmen. Beispiele: • Der da, Nachkommenschaft begehrend “ (RuD I, 33) • „Lebte Nachkommenschaft entbehrend “ (RuD I, 34) • „ Ruh nicht findend auf Sitz und Lager“ (RuD II, 16) • „ Lust nicht habend , an Speis’ und Trank“ (RuD II, 18) • „Ihre Wagen in der Luft anhaltend “ (RuD II, 79). Mehrgliedrige Zusammensetzungen stellen mit 12 Vorkommen nur 6,6% der Gesamtzahl (181) der Determinativkomposita dar. Die meisten davon sind dreigliedrige Komposita, die letzten zwei davon bestehen aus jeweils vier und fünf Elementen: • „Der ragt’ in der Menschenfürsten Mitte “ (RuD I, 5) • „Wer bist du, allwohlgethaner “ (RuD III, 87) • „ Allreizumfangner , lustumfahner “ (RuD III, 88) • „In Herzen Verlangenswegebahner ! “ (RuD III, 89) • „ Erdstaubfreie Gewänder“ (RuD IV, 37) • „In eine Goldsäulenhalle “ (RuD V, 8) • „Geschmückt mit Düstekranzgepränge “ (RuD V, 13) • „Der Nischadafürstensproß “ (RuD V, 124) • „Mit Dustfarbengemische “ (RuD V, 172) • „ Weihdustopferverbrenner “ (RuD I, 15) • „Und Glanzedelstein-Ohrgehänge “ (RuD V, 14). Die größte Anzahl der Zusammensetzungen stellen nicht lexikalisierte , ad-hoc- Bildungen dar. Beispiele: • „ Einsiedlerschaar“ (RuD II, 55) • „ Wonnehain “ (RuD II, 64) • „ Firmament -Herr“ (RuD II, 67) • „ Rittergeschlechter “ (RuD II, 86) • „ Heldenfechter“ (RuD II, 87). Sporadisch treten Komposita der dvigu- Art auf: • „der zweigeborne “ (RuD I, 138) • „Die Vierfürsten des Vierelements “ (RuD III, 21). Zusammenfassend: Hinsichtlich der Wortbildung sind im Text der indischen Geschichte Ral und Damajanti die folgenden Besonderheiten beobachtet worden: 1. relativ geringe Frequenz von dvandva -Komposita (einschließlich Hendiadyoin ); 2. relativ hohe Frequenz von partizipialen bahuvrȋhȋ -Bildungen; 3. hohe Frequenz von nicht lexikalisierten Determinativkomposita ( karmadharaya ). Es zeigt sich dabei ein Verhältnis von Wortbildungsformen, das für das deutsche System ungewöhnlich ist. Rückerts Meinung nach soll es dazu dienen, das Arsenal der poetischen Ausdrucksmittel, über die die deutsche Sprache verfügt, durch fremde Mittel zu bereichern. Seine verdeutschten „Wörter aus dem Orient“ haben keinen allgemeinen Konsens erzielt. Die seltsam wirkenden Zusammensetzungen und Partizipialformen wurden in seiner Zeit als „undeutsch“ kritisiert. 63 Die formale Wiedergabe der mehrgliedrigen Zusammensetzungen des Altindischen wurde u. a. im parodistischen Gedicht Des vers un peu plus longs que les Alexandrins von A.W. Schlegel verspottet 64 - wobei Komposita dieser Art, wie die Analyse zeigte, in Rückerts Text nicht wirklich häufig und vor allem nicht in solch ausschweifenden Strukturen vorkommen: Deine Sanskritpoesiemetriknachahmungen Sind voll von goldfunkelnagelneublanken Benamungen. Du überflügelst in wortschwallphrasendurchschlängeltmonostrophischen Oden Die Weilandheiligenrömischenreichsdeutschernationsperioden. Deine mit Dank erkanntwerdenwollenden 63 Vgl. Conrad Beyer: Neue Mittheilungen über Friedrich Rückert und kritische Gänge und Studien, Leipzig 1873, S. 19; Weyers: „Der große Zauberer“, S. 109. 64 Vgl. Schimmel: Friedrich Rückert, S. 107. Deutsche Wörter aus dem Orient in der „indischen Geschichte“ Ral und Damajanti 103 104 Marina Foschi Albert Bemühungen sind höchlich zu rühmen: So muß man die Himavatgangesvindhyaphilologiedornpfade beblümen. 65 Rückerts Verdeutschungen mögen für moderne Ästhetik als ungenießbar gelten. Sein aufgeklärter Sprachorientalismus kann jedoch im Zug der neuen sozialen Anforderungen nach der großen Migrationswelle neu bewertet werden. Auf die Frage danach, wie Rückert auf das gegenwärtige Problem der Integration der Flüchtlinge reagieren würde, hat Rudolf Kreutner, der Kustos des Rückert-Archivs in Schweinfurt, geantwortet: „Er würde fordern, dass sich beide Seiten intensiv mit der Lyrik der anderen beschäftigen.“ 66 65 August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke. Bd. 2, Leipzig 1846 [Nachdruck: Hildesheim/ New York 1971], S. 234f. 66 Zit. nach Meyer: 150. Todestag von Friedrich Rückert. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur im 19.-Jahrhundert Kathrin Wittler Als Instrumenten der Lesersteuerung kommt modernen literarischen Anthologien, wie sie sich im 19. Jahrhundert als Buchform herausgebildet haben, eine erhebliche kulturelle Bedeutung zu. 1 Anthologien legen nicht nur mittels der Auswahl von Texten fest, was zum Kanon gehört. Durch Titelei, Einleitung, Ausstattung, Textanordnung und Vermarktung definieren sie auch, inwiefern bzw. als was die ausgewählten Texte zu welchem Kanon gehören, für wen sie bestimmt sind und wie sie gelesen werden sollen. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, wie jüdische Herausgeber diese Elemente der Lesersteuerung in den 1850er Jahren nutzen, um jüdische Texte und Themen auf dem rasant expandierenden deutschsprachigen Anthologienmarkt zu platzieren. 2 Mit der Polyglotte der orientalischen Poesie (1853) und dem Blüthenkranz morgenländischer Dichtung (1860) von Heimann Jolowicz sowie dem Libanon (1855) von Ludwig August Frankl nehme ich drei Anthologien in den Blick, die einen besonderen Zuschnitt aufweisen. Anders als der Großteil der Anthologien, die ab den 1820er Jahren von jüdischen Herausgebern zusammengestellt werden, 3 sind diese drei Blütenlesen nicht auf Texte aus dem jüdischen Traditionsbestand beschränkt und nicht ausschließlich an ein jüdisches Lesepublikum gerichtet. Anders als die bahnbrechenden Editionen der Wissenschaftler des Judentums 1 Vgl. als Einstieg Stefanie Lethbridge: Anthologien, in: Gabriele Rippl/ Simone Winko (Hg.): Handbuch Kanon und Wertung. Theorie, Instanzen, Geschichte, Stuttgart/ Weimar 2013, S. 179-182. 2 Vgl. zum Hintergrund: Joachim Bark/ Dietger Pforte (Hg.): Die deutschsprachige Anthologie. 2 Bde, Frankfurt am Main 1969/ 70; Jörg Schönert: Die populären Lyrik-Anthologien in der zweiten Hälfte des 19.-Jahrhunderts. Zum Zusammenhang von Anthologiewesen und Trivialliteraturforschung, in: Sprachkunst. Beiträge zur Literaturwissenschaft 9 (1978), S. 272-299; Günter Häntzschel: Die deutschsprachigen Lyrikanthologien 1840 bis 1914. Sozialgeschichte der Lyrik des 19. Jahrhunderts, Wiesbaden 1997. 3 Vgl. für eine Zusammenschau Johannes Sabel: Die Geburt der Literatur aus der Aggada. Formationen eines deutsch-jüdischen Literaturparadigmas, Tübingen 2010, S. 168-246. 106 Kathrin Wittler erheben Jolowiczs und Frankls Anthologien nicht den Anspruch, neu gehobenes Textmaterial philologisch zu erschließen. 4 Ihr vorrangiges Ziel ist vielmehr, jüdische Texte und Themen an ein breites Publikum zu vermitteln und sie damit in den deutschsprachigen Literaturkanon zu integrieren. Unter den diskursiven Bedingungen des Orientalismus 5 hat dieses Unterfangen weitreichende diskurspolitische Implikationen, zumal Jolowicz und Frankl mit der Stellung der jüdischen Überlieferung im deutschsprachigen Literaturkanon implizit auch die Stellung der Juden in der Gegenwart verhandeln. Mit konkreten Strategien der Textpräsentation reagieren sie auf die damals vieldiskutierte Frage, ob die Juden zum Orient oder zum Okzident gehören. 6 Jolowicz und Frankl adaptieren, so wird zu zeigen sein, für ihre Blütenlesen das zu dieser Zeit noch neue Genre der deutschsprachigen Weltliteraturanthologie, 7 um die jüdische Überlieferung zwischen Morgenland und Abendland zu verorten. 1853 gibt der reformorientierte Rabbiner, Pädagoge und Übersetzer Heimann Jolowicz, 8 der bereits mit Blüthen rabbinischer Weisheit für Schule und Haus (1845/ 46) hervorgetreten ist, eine voluminöse Polyglotte der orientalischen Poesie in metrischen Übersetzungen deutscher Dichter heraus. 9 Jolowicz präsentiert hier eine Zusammenstellung von Dichtungen der - so die Auflistung auf dem Titelblatt - Afghanen, Araber, Armenier, Chinesen, Hebräer (Althebräer, Agadisten, Neuhebräer), Javanesen, Inder, Kalmücken, Kurden, Madagassen, Malayen, Mongolen, Perser, Syrer, Tartaren, Tscherkessen, Türken, Yeziden etc . Nach Völkern 4 Vgl. stellvertretend für die inzwischen äußerst umfangreiche Forschungsliteratur: Kurt Wilhelm (Hg.): Wissenschaft des Judentums im deutschen Sprachbereich. Ein Querschnitt. 2 Bde, Tübingen 1967; Thomas Meyer/ Andreas Kilcher (Hg.): Die „Wissenschaft des Judentums“. Eine Bestandsaufnahme, Paderborn 2015. 5 Vgl. Andrea Polaschegg: Der andere Orientalismus. Regeln deutsch-morgenländischer Imagination im 19.-Jahrhundert, Berlin 2005; für eine kritische Rundumschau der durch Saids Orientalism (1978) angestoßenen Debatten Daniel Martin Varisco: Reading Orientalism. Said and the Unsaid, Seattle 2007. 6 Vgl. Ivan Davidson Kalmar/ Derek J. Penslar (Hg.): Orientalism and the Jews, Hanover/ London 2005, bes. S. xiiif.; Steven E. Aschheim: The Modern Jewish Experience and the Entangled Web of Orientalism, Amsterdam- 2010; Laurence Sigal-Klagsbald (Hg.): Les Juifs dans l’orientalisme. Ausstellungskatalog. Musée d’art et d’histoire du Judaïsme, Paris 2012. 7 Vgl. Helga Eßmann/ Udo Schöning (Hg.): Weltliteratur in deutschen Versanthologien des 19.-Jahrhunderts, Berlin 1996. 8 Vgl. die biobibliographischen Einträge in: Renate Heuer (Hg.): Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Bd. 13, München 2005, S. 112-118; Michael Brocke/ Julius Carlebach (Hg.): Bibliographisches Handbuch der Rabbiner, Bd. 1.1, München 2004, S. 490-492. 9 Die Anthologie kann aufgrund urheberrechtlicher Konflikte zunächst nicht vertrieben werden und erscheint deshalb 1856 in einer veränderten zweiten Auflage. Vgl. Richard Gosche: Wissenschaftlicher Jahresbericht über die Morgenländischen Studien, 1874 bis 1875 (Fragment), Leipzig 1905, S. 39, Anm. 31. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 107 geordnet und in Antiqua gesetzt, ist die Anthologie des promovierten Königsberger Privatgelehrten, der soeben als ordentliches Mitglied der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft beigetreten ist, 10 primär auf ein fachlich interessiertes Publikum berechnet und findet entsprechend bei Orientalisten Beachtung. 11 Was die Position der Anthologie auf dem Buchmarkt angeht, so erscheint sie als eine Art Komplementärprodukt zu Adolf Ellissens Versuch einer Polyglotte der europäischen Poesie (1846), der wenige Jahre zuvor im selben Verlag - bei Otto Wigand in Leipzig 12 - erschienenen war und mit philhellenischem Impetus griechische Dichtung von der Antike bis in die Gegenwart präsentiert hatte. 13 Dem organologischen Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts verpflichtet, begnügt Jolowicz sich freilich nicht damit, seine Auswahl orientalischer Texte einfach neben Ellissens Auswahl griechischer Texte in Wigands Verlagsprogramm zu stellen. Vielmehr erörtert er im Vorwort zu seiner Polyglotte ausführlich das historisch-genetische Verhältnis der orientalischen zur griechischen Poesie. Damit bezieht er im wissenschaftspolitisch heiß umkämpften Altertumsdiskurs Position für die orientalischen Kulturen einschließlich der hebräischen, die im 19. Jahrhundert gegenüber dem Ideal der sogenannten klassischen Antike marginalisiert werden. 14 Jolowicz erklärt, dass die morgenländischen Schönheitsideale zwar unvollkommen seien, aber „als ein Akt der Weltgeschichte der ganzen Menschheit zu Gute kamen, welche sie weiter entwickelt und auf den Höhepunkt der dichterischen Ideale der Gegenwart gebracht hat.“ 15 Der 10 Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 7 (1853), S. 139. 11 Vgl. die anerkennenden Schreiben des Ägyptologen und Diplomaten Christian Karl Josias von Bunsen vom 28. Oktober 1853 und des Leipziger Orientalisten Hermann Brockhaus vom 10. September 1853, abgedruckt in dem Faltblatt Einige Zeugnisse und briefliche Anerkennungen des Dr. H. Jolowicz (Leo Baeck Institute Archives, New York, Heimann Jolowicz Collection, AR 3163, Mappe 1); ferner die kritische Erwähnung bei Pius Zingerle: Proben syrischer Poesie aus Jakob von Sarug [Schluss], in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 15 (1861), S. 629-647, hier: S. 631. 12 Vgl. Inge Kießhauer: Otto Friedrich Wigand, in: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 1 (1991), S. 155-188. 13 Adolf Ellissen: Versuch einer Polyglotte der europäischen Poesie. Bd. 1: Poesie der Kantabrer, Kelten, Kymren und Griechen, Leipzig 1846. 14 Vgl. zum Kontext umfassend Suzanne L. Marchand: German Orientalism in the Age of Empire - Religion, Race, and Scholarship, Cambridge/ New York 2009; speziell zur klassischen Altertumswissenschaft Anthony Grafton: Juden und Griechen bei Friedrich August Wolf, in: Reinhard Markner/ Giuseppe Veltri (Hg.): Friedrich August Wolf. Studien, Dokumente, Bibliographie, Stuttgart 1999, S. 9-31; Christhard Hoffmann: Altertumswissenschaft, in: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Bd. 1, Stuttgart/ Weimar 2011, S. 58-61. 15 Heimann Jolowicz (Hg.): Polyglotte der orientalischen Poesie in metrischen Übersetzungen deutscher Dichter [Nebentitel: Der poetische Orient]. Mit Einleitungen und Anmerkungen, Leipzig 1853, S. xii. 108 Kathrin Wittler orientalischen Poesie wird damit eine vorbereitende Funktion für die spätere Vervollkommnung der Poesie bei den Griechen und ihren abendländischen Nachfolgern zugewiesen. In diesem Sinne will Jolowicz mit seiner Polyglotte zeigen, „dass die weltgeschichtliche Bedeutung und Stellung der orientalischen Poesie innerhalb des Bildersaales der dichterischen Weltliteratur eine sehr hohe und wichtige und daher nach ihrem ganzen Umfange wohl zu beachtende sei.“ 16 In einem Partialverhältnis zum umfassenden Anspruch von Johannes Scherrs Bildersaal der Weltliteratur (1848), der „ein Gesammtbild des dichterischen Schaffens der Menschheit“ und „eine umfassende Geschichte der poetischen Literatur in Beispielen“ zu geben beansprucht hatte, 17 will Jolowicz mit seiner Polyglotte den morgenländischen Teilbereich der Weltliteratur als „Poesie der Menschheit in ihrem Kindes- und Jugendalter“ ins Blickfeld rücken. 18 In diesem Zusammenhang nun weist Jolowicz der hebräischen Dichtung, durchaus im Einklang mit der damaligen Weltliteraturgeschichtsschreibung, 19 eine wichtige orientalisch-okzidentalische Scharnierfunktion zu. Er profiliert sie als „Vermittlerin“ zwischen Ost und West, die die „Verschmelzung der morgenländischen Dichtungsweise mit der abendländischen zur Einheit und Vollendung der Kunstpoesie“ bei den Griechen möglich gemacht habe. 20 Wie übersetzt Jolowicz diese Verhältnisbestimmung der verschiedenen orientalischen und klassischen Altertumskulturen nun in seiner Anthologie in eine Textanordnung? Zunächst einmal ist festzustellen, dass er seine Lizenzen als Herausgeber einer morgenländischen Blütenlese nutzt, um der hebräischen Dichtung einen prominenten Platz neben der chinesischen, indischen, persischen, arabischen und osmanischen Dichtung zu sichern. 21 Taucht Hebräisches in Scherrs Bildersaal der Weltliteratur neben Poesie aus Indien, China, Arabien, Persien und der Türkei nur als relativ kleine, auf die Bibel beschränkte und konventionell aufgestellte Sektion auf, verleiht Jolowicz der hebräischen Dichtung in seiner Polyglotte der orientalischen Poesie mit einer reichen Auswahl biblischer 16 Jolowicz: Polyglotte, S. xii. 17 Johannes Scherr (Hg.): Bildersaal der Weltliteratur, Stuttgart 1848, S. vi. Vgl. Andrew Patten: A Portrait of the Artist as a World Author. Framing Authorship in Johanns Scherr’s Bildersaal der Weltliteratur , in: Seminar 51.2 (2015), S. 115-131; Marion Steffen: Johannes Scherr als Anthologist und Kulturhistoriker, in: Helga Eßmann/ Udo Schöning (Hg.): Weltliteratur in deutschen Versanthologien des 19.-Jahrhunderts, Berlin 1996, S. 391-409. 18 Jolowicz: Polyglotte, S. xi. 19 Peter Goßens: ‚Jüdische Literatur‘ in Weltliteraturgeschichten, in: Aschkenas 18/ 19 (2008/ 09), S. 485-493, hier: S. 490f. 20 Jolowicz: Polyglotte, S. ix. 21 Diese implizite jüdische Profilierung übersieht Häntzschel: Die deutschsprachigen Lyrikanthologien, S. 111f. Auszüge stärkere Gewichtung und geht auch weit darüber hinaus, indem er zusätzlich - in Abweichung von den damaligen Konventionen orientalistischer Anthologien 22 - eine Auswahl aus der Aggada sowie ‚neuhebräische‘ Dichtungen des spanischen Mittelalters präsentiert und dies schon in der Titelauflistung mit einem Zusatz in Klammern - Hebräer (Althebräer, Agadisten, Neuhebräer) - anzeigt. Entsprechend breit ist das Spektrum der beteiligten Übersetzer. Es reicht neben Jolowicz selbst von Moses Mendelssohn, Johann Georg Vaihinger, Martin Leberecht de Wette, Joel Bri’l Löwe, Aaron Halle-Wolfssohn und Daniel Sanders über Carl Krafft, Abraham Tendlau, Michael Sachs und Max Letteris bis zu Leopold Zunz und Abraham Geiger. Der orientalistische Zuschnitt der Anthologie erlaubt es Jolowicz also, der jüdischen Überlieferung und ihren jüdischen Vermittlern - nicht zuletzt den deutschsprachigen Wissenschaftlern des Judentums - mit einer originellen Auswahl breiten Raum zu gewähren. Er erlegt ihm aber andererseits auch Beschränkungen auf. Denn anders als in einer Weltliteraturanthologie wie derjenigen Scherrs muss die sogenannte abendländische Dichtung bei Jolowiczs Polyglotte der orientalischen Poesie außen vor bleiben. Die Behauptung einer ost-westlichen Scharnierfunktion der hebräischen Dichtung lässt sich mithin nicht innerhalb des Buches durch eine entsprechende Textanordnung plausibilisieren. Jolowicz muss darauf vertrauen, dass sie durch das Zusammenspiel seiner Polyglotte mit Ellissens griechischer Polyglotte und anderen Blütenlesen auf dem deutschsprachigen Anthologienmarkt an Evidenz gewinnt. Es besteht also ein Spannungsverhältnis zwischen den Lizenzen, die eine morgenländische Blumenlese für die Gewichtung hebräischsprachiger Dichtung gewährt, und ihrer Beschränkung auf den Bereich des Morgenländischen. Dieses Spannungsverhältnis tritt in einem zweiten orientalistischen Anthologieprojekt Jolowiczs noch deutlicher hervor. Während die Polyglotte der orientalischen Poesie ihrem Anspruch und ihrer Aufmachung nach auf ein fachlich interessiertes Publikum berechnet ist, will Jolowicz mit seinem nach Themen (z. B. ‚Lebensweisheit‘) und Genres (z. B. ‚Legenden‘) geordneten Blüthenkranz morgenländischer Dichtung , der 1860 in einem auf Volkstümlichkeit setzenden Frakturdruck erscheint, 23 zur „allgemeine[n] Kenntniß der morgenländischen Dichtung im großen Kreise der Gebildeten“ beitragen und „Freunden der Poesie 22 Vgl. z. B. Morgenländische Anthologie. Eine Auswahl klassischer Dichtungen aus der sinesischen, indischen, persischen und hebräischen Literatur. Übersetzt von Ernst Meier, Hildburghausen 1869. 23 Vgl. zur Semantisierung von Fraktur als ‚volkstümlich‘ Susanne Wehde: Typographische Kultur. Eine zeichentheoretische und kulturgeschichtliche Studie zur Typographie und ihrer Entwicklung, Tübingen-2000, S. 219-245. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 109 110 Kathrin Wittler jedes Geschlechtes“ Einblicke gewähren. 24 Wie die Polyglotte der orientalischen Poesie sich in Wigands Verlagsprogramm als Pendant zu Ellissens Versuch einer Polyglotte der europäischen Poesie präsentiert, so erscheint Jolowiczs Blüthenkranz morgenländischer Dichtung im Verlagsprogramm des Breslauer Verlegers Eduard Trewendt 25 als ein Komplementärangebot zu Rudolph Gottschalls Blüthenkranz neuer deutscher Dichtung (1856). 26 Die populäre Ausrichtung beider Blüthenkränze wird durch ihre Einbände unterstrichen, deren maschinelle Serienherstellung Trewendt in Auftrag gegeben hat. 27 Dass sie als sogenannte Verlagseinbände einen festen (weil festgelegten) Bestandteil der Anthologien darstellen und damit ein wichtiger Faktor ihrer Vermarktung sind, 28 hat weitreichende Konsequenzen für Jolowiczs Anthologie. Während der Buchdeckel von Gottschalls Blüthenkranz neuer deutscher Dichtung mit je nach Auflage variierenden ornamental-floralen Goldprägungen geschmückt ist (Abb. 1), ziert den Einband von Jolowiczs Blüthenkranz morgenländischer Dichtung eine Odaliske, die unter nächtlichem Sternenhimmel auf einem Teppich liegend Laute spielt. Im Hintergrund zeichnet sich eine Moschee ab; über der musizierenden Haremsdame hängt ein Blumengeflecht, in dem zwei Papageien sitzen (Abb. 2). Diese Einbandgestaltung ruft einen Erwartungshorizont erotischer Üppigkeit auf, der das breite Spektrum morgenländischer Dichtung auf eine im europäischen Imaginationshaushalt fest verankerte Trope des Orientalischen reduziert: die osmanische Haremskultur. 29 Das mag verkaufsfördernd gewirkt haben; besonders die in Jolowiczs Blüthenkranz reichlich ent- 24 Heinrich Jolowicz (Hg.): Blüthenkranz morgenländischer Dichtung, Breslau 1860, S. xf. Vgl. auch Jolowiczs Erklärung in einem Brief an Ludwig August Frankl vom 9. Januar 1859, die „Tendenz“ des Blüthenkranzes sei „in Form und Inhalt wesentlich verschieden“ von seiner Polyglotte (Wienbibliothek im Rathaus, Handschriftensammlung, Nachlass Ludwig August Frankl von Hochwart, H.I.N.-101781). Vgl. zur Arbeit am Blüthenkranz auch Jolowiczs Briefe vom 17. Dezember 1859 und vom 27. Juli 1860 an Frankl (H.I.N.-101782 und H.I.N.-101776). 25 Vgl. zu ihm Rudolf Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes. Bd. 5, Berlin 1908, S. 952-955. 26 Rudolph Gottschall (Hg.): Blüthenkranz neuer deutscher Dichtung, Breslau 1856. 27 Vgl. auch die Angaben zu den beiden Anthologien im Verlagsverzeichnis von Eduard Trewendt in Breslau. Zum fünfzigjährigen Bestehen der Verlagsbuchhandlung 1845- 1895, Breslau 1895. 28 Das Aufkommen sogenannter Verlagseinbände in dieser Zeit ist durch tiefgreifende strukturelle, technische und gestalterische Veränderungen im Buchbindewesen bedingt. Vgl. Dag-Ernst Petersen (Hg.): Gebunden in der Dampfbuchbinderei. Buchbinden im Wandel des 19. Jahrhunderts. Ausstellung im Zeughaus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Wiesbaden 1994. 29 Vgl. für neuere Forschungsperspektiven Mary Roberts: Intimate Outsiders. The Harem in Ottoman and Orientalist Art and Travel Literature, Durham/ London 2007; Silke Förschler: Bilder des Harem. Medienwandel und kultureller Austausch, Berlin 2010. haltenen religiösen Dichtungen aber fügen sich nur schwer in dieses Ausstattungsprogramm. Für Psalmen und Piutim zum Beispiel wäre als Buchschmuck eher die Figur des harfespielenden David zu erwarten als eine lautespielende Odaliske. Die Diskrepanz zwischen der Aufmachung des Buches und den in ihm versammelten Dichtungen lässt sinnfällig werden, welche Schwierigkeiten sich im 19. Jahrhundert aus dem Versuch ergeben, verschiedene Texttraditionen und zumal die jüdische Überlieferung unter dem Banner des Orientalischen zu vermarkten. Ein anderer jüdischer Anthologienherausgeber geht die Herausforderung, jüdische Texte und Themen wirksam auf dem Anthologienmarkt zu platzieren, nicht historisch-genetisch vom morgenländisch-biblischen Altertum her an, sondern von der europäischen Diaspora-Gegenwart. 1855 versammelt der österreichische Schriftsteller und Kulturpolitiker Ludwig August Frankl 30 unter dem Titel 30 Louise Hecht (Hg.): Ludwig August Frankl (1810-1894). Eine jüdische Biographie zwischen Okzident und Orient, Köln u. a. 2016; Christiane Zintzen: Ludwig August Frankl. Abbildung 1 - Buchdeckel von Gottschalls Blüthenkranz neuer deutscher Dichtung (1856), Deutsches Literaturarchiv Marbach, Bibliothek (Signatur: Glück: D) Abbildung 2 - Buchdeckel von Jolowiczs Blüthenkranz morgenländischer Dichtung (1860), Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel (Signatur: Wl 1249) West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 111 112 Kathrin Wittler Libanon. Ein poetisches Familienbuch eine Auswahl all dessen, „was die Dichter der gebildeten Nationen zur Verklärung des Judenthums und seiner Millionen Anhänger gesungen haben.“ Mit dieser thematischen Ausrichtung will Frankl eine breite, heterogen zusammengesetzte Adressatengruppe ansprechen. Der Libanon soll als Medium familiärer religiöser Erbauung im Sinne einer „poetischen Hauspostille für die jüdische Familie, zunächst für die Jugend“ dienen; dank Aufnahme einiger Deklamationsgedichte sei er auch zu pädagogischen Zwecken - als „Chrestomathie für die Schule“ - geeignet. Darüber hinaus soll der Libanon „jedem Gebildeten, abgesehen von seiner konfessionellen Anschauung, ein Gemüth und Phantasie anregendes Buch […] liefern.“ 31 Diesem umfassenden Anspruch entsprechend sind im Libanon Dramen- und Epenauszüge, Fabeln und Sprüche und vor allem Lyrik vom achten Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart von jüdischen und nichtjüdischen Autorinnen und Autoren versammelt. 32 Die konkrete Textauswahl verdankt sich Frankls exzellenter Vernetzung im österreichischen, europäischen und speziell im jüdischen Literaturbetrieb. Frankl, der als einflussreicher Zeitschriftenherausgeber und gefragter Anthologien-Beiträger eine zentrale Position im literarischen Feld besetzt, 33 ist mit den literarischen Größen seiner Zeit von Nikolaus Lenau und Ferdinand Raimund über Friedrich Hebbel bis hin zu Franz Grillparzer befreundet. Entsprechend machen deutsche und österreichische Schriftsteller der Gegenwart einen großen Teil der im Libanon vertretenen Autoren aus; zum Teil haben sie sogar Originalbeiträge geliefert. In der Textauswahl kommt indes nicht nur Frankls einflussreiche Stellung im österreichischen literarischen Leben, sondern auch sein Einsatz für die jüdische Emanzipation zum Tragen. Der studierte Arzt ist zeit seines Lebens als Sekretär der Jüdischen Gemeinde in Wien tätig und veröffentlicht 1855 neben dem Libanon auch ein Buch über die hebräischen Inschriften auf dem Wiener jüdischen Friedhof. Er pflegt enge Kontakte zu jüdischen re- Revolutionär, Reisender und Kulturfunktionär, in: Hubert Lengauer/ Primus Heinz Kucher (Hg.): Bewegung im Reich der Immobilität. Revolutionen in der Habsburgermonarchie 1848-1849. Literarisch-publizistische Auseinandersetzungen, Köln u. a. 2001, S. 362- 389. 31 Alle Zitate dieses Abschnitts nach Ludwig August Frankl (Hg.): Libanon. Ein poetisches Familienbuch, Wien 1855, S. 299. 32 Es greift deshalb zu kurz, Frankls Libanon nur als Abweichung von jüdischen Aggada-Anthologien zu bestimmen. So Sabel: Die Geburt der Literatur aus der Aggada, S. 202- 204. 33 Max Kaiser/ Werner Michler: Das literarische Feld und das Terrain der Politik. Österreichische Lyrikanthologien 1848-1890 als Quellen zum literarischen Leben, in: Michael Böhler/ Hans Otto Horch (Hg.): Kulturtopographie deutschsprachiger Literaturen. Perspektivierungen im Spannungsfeld von Integration und Differenz, Tübingen 2002, S. 179- 229, bes. S. 184 und S. 191-193. formorientierten Pädagogen, Publizisten und Literaten im gesamten deutschen Sprachgebiet, darunter Ludwig Philippson, Salomon Ludwig Steinheim, Moritz Rappaport, Moses Haarbleicher, Karl Beck und Ludwig Wihl, und nimmt deren Dichtungen in seine Anthologie auf. Freilich bleiben seine Aktivitäten nicht auf den deutschsprachigen Bereich beschränkt. Intensiv bemüht Frankl sich darum, dass seine Dichtungen mittels hebräischer Übersetzung auch osteuropäische Leserkreise erreichen; 34 umgekehrt bietet er im Libanon hebräische Texte von Maskilim wie Naphtali Herz Wessely und Salomon Jacob Cohen sowie von Rachel Morpurgo in deutschen Übersetzungen. Einen weiteren großen Bereich bilden im Libanon religiöse Dichtungen des Mittelalters mit einem Schwerpunkt auf Sefarad. Frankl präsentiert sie in Übersetzungen von Michael Sachs, Leopold Zunz, Abraham Geiger und Leopold Dukes und leistet so ähnlich wie Jolowicz eine breitenwirksame Vermittlung der Forschungen der Wissenschaft des Judentums. 35 Darüber hinaus bietet er Texte von kanonischen nichtjüdischen Autoren wie Calderon, Racine, Lessing, Goethe, Hugo, Shakespeare, Klopstock, Byron, Wordsworth, Herder, Alfieri und Ujejski. In sprachlicher, religiöser, zeitlicher und räumlicher Hinsicht hat Frankls Anthologie mit dieser breiten Auswahl eine erheblich größere Reichweite als die meisten regional- oder nationalliterarischen Anthologien seiner Zeit und weist - selbst für österreichische Verhältnisse 36 - überdurchschnittlich viele Übersetzungen auf. So prägt der Libanon im thematischen Prisma der „Verklärung des Judenthums“ 37 einen eigenen Typ der Weltliteraturanthologie aus. Den transnationalen Charakter des poetischen Diaspora-Judentums vergegenwärtigt Frankl auch dadurch in der Buchform seiner Anthologie, dass die Texte nicht etwa - wie sonst üblich - chronologisch oder thematisch arrangiert sind, sondern alphabetisch nach Verfassernamen. Zwar wird dieses Ordnungsprinzip von den Rezensenten durchweg getadelt, doch Frankl rechtfertigt seine Entscheidung ausdrücklich: Die alphabetische Ordnung könne gerade in ihrer Arbitrarität „die größte Mannigfaltigkeit in Inhalt und Form“ vermitteln und damit einem Dichten Rechnung tragen, das aufgrund der Zerstreuung der Ju- 34 Herlinde Aichner: Die Revolution von 1848 und die Frage der jüdischen Nationalität. L.A. Frankl und M.-Rappaport, in: Lengauer/ Kucher (Hg.): Bewegung im Reich der Immobilität, S. 333-361, hier: S. 359. 35 Frankl übernimmt nicht nur die Übersetzungen der Wissenschaftler des Judentums, er kopiert in seinen Einführungen zu einzelnen historischen Autoren wörtlich die Ausführungen z. B. von Leopold Zunz: Die synagogale Poesie des Mittelalters, Berlin 1855. S. 15f. (zu Kalonymos) und S. 167 (zu Salomon ben Jehuda). 36 Vgl. zur Anthologienproduktion in der vielsprachigen Habsburgermonarchie: Kaiser/ Michler (Hg.): Das literarische Feld und das Terrain der Politik, S. 182f. und S. 194f. 37 Frankl: Libanon, S. 299. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 113 114 Kathrin Wittler den über verschiedene Jahrhunderte und Kontinente verteilt sei. 38 Im Ergebnis wechseln sich im Libanon sefardische und aschkenasische Piutim ab mit Auszügen aus Shakespeares Merchant of Venice und Lessings Nathan der Weise , maskilischen Hymnen, Gedichten aus Goethes West-östlichem Divan , Byrons Hebrew Melodies und Heines Hebräische Melodien sowie Geschichtsballaden von österreichischen Gegenwartsautoren. Markant absent ist demgegenüber Biblisches und Talmudisches. Frankls Textauswahl reicht nicht hinter das spanische Mittelalter zurück; sie beginnt dort, wo Jolowiczs Textauswahl endet. Leitet Jolowicz die Dichtung der Hebräer von ihrem Ursprung im biblischen Morgenland her und bestimmt ihre Bedeutung in diesem Sinne historisch-genealogisch, findet ebendieser morgenländische Ursprung nur im Modus diasporischer Evokation in Frankls Libanon Eingang. Daraus ergibt sich eine gänzlich anders gelagerte Orientalisierungsstrategie. Frankl spannt die weltliterarische „Mannigfaltigkeit“ des Diaspora-Judentums mittels eines subtilen Zusammenspiels von Peritexten, das hier nur in Ansätzen vorgestellt werden kann, in zwei spannungsreiche Bezugssysteme ein. Er eröffnet seine Anthologie mit einem Piut von Joseph ibn Abitur aus dem 10. Jahrhundert in einer Übersetzung von Michael Sachs. 39 Diesem durch das Alphabet vorgegebenen Auftakt verleiht er eine konzeptuell-programmatische Bedeutung durch die feierliche Erklärung, dass er „nach der frommen Sitte orientalischer Dichter, auch dieses dem Judenthume zunächst gewidmete Buch mit der Anrufung Gottes“ beginnen lasse. 40 Mit diesem differenzbewussten Bezug auf eine orientalisch-jüdische Frömmigkeitstradition präsentiert der Herausgeber seine moderne deutschsprachige Anthologie als ein zwischen Orient und Okzident sowie zwischen Religion und Ästhetik vermittelndes Projekt. 41 Der Libanon überträgt, so die peritextuelle Inszenierung, Texte aus ursprünglich orientalischen Traditionszusammenhängen in die deutschsprachige Gegenwart, stellt sie neben moderne Aneignungen jüdischer Stoffe und macht Gebete als Gedichte lesbar. 38 Frankl: Libanon, S. 299. 39 Vgl. Michael Sachs: Die religiöse Poesie der Juden in Spanien, Berlin 1845, S. 42-45. 40 Frankl: Libanon, S. 1. 41 Auch in Frankls sonstiger literarischer Produktion werden jüdische Themen im Spannungsfeld von Orient und Okzident sowie von Religion und Ästhetik präsentiert. Vgl. etwa seine Sagen aus dem Morgenlande (1834), die in Orientierung an Joseph Freiherr von Hammer-Purgstalls zweibändiger Sammlung Rosenöl (1813) muslimische Bearbeitungen alttestamentlicher Geschichten aufgreifen, und sein dreibändiges Orient-Reisebuch Nach Jerusalem! (1858/ 1860). Vgl. zur Orientreise und ihrem Kontext zuletzt Louise Hecht: „The Servant of Two Masters“. Jewish Agency for Austrian Culture in the Orient before the Era of Emancipation, in: Austrian Studies 24 (2016), S. 13-30. Dieser Anspruch wird durch die Gestaltung des Papier-Einbands (Abb. 3) unterstrichen, mit dem der junge, technisch ambitionierte Wiener Verleger Ludwig Carl Zamarski die Anthologie ausstatten lässt. 42 Auf dem vorderen Buchdeckel wird die Titelei, die mit dem Haupttitel Libanon die ferne Erhabenheit des biblischen Morgenlands evoziert und mit dem Untertitel Ein poetisches Familienbuch die bürgerlichen Wohnstuben Österreichs und Deutschlands als Bestimmungsort definiert, von einer orientalischen Ruinen-Landschaftsszene umrahmt. Zu sehen ist eine Bucht mit einer Hafenstadt und einem Gebirgszug im Hintergrund. Im Vordergrund wachsen links eine Palme und rechts zwei Pinien empor. Zwischen allerlei Gestrüpp, darunter Farnen und Weinranken, liegen Teile ionischer Säulenkapitelle sowie ein Frauenporträtgemälde; hinter den Pinien ragt eine Ruine umayyadischen Bautyps hervor. Zeigt der vordere Buchdeckel Überreste der römischen und islamischen Eroberungsgeschichte in der Levante, evoziert der rückseitige Buchdeckel mit einem ikonographischen Zitat des 137. Psalms das Babylonische Exil. So unterstreicht die buchgestalterische Aufmachung den Anspruch der Anthologie, den west-östlich strukturierten historischen Tiefenraum des Diaspora-Judentums auf gefällige Weise als virtuelle poetische Größe in die Gegenwart des deutschsprachigen Europas zu vermitteln. Mit diesem Konzept hat Frankl durchschlagenden Erfolg; der Libanon erweist sich als eine der beliebtesten Anthologien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die erste Auflage wird offenbar in Österreich innerhalb weniger Monate vollständig verkauft, sodass erst die noch im selben Jahr veranstaltete zweite Auflage den deutschen Buchmarkt erreicht. 43 1864 erscheint eine dritte, erweiterte Auflage mit anderer Titelgestaltung im Wiener Pichler-Verlag, 44 1868 eine vierte Auflage, und 1880 schließlich noch ein Nachdruck in Breslau. Frankls Anthologie wird als origineller Beitrag zum deutschsprachigen Anthologienmarkt und zur jüdischen Emanzipation begrüßt. 45 Zwar merken Wissenschaftler des 42 Vgl. zu ihm Constant von Wurzbach (Hg.): Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 59, Wien 1890, S. 132f.; Anton Mayer: Wiens Buchdrucker-Geschichte, 1482- 1882. Bd. 2, Wien 1887, S. 328f., S. 341f. und S. 346. 43 So die Angabe in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums 20 (1856), S. 16. 44 Vgl. Mayer: Wiens Buchdrucker-Geschichte, S. 327; Deutsches Museum 15 (1865), S. 135. Als Frankl 1860 beim Verleger bezüglich einer dritten Auflage anfragt, teilt man ihm mit, dass noch 170 Exemplare vorrätig seien. Als Frankl sich zu Beginn des Jahres 1862 erneut meldet, erklärt der Verlag, dass die Anthologie sich nicht mehr in das inzwischen auf populäre illustrierte Lieferungswerke konzentrierte Programm integrieren lasse. Wenige Tage später wird Frankl sich mit dem Pichler-Verlag einig. Vgl. die Briefe vom Verlag Zamarski & Dittmarsch an Frankl vom 6.-November 1860 und vom 9. Januar 1862 sowie vom Pichler-Verlag an Frankl vom 27.- Januar 1862 (Wienbibliothek, Nachlass Frankl, H.I.N.-108517, H.I.N.-108531, H.I.N.-108500). 45 Vgl. etwa die Rezension von Melchior Meyr im Deutschen Museum 5 (1855), S. 424f. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 115 116 Kathrin Wittler Judentums wie Abraham Geiger an, dass der Libanon aufgrund zahlreicher Fehler wissenschaftlichen Maßstäben nicht Genüge tue. 46 Mit Blick aufs allgemeine jüdische Lesepublikum aber wird Frankls Anthologie große Anerkennung zuteil. Der Frankfurter Rabbiner Leopold Stein, der auch selbst in der Anthologie vertreten ist, begrüßt sie enthusiastisch als „ein treffliches Buch! […] Man liest es, mit abwechselndem, bald freudigem, bald schmerzlichem, aber immer mit dem gehobenen Gefühle, ein Jude zu sein! “ 47 Ludwig Philippson würdigt den Libanon als ein Sammelwerk, das die „Emancipation des Judenthums auf dem Gebiete der geschmackvollen Poesie“ befördere. 48 Offenbar ist es Frankl gelungen, den deutschsprachigen Juden, die im 19. Jahrhundert zwischen Anpassungsforderungen und Traditionsbewusstsein um ihre Emanzipation ringen, mit seinem Libanon ein brauchbares Medium kultureller Selbstvergewisserung anzubieten. 46 Abraham Geiger: Jüdische Dichtungen, in: Jüdische Zeitschrift für Wissenschaft und Leben 6 (1868), S. 214-216. 47 Der Israelitische Volkslehrer 5 (1855), S. 362f. Vgl. auch die Rezensionen in der Monatsschrift für Geschichte und Wissenschaft des Judenthums 5 (1856), S. 432-434 und 14 (1865), S. 353-356; ferner ein auf den 1.- Februar 1865 datiertes Schreiben von Zacharias Frankel (Wienbibliothek, Nachlass Frankl, H.I.N.-100660). 48 Allgemeine Zeitung des Judenthums 20 (1856), S. 16. Abbildung 3 - Vorderer und hinterer Buchdeckel von Frankls Libanon (1855), Universitätsbibliothek Leipzig (Signatur: Ästh.547-xr) Das liegt nicht zuletzt an der Reichweite der Anthologie weit über jüdische Leserkreise hinaus. Mit der Inklusion auch nichtjüdischer Autoren und Autorinnen scheint Frankl tatsächlich ein entsprechend breites Spektrum von Adressaten bedient zu haben. So schreibt Anton Alexander Graf von Auersperg, der unter seinem nom de plume Anastasius Grün selbst Gedichte beigesteuert hat, am 19. Juni 1855 an Frankl, der Libanon habe ihn „durch seine Reichhaltigkeit überrascht und durch takt- und sinnvolle Wahl und Ordnung aufs Angenehmste befriedigt.“ Es sei „in der Tat ein wahres Familienbuch.“ 49 Solchen Rezeptionszeugnissen und dem buchhändlerischen Erfolg nach zu urteilen ist Frankl mit dem Libanon eine konsensfähige Auswahl und Präsentation jüdischer Dichtungen und literarischer Verarbeitungen jüdischer Stoffe gelungen. 50 Die Gefälligkeit des Libanon ergibt sich nicht nur aus einem thematischen Verzicht auf allzu Anstößiges und Unversöhnliches, 51 sondern auch aus Frankls konzeptuellen Balanceakten. Von einer selbstbewussten österreichischen Gegenwartsposition aus setzt Frankl auf eine kontrollierte, historistisch eingebettete Integration von Orientalischem, und zwar vornehmlich im Modus der Evokation. Damit vergegenwärtigt der Libanon , Weltliteratur im Prisma einer „Verklärung des Judenthums“ bietend, den transnationalen Charakter jüdischer Literatur, wie er zu dieser Zeit auch von Wissenschaftlern des Judentums postuliert wird, 52 auf marktfähige Weise als einen west-östlich vermittelnden. Jolowiczs und Frankls Anthologien, so lässt sich zusammenfassen, stellen anspruchsvolle Versuche dar, die jüdische Überlieferung über das Konzept der Weltliteratur mit den Erwartungsstrukturen und Imaginationsregeln des damaligen Orientalismus in Einklang zu bringen. Steht die Wissenschaft des Judentums in einem engen Verhältnis zur Fachdisziplin der Orientalistik, 53 vermitteln 49 Bruno von Frankl-Hochwart (Hg.): Briefwechsel zwischen Anastasius Grün und Ludwig August Frankl (1845-1876), Berlin 1897, S. 54f. 50 Damit hat er modellbildend gewirkt. Robert Hirschfelds Sammlung Libanon. Dichtungen für das jüdische Haus (1908) lässt ihre Abhängigkeit schon im Titel erkennen und übernimmt auch Frankls alphabetisches Ordnungsprinzip. Julius Moses eröffnet seine Hebräischen Melodien. Eine Anthologie (1907) mit wörtlichen Übernahmen aus Frankls Einleitung zum Libanon . 51 Das suggeriert Colin Walker: Two Jewish Poetry Anthologies. Ludwig August Frankl’s Libanon (1855) and Siegmund Kaznelson’s Jüdisches Schicksal in deutschen Gedichten (1959), in: Pól O’Dochartaigh (Hg.): Jews in German Literature since 1945: German-Jewish Literature? , Amsterdam/ Atlanta 2000, S. 21-34. 52 Andreas B. Kilcher: „Jüdische Literatur“ und „Weltliteratur“. Zum Literaturbegriff der Wissenschaft des Judentums, in: Aschkenas 18/ 19 (2008/ 09), S. 465-483; Nils Roemer: Towards a Comparative Jewish Literary History. National Literary Canons in Nineteenth-Century Germany and England, in: Jewish Culture and History 6 (2003), S. 27-45. 53 Vgl. u. a. Dirk Hartwig u.a (Hg.): „Im vollen Licht der Geschichte“. Die Wissenschaft des Judentums und die Anfänge der kritischen Koranforschung, Würzburg 2008; Marchand: West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 117 118 Kathrin Wittler Frankls und Jolowiczs Blütenlesen deren Forschungsergebnisse im kulturellen Horizont des Orientalismus einem breiteren Publikum. Indem sie die jüdische Überlieferung mithilfe ihrer Anthologien im Kanon der Weltliteratur zu positionieren suchen, vollführen sie einen doppelten Brückenschlag: zum einen zwischen der Orientalistik und dem Orientalismus, zum anderen zwischen der Wissenschaft des Judentums und einem allgemeinen Wissen vom Judentum. Während die Wissenschaftler des Judentums durch Grundlagenforschung am Begriff der jüdischen Literatur arbeiten und um die Anerkennung der Jüdischen Studien als Universitätsfach ringen, 54 versuchen Jolowicz und Frankl ihr auf dem Wege der Anthologisierung - in Kooperation mit und Abhängigkeit von Verlegern, Druckern und Gestaltern - einen würdigen Platz im Literaturkanon und im Allgemeinwissen zu sichern. Sowohl Frankls Libanon als auch Jolowiczs Anthologien Polyglotte der orientalischen Poesie und Blüthenkranz morgenländischer Dichtung gewinnen ihr jeweiliges Profil nicht primär im diachronen Verhältnis zu älteren jüdischen Sammelformen, 55 sondern im synchronen Verhältnis zu anderen national- und weltliterarischen Angeboten, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem deutschsprachigen Buchmarkt verfügbar sind. Jolowiczs Polyglotte der orientalischen Poesie und sein Morgenländischer Blüthenkranz sind als Pendants zu Anthologien griechischer bzw. deutscher Nationalliteratur angelegt und in einem Partialverhältnis auf ein Konzept von Weltliteratur als Sammelbegriff von Einzelliteraturen bezogen, wie es Johannes Scherr mit seinem Bildersaal der Weltliteratur in Buchform gebracht hat. Demgegenüber präsentiert Frankl die poetische Mannigfaltigkeit des Diaspora-Judentums als epochen- und gattungsüberschreitendes Paradigma von Weltliteratur. In beiden Fällen ermöglicht es der Rekurs auf ein transnationales, inklusives Konzept von Weltliteratur, 56 jüdische Texte und Themen als historische Verbindungsmomente zwischen Orient German Orientalism, S. 113-118 und S. 222f.; Ismar Schorsch: Converging Cognates. The Intersection of Jewish and Islamic Studies in Nineteenth Century Germany, in: Leo Baeck Institute Year Book 55 (2010), S. 3-36. 54 Vgl. Céline Trautmann-Waller: Selbstorganisation jüdischer Gelehrsamkeit und die Universität seit der ‚Wissenschaft des Judentums‘, in: Wilfried Barner/ Christoph König (Hg.): Jüdische Intellektuelle und die Philologien in Deutschland, 1871-1933, Göttingen 2001, S. 77-86. 55 Eine solche innerjüdische Vergleichsperspektive bestimmt - unter Ausblendung des 19. Jahrhunderts - den Sammelband David Stern (Hg.): The Anthology in Jewish Literature, Oxford 2004; ähnlich Martina Urban: Anthologie, in: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Bd. 1, S. 113-116. 56 Vgl. Peter Goßens: Weltliteratur. Modelle transnationaler Literaturwahrnehmung im 19. Jahrhundert, Stuttgart/ Weimar 2011. Auf die in den letzten zwei Jahrzehnten kontrovers geführte internationale Debatte über Chancen und Probleme verschiedener Auffassungen von Weltliteratur kann ich hier nicht eingehen; zumindest verwiesen sei aber und Okzident zu präsentieren und damit das (literatur)politische Potential des Mediums Anthologie zu nutzen: Indem Jolowicz und Frankl für die jüdische Überlieferung einen validen Platz in der west-östlich strukturierten Ordnung von Weltliteratur suchen und sie entsprechend auf dem deutschsprachigen Buchmarkt präsentieren, unterlaufen sie exkludierende orientalistische Fremdzuschreibungen, mit denen Juden im 19. Jahrhundert immer wieder eine Zugehörigkeit zu den europäischen Gesellschaften abgesprochen wird. 57 Beide Anthologien zeigen freilich auch, etwa in Diskrepanzen zwischen Textauswahl, Postulaten in der Einleitung und Einbandgestaltung sowie in Beschränkungen der Textauswahl, dass ein solcher vermittelnder Umgang mit orientalistischen Erwartungsstrukturen und Zuschreibungen im 19. Jahrhundert immer heikel bleibt. So treten an den drei hier untersuchten Anthologien die Spannungen und Konflikte hervor, die sich im Diskurshorizont des Orientalismus des 19. Jahrhunderts für den Umgang mit jüdischen Traditionen ergeben. auf den neueren Ansatz von B. Venkat Mani: Recording World Literature. Libraries, Print Culture, and Germany’s Pact with Books, New York 2017. 57 Vgl. u. a. James Pasto: Islam’s „Strange Secret Sharer“. Orientalism, Judaism, and the Jewish Question, in: Comparative Studies in Society and History 40 (1998), S. 437-474. West-östliche Ordnungen von Weltliteratur Anthologisierung jüdischer Literatur 119 Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente Roberta Ascarelli Nel manifesto sionista, Der Judenstaat , Herzl pone al centro del suo programma e del suo testo l’Occidente come luogo, direbbe Daniel Henri Pageaux, “d’archivage et de réactualisations possibles de bouts, de séquence, de pans entiers de textes”. 1 L’autore guarda al Vecchio continente soprattutto per motivi strategici, nel tentativo di intercettare il sostegno delle grandi potenze per il suo inedito progetto, ma non mancano motivi per questa vicinanza: vi è la contiguità storica e ideale del Sionismo ai movimenti nazionali che, nel corso dell’Ottocento, avevano cambiato la fisionomia e la storia dell’Europa, e vi è la condivisione di un immaginario “occidentale” che, fin dall’ Haskalah , aveva rappresentato per moltissimi ebrei una Verzauberung dai profondi significati intellettuali, politici e identitari. Senza tentennamenti, Herzl considera lo Stato ebraico che vuole costruire come una propaggine dell’Europa, impegnato a difendere i suoi valori e i suoi interessi: “Für Europa würden wir dort - scrive in Der Judenstaat - ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Cultur gegen die Barbarei besorgen.” 2 Nel richiamo alla vocazione europea dell’ebraismo, Herzl cerca di imporre una tradizione e un repertorio che, omogenei e riconoscibili, fossero in grado 1 Daniel Henri Pageaux: De l’imagerie culturelle à l’imaginaire, in: Pierre Brunel/ Yves Chevrel (dir.): Précis de littérature comparée, Paris 1989, p. 142. 2 Theodor Herzl: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage, Leipzig 1896, p. 29. Sulla varietà dei significati di ‘Oriente’ nel primo movimento sionista cfr. Arieh Bruce Saposnik: Europe and Its Orients in Zionist Culture Before the First World War , in: The Historical Journal 49, 4 (December 2006), pp. 1105-1123, in particolare p. 1105 s.; cfr. inoltre Paul Mendes-Flohr: Fin de siècle Orientalism, the Ostjuden, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in Paul Mendes-Flohr: Divided passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1990, pp. 77-132; Ivan Davidson Kalmar: Moorish Style: Orientalism, the Jews, and Synagogue Architecture, in: Jewish Social Studies 7 (2001), pp. 68-100; Ivan Davidson Kalmar/ Derek J. Penslar (ed. by): Orientalism and the Jews, Hanover 2005 . 122 Roberta Ascarelli di sostenere la ‘sua’ avventura nazionale. 3 In questa operazione nation building trova spazio la definizione di una identità ebraica costruita sulla cancellazione dell’ Ostjudentum , e sulla rimozione delle radici semitiche nel timore che il “Self/ Other orientalist stereotype” 4 potesse annullare o revocare la identificazione tra ebrei ed europei che rappresenta il presupposto stesso dell’operazione herzliana: l’ebreo come “cisleitanico”, 5 europeo militante che, se non aveva cancellato il ricordo delle origini, le aveva comunque radicalmente rielaborate cogliendo dell’antico oriente ebraico, di questa “nobile tribù orientale”, 6 solo riferimenti fiabeschi e regali, suggestivi come le immagini che Efraim M. Lilien dedica al movimento e al suo leader . 7 La narrazione ‘occidentalizzante’ di Herzl non è isolata né innovativa - anche se stupisce l’indifferenza dei suoi scritti sionisti ai temi ‘antimoderni’ della décadence che pure lo scrittore aveva fedelmente registrato in un dramma del 1893, Das neue Ghetto e in molti dei feuilletons scritti per la Neue Freie Presse . Che gli ebrei potessero essere un affidabile avamposto d’occidente nella terra dei padri è tema diffuso nell’Ottocento, soprattutto nella Francia napoleonica a partire dal Proclama ‘sionista’ del 20 aprile 1799 e nell’Inghilterra puritana. 8 3 Per la costruzione di una identità nazionale, come individuazione di un repertorio significativo e facilmente individuabile di caratteristiche cfr. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006, in particolare pp. 40 e 252. 4 Sembra pertinente richiamare le note di Bhabha sulla parzialità della “differenza”. Homi K. Bhabha: Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse, in: Id.: The Location of Culture, London/ New York 1994, pp. 85-92: “then colonial mimicry is the desire for a reformed, recognizable Other, as a subject of a difference that is almost the same, but not quite . Which is to say, that the discourse of mimicry is constructed around an ambivalence; in order to be effective, mimicry must continually produce its slippage, its excess, its difference” (p. 86). 5 Cfr. Klaus Zelewitz: Zweigs Europa: Ein cisleiathanisches, in: Mark H. Gelber/ Anna-Dorothea Ludewig (Hg.): Stefan Zweig und Europa, Hildesheim/ Zürich/ New York 2011, pp. 99-108. 6 Shlomo Avineri: Herzl’s Vision. Theodor Herzl and the Foundation of the Jewish State (2008), qui dalla trad. inglese di Haim Watsman, Katonah/ New York 2014, p. 53. 7 Efraim M. Lilien ritrae Herzl nelle vesti un antico re mesopotamico. “He was portrayed not only as Moses or an angel but also as Aaron, Jacob, David, Solomon, Judah, Judas Maccabeus, and many others. Apart from their Oriental style, those incarnations often referred to biblical iconography and alluded to Assyrian aesthetic conventions”, in: Artur Kamczycki: Orientalism: Herzl and his Beard, in: Journal of Modern Jewish Studies 12 (2013), pp. 90-116; cfr. inoltre Milly Heyd: Lilien: Between Herzl and Ahasver, in: Gideon Shimoni/ Robert S. Wistrich (ed. by): Theodor Herzl. Visionary of the Jewish State, Jerusalem/ New York 1999, pp. 265-293. 8 Cfr. lo studio ‘classico’ di Barbara W. Tuchman: Bible and Sword: England and Palestine from the Bronze Age to Balfour , New York 1957, in particolare il cap. X: Shaftesbury’s Vision . Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 123 Nel 1800 (e, dopo la proclamazione del Sinedrio parigino, in una nuova edizione nel 1807) l’inglese James Bicheno propone con entusiasmo al suo governo in chiave antinapoleonica 9 un intervento che favorisse l’insediamento degli ebrei in Palestina. Il suo libro The Restoration of the Jews. The Crisis of all Nations; to which is now Prefixed, a Brief History of the Jews, from their First Dispersion, to the Calling of Their Grand Sanhedrim at Paris, October 6th, 1806, and an Address on the Present State of Affairs, in Europe in General, and in this Country in Particular, acceso di spirito patriottico e di entusiasmo religioso, si conclude con l’auspicio: And it is for these, therefore, I am most concerned: Such as that the Jews, after their present long captivity, will be gathered from all nations, and be again restored to their own country, and be made a holy and happy people. That their restoration will be effected at a time of great and general calamities and revolutions; and at the time of the fall of the fourth monarchy, and of the Turkish empire in particular. 10 A un sionista cristiano di particolare prestigio, Lord Shaftesbury, 11 si deve nel 1839 un articolo pubblicato nel Quarterly Review nel quale, recensendo un testo di Lindsay, Letters on Egypt, Edom, and the Holy Land, by Lord Lindsay, 1838 (così il titolo) prospetta i vantaggi per l’Inghilterra di una colonizzazione ebraica in Palestina e ne auspica la realizzazione. Nel 1840, in occasione della London Convention tra le cinque Grandi Potenze (Inghilterra, Francia, Austria, Russia, Prussia) sul futuro assetto del Medio Oriente, l’influente Lord invia al visconte Palmerston un lungo rapporto, nel quale propone di far tornare gli Ebrei nella terra dei loro Padri, come parte di un più ampio progetto di collocazione della zona sotto l’influenza britannica. 12 9 “What grand scheme is developing, and whether Napoleon is devising the commercial aggrandizement of France, and the ruin of the English interest in the East, by the resettlement of the Jews in their own land, time will discover. But it needs but little discernment, when, besides all this, the state of things both in Europe and in the East, and the character of the extraordinary man who has taken this people under his protection, are taken into consideration, to perceive, that something is intended more characteristic of the vast grasp of Napoleon’s ambition than that of squeezing out of the Jews a few millions of livres”. James Bicheno: The Restoration of the Jews. The Crisis of all Nations; to which is now Prefixed, a Brief History of the Jews, from their First Dispersion, to the Calling of their Grand Sanhedrim at Paris, October 6th, 1806, and an Address on the Present State of Affairs, in Europe in general, and in this Country in Particular , London 1807 (2 a ed.), p. 89. 10 Ivi, p. 228. 11 Donald M. Lewis: The Origins of Christian Zionism: Lord Shaftesbury and Evangelical Support for a Jewish Homeland, Cambridge 2010, p. 107. 12 La relazione viene consegnata a Palmerston il 26 settembre 1840. Cfr. inoltre l’articolo attribuito a Lord Shaftesbury: Inquiries about the Jews , in: Times (17.8.1840). Vedi a questo proposito il ‘classico’ studio di Nathan Michael Gelber: Zur Vorgeschichte des Zionismus, Wien 1927, pp. 135 ss. 124 Roberta Ascarelli Legato agli inglesi e, soprattutto, a Palmerston, Benedetto Musolino, senatore del Regno d’Italia dal passato rivoluzionario, progetta nel 1859, in un suggestivo pamphlet dal titolo Gerusalemme e il popolo ebraico , un esodo di massa degli ebrei verso la terra dei padri. Dopo di lui Moses Hess, il pensatore marxista da poco ritornato alla religiosità degli avi, scrive nel 1862 Rom und Jerusalem proponendo la creazione di uno stato progressista in Palestina. Per entrambi, la alleanza strutturale tra le masse ebraiche e le potenze occidentali viene considerata la ovvia premessa alla creazione di un avamposto ‘civilizzato’ in Medio Oriente, oltre che ovvia condizione della sua realizzabilità. Secondo Musolino, la ‘nazione’ ebraica sarebbe sorta con il sostegno degli Inglesi, interessati a sviluppare una zona di influenza nei territori del fragile Impero Ottomano, mentre Moses Hess si rivolge ai francesi, ponendo idealmente il popolo della Rivoluzione alla guida dei movimenti di liberazione nazionale: quello italiano, appena - e provvisoriamente - realizzato, e, infine, quello ebraico che avrebbe segnato il compimento degli ideali del Risorgimento. Malgrado la varietà delle visioni politiche e culturali che ispirano questi autori, gli ebrei vengono considerati comunque protagonisti di un ambizioso progetto coloniale. “La ricostituzione della nazionalità giudaica è il più potente ausiliario” - scrive Musolino -; è anzi l’unico mezzo per fare incivilire e prosperare rapidamente tutte le province asiatiche della Turchia”. 13 Auspica inoltre la presenza massiccia degli israeliti in Palestina come antidoto alle ambizioni territoriali dell’Egitto e, soprattutto, alle eventuali mire espansionistiche della Francia e della Russia nei territori dell’Impero turco. “Ein großer Beruf ist Euch vorbehalten”, gli fa eco Moses Hess in Rom und Jerusalem rivolgendosi direttamente ai suoi correligionari. “Eine lebendige Verbindungsstraße zwischen drei Welten, sollt ihr die lebendige Zivilisation zu den noch unerfahrenen Völkerschaften tragen und ihnen die europäischen Wissenschaften bringen, die Ihr Euch so reichlich angeeignet habt. Ihr sollt die Vermittler sein zwischen Europa und dem fernen Osten […].” 14 Sia pure nella accezione frastagliata indicata da Aschheim, 15 il sionismo politico, e quello herzliano in modo particolare, si mettono al servizio delle potenze europee in una prospettiva gregaria e irresoluta - “interstiziale”, la definiscono 13 Benedetto Musolino: Gerusalemme e il popolo ebreo (1851), Firenze 2013 [prima edizione a stampa in: La rassegna mensile di Israel (1951)], p. 76. 14 Moses Hess: Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätsfrage, Leipzig 1862, p. 101. 15 Steven E. Aschheim: At the Edges of Liberalism: Junctions of European, German and Jewish History, New York 2012, pp. 21-38 (mi riferisco qui soprattutto al capitolo “The Modern Jewish Experience and the Entangled Web of Orientalism“). Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 125 Afzak Khan e Daniel Boyarin 16 - come merce di scambio internazionale e come narrazione identitaria di una nazione che, per sopravvivere, avrà bisogno dei valori considerati ‘occidentali’: razionalità, sviluppo e modernità. Non vi è traccia, in queste riflessioni, dei molti orienti che caratterizzano la galassia ebraica: l’“entangled web of orientalism” di cui parla Aschheim che coinvolge, nell’esclusione e, spesso, nella violenza, sia l’Oriente d’Europa (e dell’Europa ebraica in particolare), che l’ebraismo con le sue origini e le sue proiezioni verso la terra di Palestina. Oppressi da questa “great chain of Orientalism”, 17 i sionisti cercano in tutti i modi di trasfigurare l’antico radicamento nella terra dei padri. Si cancella l’ Ostjudentum , considerato con sospetto, se non addirittura con avversione, dagli ebrei assimilati e dai gentili. Ci si disinteressa dei legami dell’ebraismo all’est dell’Oder con la Russia - legami che avrebbero impensierito sia Francia che Inghilterra -, non si citano i sefarditi d’Oriente, troppo vicini per residenza e consuetudini alla Grande Porta, ma soprattutto non si vuol dar peso alle posizioni degli antisemiti che, bollando gli ebrei come Orientali, negavano ogni possibilità di assimilazione ai “concittadini di fede mosaica” 18 : “ solange die Juden selbst in ‘arischer’ Gesellschaft nicht gerne von ihrer semitischen Herkunft sprechen, 16 Daniel Boyarin: The Colonial Drag. Zionism, Gender, Mimicry, in: Fawzia Afzal-Khan/ Kalpana Seshadri-Crooks (ed. by): The Pre-Occupation of Post-Colonial Studies, Durham (NC) 2000, pp. 234-265, qui p. 235. 17 La definizione è di Aziza Khazzoom: The Great Chain of Orientalism: Jewish Identity, Stigma Management, and Ethnic Exclusion in Israel, in: American Sociological Review 68 (2003), pp. 481-510. Scrive Saposnik: Europe and its Orients, p. 1107: “Even more than other local populations, the Jews were deeply implicated in the twin conceptualizations of the Orient and of Europe’s own orient at home. By the late nineteenth century, the notion of Eastern Europe as Halbasien (half-Asia, or semi-Asiatic) had acquired particular resonance in the context of the ever-present ‘Jewish question’. For many non-Jews, and in anti-Semitic discourse in particular, the Jew was a foreigner precisely because of his Eastern origins and Oriental nature”. Cfr. inoltre Larry Wolff: Inventing Eastern Europe, Stanford 1994, in particolare p. 6 e Sabine Müller: Out of Orientalism : Palästina als narrative Chance des literarischen Zionismus bei Herzl, Salten und Kafka , in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 42 (2017), pp. 77-109. 18 Cfr. tra gli altri W. Hartenau [Walther Rathenau]: Höre, Israel! , in: Die Zukunft 18 (1897), pp. 454-462, in particolare p. 454; Heinrich von Treitschke: Unsere Aussichten, in: Preußische Jahrbücher 44 (1879), pp. 559-576, in particolare p. 576; Werner Sombart: Die Juden und das Wirtschaftsleben, Leipzig 1911, p. 409. Cfr. Nina Berman: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschen Kultur um 1900, Stuttgart 1997, p. 282. Sulle implicazioni negative della ‘orientalizzazione’ dell’ebreo cfr. Paul R. Mendes-Flohr/ Jehuda Reinharz: The Jews in the Modern World, New York 1995, che a p. 322 cita Bauer e l’idea di un popolo orientale che, passivo, non vive le trasformazioni della modernità. Cfr. inoltre Ivan Davidson Kalmar/ Derek J. Penslar (ed. by): Orientalism and the Jews: An Introduction, in: Iidem: Orientalism and the Jews, pp. XIII-XL, in particolare XXIX-XXXV; Achim Rohde: Der innere Orient. Orientalismus, Antisemitismus 126 Roberta Ascarelli nicht gerne an diese erinnert werden mögen; solange man sie verfolgen, dulden, beschützen, emanzipieren wird.” 19 Come afferma il medico odessita Yehudah Leib Pinsker nell’appello pubblicato a Berlino nel 1882, Autoemancipation. Mahnruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden, la conquista di una terra e di una patria non può venire concepita come un regalo “für das arme, erniedrigte Bettelvolk, dem man gern oder ungern das splendide Almosen hinwirft; für das Bettelvolk, das man trotzdem nicht gerne bei sich beherbergen mag”, 20 la emancipazione può nascere solo da una autodeterminazione nazionale e territoriale che sancisca ruolo e destino ‘europei’ del sionismo. 21 All’interno e all’esterno dell’ebraismo non sembra esservi spazio per una qualche forma di egemonia dei sionisti sui futuri ‘vicini’ orientali. Nel progetto coloniale delle grandi potenze come nei sogni dei sionisti ottocenteschi, il popolo ebraico sarebbe stato sponda, baluardo, avamposto dell’Occidente in Oriente. Al massimo, si riesce a immaginare per gli israeliti un futuro da ‘mediatori’ quando, superato ogni timore e ogni subalternità, gli ebrei avrebbero potuto ‘rivendicare’ senza paura di strumentalizzazioni la loro storia dispersa tra origini e diaspora - e non è un caso che l’unico tra i sionisti politici ottocenteschi a parlare di un impegno attivo degli ebrei nella ‘occidentalizzazione’ del mondo arabo sia il non-ebreo Benedetto Musolino. Oltre all’esigenza di guadagnare al progetto sionista la benevolenza di Francia e Inghilterra, hanno un peso in questa appassionata adesione ai valori dell’Occidente gli orientamenti weltanschaulich del dottore in giurisprudenza Theodor Herzl che, se cerca adepti tra gli ebrei che vivono al di là dei confini dell’Impero asburgico, individua le guide del movimento tra correligionari integrati, colti, affatto occidentali. Non gli sfugge, come scrive in un abbozzo di lettera del 21 settembre 1898 a Eulenburg, che tra gli ebrei vi siano dei “semi asiatici”, ma saranno “occidentali” - ribadisce - coloro che faranno fiorire con la loro avvedutezza moderna quel lembo abbandonato di Oriente. 22 Pensa soprattutto alla borghesia ebraica che aveva investito sulla crescita culturale e sociale sperando di confondersi nel und Geschlecht im Deutschland des 18. bis 20. Jahrhunderts, in: Die Welt des Islams 45 (2005), pp. 370-411, in particolare pp. 390-398. 19 Leon Pinsker: Autoemancipation. Mahnruf an seine Stammesgenossen von einem russischen Juden (1882), 6. Auflage, Berlin 1933 , p. 12. 20 Ibidem. 21 Cfr. Boyarin: The Colonial Drag; cfr. inoltre Eran Kaplan: Beyond Post-Zionism, Albany 2015. 22 Cfr. Theodor Herzl: Briefe und Tagebücher, hg. von Axel Bein/ Hermann Greive/ Moshe Schaerf/ Julius H. Schoeps/ Johannes Wachten. Bd. 2: Zionistisches Tagebuch 1895-1899, bearb. von Johannes Wachten/ Chaya Harel, Berlin 1983, p. 671. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 127 Bildungsbürgertum , aveva creduto con ostinazione nei valori dell’Illuminismo 23 e aveva saputo cogliere le occasioni di successo che l’Ottocento aveva offerto. Nel romanzo del Sionismo realizzato, Altneuland del 1902, tutte le figure dei fondatori della “Nuova società” ebraica corrispondono al modello ‘occidentale’: il primo Presidente della Cooperativa che prepara lo Stato ebraico, il dottor Eichenstamm (che pure parla con nostalgia dell’ebraismo russo), è un oculista russo che, dopo aver vissuto a lungo a Parigi, fonda con spirito filantropico, insieme alla figlia Sasha, laureata a pieni voti alla Sorbona, un ospedale in Palestina; il Direttore amministrativo, Joe Levy, geniale organizzazione di questo Esodo moderno, è, insieme ai suoi collaboratori, un esperto di legge, di commercio, di finanze, attento alle più rivoluzionarie innovazioni tecniche e ‘cittadino del mondo’; Steineck, l’architetto capo che cura la sistemazione urbanistica delle nuove città, suo fratello, il batteriologo e l’ingegnere Fischer, che ha progettato l’imponente centrale elettrica sulle rive del Mar Morto, mostrano eccezionali competenze tecnico-scientifiche e totale disponibilità all’innovazione. ‘Europeo’ per cultura e visione del mondo è anche il successore di Eichenstamm, David Littwak, un misero ebreo orientale che lo studio, la fierezza e la volontà avevano emancipato dal bisogno e da ogni forma di oscurantismo. L’auspicata delocalizzazione dell’Occidente in Oriente viene declinata in Altneuland non tanto sui temi dei diritti e della cittadinanza 24 - e mai su quello della razza -, quanto all’interno della idealizzazione liberale e positivistica del progresso. Con ragionevolezza scientifica e fantasie palingenetiche Herzl pensa che la diffusione di valori progressisti e la introduzione di macchine e tecniche moderne avrebbero ‘redento’ la terra inospitale dove un tempo lontano avevano vissuto gli ebrei rendendola ‘paradisiaca’ per la cultura, il benessere, l’umanità. A molti anni dalla morte, Buber, l’avversario di un tempo, ricorda un episodio della vita di Herzl a marcare la differenza tra le loro posizioni, relegandolo così tra i sognatori: di fronte alla carta geografica della Palestina, lì dove erano 23 Cfr. su questo punto Jonathan Frankel: Prophecy and Politics. Socialism, Nationalism and the Russian Jews, New York 1981. Vedi inoltre David Ohana: Modernism and Zionism, London 2012, p. 9 s.: “Since the French Revolution, political revolutions have boasted of creating a ‘New Man’ as the basis for a set of revolutionary values in a new society. The Zionist revolution was no exception, but more than a hundred years before it appeared, the Haskala began to envisage a ‘new Jew’, or, to be more exact, ‘new Jews’. The ‘new Jews’ came into being in Europe in the eighteenth century in the philosophy of the Enlightenment, which claimed that through a suitable habitus a rational, secular, enlightened and progressive Jew could be created. The Haskala movement in Germany believed that the ‘new Jew’ would be created through the penetration of the ideas of the Enlightenment into the day-to-day Jewish habitus, and especially through the education of children, who would be given new rules of behaviour.” 24 Avineri: Herzl’s Vision, p. 179. 128 Roberta Ascarelli deserti, Herzl immagina con entusiasmo ottocentesco un Eden tecnologico con industrie, città modernissime, campi perfettamente coltivati, strade e ferrovie. Buber 25 commenta: “Er, der Liberale, der die Länder der Erde nicht nur als den Besitz der Völker ansah, sondern als Teile der Menschenwelt, der Welt des schaffenden Menschen, meinte das Land nicht als das Land Israel, sondern als den Träger bestimmter Eigenschaften, in der Vergangenheit, der Gegenwart - und besonders der Zukunft. Und die Verwirklichung dieser Zukunft hing von Taten ab, die getan werden mussten.” 26 Per quanto affascinato dalle comunità orientali che lo onorano come un profeta (o, a volte, lo celebrano come un messia) Herzl poco si cura dei paria che, in fondo, non conosce, né della loro religiosità che poco lo interessa. La sua opera di ‘civilizzazione’ coinvolge, così, prima di un nebuloso Oriente geografico - dal quale sente in fondo minacciata la sua identità di europeo -, la fragile ‘colonia’ interna, fatta di uomini e non di terre che molto dovrà imparare dagli ebrei assimilati e dagli occidentali tutti e che, di fronte al giudizio delle nazioni, alla svalutazione dei correligionari e in risposta all’antisemitismo dilagante, ha più che mai bisogno di trasformazione e di legittimazione. 27 Rispetto all’ Ostjudentum , Herzl presenta un modello peculiare di “dissimilation” (come Dennis B. Klein e soprattutto Shulamit Volkov e, quindi, Gavriel Rosenfeld hanno indicato) 28 che non punta al recupero degli elementi ‘antagonisti’ ma, partendo dalla convinzione del fallimento del processo assimilatorio, ritiene sufficiente cambiare, non i valori dell’ebraismo occidentale, ma la sua collocazione. E’ l’altrove, non la rinuncia, che redimerà l’ebraismo e permetterà, come ancora spera in Reise nach Brasilien Stefan Zweig, di rifondare, fuori dallo spazio europeo e liberi dal peso delle contraddizioni che il fine secolo metteva impietosamente in luce, una civiltà compiutamente europea e compiutamente ebraica - migliore, suggerisce ancora Herzl, di ogni altra. 25 Martin Buber: Herzl vor der Palästina Karte. Aus meinen Erinnerungen (1944), qui in: Id.: Der Jude und sein Judentum, Köln 1963, pp. 805-808, qui p. 807 26 Ibidem . 27 Cfr. Jonathan Skolnik: Hermann Sinsheimer’s Maria Nunnez , in: Leo Baeck Institute Year Book 53 (1998), pp 225-240, in particolare pp. 227-228. 28 Dennis B. Klein: Assimilation and Dissimilation. Peter Gay’s Freud, Jews, and other Germans, in: New German Critique 19 (Winter 1980), pp. 151-165; Shulamit Volkov: The Dynamics of Dissimilation. Ostjuden und German Jews, in: Jehuda Reinharz/ Walter Schatzberg (ed. by): The Jewish Response to German Culture, Hanover/ London 1985, pp. 195-211; Gavriel Rosenfeld: Defining ‘Jewish Art’ in Ost und West. 1901-1908. A Study, in: Leo Baeck Year Book 39 (1994), pp. 83-86; Shulamit Volkov: Die Juden in Deutschland 1880-1918, München 1994, pp. 53-56. Cfr. inoltre Ritchie Robertson: The ‘Jewish Question’ in German Literature 1749-1939: Emancipation and its Discontents, New York 1999, in particolare pp. 428 ss. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 129 Del resto per Herzl, come per Pinsker, l’Oriente non era una priorità. La prospettiva palestinese è, come è noto, scelta strategica, non convinzione. Cercava una terra, una terra qualsiasi, purché fosse spopolata e di buon clima, nella quale gli ebrei potessero vivere e mettere a frutto competenze e conoscenze tali da trasformarla radicalmente. 29 La immagina pronta a essere occupata senza nessuna inimicizia con i pochi nativi che sarebbero stati ben lieti delle prospettive di sviluppo e di guadagno che gli ebrei avrebbero portato con sé. 30 Uganda, Argentina e Palestina gli sembravano in fondo mete equivalenti, anche se non sfuggiva a Herzl la forza di attrazione che la terra dei padri avrebbe esercitato sulle masse ebraiche che avrebbero deciso di lasciare l’Europa e neppure il peso di una congiuntura politica che avrebbe potuto favorire l’insediamento di un nuovo-antico popolo e la creazione di un nuovo assetto geopolitico nella regione. Dopo la pubblicazione di Altneuland non manca chi colga che il sionismo herzliano si limiti a proporre un semplice trasferimento dell’Occidente in Oriente. Soprattutto Hachad Ha’am, a nome dei Kulturzionisten , gli rimprovera su Ost und West l’indifferenza ai valori e alla storia dell’Ebraismo e una giusta considerazione del ‘suo’ Oriente - quello storico almeno quanto quello contemporaneo. Herzl è preoccupato dall’attacco, ma tace. Alla critica risponde dalle pagine di Die Welt il sodale Max Nordau. L’intellettuale che aveva scritto un testo provocatorio (e profetico) sulla modernità, Entartung del 1892 e che considera il Sionismo nella prospettiva di una grande azione ‘culturale’ che porti l’Europa fino all’Eufrate, non perdona a Ha’am il tentativo di delineare una diversità ebraica. 31 Gli rinfaccia, ingiusto e sprezzante, i limiti della sua cultura, gli rimprovera un modo di pensare caotico, intollerante e destinato all’insuccesso, lo accusa soprattutto di essere una espressione di quella psicologia da ghetto e di quella intolleranza da ghetto contro cui Herzl e tutto il movimento stavano combattendo. E propone una scelta di campo radicale che si riassume - nelle parole di Nordau - in una scelta tra un Occidente idealizzato e un Oriente, arretrato e barbarico, comunque da disprezzare: se Altneuland , come il recensore contesta, è un pezzo di Europa in Asia, è perché Herzl ha inteso mostrare “esattamente ciò che noi vogliamo”, e cioè che il popolo ebraico divenga sempre più un popolo di uomini meravigliosamente civilizzati, ed è giusto, aggiunge, che sia così: 29 Sulla concezione di ‘nazione’ in Herzl cfr. Lorella Bosco: Tra Babilonia e Gerusalemme. Scrittori ebreo-tedeschi e il ‘terzo spazio’, Milano 2012, pp. 142-144. Vedi anche le riflessioni sulla costellazione orientale in Herzl, ivi, pp. 135 passim . 30 Per una riflessione su questi temi cfr. Clemens Peck: Im Labor der Utopie. Theodor Herzl und das Altneuland-Projekt, Berlin 2012, p. 198 31 Cfr. Laurel Plapp: Zionism and Revolution in European-Jewish Literature, New York/ London 2008, pp. 36 ss. 130 Roberta Ascarelli Wir haben an der europäischen Kultur mitgearbeitet […]; sie ist unser in demselben Masse wie der Deutschen, Franzosen, Engländer. Wir gestatten nicht, dass man einen Gegensatz zwischen Jüdisch, unserem Jüdisch, und Europäisch konstruiere. Achad- Haam mag die europäische Kultur etwas Fremdes sein. Dann sei er uns dankbar dafür, dass wir sie ihm zugänglich machen. Wir werden aber nie zugeben, dass die Rückkehr der Juden in das Land ihrer Väter ein Rückfall in die Barbarei sei […]. Seine Eigenart wird das jüdische Volk innerhalb der allgemeinen westlichen Kultur entfalten, wie jedes andere gesittete Volk, nicht aber ausserhalb, in einem kulturfeindlichen, wilden Asiatentum, wie Achad-Haam es zu wünschen scheint. 32 Solo la modernità, le macchine, la razionalizzazione appaiono ai leader ‘storici’ del Sionismo le leve del riscatto del popolo ebraico, oltre che le premesse per la riuscita di un progetto fortemente legato - e ancora senza disagi - ai miti della Zivilisation . Più ancora di Nordau, Herzl sembra sviluppare una sorta di disturbo percettivo che lo porta ad eliminare l’Oriente, quello arabo non meno di quello dell’ Ostjudentum , dalle sue riflessioni. Come notano i suoi avversari, da Buber a Achad Ha’am, Herzl conosce nel confronto con il mondo arabo soprattutto irritazione e rimozione. Il viaggio in Palestina nel 1898 è per lui un incubo: sporcizia, tanfo, decadenza, incuria, miseria. Nulla da idealizzare, nulla da salvaguardare. Appare a tratti per citazioni banali e pittoresche qualche allusione alla più scontata delle iconografie: un arabesco, una palma o una moschea, o un fez rosso o qualche palandrana variopinta. Non gli interessa capire l’Oriente, spiegarlo, integrarlo e neppure sfruttarlo. Non ne sente il fascino, né viene in alcun modo attratto dai luoghi letterari e dai topoi narrativi che ne ispirano, sempre più e anche tra gli ebrei, la percezione in Europa. Nelle pagine dedicate all’oriente nel suo romanzo, come anche nei pochi passaggi di Der Judenstaat in cui si sofferma su abitanti e caratteri della Palestina non sembra affascinato dal “Romantic redemptive project” analizzato da Said, 33 né sembra sensibile agli stereotipi della “Oriental-style European literature” che propone una “romantic restructuring of the Orient, a re-vision of it, which restores it redemptively to the present.” 34 In Altneuland , i malinconici protagonisti - Friedrich, un dottore in giurisprudenza viennese e Kingscourt, un nobile prussiano - approdano a Giaffa e, 32 Max Nordau: Achad-Haam über „Altneuland“, in: Die Welt: Zentralorgan der Zionistischen Bewegung 7 (13.03.1903), pp. 1-5, qui p. 2. 33 Edward W. Said: Orientalism: Western Conceptions of the Orient, New York 1978, p. 154. 34 Ivi, p. 158. Sul dibattito su questi temi all’inizio del Novecento sembra interessante il ‘caso’ dello scrittore viennese - vicino tra l’altro a Theodor Herzl - Otto Hauser, cfr. Axel Stähler: Orientalist Strategies of Dissociation in a German “Jewish” Novel: - “Das neue Jerusalem”-(1905) and its Context, in: Forum for Modern Language Studies 45 (2009), pp. 51-89. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 131 prima di volgere la prua della loro imbarcazione verso l’isola deserta dove hanno deciso di “fare un ultimo esperimento” con la vita, decidono di trascorrere alcuni giorni in Palestina. L’impressione della “antica terra degli ebrei” è desolante: Von Jaffa hatten sie einen unangenehmen Eindruck. Die Lage am blauen Meere wohl herrlich, aber alles zum Erbarmen vernachlässigt. Die Landung in dem elenden Hafen mühselig. Die Gäßchen von den übelsten Gerüchen erfüllt, unsauber, verwahrlost, überall buntes orientalisches Elend. Arme Türken, schmutzige Araber, scheue Juden lungerten herum, alle träg, bettelhaft und hoffnungslos. Ein sonderbarer Moderduft, wie von Gräbern, beengte einem das Atmen. Kingscourt und Friedrich beeilten sich auch, fortzukommen. Sie fuhren auf der schlechten Eisenbahn nach Jerusalem. Auch auf diesem Wege Bilder tiefster Verkommenheit. Das flache Land fast nur Sand und Sumpf. Die mageren Felder wie verbrannt. Schwärzliche Dörfer von Arabern. Die Bewohner hatten ein räuberhaftes Aussehen. Die Kinder spielten nackt im Straßenstaube. […] „Wenn das unser Land ist,“ sagte Friedrich melancholisch, „so ist es ebenso heruntergekommen, wie unser Volk.“ 35 Giunti di notte a Gerusalemme, sono affascinati dalla bellezza e dalla storia della città, ma alla luce del giorno nulla vi è di attraente per il giovane ebreo e il vecchio aristocratico nell’antica capitale. Geschrei, Gestank, ein Geflirr unreiner Farben, ein Durcheinander zerlumpter Menschen in den engen dumpfen Gassen, Bettler, Kranke, hungernde Kinder, kreischende Weiber, heulende Händler. Tiefer konnte das einst so königliche Jerusalem nicht sinken. Kingscourt und Friederich besichtigten die berühmten Plätze, Bauten und Ruinen. Sie kamen auch in das traurige Gäßchen der Klagemauer. Der widerliche Anblick der geschäftsmäßig betenden Bettler belästigte sie. „Sie sehen, Mr. Kingscourt,“ sagte Friedrich, „wir haben uns wirklich zu Tode gestorben. Vom jüdischen Reiche ist nichts mehr übrig, als ein Stückchen Tempelmauer.“ 36 In questo degrado non vi sono tracce di una pretesa superiorità del ‘popolo eletto’, né vi è spazio per gli aspetti rozzi del colonialismo: gli ebrei che i nostri eleganti visitatori incontrano appaiono miserevoli non meno degli arabi e dei Turchi e, pensando ad una trasformazione di quella terra, Herzl propone radicamento, non sfruttamento, una cooperazione guidata dalle élites ebraiche e arabe, 35 Theodor Herzl: Altneuland, Leipzig 1902, p. 46. 36 Ibidem 132 Roberta Ascarelli locali, ma nutrite di cultura occidentale, 37 una inclusione di popoli con eguali diritti ed eguali doveri. Tanta indifferenza e tanta estraneità per tutto quello che riguarda l’Oriente delinea un atteggiamento che Sabine Müller definisce “resistance to Orientalism”, 38 una resistenza stratificata e profonda che, se nasce dal rifiuto preconcetto e timoroso di un ebreo assimilato nei confronti delle “komplexen, facettenreichen und historisch vielschichtigen Beziehungen zwischen Judentum und Orientalismus”, 39 risente anche di una appartenenza alla asburgica “Welt von gestern” poiché in nessun altro luogo era più facile che a Vienna “Europäer zu sein”. 40 La prospettiva di Herzl rimane ancorata al Naturschutzpark viennese - quello stesso ancoraggio che Hannah Arendt rimprovererà a Stefan Zweig e alla sua lettura pacificata della recente storia asburgica. 41 Fedele suddito della monarchia - malgrado i sogni pangermanici della giovinezza - costruisce la sua ipotesi sionista all’interno di una cultura politica che prometteva - anche se non sempre manteneva - una mite convivenza tra i popoli. L’Austria-Ungheria era l’unica grande potenza che non avesse colonie e tanto meno progetti coloniali: “die Worte Kolonie und Übersee hörte man an wie etwas noch gänzlich Unerprobtes und Fernes”, 42 scrive Musil in Der Mann ohne Eigenschaften . Vi erano semmai colonie ‘interne’ da far convivere con il ‘centro’, condizionandole con paternalistica moderazione, in modo da smussare tutti gli aspetti ostili o antagonisti di popoli e culture. 37 Said: -Orientalism , pp. 100 s. e 184. 38 Müller: ‘Out of Orientalism’, pp. 77-109: “Ich plädiere dafür, die Beziehung zwischen Orientalismus und Zionismus nicht mit Blick auf mögliche Konvergenzen zu betrachten, sondern stattdessen die Strategien eines ‘Out of Orientalism’ - Techniken der Vermeidung, Distanzierung und Unterwanderung von Orientalismen Said’scher Prägung - ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken” (ivi, p. 79). Su questo tema cfr., tra gli altri, Eva Lezzi: Kolonialfantasien in der deutsch-jüdischen Literatur um 1900, in: Dorothea M. Salzer (Hg.): Dialog der Disziplinen: Jüdische Studien und Literaturwissenschaft , Berlin 2009, pp. 437-479. Sul confronto tra l’orientalismo di Buber e quello di Herzl, cfr., in particolare, Nina Berman: Thoughts on Zionism in the Context of German-Middle Eastern Relations, in: Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East 24 (2004), pp. 133-144, e Plapp: Zionism and Revolution in European-Jewish Literature, pp. 2, 14-43. 39 Müller: ‘Out of Orientalism’, p. 1. 40 Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers (1944), Berlin 2014, p. 43. 41 Hannah Arendt: Juden in der Welt von Gestern, in: Ead.: Sechs Essays, Heidelberg 1948, p. 116. 42 Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Erstes und zweites Buch, hg. von Adolf Frisé, Reinbek 1987, p. 33. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 133 La Zivilisation e il modello asburgico di un colonialismo latente sono due elementi di cui Herzl non vuole registrare la crisi - così come non sembra in grado di cogliere dietro alla crisi del processo di assimilazione ebraico in Europa, il segno di una crisi dell’Europa della democrazia e dei diritti. Da fedele suddito dell’impero asburgico, il ‘padre’ del sionismo immagina che la Nuova Società sia simile all’impero dai molti popoli e dalle tante religioni, una patria accogliente, sicura per dei senza patria: “Es gab einmal ein Vaterland, ein echtes, nämlich eines für die ,Vaterlandslosen‘, das einzig mögliche Vaterland. Das war die alte Monarchie. Nun bin ich ein Heimatloser, der die wahre Heimat der ewigen Wanderer verloren hat.” 43 Herzl lascia che si intraveda nel suo ‘racconto’ del sionismo realizzato una nuova grande Vienna in un paese minuscolo che aspira, in realtà, a essere erede spirituale di un regno immenso. Come scrive Klemperer dopo la Seconda guerra mondiale: [ich] sagte mir noch entschiedener als zuvor […], es handle sich [beim Zionismus, scil. ] um eine österreichische Angelegenheit. Dort wo man gewohnt war, den Staat in Nationalitäten zu gliedern, die sich gegenseitig befehdeten oder allenfalls tolerierten, mochte es auch eine jüdische Nationalität geben […] dort war der Zionismus etwas derart Begreifliches, daß nur eines an ihm unverständlich blieb: wie nämlich sein Entstehen erst in den neunziger Jahren des vorigen Jarhunderts und erst durch Herzl hatte zustande kommen können. 44 Herzl prova così a smussare l’ Entzauberung weberiana della modernità reincantando e ri-idealizzando il mondo, o almeno una sua squallida periferia: il progresso non costringe l’uomo a vivere in uno stato di esilio permanente, ma 43 Joseph Roth: Die Büste des Kaisers (1934), in: Id.: Werke. 5 Bde, hg. und mit einem Nachwort versehen von Fritz Hackert, Köln/ Amsterdam 1990, Bd. V, p. 663. Scrive ancora Roth: “Ich bin weit davon entfernt, ein Gegner der zionistischen Idee zu sein. Ich bezeichnete sie lediglich deshalb als eine tragische, weil ich unter dem Gedanken leide, dass ein Volk, aus dessen Schoß der ,Allerweltsgedanke‘ geboren ist, nunmehr gezwungen wird, eine kümmerliche ,Nation‘ mit ,Vaterland‘ zu werden. Ich anerkenne diese Notwendigkeit. Aber ich bedauere sie. Ich bedauere sie genau so, wie ich die anderen Nationen, die anderen Vaterländer, die anderen ,Schollen‘ bedauere. Ich wünsche überhaupt keine Vaterländer. Ich möchte auf dieser Erde nichts anderes sehen als ein einziges ,Vaterland‘, das Land Gottes, unser aller Vater, in dem jedermann ohne Paß, ohne Namen herumwandern oder bleiben kann, wie es ihm beliebt oder seiner Natur entspricht. Ist es nun schon traurig genug, daß andere Völker ,Vaterländer‘ bilden - um wie viel trauriger ist es nun - so meinte ich - daß auch noch das Volk Israel, aus dessen Schoß der Heiland kam, ein ,Vaterland‘ bilden muß! Gewiß bin ich einsichtig genug, um diese Notwendigkeit zu erkennen. Aber sie ist - so hoffe ich - eine zeitliche Notwendigkeit. Eine ewige ist sie nicht! ” In: Jedermann ohne Pass. Schlusswort zum ,Segen des ewigen Juden‘, 1934, in: Roth: Werke. Bd. III: Das journalistische Werk 1929-1939 , Köln 1991, p. 546. 44 Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen (1947), Stuttgart 1996, p. 217. 134 Roberta Ascarelli la razionalità della produzione e della scienza può ispirare un nuovo stupore e una nuova magia in una variazione del “Modernismo mitico” 45 che superi la decadenza europea in una rivalutazione della sua tradizione coniugando la storia più antica con la scienza e il progresso. Ihr aber habt das neue Dorf, und das ist nicht allein eurer Hände Werk, meine Freunde! Und ihr werdet es für einen Scherz halten, wenn ich euch sage, daß Neudorf gar nicht in Palästina gebaut worden ist, sondern anderswo. Es ist gebaut worden in England und Amerika, in Frankreich und in Deutschland. Es ist entstanden aus Erfahrungen, Büchern und Träumen. Die mißglückten Versuche von Praktikern wie von Phantasten mußten euch zur Lehre dienen, ihr wißt es gar nicht[…]. 46 Die Erfahrungen aller Kulturvölker standen ja den jüdischen Ansiedlern, die aus aller Welt herbeiströmten, zu Gebote. Die Gebildeten aber, die von den Universitäten, den technischen, landwirtschaftlichen und Handelshochschulen der zivilisierten Staaten herkamen, waren ausgerüstet mit jeder notwendigen Wissenschaft. Und gerade diese arme junge Intelligenz, für die es keine Verwendung in den antisemitischen Ländern gegeben hatte, und die dort zu einem hoffnungslosen umsturzlustigen Proletariate herabgesunken war - diese gebildete und verzweifelte jüdische Jugend war zum größten Segen Palästinas geworden, denn sie brachte die neueste Wissenschaft in allen praktischen Gestaltungen hierher. 47 In Altneuland , si celebra così una rassicurante armonia tra popoli e religioni: 48 Die Ankömmlinge staunten und starrten in das Gewühl. Es fand hier offenbar ein Verkehr aller Völker statt, denn man sah die buntesten Trachten des Morgenlandes zwischen Gewändern des Occidents. Chinesen, Perser, Araber wandelten durch die geschäftige Menge. Vorherrschend war freilich die Kleidung des Abendlandes, wie diese Stadt ja überhaupt einen durchaus europäischen Eindruck machte. Man hätte glauben können, daß man sich in einem großen Hafen Italiens befinde. Die Bläue des Himmels und des Meeres und das Leuchten der Farben gemahnten an die glückliche Riviera. Nur waren die Gebäude viel moderner und reinlicher, und der Straßenverkehr enthielt bei aller Lebhaftigkeit weniger Lärm. Das kam von der gemessen ernsten Art der vielen Orientalen, aber auch daher, daß keine Zugtiere in diesen Straßen waren. 49 L’unico arabo che compare tra i personaggi del romanzo, Rashid Bey, è un giovane uomo vestito all’occidentale, con uno sgargiante fez rosso in testa, parla 45 Cfr. Ohana: Modernism and Zionism, p. 1 ss. 46 Herzl: Altneuland, p. 162. 47 Ivi, p. 144. 48 Sull’universalismo di Altneuland , si rimanda a Matti Bunzl: The Poetics of Politics and the Politics of Poetics: Richard Beer-Hofmann and Theodor Herzl Reconsidered , in: The German Quarterly 69 (1996), pp. 277-304. 49 Herzl: Altneuland, p. 68. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 135 tedesco, ha studiato chimica in Germania ed è felice della colonizzazione ebraica - alla quale ha peraltro attivamente contribuito - perché ha aumentato il suo benessere e quello dei suoi correligionari. 50 Al primo incontro con i protagonisti di Altneuland , davanti alla sua casa moresca e riccamente arabescata marca una differenza compitamente ed esclusivamente gestuale: “Er grüßte nach orientalischer Art, indem er mit der rechten den Luftschnörkel machte, der das Aufheben und Küssen des Staubes bedeutet. David rief ihm einige Worte in türkischer Sprache zu, worauf Reschid mit leicht norddeutscher Betonung zurückgab: „Wünsche eine recht anjenehme Unterhaltung! “ 51 Sua moglie Fatma, di cui si vede solo una candida mano al di là di una grata ‘moresca’, è una donna felice che segue le sue usanze in un mondo tollerante in cui non vi sono pressioni o discriminazioni e in cui fioriscono le amicizie maschili e femminili tra arabi, cristiani ed ebrei. Mirjam sagte: „Die da singt, ist die Gattin Reschid Beys’s. Sie ist unsere Freundin, ein sehr artiges, gebildetes Geschöpf. Wir kommen oft mit ihr zusammen, aber nur in ihrem Hause. Die mohammedanischen Gebräuche, an denen Reschid festhält, machen es ihr schwer, zu uns zu kommen.“ „Aber Sie dürfen nicht glauben, daß Fatma sich darum nicht wohl fühlte“ fügte Sarah hinzu „Es ist eine vollkommen glückliche Ehe. Sie haben reizende Kinder. Nur tritt die Frau nicht aus ihrer friedlichen Abgeschlossenheit heraus. Das ist gewiß auch eine Form der Glückseligkeit. Ich begreife sie ganz gut, obwohl ich ein vollberechtigtes Mitglied der Neuen Gesellschaft bin. Wenn es der Wunsch meines Mannes wäre, würde ich ohne weiters das Leben Fatmas führen.“ „Das kann ich bestätigen,“ ergänzte Mirjam, indem sie ihre Hand liebkosend auf die Hand der neben ihr sitzenden Schwägerin legte. Friedrich sprach nachdenklich: „Ich verstehe. Hier in Ihrer Neuen Gesellschaft kann jeder nach seiner façon leben und selig werden.“ 52 A questa disattenzione per la ‘diversità’ si accompagna in Altneuland anche - come si è visto - uno scarso interesse per l’attrezzeria dell’esotismo: qualche palma, qualche grata, qualche casa all’orientale, arabeschi e, appena percettibile, qualche melodia. 50 Cfr. Saposnik: Europe and Its Orients, pp. 1105-1123. 51 Herzl: Altneuland, p. 77. 52 Ivi, p. 109 s. 136 Roberta Ascarelli L’unico spazio in cui Herzl si concede a un moderato orientalismo è nel contesto illusorio e per lui familiare della drammaturgia. Scrittore di teatro nonostante l’incerta fortuna delle sue opere, frequentatore assiduo della Oper am Ring e del Burgtheater, Herzl che vive l’avventura sionista come fosse un “dramma straordinario”, 53 sembra aver bisogno di una ‘messa in scena’ per incastonare rari frammenti di Oriente nella ‘sua’ Palestina. 54 Durante il viaggio che li porta attraverso la rinnovata terra degli Ebrei, i protagonisti di Altneuland si fermano in una fattoria modello, moderatamente collettivistica e tecnicamente all’avanguardia. Qui vengono accolti da una esibizione acrobatica di cavallerizzi - che variano ‘all’orientale’ le esibizioni viennesi dei cavalli di Lipizza: Eine Art arabischer Fantasia wurde vor den Gästen aufgeführt. Die Bursche stürmten weit weg ins Feld hinaus, warfen die Rosse herum, kehrten jauchzend zurück, warfen im vollsten Lauf ihre Mützen oder ihre Gewehre in die Luft, fingen sie wieder auf. Schließlich ritten sie in einer Reihe und sangen ein hebräisches Lied. Kingscourt war hingerissen. „Da soll doch ein mehrfach gesalzenes Donnerwetter dreinschlagen. Die Kerls reiten ja wie der Deibel! “ 55 Evitato con cura nel romanzo come negli scritti politici, anche l’oriente ebraico trova uno spazio di riflessione e rappresentazione nel teatro di Haifa. Non si tratta in questo caso della tradizione chassidica che Buber ripropone nel nome del ‘suo’ Rinascimento, e neppure della mitizzazione della Gemeinschaft che, resistente all’Occidente e alla modernità, affascina il Kulturzionismus . Herzl propone piuttosto una cauta presenza della figura inquietante di Shabbatai Zwi (Smirne, 1626 - Dulcigno, 1676), un ebreo vissuto tra Costantinopoli, Smirne e l’Egitto, orientale nell’abbigliamento, nelle pose, nella ricezione favolosa e peccaminosa di seguaci e avversari. Ed è così che in un testo in cui di ebraico vi è ben poco, ad eccezione di un Seder, di qualche canto, di pochissime parole e di molte riflessioni sulla condizione degli israeliti, il tempo mitico dell’ebraismo fa il suo ingresso nel tempo storico del sionismo realizzato sulle note di un melodramma, tra fondali di cartapesta e vestiti pittoreschi, come nota del resto amaramente Achad Ha’am. 56 53 Cfr. Paola Paumgardhen: Theodor Herzl. Tra letteratura e sionismo, Acireale/ Roma 2011, in part. pp. 133 ss. 54 Cfr. la nota del 10.6.1895 in: Herzl: Zionistisches Tagebuch 1895-1899, p. 99. 55 Herzl: Altneuland, p. 52 s. 56 Cfr. Achad Ha’am: Altneuland, in: Ost und West 4 (1903), pp. 227-244, qui p. 238. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 137 Frau Sarah warf einen Blick in die Zeitung. „Man spielt heute im Nationaltheater ein biblisches Drama: Moses! “ „Das ist eine sehr erhabene Dichtung,“ erklärte David. „Aber doch zu ernst. In der Oper giebt man Sabatai Z’wi. In einigen Volkstheatern werden Possen im Jargon aufgeführt. Die sind lustig, aber nicht sehr geschmackvoll. Ich würde die Oper empfehlen.“ Dafür war auch Mirjam. Es sei das schönste jüdische Tonwerk der letzten Jahre, die doch so reich waren an musikalischen Hervorbringungen. 57 Risuona con sovrana noncuranza uno dei nomi più maledetti della storia dell’ebraismo moderno, quello del falso messia instabile e visionario che aveva trasgredito ad ogni regola, fatto mercato di segreti ineffabili, creato con Nathan di Gaza forme di inedito ed eretico misticismo, trascinando la speranza di riscatto fino alla apostasia e continuando, segretamente, nei secoli successivi, a suscitare sogni e ribellioni soprattutto tra le comunità d’oriente. L’evocazione del predicatore di Smirne si colloca prudentemente in Altneuland in una attenta strategia narrativa che gradualmente addomestica il ricordo rendendolo innocuo e, insieme, familiare. Già la riduzione della vicenda ad un libretto d’opera gradito a donne sagge e irreprensibili ne attenua il potenziale eversivo; inoltre, ingabbiato dalla artificiosità di una grandiosa messa in scena, la vicenda può essere considerata, senza implicazioni religiose, come testimonianza di un disagio profondo che solo il sionismo poteva sanare. Mir scheint, das hat einen tiefen Grund - afferma David, il futuro presidente della Nuova società che li conduce attraverso la Palestina -. Das Volk glaubte nicht was sie sagten, sondern sie sagten, was das Volk glaubte. Sie kamen einer Sehnsucht entgegen. Nein, noch richtiger: Sie kamen aus der Sehnsucht hervor. Das ist es. Die Sehnsucht macht den Messias. Nun müssen Sie denken, was das für arme, dunkle Zeiten waren, in denen ein Sabbatai oder seinesgleichen erschienen. Unser Volk war noch nicht imstande, sich auf sich selbst zu besinnen, und da berauschte es sich an solchen Gestalten. 58 Quando il sipario si alza Kingscourt - l’unico all’oscuro di tutto - prega la sua vicina, Mirjam, di spiegargli chi sia quell’eroe sconosciuto. Il racconto della fanciulla è sobrio, il giudizio è netto. “Dieser Sabbatai Zwi - spiega Mirjam - war ein falscher Messias, der am Anfange des siebzehnten Jahrhunderts in der Türkei auftrat. Es gelang ihm, eine große Bewegung unter 57 Herzl: Altneuland, p. 107 s. 58 Ivi, p. 119. 138 Roberta Ascarelli den Juden des Orients hervorzurufen, aber später fiel er selbst vom Judentum ab und endete schmählich.” 59 La vicenda si dipana tra assoli, cori maestosi, duetti, atmosfere esotiche e danze a suggerire, con gesto distanziante per un amante del Wort-Ton-Drama wagneriano come era Herzl, che si tratta di un’opera di gusto italiano. Herzl, del resto, non manca di citare elementi tipici del melodramma: il ballo, la festa sontuosa, cantanti e coro in costume, le scene monumentali che vogliono ricordare i fasti di Smirne o dell’Egitto. Anche la Handlung del dramma, fortemente sentimentale, ricalca il gusto dell’opera all’italiana dalla Norma al Nabucco : alcuni sacerdoti indignati esiliano l’eroe mentre una debole fanciulla lo difende e rischierebbe la vita se lui non tornasse a salvarla con la forza del suo fascino, irresistibile per amici e nemici. 60 Poi: “Der zweite Akt begann. Sabbatai hielt Hof in Egypten. Die Szene zeigte ein üppiges Zelt mit Gesängen und Tänzen. Aber Friedrich sah und hörte nicht viel davon. Er war in alte Träume versunken.” 61 La sentimentalizzazione melodrammatica della vicenda e la invadenza del ‘sogno’ privato di Friedrich camuffano agilmente la questione nevralgica di una memoria scandalosa che non mancava di coinvolgere il movimento sionista. Lo stesso Herzl si confronta nei diari con Sabbatai, facendo del cabbalista una presenza discreta ma ricorrente che, dal 1895 - anno in cui gli viene prospettata per la prima volta una somiglianza tra la sua avventura e quella dell’antico trascinatore di folle -, accompagna, con una vaghezza filologica pari alla costanza, l’evoluzione del progetto. Herzl lascia confluire nella teatralizzazione della storia di Shabbatai Zwi proiezioni diverse: quelle di un intellettuale del fine secolo che aspetta la redenzione dal manifestarsi di un entusiasmo che - come afferma all’inizio dello Judenstaat - abbia il potere di trasfigurare la realtà, ma anche quella di una sutura socialmente non riprovevole e storicamente non oppositiva tra un oriente (ebraico in questo caso) ridotto a messa in scena ‘melodrammatica’ in un grande teatro moderno, dove occidentali ben vestiti e sionisti impegnati possono rileggere una storia lontana nella cornice di una trionfante e omologante modernità Così, se Herzl scrive il ragionevole e a tratti asfittico romanzo del Sionismo realizzato, da Oriente, attraverso i sogni e le follie di un personaggio scandaloso, sfuggente e inguaribilmente romantico si materializza “il simbolo stesso della poesia, della saga, della favola, una immagine idealizzata della fantasia colletti- 59 Ivi, p. 118. 60 Cfr. ivi, p. 118 s. 61 Ivi, p. 122. Strategie di cancellazione: Herzl e l’Oriente 139 va”. 62 E Herzl lo esalta e, insieme, lo mummifica nella messa in scena di un melodramma storico-sentimentale, perché anche se è stato un temperato equilibrista del reale - come nota Felix Salten, - “so kann es niemals vergessen werden, daß es ein Dichter war, der die Befreiung des jüdischen Volkes unternommen hat.” 63 62 Cfr. Fritz Martini: Jakob Wassermann: Die Utopie eines Messias in der Moderne. Zu dem Roman ,Die Juden von Zirndorf‘, in: R. Wolff (Hg.): Jakob Wassermann Werk und Wirkung, Bonn 1987, pp. 98-123, qui p. 102. 63 Felix Salten: Neue Menschen auf alter Erde (1924), Königstein 1986, p. 118. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann Doerte Bischoff Jakob Wassermann, 1873 in Fürth bei Nürnberg geboren und später vor allem in Wien lebend, ist in der Zeit zwischen Jahrhundertwende und der Machtübernahme der Nationalsozialisten (er stirbt 1934) ein viel gelesener Autor, dessen Romane und Erzählungen ein großes Publikum finden. Thomas Mann kommentierte diesen Erfolg 1929 in einer Rede mit den Worten: Wer oder was ist Jakob Wassermann? Ein Erzähler. […] Ein Fabulierer von Geblüt und Instinkt, keiner unter uns ist es wie er. Ich habe manchmal im Scherz zu ihm gesagt, er hätte können mit untergeschlagenen Beinen an der Riva di Schiavoni sitzen oder könnte noch heute irgendwo im Orient am Markte sitzen und erzählen - erzählen -, und das Volk stände mit aufgerissenen Mündern um ihn herum und hörte zu. Er weiß wie man imponiert, […]. Er ist ein Moralist und wie könnte ein solcher konservativ sein? 1 Was sich wie die Anerkennung eines besonders befähigten Gleichgesinnten liest - immerhin ist ja ausdrücklich von einem ‚wir‘ die Rede, Wassermann und Thomas Mann waren befreundet und traten gelegentlich zusammen bei Lesungen auf 2 -, lässt sich zugleich als subtile Abgrenzung lesen: Das orientalische Setting des Erzählens impliziert den mündlichen Vortrag, der im Augenblick auf ein leicht zu beeindruckendes Volk wirkt, aber womöglich keine über den Tag hinaus führenden Spuren hinterlässt. Tatsächlich finden sich in Manns Tagebucheinträgen entsprechend ganz ähnliche Attribute, jeweils jedoch ergänzt durch eher negative Einschätzungen. Wassermanns Roman Christian Wahnschaffe attestiert er „Geschwätzigkeit“, in ihm beginne „Moralisches sein Haupt zu erheben, aber das Kino dauert fort“, insgesamt imponiere er, „ohne 1 Thomas Mann: Tischrede auf Wassermann [1929], in: Ders.: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Bd. X: Rede und Aufsätze 2, Frankfurt/ Main 2 1974, S. 449-453, hier S. 452. 2 Diese Freundschaft und die Parallelität der Wege beider als Schriftsteller erwähnt Mann auch in der Tischrede, vgl. ebd., S. 449f. Vgl. auch Arnaldo Benini: Thomas Mann, Jakob Wassermann und die Judenfrage, in: Blätter der Thomas Mann Gesellschaft Zürich 32 (2006-2007), S. 7-53. 142 Doerte Bischoff mir Eindruck zu machen.“ 3 In der zitierten Rede wird das Fabulieren zudem mit „Geblüt und Instinkt“ in Verbindung gebracht, was einen Akzent setzt, der Fragen aufwirft. Bei der Assoziierung des Erzählertalents mit „Geblüt“ allerdings handelt es sich deutlich erkennbar um eine Anverwandlung von Begriffen und Bildern, die von Wassermann selbst übernommen sind. Dies gilt vor allem auch für das orientalische Setting, in dem er ihn als Erzähler, wie auch bereits frühere Rezensenten, 4 imaginativ verortet. Denn Wassermann gehört zu denjenigen jüdischen Literaten und Intellektuellen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die wirkmächtige diskursive Verschränkung von Judentum und Orient, die vielfach die - oft antisemitisch grundierte - Behauptung einer tief verwurzelten und letztlich nicht überwindbaren jüdischen Fremdheit gestützt hatte, einer dezidierten Umwertung unterzog. 5 Wichtige Impulse hierfür gab etwa Martin Buber, dessen Hinwendung zur chassidischen Kultur der osteuropäischen Juden vielfach begleitet waren von programmatischen Reden und Essays, in den er ausdrücklich auf die orientalischen Wurzeln und Anteile des Judentums verwies, die angesichts der Krise des europäischen Rationalismus dazu beitragen könnten, verlorene Synthesen und Verhandlungsräume zwischen Abendland und Morgenland wieder zu entdecken und für die Zukunft neu zu entfalten. In seiner fünften Prager Rede mit dem Titel Der Geist des Orients und das Judentum (1912) 6 wird in Rückwendung auf Goethe, Herder und Orientfigurationen der literarischen Romantik eine Durchwirkung von europäischer Kultur und orientalischem Geist rekapituliert, die wiederzubeleben Privileg und Aufgabe der europäischen Juden sei. Einer umstandslosen Assimilation an ein westliches Kulturmodell wird dabei zugleich ein Beharren auf Differenz im Horizont zionistischer Narrative entgegengestellt, ohne dabei jedoch kulturelle Besonderheit und Absonderung als solche zu propagieren. 3 Die Tagebucheinträge stammen vom 10.1.1919, 16.1.1919 und 25.1.1919. Hier zit. nach Benini: Thomas Mann, Jakob Wassermann und die Judenfrage, S. 16. 4 Schon eine Besprechung seines frühen Romans Die Juden von Zirndorf attestiert ihm in ausdrücklicher Bezugnahme auf sein Judentum und den „Überschwang seiner Rasse“ eine „Dichterseele von einer prachtvollen orientalischen Glut und Schwere der Empfindung“ (1897), eine spätere von Ernst von Wolzogen sieht das Orientalische bei Wassermann in seiner üppigen Phantasie, die „in Blut, Pracht und Kostbarkeit“ schwelge. Zit. nach Hans Otto Horch: Jakob Wassermann: „Verbrannt wird auf alle Fälle-…“. Juden und Judentum im Werk Jakob Wassermanns, in: Gunter E. Grimm/ Hans-Peter Bayerdörfer: Im Zeichen Hiobs. Jüdische Schriftsteller und deutsche Literatur im 20. Jahrhundert, Königstein/ Ts. 1985, S. 124-146, hier S. 135, 146. 5 Vgl. Paul Mendes-Flohr: „Fin de siècle“ Orientalism, the „Ostjuden“, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Ders: Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, S. 77-132. 6 Martin Buber: Der Geist des Orients und das Judentum, in: Ders.: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, Köln 1963, S. 46-65. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 143 Neuere Forschungen zu Orientalismus und Judentum im 19. Jahrhundert haben das breite Spektrum möglicher Ausprägungen und Implikationen dieser topischen diskursiven Kopplung akzentuiert, das keineswegs nur Tendenzen der Einverleibung bzw. Ausgrenzung des potentiell Fremden durch die Hegemonialkultur (im Sinne von Edward Saids Orientalism ) erkennen lässt, sondern stattdessen vielfältige Möglichkeiten der Aus- und Umdeutung nicht zuletzt im Dienste einer jüdischen Selbstdarstellung barg. 7 Für die Zeit zwischen 1900 und 1933 lässt sich gleichfalls noch eine starke Tendenz beobachten, dass jüdische Künstler und Intellektuelle an der allgemeinen, durch neue Ausgrabungen und Schriftfunde ebenso wie durch diverse politische Interessen beflügelten Orient-Begeisterung dieser Jahrzehnte partizipierten. Arbeiten wie die von Ephraim Moses Lilien demonstrieren, dass etwa die Vorliebe der Jugendstil-Ästhetik für orientalisch konnotierte Ornamentik sich relativ umstandslos mit einer jüdisch-zionistischen Agenda verknüpfen ließ. 8 Allerdings sind die Aushandlungs- und Selbstbehauptungsversuche dieser Zeit aus jüdischer Sicht zugleich noch deutlicher als zuvor von einem immer rabiater werdenden Antisemitismus gezeichnet, der Spielräume kultureller Teilhabe offensichtlich in Frage stellte. Zionistische Visionen erscheinen in diesem Kontext teilweise explizit an einen Bruch mit Europa und der Geschichte jüdischer Assimilation geknüpft, wie etwa der Fall von Mosche Ya’akov Ben-Gavriêl (ursprünglich Eugen Höflich) zeigt, der sich der Idee vom Juden als Orientalen in dieser Zeit zuwandte, damit aber eine konsequente Ablehnung der europäischen Diaspora-Tradition verband. Schließlich trat er in Jerusalem als Vorkämpfer eines ‚Pansemitismus‘ bzw. ‚Panasiatismus‘ auf, der die Überwindung von (europäischen) Nationalismen aus dem Geiste der zusammengehörenden Völker Asiens imaginierte, zu denen Ben-Gavriêl die Juden zählte. 9 Allerdings hat Ben-Gavriêl bis zuletzt 7 Vgl. Kathrin Wittler: Orient, in: Dan Diner (Hg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur, Bd. 4, Stuttgart/ Weimar 2013, S. 430-437; Dies.: „Good to Think“. (Re)Conceptualizing German-Jewish Orientalism, in: Ulrike Brunotte/ Anna-Dorothea Ludewig/ Axel Stähler (Hg.): Orientalism, Gender, and the Jews. Literary and Artistic Transformations of European National Discourses, Berlin u. a. 2015, S. 63-81. 8 Vgl. etwa Liliens zwischen 1908 und 1912 verfertigten Illustrationen zu einer mehrbändigen Prachtausgabe der jüdischen Bibel. Vgl. dazu Andrea Polaschegg: Wir (alle) sind Babylon (gewesen). Eine deutsch-babylonische Genealogie der Moderne, in: Barbara Vinken: Translatio Babylonis. Unsere orientalische Moderne, München 2015, S. 63-90, hier: S. 73f. 9 In den autobiografischen Notizen aus der Zeit seiner Stationierung als österreichischer Soldat in Palästina, Der Weg ins Land. Palästinensische Aufzeichnungen (Wien 1918), heißt es, er erlebe den Orient vom Standpunkte des Juden […], der sich seiner orientalischen Abstammung, seines asiatischen Blutes, voll und ganz bewußt ist.“ (Ebd., S. 1f.) Vgl. hierzu Stefan Vogt: Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890-1933, Göttingen 2016, S. 169. 144 Doerte Bischoff seine Bücher nur auf Deutsch geschrieben und jede praktische Umsetzung der panasiatischen Idee erwies sich angesichts der Entwicklungen in Palästina unter britischer Mandatsherrschaft natürlich als denkbar schwierig. Wassermanns Inanspruchnahme der Figur des Orientalen im Zusammenhang mit seiner Auseinandersetzung mit dem modernen Judentum steht zu den Bestrebungen Ben-Gavriêls auf den ersten Blick in deutlichstem Gegensatz. Für ihn war diese Figur nicht ein zionistisch-panasiatischer Hebel zur Loslösung von Europa, sondern eng mit dem Bemühen verbunden, unter krisenhaften Bedingungen den jüdischen Ort in der europäischen Kultur emphatisch neu zu bestimmen. Auch dies allerdings implizierte aus seiner Sicht eine Loslösung, hier von einer jüdischen Existenz, die haltlos den Angriffen der Antisemiten ausgeliefert sei, weil sie sich allzu sehr den Versprechen der westlichen Moderne (die auch die des kosmopolitischen Europäers einschließt) hingegeben habe. Dass sich der Aspekt des gegenwärtigen Antisemitismus wie auch der Geschichte der Verfolgung der Juden mit seiner Vorstellung von der Figur des Orientalen eng verknüpft, wird nicht zuletzt in dem kurzen Briefwechsel mit Thomas Mann im Anschluss an das Erscheinen seiner Bekenntnisschrift Mein Weg als Deutscher und Jude (1921) deutlich. Indem Mann die Darstellung der Erfahrung antisemitischer Ausgrenzung und Verfolgung, die dort als für den jüdischen Menschen und Schriftsteller als absolut prägend beschrieben wird, als übertrieben zurückweist, wird (für Wassermann) deutlich, dass der privilegierte nicht-jüdische Schriftsteller-Freund den tiefen Konflikt, den er selbst empfand und den er zugleich als seismografisch und paradigmatisch für die Epoche an sich deutete (worin ihm Thomas Mann später Recht gab), 10 nicht annähernd begreifen konnte. Ohne ein Verständnis von diesem Konflikt ist aber Wassermanns Vorstellung vom Juden als Orientalen kaum angemessen zu verstehen. Die Verwendung ähnlicher Begriffe wie die des Orientalen und des Orientalischen schafft, so lässt sich erkennen, einerseits einen gemeinsamen Raum des Sprechens über Jüdisches in der europäischen Kultur, der Möglichkeiten der Anerkennung und Selbstbehauptung durchaus einschließt. Andererseits ist dieser diskursive Raum, wie das Beispiel zeigt, angesichts machtvoller Diskurstraditionen, die Fremdes herabsetzen und ausgrenzen und auf die nationalistische Rhetoriken der Zeit zunehmend wieder zurückgreifen, offensichtlich prekär. So scheint es in besonderer Weise geboten, den Konnotationen und Transformationen der Begriffe bei einem jüdischen Autor nachzuspüren, der sie zur Analyse eben dieser Prekarität kaum existenter, aber nichtsdestotrotz beschworener Gemeinschaft in Anschlag bringt. 10 Vgl. Benini: Thomas Mann, Jakob Wassermann und die Judenfrage, S. 11f. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 145 Bereits in Wassermanns frühen Essays wird der ‚Jude als Orientale‘ in den Blick gerückt als Figur für eine Kreativität, die offenbar nur vor bzw. jenseits der europäisch-christlichen Zivilisation vorgestellt werden kann. Diese nämlich sei nicht anders denn als Katastrophe des Judentums zu beschreiben, das jahrhundertelang in einem Maße unterdrückt, eingeschränkt und verfolgt worden sei, dass dies „einer langsamen Hinrichtung des Geistes und des Herzens“ gleichgekommen sei. 11 „Wie nun ist das Judentum aus dieser Katastrophe hervorgegangen? “, fragt Wassermann in einem 1904 in der Neuen Rundschau publizierten Essay mit dem Titel Das Los der Juden . Wie verhält sich das Judentum, so heißt es dort weiter, „einmal zu seiner europäischen und dann zu seiner asiatischen Vergangenheit? Jene bedeutet Schande, Elend, Niedrigkeit, Finsternis, diese aber Macht, Ehre, Ruhm und große Taten.“ 12 Der Gestus der Argumentation folgt offensichtlich einer „Umwertung aller [abendländischen] Werte“ im Sinne Nietzsches, indem Fortschritt, Emanzipation und Entfaltungsmöglichkeiten nicht mit Europa verknüpft werden. Tatsächlich lassen sich in dieser Zeit bei Wassermann viele mehr oder weniger explizite Nietzsche-Anleihen erkennen. 13 So lässt sich die Figur des Juden als Orientalen, der als „stolzer, abgeschlossener, ruhiger, gesammelter“ Typus beschrieben wird, durchaus mit Zarathustra in Verbindung bringen, der ebenfalls die Umwertung und Überwindung westlicher Philosophie und Geschichte durch Impulse aus einer östlichen Lebensphilosophie ins Werk setzt. Eine entsprechende Adaption Nietzsches für jüdische Belange lag nicht nur durch dessen ausdrückliche Bezugnahmen auf eine mögliche jüdische Vorreiterrolle bei der Umwertung aller Werte nahe, sondern auch durch die vielfach emphatische Nietzsche-Rezeption in jüdischen Kreisen. 14 Nicht zuletzt Martin Buber hat Nietzsche intensiv rezipiert und mit zionistischen Ideen amalgamiert. Dieser Adaptionslinie folgt Wassermann jedoch explizit nicht. Anders als eine Reihe anderer jüdischer Autoren der Zwischenkriegszeit, die Galizien, die Welt des osteuropäischen Stetls insgesamt, als Reisende auf den Spuren des eigenen jüdischen Herkommens erkunden, interessiert sich Wassermann weder für diese, vermeintlich ursprünglichere jüdische Welt noch für das Projekt einer jüdischen Heimstatt in Palästina. Zwar wird der Orientale auch bei ihm gelegentlich mit dem ‚Osten‘ assoziiert, die Verbindung zu Osteuropa ist für ihn 11 Jakob Wassermann: Das Los der Juden [1904], in: Jakob Wassermann: Deutscher und Jude. Reden und Schriften 1904-1933, hg. und mit einem Geleitwort versehen von Dierk Rodewald, Heidelberg 1984, S. 17-27, hier: S. 22. 12 Ebd., S. 23. 13 Der Name Nietzsches fällt in diesem Essay explizit, vgl. ebd., S. 27. Vgl. auch die Erwähnung einer Morgenröthe, offensichtlich eine Reminiszenz an Nietzsche. 14 Vgl. Max Haberich: Friedrich Nietzsche and Jakob Wassermann: Brothers in Spirit? In: Nietzsche-Studien. Internationales Jahrbuch für die Nietzsche-Forschung 44 (2015), S. 500-515. 146 Doerte Bischoff damit aber nicht automatisch hergestellt. Im Gegenteil erscheint ihm dies als Inbegriff einer in Unterdrückung und Abgeschnittenheit lebenden Judenheit, aus deren „Ghettowildnis“ kaum schöpferische Impulse hervorgehen konnten. 15 In der Beschreibung und Zurückweisung der sogenannten Ost-Juden reproduzieren seine Texte sicherlich zum Teil einen antisemitischen Diskurs der Zeit. 16 Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass die konstatierte Differenz immer zugleich an soziale und historische Konstellationen rückgebunden wird. Die bedrückende Situation bringt gedrückte Menschen hervor, deren Energien sich in Visionen religiösen Messianismus oder politischen Extremismus ein Ventil suchen, die letztlich nicht gestaltend in die Wirklichkeit eingreifen. Anders gelagert und doch strukturell ähnlich beschreibt Wassermann die Situation des assimilationswilligen westeuropäischen Juden. Was Martin Buber in der Formel „Ghetto und Golus“ 17 gefasst hat, erscheint hier in ähnlicher Weise als Bestandsaufnahme zweier gleichermaßen zerstörerischer und unproduktiver Formen jüdischer Existenz. Leben die osteuropäischen Juden in der Abgeschnittenheit des Ghettos, so der moderne nicht-religiöse Jude in der Loslösung von sozialen und kulturellen Bindungen und damit „in eigentümlicher Vereinzelung“ 18 . Darin wird er zum paradigmatischen modernen Menschen, wie dies ja auch andere Modernetheorien der Zeit, etwa Simmels Soziologie der Großstadt, beschreiben. 19 In einem zuerst 1910 publizierten Essay Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit verknüpft Wassermann zudem die Figur des modernen Juden mit der des Literaten. Die diasporische Situation in fremden Nationen, die fortwährende Abwehr von Angriffen und Gefahr, die Anstrengung der Assimilation „und die darauf erfolgte gewaltsame Unterdrückung und Zerschneidung der Tradition, all das hat die Juden als ganzes Volk zu einer Art von Literatenrolle vorbestimmt“ 20 . Ähnlich wie später bei Thomas Mann, der ihn emphatisch dem Künstler entgegensetzt - ist der Literat eine deutlich einseitige Figur, eine Figur des Mangels: „Der Literat ist der vom Mythos losgelöste produktive Mensch.“ 21 15 Wassermann: Die psychologische Situation des Judentums (1929), in: Wassermann: Deutscher und Jude, S. 144. 16 Vgl. hierzu ausführlicher Horch: Jakob Wassermann, S. 128f. 17 Martin Buber: Die jüdische Renaissance, in: Ders.: Die jüdische Bewegung. Gesammelte Aufsätze und Ansprachen 1900-1915, Berlin 1916, S. 7-16, hier S. 12. 18 Wassermann: Das Los der Juden, S. 25. 19 Vgl. dazu Sander L. Gilman: Multiculturalism and the Jews, New York 2006 (Kap. 3: Jews and the Constitution of the Multicultural Ethnic). 20 Jakob Wassermann: Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit, in: Lebensdienst. Gesammelte Studien, Erfahrungen und Reden aus drei Jahrzehnten von Jakob Wassermann, Leipzig/ Zürich 1928, S. 502-549, hier S. 546. 21 Ebd. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 147 Ihm wird hier der ‚Jude als Orientale‘ als Gegenfigur gegenübergestellt. Es verwundert nicht, dass sich Buber besonders für diese Wendung interessierte und Wassermann einlud, einen Beitrag zu einem „Sammelbuch“ zu schreiben, das 1913 unter dem Titel Vom Judentum vom Verein jüdischer Hochschüler in Prag herausgegeben wurde. Initiator des Bandes war ein Student namens Hans Kohn, der selbst in dem Band mit einem Aufsatz Der Geist des Orients vertreten ist, der dem von Wassermann eingesandten und an Buber persönlich adressierten Brief unmittelbar nachgestellt ist. In der Zusammenstellung werden Parallelen, aber auch Kontraste zwischen den beiden Texten deutlich. Ähnlich wie bei Kohn, der unter Bezugnahme auf Bubers Vorwort zu den Geschichten des Rabbi Nachman den Orient als ‚Urgrund‘ beschreibt, in dem das jüdische Sein verwurzelt sei, rührt die Selbstgewissheit des ‚Juden als Orientalen‘ bei Wassermann daher, dass er sich als Erbe einer weit zurück reichenden Vergangenheit weiß und „eine ungemeine Verantwortung der Zukunft“ gegenüber empfindet. 22 Dabei wird vor allem die Mittlerrolle dieser ‚mythischen‘ Figur akzentuiert, die „niemals Partikularist“ sei, sondern vielmehr ein seiner selbst bewusster Erbe einer Geschichte und Überlieferung. Als solcher nimmt er „in freier Bewegung und Hingabe […] teil am fortschreitenden Leben der Völker“. 23 Während Kohn aus dem Bewusstsein der Juden, „in die große Kultureinheit des Orients hineinzuragen“, am Schluss vor allem den zionistischen Appell ableitet, sich „reiner Erde“ zu vermählen und Bauer in Palästina zu werden 24 , enthält sich Wassermann jeder derartigen Konkretisierung und Verortung des ‚Juden als Orientalen‘. Vielmehr insistiert er darauf, dass es sich um eine „symbolische Figur“ handele. Diese ist vor allem durch das Spannungsverhältnis charakterisiert, in dem sie zu dem Juden der westlichen Moderne, als eine Art Korrektiv oder Widerlager sich verhält. Gleichzeitig steht sie aber auch in Kontrast zu ‚dem Deutschen‘, den Wassermann als zersplitterten Typus schlechthin beschreibt. In Mein Weg als Deutscher und Jude findet man diese Entgegensetzungen wieder, wenn am Schluss ausgehend von der eigenen Situation die Diagnose formuliert wird, dass „die vollkommene Durchdringung mit den Elementen beider Sphären, orientalischer und abendländischer, ahnenhafter und wahlhafter, blutmäßiger und durch die Erde bedingter, ein neuer Vorgang ist.“ 25 Was zunächst irritierend schematisch klingt - zur Kategorie des Bluts später mehr -, erscheint doch 22 Jakob Wassermann: Der Jude als Orientale, in: Wassermann: Deutscher und Jude, S. 29- 32, hier S. 31 (zuerst in: Vom Judentum. Ein Sammelbuch, hg. vom Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba in Prag, Leipzig 1913). 23 Ebd. 24 Hans Kohn: Der Geist des Orients, in: Vom Judentum, S. 9-18, hier S. 18. 25 Jakob Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude [1921], 2. Auflage, München 1999, S. 99, S. 126. 148 Doerte Bischoff vor allem als Zusammentreten gegensätzlicher und offenbar nicht ineinander aufzulösender Aspekte. Die Kategorie des Orientalen bzw. des Orientalischen dient offenbar dazu, inner- und interkulturelle Spannungsverhältnisse auszubuchstabieren und eine klare Grenzziehung oder Trennung ebenso auf Distanz zu halten wie die Vorstellung einer Symbiose, in der die beiden Pole unkenntlich werden bzw. einer Assimilation, in der das Jüdische im hegemonialen Kontext aufginge. Die Abtrennung des Jüdischen führt nicht auf dessen ursprüngliche Wesenheit, sondern affirmiert ein ‚fremdes‘ (westliches) Prinzip, das das Jüdische ausgegrenzt und herabgesetzt hat. „Den jüdischen Menschen als Spezialität“, wie Wassermann in Das Los der Juden formuliert, „den gibt es, dank dem Christentum, dank der Kirche, dank der abendländischen Finsternis.“ 26 In gewisser Weise evoziert diese Passage Saids Orientalismus-Kritik, die ja die auf der These basiert, dass die Vorstellung von einem homogenen Raum des Orients eine westliche Konstruktion der Selbstkonstitution durch Abgrenzung eines ‚Fremden‘ ist. 27 Interessant erscheint vor diesem Hintergrund deshalb, dass Wassermann das Orientalische gerade der Vorstellung eines abgegrenzten jüdischen Raumes, einer partikularistisch beschreibbaren jüdischen Eigen- oder Wesenheit entgegensetzt. Die Rede vom ‚Juden als Orientalen‘ wird dann zum Einsatzmoment nicht für die Ergründung und Entfaltung eines ursprünglich Jüdischen, sondern vielmehr für Erkundungen der vielfältigen und komplexen Wechselbeziehungen und Verstrickungen zwischen Jüdischem und Europäischem, die überhaupt nicht losgelöst voneinander betrachtet werden können. Dies ist das zentrale Thema auch von Mein Weg als Deutscher und Jude , in dem das unauflösliche Zugleich zweier Loyalitäten und Zugehörigkeiten als paradigmatisch beschrieben wird. Man wird dieser Beschreibung aber wohl nicht gerecht, wenn man wie Hans Otto Horch (der insgesamt natürlich viel für ein besseres Verständnis Wassermanns getan hat) hier vor allem das geradezu verzweifelte Begehren nach Assimilation und einer deutsch-jüdischen Symbiose artikuliert sieht. Von drei typischen jüdischen Positionierungen zur jüdischen Frage um 1900: (1) Hinwendung zum Zionismus, (2) Bekenntnis zur Diaspora und (3) zur Assimilation rechnet er Wassermann ‚eindeutig‘ der dritten Fraktion zu. 28 Aufschlussreich ist hier ja bereits, dass Wassermann, obwohl oder gerade weil er sich als Deutscher versteht, nicht in Deutschland, sondern in Österreich lebt, was im Text als durchaus programmatische Wahl inszeniert wird. So wird 26 Wassermann: Das Los der Juden, S. 23. 27 Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 1978. 28 Hans Otto Horch: Deutschtum und Judentum - eine unmögliche Synthese? Jakob Wassermann im Kontext der deutsch-jüdischen Literaturgeschichte, in: Dirk Niefanger/ Gunnar Och/ Daniela F. Eisenstein (Hg.): Jakob Wassermann. Deutscher, Jude, Literat, Göttingen 2007, S. 69-89, hier: S. 85. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 149 die Übersiedelung nach Österreich 1898 mit einer neuen Erfahrung von Offenheit, Beweglichkeit und Vermischung unterschiedlicher Elemente und Einflüsse dargestellt: Ich war als erzogener Deutscher gewöhnt, eben das Deutsche, Land und Volk, als ein Ganzes zu empfinden, unbezweifelbar, in seiner Rundheit und Faßlichkeit erfreulich, in keinem Bezug mißzuverstehen. Hier dagegen war durchaus alles fragwürdig, Land, Volk, Staatsform, Lebensform, Nationalität und Gesellschaft, Überlieferung und Abfall von ihr, Politik und Kunst, Organisation und Individuen. 29 Auch wenn Wassermann weit davon entfernt ist, Österreich zu idealisieren - vielmehr erscheint es als Schauplatz, auf dem „gierige Ansprüche“ 30 der Kirche, des Hofes, der Aristokratie und des Großgrundbesitzes aufeinandertreffen und Machtkämpfe einiger weniger auf dem Rücken der Mehrheit ausgetragen werden - wird doch das österreichische Milieu insgesamt offensichtlich als belebend und als Voraussetzung für die künstlerische Arbeit empfunden. Die Menschen umwehe „ein leiser Hauch von Orient […]; von uralten, germanischen, römischen, keltischen Elementen sind sie getragen; die Nähe slawischer Welt und stellenweise Durchblutung von ihr hat den Charakter vielfach erweitert und vertieft.“ 31 Wien mit dem Orient in Verbindung zu bringen, ist dabei natürlich keine singuläre Geste, auch Hugo von Hofmannsthal hat ja etwa die Stadt als „porta orientis Europas“ bezeichnet. 32 Als solche kommt sie hier vor allem als Übergangszone im doppelten Sinne von räumlichem Miteinander, von Berührung und Vermischung einerseits, aber auch im zeitlichen Sinne in Betracht, insofern hier die Überwindung des Gegenwärtigen auf ein Künftiges hin in einem durchaus messianischen Sinne aufscheinen kann. „Der Jude als Orientale, nicht im ethnographischen, sondern im mythischen Sinne“, schreibt Wassermann in früheren Aufsätzen, kann „den Weg zu Göttlichem“ finden; indem er eine „ verwandelnde Kraft “ in der Gegenwart freisetzt, „kann [er] Schöpfer sein“ 33 . Schöpfung ist hier als Grenzen sprengende, tendentiell universalistische Bewegung gedacht und sicherlich nicht als eine, die durch nationalkulturelle Begrenzungen eingehegt, durch unwandelbare Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kollektiv (einer Religion, einem Volk, einer Nation) bzw. durch ausschließliche 29 Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude, S. 99. 30 Ebd. 31 Ebd., S. 101. 32 Hugo von Hofmannsthal: Wiener Brief II [1922], in: Ders.: Gesammelte Werke. Reden und Aufsätze II, 1914-1924, hg. von Bernd Schoeller, Frankfurt/ M. 1979, S. 185-196, hier: S. 195. 33 Wassermann: Der Literat oder Mythos und Persönlichkeit, S. 546f. Diese Textstelle wird in Der Jude als Orientale wörtlich zitiert. 150 Doerte Bischoff Bezugnahme auf ein solches befruchtet würde. In einem, in der Zeitschrift Der Jude 1928 publizierten öffentlichen Brief formuliert Wassermann entsprechend: Nur so viel kann ich ihnen sagen, daß für mich der Jude der Diaspora der Jude der Bestimmung ist; das ist meine unerschütterliche Überzeugung, trotz aller Übel und aller Leiden, oder vielmehr wegen der Übel und Leiden . Nationen gibt es viele; leider. Die Juden haben keine Nation zu sein. Und Volk können sie nur sein - unter den Völkern, oder über ihnen. 34 Der Verweis auf eine fruchtbare Vermischung mit dem ‚Slawischen‘ ist in der zitierten Passage insofern bemerkenswert, als sie in einem gewissen Gegensatz steht zu der dezidierten Abwehr und stellenweise klischeehaften Schilderung des osteuropäischen Judentums. Der Widerspruch löst sich (zumindest teilweise) jedoch auf, wenn man die insgesamt die Argumentation prägende Tendenz ernst nimmt, Abgegrenztes als gewaltsam Beschränktes und damit einer kultureller Produktivität potentiell Beraubtes zu betrachten, schöpferisches Potential dagegen in der Möglichkeit einer lebendigen Vermischung zu sehen. In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, dass der ‚Jude als Orientale‘ weniger mit Palästina als mit Spanien in Verbindung gebracht wird, eine Assoziation, die auf die Blütezeit von Al-Andalus führt, in der sich arabisch-muslimische, jüdische und christliche Einflüsse auf vielfach fruchtbare Weise verbanden. Der Rückbezug auf einen so verstandenen Orient, die Orientierung mithin auf das Andere, das immer auch auf die hegemoniale Perspektive bezogen ist, diese aber tendenziell vervielfältigt und unterläuft, kann die Wahrnehmung der Gegenwart und seiner Möglichkeiten auf doppelte Weise beeinflussen: Zum einen werden erst im Vergleich die ‚katastrophalen‘ Beschneidungen und Beschränkungen der Entfaltung des Jüdischen innerhalb der zeitgenössischen europäischen Kultur sichtbar (den Begriff der Katastrophe verwendet Wassermann mehrfach), zum anderen lässt sich an sie eine durchaus emphatisch formulierte prophetische bzw. messianische Vision knüpfen, in der eine solche Entfaltung des Jüdischen gelingt. Vorerst erscheint die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe nicht nur auf dem Gebiet von Militär, von „Amtsehren und -funktionen“ 35 beschränkt, sondern vor allem auf dem der Kultur. Von sich selbst schreibt Wassermann in Mein Weg als Deutscher und Jude , dass er als junger Mann „einen unerschöpf- 34 Jakob Wassermann: Der Jude der Bestimmung. Ein Brief, in: Wassermann: Deutscher und Jude, S. 132. Diese antinationale Positionierung des Judentums findet sich in dieser Zeit auch bei anderen jüdischen Autoren wie Joseph Roth, Lion Feuchtwanger oder Franz Werfel. Vgl. hierzu auch Andreas Herzog: Die Mission des Übernationalen. Zur Judentumskonzeption einiger deutschsprachiger Schriftsteller, in: Das Jüdische Echo. Zeitschrift für Kultur & Politik 45 (1986), S. 155-161. 35 Wassermann: Das Los der Juden, S. 27. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 151 lichen Vorrat an Kräften“ in sich fühlte, die aber, da er „mitten in einer deutschen Stadt“ wie Robinson auf einer Insel, also isoliert und ohne wirklichen Austausch lebte, ohne Möglichkeit der Entfaltung und des Ausdrucks blieben. Neben der Vorstellung von Robinson auf der einsamen Insel taucht hier ein weiteres Bild auf, indem das Ich sich als „Seidenraupe“ beschreibt, die „in einem Schutzapfel lebte. 36 Mit der Seidenraupe wird nicht nur auf eine künstlerische Produktivität im Stadium der Potentialität, also in einer Art Übergangs- und Verpuppungsstadium, angespielt, das Bild greift auch deutlich auf orientalische Motive zurück. Die Seidenraupe im Schutzapfel amalgamiert offensichtlich europäische Kontexte (so kommt in Mitteleuropa der sogenannte ‚Apfelwickler‘ häufig vor, eine Schmetterlingsart, deren Raupe sich in Äpfeln entwickelt - und die deshalb vielfach als Schädling klassifiziert wird) mit romantischen Vorstellungen von einem im Orient anzusiedelnden Ursprung der Kultur. Anders als in romantischen Orientvorstellungen, die, wie beschrieben, um 1900 eine neue Konjunktur erleben, werden Ursprung, Gegenwart und Erlösung/ Neubeginn hier jedoch offensichtlich nicht mit einem zeitlichen Index versehen bzw. auf einer imaginären Zeitachse verortet. Vielmehr erscheint die Seidenraupe im Apfel als eine Art dialektisches Bild im Sinne Benjamins, das Gegensätze in ihrer unauflöslichen Bezogenheit aufeinander in eine Konstellation bannt, die Unabgegoltenes, gewaltsam Eingeschlossenes in seiner Potentialität sichtbar macht. Die Seidenraupe kann als Figuration eines ‚inneren Orients‘ beschrieben werden, der sich weder im Sinne einer ‚orientalischen‘ Eigenheit des jüdischen Schaffenden, noch natürlich im Sinne einer zu erlangenden körperlichen Reinheit und Unversehrtheit vereindeutigen lässt, die nur dadurch zu erlangen wäre, dass die Raupe als Parasit entfernt würde (diese Vorstellung korrespondiert mit der an anderer Stelle im Text erinnerten Feststellung eines ‚Freundes‘, als Jude gehöre er, Wassermann, einem „Fremdkörper innerhalb der Nation“ 37 an). Da es sich aber um eine Seidenraupe handelt, wäre mit ihrer Entfernung eben auch jene mit ihr assoziierbare, durch hundertfache Intertexte beglaubigte kulturelle Schöpferkraft verworfen. Dass der Apfel außerdem an den Sündenfall erinnert, ist in diesem Kontext wohl ebenfalls von Belang. Den Apfel als Symbol ‚natürlicher‘, volkhafter Reinheit vereindeutigen zu wollen, würde immer auch bedeuten, die mit ihm assoziierte Schuld zu leugnen, bzw. sie den anderen, als Schädlingen apostrophierten, anzulasten. Kreativität mit der Seidenraupe im Apfel zu verschränken, bedeutet jedoch, den Blick auf eine hochkomplexe Konstellation zu lenken, die Schuld auch im Sinne symbolischer und historischer Ausgrenzung und Verleugnungen in Erinnerung bringt. In gewisser Weise wird hier ein 36 Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude, S. 63f. 37 Ebd., S. 46. 152 Doerte Bischoff Innerer Orient ins Bild gesetzt, der gerade nicht als anders distanziert werden kann, sondern der im Eigensten, eben im Innersten, im Zentrum, angetroffen werden kann. Die Formulierung vom Inneren Orient ist ja in der jüngeren Orientalismus-Forschung immer wieder prominent aufgegriffen worden, 38 gerade auch in Absetzung von einer als allzu schematisch empfundenen Vorstellung eines klar begrenzbaren, womöglich überzeitlichen Konstrukts des Orients als fremdem Anderen, wie es bei Said anzutreffen ist. In Wassermanns autobiografischem Text Mein Weg als Deutscher und Jude findet sich neben der Seidenraupe noch ein anderes Bild, das die Problematik jüdischer Kreativität in der Moderne und damit in der Diaspora veranschaulicht. Als Urszene der Geburt des Selbst als Erzähler wird dort erzählt, wie das Ich, Jakob Wassermann, als Kind plötzlich die eigene Situation absoluter Beraubung jeglicher Entfaltungsmöglichkeiten in einer lieblosen und repressiven Familiensituation durch eine minimale finanzielle Zuwendung erleichtert sieht. Dies öffnet ihm die Möglichkeit, diese Mittel nicht nur zur Befriedigung basalster Bedürfnisse (zum Stillen des gleichwohl ständig präsenten Hungers) zu nutzen, sondern zur Aneignung von Büchern, also für einen ersten Zugang zu Wissen, Bildung, kurz: im Sinne kultureller Teilhabe. Das muss in der Familie jedoch absolut geheim bleiben, da diese, die, so wird es beschrieben, die Repression der Dominanzgesellschaft gegenüber den Juden internalisiert hat und im Innern selbst reproduziert, dafür keinerlei Raum lässt. Um diesen selbstgeschaffenen Raum der Lektüren, diese zu Bildung und Teilhabe aufgestoßene Tür im Innersten der Repression zu schützen, beginnt das Ich zu erzählen. Mit den Erzählungen wird der jüngere Bruder, der sonst als Verräter gegenüber den Eltern auftreten würde, Nacht für Nacht regelrecht ‚gefesselt‘ und, solange er eine Fortsetzung der Geschichte am nächsten Abend erwartet, auch tagsüber dem Willen des Erzählers entsprechend in Schach gehalten. Es ist deutlich, welches Modell diesem Erzählen zugrunde liegt und tatsächlich kommt Wassermann selbst auch ausdrücklich darauf zu sprechen: „Es war das Verfahren der Scheherasade ins Kleinbürgerliche übertragen; schlummernder Keim, befruchtet durch Zufall und Gefahr. Scheherasade erzählt, um ihr Leben zu retten, und während sie erzählt, wird sie zum Genius der Erzählung schlechthin.“ 39 Die Rahmengeschichte aus Tausendundeine Nacht wird hier also überblendet mit dem Problem jüdischer Produktivität als eine, die - in der Moderne - aus einer Situation heraus entsteht, in der die Tür zur Teilhabe ein Stück weit geöffnet erscheint, zugleich aber Ausgrenzung, Unterdrückung und in mancher 38 Zuletzt in dem von Barbara Vinken konzipierten Sammelband Translatio Babylonis (s. Anm. 8). 39 Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude, S. 25. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 153 Weise auch existentielle Gefährdungen nach wie vor prägend sind. Interessant ist an dieser Stelle, dass Wassermann diese Urszene des eigenen Erzählens, die auch als Urszene jüdischen Erzählens in der Moderne gelesen werden kann, mit Begriffen in Verbindung bringt, die ganz im Horizont zeitgenössischer Nationalismus- und Abstammungsdiskurse zu stehen scheinen. Die aus der Not geborenen Erzählungen hätten ihn, so formuliert er, zu seinen eigenen „Wurzeln“ geführt: „es lag mir sicherlich als ein orientalischer Trieb im Blute“, 40 heißt es weiter wörtlich. Hier wird deutlich, dass die scheinbar eindeutig konnotierten Begriffe der Wurzel und des Blutes, die kulturelle Zugehörigkeit ‚identitär‘ festschreiben, indem sie sie mittels organischer Metaphorik naturalisieren, ihrer Eindeutigkeit entkleidet werden. Denn wenn das Erzählen aus der Not geboren wird, wenn es immer auch Spuren einer existentiellen Bedrohung birgt, erinnert es an eine Konstellation, ein Verhältnis von Bedrohenden und Bedrohten, und gerade nicht eine jeder kulturellen und symbolischen Beziehung vorausliegende Wesenhaftigkeit. Gerade darin aber ist das jüdische Erzählen, das Erzählen des ‚Juden als Orientalen‘ gleichsam, immer auch ein Erzählen im Namen der Menschheit, weil diese Figur Konstellationengeschichte(n) im doppelten Sinne der historischen Erinnerung von Machtbeziehungen wie im Sinne der Narrativität von Kultur, zum Vorschein bringt, die die hegemoniale Kultur genauso betreffen wie die in sie eingeschlossenen ‚Anderen‘. Die Kategorie des Blutes begegnet in den Essays und auch in den Romanen Wassermanns häufig in einer heute schwer erträglichen und kaum noch nachvollziehbaren Weise. Wassermann ist in der Rezeption deshalb auch gelegentlich in die Nähe faschistischer Rhetorik gestellt worden. Immer wieder zeigt sich jedoch, dass der ontologisierende oder gar rassistische Gestus, der sich mit dem Begriff automatisch zu verbinden scheint, aufgerufen und zugleich deplatziert wird. Aufgefordert, das Trennende zwischen Deutschen und Juden zu benennen, verweist Wassermann darauf, dass dies in der Moderne sicherlich nicht durch die Religion zu entscheiden sei. Ebensowenig sei es eine Frage des Blutes: Das Trennende im Blut? Wer will sich anmaßen, Blutart von Blutart zu scheiden? Gibt es blutreine Deutsche? Haben sich Deutsche nicht mit französischen Emigranten vermischt? Mit Slawen, Nordländern, Spaniern, Italienern, wahrscheinlich auch mit Hunnen und Mongolen, als ihre Horden deutsches Gebiet überfluteten? 41 40 Ebd. 41 Ebd., S. 46. Vgl. ähnlich auch in: Jakob Wassermann: Die psychologische Situation des Judentums [1929], in: Wassermann: Deutscher und Jude, S. 133-148, hier: S. 140. 154 Doerte Bischoff Anstatt Abstammung und Zugehörigkeit eindeutig zu bezeugen, Grenzen beglaubigen zu können, erscheint Blut hier eher als flüssiges Element, das Grenzen überwindet und durchlässig werden lässt. Schon in dem frühen Aufsatz Das Los der Juden erteilt Wassermann der Vorstellung einer allein durch blutmäßige Zugehörigkeit motivierten Gegnerschaft eine Absage. Der Rassenhaß, so heißt es dort, sei in Wirklichkeit „ein Kleiderhaß, ein Manierenhaß“, 42 also etwas durch und durch kulturell Geprägtes. „Ein besonderer Saft“ sei Blut, so schreibt Wassermann 1929 in Die psychologische Situation des Judentums und verweist so gegen rassistische Abstammungslehren auf die vor allem kulturellen Implikationen von Herkunftsnarrativen. „Ich leugne nicht den Blutstrom, der mich trägt, den gewaltigen des Ostens, ich bin stolz darauf, ich glaube, daß er Reichtümer enthält, vermittelst welcher ich spenden und schicken kann, aber warum sollte er mich entheimaten dürfen? “ 43 Damit wird der imaginären Verschränkung von Blut und Boden bzw. von ethnischer und territorialer Zugehörigkeit, die ja für den europäischen Nationaldiskurs und z.T. etwa auch für Bubers zionistische Schriften charakteristisch ist, widersprochen. Den ‚Juden als Orientalen‘ verbindet Wassermann, auch als er von diesem Begriff, der zu „Mißverständnissen“ geführt habe, bereits Abstand genommen hat, mit einem „Blutbewußtsein“, das ihn „an die Vergangenheit knüpft und auf die Zukunft verpflichtet. 44 Sind die widersprüchlichen Assoziationen, die mit dem Begriff des Blutes jeweils aufgerufen werden, sicherlich nicht völlig auflösbar, da unterschiedliche Diskurse aktualisiert werden, 45 so steht der Lesart, dass hier eine quasi-rassistische Kategorie ins Spiel gebracht wird, doch auch der Befund entgegen, dass Wassermann die jüdische Erinnerung vor allem auch als Erinnerung von Leid, Schmerz und - ganz konkret - von Blutvergießen beschreibt. Die merkwürdige Engführung beider eigentlich unvereinbarer Aspekte: dem orientalischen ‚Blutstrom‘, der auf eine stolz machende Vergangenheit führt und der Erinnerung an Leid und Schmerz, die, so könnte man sagen, nicht zuletzt an eine ‚Orientalisierung‘ des Judentums gebunden ist, macht es unmöglich, eine jüdische Identität aus einem Opferdiskurs heraus zu bestimmen. Das nämlich wäre, wie Wassermann immer wieder andeutet und etwa in seinem ersten erfolgreichen Roman Die Juden von Zirndorf literarisch verhandelt, ein christliches Narrativ, das seinerseits immer einen Teil der Überlieferung ausblendet, nämlich etwa die kultureller Handlungsfähigkeit und Verantwortung bis hin zur Frage von Täterschaft. 42 Wassermann: Das Los der Juden, S. 18. 43 Wassermann: Die psychologische Situation des Judentums, S. 140. 44 Ebd., S. 147. 45 Zu Diskursivierung des Blutes in jüdischen Kontexten vgl. Caspar Battegay: Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830-1930, Köln/ Weimar/ Wien 2011. Der Jude als Orientale: Konzepte kultureller Kreativität bei Jakob Wassermann 155 Judentum und Orientalismus werden, so das Fazit, bei Wassermann auf komplexe Weise enggeführt, die sowohl Aspekte der beschränkenden und beraubenden Fremdzuschreibung als ‚Orientalen‘ wie auch Momente von Selbstbestimmung, Aktivität und Handlungsfähigkeit hervorkehrt. Eröffnet werden so durchaus auch in historischer Perspektive kulturelle Konstellationen des wechselseitigen Aufeinanderbezogenseins, die dazu beitragen können, identitäre Setzungen und Grenzziehungen zu verflüssigen und zu unterlaufen. Mein Weg als Deutscher und Jude ist keine illusionäre Schrift, die von einem harmonischen Miteinander handelt, das in den Jahren zwischen seinem Erscheinen und Wassermanns Tod (1921-1934) zunehmend realitätsfern anmuten musste. Im Gegenteil gipfeln die intensiven Analysen der Repressionen, Verfolgungen und Beschränkungen, die die jüdische Geschichte und Gegenwart nachhaltig geprägt haben, in einem Dekalog der Vergeblichkeit, 46 aus dem am Schluss jedoch eine, mit Benjamin gesprochen, schwache messianische Kraft entbunden wird. Diese wird zuletzt noch einmal mit dem Orientalischen bzw. mit der Durchdringung von orientalischer und abendländischer Sphäre in Verbindung gebracht, was so auch als Einladung und Aufforderung begriffen werden kann, schreibend, denkend und handelnd Möglichkeiten auszuloten, herrschende Machtkonstellationen und ausgrenzende Narrative in Bewegung zu bringen und zu transformieren: „Vielleicht gibt es einen Retter, Mensch oder Geist, hüben oder drüben, oder auf der Brücke dazwischen. Vielleicht hat er seine Wegbereiter schon vorausgesandt. Vielleicht darf ich mich als einen von ihnen verstehen.“ 47 46 Wassermann: Mein Weg als Deutscher und Jude, S. 122f. 47 Ebd., S. 126. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler Massimiliano De Villa Ostjudentum e oriente Ragionando sulla rappresentazione di un oriente ebraico a inizio Novecento, non si può tacerne la cornice più esterna, la Jüdische Renaissance che - almeno a partire dal famoso articolo di Buber del 1901, che ne fa parola d’ordine e di programma 1 - traccia le linee di un discorso estetico centrato sul risveglio dell’ebraismo tedesco alla creatività. In questa dinamica della rinascita, entro le cerchie dell’ala culturalista del sionismo, ruolo fondamentale avrà l’ebraismo dell’Europa centro-orientale, compendiato nel termine Ostjudentum , in sé già vago e indifferenziato. La preminenza ostjüdisch è anticipata già dalla versione orientale di questo Rinascimento che - negli scritti in ebraico di Achad Ha’am, fautori di una techyyat ha-ruach (altrimenti detta techyyat ha-levavot ), 2 la ‘rinascita dello spirito’ da condursi rigorosamente in lingua ebraica - parla agli ebrei dell’Europa orientale di una nuova cultura nazionale, secolare, di una nuova creatività da esprimersi, appunto, nell’antica lingua dei padri, ogget- 1 L’articolo programmatico è pubblicato con il titolo Jüdische Renaissance sul primo numero della rivista, dal titolo già di per sé assai eloquente: Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für modernes Judentum I (1, gennaio 1901), colonne 7-10. La rivista, fondata a Berlino dallo scrittore Leo Winz (1876-1952), propone un programma antiassimilatorio e favorevole al sionismo, con collaboratori in vista nell’intellettualità ebraico-tedesca ed ebraico-russa e un’attenzione particolare all’ebraismo dell’Europa orientale. Dal 1905 al 1915, la rivista è organo ufficiale dell’ Alliance Israëlite Universelle . Era, secondo le parole sicure di sé del fondatore, “bekanntlich die verbreitetste und angesehenste jüdische Zeitschrift der Welt” (lettera a Buck del 31. 12.1937, in: Zionistische Zentralarchive Jerusalem, Nachlass Winz A 136/ 101/ 1. Traggo la citazione da: Martin Buber Werkausgabe, im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities, hg. von Paul Mendes-Flohr/ Bernd Witte, Bd. I: Frühe kulturkritische und philosophische Schriften 1891-1924, hg. von Martin Treml, Gütersloh 2001, p. 316). Su Ost und West , si veda: Andreas Herzog (Hg.): Ost und West. Jüdische Publizistik: 1901-1928, Leipzig 1996. 2 ‘Rinascita dello spirito’, ‘rinascita dei cuori’. 158 Massimiliano De Villa to - già dagli anni Ottanta del secolo precedente e, ancora prima, dalla versione ‘orientale’ della haskalah 3 - di un’attualizzazione senza precedenti. 4 La Jüdische Renaissance buberiana apre dunque la via a un programma e a un intero complesso di attività sintetizzando “una nozione interna all’ebraismo, di provenienza originariamente orientale” 5 - la rinascita, la rigenerazione a una 3 Si fa qui riferimento principalmente all’opera di Nachman Krochmal (1785 - 1840) e di Solomon Judah Rapoport (1790 - 1867), i rappresentanti principali della haskalah galiziana che, nella lingua dei padri, cercano l’accordo tra la tradizione secolare dell’ebraismo e le istanze del tempo contemporaneo. Anche in Russia, la haskalah darà origine a un pensiero autonomo, con una propria fisionomia, strutturato su riviste, iniziative editoriali e di divulgazione del sapere, per il tramite della lingua ebraica. 4 La Jüdische Renaissance recupera dunque l’istanza di rinnovamento culturale, già diffusa nell’ebraismo dell’Europa orientale, e ne dà veste linguistica tedesca, incrociando, nella sua riformulazione, una Renaissanceschwärmerei che attraversa i paesi tedeschi (e, in generale, l’Europa) al fine secolo. Nella sigla buberiana risuona infatti l’interesse (magari anche il culto o forse sarebbe meglio parlare di moda) del Rinascimento italiano, diffuso in Germania lungo tutta la seconda metà dell’Ottocento e avviato dalla pubblicazione del celebre, pionieristico, studio di Jacob Burckhardt Die Cultur der Renaissance in Italien . Il testo di Burckhardt produce un interesse ampio e condiviso dall’allievo Nietzsche, al giovane George a Hofmannsthal fino al volume Le Renaissance del conte di Gobineau. Alla fine dell’Ottocento, l’attenzione per il Rinascimento assume tutte le tinte del fin de siècle , dal vitalismo, al nietzscheanesimo, al neoromanticismo, all’estetismo, all’etnocentrismo e corre parallela all’entusiasmo suscitato dalla biografia romanzata di Rembrandt, quel Rembrandt als Erzieher di Julius Langbehn che, pubblicato nel 1890, aveva già toccato la quarantaquattresima ristampa sei anni dopo. Fino alla confluenza nella deutsche Renaissance di Eugen Diederichs che, nella sua casa editrice prestigiosissima e patinata, estende il culto del Rinascimento italiano alle sue propaggini tedesche - individuate in Dürer, negli Holbein, in Paracelso - e lo fonde con suggestioni mistiche e con una tendenza neoromantica che lui per primo contribuisce a diffondere. Il rinascimentalismo di fine secolo, da cui muove anche la Jüdische Renaissance di Buber, è, dunque fenomeno largo e trasversale, di dimensione europea, che offre al risveglio culturale dell’ebraismo occidentale un più ampio perimetro di riferimento. Sulla Jüdische Renaissance , sul suo legame con la techyyat ha-ruach di Achad Ha’am, e sui suoi apporti esterni, si vedano Barbara Schäfer: Jewish Renaissance and Tehiyya - Two that are One? , in: Jewish Studies Quarterly 10 (2003), pp. 320-335; Asher Biemann: Aesthetic Education in Martin Buber. Jewish Renaissance and the Artist, in Michael Zank (ed.): New Perspectives on Martin Buber, Tübingen 2006, pp. 85-110. Su Buber e Burckhardt, si veda Asher Biemann: The Problem of Tradition and Reform in Jewish Renaissance and Renaissancism, in: Jewish Social Studies 8.1 (2001), pp. 58-87, soprattutto le pp. 64-66. Si vedano, sulla medesima questione, anche Walther Rehm: Der Renaissancekult um 1900 und seine Überwindung, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 54 (1929), pp. 296-328 e August Buck (Hg.): Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burkhardt bis Thomas Mann, Tübingen 1990. Sul movimento di rinascita ebraica attraverso gli scritti di Martin Buber si veda: Martin Buber: Rinascimento ebraico. Scritti sull’ebraismo e sul sionismo (1899-1923), a cura di Andreina Lavagetto, Milano 2013. 5 Andreina Lavagetto: Buber e l’ideale del rinnovamento ebraico, in: Buber: Rinascimento ebraico, p. XXVI. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 159 propria, autonoma, cultura - “con un concetto universale, di conio occidentale, e legato a un nuovo paradigma culturale”, 6 dove “il Rinascimento è figura di un moto volto a recuperare per il presente le forze più autentiche del passato, riconoscendole come la parte più fonda della propria identità.” 7 La diffusione nei paesi di lingua tedesca dell’idea sionista introdurrà dunque una lettura nuova della realtà ostjüdisch . In parte già con la prima, ma soprattutto con la seconda generazione sionista, alla svolta del secolo, si assiste a un mutare di orizzonte. Ora i nuovi proseliti della teoria sionista, i cosiddetti radicali - si tratta della generazione più giovane, riunita intorno a Buber e alla Demokratische Fraktion 8 - assumono altre dottrine ispiratrici, quali, appunto, il sionismo spirituale 9 di Achad ha-‘Am. Su queste basi, l’alienazione culturale degli ebrei tedeschi, anche dei primi sionisti, la dipendenza da modelli esterni - Goethe, Schiller e Kant - da segno di superiorità diventa oggetto di biasimo, difetto da correggere nella ricerca di una nuova ebraicità. Nel suo vivere di riflessi e nel suo raccogliere le tendenze culturali circostanti, la Jüdische Renaissance - già nella versione buberiana, ma anche nelle altrui modulazioni - attinge largamente anche ad altre fonti, ascrivibili al neoromanticismo tedesco: l’abbandono della tradizione positivista, l’enfasi sull’irrazionale, l’attenzione per il mito, la ricerca di nuove, radicate, forme di Gemeinschaft . Sarà a questo punto naturale per i sionisti culturalisti di seconda generazione scorgere il vero Volksgeist non nella cornice della Germania guglielmina ma nei ghetti orientali. Lì dove un vero Volk ebraico esiste, dove esiste un nucleo genuino di nazionalità, espresso in tradizioni, in riti, in canti popolari. Lì dove esiste una Gemeinschaft autentica. La realtà ostjüdisch , elevata a mito tenace e oggetto di una trasfigurazione neoromantica, diventa così il polo opposto alla moderna società tedesca, il luogo di un’esistenza ebraica piena, di una creatività ininterrotta, del prevalere di forze irrazionali e vitali. Il luogo di un ebraismo totale, di quel Volljudentum promosso dal Rinascimento ebraico e, in generale, da tutto il sionismo culturale. La galassia ideale dell’ Ostjudentum si costituisce dunque in aperta ricezione della nuova tendenza etno-popolare: in corrispondenza al diffondersi coevo della Volkskunde e delle società etnologiche in Germania, fioriranno - sempre 6 Ibidem. 7 Ibidem. 8 Si tratta di un gruppo di trentasette studenti, costituitosi formalmente nel dicembre 1901 durante il quinto Congresso sionista, in opposizione alla linea politica e diplomatica della dirigenza. I giovani oppositori si riuniscono intorno a Martin Buber, Chaim Weizmann e Leo Motzkin. Tra gli aderenti alla Fraktion , oltre i fondatori, si ricordano Berthold Feiwel, Ephraim Moses Lilien, Alfred Nossig, Davis Trietsch. 9 Con lieve modulazione terminologica, si può altrimenti parlare di ‘sionismo culturale’ ( Kulturzionismus ), concetto in circolazione a partire dal terzo Congresso sionista (1899). 160 Massimiliano De Villa in Germania, a specchio - molte omologhe società etnologiche ebraiche, con un moltiplicarsi di studi sul chassidismo polacco, sugli ebrei delle montagne caucasiche, su cantori itineranti, rabbini taumaturghi, Wunderrebbes . 10 La nuova visione dell’ Ostjudentum non sarà, tuttavia, esente da ambiguità e doppie valenze. Più che riflettere una realtà, esistente e attuale, essa trarrà da questa realtà solo alcuni elementi, quelli necessari a consolidarne un’immagine funzionale al discorso culturalista del sionismo. Solo questi aspetti saranno offerti all’attenzione del pubblico occidentale, gli altri rimarranno in ombra. Nella sua negazione della dimensione esilica, il sionismo, anche quello più radicale della seconda generazione, non potrà infatti salvare in toto la realtà del ghetto, che dell’esilio è dimensione fondamentale. Né la creazione dell’ebreo nuovo, chiesta a gran voce dai rappresentanti della Jüdische Renaissance , potrà coincidere immediatamente con l’adozione del modello di vita degli Ostjuden . Pur scorgendo nell’ebraismo orientale riserve preziosissime di creatività e di potenziale palingenetico, il sionismo tedesco di seconda generazione non si accontenterà di un’appropriazione diretta, acritica quanto meccanica, della cultura del ghetto. Spesso, per sfuggire alla strettoia concettuale, i sionisti di seconda generazione prenderanno a riferimento ideale non gli ebrei ortodossi degli shtetlakh ma i moderni Ostjuden , pionieri della rinascita ebraica nell’Europa dell’est, prima i rappresentanti della haskalah orientale, 11 poi i rappresentanti del sionismo culturale russo-galiziano, precursori di una cultura nazionale e di una letteratura neoebraica, laica e secolare. Figure della modernità, intellettuali del tempo presente inseriti in un contesto di consapevolezza ebraica, sulla linea d’incontro tra il vecchio e il nuovo: tra essi, il già nominato Achad ha-‘Am, insieme a Chayyim Nachman Bialik e a Micha Yosef Berdyczewski, 12 autori di una vasta letteratura neoebraica e promotori di un’antologizzazione senza precedenti del materiale haggadico contenuto nelle scritture rabbiniche. Né si può dimenticare il fiorire, tra un secolo e l’altro, della letteratura in lingua yiddish 10 Sul fiorire dell’etnologia ebraica tra Ottocento e Novecento, si veda Michael Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, aus dem Englischen übersetzt von Holger Fliessbach, München 2000 (The Renaissance of Jewish Culture in Weimar Germany, New Haven/ London 1996), p. 40-41 e Buber: Martin Buber Werkausgabe, Bd. 2.1: Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften, hg., eingeleitet und kommentiert von David S. Groiser, Gütersloh 2013, S. 26-27. 11 Si veda supra , nota 3. 12 I contatti tra sionisti tedeschi e intellettuali della rinascenza ebraica nell’Europa orientale sono molti e ampiamente attestati. Si veda, per esempio, William Cutter (ed.): The Buber and Berdyczewski Correspondence, in: Jewish Social Studies 6 (2000), pp. 160-204; Martina Urban: The Jewish Library Reconfigured - Buber and the Zionist Anthology Discourse, in Zank: New Perspectives on Martin Buber, pp. 31-60; Andreina Lavagetto: Buber: i libri chassidici, in: Martin Buber: Storie e leggende chassidiche, Milano 2008, pp. X-LVII, soprattutto pp. XXII-XXXVII. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 161 in Europa orientale, con nomi di alta levatura come Mendele Moykher-Sforim, Yitskhok Leybush Peretz e Sholem Aleichem. Altrettanto spesso, per risolvere la contraddizione insita nel revival del mondo ebraico-orientale, il sionismo tedesco tenterà un’altra strada e, allora, la realtà dell’ Ostjudentum lascerà ancor più il posto alla sua rappresentazione ideale, il mito prevarrà sulla storia, l’estetica sull’analisi. Il mondo ostjüdisch verrà disgiunto dalla realtà, trasfigurato e idealizzato nelle sue qualità elementari. Astratto dalla coordinata geografica e proiettato su uno sfondo orientale. Reso oggetto di una vera e propria metamorfosi neoromantica. Proprio questa dimensione orientale dell’ Ostjude - non relativa e pensata in rapporto all’est dell’Europa ma estesa, in senso assoluto, a includere tutto il Levante, l’intero complesso delle civiltà asiatiche - verrà spesso fatta risaltare e asseconderà la nota tendenza, diffusa nell’Europa di fine secolo, a imitare tipi, fogge, usi orientali. Una tendenza che convivrà con l’interesse per una saggezza orientale generica e sincretistica, dove convergeranno, spesso senza distinzione, dottrine mistiche induiste, buddhiste, persiane e islamiche. Il culto dell’oriente, per concomitanza culturale, si accompagna poi all’interesse, diffuso nel fin de siècle , per il misticismo, il mondo dell’occulto, il mito, il folklore. Le parole d’ordine di Schopenhauer e Nietzsche torneranno a rinsaldare la polarità ovest-est, la tensione tra la civiltà europea vicina al punto di rottura e l’idea di un oriente naturale, selvaggio, intatto, che conserva la freschezza delle civiltà agli albori, l’ingenuità dell’infanzia che non conosce corruzione. Sono la stasi e l’immobilismo, posti di fronte al fermento e al continuo divenire. Un’opera come La nascita della tragedia , uno dei libri più letti alla svolta del secolo, contribuirà a riprodurre e consolidare, nell’opposizione apollineo-dionisiaco, il dualismo tra una civiltà occidentale logora, al tramonto in senso geografico e costitutivo, e un mondo orientale ciclico-tragico, prossimo all’origine, sede di energie vitali, luogo dell’ispirazione e dell’entusiasmo 13 . Sotto questa luce orientale, quindi, 13 Il connubio tra spiritualità, misticismo e oriente, del resto, ha in Germania una lunga tradizione, dallo studio di Friedrich Schlegel, su base scientifica, Sulla lingua e la sapienza degli Indiani ( Über die Sprache und Weisheit der Indier ) passando per il Divano occidentale-orientale ( West-östlicher Divan ) di Goethe fino a Schopenhauer e Nietzsche, soprattutto il Nietzsche della Nascita della tragedia , e agli scritti filosofici di Gustav Theodor Fechner [ Zend-Avesta oder über die Dinge des Himmels und des Jenseits. Vom Standpunkt der Naturbetrachtung ( Zend-Avesta, o delle cose del cielo e dell’aldilà, dal punto di vista dell’osservazione naturale ]. Durante gli anni di Weimar, questo stereotipo di un Oriente incorrotto, a contrasto con un Occidente vicino al punto di rottura, viene trasmesso da autori diversi come Hermann Hesse e Oswald Spengler fino a toccare, al punto estremo dell’arco weimariano, la composizione dei primi due volumi - Le storie di Giacobbe ( Die Geschichten Jaakobs ) e Il giovane Giuseppe ( Der junge Joseph ) - dell’imponente tetralogia biblica di Thomas Mann Giuseppe e i suoi fratelli . Va anche ricordata l’opera di studio e divulgazione del pensiero induista da parte di Paul Deussen, amico stretto di Nietzsche, 162 Massimiliano De Villa anche l’ Ostjudentum assumerà un ulteriore connotato positivo 14 . Dalle parole del giornalista Fabius Schach, vicino al sionismo già dai suoi albori, emerge chiaramente come spesso, in questi anni, nella contrapposizione tra est e ovest, e in quella ancora più generica tra dionisiaco e apollineo, si rifletta, tutta intera, la dialettica tra Ostjudentum e Westjudentum. Ost und West — welch’ gewaltige Gegensätze! Hier eine wilde Welt voll Stürme und Kämpfe, ein brausendes und wogendes Meer; dort ein abgetönter Frieden, eine in ruhiger Bahn dahinströmende Flut. Hier Riffe und Klüfte, Felsen und Schluchten, eine ewig gährende Natur mit den urwüchsigen Leidenschaften einer unbändigen Kraft. Dort eine abgeklärte, ruhige Lebensanschauung, eine in glattem Geleise sich langsam entwickelnde Natur. […] Im Osten ist alles schroff, wild, kühn, ausgeprägt individuell. Alles ist hier sprunghaft, ohne stufenweise Entwickelung, ohne harmonische Abrundung […] Alles ist am osteuropäischen Juden vibrierendes Leben, alles atmet Temperament und Wärme, alles aber auch ist nervös und im Stadium der Ekstase […] Es ist eine rätselhafte Welt, eine alte, sich ewig verjüngende, eine Gärung ohne Ende. Unter dem Eise lodert die Glut des Orientalen […] Es ist ein ewiges Werden, etwas Unausgereiftes, Unfertiges, und in der Brust lebt noch der Urmensch, das Kind, das empfängliche, begeisterte, allen Wandlungen sich anpassende Kind […] Im Westen erscheint uns das jüdische Kultur- und Geistesleben abgeklärter, harmonischer, aber - auch matter. Die Zustände sind hier konstanter, man findet hier mehr Ruhepunkte, aber es ist oft die Ruhe des Todes […] Das eigentliche pulsierende Leben ist hier nicht mehr zu entdecken, es fliesst alles aus zweiter Quelle, verdünnt, destilliert, verzuckert. Alles Jüdische hat hier bereits ein geborgtes oder gekauftes fremdes Gewand angenommen. Im Osten ist die jüdische Volksseele in ihrer Urkraft. Sie lacht mit echt jüdischem Sarkasmus, sie weint heisse orientalische Tränen, sie donnert im Zorn und zerfliesst in der Liebe. Im Westen […] ist die Freude […] gedämpft, das Leid geschwächt. Die Gefühle wirken eben nicht mehr unmittelbar, sie sind durch den Intellekt gegangen, editore e commentatore degli scritti fondamentali dell’induismo, dai Veda alle Upanishad , alla Bhagavadgītā , nonché teorico di un’armonia filosofica tra il sistema dell’ Advaita-Vedanta e la metafisica occidentale. 14 Si veda, su questo tema, l’autorevole saggio di Gert Mattenklott: Ostjudentum und Exotismus, in: Thomas Koebner/ Gerhart Pickerodt (Hg.): Die andere Welt. Studien zum Exotismus, Frankfurt a. M. 1987, pp. 295-296 e il capitolo: Fin de Siècle Orientalism, The Ostjuden, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Paul Mendes-Flohr: Divided Passions. Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, pp. 77-132. Sulla percezione, oscillante tra realtà e mito, degli Ostjuden in Germania si veda anche Steven E. Aschheim: Brothers and Strangers. The East European Jew in German and German Jewish Consciousness, 1800-1923, Madison 1982. Sui viaggi degli ebrei occidentali alla scoperta dei loro ‘fratelli d’oriente’ si veda anche Claudia Sonino: Esilio, diaspora, terra promessa - Ebrei tedeschi verso est, Milano 1998 (Edizione tedesca: Exil, Diaspora Gelobtes Land? Deutsche Juden blicken nach Osten, Berlin 2002). Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 163 sie sind bereits korrigiert und philiströs zugestutzt worden. Eigentlich macht alles jüdische Leben im Westen einen senilen Eindruck, es ist etwas Epigonenhaftes, der Lebensfluss ist unterbunden. Alles ist hier modern gefärbt […] aber die Frische fehlt. Im Osten hat die jüdische Seele eine Heimat, eine enge, düstere, schmerzensreiche, aber doch eine Heimat, in die sie mit ihrer Individualität hineinpasst. Im Westen führt die jüdische Seele ein heimatloses, flatterndes Dasein, ohne individuellen Halt. Daher kann hier keine Poesie, keine Kraft gedeihen. […] Der Osten hat einen Schatz von Wärme, Kraft und Leidenschaft. Er kann auf den Westen erfrischend und verjüngend wirken. 15 L’oriente di Martin Buber Le prime raccolte chassidiche di Martin Buber, il Nachman del 1906 16 e il Baalschem del 1908 17 , si definiscono nella medesima prospettiva. Nella sua trasposizione tedesca, stilizzata e idiosincratica, delle storie dei chassidim , Buber ritiene che non esista, nell’intera storia dell’ebraismo fino ai suoi giorni, manifestazione più genuina dell’anima popolare, della Volksseele ebraica, forma spirituale dove meglio si esprima la creatività degli ebrei. Ed è al chassidismo, figlio dell’Oriente, che gli ebrei contemporanei, figli dell’Occidente, dovranno guardare se vorranno trovare una via d’uscita dalla crisi e ridisegnare un’identità ebraica oltre l’assimilazione. Il chassidismo è, per Buber, così evidentemente figlio dell’Oriente che in Die jüdische Mystik , il saggio introduttivo al Nachman , la mistica ebraica è posta accanto alle Upanishad e a Lao-zi 18 e ancora nella famosa raccolta del 1909, pubblicata per il prestigioso editore Eugen Diederichs di Jena, Ekstatische Konfessionen 19 , la mistica chassidica è avvicinata al sufismo, alla leggenda buddista, al monachesimo greco ed egiziano e alla mistica cinese. Più ancora che nello stile privo di asperità, nell’andamento lineare e nell’eleganza della prosa buberiana, il filtro estetico è dunque all’opera proprio là dove il chassidismo viene rifratto attraverso il prisma della sensibilità neoromantica e orientaleggiante. 15 Fabius Schach: Ost und West, in: Ost und West 9 (1903), colonne 577-588. 16 Die Geschichten des Rabbi Nachman, ihm nacherzählt von Martin Buber, Frankfurt a. M. 1906. 17 Die Legende des Baalschem, Frankfurt a. M. 1908. 18 Martin Buber: Die jüdische Mystik, in: Mythos und Mystik. Frühe religionswissenschaftliche Schriften, hg., eingeleitet und kommentiert von David Groiser, Gütersloh 2013, pp. 114-123, qui p. 114. 19 Ekstatische Konfessionen. Gesammelt von Martin Buber, Jena 1909 [trad. It. Di Cinzia Romani: Confessioni estatiche, Milano 1987]. In edizione critica, i testi sono contenuti in: Ekstatische Konfessionen, hg. v. David Groiser, in: Buber: Martin Buber Werkausgabe, Bd. 2.2, Gütersloh 2012. 164 Massimiliano De Villa In certi casi addirittura, sempre in riferimento all’isotopia orientale, sarà l’intero ebraismo, riportato ai suoi primordi biblici e dunque asiatici, a essere contrapposto - nel suo insieme, senza più diversità tra ovest e est - alle civiltà occidentali. L’ebraismo sarà così visto interamente come fatto orientale e, in quanto tale, contrapposto alla mentalità europea. I sionisti che andranno in questo senso, faranno riferimento a una costituzione essenziale e potranno, così, astrarsi dall’Europa e mettere a fuoco un ebraismo originario, atavico, centrato sulla Bibbia e non sul Talmud , sulla lingua dei padri e non sullo yiddish . Questo modo di ragionare appartiene anche a Buber e traspare già nel suo secondo discorso praghese del 1910, Das Judentum und die Menschheit , tenuto il 3 aprile 1910 presso lo Jüdisches Rathaus di Praga. 20 Più che presso altri popoli, sostiene Buber durante l’allocuzione, nell’ebraismo sono presenti - in sommo grado, con una radicalità sconosciuta altrove - l’esperienza del dissidio e la conseguente tensione verso l’unità. E questa aspirazione originaria non nasce in Occidente, ma discende dalla Urheimat-Asien : Denn das ist der Urprozeß des Juden, der Urprozeß, den die großen Juden, in denen das tiefste Judentum lebendig wurde, an ihrem persönlichen Leben mit der ganzen Gewalt asiatischer Genialität zur Erscheinung gebracht haben: das Einswerden der Seele. Das große Asien lebte sich in ihnen dem Okzident vor, das Asien der Schrankenlosigkeit und der heiligen Einheit, das Asien Laotses und Buddhas, welches das Asien des Moses und der Jesaiasse, des Johannes, des Jesus und des Paulus ist . 21 Nella terza Rede praghese, Die Erneuerung des Judentums 22 - sempre del 1910 ma successiva di qualche mese alla precedente 23 - ragionando sull’idea d’azione, Buber parla della disposizione più motoria che sensoria dell’animo ebraico, della tendenza dell’ebreo all’azione più che alla percezione. Sono categorie etnopsicologiche, mutuate dalla Völkerpsychologie , un discorso che corre in Ger- 20 Una prima versione del discorso è pubblicata sullo Jüdischer Almanach 5670, Vereinigung Bar Kochba, Wien 1910, pp. 9-15, con titolo diverso (Der Jude und sein Werk ). Poi, ampiamente rimaneggiato, il discorso converge nelle raccolte Drei Reden über das Judentum (Frankfurt a. M. 1911) e Reden über das Judentum (Frankfurt a. M. 1923). Successivamente in edizione moderna in Martin Buber: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, mit einer Einleitung von Robert Weltsch, 2., durchgesehene und um ein Register erweiterte Ausgabe, Gerlingen 1993, pp. 18-27 e in: Frühe jüdische Schriften 1900-1922, hg., eingeleitet und kommentiert von Barbara Schäfer, in: Buber: Martin Buber Werkausgabe, Bd. 3, Gütersloh 2007, pp. 227-238. 21 Martin Buber: Das Judentum und die Menschheit, in Id.: Frühe jüdische Schriften 1900- 1922, p. 233. 22 La prima pubblicazione del discorso avviene in: Drei Reden über das Judentum, poi in: Reden über das Judentum, poi in: Der Jude und sein Judentum, pp. 27-44 e in: Frühe jüdische Schriften 1900-1922, pp. 238-256 . 23 Buber tiene il terzo discorso a Praga la mattina del 18 dicembre 1910. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 165 mania, poi nel resto d’Europa, già dalla metà dell’Ottocento e che a ciascun popolo attribuisce una diversa fisionomia etnica, una costituzione psicofisica differente dalle altre. Buber aveva fatto ricorso a questo pensiero categoriale nel già citato saggio Die jüdische Mystik , introduttivo al Nachman. 24 L’inclinazione motoria ricondurrebbe dunque, per Buber, gli ebrei alla loro radice orientale, estraniandoli all’Occidente. 25 Un altro discorso fondamentale, che delinea il rapporto dell’ebraismo con l’Oriente, è Der Geist des Orients und das Judentum , tenuto a Berlino il 10 marzo 1915 con il titolo originario Die Juden als Volk des Orients. 26 Qui Buber pone la natura orientale degli ebrei ad assioma, recuperando ancora argomentazioni tratte dalla Völkerpsychologie . Il discorso riprende la distinzione categoriale tra ‘motorio’ e ‘sensorio’ e attribuisce, ancora una volta, il carattere motorio agli orientali, il sensorio agli occidentali. Mentre all’uomo occidentale il mondo si dà come entità oggettiva ed esterna, i sensi sono separati ed è la vista a predominare, con il suo distacco dalla cosa percepita, gli ebrei, e tutto l’oriente con loro, sono lontani dall’episteme platonica, alieni al mondo come immagine di un’idea lontana, staccata, “die von je ruhenden Ideen”. 27 A loro corrisponde, di contro, il tipo motorio che, con sensi non divisi, coglie i fenomeni nel loro scorrere. Per il greco il mondo è, per l’ebreo diviene. Questo Urwesen orientale crea un orizzonte di riconoscimento che, come sempre, Buber estende anche al cristianesimo extrapaolino e che anche sul piano letterario disegna una rete di corrispondenze tra la Bibbia ebraica, l’ Avesta , i Veda , le iscrizioni delle piramidi, il Gilgamesh , il canone taoista. Pur nella loro vicenda di allontanamento dall’origine verso tutte le direzioni, gli ebrei recano in sé il segno dell’oriente. E questo segno è, per Buber, un fatto innegabile: Und doch besteht dieser Grund, besteht unerschüttert fort. Dieser Grund ist die Seele des Juden selbst. Denn der Jude ist Orientale geblieben. Er ist aus seinem Lande getrie- 24 “Die mystische Anlage ist den Juden von Urzeiten her eigen”, Martin Buber: Die jüdische Mystik, in: Id.: Mythos und Mystik, p. 114. 25 “Die zweite Idee des Judentums ist die der Tat. Sie ist im Volkscharakter darin begründet, daß der Jude mehr motorisch als sensorisch veranlagt ist: sein Bewegungssystem arbeitet intensiver als sein Sinnensystem”. Martin Buber: Die Erneuerung des Judentums, in Id.: Frühe jüdische Schriften 1900-1922, p. 246. 26 Il discorso, entro un ciclo di quattro conferenze sull’Oriente organizzate dal Kartell Jüdischer Verbindungen in favore della Mezzaluna Rossa e svoltesi al Parlamento regionale prussiano, è pubblicato in prima sede su: Der Neue Merkur. Monatsschrift für geistiges Leben 3 (1915), pp. 353-357. Poi, con titolo mutato in Der Geist des Orients und das Judentum , apparirà nella raccolta: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte von Martin Buber, Leipzig 1916. Successivamente in Buber: Der Jude und sein Judentum, pp. 45-63 e, nell’edizione critica di riferimento, in Buber: Mythos und Mystik, pp. 187-203. 27 Martin Buber: Mythos und Mystik, p. 189. 166 Massimiliano De Villa ben und über die Länder des Abendlands geworfen worden; er hat unter einem Himmel wohnen müssen, den er nicht kannte, und auf einem Boden, den er nicht bebaute; er hat das Martyrium erduldet und, was schlimmer ist als Martyrium, das Leben in der Erniedrigung; die Sitten der Völker, bei denen er wohnte, haben ihn angerührt, und er hat die Sprachen der Völker gesprochen; und in alledem ist er Orientale geblieben . 28 L’aprirsi della prima guerra muta la visione dell’ Ostjudentum . Nelle trincee della Polonia occupata, si misura la tenuta dell’immagine degli Ostjuden che circolava prima del conflitto. Con l’avanzare delle truppe tedesche in Europa, il mito cede il passo a una realtà più prosaica: i soldati prussiani e austriaci si trovano, senza filtro letterario, di faccia alla povertà dei ghetti, a masse di ebrei in condizioni spesso disperate. Dall’incontro con l’ Ostjudentum reale, nasce Der Jude , la rivista di Martin Buber che alla Ostjudenfrage dedicherà moltissimi articoli a partire dal primo numero, nell’aprile del 1916 e fino alla chiusura nel 1923. Pur vicina al sionismo culturale, la rivista non sarà giornale di partito né organo di propaganda, ma definirà una piattaforma di discussione, un luogo qualificato per il dibattito intellettuale sulle problematiche dell’ebraismo, dove - insieme a molte altre questioni - si svolgerà un’attenta analisi della situazione economica e politica degli Ostjuden . Attraverso reportage e resoconti personali, lo Jude è forse il principale luogo di discussione sulla realtà ostjüdisch . Ma su queste colonne, siamo già fuori dal mito e dentro la cronaca, fuori dall’ideale e dentro la realtà, la statistica, la circostanza, l’evento. 29 Nel perimetro di questa orientalizzazione dell’ebreo, tuttavia, ciò che risalta è proprio l’assenza di concretezza, un’inquadratura costantemente fuori fuoco sul concetto di ‘orientale’. Il ‘carattere orientale’ è vago e indeterminato, ma a chi lo diffonde non importa. Per il Buber della prima maniera chassidica e dei discorsi di Praga e Berlino, 30 come per altri scrittori ebraico-tedeschi nello stesso giro 28 Martin Buber: Der Geist des Orients und das Judentum, in: Buber: Mythos und Mystik, p. 201. 29 Su Der Jude è di utilissima consultazione l’accurata monografia di Eleonore Lappin: Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, New York/ Tübingen 2000. 30 Con il lavoro allo Jude e l’aprirsi della filosofia dialogica si smorzeranno le fiammate orientali della prima stagione buberiana. Anche il quarantennale lavoro successivo al corpus chassidicum assumerà altri connotati, con una lingua meno fiorita, un tono trattenuto, le linee dell’esposizione più secche, un dettato che asciuga la prima prosa erlebnismystisch . Anche il concetto di Oriente non dividerà più nulla con il brillante smalto orientale degli anni Zero e Dieci. Dopo i toni esaltati dei suoi numerosi scritti cultursionisti fino al 1916, con la Dichiarazione Balfour e l’ondata di entusiasmo entro il sionismo mondiale, Buber sembra entrare in una fase di profondo ripensamento di tutta la sua opera di intellettuale e politico. Già in scritti del 1917 e degli anni immediatamente seguenti scandisce che Sion è ormai divenuto un ‘fattore politico’ (Ein politischer Faktor, in: Der Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 167 Jude, 5-6[1917], pp. 289-291), mette in guardia il movimento dal cadere nella trappola del complesso gioco che le grandi potenze conducono dopo la fine della guerra, il crollo degli imperi, Versailles e le nuove mappe della colonizzazione. È il 1921 l’anno decisivo della riconfigurazione del pensiero di Buber: a Karlsbad, in Boemia, si tiene il primo Congresso sionista dopo la fine della guerra, forse il Congresso più importante di tutta la storia del sionismo. In quella sede Buber - che come nessun altro era stato la voce del sionismo culturale dal 1901 in avanti e che però, dalle colonne dello Jude , aveva iniziato, da qualche anno, a mettere in guardia da un nazionalismo uguale a quello dei popoli occidentali e colonialisti, reclamando per l’ebraismo, proprio in virtù della sua storia, un nazionalismo diverso [“il nostro nazionalismo”, si veda: Unser Nationalismus, in: Der Jude, 1-2(1917), pp. 1-3], radicato nella propria identità culturale ma rispettoso dell’altrui senso della nazione - si ritrova a Karlsbad totalmente emarginato, addirittura messo a tacere, circondato da una generazione di giovani sionisti aggressivi, ultra-nazionalisti, che avevano letto la Dichiarazione Balfour come un lasciapassare senza clausole per l’insediamento ebraico in terra d’Israele, senza limitazioni, senza tener conto dei diritti delle popolazioni arabe in Palestina. I suoi moniti - soprattutto l’insistenza sulla questione araba - restano inascoltati, mentre da Karlsbad escono squillanti promesse per uno Stato degli ebrei nella terra dei padri. Occorre poi ricordare che a Karlsbad, oltre a personalità equilibrate come Chaim Weizmann, è presente, con grande seguito, l’estremista di destra, revisionista e legionario Vladimir Jabotinskij. A Karlsbad, dove aveva profuso tutta la forza del suo pensiero dialogico, finisce per Buber l’appartenenza reale al movimento sionista. Il vero contatto con l’Oriente da parte di Buber avverrà poi più tardi, quando insieme alla famiglia, in fuga dalla Germania, salperà sulla nave Esperia per la Palestina, sbarcando ad Haifa il 24 marzo 1938, per poi stabilirsi definitivamente a Gerusalemme. Da lì in avanti, il suo lavoro intellettuale si orienterà su altre categorie pedagogiche, filosofiche, sociali e politiche, lontane il più possibile dal mito neoromantico e orientale e quanto più prossime alla realtà, in aperto confronto con le istanze del tempo. La sua integrazione entro la comunità tedesca di Gerusalemme (che ruota soprattutto intorno all’Università Ebraica sul Monte Scopus e alla Biblioteca Ebraica diretta da Gershom Scholem) è tutt’altro che semplice e felice: si può anzi affermare che Buber, nonostante la sua enorme popolarità e la sua autorità indiscussa, resterà per sempre un corpo estraneo alla comunità palestinese di lingua tedesca, tutta protesa, fin dal 1917, ad affermare il suo diritto al possesso di una Heimstätte (“home” aveva scritto Lord Balfour nella sua dichiarazione) in Palestina. Fin dal suo arrivo in Palestina, Buber si batterà per una convivenza pacifica fra arabi ed ebrei. Nei disordini di fine anni Trenta cercherà di mediare fra le istanze contrapposte, guadagnandosi l’ostilità della ‘sua’ parte politica. Ma il peggio verrà dopo il 1945, quando la migrazione ebraica in Palestina sarà gravata dal lutto degli ebrei d’Europa. Buber seguirà con apprensione e allarme la storia palestinese che, fra il 1946 e il 1947, brucerà tutte le tappe verso la fondazione dello Stato d’Israele, e le posizioni della politica internazionale, in primo luogo l’atteggiamento della Società delle Nazioni. È proprio dinanzi a questo consesso, e all’Alta Commissione per la questione palestinese, che, insieme a Jehudah Magnes, Buber presenterà nel 1947 un importantissimo documento in cui si propone la fondazione di uno Stato binazionale, dove arabi ed ebrei abbiano gli stessi diritti e gli stessi doveri (Arab-Jewish Unity - Testimony before the Anglo-American Inquiry Commission for the Ihud Association , London 1947, pp. 44-48). Che la storia, a partire dal maggio 1948, sia andata diversamente da come Buber e altri (non molti) pensatori avrebbero immaginato e sperato, è questione - una delle più gravi - del nostro presente. Per il lungo tragitto buberiano nella scrittura chassidica, con tutte le sue stazioni e le sue 168 Massimiliano De Villa d’anni, 31 l’ebreo orientale non è figura storica specifica, ma simbolo. Un simbolo che si pone contro lo stereotipo, uguale e contrario, dell’ebreo assimilato, a formare una controproposta culturale distesa su uno spettro ampio e variegato, che va dal guerriero della Bibbia al maestro talmudico. 32 Figure diverse, ma accomunate da un’unica linea: la loro riconoscibilità, esteriore e interiore, come ebrei autentici . L’ autenticità , esibita a marchio distintivo, è dunque il tratto che più risalta, la parola che apre sulla corretta lettura, in Buber e nella sua prossimità kulturzionistisch , della confluenza tra ebraismo, sionismo, rinascita della creatività e oriente. E, si capisce, l’ Orient e il Morgenland , per gli autori dell’epoca, non definiscono certo una regione geografica, delimitata da chiari confini. Piuttosto un’idea, nata nelle teste occidentali. Non si deve del resto pensare, almeno fino all’avvio dello Jude e dei Neue Jüdische Monatshefte , 33 che l’immagine letteraria dello Ostjudentum riflettesse un particolare trasporto da parte degli scrittori ebraico-tedeschi verso i veri Ostjuden di Polonia o di Lituania. Si potrebbe anzi probabilmente affermare il contrario esatto, data la trasfigurazione, letteraria e artistica, che investe l’ Ostjudentum nei primi vent’anni del Novecento: ciò che importa, in fondo, non sono gli Ebrei dell’Europa orientale, sono gli Ebrei orientali tout court . Non gli Ostjuden , ma gli orientalische Juden , figure che in quanto tali non esistono, perlomeno non per come vengono rappresentate. Gli svolte, si vedano gli esaustivi saggi di Andreina Lavagetto in Buber: Storie e leggende chassidiche. Oltre a questi, Martin Buber: Una terra e due popoli. Sulla questione ebraico-araba, testi scelti e introdotti da Paul Mendes-Flohr, ed. italiana a cura di Irene Kajon/ Paolo Piccolella, Firenze 2008. 31 Valga a esempio, su molti, il nome di Jakob Wassermann che, già a partire dal romanzo Die Juden von Zirndorf , coevo dello Judenstaat di Herzl, rilancia il motivo dell’ebraismo come costellazione orientale. Nello scritto Der Jude als Orientale , per il volume collettivo Vom Judentum patrocinato dal praghese ‘Verein Bar Kochba’ nel 1913 - Jakob Wassermann descrive, a contrasto con l’apostasia spirituale e lo sradicamento degli ebrei occidentali, l’ebreo orientale come “Der orientalische Jude [ist] seiner selbst sicher, ist der Welt und der Menschheit sicher […]. Er ist frei und jene sind Knechte. Er ist wahr, und jene lügen. Er kennt seine Quellen, er wohnt bei den Müttern, er ruht und schafft, jene sind die ewig wandernden Unwandelbaren”, in: Jakob Wasserman: Deutscher und Jude: Reden und Schriften, 1904-1933, hg. v. Dierk Rodewald, Heidelberg 1984, p. 31. 32 L’ebraismo rabbinico è al centro, per esempio, del romanzo Das Weib des Akiba di Moritz Heimann (Berlin 1922). Ciò non vale per Martin Buber, per il quale l’idealizzazione dell’ebreo orientale non include i maestri del Talmud . Nei primi scritti sul Rinascimento ebraico e fin dentro i discorsi di Praga, infatti, la giurisprudenza ebraica, il talmudismo e la sterilità della dialettica rabbinica rappresentano la cifra della degenerazione esilica, una Scolastica ebraica che soffoca la creatività nelle volute di un’esegesi infinitamente sottile. 33 I Neue Jüdische Monatshefte - originariamente intitolati, nell’intento dei fondatori, Ostjüdische Revue - è espressione del Komitee für den Osten (KfdO), a conduzione mista, sionista e liberale. Insieme a Der Jude , la rivista pone la Ostjudenfrage al centro della sua azione pubblicistica. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 169 ebrei orientali, nel loro riflesso letterario, sono una finzione, ma incarnano l’autenticità, un ideale da contrapporre all’esangue assimilazione ebraica. L’oriente di Else Lasker-Schüler La contrapposizione tra ebrei tedeschi assimilati e autentici ebrei orientali si ravvisa distintamente anche nell’opera di Else Lasker-Schüler che nei confronti dei cosiddetti Mauscheljuden - gli ebrei ashkenaziti dell’emisfero westjüdisch come pure di quello ostjüdisch - e del loro Gemauschel , il loro riconoscibile e connotato farfugliare, prova una reale avversione, che esprime già per lettera a Buber nel 1913. 34 Ai suoi occhi, i Mauscheljuden rappresentano una distorsione nel tronco schietto dell’ebraismo orientale. Per Else Lasker-Schüler, infatti, l’Oriente è Oriente. Nessun termine medio è ammesso nella sua definizione, nessuna confusione possibile con la Polonia, la Galizia, l’Ucraina, la Bielorussia, la Lituania. L’Oriente è una terra leggendaria e favolosa, un labirinto, punteggiato di bozzetti da esotismo fin de siècle , sul quale svolgere, con azzardo avventuroso, incursioni e cavalcate folli, viaggi visionari che risentono delle istanze di creatività ebraica risorgente, diffuse dal sionismo culturale e, non meno, delle atmosfere della bohème berlinese, dove nietzscheanesimi e spiritualismi, mistiche di varia natura, critiche al moderno e socialismi convivono sotto il grande ombrello della décadence . L’Oriente di Lasker-Schüler è Egitto e Baghdad insieme, sono le lontananze indistinte di un altrove che è teatro di molte figurazioni simboliche, in una girandola di pre-esistenze e di maschere, di identità plurime con le quali Lasker-Schüler gioca e che rilancia continuamente, da Tino principessa di Baghdad - figura-guida e alter ego della poetessa, la cui prima apparizione è nel Peter-Hille-Buch del 1906 35 e cui sono dedicate le fantasie orientali Die Nächte Tino von Bagdads dell’anno seguente 36 - fino al principe di Tebe Jussuf, vero e proprio eteronimo della poetessa. 37 34 Si veda infra . 35 Cfr.: Else Lasker-Schüler: Das Peter Hille-Buch, Stuttgart/ Berlin 1906, poi in: Ead.: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar, hg. von Norbert Oellers/ Heinz Rölleke/ Itta Shedletzky, Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, bearbeitet von Ricarda Dick, Frankfurt a. M. 1998, pp. 27- 66. Tolte le Hebräische Balladen , delle opere di Else Lasker-Schüler, si indicano solamente la prima edizione e l’edizione critica. 36 Else Lasker-Schüler: Die Nächte Tino von Bagdads. Gedichte und Novellen, Stuttgart/ Berlin 1907, poi in: Ead.: Werke und Briefe, Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, pp. 67-97. 37 La firma che spesso accompagna lettere e componimenti di Else Lasker-Schüler è ‘Jussuf, Prinz von Theben’. Lo stesso regnante di Tebe è protagonista del romanzo epistolare del 1913 Der Malik (Else Lasker-Schüler: Der Malik. Eine Kaisergeschichte, mit Bildern und Zeichnungen von der Else Lasker-Schüler, Berlin 1919, poi in: Lasker-Schüler: Werke 170 Massimiliano De Villa Else Lasker-Schüler inventa per sé una vera e propria biografia orientale: “Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.” 38 Per Else Lasker-Schüler si può, dunque, parlare di un vero e proprio ‘complesso orientale’: 39 emerge, da tutte le opere citate, un Oriente mitico, oleografico, che sembra incastonato sugli scenari delle Mille e una notte - il titolo Die Nächte Tino von Bagdads ne è esplicito richiamo - e che viene evocato sotto gli occhi dell’occidente, risentendo dell’estetizzazione e di tutta l’idealizzazione fin de siècle . Un luogo del mistero e dell’incanto, largamente incognito, costruito su una topografia favolosa che include il Cairo, la Baghdad persiana e poi ottomana, Costantinopoli, Tebe, i Balcani, entro uno stesso orizzonte omologante dove incrociano la cultura arabo-islamica, turco-ottomana ed ebraica e dove si danno convegno tutte le facce dell’esotismo, verso le quali l’occidente della fine secolo getta sguardi ammaliati: pascià, califfi, sceicchi, emiri, visir, sultani, fachiri, mogol, dervisci, eunuchi, chedivé , donne velate, odalische, bajadere, mentre l’azione si snoda tra regge, harem, bazar e oasi nel deserto. 40 Nessuna figura manca all’appello in questi capricci orientali di Else Lasker-Schüler, dove la scrittura si muove tra il calligrafico dell’arabesco e la cifratura ricamata del geroglifico. Per quanto riguarda l’ebraismo, dunque, Lasker-Schüler salta a piè pari lo Ostjudentum 41 e sempre alla rincorsa di un’autenticità orientale, stavolta però con und Briefe, Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, pp. 431-521), dove è scopertamente allusa la vicenda biblica di Giuseppe, su cui l’autrice getta un’ulteriore veste, possibilmente ancora più orientale, evidente già nel nome del protagonista. 38 La biografia, costruita su salti analogici che ne rivelano l’aggregazione simbolica, viene inviata da Else Lasker-Schüler a Kurt Pinthus per la famosa antologia di lirica espressionista Menschheitsdämmerung del 1919, in: Kurt Pinthus: Menschheitsdämmerung: ein Dokument des Expressionismus. Mit Biographien und Bibliographien neu herausgegeben, Berlin 1959, p. 350. 39 La precisa e accurata ricostruzione della poetica orientale di Else Lasker-Schüler si ritrova in: Valentina Di Rosa: Finzioni orientali. Identità e diaspora nella scrittura di Else Lasker-Schüler, Napoli 2002. 40 Per la definizione di questa isotopia orientale, si veda Wolfgang Reif: Zivilisationsflucht und literarische Wunschträume. Der exotische Roman im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1975. Inoltre, per una rassegna di tipi orientali nell’opera di Else Lasker-Schüler, si veda Di Rosa: Finzioni orientali, pp. 184-185. 41 Va tuttavia ricordato che Else Lasker-Schüler non mancherà di tributare considerazione e riconoscimento al chassidismo (per esempio in Der Wunderrabbiner von Barcellona, Berlin 1921, poi in: Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe , Bd. 4.1: Prosa 1921-1945 - Nachgelassene Schriften, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki/ Itta Shedletzky, Frankfurt a. M. 2001, pp. 7-17), come immagine della coralità di un sentimento comunitario in cui la poetessa intravvede una sopravvivenza dell’atmosfera biblica. Parimenti, lo Ostjudentum è oggetto, in Lasker-Schüler, di un’idealizzazione (neo)romantica e assume connotato Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 171 tinta giudaica, sceglie l’ebreo della Bibbia, torna ai primordi biblici per ritrovare, integro, il vigore di un popolo antico - incarnato dagli eroi dell’antico Israele, da Saul a Davide fino a Sansone e ai Maccabei - e una creatività intatta, originaria, selvaggia, non fiaccata dalle vicende diasporiche. L’avversione per gli ebrei della diaspora è chiara già in una lettera a Buber del 1913, dove Lasker-Schüler si ritrae, alla fine, in costume maccabaico, con una lancia, la stella ebraica e la falce di luna orientale sulla fronte. Un disegno eloquente, anche senza considerare le parole che lo precedono, chiarissime e piuttosto inquietanti: “ Ich hasse die Juden, 42 da ich David oder Joseph war - ich positivo soprattutto nella figura e nell’opera di Abraham Stenzel (1897-1983), i cui componimenti yiddish sono, per Lasker-Schüler, esempio tra i più alti di un’autentica poesia, nutrita di genuino spirito ebraico. Abraham Nahum Stenzl è ebreo polacco di famiglia chassidica e autore di una poesia yiddish dal timbro modernista ed espressionista. Dal 1921, sarà attivo frequentatore della bohème berlinese e in particolare del Romanisches Café , dove sarà spesso con Else Lasker-Schüler. Sul rapporto tra Stenzel e Lasker-Schüler, si veda Heather Valencia: Else Lasker-Schüler und Abraham Nochem Stenzel: eine unbekannte Freundschaft: mit jiddischen und deutschen Texten aus dem Elisabeth-Wöhler-Nachlass, Frankfurt a.M./ New York 1995 e Di Rosa: Finzioni orientali, pp. 240. s. Inoltre, sulla fascinazione di Else Lasker-Schüler per certi aspetti dello Ostjudentum , si veda la testimonianza di Sigmund von Radecki, in: Ernst Ginsberg (Hg.): Else Lasker-Schüler. Dichtungen und Dokumente. Gedichte, Prosa, Schauspiele, Briefe. Zeugnisse und Erinnerungen, München 1951, p. 580. 42 Il termine Juden è terminus technicus , parola che, nell’ottica cultursionista, designa gli ebrei della diaspora, a contrasto degli Hebräer dell’antico Israele, pieni di vitalità e di originario potere creativo. La dicotomia è già presente negli scritti di Micha Yosef Berdyczewski, il cui nietzscheanesimo ebraico potrebbe aver influenzato la poesia schüleriana, almeno nella prima stagione. Si veda Giuliano Baioni: Else Lasker-Schüler, in: Anna Chiarloni/ Ursula Isselstein (a c. di): Poesia tedesca del Novecento, Torino 1990, pp. 71-77, qui p. 72. Ma, come sottolinea Valentina Di Rosa (Finzioni orientali, p. 214 s.), non c’è evidenza, se non indiretta - Gerhard Wehr (in: Martin Buber. Leben, Werk, Wirkung, Zürich 1991, p. 122) parla di un loro incontro alla berlinese Donnerstags-Gesellschaft negli anni Dieci - di una conoscenza e di un contatto reciproco tra i due. Inoltre, pur senza voler forzare a vicinanza istanze culturali distanti, il termine Juden , così generico e sbrigativo nel sorvolare ogni distinzione interna all’ebraismo, ricorda anche la propaganda antisemita a cavallo tra Ottocento e Novecento, tutta protesa a una Pauschalverurteilung senza riguardo per le peculiarità e le distinte fisionomie dell’ebraismo europeo (si veda, a questo proposito, Uta Grossmann: Fremdheit im Leben und in der Prosa Else Lasker-Schülers, Hamburg 2011, p. 45). D’altro canto, anche l’argomento contrario - che non vede divergenza tra Else Lasker-Schüler e Martin Buber e nelle parole impulsive della prima al secondo legge un gesto iperbolico nei modi della stravaganza - ha trovato cittadinanza nella critica. Si veda, a questo proposito, Jonathan Skolnik: Jewish Pasts, German Fictions. History, Memory and Minority Culture in Germany, 1824-1955, Stanford 2014, p. 128. Skolnik intende la poetica di Else Lasker-Schüler in consonanza con l’istanza buberiana del Rinascimento ebraico, soprattutto per quanto riguarda la nuova immagine, connotata positivamente, dello Ostjude . Le parole contenute nella lettera a Buber sarebbero una provocazione da parte di Else Lasker-Schüler, da ricondurre all’ori- 172 Massimiliano De Villa hasse die Juden, weil sie meine Sprache mißachten, weil ihre Ohren verwachsen sind und sie nach Zwergerei horchen und Gemauschel. Sie fressen zu viel, sie sollten hungern […] Ihr Prinz von Theben […].” 43 Come si sa, il sostantivo Gemauschel e il verbo mauscheln significano inizialmente, in senso dispregiativo, il parlare tedesco con forte accento yiddish e poi, per traslato e sempre con accezione negativa, l’accento della borghesia ebraica assimilata in Europa occidentale. La propaganda del sionismo culturale - la celebrazione della rinnovata creatività ebraica che ha ispirato l’orientalizzazione dell’ebraismo in Buber anche in senso etnopsicologico, che attraversa gli scritti ‘orientali’ 44 di cui si è detto, e che diventa poi politica culturale - si radicalizza in Else Lasker-Schüler, nelle forme di una vera e propria immaginazione orientale, mitologia a tratti ludica e fantasmagorica, stravagante travestimento o addirittura Travestie . Diventa, in breve, la creazione di una propria identità letteraria e scenica. Sono frequenti infatti, in Lasker-Schüler, le mascherature ‘all’orientale’, con vistosi orecchini di vetro colorato, al collo e alle braccia collane, bracciali e ciondoli, ai piedi sandali con pesanti campanelli. Con questi costumi, che radunano tutti i luoghi ricorrenti della più sgargiante orientalità, darà pubblica lettura delle sue poesie, fra candelabri accesi, suonando una cornamusa e una scatola di latta, scossa ritmicamente per evocare le carovane del deserto. Nella declamazione dei suoi scritti, di ambientazione orientale, ostenta un presunto ‘siriano’, enfatizzando quei tratti di travestimento linguistico che mimano le sonorità delle lingue medio-orientali. Il risultato è una specie di esotico grammelot che pone le sue creazioni poetiche non molto distanti dai Lautgedichte e dai Klanggedichte del dadaismo. 45 Una lingua indistinta, gutturale e scura, che Else Lasker-Schüler definisce mystisches Asiatische , un suono ebbro ed estatico che, così dice, le è inscritto nel sangue. Questa Ursprache - racconta Lasker Schüler in linea con un asserito innatismo linguistico - sarebbe stata appresa naturalmente, affiorata in sogno e subito impiegata per scrivere versi. Di questa padronanza linguistica gine dello scambio: l’affermazione paradossale, da parte della stessa Lasker-Schüler, che Stefan George fosse ebreo. L’ipotesi è chiaramente una sfida al sionismo culturale buberiano, che Lasker-Schüler vede in connivenza con il conformismo borghese dell’ebraismo mitteleuropeo e, di conseguenza, in contrasto netto con il carattere passionale, spontaneo e ardente della poesia di Stefan George, più vicino, in questo senso, a quell’ebraismo selvaggio e pulsionale, predicato da Else Lasker-Schüler. 43 Alla lettera segue il disegno di una testa con una lancia, una stella e una mezzaluna sulla guancia, in: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, in 3 Bänden, hg. und eingeleitet von Grete Schaeder, in Beratung mit Ernst Simon und unter Mitwirkung von Rafael Buber, Margot Cohn und Gabriel Stern, Bd. I: 1897-1918, Heidelberg 1972, p. 354. La lettera non è datata, ma la risposta di Buber reca la data del 17 gennaio 1914. 44 Il riferimento è soprattutto a Der Geist des Orients und das Judentum , ma non solo. Si veda supra . 45 Non è un caso che i testi di Else Lasker-Schüler fossero più volte letti al Cabaret Voltaire. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 173 e delle sue pre-esistenze parlerà chiaramente in una lettera a Max Brod: “Ich spreche doch Syrisch. Ich bin doch mein halbes Leben in Asien gewesen, ich habe meine Dichtungen, die in Asien und in Afrika spielen, übersetzt ins Syrische […] Sie müßen nur hören wie Syrisch sich anhört herrlich, wie Vögel in der Wüste. Böser Gesang, süße Triller und dazwischen Sandsturm! Châ machâ lâaaoooo!!! ” 46 Il salto indietro fino all’antico Israele che, nell’immaginario omologante di Else Lasker-Schüler, vive sotto lo stesso cielo orientale di Baghdad e di Tebe, è evidente anche nelle famose auto-descrizioni, dove la poetessa ricostruisce di sé un’ascendenza schiettamente orientale: “Ich bin hier der einzige vorsintflutliche Jude noch; mein Skelett fand man neben einem versteinerten Ichtiosaurus und einem Skarabäus in einer Felsspalte vor, für die Nachwelt.” 47 O ancora: „Überall ruft mich ein Tropfen meines Blutes zurück […] ich, die Dichterin Arabiens, Prinzessin von Bagdad, Enkelin des Scheiks, ehemaliger Jussuf von Ägypten, Kornverweser und Liebling Pharaos.“ 48 I soggetti sono, dunque, gli ebrei d’epoca biblica, di cui Lasker-Schüler si sente consustanziale e che sono, nel suo immaginario romantico, figure dell’orgoglio, dell’eroismo, della ribellione, dell’audacia, della nobiltà d’animo. Figure che Lasker-Schüler pone al centro delle Hebräische Balladen , 49 dove compie una vera e propria esplorazione dell’universo biblico. 46 Lettera dell’8 aprile 1910, in: Briefe von Else Lasker-Schüler. Bd. II: Wo ist unser buntes Theben, hg. von Margarete Kupper, München 1969, p. 26 s. Un esempio di queste traduzioni è la versione “siriana” della lirica Weltflucht , pubblicata, in una prima versione, nella raccolta Styx del 1902 (Styx. Gedichte, Berlin 1902) e, nella versione accompagnata dalla traduzione in ‘asiatico’, all’interno dello scritto: Ich räume auf! Meine Anklage gegen meine Verleger, Zürich 1925, p. 13 (poi in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe . Bd. 4.1: Prosa 1921-1945 - Nachgelassene Schriften, pp. 47-85, qui p. 59: “Ich will in das Grenzenlose/ Zu mir zurück,/ Schon blüht die Herbstzeitlose - - / Vielleicht ist es zu spät - zurück/ Ob ich sterbe zwischen euch/ Die ihr mich erstickt mit euch./ Fäden möchte ich um mich ziehen/ Wirrwarr endend,/ Verwirrend,/ Zu entfliehen/ Meinwärts”; “Min salihihi wali kinahu/ Rahi hatiman/ fi is bahi lahu fassun -/ Min hagas assama anadir,/ Wakan liachad abtal, / Latina almu lijádina binassre./ Wa min tabi ihi/ Anahu jatelahu/ Wanu bilahum./ Assama ja saruh/ fi es supi bila uni/ El fidda alba hire/ Wa wisuri - elbanaff! ”). 47 Else Lasker-Schüler: Der Malik, in: Ead.: Werke und Briefe. Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, p. 442. 48 Else Lasker-Schüler: Briefe nach Norwegen, pubblicati originariamente a puntate, tra il 1911 e il 1912, sulla rivista Der Sturm , poi in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, pp. 177-261, qui p. 213. 49 Il ciclo poetico è in realtà una raccolta di poesie in gran parte già pubblicate su diversi periodici o in cicli precedenti: la prima edizione è del 1913, con quindici componimenti (solo due inediti) e dedica a Karl Kraus, la seconda - pubblicata appena dopo, tra il 1913 e il 1914 - raccoglie diciassette componimenti ed è la base delle edizioni critiche, anche di quella più recente dello Jüdischer Verlag. Le Hebräische Balladen sono poi ripubblicate fino al 1920, con l’aggiunta di altri tre componimenti, e una diversa successione delle 174 Massimiliano De Villa Già il titolo è programmatico: la ballata - da ascrivere, secondo la teoria aristotelica, al genere dell’epica, e che qualche anno prima aveva conosciuto un intenso revival in Germania 50 - è, secondo le teorie del romanticismo e del neoromanticismo, pura espressione popolare fin dal Medioevo, è distillato del Volksgeist . Scegliendo questo genere, in modo analogo, Else Lasker-Schüler cerca il legame con lo spirito popolare antico-ebraico, con le sue espressioni popolari, con la poesia biblica, dove il modello, mai celato, è il Cantico dei Cantici . D’altra parte, il concetto di ‘ballata’, legato alla Bibbia, richiama anche un altro genere di componimenti innodici sparsi nelle Scritture, come il canto di Miriam, 51 il cantico di Debora 52 e il cantico di Anna, 53 tra i più antichi esempi di poesia ebraica. La scelta dell’aggettivo hebräisch , anziché jüdisch , è eloquente: oltre a conferire una veste arcaicizzante alla sua poesia, è già programmaticamente un salto all’indietro: nelle cerchie del sionismo culturale - già a partire da Berdyczewski che, si è detto, conclama questa opposizione - il riferimento culturale e concettuale sono non gli Juden , gli ebrei diasporici, ma gli Hebräer , poesie. Si tratta, in breve, di una silloge di testi, quasi tutti già pubblicati in rivista, come spesso accade per le raccolte poetiche di Else Lasker-Schüler. Cfr.: Hebräische Balladen von Else Lasker-Schüler, Berlin-Wilmersdorf 1913, poi: Hebräische Balladen von Else Lasker-Schüler, zweite vermehrte Auflage, Berlin-Wilmersdorf 1914, poi in: Ead.: Werke und Briefe. Bd. 1.1 Gedichte, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki unter Mitarbeit von Norbert Oellers, Frankfurt a. M. 1996, pp. 155-168. Su temi e poetica delle Hebräische Balladen , esposti in ottima sintesi, si veda anche il capitolo La terra biblica , in: Di Rosa: Finzioni orientali, pp. 233-270. Delle Balladen , Di Rosa mette efficacemente in luce anche l’intelaiatura mistico-cabbalistica, ivi , pp. 250-256. 50 Nel 1896, a opera del barone Börries von Münchhausen, il periodico Göttinger Musenalmanach , già attivo dal 1770 al 1807, aveva infatti ripreso la pubblicazione, diventando il vivaio della ballata, tanto popolare quanto d’autore. Dall’anno della rifondazione fino al 1905, intorno al rinato Musenalmanach si riunisce un gruppo di cultori e imitatori, più o meno abili e più o meno noti, della ballata romantica, che affollano i primi volumi, a cadenza annuale, della rivista: Agnes Miegel, Levin Ludwig Schücking, Lulu von Strauß und Torney, Moritz Jahn. Più avanti, Hanns Johst, Bogislaw von Selchow, Manfred von Katte. 51 Esodo 15,20-21. Noto anche come ‘canto del mare’, è l’inno di esultanza che Miriam - per tradizione considerata profetessa e sorella di Mosè e di Aronne - innalza insieme alle figlie di Israele, trascinando le donne nella danza dopo che il popolo ebraico ha attraversato il Mar Rosso. 52 Giudici 5. Va ricordata qui l’associazione di Else Lasker-Schüler con la biblica Debora, proposta per la prima volta dall’amico e mentore Peter Hille, nel famoso ritratto pubblicato sulla rivista anarchica, vicina alla bohème berlinese, Der Kampf. Zeitschrift für gesunden Menschenverstand e che, di lì in avanti, verrà spesso posto a medaglione, talora anche un po’ abusato, per inquadrare la figura e l’opera della poetessa: “Else Lasker-Schüler ist die jüdische Dichterin. Von großem Wurf. Was Deborah! ”, in: Der Kampf (n. F.) 8 (1904), pp. 23-25. All’eulogia di Hille va ricondotta anche la celebre definizione di Else Lasker-Schüler come “Der schwarze Schwan Israels”, ibidem . 53 1 Samuele 2,1-11 . Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 175 gli ebrei pre-esilici, d’epoca biblica, dell’Israele patriarcale e poi monarchico. Di più, l’aggettivo hebräisch depone a favore della rinascita della lingua ebraica antica ( das Hebräische ), rinascita promossa da anni, prima dalla haskalah orientale - da Krochmal e Rapoport, solo per fare qualche nome 54 - poi dal sionismo dell’Europa orientale, soprattutto dagli scritti ebraici di Achad Ha’am, e dalla cosiddetta hebräische Kolonie di Berlino. 55 Per Else Lasker-Schüler, convinta di scrivere in ebraico solo celato sotto una sottile veste tedesca, 56 la scelta di questo aggettivo è dunque significativa. Protagonisti delle Hebräische Balladen sono gli ebrei d’epoca biblica, gli ‘ebrei selvaggi’, 57 protagonisti dei cicli patriarcali e delle epopee dell’Antico Testa- 54 Si veda la nota 3. 55 Centocinquant’anni dopo l’opera pionieristica dei meassefim , gli intellettuali della haskalah occidentale, Berlino torna a essere una delle capitali della rinascita dell’ebraico. Nel 1909, la città ospita una prima conferenza sulla lingua e la cultura ebraica, alla presenza di centocinquanta delegati: in risposta alla famosa conferenza di Czernowitz sullo yiddish dell’anno precedente, l’assemblea promuoverà con forza lo status dell’ebraico come lingua nazionale degli ebrei e risulterà nella fondazione della Histadrut la-safah wela tarbut ivrit (Unione per la lingua e la cultura ebraica). Già qualche anno prima, la capitale del Reich guglielmino era diventata ritrovo e residenza di un gruppo di scrittori in lingua ebraica, la cosiddetta ‘colonia ebraica’, formata da intellettuali in fuga dall’antisemitismo in Europa orientale. Il principale promotore dell’attività letteraria, editoriale e pubblicistica in lingua ebraica a Berlino è Saul (Shai Ish) Israel Hurwitz, che nel 1907 fonda la rivista ebraica He-Atid ed è fra i più attivi organizzatori della conferenza del 1909. Dalla conferenza in avanti, il numero degli scrittori in ebraico a Berlino aumenterà costantemente. Nel 1910, sempre a Berlino, verrà fondata la rivista Ha-Ivri , organo dell’associazione sionista-religiosa Misrachi . L’anno successivo, lo scrittore galiziano Micha Josef Berdyczewski si trasferirà a Berlino. Dopo che, nel 1911, la città diventa sede dell’Organizzazione mondiale del sionismo, il numero di scrittori in ebraico lì residenti aumenterà ancora e nel 1913, lo scrittore Shmuel Yosef Agnon, dopo cinquant’anni trascorsi a Giaffa, tornerà in Europa e si stabilirà prima a Berlino, poi a Bad Homburg, divenuta a sua volta, di lì a poco, residenza di molti scrittori ebrei. Ritrovi regolari dei rappresentanti della letteratura neoebraica a Berlino saranno l’associazione ebraica Bet ha-Waʻad ha-Ivri (Casa del Consiglio ebraico) - nel quartiere Scheunenviertel, già sede di un numeroso insediamento ostjüdisch - il Café Monopol e il Café des Westens . Dal 1921 - con l’arrivo di Chayim Nachman Bialik a Berlino, che darà grande impulso al sionismo culturale e agli ambienti degli ebraisti berlinesi - e durante gli anni di Weimar, la comunità degli scrittori in ebraico crebbe ulteriormente, anche grazie all’immigrazione di decine di migliaia di Ostjuden negli anni della prima guerra mondiale e in quelli appena successivi. Dal 1921 al 1924 - gli anni del soggiorno di Bialik in Germania - Berlino sarà, per eccellenza, il centro della cultura e della produzione letteraria in lingua ebraica. Sulla rinascenza della lingua ebraica a Berlino, si veda Brenner: Jüdische Kultur in der Weimarer Republik, pp. 215-230. 56 Si veda infra . 57 Come emerge dallo scritto Der Malik , Else Lasker-Schüler intende fondare una rivista con il titolo “Die wilden Juden” (“eine kunstpolitische Zeitschrift”), ispirata alla primordialità e al tratto originario del popolo ebraico, nei suoi eventi di inizio e di fondazione. Ne 176 Massimiliano De Villa mento, come Giacobbe, 58 Saul e Giosuè. Oggetto delle ballate è il mondo arcaico della Bibbia, caratterizzato dalla “libertà del deserto” e dall’“urlo degli sciacalli” 59 . Rispetto a questa radicalità, i tentativi di ripristinare una creatività autenticamente ebraica, compiuti dal sionismo culturale di Martin Buber, appaiono a Else Lasker-Schüler come un’operazione intellettualistica ed erudita, anche troppo cauta, troppo prudente. Una sofisticheria senza immediatezza. Agli occhi di Else Lasker-Schüler, l’azione culturale nelle cerchie del cultursionismo è mite, tenue, priva del carattere spontaneo, del ruggito primordiale delle sue ballate. Spoglia del loro tratto schiettamente orientale. La critica è visibile in filigrana, chiara nel suo indirizzo a Martin Buber, accusato di ‘intelligenza con il nemico’, di connivenza con l’ebraismo ricco, borghese e filisteo della Germania, ed è espressa, con parole nitide, per esempio in Der Malik : Diese vorsichtigen, leisen, gelehrten Hebräer erfüllen allerdings, wenn Ich, Ihr Melech, in Irsahab weile, die Mir zukommenden Zeremonien, aber der Wein ihrer Adern strömt Mir nicht entgegen, wie das kostbare Blut Meiner teueren Menschen aus Theben und Mareia. […] Mein Wort ertönt diesen verscheuchten Menschen wie Jägerruf […] Mit Kummer vernehmen die bebenden Leutchen das Rauschen der vielen Muscheln und Perlen um meinen Hals […] und gutmütig lispeln sie über die Sterne parla infatti in una lettera a Karl Kraus, che apostrofa “lieber, verehrter österreichischer Kardinal” chiedendone il sostegno. Tuttavia, l’intento fondativo rimarrà tale. Si veda Else Lasker-Schüler: Der Malik, siebenter Brief, in: Ead.: Werke und Briefe, Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, pp. 439-440. 58 Lo stesso Giacobbe è descritto nelle Hebräische Balladen con tratti taurini che ne sottolineano il vigore originario, l’antica e totemica ferinità: “Jakob war der Büffel seiner Herde./ Wenn er stampfte mit den Hufen/ Sprühte unter ihm die Erde”, in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 158. L’introduzione di Giuliano Baioni alla poetica di Else Lasker-Schüler, che precede le poesie tradotte nell’edizione italiana da lui curata è di una chiarezza abbagliante, in: Else Lasker-Schüler: Poesie, a c. di Giuliano Baioni, Milano 1963, pp. 9-35 (ristampa anastatica, con la medesima paginazione del volume d’origine, in: Giuliano Baioni: Il sublime e il nulla. Il nichilismo tedesco dal Settecento al Novecento, a c. di Maria Fancelli, introduzione di Claudio Magris, Roma 2006). Un’ulteriore versione italiana delle Hebräische Balladen è contenuta nel volume Else Lasker-Schüler: Ballate ebraiche e altre poesie, trad. it. di Maura Del Serra, Giuntina, Firenze 1985. 59 Le espressioni si ritrovano nei Briefe nach Norwegen , in un passo dove, ancora, Else Lasker-Schüler pone l’animo tiepido e fiacco degli ebrei occidentali a contrasto con il carattere dionisiaco e selvaggio degli ebrei d’epoca biblica: “Ihr kennt doch Chamay Pinsky, er ist mit Beate nach Jerusalem gezogen […]. Der Schelm! Er weiß ganz genau, zum gelobten Land gehören gelobte Leute. Und nicht jüdische Bourgeois, die von posener Berlin in das Land der Könige ziehen; ihre Frömmigkeit besteht aus bröckelnden Matzen, kräftigen Fleischbrühen. Vierzig Jahre lehrte Moses seinem Volk die Freiheit der Wüste und das Brüllen der Schakale, und das Gesetz vom göttlichen Angesicht lesen, bevor er sie durch das Tor Jerusalems führte”. Lasker-Schüler: Briefe nach Norwegen, p. 231. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 177 und Monde meiner Wangen. Mir sind die Leute unsympathisch ihrer unangenehmen Überlegenheit wegen. (Sie wissen außerdem nichts von Meinen Gedichten und Balladen) 60 . Le Hebräische Balladen , di contro, esibiscono un tratto vistosamente antico, israelitico e orientale, 61 rilanciando la stilizzazione ricercata, a tratti di maniera, che la poetessa fa di sé già a partire dalle Nächte Tino von Bagdads , come di una creatura nomade e irrequieta, estranea agli schemi dell’occidente. Mein Volk , componimento posto in apertura e a preludio della raccolta, mostra la lacerazione dell’appartenenza a un popolo e a una tradizione, un sentimento che vive insieme alla lontananza e alla solitudine, alla percezione di un’impossibile comunione con la stirpe originaria, cui comunque il soggetto poetico aspira con intensità. Già all’inizio del ciclo, la direzione di questa tensione verso l’origine è chiara: „Und immer, immer noch der Widerhall/ In mir,/ Wenn schauerlich gen Ost/ Das morsche Felsgebein/ Mein Volk zu Gott schreit.“ 62 Partendo dalla frattura e dall’avvertimento dell’estraneità, Else Lasker-Schüler elabora l’utopia biblica, saltando la personale esperienza dell’esilio, ponendosi a distanze siderali dai luoghi dell’assimilazione, dentro una rarefatta topografia orientale. Rarefatta e, insieme, artefatta. Le ballate sono istantanee su un mondo antico che è complanare e omologo alle fantastiche Baghdad e Tebe, dove l’umanità celebra la sua innocenza e l’infanzia del mondo e dove il registro oscilla tra il mistico e l’erotico. In questo mondo orientale vicino all’origine, del resto, anche l’erotismo è un Kinderspiel , una casta schermaglia tra amanti che sono anche compagni di gioco. Isacco e Ismaele, Esaù e Giacobbe, Davide e Gionata, Giuseppe e Faraone, Ruth e Boas, Salomone e la Sulamita sono le coppie minime di questa lontananza biblica, rappresentanti di una felicità fuori dal tempo. Un mondo agli albori che è teatro 60 La citazione è tratta dalle lettere indirizzate da Else Lasker-Schüler al pittore Franz Marc, pubblicate con il titolo Briefe und Bilder , a più riprese su diverse riviste. La serie di testi cui questo passo appartiene, è l’undicesima puntata dei Briefe und Bilder , apparsa con il titolo Der Malik . Briefe an den blauen Reiter Franz Marc sul quindicinale Der Brenner , poi in: Else Lasker-Schüler: Briefe und Bilder, in: Ead.: Werke und Briefe . Bd. 3.1: Prosa 1903- 1920, p. 326. 61 Il tratto si ravvisa bene, per esempio, nella scelta - dentro il passo citato sopra da Der Malik , posteriore ma partecipe della stessa temperie - di vocaboli ebraici che conferiscono una patina di arcaismo e profondità mitica all’atmosfera. 62 In: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 157. L’espressione “das morsche Felsgebein”, “il fradicio pietrame”, osserva Giuliano Baioni a commento della poesia, è “immagine del dolore dell’ebraismo tedesco che si è staccato da Geova e non è più illuminato dai ‘profeti e dai grandissimi re’. Il suo grido di invocazione è perciò ‘orribile’ perché è il grido di morte di un popolo che ha perduto la fede della propria infanzia e delle proprie origini”, in: Lasker-Schüler: Poesie, p. 149. 178 Massimiliano De Villa dell’incontro di Israele con il suo Dio, delle gesta gloriose dei re, dei profeti e degli eroi ebraici con cui Else Lasker-Schüler si identifica: “Ich bin David und tue Simsontaten”, scriverà in Sterndeuterei . 63 Nei versi delle Hebräische Balladen , le Scritture sono dunque rivisitate in chiave personale e fantastica, lontana anni luce dalla filologia biblica, con l’occhio attento a cogliere la felicità, la spensieratezza, l’aspetto ludico e fraternamente erotico di questi edenici fanciulli. Come in Abraham und Isaak , dove Abramo è intento a edificare una città “in der Landschaft Eden” 64 : una toponomastica che accosta Abramo all’Eden e che è già antonomasia orientale, se si ha in mente quanto è detto in Genesi 2,8. 65 Mentre Abramo costruisce, Isacco si diverte a giocare al sacrificio dei caproni, in un’inversione delle parti che trasporta la biblica legatura, 66 uno dei passi più problematici e misteriosi della Genesi , verso l’amenità di un mondo ancora in germoglio. O come quando, nel componimento Abel , più che al fratricidio, l’attenzione è volta alla letizia dipinta sul volto del fanciullo Abele, che ha gli occhi di usignolo. 67 Un’umanità pacificata, dove ogni contesa si trasforma in felice accordo e aurea armonia: ne è esempio Jakob und Esau , 68 dove il furto della primogenitura è risolto e assorbito nel gioco dei due fratelli in grembo all’ancella. Non solo i beati fanciulli di questa aurea aetas biblica compaiono, tuttavia, nelle Hebräische Balladen : ampio spazio è riservato anche agli antichi re e ai guerrieri con cui inizia la storia del regno di Israele, a Saul - che Else Lasker-Schüler chiama “der große Melech” 69 e ritrae impegnato nelle lotte contro i Cananei - a Giosuè, l’“ebreo selvaggio”, che viene unto re da Mosè morente. 70 63 Lo scritto è pubblicato per la prima volta su: Die Fackel, 315/ 316 (1911), pp. 20-26, poi in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, pp. 162-168, qui p. 166. 64 In: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, pp. 157-158, qui p. 157. 65 “Poi il Signore Dio piantò un giardino in Eden, a oriente e vi collocò l’uomo che aveva modellato.” Nostro il corsivo. 66 Genesi 22,1-19. 67 “Abels Angesicht ist ein goldener Garten,/ Abels Augen sind Nachtigallen”, in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte , p. 164. 68 Ivi, p. 163. 69 Composto nel 1915, il componimento Saul non entra dunque nella prima edizione a stampa delle Hebräische Balladen ed è pubblicato sulla rivista: Die weißen Blätter 2 (1915), p. 215. A partire dall’edizione del 1920 (Berlin 1920), che racchiude venti testi, sarà incluso nella raccolta, in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 175. Anche in questo epiteto è evidente la mimesi dell’ebraico. 70 “Als Moses im Alter Gottes war,/ Nahm er den wilden Juden Josua/ Und salbte ihn zum König seiner Schar.” La scena è descritta nel componimento Moses und Josua , in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1. Gedichte, pp. 166-167. Il passo scritturale cui questo componimento attinge, variandolo, è Deuteronomio 31,7-8, dove Mosè designa Giosuè a successore, ma non è detto dell’unzione sacra. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 179 Rispetto agli esperimenti fonosimbolici e un po’ calembour degli scritti ‘arabeggianti’, nelle Hebräische Balladen il rapporto di identificazione con la lingua, la mimesi dell’ebraico biblico sono più profondi e radicali. I testi sono percorsi da un tentativo di approssimazione stretta alla poesia biblica, alla ritmica e alla prosodia dei salmi, al parallelismus membrorum . A una scansione del dettato poetico che ricalca il ritmo del respiro, dove a ogni verso corrisponde un’emissione di fiato, in sequenze che rispettano le sospensioni espiratorie e gli intervalli del silenzio. 71 Un trattamento che è evidente, per esempio, nei due componimenti Pharao und Joseph 72 e David und Jonathan 73 . Rispetto agli scritti di Baghdad, c’è qui un tentativo meno ludico e più spasmodico di impossessarsi, con il corpo e con i sensi, della lingua ebraica. Un tentativo dettato anche dalla sofferta consapevolezza della dimenticanza, da parte di molti ebrei tedeschi, della lingua dei padri. Sarà la stessa Lasker-Schüler a confessare, nelle pagine di Das Hebräerland : „Die Mehrzahl der Westjuden beherrscht leider - mich dazu gerechnet - unsere alte Sprache nicht; lesen allerdings konnte ich sie auf der Schulbank in der Religionsstunde vorbildlich.“ 74 Quanto più forte l’avvertimento della distanza temporale dall’ebraico biblico, tanto più forte la sua risoluta appropriazione mimetica nelle Balladen . E tanto più netta la convinzione dell’esito felice di questo tentativo: una volta in Palestina, quando il poeta Avraham Yitzchak Kariw si offrirà di tradurre le sue poesie in ebraico, la scrittrice risponderà, con un malcelato tocco di risentimento: “Wozu denn? Sie sind aber doch hebräisch geschrieben ! ” 75 I contemporanei, ebrei e no, impazziranno per le ballate di Else Lasker-Schüler. Entusiasti per il loro carattere ‘straniero’ e per la mimesi della lingua ebraica, ne riconosceranno la matrice biblica e lo stampo orientale. In una recensione su Das literarische Echo , nel giugno del 1913, il drammaturgo Ernst Lissauer scriverà: „Es sind nicht die Gedichte einer deutschen Dichterin, auch nicht einer deutschen jüdischen Stammes, sondern schlechthin die hebräischen Melodien 71 Un’analoga resa dell’oralità nella scrittura e un’analoga attenzione alla colometria caratterizzeranno la traduzione della Bibbia di Martin Buber e Franz Rosenzweig. Su questo aspetto, si veda Hans-Christoph Askani: Das Problem der Übersetzung - dargestellt an Franz Rosenzweig. Die Methoden und Prinzipien der Rosenzweigschen und Buber-Rosenzweigschen Übersetzungen, Tübingen 1997, pp. 230-241. 72 Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 159. 73 Ivi, p. 161. 74 Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 5: Das Hebräerland, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki/ Itta Shedletzky, Frankfurt a. M. 2002, p. 104. 75 Ricordo di Rachel Katinka in: Ginsberg: Else Lasker-Schüler, p. 597 s. Una risposta che Peter Gay definirà “eine erstaunliche, beinahe mystische Antwort”, in: Peter Gay: Begegnung mit der Moderne. Juden in der deutschen Kultur, in: Werner Eugen Mosse (Hg. unter Mitwirkung von Arnold Paucker): Juden im Wilhelminischen Deutschland 1890- 1914: Ein Sammelband, Tübingen 1998 (1 a ed. 1976), p. 257. 180 Massimiliano De Villa einer hebräischen Sängerin, die sich deutscher Laute bedient durch einen Zufall der Diaspora. […] Zionismus des Stils. Erwachtes Altenjudentum.“ 76 O, per citare un’altra voce, si potrebbero riportare le parole di lode dello scrittore Kasimir Edschmid: Weib und Geist der Rasse sammeln sich unmittelbar in ihr, fast über der Erde. Asien ist mächtig aufgewacht. Sie steht dicht neben dem hohen Lied, keine irdische Passion, die sie hemmt. Wahrscheinlich ist sie durch einen Irrtum einige Tausend Jahre zu spät in die Körperlichkeit. Der Geruch ihrer Gedichte […] ist von den dumpfen und schönen Uranfängen der Menschheit. 77 Misurata contro questo paesaggio biblico aspro e primordiale, la realtà sarà, invece, molto più prosaica, in una divaricazione tra ideale e reale che richiama, per analogia, il discorso su Buber e l’ Ostjudentum . Else Lasker-Schüler ha sempre vissuto in Germania come in terra d’esilio, sognando ora Tebe, ora Baghdad, ora Gerusalemme. Della Germania, sentita come luogo di transito e provvisorietà, parlerà in questi termini: „Ich kann die Sprache/ Dieses kühlen Landes nicht,/ Und seinen Schritt nicht gehen./ / Auch die Wolken, die vorbeiziehn,/ Weiß ich nicht zu deuten./ / […] Immer muss ich an die Pharaonenwälder denken/ Und küsse die Bilder meiner Sterne.“ 78 Il contatto reale con la terra dei padri - stabilito una prima volta nel 1934, una seconda nel 1937, e di nuovo, stavolta senza la possibilità del ritorno, nel 1939 - sarà spesso frastornante. Nella Palestina dei padri - sempre evocata come luogo, insieme mitico ed eroico, di una felice umanità ai primordi - Else Lasker-Schüler troverà una terra povera, arsa e segnata. „Palästina [ist] ein furchterregendes Land, da es noch herrührt von der Urliebe und dem Urzorn des Ewigen. Stein reiht sich an Stein, erhebt sich über den Stein noch hinaus, und die Natur in den unbepflanzten Gegenden, grünverblichene Ruinen, die nach Frühling schreien.“ 79 In questa ‘vecchia terra nuova’ - qui l’espressione è più che mai a proposito - Else Lasker-Schüler descrive sì, subendo ancora la seduzione dell’oriente, „Mein Entzücken beim Herannahen einer Karawane“, 80 ma riconosce tutta la difficoltà dell’ambiente, con un nuovo principio di realtà che sperimenta sulla pelle. Si misura in questo momento, anche per 76 Ernst Lissauer: Erwachtes Altjudentum bei Else Lasker-Schüler, in: Das Literarische Echo 15 (1912/ 1913), col. 1300-1301. È significativo che proprio Lissauer - forse il più tedesco, il più prussiano e il più patriota degli scrittori di origine ebraica - si esprima in questi termini. 77 Kasimir Edschmid: Die doppelköpfige Nymphe. Aufsätze über die Literatur und die Gegenwart, Berlin 1920, p. 139. 78 Else Lasker-Schüler: Heimweh, in: Die Fackel, n. 294-295 (1910), p. 27, poi in: Ead.: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 117. 79 Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 5: Das Hebräerland, p. 97. 80 Ivi, p. 22. Luce dall’oriente: l’invenzione dell’ebreo autentico in Martin Buber ed Else Lasker-Schüler 181 lei, la tenuta del mito orientale di faccia alla realtà storica e geopolitica. Esule a Gerusalemme - la città che aveva descritto nelle sue prose e nelle sue poesie come “Gottes verschleierte Braut”, 81 la “vertebra del Signore” 82 - vi ritrova solo la durezza e l’inerzia della pietra, 83 e una notte in cui offuscano tutte le illusioni. 84 Nella prosaica Palestina di sassi e aridità, non trova una patria e ritorna con la mente alla Renania dei suoi primi anni. Per Else Lasker-Schüler, la patria, ogni patria è dunque chiaramente una topografia sentimentale, può realizzarsi solo in un centro degli affetti. In questo sgonfiarsi del mito a contatto con la realtà, viene a chiara luce il suo immaginario diviso e, riflessa nel sogno di un oriente antico e luminoso, l’intera contraddizione ebraico-occidentale, il dilemma dell’alterità e dell’estraneità costante, da cui risultano le invenzioni poetiche, i travestimenti autobiografici e tutte le maschere di cui il suo io si riveste. È la stessa Lasker-Schüler, del resto, a riconoscere nella lacerazione la sua cifra interiore e a proiettare, di conseguenza, ogni figurazione letteraria nel cono prospettico dell’illusione e dell’utopia che si rovesciano, inevitabilmente, nel moto contrario del rimpianto e nel desiderio del ritorno. La doppia dinamica è evidente, più che altrove, in nitide parole degli anni Venti, che possono valere, qui, da compendio di un’esistenza e di una scrittura: 81 Ivi, p. 12. 82 “Gott baute aus seinem Rückgrat: Palästina/ aus einem einzigen Knochen: Jerusalem”. È l’esergo del componimento Jerusalem , in: Mein blaues Klavier. Neue Gedichte, Jerusalem 1943, p. 11, poi in: Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 1.1: Gedichte, p. 282. 83 “ Ich wandele wie durch Mausoleen -/ Versteint ist unsere Heilige Stadt./ Es ruhen Steine in den Betten ihrer toten Seen/ Statt Wasserseiden, die da spielten: Kommen und Vergehen./ / Es starren Gründe hart den Wanderer an - Und er versinkt in ihre starren Nächte. Ich habe Angst, die ich nicht überwältigen kann”, ibidem . 84 In una lettera tarda da Gerusalemme all’amico Ernst Simon, il disincanto affiora a chiare lettere: “Wissen Sie einen Ausweg für mich, so schlecht geht es mir wo ich wohne und weiß mir keinen Rat. […] Es ist alles vorbei in mir, keine Schale mehr, irgend etwas aufzufangen. Ich bin immer traurig und enttäuscht von allen Menschen hier und darum in mir allein. Immer am Scheidewege, zwischen dem Wege des Lebens und des Todes. Hier hat Niemand Zeit […]. Alles rennt und ich finde es doch wichtiger bei einem armen Kind meinetwegen stehen zu bleiben und fünf Minuten zu spät zu kommen. - Niemand hier in der Heiligen Stadt versteht mich, jeder denkt an sich. Diese Bekenntnisse, Adon (per rivolgersi a Ernst Simon, Else Lasker-Schüler impiega sempre l’appellativo ebraico ‘Adon’, ‘signore’) , mir ist wie eine Beichte vor dem Sterben. […] Ich war hebräisch für Gott, habe gekämpft mein Leben lang für ein Volk meiner Illusion. […] Herzlos sind die Juden, kalt und egoistisch. Geld ist ihnen die Hauptsache. […] Ich glaube Gottes Jerusalem <Davidstern> ist tot. […] Mich schaudert hier, selbst vor den Blumen herrlichen und Bäumen. […] Meine Zunge ist und meine Hand vor lautrer Danke sagen und Lügen schwarz geworden”, lettera del 13 giugno 1941, in: Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Bd. 11: Briefe 1941-1945. Nachträge, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki/ Andreas B. Kilcher, Frankfurt a. M. 2010, p. 34 s. 182 Massimiliano De Villa Überall blicke ich nach einem heimatlichen Boden aus, wer von uns hätte den gefunden und nicht erlitten des Heimwehs qualvollste Angst. Fand ich denn einmal die Heimat - in deinem Auge - durfte ich auch dort nicht rasten . 85 85 Lasker-Schüler: Ich räume auf! Meine Anklage gegen meine Verleger, in: Ead.: Werke und Briefe . Bd. 4.1: Prosa 1921-1945 - Nachgelassene Schriften, p. 69. Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie Else Lasker-Schülers literarische Briefe an „wirklich lebende Menschen“ Christine Kanz Else Lasker-Schülers Briefroman Mein Herz Else Lasker-Schüler ist als Frau, Jüdin und avantgardistische Künstlerin und Schriftstellerin, die so häufig in ihren Bildern und Texten auf den Orient und auch auf das Judentum anspielte, ein Beispiel für eine Autorin der deutsch-jüdischen Moderne, das nicht zuletzt deshalb besonders komplex ist, weil bestimmte Klischees über sie und ihr Werk einfach nicht aus der Forschung verschwinden wollen. An das eigentliche Thema dieses Bandes „Zwischen Orient und Europa“ werde ich mich darum über einen Umweg annähern - über Lasker-Schülers Briefroman Mein Herz , den ich vor allem als durchreflektiertes, poetologisches Statement und avantgardistisches Kernstück ihres Gesamtwerkes lese. An ihm, so meine These, lässt sich besonders gut veranschaulichen, dass der Orientalismus in ihrem Werk ein strategischer und inszenatorischer ist. Denn dessen sehr bewusste Konstruktion wird gerade in diesem Text besonders intensiv zur Schau gestellt und immer wieder (meta-)reflektiert. „Lieber Dalai Lama“, „Liebe Jungens“, „Liebe Nordpolforscher“, „Sehr edle Gesandte“ - Else Lasker-Schülers literarische Briefe an „wirklich lebende Menschen“ - unter ihnen Karl Kraus, Herwarth Walden, Arnold Schönberg, Emil Nolde, Albert Ehrenstein, Alfred Döblin, Paul Cassirer und Oskar Kokoschka - sind ‚fiktive Zeugnisse‘ der Berliner Kulturwelt vor dem Ersten Weltkrieg. Zusammen bilden sie den 1912 erschienenen „Liebes-Roman“ mit dem Titel Mein Herz. Briefe an wirklich lebende Menschen , der Fortsetzungs- und Briefroman in einem ist. Er enthält auch zahlreiche Zeichnungen der Avantgardistin. Diese Genre- und Medienvermischung ist nicht die einzige Grenzaufhebung, die der Text vollzieht: Auch die Adressierungen der hier versammelten „Briefe“ stellen ebenso wie deren Inhalte häufig Diffusionen von Fiktivem und Faktischem dar. Den Adressierungen der 184 Christine Kanz Briefe kommen dabei ganz unterschiedliche Funktionen zu. Bislang habe ich vier Hauptfunktionen ausgemacht, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Erst im Rahmen der vierten Funktion werde ich näher auf die Thematisierung des Judentums und des Orients in diesem und anderen Texten Lasker-Schülers eingehen. Anspielungen auf das Judentum und orientalische Kulturen, so meine These, gehören bei der Schriftstellerin wesentlich zu einer künstlerischen Selbstbehauptungsstrategie: Die Frau und Jüdin Else Lasker-Schüler will vor allem als avantgardistische Künstlerin wahrgenommen und als solche anerkannt werden. Als Kulisse dient ihr dabei das zeitgenössische Berlin mit der hier besonders stark ausgeprägten Zurschaustellung alles Fremden, Exotischen, Orientalischen, der Lasker-Schüler auf Schritt und Tritt tagtäglich begegnete - in der Straßenbahn, auf Plakatwänden, auf Jahrmärkten, im Zirkus Busch, dessen Stammhaus 1895 in Berlin eröffnet hatte oder auf der Völkerschau im Luna-Park. Für Lasker-Schüler bildete diese Szenerie „ein unerschöpfliches Reservoir “ 1 für unzählige orientalisierende Anleihen sowie Verweise auf die jüdische Kultur. „Palmen, Pyramiden, Teppiche, Mumien, Fakire, Derwische oder Halbmond und Stern“ werden in dem Briefroman ähnlich wie zuvor bereits im Prosaband Die Nächte Tino von Bagdads (1907) „stets von neuem arrangiert“ - allerdings aus einer noch größeren „reflexiven Distanz“, 2 wie auch Sylke Kirschnik festgestellt hat. Jedes Detail ist hier sehr bewusst eingesetzt. Das gilt für sämtliche exotische, orientalische, jüdische Elemente in den einzelnen Briefen und insbesondere auch für deren Adressierungen und ihre vier Funktionen. 1 Sylke Kirschnik: Tausend und ein Zeichen. Else Lasker-Schülers Orient und die Berliner Alltags- und Populärkultur um 1900, Würzburg 2007, S. 235. 2 Ebd. Nach der Lesart Kirschniks stehen im Roman „die Institutionen und Darstellungstechniken der zeitgenössischen Orient-Inszenierung selbst im Vordergrund“. Während in „der frühen Prosa“ überwiegend „Anspielungen, das ausgestellte, parodistische Nachmimen von Praktiken, indirekte Zitate und vermittelte Bezugnahmen auf die exotistische Berliner Alltags- und Populärkultur und die wilhelminische Kolonialpolitik“ im Vordergrund gestanden hätten, seien hier „mit der Darstellung der Avantgarde im und um das Café des Westens in der Kunst- und Kulturmetropole Berlin zugleich die populärkulturellen Instanzen und Medien, die dem Orient im deutschen Kaiserreich Gestalt und Gehalt verliehen“ zentral (ebd., S. 166). Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 185 Vier Funktionen der Brief-Adressierung I. Adressierungen als ‚Aufmacher‘ zu den Briefinhalten „Herwarth! “ - Ausrufezeichen! (MH, 21) 3 - so lautet eine Adressierung an ihren Ehemann Herwarth Walden, mit dem sich die damals 43-jährige Lasker-Schüler während der Entstehungszeit der Briefe nach Norwegen - ab Spätsommer 1911 - in einer Phase der Liebes- und Beziehungsauflösung befand. Die Reise nach Norwegen, die der Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Der Sturm mit seinem Freund Curt Neimann Ende August 1911 unternahm, bildete den Anlass für die fiktiven Briefe, die zunächst in loser Folge in Der Sturm veröffentlicht wurden. Die erwähnte, vergleichsweise strenge Adressierung unterscheidet sich von den übrigen zum einen durch das Ausrufezeichen, zum anderen durch das Weglassen einer liebe- oder humorvollen Beifügung, wie sie die Briefeschreiberin üblicherweise für Herwarth Walden parat hatte. Solche liebevoll-neckenden Adressierungen konnten von „lieber Herwarth“ über „liebe Nordpolforscher“ (MH 28) oder „liebe Kameraden“ (MH 35), „liebe Brüder“ (MH 34) bis hin zu „liebe Jungens“ (MH 15) oder gar „liebe Kinder! “ (MH 21) reichen. Dabei nimmt die Tonlage der Adressierung jeweils die Färbung des dann folgenden Briefinhalts vorweg. So ergeht in dem erwähnten Brief, der mit ‚Herwarth - Ausrufezeichen‘ adressiert ist, eine Zurechtweisung wegen vermuteter ehelicher Untreue. Neben Eifersucht oder Zorn klingen immer wieder auch Trauer um den Verlust der Liebe durch - und zwar auch in Briefen mit durchaus humorvoll-ironischen Adressierungen. Andere Adressierungen fungieren außerdem als ‚Aufmacher‘ für Klageschreiben über die Ignoranz der Verleger sowie für Bitten um Geld aber auch als ‚Auftakte‘ für Lästereien über andere AutorInnen und KünstlerInnen sowie nicht zuletzt für provokative kunstpoetische Statements. 4 II. Adressierungen als Elemente des „Spiels im Spiel im Spiel“ An den Adressierungen ist das dichterische Verfahren Lasker-Schülers unmittelbar ablesbar: Es ist ein Spiel mit fiktiven und realen Elementen bzw. ‚ernsten‘ Bezugnahmen auf Freunde, Verleger, Kritiker, Schriftstellerkollegen, Künstler. In einem Brief an Karl Kraus berichtet Lasker-Schüler im November 2011, sie habe „Sehnsucht die Leute alle zu kleiden, damit ein Spiel zu Stande kommt“ 3 Der Roman wird im Folgenden unter der Sigle MH (bzw. Nw für das Nachwort der Herausgeberin) und Seitenangabe in Klammern zitiert nach der folgenden Ausgabe: Else Lasker-Schüler: Mein Herz. Ein Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen, hg. von Ricarda Dick, Frankfurt a.M./ Leipzig 2007 (entspricht der Ausgabe Frankfurt a. M. 2003). 4 Vgl. MH 101. 186 Christine Kanz (Nw 201). Die Briefeschreiberin vergibt Rollen an die adressierten „Mitspieler“. Paul Cassirer redet sie mit „Sir“, Max Oppenheimer mit „Abbé“ an, und den deutschen Schriftsteller und Dichterkollegen Richard Dehmel erklärt sie kurzerhand zum „Großkalif[en] aller Dichtung“, die arabische Bezeichnung für den „Statthalter Gottes auf Erden“. Indem sie diese Bezeichnung noch mit der Vorsilbe „Groß“ ausstattet, markiert sie sie als Kunstbegriff und zugleich als eine Ironisierung des zeitgenössischen Orientalismus, auf den sie immer wieder verweist und mit dem sie nicht zuletzt selbst so gerne spielt. Bei diesem Vorgehen - der übertrieben ehrfurchtsvoll formulierten, faktisch aber respektlosen Adressierungen - werden nicht nur die Grenzen zwischen Erlebtem und Erdachtem überschritten, sondern manchmal auch die des Anstands und des guten Geschmacks - vor allem aus der Sicht der explizit Adressierten, deren Reaktionen von Belustigung bis hin zu Empörung reichten. „Menschen formen nach meiner Phantasie“ - so lautet das erklärte Ziel (und zugleich die implizite Entschuldigung) Lasker-Schülers (MH 60 u. Nw 134). Auf welche Weise die Avantgardistin in ihrem fiktiven „Liebesroman mit Bildern und wirklich lebenden Menschen“ dabei verfährt, reflektiert sie immer wieder explizit (MH 99). Dabei lässt sie unter anderem verlauten, dass es „Herzstimmungen“ (MH 114) seien, also Gefühle, nicht faktische Begebenheiten, die aus ihrer Sicht die Realität konstituieren. 5 Ihre „Herzensbühne“ 6 , von der bereits im Theatertext IchundIch die Rede ist, legt nach dieser Vorstellung besonders beredt Zeugnis ab von der Wirklichkeit. Dass das „Spiel im Spiel im Spiel“ (Nw 212), wie Lasker-Schüler ihr „work in progress“ 7 nennt, einer poetologischen Selbstreflexion gleichkommt, wird erst im Laufe einer intensiven Lektüre der Briefe deutlicher. Das auch hier auffällige Changieren zwischen unterschiedlichen Ebenen wurde bereits von Vivian Liska als charakteristisch für das gesamte Werk Lasker-Schülers hervorgehoben. Sie beschreibt es als eine „Bewegung zwischen dem Erhabenen und dem Schelmischen“. Diese konstituiere einen „Doppelcharakter“, der zwischen „,Erzengel‘ 5 Zum „Herz als Schlüsselfigur des Empfindsamkeitsdiskurses“ und Lasker-Schülers „transformierende [ … ] Zitation auf diese Konstellierung von Körper, Sprache und Subjektivität“ sowie dem Herzen „als Fundament“ und „Souverän“ der Ich-Figur in Mein Herz vgl. die Ausführungen in Doerte Bischoff: Herzensbühne und Schriftkörper: Transformationen des Briefromans in der Moderne am Beispiel von Else Lasker-Schülers „Mein Herz“, in: Dirk Jürgens (Hg.): Mutual Exchanges. Sheffield-Münster Colloquium II, Frankfurt a. M. 1999, S. 41-58, hier S. 46 sowie S. 51. 6 Else Lasker-Schüler: IchundIch, in: Dies.: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe, hg. von Norbert Oellers/ Heinz Rölleke/ Itta Shedletzky. Bd. 2: Dramen, bearb. von Karl Jürgen Skrodzki/ Itta Shedletzky, Frankfurt a. M. 2002, S. 186. 7 Kirschnik: Tausend und ein Zeichen, S. 166. Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 187 und ‚Kobold‘“ wechsele 8 und wiederum konstitutiv sei für die in Lasker-Schülers Werk vorherrschenden „Grundformen“, welche zwischen „verklärte[m] Liebesgesang und Selbstironie“, „,hohe[m] Stil‘ und Ulk“ variierten. 9 Liska interpretiert diese Vorgehensweise als immer wieder bewusst eingesetzte Relativierung einer auch zu verzeichnenden „Selbsterhebung zur ‚Inspirierten‘“. 10 Auch gegen weitere vorzeitige Festlegungen, so ist dementsprechend zu vermuten, versuchte Lasker-Schüler sich so zu wappnen. Auf künstlerischer Ebene konnte sie auf diese Weise mit der Einnahme verschiedener Perspektiven sowie mit unterschiedlichen Stilen experimentieren und sich so dezidiert als Avantgardistin positionieren. III. Adressierungen als Instanzen der (Selbst-)Abgrenzung und des Non- Konformismus Das Verwirrende an den an „wirklich lebende Menschen“ adressierten Briefen liegt darin, dass als Non-Konformismus und Kunststrategie deklariert werden kann, was andererseits auch Plattform vermeintlich intimer Veröffentlichungen ist. 11 Diese führen häufig zu Distanzierungen der zum Berliner Kulturzirkel gehörenden Künstler/ innen und Schriftsteller/ innen. 12 Das durchdachte Verwirrspiel stellt damit nicht nur eine Abgrenzung vom zeitgenössischen Literatur- und Kulturbetrieb dar, sondern, da ja nur ‚Eingeweihte‘ die Realpersonen hinter den ‚Modellen‘ erkennen können, eine ‚Schau‘ im ‚kleinen Kreis‘, der man durchaus elitäre Züge nachsagen könnte. Zugleich hält das „Massenlustspiel“ (MH 55) eben diesem Kulturzirkel einen Spiegel vor, der zwischen realistischem Portrait und verzerrter Karikatur schillert und der nur in jenen Momenten weniger abgehoben erscheint, in denen man sich als Leser/ in doch in die persönliche Sphäre hineinziehen lässt: Mein Herz ist auf den ersten Blick ein Geflecht aus privater Innenschau und öffentlicher (An-)Klage. Vor allem aber, so wird bei näherer Lektüre deutlich, ist es ein strategisch-durchdachtes Kunstgeflecht. Die vorgeführte, scheinbar persönliche Abrechnung kommt mit einem klaren Statement daher, das bereits das dem „Liebesroman“ vorangestellte und damit auch an die Öffentlichkeit gerichtete Motto intoniert: „Mein Herz - niemandem“. Die Briefeschreiberin selbst distanziert sich von tiefergehenden Emotionen, zieht 8 Vivian Liska: Die Dichterin und das Schelmisch-Erhabene. Else Lasker-Schülers „Die Nächte Tino von Bagdads“, Tübingen 1998, S. 52. Vgl. den Hinweis dazu bei Astrid Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“. Else Lasker-Schülers bildnerisches Werk im kunsthistorischen Kontext, in: Ricarda Dick (Hg.): Else Lasker-Schüler. Die Bilder, Berlin 2010, S. 159-193, hier S. 163. 9 Liska: Die Dichterin und das Schelmisch-Erhabene, S. 53. 10 Ebd., S. 51. 11 Vgl. Nw 159. 12 Vgl. MH 34, Nw 209. 188 Christine Kanz sich immer wieder auf ihre Kunstposition (etwa in Briefen an Kraus, Kokoschka, Cassirer) zurück und besteht auf dem Ringen um den dichterischen „Ausdruck“: „Aber es kommt ja nur darauf an, wie ich die Modelle zum Ausdruck bringe. Ich habe weiter nichts mit ihnen zu tun.“ (MH 60) In einem anderen Brief heißt es: „Warum verteidigt man sich selbst eigentlich, man sollte doch gegen sich nicht argwöhnen.“ (MH 35) Es geht also um Selbstakzeptanz und Selbstbehauptung sowie um eine Klärung der eigenen Gefühle und Positionen - als Frau und Jüdin, vor allem aber als Künstlerin und Schriftstellerin. 13 IV. Adressierungen als (strategische) Selbstinszenierungen Diese Selbstklärung verläuft nicht ohne Zweck und Nutzen, und sie bewegt sich auch nicht einfach nur zwischen Schelmischem und Erhabenem, sondern sie ist auch durchaus strategisch. An den Adressierungen ihrer Briefe an wirklich lebende Menschen wird das hyperreflektierte Element des Schreibens Lasker-Schülers besonders deutlich. Diese strategische Bewusstheit und Selbstreflexion ist vor allem an denjenigen Adressierungen ablesbar, die als Auftakte dienen, um die neuesten Werke unterzubringen. 14 Ein besonders hervorstechendes Beispiel, in dem Bild, Text und Handschrift zum Einsatz kommen, stellt ein Brief dar, der an den „sehr verehrten Dalai Lama“ alias Karl Kraus adressiert ist. Während die aufwendig gestaltete Adressierung und ehrfurchtsvolle Anrede durchaus als Zeichen höchster Verehrung und Zuneigung gedeutet werden kann, ist der Briefinhalt einem bestimmten Zweck gewidmet, nämlich der nachhaltigen Bitte, das neueste Gedicht der Briefeschreiberin in der von Kraus herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel zu publizieren: „Ich werde so lange an das rote Tor Ihrer Fackel rütteln, bis Sie mir öffnen.“ (MH 114) Die ehrfurchtsvoll-verspielte Adressierung des Schriftstellerkollegen als buddhistischer Mönch erweist sich also erst im Nachhinein, nach der Lektüre des Briefinhaltes, als eine strategische. Ferner zeigt sich, dass die Briefeschreiberin auch aktiv an der Redaktion und Publikationsstrategie des Sturm mitzuwirken versucht, indem sie in Briefen an den Herausgeber und Noch-Ehemann Herwarth Walden einmal darum bittet, einen Text Kurt Hillers (MH 18), ein anderes Mal eine „Zeichnung“ John Höxters (MH 23) im Sturm publizieren zu dürfen. In ähnlicher Weise trägt das permanent sichtbare Bemühen der Briefeschreiberin, sich von den anderen deutlich abzuheben, strategische Züge. Unterstützt wird es nicht zuletzt durch die orientalisierten Ich-Figurationen, wie sie auch von den anderen Werken Lasker-Schülers bekannt sind. In Bild und Text inszeniert sie sich immer wieder als Tino von Bagdad, arabische Prinzessin, Jussuf 13 Nicht umsonst nennt sie den Text auch einmal ihre „medizinische Dichtung“ (MH 114). 14 Vgl. Nw 146. Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 189 oder Prinz von Theben 15 . Das entspricht weniger einem Fokus auf das Phantastische, Verklärende als vielmehr der strategischen Betonung des Fremden bzw. ganz Anderen, welches sie als Frau und Jüdin, aber vor allem eben auch als avantgardistische Künstlerin in ihrer Umgebung verkörpert und verkörpern möchte. Vivian Liska hat Lasker-Schülers Orientalismus als eine „Transposition von ihrem eigenen Fremdsein als Jüdin in Deutschland“ bezeichnet. 16 Dieser Einschätzung stimme ich insofern zu, als Lasker-Schüler mit ihrer bewussten und strategischen „Verwendung orientalischer Motive“ sicherlich „einen Raum für Verschiedenheit, für Andersheit“ öffnet. 17 Ich möchte diese Verschiedenheit und Andersheit allerdings nicht auf das „Fremdsein als Jüdin“ beschränken, sondern auch auf die bewusste Andersheit als künstlerische und schriftstellerische tätige Frau in einer Umgebung beziehen, welche vor allem an Männern orientiert war und von Männern dominiert wurde. Das Fremde ist bei Lasker-Schüler dabei generell keiner fixen Identität oder Position zuzuordnen, sondern viel eher eine dynamische Größe, ein bewusstes Beharren auf ein Recht auf Anderssein per se . Dass Lasker-Schüler autobiographisches Material mit Jussuf, dem Prinzen von Theben aus der Josephs-Legende, verknüpfte, war zum einen sicherlich eine spielerisch-provokative Anpassungsgeste an die männlich dominierte Umgebung, lag aber vor allem auch daran, dass die gebürtige Rheinländerin in ihren Texten ihre dichterische Heimat oft im ägyptischen Theben verortete. 18 Als Geburts- und Lebensort gibt sie dann nicht etwa das reale Elberfeld an, sondern beschreibt einen mit orientalischen Versatzstücken versehenen, schönen Ort, den sie zudem mit zahlreichen Hinweisen auf die jüdische Religion verknüpft. Darüber hinaus klingen mehrere Wendungen wie Zitate aus Tausendundeine Nacht , wodurch die Herkunftsbeschreibung sich selbst unmittelbar als fantastisches Konstrukt entlarvt. Ihre Familiengeschichte versuchte sie in diesem Konstrukt stets mit einem bestimmten Zauber zu versehen, der durch die Vermischung märchenhafter 15 Vgl. MH 114. 16 Liska, zit. nach Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“, S. 172. 17 Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“, S. 172. 18 Else Lasker-Schüler: Biographische Notiz, in: Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus, hg. von Kurt Pinthus, revidierte Ausgabe mit wesentlich erweitertem bibliographischem Anhang, Reinbek 1991, S. 352. Vgl. zu diesem Abschnitt bereits meinen 2015 publizierten Aufsatz: Spielerische Lust am kulturellen Dazwischen und intellektuellen Anderswo: Kreative Mobilität und Transkulturalität in Else Lasker-Schülers Gedichten und Erzähltexten, in: Lorella Bosco/ Anke Gilleir (Hg.): Schmerz. Lust. Künstlerinnen und Autorinnen der deutschen Avantgarde, Bielefeld 2015, S. 107-128, hier S. 107f. 190 Christine Kanz und orientalischer Bilder und Motive sowie Elemente der jüdischen Kultur erzeugt wird. Vor allem von ihrem Urgroßvater, dem „weißbärtigen Rabbuni[] vom Rheinland und von Westfalen“, ließ sie sich gerne „bester n[en]“, wie es in einer mit autobiographischem Material spielenden Selbstbeschreibung heißt. 19 Er sollte all das Künstlerische, Spielerische und kindlich Weise (mit der Fähigkeit zu ‚Gesichten‘) verkörpern, das sie in sich selbst gespiegelt sehen wollte. Zugleich war er aber eben auch jüdisch-religiös konnotiert. Ihre dichterische Verortung in einem mit ihrer Herkunftsfamilie verknüpften orientalisierten sowie jüdischen Imaginationsraum, der mit familiärer Geborgenheit, Nestwärme und Schutz in eins ging, stand in einem beständigen, vielschichtigen Spannungsverhältnis zu einer ebenso zentralen, zum Teil aufgezwungenen Mobilität im äußeren Leben der Schriftstellerin, deren Bewusstheit als Jüdin, wie Liska feststellt, sich weniger aus der „Bibelkenntnis in ihrer Familie“ als aus einem Alltag in einer zunehmend judenfeindlichen Umgebung in Deutschland speiste. 20 Ihre spielerische Identifikation mit der androgynen Kunstfigur Jussuf, Josef oder Joseph passt nicht nur zum Kontext ihres Umfeldes, sondern dieses wurde dadurch nur noch mehr herausgestellt. Dass sie als einzige anerkannt schreibende Frau in einem Künstlermilieu lebte, das aus jungen Männern mit einem nicht selten fatalen Frauenbild (‚Heilige‘ oder ‚Hure‘) bestand, und dabei natürlich weder das eine noch das andere Klischee erfüllte, mochte hier rätselhaft, wenn nicht bizarr erscheinen. Ihre vielzitierte befremdliche Ausstrahlung wusste sie durch ihre reflektierten Selbst-Inszenierungen, die stets ein Interesse für Mystisches und Symbolisches zum Ausdruck brachten, noch zu verstärken. Dabei ist der Kunsthistorikerin Astrid Schmetterling zuzustimmen, dass Lasker-Schüler mit „der Gestaltung von betont orientalischen Ich-Figurationen […] vielleicht auch spielerisch-provokativ auf das antisemitische Stereotyp der Juden als Orientalen“ hindeutete. 21 Wie Paul Mendes-Flohr anhand zeitgenössischer Quellen aus der Feder führender Intellektueller wie Johann Gottfried Herder, Heinrich von Treitschke oder Karl W.F. Grattenauer belegt hat, wurde dieses Stereotyp des Juden als ‚echtem‘ Orientalen in verschiedenen degradierenden Varianten mannigfach wiederholt und immer weiter zementiert. 22 19 Else Lasker-Schüler: Elberfeld im Wuppertal, in: Dies.: Gesammelte Werke in drei Bänden, hg. von Friedhelm Kemp, Frankfurt a. M. 1996. Bd. 2: Prosa und Schauspiele, S. 595- 599, hier S. 595. 20 Liska: Fremde Gemeinschaft, S. 95. 21 Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“, S. 172. 22 Vgl. Paul Mendes-Flohr: Fin-de-Siècle Orientalism, the Ostjuden and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Jonathan Frankel (Hg.), Studies in Contemporary Jewry. Bd. 1, Bloomington 1984, S. 96-139, hier S. 100f. Vgl. dazu auch Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“, S. 172, S. 182 u. S. 188 Anm. 35. Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 191 Mit ihrer in ihren Texten zur Schau gestellten Favorisierung vermeintlich wilder, edler, ursprünglicher, sinnlicher biblisch-‚orientalischer‘ Juden grenzt Lasker-Schüler sich aber auch gegenüber den akkulturierten, assimilierten Juden ab und bezieht somit nicht zuletzt Position hinsichtlich der Diskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinde. Astrid Schmetterling hebt in diesem Zusammenhang Folgendes hervor: Else Lasker-Schülers betont orientalistische Selbstdarstellung signalisierte auch Distanz zu der die Künstlerin umgebenden jüdischen Gemeinschaft. Sie war eine Herausforderung an die akkulturierten Juden, die ihre traditionellen Rituale und Gebräuche den Normen des deutschen Bürgertums anpaßten, um sich vom Stigma des nichteuropäischen Ursprungs zu befreien. Wenn Jussuf für Theben in die Schlacht zog, kämpfte er vielleicht auch gegen diejenigen deutschen Juden, die sich als Träger der westlichen ‚aufgeklärten Hochkultur’ betrachteten und jegliche Verbindung mit dem Orient von sich wiesen. 23 Else Lasker-Schüler verkündete ihrem Publikum, dass sie die angepassten Juden aus ‚Kleinghettostadt‘ verabscheute und nur die „wilden Juden, die an den heiligen Flüssen wachsen“, liebte und von ihnen „,das Höchste’ verlangte.“ 24 Zu den in ihren Texten bewundernd beschriebenen ‚wilden‘ Juden gehörten „die heroischen Juden der Bibel wie Josua, der Anführer der Israeliten bei der Eroberung des Landes Kanaan, oder Saul, der erste König Israels.“ 25 Bestimmte Geschichten der hebräischen Bibel, des Alten Testaments, denen ein streng-patriarchalischer Grundgestus nachgesagt wird, wurden von ihr umgedichtet oder erweitert, und zwar so, wie Vivian Liska herausgearbeitet hat, dass „die sinnlichen und dichtenden, die wilden und freien, die fremden Völkern entstammenden Bibelfrauen Ruth und Abigail, Hagar und Rebekkas Magd“ zu „eigenständigen“ biblischen Heldinnen werden konnten. 26 Dass sie trotz ihrer eigenen, expliziten Distanzierung von ihrer zeitgenössischen akkulturierten, jüdischen Umgebung von anderen und selbst von nahestehenden Kollegen wie Peter Hille als „die jüdische Dichterin“ bezeichnet und mit der biblischen Prophetin Deborah verglichen werden 27 und sogar vom kulturzionistischen Diskurs vereinnahmt werden konnte, liegt nicht nur an ihrem provokativen Spiel mit autobiographischem, häufig mit dem Orient und dem 23 Schmetterling: „Das ist direkt ein Diebstahl an den Kunsthistorikern“, S. 173. 24 Ebd., S. 173. 25 Ebd., S. 173. 26 Liska: Fremde Gemeinschaft, S. 92, 112 u. 97. 27 Vgl. dazu Mark H. Gelber: Jewish, Erotic, Female. Else Lasker-Schüler in the Context of Cultural Zionism, in: Ernst Schürer/ Sonja Hedgepeth (Hg.): Else Lasker-Schüler. Ansichten und Perspektiven - Views and Reviews, Basel 1999, S. 27, meine Hervorhebung. 192 Christine Kanz Judentum konnotierten Material, sondern auch an ihrer Wahl der sonstigen Motive und Themen vor allem auch ihrer frühen Gedichte, von denen zwei immerhin in der kulturzionistischen, deutschsprachigen Zeitschrift Ost und West erschienen, welche sich an eine jüdische Leserschaft richtete. 28 Und dies wohl nicht von ungefähr: Denn Lasker-Schülers Texte weisen nicht nur neoromantische sowie Elemente des Jugendstils auf, sondern sie weisen auch, wie Mark Gelber herausgearbeitet hat, motivisch und strukturell gravierende Parallelen zu in kulturzionistisch orientierten Kreisen favorisierten Gedanken, Bildern und Mustern auf. Das beginnt bei der Mutteridealisierung und geht weiter mit der zur Schau gestellten Identifikation mit jüdischen Bibelheldinnen bis hin zur Präsentation von Elementen jüdischer Tradition. 29 So stimmt auch das Bild eines verklärten Jerusalems, wie es etwa in dem in der kulturzionistischen Zeitschrift Ost und West publizierten Gedicht Sulamith zum Ausdruck kam, auf den ersten Blick mit virulenten kulturzionistischen Ideen überein. 30 Und ich vergehe Mit blühendem Herzeleid Und verwehe im Weltraum, In Zeit, In Ewigkeit Und meine Seele verglüht in den Abendfarben Jerusalems. 31 Faktum ist, dass in zahlreichen Texten Lasker-Schülers Jerusalem bzw. Palästina als geistige Heimat imaginiert wird, als jener andere, fast schon utopische Ort, an dem sie Kreativität und Poesie situierte. 32 Die Beschreibungen dieser ima- 28 Vgl. ebd., S. 29. 29 Vgl. ebd., S. 30. 30 Vgl. ebd., S. 38. 31 Zit. in: ebd., S. 38. 32 Vgl. dazu bereits Christine Kanz: Heterotopien um 1900: St. Petersburg und Jerusalem als Gegenräume ästhetischer Kreativität. In: Hamid Tafazoli/ Richard T. Gray (Hg.): Außenraum - Mitraum - Innenraum. Heterotopien in Kultur und Gesellschaft, Bielefeld 2012, S. 79-102, S. 93f. Nach Ansicht Doerte Bischoffs reproduzieren Deutungen, nach denen das im Werk so oft verklärte Jerusalem als Exilort die Schriftstellerin an ihrem Lebensende realiter enttäuschte, ein Klischee der Lasker-Schüler-Forschung und verkennen Lasker-Schüler „als moderne Autorin“: „Denn die Avantgarde wendet sich gerade gegen die Unterwerfung der Kunst unter eine Funktionsbestimmung , die sie darauf festlegt, in idealisierender oder eskapistischer Absicht Wege aus der Wirklichkeit zu weisen. Ganz im Sinne dieser Avantgarde-Ästhetik verweigert auch das Ich der Lasker-Schülerschen Texte die Verortung in festen Bildern oder Utopien. Heimat und Heimweh werden nicht als Gegenbegriffe, sondern als paradoxales Paar dargestellt. In seiner unablässigen Suche nach Heimat rastet das Ich nicht, sondern bleibt in der Bewegung [ … ] .“ (Doerte Bi- Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 193 ginierten Orte machen dabei einen Teil des für ihr Werk so charakteristischen Interesses an orientalisch anmutenden Orten aus, und sie stimmen nicht immer mit kulturzionistischen Vorstellungen panjüdischer Ethnizität überein, wie sie etwa in der Zeitschrift Ost und West propagiert wurde. 33 Die getrennten Völker der Juden und der Araber, die „Stiefbrüder“ 34 , wie sie in Lasker-Schülers Text Hebräerland genannt werden, wieder miteinander zu vereinen, das scheint hier an einem fernen, imaginären und zugleich real existierenden Ort möglich zu sein: in Jerusalem. In einem ihrer Entwürfe zu Hebräerland erklärte die Erzählerin, wie sie vor den Toren Jerusalems in einem Kreis von Juden und Arabern ihre Ballade vorgetragen habe. In dieser später gestrichenen Erläuterung, an die sich der Text des Gedichts dann anschloss, hieß es: „Vor der Stadt Jerusalem leben einträchtig die Nachkommen Isaaks und Ismaels, die wilden Semiten.“ 35 Der „wilde“, d. h. der ‚urtümliche‘, ,starke‘ und ,selbstbewusste‘ Orient und speziell Jerusalem scheinen hier für einen Gegen-Raum zu stehen, in dem Differenzen aufgehoben sind und Kreativität möglich wird. Jerusalem erscheint hier mithin durchaus als ein utopischer Ort, 36 an dem weder eine bestimmte ethnische, religiöse und kulturelle Zuweisung oder eine bestimmte Klassenzugehörigkeit über eine andere herrschen, ein Phantasieraum also, in dem Schranken, Grenzen und Beschränkungen, die mit dem Argument von Differenz operieren, aufgehoben sind. Das mag überraschend sein bei einer Autorin, die sich zugleich gerne als ‚ganz Andere‘ positioniert. Doch bleibt Jerusalem oder bleibt Palästina letztlich vor allem ein Raum der Uneindeutigkeit und der ständigen Bewegung; ein Ort, an dem beide Geschlechter ästhetisch/ schöpferisch produktiv sein können und eine jüdisch-deutsche Identität genauso gelebt werden kann wie eine schoff: Avantgarde und Exil. Else Lasker-Schülers „Hebräerland“. In: Exilforschung. Ein Internationales Jahrbuch 16 (1998), S. 105-126, hier S. 111, Hervorhebung in der Vorlage) Bischoffs Lektüre resultiert also in einer ähnlichen Schlussfolgerung wie dieser Beitrag, wenn sie das Beharren auf avantgardistische Positionen sowie auf Bewegung als zentrale Elemente hervorhebt. Letztlich räumt sie allerdings selbst „eine Funktionsbestimmung“ etwa des Textes Hebräerland ein, wenn sie diesen als einen „großangelegte[n] und originelle[n] Versuch“ liest, die „fatale [ … ] Selbstüberhebung der Nazis und deren Weltherrschaftsphantasien“ als eine „anmaßende Geste zu reflektieren und sich ihr zu widersetzen.“ (Vgl. Bischoff: Avantgarde und Exil, S. 113) 33 Vgl. Gelber: Jewish, Erotic, Female, S. 29 34 Else Lasker-Schüler: „Hebräerland, Entwürfe”, in: Dies.: Werke und Briefe, Bd. 5: Prosa, bearb. von Karl Jürgen Skrodzki/ Itta Shedletzky, Frankfurt a. M. 2012, S. 75. Vgl. dazu bereits die Ausführungen in Kanz: Heterotopien um 1900, S. 95. 35 Lasker-Schüler: Hebräerland, S. 365. 36 Eine Utopie ist ein Nicht-Ort und das Gegenteil von der Dystopie (Un-Ort) insofern, als er dem Ort einer (noch) nicht oder auch nicht mehr realisierbaren Wunschvorstellung entspricht. 194 Christine Kanz westlich-orientalische. Hier, in diesem „wesentlich unwirklichen Raum“, 37 wie Foucault die der Heterotopie nahestehende Utopie bezeichnete, 38 wollte Lasker-Schüler lange Zeit ihre Dichtkunst verorten. Das Wissen, Teil der jüdischen Geschichte und Kultur zu sein und das Zögern, sich selbst als ,jüdisch‘ zu betrachten, prädestinieren für eine Selbstpositionierung im Dazwischen. Lasker-Schüler inszenierte sich in logischer Konsequenz offensiv als eine Wanderin zwischen den Welten, als ein modernes „nomadisches Subjekt“ im Sinne Rosi Braidottis. 39 Sowohl auf der narrativen als auch auf der realen Ebene pendelte sie fortwährend zwischen verschiedenen ethnischen Identitäten, Sprachen und Grenzen - später freilich gezwungenermaßen. Ihre frühe Position gegenüber Jerusalem war also eine spielerisch-phantastische und zugleich künstlerisch-strategische - ähnlich wie sämtliche mit orientalischen Motiven und Elementen spielenden Texte Lasker-Schülers häufig gewollt-verspielt und zugleich provokatorisch sind. Ihre Form von scheinbarem Philo-Orientalismus, der sich auf orientalisierte, wilde (meist biblische) Helden und Heldinnen richtete, dient dabei, wie mehrfach angedeutet, nicht der strategischen Betonung einer Fremdheit als Jüdin, sondern vielmehr einer grundsätzlichen Andersheit als Künstlerin und Avantgardistin bzw. der Betonung eines grundsätzlichen Anrechtes auf Andersheit und Differenz. Sie stellt mithin vor allem eine sehr bewusste Selbstabgrenzungs- und Selbstbehauptungsstrategie als Künstlerin dar und verweist somit einmal mehr auf Lasker-Schülers Non-Konformismus und avantgardistische Grundhaltung. Die orientalischen und jüdisch-hebräischen Bilder bei Lasker-Schüler sollten dementsprechend nicht als eine Art selbstaffirmativer „strategischer Essentialis- 37 Foucault: Andere Räume, S. 38. 38 In einem früheren Vortrag unterschied Foucault noch nicht streng zwischen Heterotopie und Utopie, sondern setzte die ,anderen Räume‘ durchweg mit utopischen gleich (vgl. Rainer Warning: Heterotopien als Räume ästhetischer Erfahrung, München 2009, S. 12 u. 40). Bei diesem Vortrag mit dem Titel Le corps utopique handelt es sich um einen 2005 veröffentlichten Radiovortrag von 1966, der auf Architektur und Urbanistik fokussiert ist und im Zusammenhang mit einem zweiten Vortrag steht, der den Titel Les héterérotopies trägt und in die spätere Fassung des Texts Der andere Raum einging (Michel Foucault: Die Heterotopien. Der utopische Körper. Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe, übers. von Michael Bischoff, Nachwort Daniel Defert, Frankfurt a. M. 2005). Auch Bischoff stellte bereits fest, dass Palästina im Werk Lasker-Schülers die Funktion einer Heterotopie einnehme (vgl. Bischoff: Avantgarde und Exil, S. 116). 39 Vgl. Rosi Braidotti: Nomadic Subjects. Embodiment and Sexual Difference in Contemporary Feminist Theory, New York 1994. Dies ruft unvermeidlich das tradierte Bild des Juden als ewiger Wanderer auf, der, wie Bischoff in Übereinstimmung mit Joseph Brodsky feststellt, in der Exilsituation ,linguistisch‘ reproduziert wurde (vgl. Doerte Bischoff: Exile, Trauma and the Modern Jewish Experience: The Example of Else Lasker-Schüler, in: Bernhard Greiner (Hg.): Placeless Topographies. Jewish Perspectives on the Literature of Exile, Tübingen 2003, S. 127-148, hier S. 130). Orientalismus als Abgrenzungs- und Selbstinszenierungsstrategie 195 mus“ im Sinne Spivaks bewertet werden. 40 Diese Lesart führte nämlich dazu, in Lasker-Schülers Texten einen Orientalismus zu erkennen, der einen Anspruch auf jüdische Alterität erhebt und das Ziel verfolgt, die eigene Andersheit innerhalb der hegemonial deutschen Umgebung zu betonen und zu stärken. 41 Ihr ist auch entgegenzuhalten, dass es recht schwierig ist, wenn nicht gar unmöglich, tatsächlich ein eindeutiges Statement Lasker-Schülers aufzufinden, in dem sie sich selbst explizit als ,jüdisch‘ bezeichnet. Maßgeblich für ihre Position ist doch viel eher die Nicht-Aufhebung der Spannung zwischen verschiedenen kulturellen Identitäten, die sie selbst so offensichtlich verkörperte und auch in ihren Werken miteinander verflocht. 42 Man könnte auch sagen: Es ist eine Position der Heterogenität, die hier bewusst aufrechterhalten wird, indem sie ständig neu bespielt und belebt wird. Resümee und Ausblick In all ihren Werken, insbesondere aber mit ihrer „norwegischen Briefschaft“ (MHa 52, MH 55) inszeniert sich Else Lasker-Schüler als avantgardistische Künstlerin am Puls der Zeit. 43 Zentral ist dabei stets die Reflexion über den Umgang mit dem zeitgenössischen, an Exotismen reichen Material und dem eigenen Kunstideal. In ihrer Gesamtheit stellen die „norwegischen Briefe“ eine sehr eigene, ambitionierte Poetik vor (MH 101), die nicht nur avantgardistisch sein will, sondern es auch ist. Bereits die stetige Verflechtung von Wort und Bild sowie das Einbringen von Wortkreationen, die dadaistische Elemente vorwegnehmen, unterstreichen das. Auf diese Weise werden immer wieder die Positionen Else Lasker-Schülers als selbst-reflektierte Künstlerin in den Vordergrund gerückt. Das gesamte, zunächst auf einen Fortsetzungsroman also „ work in progress “ 44 angelegte Schreibprojekt der Norwegischen Briefe erhält vor diesem Hintergrund auch einen Legitimationscharakter. 45 40 So Nina Berman: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart 1996, S. 318. Vgl. Gayatri Chakravorty Spivak: In A Word: Interview, in: Dies.: Outside in the Teaching Machine, New York 1993, S. 1-23. Vgl. dazu bereits Kanz: Heterotopien, S. 92. 41 So interpretiert von Berman: Orientalismus, S. 318ff. 42 Diese „Spannung“ betont am Ende ihrer Studie auch Berman, ebd., S. 345. 43 So heißt es einmal, dass Berlin zwar eine „kalte […], unerquickliche […] Stadt“ sei, doch zugleich auch eine „unumstößliche Uhr“: „sie wacht mit der Zeit, wir wissen, wieviel Uhr Kunst es immer ist.“ (MH 31) 44 So bezeichnet es auch Kirschnik: Tausend und ein Zeichen, S. 166, Hervorhebungen in der Vorlage. 45 Vgl. dazu auch Nw 210 f. 196 Christine Kanz Die Adressierungen fungieren dabei nicht nur als ‚Aufmacher‘ zu den Briefinhalten, welche von der Lästerei über Schriftstellerkollegen, provokative kunstpoetische Statements, Klagen über die Ignoranz der Verleger oder die Bitte um Geld bis zur Trauer um die verlorene Liebe reichen. Nicht zuletzt können sie auch als „Spiel im Spiel im Spiel“ (Nw 212) gelesen werden, und sie sind stets auch fiktive Selbstinszenierungen eines Ich, das diese Brief-Adressierungen auch als Instanzen der (Selbst-)Abgrenzung und des Non-Konformismus benötigt und sie strategisch einsetzt. Wie spielt der zwischen politischem Statement, strategisch künstlerischer Selbstbehauptung und provokativer Verspieltheit schillernde Orientalismus Lasker-Schülers da nun mit hinein? Können wir über die strategischen Adressierungen und Briefinhalte, die so häufig auch Anleihen im Orient-Diskurs vornehmen zu neuen Differenzierungen - gerade auch in Bezug auf unser Thema Judentum, Orient und Orientalismus - gelangen? Zumindest Folgendes lässt sich vor dem Hintergrund des bereits Gesagten bislang festhalten: Das Verhältnis Künstlerin-Öffentlichkeit wird mit diesem fiktivem Liebesroman, dessen Personal aus „wirklich lebenden Menschen“ besteht, die sowohl als Mitspieler als auch als Publikum fungieren, aus den Angeln gehoben. Die unfreiwilligen Mitspieler werden am Ende zu ihrem eigenen Publikum. Die Briefeschreiberin bleibt dabei die Regisseurin und Hauptakteurin: Sie entscheidet, was über sie und ihr privates Umfeld in der Öffentlichkeit kursiert und in welcher Form. Sie bestimmt ihr öffentliches Bild als Frau, Jüdin, Schriftstellerin und Künstlerin selbst, indem sie es selbst kreiert, und zwar ständig aufs Neue, ohne sich auf eine feste Identität und Position festzulegen. Sie wird zur Dompteuse, die das Publikum ihres „Massenlustspiels“, wie sie ihre Briefe nennt, zähmt und führt dazu noch vor, dass sie selbst sich nicht bezähmen lässt. Im Gegenteil: Am Ende des Textes ist die Ich-Figur sogar zum „regierenden Prinzen in Theben“ aufgestiegen und hat damit eine souveräne Position inne. Dass Lasker-Schüler ihren „Liebes-Roman“ mit dem Aufstieg einer im Orient verorteten Figur zum Regenten enden lässt, ist wiederum als spielerische Provokation zu deuten in einer Zeit, in der alles jüdisch Konnotierte oder mit dem Orient Verknüpfte für ganz gegensätzliche Zwecke zunehmend auf dogmatische Weise vereinnahmt wurde. Lasker-Schüler alias die Briefe schreibende Ich-Figur des Textes alias Prinz von Theben versucht sich jeglichen Dogmen zu entziehen. Sie will das Spiel beherrschen. Spielfiguren - das können die Anderen sein. Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus Mark H. Gelber In der Historiographie des Zionismus ist es üblich, zwischen verschiedenen Orientierungen oder Bewegungen im Rahmen dieser modernen jüdisch-nationalen Ideologie und deren Umsetzung in die Realität zu unterscheiden. 1 Dies auch dann, wenn diese Unterscheidungen manchmal problematisch sind, oder intellektuelle Ungereimtheiten hervorbringen. Unter den verschiedenen Ausprägungen dieses Begriffs befinden sich folgende: erstens, der politische oder diplomatische Zionismus, der mit dem Namen und den Tätigkeiten Theodor Herzls, den zionistischen Kongressen, und den Aktivitäten der zionistischen Weltorganistion assoziiert wird und der die Etablierung einer jüdischen Heimstätte oder eines Judenstaats anstrebte; zweitens, der praktische Zionismus, der sich hauptsächlich auf Landerwerb, Immigration und die Siedlungsarbeit im Lande Israel, damaligen osmanischen oder späteren Mandat-Palästina konzentrierte, um die jüdische Anwesenheit im Lande zu stärken; und drittens, der Kulturzionismus, mitunter geistiger Zionismus genannt, der in der Regel mit dem Namen und den Schriften des hebräischen Denkers und Essayisten Achad Ha-ams verknüpft wird, oder auch mit seinen Nachfolgern und Schülern, wie Nathan Birnbaum und Martin Buber, dem wahrscheinlich bekanntesten unter ihnen. Der Kulturzionismus befürwortete zunächst ein jüdisch-geistiges Zentrum im Lande Israel zu errichten, kein Staatswesen im eigentlichen Sinn also, dessen schöpferische kulturelle Leistungen in die jüdische Diaspora hinein ausstrahlen und somit theoretisch eine geistige Verstärkung des jüdischen Volkes weltweit nach sich ziehen würden. Wenn in diesem Zusammenhang der Prager Kulturzionismus besprochen wird, ist damit das Paradebeispiel des Kulturzionismus in der Geschichte des Zionismus gemeint, d. h. diejenige Variante, die vom zionistischen Studentenverein Bar Kochba vertreten wird. Der Prager Kulturzionismus wird als ent- 1 Siehe Walter Laqueur: A History of Zionism, New York 1972 (2003). Vgl. Yoav Gelber: The History of Zionist Historiography, in: Benny Morris (Hg.): Making Israel, Ann Arbor 2007, S. 47-80. 198 Mark H. Gelber scheidendes Moment in der jüdischen Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts betrachtet. 2 Es gab historisch gesehen mehrere Strömungen innerhalb des Prager Zionismus, und Bar Kochba ist nur eine davon. Scott Spector schlägt den Begriff „Prager Zionismen“ vor, um eine Vorstellung der verschiedenen Varianten des Prager Zionismus zu geben bzw. den verschiedenen Varianten gerecht zu werden. Aber dem Kulturzionismus Bar Kochbas steht in der Tat ein einzigartiger Platz in der Historiographie des Zionismus zu, nicht zuletzt, weil diesem Verein mehrere hervorragende zionistische Denker und Aktivisten angehörten, die eine beträchtliche Auswirkung im Zionismus allgemein oder darüber hinaus gehabt haben. Es gab andere Personen, die zeitweilig ganz nah oder im Schatten dieses zionistischen Vereins standen, sie nahmen gelegentlich an seinen Aktivitäten teil, gehörten ihrem Netzwerk oder ihrer Ideenwelt an, auch wenn sie formal betrachtet nie Mitglieder des Bar Kochba Vereins waren. Unter den Denkern und Aktivisten, die auch Mitglieder waren, findet man: Hugo Bergmann, Felix Weltsch, Hans Kohn, Robert Weltsch, Sigmund Kaznelsohn und Leo Hermann. Unter den Freunden oder Mitarbeitern, die eng mit diesem Kreis assoziiert waren, auch wenn sie nie zu Mitgliedern des Bar Kochba wurden, waren Max Brod und Franz Kafka. Man könnte in diesem Prager Zusammenhang auch den Namen Martin Bubers erwähnen, dessen berühmte Drei Reden über das Judentum , die er 1909-1911 in Prag gehalten hat, eine profunde Einwirkung auf Bar Kochba ausgeübt haben. In der Folge hat er hinter den Kulissen die sensationelle Prager Anthologie, Vom Judentum. Ein Sammelbuch (1913) zusammen mit Hans Kohn, der das Geleitwort im Namen des Vereins jüdischer Hochschüler Bar Kochba schrieb, mitherausgegeben. Ich komme bald zum Inhalt dieses Sammelbands zurück. Wenn sich mein Vortrag heute hauptsächlich mit der Araberfrage und dem Orientalismus befasst, so ist damit die spezifische Anerkennung der Realität der arabischen Bevölkerung in Palästina im Prager Kulturzionismus gemeint. Zunächst werfen sich die Fragen auf, inwiefern der Prager Kulturzionismus die überwiegende arabische Mehrheit in Palästina wahrgenommen hat und was für Konsequenzen die Prager Kulturzionisten daraus gezogen haben. Sahen sie möglicherweise die arabische Bevölkerung als unvermeidliche Tatsache und als potentielles Hindernis zum Etablieren eines jüdischen geistigen Zentrums im 2 Siehe Scott Spector: Prague Territories. National Conflict and Cultural Innovation in Franz Kafka’s Fin de Siècle. Berkeley u. a. 2000; Dimitri Shumsky: Zweisprachigkeit und binationale Idee. Der Prager Zionismus 1900-1930. Übersetzt aus dem Hebräischen von Dafna Mach, Göttingen 2013; Hillel Kieval: The Making of Czech Jewry: National Conflict and Jewish Society in Bohemia. 1870-1918, New York 1988; Hillel J. Kieval, Languages of Community. The Jewish Experience in the Czech Lands, Berkeley u. a. 2000. Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus 199 Lande Israel und nicht in diesem Fall als potentielles Hindernis zur Errichtung eines Judenstaats oder politischen Staatwesens? Im Kulturzionismus allgemein und nicht nur in Prag war die Meinung vorherrschend, dass die Juden grundsätzlich als Orientalen oder als Asiaten (Buber) einzuordnen seien, also als eine Art von verlorenen Verwandten, die viele kulturelle Eigenschaften mit den Juden in der weltweiten jüdischen Diaspora teilten. In den rassentheoretisch orientierten Flügeln des Kulturzionismus neigte man dazu, die völkisch-rassiche Verwandtschaft der Araber und Juden, die beide als semitische Völker zu kategorisieren waren, als einen Segen und ein Positivum zu betrachten. Aber diese völkisch-rassischen Vorstellungen spielten in dieser Diskussion in Prag nur eine nebensächliche Rolle. Es ist wichtig zu betonen, dass der Zionismus allgemein und der Kulturzionismus insbesondere in seinen Anfängen die arabische Bevölkerung im Lande wahrgenommen hat, auch wenn mehrere zionistische Denker oder Aktivisten ihre Rolle in der Zukunft der zionistischen Bewegung - so wie sie ihnen vorschwebte - unterschätzten oder marginalisierten. Es gab typische Strategien, die Tatsache der arabischen Präsenz im Lande seitens des Zionismus zu relativieren, z. B. das Betonen der größeren historischen Rechte der Juden auf das Land Israel selbst, oder die Judennot aufgrund des Antisemitismus und der Verfolgung in Europa, oder aber die wesentlichen Vorteile, die die zionistischen Pioniere und Einwanderer der einheimischen arabischen Bevölkerung bringen würden - und zwar auf wirtschaftlichem, agronomischem, medizinischem und wissenschaftlichem Gebiet und dergleichen. Dazu kam die völkisch-rassische Verwandtschaft der Juden und Araber, die beide in diesem Sinn als semitische Stämme kategorisiert werden könnten und infolgedessen gemeinsame kulturelle Sensibilitäten zum positiven Ausdruck bringen würden. Aber einer der ersten zionistischen Denker (Steven Zipperstein nennt ihn den allerersten), der eine Warnung vor der Gefahr der Araber für das zionistische Projekt äusserte, war der Kulturzionist Achad Ha-am. 3 Dies hatte er schon 1891 - einer Reise nach Palästina folgend - in seinem Artikel Emet mi Eretz Jisrael ( Wahrheit vom Lande Israel ) klar formuliert, also einige Jahre bevor sich Herzl zum Zionismus bekannte, oder den Weg zum Zionismus fand. Trotzdem glaubte Achad Haam, dass die arabische Gefahr nicht entscheidend für das zionistische Projekt sein würde, zunächst weil er der Meinung war, dass die Juden das höhere historische Recht auf das Land besäßen, und zweitens, weil die Araber für ihn eher als typische Vertreter und Stifter des ewigen Antisemitismus galten. Achad Haam dachte, dass mit dem Gedeihen der jüdischen Sied- 3 Steven Zipperstein: Elusive Prophet: Ahad Ha’am and the Origins of Zionism, Berkeley u.a 1993, S. 301. 200 Mark H. Gelber lungen und der Vergrößerung der jüdischen Bevölkerung, in deren Folge der jüdische Geist die kulturelle Atmosphäre im Lande allmählich ändern würde, die Araber letztendlich absorbiert werden könnten, und somit die Araberfrage eher natürlich gelöst werden würde. In einem Tagebucheintrag schrieb er, dass viele einheimische Araber wohl ehemalige Juden gewesen seien, deren jüdische Eigenschaften in ihrem Blut noch zu entdecken seien, d. h. noch zum Ausdruck gebracht werden könnten. 4 Was heutzutage wohl noch erstaunlich ist, ist die Tatsache, dass Achad Haam als Kulturzionist meistens optimistisch war, ungeachtet seines bekannten Pessimismus über den Stand der Dinge im Zionismus allgemein und in Palästina insbesondere. Er glaubte, dass die Juden eines Tages eine Mehrheit der Bevölkerung in Palästina ausmachen würden. Dies war zu einer Zeit, als lediglich einer von sieben Einwohnern des Landes Jude war. Nach der Balfour-Deklaration 1917 war Achad Ha-am zuversichtlich und hegte die Hoffnung, dass in absehbarer Zukunft die Juden als Mehrheitsbevölkerung im Lande einen Judenstaat ins Leben rufen könnten, wie gesagt, zu einer Zeit als sie noch eine kleine Minderheit im Lande waren. Ich habe Achad Ha-am in diese Diskussion eingeführt, um zu betonen, dass auch der Kulturzionismus, hier von Achad Ha-am vertreten, welcher sich vor allem mit der Erneuerung des Judentums, des jüdischen Geistes und der jüdischen Kultur des jüdischen Volkes durch die Etablierung eines jüdischen geistigen Zentrums im Lande Israel beschäftigte, auch eine jüdische Mehrheit im Lande in der Zukunft voraussah, um in kommenden Zeiten das Errichten eines jüdischen Staates zu sichern. In seinen Schriften wiederholte Achad Ha-am, wie wichtig es sei, gerecht und korrekt der arabischen Bevölkerung gegenüber zu handeln, sie sich nicht zu entfremden. Letzeres wohl, um sein Ziel des jüdischen Zentrums moralisch nicht zu kompromittieren. Aber im Großen und Ganzen war die Araberfrage für ihn eher nebensächlich. Man würde vermuten, dass die Araberfrage allgemein im Kulturzionismus als eine nebensächliche Angelegenheit zu betrachten wäre. Man könnte mit Recht behaupten, dass dies wohl auch für Martin Buber, für den frühen Buber bestimmt, der Fall war, insofern er eine entscheidende Wirkung auf den Prager Kulturzionismus ausübte. Er erwähnte nicht einmal die Araber in seinen drei entscheidenden Reden über das Judentum, die eine neue Phase im Prager Zionismus einleiteten und den Prager Zionismus galvanisierten. Buber wie viele Kulturzionisten betrachtete die Juden als Orientalen oder als Asiaten. In seinen frühen Ausführungen über Der Geist des Orients und das Judentum betrachtete er die Juden als „ein Spätling des Orients“, aber nichts- 4 Ebd., S. 247. Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus 201 destotrotz als Orientalen. 5 Bubers grundsätzlicher Humanismus und Respekt vor dem Anderen bestimmten in jedem Fall auch seine positive Stellungnahme zu der Realität der arabischen Bevölkerung in Palästina. In seinen drei Reden in Prag thematisierte Buber an erster Stelle die innere Wirklichkeit des Judentums im einzelnen Juden und wie das Wesen des Judentums sich in einer Gemeinschaft konstituiert hat. Er fragte nach der Art und Weise, wie eine jüdische nationale Existenz zum konkreten Ausdruck komme, da die Juden vor allem als Nation zu verstehen seien. Buber zitierte Achad Ha-am in seiner dritten Rede, um die Erneuerung des Judentums durch das Errichten eines geistigen Zentrums in Palästina zu bestätigen. Er erinnerte daran, dass nach Achad Ha-am ein geistiges Zentrum eine Grundlage in der Realität brauche, dass ohne diese Grundlage ein geistiges Zentrum undenkbar sei. Aber er verzichtete darauf, Details über das Wesen dieser Grundlage in seinen Prager Reden anzugeben. Dies hätte den Kontext geliefert, um die arabische Bevölkerung im Lande zu berücksichtigen, sowie die Konsequenzen davon für den Kulturzionismus in Betracht zu ziehen. Also lehnte Buber in der Praxis ab, über die Araberfrage vor den Prager Zionisten zu diskutieren. 6 Der sensationserregende Prager kulturzionistische Sammelband Vom Judentum , der 1913 anknüpfend an die drei Reden von Buber inspiriert und teilweise von ihm mitherausgegeben wurde, präsentiert die Hauptthemen des Prager Kulturzionismus als Fortsetzung und Entwicklung des Gedankenguts Achad Ha-ams und Martin Bubers. Laut dem Herausgeber Hans Kohn dokumentierte das Sammelbuch das Bestreben der Juden, „die aus Not und verzweifelter Empörung einen Weg suchten, einen Weg zu den Wirklichkeiten neuen jüdischen Lebens“ und die teilweise schon „auf dem Wege geistiger Aussprache [waren], die Gemeinschaft aufzubauen“. Infolgedessen entstehe „eine neue Art Jude“ 7 . Sehr typisch für den Prager Kulturzionismus, manchmal auch für den frühen Zionismus allgemein, war nämlich, dass der Zionismus als Jugendbewegung, als Kampf der Jugend im Sammelbuch dargestellt wird, die eine Wende, nicht nur für das Judentum, sondern für die ganze Menschheit nach sich ziehe. Aber wie genau der Zionismus dies überhaupt leisten könnte, wurde nicht detailliert beschrieben. In einem Aufsatz über „Fin de Siècle Orientalism“, hat Paul Mendes-Flohr den Prozess der positiven Umwertung des Orients allgemein im europäischen Westen der Jahrhundertwende als unentbehrlichen Teil dieser 5 Martin Buber: Der Geist des Orients und das Judentum, in: Ders.: Der Jude und sein Judentum. Gesammelte Aufsätze und Reden, Köln 1963, S. 55. 6 Vgl. Martin Buber: Drei Reden über das Judentum, Frankfurt a. M. 1916. 7 Hans Kohn: Geleitwort, in: Hans Kohn (Hg.): Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Leipzig 1913, S. VI. 202 Mark H. Gelber Wende identifiziert. Darüber hinaus zitiert er aus der Einleitung Hans Kohns zum Sammelband Vom Judentum , um ein treffendes Beispiel davon zu liefern. 8 In mehreren Beiträgen zum Sammelbuch wird die Meinung geäußert, dass die Juden Orientalen seien, um ausdrücklich den natürlichen Platz der Juden aus geschichtlicher, völkischer oder völkisch/ rassicher Perspektive im Orient zu verankern. Demzufolge sei die Verlagerung des jüdischen Individuums sowie des Volkes zum Orient nur Gutes, Gesundes und werde Schöpferisches für sie und für andere Völker oder Rassen hervorbringen. Jakob Wassermann, z. B. vertritt diese Gedanken in seinem Beitrag Der Jude als Orientale . 9 In einem Beitrag mit dem Titel Der Geist des Orients erklärt Hans Kohn wie der Orient hauptsächlich als eine große Kultureinheit verständlich sei. Juden, die im Okzident weilen, seien infolgedessen und notwendigerweise ordnungslos, träge, geistlos. Kohn schreibt: „Uns Juden fehlt seit Jahrhunderten die sinnvoll-lebendige Ordnung, erlangen können wir sie nur dort, wo wir mit unserem tiefsten Leben wurzeln: im Orient.“ 10 Diese Rhetorik ist typisch für mehrere Beiträge im Sammelband und sie betont den räumlichen Aspekt der orientalischen Realität für das Judentum im Prager Kulturzionismus. Der menschliche Aspekt, d. h. sowohl die Nähe zu den anderen Orientalen, nämlich die vermutete Wesensverwandschaft mit den anderen Semiten, als auch die möglichen Vorteile, die vom theoretischen Beisammensein und Nebeneinander der Juden mit anderen Orientalen, Stammesbrüdern, die auch als Semiten in der anthropologischen oder völkischen und rassistischen Literatur eingestuft werden, zustande kommen, wird aber nicht erwähnt. Also ist der Sammelband in diesem Sinn nur ein weiteres Beispiel für die relative Vernachlässigung oder Marginalisierung der arabischen Realität Palästinas im Prager Kulturzionismus. Aber eine entgegengesetzte Annäherung an die Araberfrage im Prager Zionismus wurde an anderer Stelle, z. B. von Hugo Bergmann und von Hans Kohn, gewagt, und sie muss auch in Betracht gezogen werden, um die Umrisse der Araberfrage im Prager Zionismus völlig verständlich zu machen. In seinen Bemerkungen zur arabischen Frage , 1911 veröffentlicht - also vor dem Erscheinen des Bar Kochba Sammelbuchs, fragt Bergmann, kurz nach seiner Rückkehr nach Prag, als er von einem Besuch aus dem Lande kam, nach der zionistischen Stel- 8 Paul Mendes-Flohr: Fin de Siècle Orientalism and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation, in: Jerusalem Studies in Jewish Thought 3/ 4 (1983-1984), S. 623-682; vgl. ferner Nina Berman: Der Jude als Orientale, in: Dies.: Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900, Stuttgart 1997, S. 264- 291. 9 Jakob Wasserman: Der Jude als Orientale, in: Kohn: Vom Judentum, S. 5-7. 10 Hans Kohn: Der Geist des Orients, in: Ders.: Vom Judentum, S. 17. Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus 203 lungnahme zur überwiegend arabischen Mehrheit in Palästina. 11 Wie Achad Ha-am macht Bergmann kein Hehl daraus, dass es das wahre Ziel des Zionismus sei, eine jüdische Mehrheit in Palästina zu sichern, auch wenn dieses Ziel nach den damaligen demographischen Verhältnissen total unrealistisch, ja gar fantastisch oder traumhaft anmuten musste. Auf jeden Fall wäre es nur in der fernen Zukunft zu realisieren. Darüber hinaus war es eine Priorität für Kulturzionisten eine beherrschende jüdische Kultur im Land zu schaffen. Da die demographische Realität eine unvermeidliche Bedrohung und ein Hindernis darstellte, musste der Zionismus, auch der Kulturzionismus (und dies möchte ich betonen) nach Bergmann „eine vorsichtige und vorsorgliche jüdische Politik“ 12 entwickeln, damit die judenfeindliche Stimmung unter den Arabern oder das Erstarken einer antijüdischen Bewegung unter ihnen verhindert werde, bis zu der Zeit, in welcher die Juden eine Mehrheit im Land bilden würden. Bergmann gibt zu, dass die Zionisten Schuld an der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Juden und Arabern in Palästina trügen, aber dies habe hauptsächlich mit der Art und Weise des Landerwerbs zu tun und nicht mit der Tatsache an sich, dass die zunehmende jüdische Einwanderung eine unerwünschte neue Realität für die Araber im Lande bedeute. Bergmann ist überzeugt, dass das Land genug Platz für Araber und Juden anbiete und was lediglich geändert werden müsse, sei die jüdische Siedlungspolitik an sich. Die Araber sollten nicht verdrängt werden und da mehr als die Hälfte des Landes nicht bebaut werde, sei es logisch, dass Juden nur das unbewohnte Land besiedelten. Bergmann versucht zu überzeugen, dass wenn die Juden als Kulturträger nach Palästina kommen, die hauptsächlich Vorteile für die einheimischen Araber versprächen, eine Modalität für ein Zusammenwohnen gefunden werde. Sowieso sei die anthropologische Grundlage dafür vorhanden, indem wie Bergmann schreibt, die Araber „Stammverwandte“ der Juden seien. 13 Bergmann schlägt vor, dass Juden eine pro-zionistische, arabisch-geschriebene Zeitung gründeten, um die arabische Bevölkerung Palästinas über das wahre und positive Wesen des Zionismus zu informieren. Dies werde mehr als ein wenig dazu beisteuern, die Beziehungen zwischen den schon befeindeten Gruppen zu verbessern. Nur einige Jahre später hat sich auch Hans Kohn direkt zur Araberfrage in Martin Bubers kulturzionistischer Monatsschrift Der Jude geäußert. 14 Kohns Formulierungen sind radikaler als jene Bergmanns. Er berichtet über den Stand der Dinge in Palästina, ohne das Land besucht zu haben. Er listet auf, was er für 11 Hugo Bergmann: Bemerkungen zur arabischen Frage, in: Palästina. Zeitschrift für den Aufbau Palästinas 8 (1911), S. 190-195. 12 Ebd., S. 192. 13 Ebd. 14 Hans Kohn: Zur Araberfrage, in: Der Jude 4 (1919), S. 567-569. 204 Mark H. Gelber die harten Tatsachen hält: 1) Palästina sei ein arabisches Land, fünf Sechstel der Bevölkerung, also die überwiegende Mehrheit, seien Araber. 2) Die Vergangenheit des Landes, soweit sie ethnographisch und ökonomisch für die Gegenwart in Betracht komme, sei arabisch. 3) Die Sprache des Landes sei ein arabischer Volksdialekt. 4) Die Sitten und Lebensart der Bewohner seien arabisch. 5) Ringsum Palästina wohnten in Sprache und Sitte verwandte Araber. Dagegen könnten Juden sich lediglich auf die historischen Rechte des jüdischen Volkes auf dieses Territorium stützen, aber Kohn lehnt diese fehlerhafte Rechtfertigungsart entschieden ab. Es mag wohl verblüffend scheinen - da Kohn als einer der nüchternen, historisch fundierten, tiefschürfenden und konsequenten Prager Kulturzionisten betrachtet werden kann - das jüdische Recht auf das Land dadurch zu rechtfertigen, indem er einerseits behauptet, dass die Juden seit Jahrhunderten das Land treu geliebt hätten und andererseits, dass die Notwendigkeit der Zeit, also Antisemitismus und Verfolgung, den Juden eine gewisse Priorität gäben. Wie Bergmann ist auch Kohn davon überzeugt, dass ein friedliches Zusammenleben der Araber und Juden durchaus möglich sei, bis die Juden eine Mehrheit im Lande darstellten. Der Zionismus muss nach Kohn die arabische Sprache sowie Hebräisch als Vorbereitung zur Immigration befürworten. Angesichts der Araberfrage müsse das Ziel des Zionismus letztendlich ein Nationalitätenstaat, kein Nationalstaat sein. Der Zionismus müsse die Verbesserung des arabischen Alltagslebens sichern. Da ein Grundpfeiler des Judentums Gerechtigkeit sei, müsse der Zionismus den Arabern gegenüber Gerechtigkeit walten lassen, und diese müsse als Fundament des Zusammenlebens anerkannt werden. Dies bedeute, dass keine Araber durch den Zionismus bedrückt oder verdrängt werden dürfen. Trotz der Logik seiner Argumente und Formulierungen bleibt Kohn grundsätzlich optimistisch, dass das Ziel des Kulturzionismus, d. h. die Etablierung eines jüdischen geistigen Zentrums in absehbarer Zukunft in Palästina durchaus realistisch sei. Die Wiederbelebung und Erneuerung des Judentums weltweit, und vielleicht auch (wie Kohn es formuliert) die damit verbundene Vervollkommnung der ganzen Menschheit sind mit den richtigen kulturpolitischen Strategien trotz der großen arabischen Bevölkerung realisierbar. Am Ende meines Vortrags über den Prager Kulturzionismus und die Araberfrage möchte ich ein paar Prager literarische Beispiele kurz erwähnen, allerdings ohne sie aus Zeitmangel gründlich analysieren zu wollen. Sie erweitern das Verständnis der schon dargelegten Überlegungen. Anknüpfend an eine der Rechtfertigungen des zionistischen Unternehmens, die Hans Kohn in seiner Zur Araberfrage präzisierte, nämlich Liebe oder Liebe fürs Land, finde ich es sinnvoll, Max Brod und Franz Kafka in diese Diskussion einzubringen. Zunächst Max Brod, der auch als Beitragender zum Prager Sammelband Vom Judentum auftaucht und dann später zum inneren Kreis der Mitarbeiter von Bubers kultur- Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus 205 zionistischer Monatschrift Der Jude zählte. 15 Er wurde zum zionistischen Aktivisten, der später nach Palästina kam und der die letzten dreißig Jahre seines Lebens in Tel Aviv tätig war. Brod hatte den Begriff ,Liebe‘ auch in seinen kulturzionistischen und polemischen zionistischen Texten verwendet. Ein Beispiel ist sein Gedicht Kanaan , das in seiner frühen Gedichtsammlung Das gelobte Land (1917 veröffentlicht) enthalten ist. Dieses Gedicht beginnt mit den Zeilen: „Habt ihr noch niemals den holden/ Gedanken ,Volk‘ gedacht.“ 16 Dadurch lädt die poetische Sprache ein, über das Positive und Gesunde des Völkischen oder des nationalen Gedanken nachzudenken. Die letzten Zeilen des Gedichts versuchen die Liebe des eigenen Volkes in einem ausgedehnten Rahmen umzusetzen, bis die ganze Menschheit mitinbegriffen ist: „Schon liebe ich Ewigkeiten/ Schon lieb ich die ganze Welt.“ 17 Diese Tendenz war typisch für den Prager Kulturzionismus und kommt hier in Brods Gedicht deutlich zum Ausdruck. Ein zweites Beispiel für Brods zionistische Haltung befindet sich in seinem Roman Unambo (1949), der u. a. den israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 thematisiert. Zu dieser Zeit wohnte Brod schon zehn Jahre in Tel Aviv. Der Massaker in Deir Yassin, wo arabische Frauen und Kinder ermordert wurden, wird im Roman beklagt, obschon einige Formulierungen im Text die zionistische militärische Strategie, die zu tragischen Konsequenzen führte, teilweise rechtfertigen. Es wird behauptet, dass die Juden diesen Krieg nie beginnen wollten, dass sie sich nur nach dem Frieden sehnten und dass die Araber den Krieg forciert hätten. Darüber hinaus wird erwähnt, wie nur einige Tage nach Deir Yassin, die Araber den Mord der Ärzte, Krankenschwestern und Universitätsprofessoren begangen hätten, obschon die arabischen Instanzen im voraus ein Versprechen der Sicherheit gegeben hätten, damit medizinische und andere materielle Hilfe auf den isolierten Scopusberg in Jerusalem gebracht werden könnten. Die Araberfrage wird im Roman wiederholt zum Thema der nuancierten Diskussionen zwischen den Hauptfiguren, aber der Protagonist (Helfin) ist im Grunde zuversichtlich, dass die Araber selber die Schuld für ihre schwierige Situation trügen. Eine andere Hauptfigur, der als Kibbutznik-Held in Galiläa eine entscheidene Rolle im Kampf spielt, bespricht den theoretischen Sinn des Zionismus als Gerechtigkeit. Er denkt aber, dass die Verdrängung der Araber die Gerechtigkeit des Zionismus kompromittiert habe. Diese Zeilen erinnern genau an die Debatte um die Araberfrage, die Bergmann und Kohn viele Jahre vorher 15 Siehe Mark H. Gelber: Max Brod und der Prager Zionismus, in: Steffen Höhne/ Anna-Dorothea Ludewig/ Julius H. Schoeps (Hg.): Max Brod (1884-1968). Die Erfindung des Prager Kreises, Köln/ Weimar/ Wien 2016, S. 241-250. Vgl. Gaelle Vassogne: Max Brod in Prag. Identität und Vermittlung, Tübingen 2009. 16 Max Brod: Kanaan, in: Ders.: Das gelobte Land, Leipzig 1917, S. 24. 17 Ebd., S. 25. 206 Mark H. Gelber in Prag initiert hatten. Am Ende des Romans äußert sich dieser Kibbutznik-Held über seine moralische Zerrissenheit, welche als Teil seiner tragischen Vorstellung des zionistischen Unternehmens im Land verständlich ist. Sie ist auch mit der Tragik der europäischen Juden, d. h. mit der Shoah verknüpft. Er sagt: „Wir müssen siedeln, und die Araber müssen sich wehren. Sie sind es, nicht wir, die den Verteidigungskampf führen. Ein unauflöslicher Konflikt. Denn wir mögen uns stellen, wie wir wollen; schliesslich verdrängen wir sie doch von ihrem Boden“. 18 Aber anknüpfend an dieses nüchterne Verständnis der Realität des Zionismus, schlägt der zionistische Held eine eher utopische Antwort vor. Er sagt: „Wir werden uns in die Araber verlieben müssen. Dann erst werden wir vielleicht anfangen, gegen sie gerecht zu sein. Anders geht es nicht“. 19 Hier fungiert die Liebe als mögliche Hilfe, eine Alternative zur harten Realität des unvermeidlichen Kampfes zwischen zwei Völkern anzubieten. Aber wie realistisch ist diese Lösung in der Tat? Als letztes Beispiel möchte ich Franz Kafkas Schakale und Araber kurz erwähnen. Wie bekannt erschien diese „Tiergeschichte“ (so Kafkas Bezeichnung) zunächst in Martin Bubers Der Jude und Kafka, obwohl vorher sehr skeptisch, war offensichtlich angenehm überrascht, dass er doch dem Kreis der Beitragenden angehören konnte. Die letzte Zeile seines Textes thematisiert nicht die Liebe, sondern den Hass zwischen den Erzfeinden Schakalen und Arabern und das letzte Wort des Textes ist: „hassen! “ (mit Ausrufezeichen). Aber kurz zuvor hatte der Araber behauptet, dass die Araber die Schakale doch lieben: „… Narren, wahre Narren sind sie, Wir lieben sie deshalb, es sind unsere Hunde.“ 20 Generell wäre es sicher sinnvoll, zwischen Bewunderung und Liebe zu unterscheiden, aber dies ist in diesem Zusammenhang wohl nebensächlich. Wenn diese „Tiergeschichte“ direkt an die Diskussion der Araberfrage im Prager Kulturzionismus anknüpft, wie Dimitry Shumsky und andere behaupten, 21 ist Kafkas Urteil über die Zukunft in Palästina im Moment, in dem er den Text aufschreibt, wahrscheinlich als viel pessimistischer einzuordnen, als das bei anderen damaligen Teilnehmern an dieser Diskussion, wie Bergmann oder Kohn, der Fall ist. Sie beschreiben auch den Hass, er fungiert jedoch als Begleitstück zur Machtkonkurrenz und zum Konflikt zwischen den zwei Parteien. Man findet nur wenig 18 Max Brod: Unambo, Zürich 1949, S. 231. 19 Ebd., S. 232. 20 Franz Kafka: Schakale und Araber, in: Ders.: Schriften Tagebücher Briefe - Kritische Ausgabe, hg. von Gerhard Neumann/ Malcon Pasley/ Jost Schillemeit. Drucke zu Lebzeiten, hg. von Wolfgang Kittler u. a., New York 1994, S. 270-75, hier S. 274. 21 Dimitri Shumsky: Czechs, Germans, Arabs, Jews. Franz Kafka’s ‘Jackals and Arabs’ between Bohemia and Palestine, in: Association for Jewish Studies Review 33 (2009), S. 71- 100. Vgl. Iris Bruce: Kafka and Cultural Zionism. Dates in Palestine, Madison 2007, S. 170- 172. Die Araberfrage im Prager Kulturzionismus und der Orientalismus 207 Liebe in diesem Text, auch wenn viele kulturzionistische Hinweise erkennbar sind. Mehrere Leser und Interpreten, darunter Jens Tismar, Iris Bruce und Dimitry Shumsky haben diese Erzählung als jüdisch oder zionistisch und kulturzionistisch zutreffend ausgelegt. 22 Andere, wie Jens Hanssen, haben den Text als scharfe Kritik am Zionismus, sowie als Kafkas absolute Ablehnung des aggressiven zionistischen Kolonialismus verstanden. 23 Hanssen betrachtet Kafkas Bild der Araber als komplex, aber durchaus positiv, ohne die wesentlichen negativen Aspekte, die sogar in der arabischen Rezeption des Textes vorkommen, in Betracht zu ziehen. Atef Botros hat die arabische Rezeption von Schakale und Araber in seinem Buch Kafka, ein jüdischer Schriftsteller aus arabischer Sicht (2009) ausführlich kommentiert und dabei mehrere arabische Beobachter und Kritiker zitiert, die den Text so deuten, um Kafkas Zionismus zu demonstrieren. Er zeigt aber auch, wie andere arabische Leser den Text als Kritik am Zionismus verstanden haben. 24 Entgegengesetzte Auslegungen von Kafkas Schriften belegen in der Regel seine Polysemie, was für mehrere Beobachter wie Sander Gilman oder Roland Barthes seine Größe als Schriftsteller bestätigt. Als Reaktion auf Hanssens Polemik hat Jay Geller vor kurzem Hanssens sehr problematische und offensichtlich politisch-motivierte Ausführungen überzeugend widerlegt. 25 Geller versucht - wie andere schon versucht haben -, den Text von der Perspektive der spezifischen Gattung oder mit Hilfe der Gattungstheorie zu diskutieren, da Kafka selbst die Kategorie und den Terminus „Gleichnis“, den Martin Buber vorgeschlagen hatte, ablehnte und ihm demzufolge den Titel „Tiergeschichte“ vorschlug. Was Geller beweist und betont, ist nämlich, wie dieser Text keineswegs als Gleichnis, d. h. weder als Allegorie noch als Parabel verstanden werden kann. Auch wenn kluge Interpreten von Kafkas Schriften wie Walter Benjamin, Werner Kraft und Walter Sokel Kafkas herrschende Denk- und Stilfigur als das Gleichnis und die Gleichnisse identifizieren, kann dies nach Geller in Schakale und Araber kaum der Fall sein. Dies hat vor allem mit der verwirrenden Verwendung von stereotypischen jüdischen Eigenschaften bei der Beschreibung der Schakale einerseits sowie bei der spezifischen Darstellung der Araber andererseits zu tun. Dadurch und aufgrund anderer Elemente gravitiert der Text und seine Auslegung aus dem spezifischen Rahmen und der 22 Jens Tismar: Kafkas „Schakale und Araber“ im zionistischen Kontext betrachtet, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 19 (1975), S. 306-323. 23 Jens Hanssen: Kafka and Arabs, in: Critical Inquiry 38 (Autumn 2012), S. 167-197. 24 Atef Botros: Kafka, ein jüdischer Schriftsteller aus arabischer Sicht, Wiesbaden 2009, S. 130-138, 178-184, 209-215. 25 Jay Geller: Kafka’s „Schakale und Araber“ and the Question of Genre, in: Ulrike Brunotte/ Anna-Dorothea Ludewig/ Axel Stähler (Hg.): Orientalism, Gender and the Jews. Literary and Artistic Transformations of European National Discourses, Oldenbourg 2015, S. 124- 136. 208 Mark H. Gelber Landschaft der Oase in der Wüste, wo Araber und Schakale beheimatet sind, in die größere allgemeinere universelle Umwelt der Verhältnisse und Beziehungen der menschlichen Existenz aller Art. Also werden nach Christian Eschweiler folgende Themenkomplexe im Text allgemein thematisiert: Anziehung und Abstoßung, Unterwerfung und Herrschaft, Notwendigkeit und Freiheit, Natur und Geist, Liebe und Hass. 26 In diesem Sinn bleibt der Text aber auch der universalisierenden Tendenz des Kulturzionismus gewissermaßen treu, während er ein weites allgemeines Feld von Interpretationsmöglichkeiten suggeriert, die über den Kulturzionismus und den Prager Kulturzionismus hinausgehen. 26 Christian Eschweiler: Kafkas Erzählungen und ihr verborgener Hintergrund, Bonn 1991, S. 87. Zitiert in: Botros: Kafka, ein jüdischer Schriftsteller aus arabischer Sicht, S. 181. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen Gabriele Guerra Kulturzionisten in Prag Im Herbst 1915 wollte Martin Buber den ersten Band seiner neuen Zeitschrift Der Jude herausgeben. Er verstand sie als ein Organ des Kulturzionismus. In diesem Sinn verfolgte er die Absicht, die neue jüdische Identität der Zionisten als eine geistig-kulturelle Wiedergeburt zu denken. Diese Renaissance wollte einerseits den Zionismus korrigieren, andererseits wendete sie sich entschieden gegen die „Westjüdische Zeit“ der Assimilation, die ihre jüdische Identität vergessen hatte. Solche Feindbilder - gegen das assimilierte, unreflektierte Judentum ebenso wie jenes für und ‚gegen‘ den Zionismus - sind in der Sekundärliteratur über Buber und das Prager Judentum gemeinhin durch die Antithese Assimilation/ Zionismus interpretiert worden. Diese Antithese nämlich sollte die komplexe jüdische Existenz um die Jahrhundertwende erklären, wie sie die deutschsprachigen Prager Juden erlebten. Vor allem nahm man dafür das Spannungsverhältnis im intellektuellen Leben des Prager Kreises Bar Kochba in den Blick. Doch lassen sich gerade am Beispiel Bubers und des Prager Deutsch-Judentums vielschichtigere kulturpolitische Hintergründe der jüdischen Identität aufzeigen: Nicht nur war der zionistische Hang zur Renaissance der jüdischen Identität mit der radikalen Ablehnung eines assimilierten Lebens verknüpft; hinzu kamen deutschnationale Instanzen zur Zentralität des Geistes, der Kultur, des Volkes. Von Nietzsche zu Herzl, von der deutschen Kulturkritik zum jüdischen Erneuerungswillen, manifestierte sich die jüdische Identität in ästhetischen, politischen und literarischen Parolen und bildete damit eine Art deutsch-jüdische ästhetische Moderne. In diesem Sinn lässt sich der Kulturzionismus als eine jüdische Reartikulation der deutschen Idee der Kulturnation beschreiben. 1 1 Vgl. dazu Stefan Vogt: Subalterne Positionierungen. Der deutsche Zionismus im Feld des Nationalismus in Deutschland 1890-1933, Göttingen 2016. Der Autor dieser überzeugenden Studie beweist, wie dicht die Überlappung von deutschnationalen, völkischen und 210 Gabriele Guerra Der junge Buber ist Galionsfigur dieser Konstellation, denn er hatte sich nicht nur als Ideologe des Prager Kreises hervorgetan, sondern auch als Autor des geistesphilosophischen Romans Daniel (1913), sowie als Herausgeber der weltmystischen Sammlung Ekstatische Konfessionen (1909) an der Schnittstelle zwischen neujüdischen Erweckungsinstanzen, deutschkulturellen Identitätsansprüchen und neumystischen Tendenzen positioniert. Ebenso war Der Jude von Martin Buber Ausdruck sich vielfältig durchkreuzender Tendenzen und ließ das Bild „eines überaus vielfältigen geistigen, sozialen und politischen Lebens des jüdischen Volkes in der Diaspora sowie in Palästina“ entstehen. 2 Die kulturpolitische Existenz Bubers und des Prager Kreises waren also zugleich kulturzionistisch und deutschnational motiviert. Dazu gehörten auch ,orientalistische‘ Blicke auf das Exotische, die sie von dem Bereich der deutschen Kultur her auf eine imaginierte Landschaft warfen. Franz Kafka als Prager Jude besetzt innerhalb dieser schon komplizierten Konstellation eine noch kompliziertere Schnittstelle: Er bewegt sich zwischen der Neuentdeckung einer jüdischen Identität, der Hingabe zum Literarischen und der ironisch-tragischen Umkehrung jener gemeinschaftsstiftenden Bestrebungen, die sowohl den Kulturzionismus als auch die deutsche Kultur charakterisierten. Diese Position Kafkas soll im Folgenden anhand einer Textanalyse seiner Erzählung Schakale und Araber aufgezeigt werden, die alle symbolischen Bedeutungselemente dieser Fragestellung in paradigmatischer und zugleich rätselhafter Weise beinhaltet: Die Renaissance einer jüdisch-geistigen Identität, die Erneuerung der Kultur, der Hang zur Gemeinschaft. Dazu seien hier zunächst die wichtigsten literaturgeschichtlichen Stationen der Publikationsgeschichte der Erzählung erinnert, die die Beziehung von Buber und Kafka verdeutlichen: Bubers Projekt um Der Jude wurde von vielen interessierten Lesern rezipiert, u. a. von Max Brod, der den Freund Kafka eben einbeziehen wollte. Deswegen bat Brod Buber, den Freund zu kontaktieren und einige Texte von ihm für die neugegründete Zeitschrift zu gewinnen. Kafka lehnte die Einladung von Buber aber ab: „Ich bin - irgendeine Hoffnung sagt natürlich: noch - viel zu bedrückt und unsicher, als daß ich in dieser Gemeinschaft auch nur mit der geringsten Stimme reden dürfte“. 3 Ein Jahr später, erneut auf Empfehlung von Brod - der jetzt einen Aufsatz in der Zeitschrift kulturnationalen Fragen und Auffassungen bei den deutschsprachigen Kulturzionisten war, vor allem am Beispiel des Prager Judentums und des Martin Bubers (S. 42ff.). 2 Eleonore Lappin: Der Jude 1916-1928. Jüdische Moderne zwischen Universalismus und Partikularismus, Göttingen 2000, S. 2. 3 Franz Kafka an Martin Buber, 29. November 1915, in: Martin Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Bd. I: 1897-1918, Heidelberg 1972, S. 409. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 211 veröffentlicht hatte, wo er sehr stark für die Erzählkunst Kafkas plädierte 4 - erbat Buber erneut literarische Texte von Kafka. Und nun nahm der Schriftsteller endlich die Einladung an und lieferte einige Texte. Unter diesen wählte Buber zwei aus: Schakale und Araber und Ein Bericht für eine Akademie . Buber schlug vor, die beiden kurzen Erzählungen Gleichnisse zu betiteln, was Kafka aber nicht wollte: „Gleichnisse bitte ich die Stücke nicht zu nennen, es sind nicht eigentlich Gleichnisse; wenn sie einen Gesamttitel haben sollen, dann am besten vielleicht ‚Zwei Tiergeschichten‘“. 5 Kafka wollte also offensichtlich in diesen Texten keine Parabeln, sondern nur zwei Erzählungen sehen, in denen Tiere die Hauptcharaktere bilden. Und doch ist Bubers Vorschlag berechtigt, legt doch die klare und fabelhafte Struktur der Erzählungen eine parabolische Deutung nahe. Es drängt sich also die Frage auf, inwiefern diese Texte mit bedeutungsgeladenen Analogien spielen, mit einem ‚Dämon der Analogie‘ sozusagen. Wer also kann hinter dem Affen (in dem Bericht ) oder hinter den Schakalen eigentlich stehen? Dämonenhaft ist das Analogieverfahren dieser Erzählungen aber auch deshalb, weil Kafka hier jede direkte Identifikation zu verhindern sucht, die vom Signifikanten - die Schakale, die Araber, der erzählende Europäer aus dem Norden - zu einem versteckten und eindeutigen Signifikat führen sollte. Und wenn sich Kafka generell gegen eine analogische Deutung sperrt, dann umso mehr einer (zeit-)historischen Deutung (im Sinne von: Sind die Schakale die Zionisten? Oder sind diese eher die konservativen, antizionistischen Juden? ). Eine aktualisierende Deutung scheint ohnehin unnötig, weil Kafka - das sagte schon Walter Benjamin zehn Jahre nach dessen Tod - „in Weltaltern“ denkt. 6 Bei Kafka sind somit vor allem die mythischen, ur-geschichtlichen Kräfte hinter den kleinen, alltäglichen Gesten zu entschleiern. „Wunderbare Tiere“ Die Geschichte von Schakale und Araber ist eine solche Geschichte von Gesten, hinter denen eine ganze Weltgeschichte steht. Sie fängt damit an, dass eine Karawane während ihrer Reise durch die Wüste für eine Nacht ihr Lager in einer Oase aufschlägt. Nun aber befindet sich in der Karawane von Arabern auch ein Europäer „aus dem hohen Norden“, der jetzt schlafen möchte. Wegen des „Klagegeheul[es] eines Schakals“ findet er jedoch keine Ruhe. Der Fremde 4 Vgl. Max Brod: Unsere Literaten und die Gemeinschaft, in: Der Jude 1 (1916/ 17), S. 457- 464. 5 Buber: Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, S. 494 (Brief vom 12. Mai 1917). 6 Walter Benjamin: Franz Kafka. Zur zehnten Wiederkehr seines Todestages, in: Ders.: Gesammelte Schriften, hg. v. Rolf Tiedemann/ Hermann Schweppenhäuser, Bd. II/ 2, Frankfurt a. M. 1974, S. 410. 212 Gabriele Guerra ist von einem Gewimmel von Tieren umgeben und wird von deren Anführer folgendermaßen angesprochen: „Ich hatte schon die Hoffnung fast aufgegeben, denn wir warten unendlich lange auf dich; meine Mutter hat gewartet und ihre Mutter und weiter alle ihre Mütter bis hinauf zur Mutter aller Schakale. Glaube es! “ 7 Alle Hoffnung der Schakale bestünde darin, dass der Europäer den Streit zwischen Arabern und Schakalen beenden möge: „Herr, du sollst den Streit beenden, der die Welt entzweit. […] Friede müssen wir haben von den Arabern; atembare Luft; kein Klagegeschrei eines Hammels, den der Araber absticht; ruhig soll alles Getier krepieren; ungestört soll es von uns leergetrunken und bis auf die Knochen gereinigt werden. Reinheit, nichts als Reinheit wollen wir“ - und nun weinten, schluchzten alle - „wie erträgst nur du es in dieser Welt, du edles Herz und süßes Eingeweide? “ 8 Nachdem der alte Schakal diese flammende Rede gehalten hat, aus der messianische Erwartungen und heftiger Araberhass ertönten, bringt ein anderer Schakal dem Erzähler eine alte, rostige Nähschere mit der Bitte, die Araber damit zu töten. Plötzlich taucht dann der „Araberführer“ auf, der die Schakale mit einer Peitsche fortjagt und den Europäer anspricht: „So hast du, Herr, auch dieses Schauspiel gesehen und gehört.“ Und dem Erzähler erklärt er, dass die Schakale die Schere allen in der Wüste wandernden Europäern geben mit dieser blutigen Bitte: „Solange es Araber gibt, wandert diese Schere durch die Wüste und wird mit uns wandern bis ans Ende der Tage. […] Eine unsinnige Hoffnung haben diese Tiere; Narren, wahre Narren sind sie. Wir lieben sie deshalb; es sind unsere Hunde; schöner als die Eurigen“. 9 Danach wirft der Araberführer den Schakalen einen Kamelkadaver hin, woraufhin die Wildtiere, wie Kafka schreibt, „kamen […], stockend, mit dem Leib den Boden streifend […]. Sie hatten die Araber vergessen, den Haß vergessen, die alles auslöschende Gegenwart des stark ausdunstenden Leichnams bezauberte sie“. 10 Da strich der Führer kräftig mit der scharfen Peitsche kreuz und quer über sie. […] Sie konnten nicht widerstehen; wieder waren sie da; wieder hob der Führer die Peitsche; ich faßte seinen Arm. „Du hast Recht, Herr“, sagte er, „wir lassen sie bei ihrem Beruf; auch ist es Zeit aufzubrechen. Gesehen hast du sie. Wunderbare Tiere, nicht wahr? Und wie sie uns hassen! “ 11 7 Franz Kafka: Schakale und Araber, in: Ders.: Schriften Tagebücher Briefe - Kritische Ausgabe, hg. von Gerhard Neumann/ Malcon Pasley/ Jost Schillemeit. Drucke zu Lebzeiten, hg. von Wolfgang Kittler u. a., New York 1994, S. 270-275. 8 Ebd., S. 273. 9 Ebd., S. 274. 10 Ebd., S. 275. 11 Ebd. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 213 So ist der Schluss dieser kurzen Erzählung, die viele, nicht einfach zu beantwortenden Fragen aufwirft. Doch Eines ist klar: Die Schakale sind hier tatsächlich jene „wunderbaren Tiere“, wie der Araber sie nennt, denn sie sind „wunderbar“ in mehrerer Hinsicht: Zum Einen, weil sie sprechende Tiere sind (und doch keinerlei „moralische“ Tiere wie in der klassischen Tradition von Äsop bis zu Phaedrus); zum Zweiten, weil sie sich als Vermittler eines Wunders entpuppen, eines gewünschten Wunders zwischen Hoffnung und Hass. Als märchenhafte Gestalten erweisen sich diese Schakale als bloße Funktionen der Erzählung, der einfache und zugleich rätselhafte, unheimliche Konturen zugrunde liegen, die die Grenzen zwischen Tier und Mensch verschwimmen lässt: Man kann die Tiergeschichten Kafkas auf eine gute Strecke lesen, ohne überhaupt wahrzunehmen, daß es sich gar nicht um Menschen handelt. Stößt man dann auf den Namen des Geschöpfs - des Affen, des Hundes oder des Maulwurfs - so blickt man erschrocken auf und sieht, daß man vom Kontinent des Menschen schon weit entfernt ist. Doch Kafka ist das immer; der Gebärde des Menschen nimmt er die überkommenen Stützen und hat an ihr dann einen Gegenstand zu Überlegungen, die kein Ende nehmen. 12 Diese Tiergeschichte ist also eine ,schlichte‘ Geschichte, die durch einen ebenso schlichten Rekurs auf sprechende menschenähnliche Tiere eine Entstellung im Erzählten verursacht. Diese Entstellung führt weit weg vom menschlichen Kontinent, wie Benjamin sagt. Wenn Schakale und Araber somit eine Parabel bilden könnten, dann nur eine Kurve, also eine Parabel im mathematischen Sinn, eine Kurve, die einen genauen Weg beschreiben kann (etymologisch eine Nebeneinanderstellung). Dass eine Parabel im erzählerischen Sinn dann wiederum zum Gleichnis wird, hat natürlich damit zu tun, dass ein Gleichnis genau diese parabolische Struktur innehat. So hat es der Jesuitentheologe Erich Przywara in seinem Meisterwerk Analogia entis schon richtig bemerkt: Erst als Parabel ist das „Gleichnis“ einerseits, im Rhythmus des Progresses, ein Schritt über das einfache „Bild“ hinaus: da die Parabel aus einem in sich ruhenden einfachen Bild nicht nur das Bewegte einer „Geschichte“ macht, sondern das „diskursiv immer neu Umwegige“, in dem die Parabel als Stilform das kreisend Umwegige der Parabel als mathematischer Form in sich trägt. So aber ist sie, andererseits, im Rhythmus des Regresses, gleichsam der Ort, an dem zum letztenmal das diskursiv Kreisende des „Logos“ als noesis noeseos noch einmal, im „Wurf“ des „Kreisens“ der Parabel, aufwirbelt, um also gleich in die Ruhe des in sich ruhenden „Bild“ wiedereinzugehen, das die jeweils „antäische Erde“ für einen je neuen Progreß ist. In diesem Sinn 12 Benjamin: Franz Kafka, S. 419-420. 214 Gabriele Guerra heißt „Gleichnis“ wesentlich „Parabel“ und Parabel als Spannweite zwischen „para“ und „bole“. „Para“ für sich ist das beständig Doppeldeutige zwischen „neben vorbei“ und doch „hin zu“ und doch wieder „gegen und wider“ bis zum „außer“, aber dann doch „während“ und „durch“ und „wegen“, - also geradezu als Widerspruchsspiel zwischen entgegengesetzten Möglichkeiten, - und hierin nahe zu jener „Dialektik“, in der für Heraklit das geheime „Logos“ seinen Sitz hat, und die für Hegel direkt die innere Dynamik des „Logos“ ist. Aber dieses Dialektische im „para“ der Parabel liegt, im Unterschied zu einem „dialektischen Logos“, entscheidend in der zweiten Silbe „bole“, die, von „ballein“ herkommend, „Wurf“ sagt. Das scheinbare Dialektische der Parabel ist vielmehr der „freie Wurf“, in dem die „Geschichte“ in der Parabel sich „ent-wirft“, frei auseinander-schießt (in das Laubgewirk der Parabel-Geschichte) und frei ineinander-schießt, so daß Parabel im Höchstmaß der „Wurf“ eines Naturgebildes ist, im scharfen Gegensatz zu einem „dialektischen Logos“ als einem logisch strengen Kunst-Gebilde. 13 Nur in diesem tief ontologischen Sinn lässt sich Schakale und Araber als Parabel interpretieren. Der Deutung Przywaras und der daher entstehenden Problemstellung folgend ist somit zu fragen: In welche Richtung geht hier in diesem Fall der „freie Wurf“ der „Parabel“? Wo ist innerhalb dieser Erzählung der zugrundeliegende Entwurf auszumachen? Und ist diese Geschichte tatsächlich ein Naturgebilde, das ein Laubgewirk von Innen- und Außenwegen darstellt? Tiere in der Weltgeschichte Für die Beantwortung dieser Fragestellungen bedarf es zunächst eines genaueren Blicks auf die Protagonisten: Auf die Schakale. Die Kafka-Forschung hat lang darüber debattiert, ob die Schakale im negativen, abstoßenden Sinn wie die Hunde in der Erzählkunst Kafkas zu betrachten sind. Wenn man aber Ort und Ziel der Erstveröffentlichung von Schakale und Araber bedenkt, scheint es unmöglich zu behaupten, dass diese Schakale dieselbe negative, ja ,bestialische‘ Bedeutung annehmen, die die Hunde in anderen - obwohl nicht in allen - Erzählungen Kafkas haben. Der Schakal ist eigentlich ein Wildhund aus der Gattung canis , dessen Aussehen an den Wolf erinnert; sein Habitat spannt sich vom Balkan bis nach Mittel- und Zentralasien und weiter bis nach Afrika. Diese Eigenschaften, zusammen mit seinen Fressgewohnheiten, mussten den Schakal in den Augen des deutschen Lesepublikums der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts zu einem exotischen, ja ,orientalisch‘ konnotierten Wildtier machen. So war der Schakal einerseits eng mit der Wüste und 13 Erich Przywara: Analogia entis. Metaphysik - Ur-Struktur und All-Rhythmus, Einsiedeln 1962, S. 344f. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 215 der Savanne assoziiert, andererseits vor allem mit der ägyptischen Religion. In der Tat verdankt ein ägyptischer Gott dem Schakal seine äußere Form: Anubis, Herr der Nekropole und der Einbalsamierung. 14 Im Alten Testament hingegen sind die Schakale ( tannîm ) ein Sinnbild für Einöde und Wüste, können aber zugleich durch ihr Heulen zum Symbol von Klage und Trauer werden. 15 Zunächst aber betrachten wir den Schakal als Wildtier. Er zeigt zwei Charakteristika, die ihn sozusagen ,übertierisch‘ und ,fast-menschlich‘ machen: Einerseits sein Heulen, das an eine menschliche klagende Stimme erinnern kann; 16 andererseits die Tatsache, dass er Aas frisst. Als aasfressendes Tier, scavenger auf Englisch, stößt der Schakal auf eine kuriose Euphemisierung in den italienischen und französischen Sprachen, indem er als ébouer oder als spazzino , als Wegputzer oder Straßenfeger bezeichnet wird. In seinem neuesten Buch mit dem Titel Il cacciatore celeste ( Der himmlische Jäger ) hat der italienische Kulturwissenschaftler und Gelehrte Roberto Calasso jüngst auf diese terminologische Unterscheidung hingewiesen: Scavenger : Ein hartes, eindeutiges Wort, das das Tier oder den Menschen zeigt und auf die Reste eines von einem Raubtier getöteten und teils gefressenen Tiers hinweist. In manchen Sprachen wie der italienischen oder der französischen wird dieses Wort euphemisiert, indem das scavenger zum Wegputze-Tier wird, als ob es um Straßenfegen ginge. Damit wird die Tatsache überblendet, dass das scavenger nur die Reste wegputzt, indem es sie frisst. Mit solchen lexikalischen Abweichungen wird ein riesiger Teil der Menschheitsgeschichte bei Seite gelegt und verdrängt. Die einzigen Spuren davon sind einige Risse in den Knochen, die die Hominiden mit Instrumenten verursachten hatten, nachdem diese Knochen von den Reißzähnen großer Katzentiere eingeritzt, oder von den Hyänen abgebissen worden waren. 17 Der Interpretationsduktus Calassos lässt an Kafka denken, wenn er von der Verdrängung eines „riesigen Teils der Menschheitsgeschichte“ eben spricht 14 Manchmal als Mensch mit Hundekopf, manchmal als schwarzer Schakal dargestellt, verkörpert Anubis in der altägyptischen Theologie insgesamt die göttliche Vermittlungsinstanz zum Totenreich. 15 Vgl. Christian Frevel: Art. תּ ַ ן in: Heinz-Josef Fabry (Hg.): Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. 8, Stuttgart 1973 ff., S. 701-709. 16 Eine interessante, wenngleich nicht in seinen Schlussfolgerungen überzeugende Analyse bietet der Aufsatz von Martin Bartelmus: Beißen, Heulen, Sprechen. Über das animal sacrum als politische Figur in Kafkas Schakale und Araber , in: Forschungen der Deutschen Kafka-Gesellschaft, Bd. 3-4(2015), hg. von Harald Neumeyer/ Wiko Steffens, S. 231- 254. Interessant v. a. für die Reflexionen, die durch den Rekurs auf eine populärwissenschaftliche Zoologie-Veröffentlichung der Zeit Kafkas ausgeführt werden (vgl. S. 234ff.). 17 Roberto Calasso: Il cacciatore celeste, Milano 2016, S. 161. 216 Gabriele Guerra (Calasso hat übrigens ein Buch über Kafka geschrieben). 18 Die Verdrängung hebt ein Phänomen hervor, das für die Paläoanthropologen selbstverständlich, aber noch nicht völlig akzeptiert ist. Die ersten Hominiden nämlich hatten ihre Essgewohnheiten zunächst an die der aasfressenden Tiere angepasst; daher rühre die Nähe dieser Hominiden zu Tieren, die keine echten Raubtiere sind und deswegen als abscheulich wirken: Nicht nur wegen ihres körperlichen Aspekts waren die Hyänen eine Quelle des Abscheus und der Angst für die Urmenschen. Dazu kommt etwas Schlimmeres: In den Hyänen lässt sich das Sinnbild derjenigen erblicken, die nur dank Tötungen leben dürfen, die von anderen ausgeführt worden sind. Und gerade das wird heutzutage einigen Menschen angetan: ohne Tötungen kann man nicht überleben, keiner aber will daran teilnehmen. Die Menschen sind ja Raubtiere geworden - und wie stolz sie darauf sind. Die meisten verfolgen das Hyänen-Modell für die meiste Zeit weiter: Sie essen das, was Andere getötet haben. Andere, die ebenso Schattenmenschen sind, weit entfernt wie die Hyänen. Man weiß nicht, wer sie sind, die meiste Zeit verbringen sie in den Schlachthöfen. 19 Calasso vertritt somit die These, dass sich die ersten Hominiden an die Kadaver angenähert hätten, die von großen Raubtieren wie Löwen, Säbelzahnkatzen u. a. getötet worden waren; und sie deren Fressreste genommen haben, nachdem andere aasfressende Tiere wie Geier, Hyänen oder Schakale sich daran schon genährt hatten. Erst später - nach einer sehr langen, historisch nicht präzisierbaren Zeit - sollen sie selbst zu Raubtieren geworden sein. Demnach war der Urmensch saprophag - also aasfressend, bevor er zum Raubtier wurde, zu einem Erzraubtier sogar. „Phasen der Menschheitsgeschichte: am Anfang obstfressend, dann Entdecker jener Droge, die die Proteine waren, und Hyänennachahmer; später Nachahmer ihrer eigenen Mörder und dies so geschickt, dass die Menschheit diese Mörder überholt hat. Zum Schluss, Zirkusimpresario.“ 20 Diese von Calasso schnell gesetzten Phasen der Menschheitsgeschichte bilden eine echte Parabel im Sinne Kafkas, unter dem gemeinsamen Dach von Gewalt, Körperzerstörung und Blutvergießen (Kafka aber war Vegetarier, soll hier erinnert werden). Der auf den ersten Blick widersprüchliche, ironisch zugespitzte Zielpunkt dieser Menschheitsgeschichte ist dabei durchaus in Kontinuität zu den gewalttätigen Anfängen zu sehen. 18 Vgl. Roberto Calasso: K., Milano 2002 [dt. Ausgabe: K . , Wien 2006]. 19 Calasso: Il cacciatore celeste, S. 162. 20 Ebd., S. 163. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 217 Wenn wir jetzt die religiöse Bedeutung der Schakale betrachten, sind diese über die Aspekte des Todes, der Konkurrenz und der Abscheu ganz ähnlich zu begründen. In der altägyptischen Religion besetzt der schakalartige Gott Anubis eine wichtige Position, denn er versorgt den Toten als Totenwächter bei der Mumifizierung und der rituellen Reinigung; außerdem übernimmt er das Wiegen des Herzens. 21 Anubis ist also Herr des Untergangs, der riskanten Beziehung zwischen Diesseits und Jenseits. Nicht umsonst wird er in der interpretatio graeca zum Hermes Psychopompos, d. h. zum Seelenbegleiter. Dass er außerdem manchmal als Schakal, manchmal in männlicher Gestalt mit Hundekopf dargestellt wird, liegt an einem Spezifikum der altägyptischen Theologie, dem nach die Funktion des Gottes wichtiger ist als der Gott selbst: „Was ein Gott ist, läßt sich nicht definieren . Jede Aussage, die wir über ihn machen, schließt eine Fülle an weiteren Aussagen nicht aus.“ 22 Der Schakal übernimmt dabei die funktionale Verkörperung des Verhältnisses zum Tod - auch weil er als Tier eine konstitutive Beziehung zum Kadaver innehat. Die Erzählung Kafkas zeigt in ihrer Struktur eine ähnliche doppelte Codierung des Anderen, wie sie sich innerhalb des Orientalismus-Paradigmas als Herstellung und Wahrnehmung des Exotischen artikuliert: Der Araber und die Schakale sind innerhalb dieser Codierung die Hauptakteure und kreuzen sich; die Oase wirkt wie eine Kulisse, die dem Leser eine unmittelbar verständliche Vorstellung des Orients und der Wüste aufzeigt und eben als Kulisse zugleich so künstlich wirkt, als ob sie den fiktionalen Charakter der Inszenierung verraten müsste. 23 Eine „komplexe Topologie“ ist der Erzählung aufgrund von „drei ineinander geschachtelte[r] Ebenen“ eigen: Wüste/ Oase, Araberlager/ Schlafplatz und schließlich - als innerste Ebene - der Tierkreis um den Erzähler. 24 Wie alle Texte Kafkas hat auch dieser einen Schwellencharakter, indem er die Gefahren des Durchquerens aufzeigt: Der Europäer hat seinen Raum verlassen, und er befindet sich nun in einem fremd-exotischen Umfeld; die Schakale verlassen ihren Status von Wildtieren und treten in den menschlichen Raum ein. 21 Vgl. Der neue Pauly, ad vocem Anubis . 22 Erik Hornung: Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971, S. 254. 23 Ebenso als Kulisse wirkt die imaginierte Geographie in der Erzählung, als Orient in deren breitesten Bedeutung dargestellt, manchmal als Palästinensische, manchmal als Ägyptische Wüste. Eine solche Unbestimmtheit verstärkt einerseits die Wahrnehmung des Exotischen, andererseits negiert sie diese Wahrnehmung. Das verhindert schließlich, Schakale und Araber in die zeitgenössische exotische Literatur des Abendlandes einfach einzureihen, in jene mannigfaltigen Maskierungen des Orients nämlich, etwa wie z. B. das Ägypten Flauberts, das Israel Else Lasker-Schülers oder das Indien Kiplings. 24 Vgl. Bartelmus: Beißen, Heulen, Sprechen, S. 244. 218 Gabriele Guerra Solche Durchquerungen werden in der Erzählung aber nicht räumlich, sondern vor allem diskursiv dargestellt. Der narrative Raum, der dadurch entsteht, wird ambivalent und riskant, denn er dokumentiert die Alteritätsebene und fungiert zugleich als Identitätsraum der Akteure: Der Araber, der Europäer, der Hauptschakal oszillieren zwischen starken Identitätsansprüchen und einem unheimlichen Entfremdungseffekt. Damit werden sie zu Erzählern eines komplizierten Märchens, in dem sie aber eben nicht primär handeln, sondern sprechen. In diesem Sinn lassen sich der Araber und der Schakal als „Begriffspersonen“ im Sinne Deleuzes und Guattaris beschreiben: 25 Als Figuren nämlich, die verschiedene, teils widersprüchliche Sinnrichtungen verfolgen - Figuren eines paradoxen, nicht eindeutigen Denkens, das aber lebt . Beide Figuren, Schakal und Araber, sind somit ambivalent: Der Schakal - wie gesehen - als Wesen zwischen Absolut-Tierischem und Fast-Menschlichem, zwischen Tod und Leben, zwischen sakralem und profanem Charakter; 26 der Araber, weil er an sich exotisch wirkt. Diesbezüglich hat Jens Hanssen den kolonialen, also politischen Zug der Araber-Figur betont: „‚Jackals and Arabs‘ represents a rare European account - fictional or nonfictional - in which the violent nature of Zionism’s designs on Palestine is countered by an Arab protagonist whose narrative of resistance, I will argue, Kafka renders empathetically.“ 27 Es würde vermutlich zu weit gehen, die politische Metaphorik des Arabers als eine Art Vorfiguration des palästinensischen Widerstands zu lesen, denn der Araber erscheint zwar als autoritärer Führer, aber als ein im Grunde neutral gesinnter. Selbstverständlich stellt Kafkas Araber aber auch die Frage nach der Wahrnehmung des Orientalischen im Zionismus und im Kulturzionismus seiner Zeit - was, wie wir durch Said wissen, mit der Frage der Repräsentation zu tun hat, 28 25 „Les personnages conceptuels sont les ‚hétéronymes‘ du philosophe, et le nom du philosophe, le simple pseudonyme de ses personnages. […] Le personnage conceptuel n’a rien à voir avec une personnification abstraite, un symbole ou une allégorie, car il vit, il insiste“. Gilles Deleuze/ Félix Guattari: Qu’est-ce que la Philosophie? , Paris 1991, S. 62. 26 Das Versuch Bartelmus’, den Schakal als animal sacrum im Zug von Agambens Theorie des homo sacer zu deuten, scheint insofern nicht so überzeugend, als das animal sacrum zu viele analogische Züge mit dem homo sacer Agambens hat, ohne auf das Wesentliche zu achten - dass er ein Tier ist und bleibt. 27 Jens Hassen: Kafka and Arabs, in: Critical Enquiry 38 (2012), S. 169. Eine weitreichende Diskussion über den Text Kafkas sowie über den Forschungsstand bietet Jay Geller: Kafka’s Schakale und Araber and the Question of Genre. Gleichnis, Tiergeschichte or dialektisches Bild? , in: Ulrike Brunotte/ Anna-Dorothea Ludewig/ Axel Stähler (eds.), Orientalism, Gender, and the Jews: Literary and Artistic Transformations of European National Discourses, Berlin/ Boston 2015, S. 124-136. 28 „Orientalism is premised upon exteriority […]. The principal product of this exteriority is of course representation“ (Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, New York 1978, S. 21). Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 219 und Rückschlüsse auf koloniale Vorurteile zulässt. 29 Zugleich gilt festzuhalten, dass die Beziehung zwischen den Schakalen und dem Araberführer nur durch Gewalt, Autorität und reziproke Unverständlichkeit geprägt ist: Es ist sozusagen ein Verhältnis zwischen Peitsche und Schere, oder - wie Jens Tismar es 1975 formulierte - ein „wildes Gegenstück zum zivilisierten Verhältnis von Herr und Hund, Modell einer Beziehung ungleichartiger Partner“. 30 In einer Studie zur jüdischen Literatur zwischen 19. und 20. Jahrhundert hat der Schweizer Germanist Caspar Battegay die These vertreten, dass das Blut als diskursive rhetorische Strategie fungiert, um die bestimmte bzw. abgesonderte Gemeinschaft der Deutsch-Juden zu kennzeichnen: „,Blut‘ zeigt auf drastische Weise an, wie Sprache mit Gemeinschaft interagiert, sie konstruiert oder ihr radikal entgegengesetzt wird.“ 31 Anhand von Kafkas Erzählung deutet Battegay die rostige Nähschere der Schakale als Sinnbild des jüdischen Rituals der Beschneidung, das hier aber umgekehrt wird: Der traditionelle Eintritt in eine „gereinigte“ Gemeinschaft, die die jüdische Beschneidung besiegelt, wird radikal 29 Einen originellen Blick auf die ‚orientalistische‘ Wahrnehmung des Anderen bei den Zionisten wirft Axel Stähler: Zionism, Colonialism, and the German Empire. Herzl’s Gloves and Mbwapwa’s Umbrella, in: Ders./ Brunotte/ Ludewig: Orientalism, Gender, and the Jews, S. 98-123. Für den Kulturzionismus ist diese Wahrnehmung insgesamt komplex. Wenn Buber von Orient spricht, meint er stets sehr Verschiedenes: Manchmal ist Orient bei ihm das europäische Ostjudentum, manchmal die geistige Beschwörung einer metaphysischen Einheit, welche sich nur im Orient verwirklichen kann (wie exemplarisch in der Prager Rede Der Geist des Orients und das Judentum , in Martin Buber: Reden über das Judentum, Frankfurt a. M. 1923, S. 67-99), manchmal weist er damit auf die konkrete Existenz in Palästina hin; immer ist aber eine literarisch und kulturell codierte Semantik des Anderen dabei präsent, die in eine neue, bzw. erneuerte Gemeinschaft integriert werden soll. Vgl. Paul R. Mendes-Flohr: Divided Passions: Jewish Intellectuals and the Experience of Modernity, Detroit 1991, insb. Kap. 4 („Fin de Siècle Orientalism, the Ostjuden, and the Aesthetics of Jewish Self-Affirmation“). Wichtig zur Bestimmung eines rassenorientierten (Kultur-)Zionismus, der gerade deswegen die Züge eines paradigmatischen Orientalismus zeigt, ist außerdem der Roman René Richter. Die Entwicklung eines modernen Juden (1906) des zionistisch gesinnten Schriftstellers Lothar Briegers. Aus dem Leben des Protagonisten macht der Autor einen Bildungsroman im kulturzionistischen Sinn, das sich zwischen den unreflektierten Anfängen und der darauffolgenden neuen Identität spannt. Am Ende des Romans, wenn René Richter eben sein neues jüdisches Leben begreift, sagt ihm ein Wiener Journalist (hinter dem sich Herzl verbirgt): „Denken Sie sich die jüdische Intelligenz mit ihrer allgemeinen Kultur mitten unter den semitischen Stämmen! Wie könnte sie da unter Gleichgearteten um sich greifen, Segen schaffen! Ein neuer Orient in der Weltgeschichte wäre nicht ausgeschlossen“. Zit. in: Mark H. Gelber: Melancholy Pride. Nation, Race, and Gender in the German Literature of Cultural Zionism, Niemeyer 2000, S. 152. 30 Jens Tismar: Kafkas „Schakale und Araber“ im zionistischen Kontext betrachtet, in: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 19 (1975), S. 306-323, hier S. 310. 31 Caspar Battegay: Das andere Blut. Gemeinschaft im deutsch-jüdischen Schreiben 1830- 1930, Weimar/ Wien 2011, S. 13. 220 Gabriele Guerra enttäuscht, durch einen Mord und durch das orgiastische Bluttrinken der Tiere am Kamelkadaver: Wie sich die Schakale aus dem über Generationen vererbten ,Hass‘ auf die Araber und dem Willen konstituieren, ihnen ihr ,Blut‘ zu nehmen, so verhindert gerade das ,Blut‘ die Verwirklichung ihrer angestrebten Gemeinschaft. […] Die Gier der Schakale nach Einheit oder Erlösung wird nicht gestillt, denn in der übermäßigen Fülle des Blutes wird dessen Sinn ertränkt - oder vielleicht besser erstickt. 32 Die Schakale gelten in der Erzählung ja als eine geschlossene Gemeinschaft, die aber nicht als ,organische‘ jüdische Gemeinschaft zu interpretieren ist. Denn ihr Zusammensein stiftet keine Gemeinschaft, ihr Wunsch nach Erlösung weist auf kein messianisches Versprechen hin. Vielmehr bilden die Schakale eine ,Antigemeinschaft‘, die aus Gewalt, Hass und tierischem Zwang besteht; aus einer Gewalt nämlich, die eine entzweite Welt widerspiegelt („Herr, du sollst den Streit beenden, der die Welt entzweit“, wie der Schakal dem Erzähler pathetisch sagt). 33 Dass die Schere, die diese pseudoeschatologische Entzweiung darstellt, dann auch alt und rostig ist, wirkt wie ein weiterer Beweis für die Unerfüllbarkeit dieser pseudomessianischen Aufgabe. Wenn die Schakale nun aber keine echte Gemeinschaft sind, 34 was für eine Gruppierung stellt ihr Zusammensein dann dar? Sie verkörpern zweifelsohne eine Meute im Sinne Canettis: „Für die Meute ist charakteristisch, daß sie nicht wachsen kann. Weit und breit, in der Leere ringsum, sind keine Menschen, die zu ihr stoßen könnten. Die Meute besteht aus einer Gruppe erregter Menschen, die sich nichts heftiger wünschen, als mehr zu sein .“ 35 Die Meute, die sich also einerseits vermehren möchte, ist andererseits an einen leeren Raum gebunden, an die Wüste: Und die Wüste ist ein unfruchtbarer Nicht-Raum, ein unbestimmter Übergangsraum, der nur zu überschreiten ist, wenn man eine ,echte‘ Gemeinschaft sucht. Die Meute aber negiert diese Bewegung, weil sie sich nur blind im 32 Ebd., S. 280. Und ferner: „Der Text schildert eine Art Karneval des Zionismus, der im ,Blut‘ auf völlig maßlose Weise das Scheitern jeder Sinnfestlegung, jeder Erlösungshoffnung zeigt“ (S. 283). 33 Von „Entzweiung“ war auch in dem zweiten Prager Vortrag Bubers Das Judentum und die Menschheit die Rede: Das jüdische Streben nach Einheit entstehe aus dem Gefühl der grundlegenden Entzweiung der Welt (vgl. Martin Buber: Das Judentum und die Menschheit, in: Ders.: Reden über das Judentum, S. 17-34). 34 Wir wissen genau, wie stark die Skepsis Kafkas dem gemeinschaftsstiftenden Pathos der Zionisten gegenüber war: Man denke nur an dessen kurze Erzählung mit dem Titel Gemeinschaft . 35 Elias Canetti: Masse und Macht, Hamburg 1960, S. 109. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 221 Kreis dreht und innerhalb der Wüste bleibt. Damit besiegelt die Wüste die metaphysische Inkonsistenz der Schakale und bestätigt die Sinnlosigkeit ihrer Meute. Eine weitere Konsequenz ihres Meutendaseins ist, dass die Schakale ,metaphorisch‘ keine menschlichen Werte oder Laster beanspruchen können. Als Tiere sind sie nur insofern bedeutsam, als sie einen Gegenpol zur menschlichen Gemeinschaft bilden, weil das Blut nur für sie Bestandteil ihres Zusammenseins ist. Die von ihnen erträumte Reinheit ist das dialektische Pendant zur Verdreckung, die sie den Arabern vorwerfen - allerdings in einem Ton, der groteskerweise dem des Psalmisten ähnelt. 36 Die Schakale haben also in der Erzählung, trotz der ,märchenhaften‘ Gabe ihrer Rede - nur als Tiere Bedeutung. Schakale und Araber als Begriffspersonen Dass die Erzählungen Kafkas ansonsten immer Tiergeschichten sind, wurde von Deleuze und Guattari schon in ihrer Studie Kafka. Für eine kleine Literatur betont: Das Tier-Werden hat nichts Metaphorisches an sich. Es ist kein Symbolismus und keine Allegorie. Es ist auch nicht das Resultat eines Mangelns oder eines Fluches. […] Es ist eine Karte der Intensitäten. Es ist ein Ensemble von klar unterschiedenen Zuständen, die der Mensch durchläuft, während er einen Ausweg sucht. Es ist eine schöpferische Fluchtlinie, die nichts anderes als sich selber ausdrücken will. 37 Tier zu werden impliziert dabei, auf Emphase zu setzen durch das „Überschreiten von Intensitätsschwellen“, die zugleich eine treffende Formel sind für die komplexe Topologie der Erzählung. Auch die Araber sind, wie die Schakale, „Begriffspersonen“ im Sinne Deleuzes/ Guattaris, und bieten dabei keine historisch konkreten Hinweise auf echte Araber der Zeit. Kafka lehnte, wie gesagt, jede Gleichnishypothese dieser Erzählungsfiguren radikal ab. Und doch wird ihm die relevante politische Rolle, die seine Erzählung in der Zeitschrift Bubers spielen musste oder konnte, kaum entgangen sein. Zwar blieb ihm jedwede direkte politische Absicht fern, zumal in Form einer allegorischen Deutung des Erzählten - und doch wollte er mit seiner Erzählung eine Deutung des Orients, des Zionismus, und schließlich auch der jüdischen Identität anbieten. Welche aber? Kafka entwickelte in Schakale und Araber (durch die doppelte Signatur des Anderen, als Schakale und als Araber) eine Art ironische Poetologie des Unmöglichen in märchenhafter Form. 36 Vgl. Isolde Schiffermüller: „Die Orgie beim Lesen“: Schakale und Araber, in: Elmar Locher/ Isolde Schiffermüller (Hg.): Franz Kafka „Ein Landarzt“ - Interpretationen, Bozen 2004, S. 93-104, S. 98. 37 Gilles Deleuze/ Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur, Frankfurt a. M. 1976, S. 50. 222 Gabriele Guerra Eine solche Bezeichnung muss en détail erklärt werden: Es handelt sich um eine Poetologie, da Bedeutung in Form einer literarischen Erzählung vermittelt wird. Diese Poetologie erweist sich dann als ironisch, weil sie negiert wird. Und schließlich ist die Poetologie unmöglich, weil sie von Anfang an unwirklich ist: Unwirklich sind die Protagonisten, über ihren märchenhaften Charakter hinaus, weil sie die ihnen aufgetragene Aufgabe nicht verwirklichen können. Der Erzähler kann oder will keine messianische Gestalt annehmen; die Schakale können ihren Traum der Entzweiung von den Arabern nicht erfüllen. Und noch nicht einmal der Araber kann seine Rolle als autoritärer Führer zu Ende spielen, denn seine Peitsche wird von der Hand des Europäers angehalten. Die Peitsche nun verkörpert den Höhepunkt der Erzählung, weil sie das Tierische und das Menschliche, die Gewalt und die Macht zusammenhält. Schon am Anfang der Erzählung tritt die Peitsche auf, wenn die „schlanken Leiber“ der Schakale dargestellt werden, „wie unter einer Peitsche gesetzmäßig und flink“. 38 Der Araber benutzt sie vor allem als Instrument zur Durchsetzung, zur Züchtigung der Tiere. Zugleich dient die Peitsche auch als Mittel der Selbstzüchtigung, als ob diese Tiere dankbar für ihre Hiebe wären. Und diese Dankbarkeit steht für die Beziehung zwischen Schakalen und Arabern, die bei aller Gewalt eine lebendige Beziehung ist. Die Peitsche steht somit als Zeichen für eine Erzählung, in der es um Gewalt und Blut geht, aber auch - im indirekten, ironischen Sinn - um Gemeinschaft und Identität. Tiere und Menschen besetzen einen Raum, der keiner ist; wenn Gemeinschaft und Identität immer mit einer (symbolischen oder realen) Raumsetzung zu tun haben, sind sie bei Kafka dezidiert nicht raumsetzend. Deswegen sprechen Deleuze und Guattari in ihrem Kafka-Buch von einer „Deterritorialisierung“, der Sprache und des Schreibens, die jede „kleine“ Literatur kennzeichnet - insbesondere die von Kafka, insbesondere in dessen Tiergeschichten: „Es gibt überhaupt keine Tiere und Menschen mehr, da sie sich gegenseitig deterritorialisieren in einem Intensitätskontinuum. Es geht um ein Werden, das, ganz im Gegenteil, die größtmögliche Differenz umfasst, die Intensitätsdifferenz, das Überschreiten einer Schwelle, Aufstieg oder Fall, Niedergang oder Erhebung, Wortbetonung.“ 39 Lässt sich der Zionismus im literarischen Sinn als eine Art riskante „Reterritorialisierung“ des Symbolischen beschreiben, 40 dann 38 Kafka: Schakale und Araber, S. 270. 39 Deleuze/ Guattari: Kafka, S. 32. 40 „Der Weg in das vermeintlich organische Gebilde der Nation und des Nationalstaates führt immer über einen Abgrund; eine Leerstelle, in der die Signifikanten frei werden und ihre Bestimmung, ihren Ort allenfalls zu ahnen beginnen“. Philipp Theisohn: Die Urbarkeit der Zeichen. Zionismus und Literatur - eine andere Poetik der Moderne, Stuttgart/ Weimar 2005, S. 81. Schakale, Araber - und deutsche Juden. Franz Kafkas Begriffspersonen 223 kann man bei Kafka von einer Deterritorialisierung des Symbolischen sprechen: Wenn die Protagonisten der Erzählung Begriffspersonen sind, Denkfiguren des Parabolischen (im Sinne Przywaras, wie gesehen, als „freier Wurf“ in die Geschichte), führt aber ihre Symbolik ins Leere. Schakale und Araber umschreibt somit den „neuen“ Raum des Zionismus nach Kafka, insofern als er keiner ist: 41 Der Raum wird nicht zum Symbol - und doch bleiben Raum und Symbol in einem „parabolischen“ Spannungsverhältnis. Aus diesen Gründen wurde dieser Text in Der Jude veröffentlicht, und immer noch aus diesen Gründen wurde er in der Sammlung Ein Landarzt , von 1920, wiederpubliziert. Ein Buch, das Kafka dem Vater widmete (eine Widmung, die als Schwelle gilt für einen Raum, in dem der Vater nicht präsent sein kann - ähnlich wie jene Gegenden, wie Kafka in dem Brief an den Vater schreibt, „die Du entweder nicht bedeckst oder die nicht in Deiner Reichweite liegen“ 42 ). Wenn es eine Raumsetzung in der Erzählung gibt, dann die, die sich vom Vater und väterlicher Autorität trennt: Eine negative Raumsetzung also. Schakale und Araber ist kein vollkommenes „Symbolprogramm“ des Kulturzionismus, nicht einmal eine versteckte Rechenschaft mit dem Vater; der Text lässt sich vielmehr als Zwischenraum beschreiben, zwischen Literatur und Politik, zwischen Imagination und Realität, zwischen ost- und westjüdischer Zeit, zwischen Signifikanten und Räumen, zwischen Gewalt und Gemeinschaft, letztendlich zwischen Vätern und Söhnen: Pole, die eine erneuerte jüdische Identität viel komplizierter machen, als sie es sich wünschte. 41 Im zionistischen Schreiben geht es m.a.W. um eine positive Resemantisierung des hermeneutischen Zirkels „Symbol/ Raum“, wie es in Altneuland Theodor Herzls paradigmatisch zu beobachten ist. 42 Vgl. Franz Kafka: Brief an den Vater, in: Ders.: Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande und andere Prosa aus dem Nachlaß, Frankfurt a.M. 1998, S. 135. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim Lorella Bosco Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim (1932 veröffentlicht) ist jüngst zum Gegenstand zahlreicher Neulektüren avanciert, die jeweils unterschiedliche, teilweise recht widersprüchliche Aspekte dieses ohnehin kontroversen und lange Zeit in den Hintergrund geratenen Werkes hervorgehoben haben. Schon seine gattungstheoretische Einordnung bereitet einige Schwierigkeiten: Handelt es sich dabei etwa um einen Zeitroman, um einen historischen Roman oder um eine Detektivstory? 1 Der Grund für das wiedererweckte Interesse an diesem Text scheint zudem - außer in dem nach wie vor ungelösten Nah-Ostkonflikt - nicht zuletzt im durchgängigen Perspektivismus sowie in der Vielstimmigkeit der Erzählung zu liegen. Diese stilistischen Merkmale tragen einerseits der breitgefächerten Zionismus-Debatte innerhalb und außerhalb des Judentums Rechnung, fordern andererseits - als bewusst eingesetzte Erzählverfahren - jederzeit eine kritische Stellungnahme der Leser. Im Hinblick darauf zeigt Zweigs Roman das komplexe diskursive Spannungsfeld von Zionismus, Antisemitismus und Orientalismus, innerhalb dessen deutsch-jüdische Autoren sich positionieren. Der Text verweist auf die Ambivalenzen und Widersprüche, die die Auseinandersetzung deutsch-jüdischer Schriftsteller und Intellektuelle mit dem Orient prägen, mit einem Raum also, der zugleich als fremd und vertraut, als mythisch-symbolisch besetzt und historisch-konkret wahrgenommen 1 Vgl. dazu u. a. Michael Berkowitz: Rejecting Zion, Embracing the Orient: the Life and Death of Jacob Israel De Haan, in: Ivan Davidson Kalmar/ Derek Jonathan Penslar (Hg.): Orientalism and the Jews, Hanover/ London 2005, S. 109-124; Stephanie Leuenberger: Schrift-Raum Jerusalem. Identitätsdiskurse im Werk deutsch-jüdischer Autoren, Köln/ Weimar 2007, S. 179-223; Laurel Plapp: Zionism and Revolution in European-Jewish Literature, New York 2008, S. 44-101; Dies.: Jewish Drag. The Ostjude als Anti-Zionist Hero in Arnold Zweig’s „De Vriendt kehrt heim“, in: Ulrike Brunotte/ Anna-Dorothea Ludewig/ Axel Stähler (Hg): Orientalism, Gender, and the Jews. Literary and Artistic Transformations of European National Discourses, Berlin 2015, S. 156-175; Robert Deam Tobin: Peripheral Desires. The German Discovery of Sex, Philadelphia 2015, S. 211-229. S. ferner Sigrid Thielking: Auf dem Irrweg ins ,Neue Kanaan‘? Palästina und der Zionismus im Werk Arnold Zweigs vor dem Exil, Frankfurt a. M./ Bern/ New York/ Paris 1990. 226 Lorella Bosco wird. 2 In dem 1932 in der Jüdischen Rundschau erschienenen Artikel Modell, Dokument und Dichtung spricht Zweig deshalb von „einem Auftrag“, 3 den ihm die im Roman beschriebene Begebenheit erteilt hatte. Der Auftrag lautet: Kritik des modernen Nationalismus am jüdischen Nationalismus, Kritik der Nachkriegswelt an unserer jüdischen Nachkriegswelt, Aufhellung der Ideenkämpfe unserer geschüttelten Epoche an den Kämpfen zwischen denjenigen Ideen, die von den Personen meines Buches getragen und verkörpert werden und die, die Ideen und Prinzipien unserer jüdischen zionistischen und sozialistischen Epoche sind […]. Wir müssen ertragen, zu sein, wie wir sind. […] Der Kritiker, dadurch daß er sich selber in das Kritisierte mit hineinbezieht, entgiftet diese Kritik, sie wird nicht Tadel, sondern Selbsterforschung. 4 Die Romanhandlung spielt 1929 in Jerusalem und führt damit zwei wichtige Ereignisse der zeitgenössichen Geschichte zusammen, die sich im damals unter britischer Mandatsherrschaft stehenden Palästina zugetragen hatten: den Mord am Haredi -Mitglied, dem niederländischen Journalisten und Schriftsteller Jacob Israel de Haan im Jahr 1924 und die gewaltsamen, vom Klagemauer-Streit ausgelösten Auseinandersetzungen zwischen Arabern und Juden im Herbst 1929. 5 Wie sein historisches Vorbild und trotz Zweigs Beharren auf dem Unterschied zwischen Geschichte und deren Fiktionalisierung, ist Isaak Josef de Vriendt, der Romanheld, ein frommer orthodoxer Jude aus den Niederlanden, der - seiner dezidiert antizionistischen Gesinnung wegen - für eine politische Koalition zwischen orthodoxen Juden und Palästinensern öffentlich eintritt. Wie Arnold Zweig in einem Brief an Sigmund Freud schreibt, konzipierte er während seiner Reise in Palästina zwischen Februar und April 1932 den Roman, „der die tragische Gestalt des großen seltsamen Orthodoxen und Dichters Jacob Israel de Haan formen soll, der in Jerusalem lebte, um dort Gott zu verfluchen, und der von einem Chaluz ermordert wurde, weil er in seinem Haß gegen das politische Judentum zum Verräter und Angeber wurde“. 6 In meinem Beitrag wird es im Folgenden um den Zusammenhang gehen, der - mit Blick auf die jüdische Identitätsdebatte - zwischen Europa- und Orientdiskursen einerseits 2 Vgl. dazu mein Buch: Tra Babilonia e Gerusalemme. Scrittori ebreo-tedeschi e il ‘terzo spazio’, Milano 2012. 3 Arnold Zweig: Modell, Dokument und Dichtung, in: Jüdische Rundschau (25. November 1932), S. 457. 4 Ebd. 5 Zu Zweigs historischen Quellen vgl. auch Michael Berkowitz: Doubled Trouble: A Call to Investigate the Life and After-Lives of De Vriendt and De Haan, in: Arthur Tilo Alt/ Julia Bernhard (Hg.): Arnold Zweig. Sein Werk im Kontext der deutschsprachigen Exilliteratur, Berlin/ Bern/ Frankfurt a.M./ New York 1999, S. 111-124. 6 Sigmund Freud/ Arnold Zweig: Briefwechsel, Frankfurt a. M. 1968, S. 49. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 227 und De Vriendts individuellen Verstrickungen andererseits besteht, die sich in ihrer Widersprüchlichkeit einander zu spiegeln scheinen. Die symbolische Prägnanz, die De Vriendts Geschichte durch ihre Verortung in Jerusalem erhält, gewinnt zudem durch die Gegenüberstellung zu und teilweise Überlagerung mit anderen geschichtlich und mythisch aufgeladenen Räumen wie Damaskus (Damaschek) an Bedeutung und Resonanz. Dies wird durch die zahlreichen biblischen Anspielungen und wortwörtlichen Zitate noch unterstrichen. Hinsichtlich der breitgefächerten zeitgenössischen Debatte um den Zionismus und um alternative Kodierungen der jüdischen Identität, die das Buch charakterisiert, erfahren die Begriffe ,Orient‘ und ,Okzident‘ mit ihren positiven bzw. negativen Zuschreibungen eine ständige Verschiebung, so dass ihre Bestimmung zu schwanken scheint und eine endgültige Kodierung und Definition von (nationaler, religiöser, kultureller und nicht zuletzt geschlechtlicher) Zugehörigkeit sich anhand solcher Kategorisierungen als problematisch erweist. Die Fronten verlaufen anders, als man sie anfangs vermutet hätte: Es sind junge Juden aus Osteuropa, z. B., die den Mord an De Vriendt planen und ihn auch tatsächlich begehen, weil sie sich von ihren ostjüdischen Wurzeln ganz entfremdet haben, gar mit Hass und Verachtung auf sie zurückblicken, während sich de Vriendt, der eigentlich ein Westeuropäer ist, aufgrund seiner religiösen Überzeugungen dem Ostjudentum angenähert hat und sich ihm ganz zugehörig fühlt. De Vriendt, in dessen Namen schon die Fremde anklingt, erscheint deshalb - in Zweigs eigenen Worten - als „die große Figur des Gegenspielers. Ich wußte, er würde mich in die Tiefe unserer Problematik hineintragen; nur ahnte ich nicht wieviel.“ 7 De Vriendt verkörpert orthodoxes Judentum, Homosexualität, Orient, Okzident und Moderne und trägt diese widersprüchlichen Zuschreibungen bis zu deren extremen Konsequenzen an seinem eigenen Leib. Er entzieht sich jeglicher endgültigen Festschreibung der eigenen Identität. Er verkörpert somit eine Figur des Dritten, 8 die herkömmliche dualistische Ordnungsmodelle westlicher Episteme unterläuft und stattdessen eher in Zwischenräumen agiert, sie erkundet. Folgt man dem von Buber in seinem Aufsatz Der Geist des Orients und das Judentum entworfenen Konzept eines motorischen orientalischen Juden, der sich dem sensorischen, abendländischen Menschen entgegensetzt, ist De Vriendt der motorischen Sphäre zuzurechnen. Als motorischer Jude erlebt De Vriendt die Entzweiung der Welt als Entzweiung seines eigenen Ich. Er steht deshalb im Zwiespalt, lebt in der Sünde, denn Sünde bedeutet - nach Buber - Entscheidungslosigkeit und ist nichts anderes zu bezeichnen, „als zwiespaltig, 7 Zweig: Modell, Dokument und Dichtung, S. 457. 8 Vgl. zu diesem Begriff Eva Eßlinger/ Tobias Schlechtriemen/ Doris Schweitzer/ Alexander Zons (Hg.): Die Figur des Dritten - Ein kulturwissenschaftliches Paradigma, Frankfurt a. M. 2010. 228 Lorella Bosco unfrei leben“. 9 Für Buber kann der Jude, da er den Zwiespalt der Welt in sich trägt, zu deren Einheit beitragen, indem er sich entscheidet. Diese Entscheidung wird von De Vriendt mit der Übernahme der Vermittlerrolle gefällt. Er bewegt sich zwischen Westen und Orient, zwischen Briten, Juden und Arabern und vermittelt zwischen diesen teilweise diametral entgegengesetzten Welten. Darin sind sowohl Bubers als auch Zweigs Ansichten über eine Vermittlerrolle des Juden (vor allem des Ostjuden) wieder zu erkennen. Im Essay Der Geist des Orients und das Judentum spricht Buber darüber hinaus von seiner Zeit als dem Zeitalter „der asiatischen Krisis“, 10 in dem der Orient durch die Herrschaft der Kolonialmächte ermordert wird. Buber sehnt eine Versöhnung zwischen Orient und Abendland herbei, die vom Mittlervolk schlechthin, von den Juden also, realisiert werden soll. Im Hinblick auf dieses Ziel, das den Geist des Orients und des Okzidents in einer neuen Lehre verschmelzen soll, wird der Stadt Jerusalem die Rolle des „Tor[es] der Völker“ zugewiesen, des „ewig[en] Durchgang[s] zwischen Orient und Okzident“. 11 Bubers Aufsatz endet mit der beinah prophetischen Aufforderung, „das Heil Jerusalems zu suchen“, weil das „auch das Heil der Völker“ 12 sei. Eine Erwartung, die in Zweigs Roman zugleich bestätigt und desavouiert wird. Beim genaueren Hinsehen scheint jedoch Bubers Unterscheidung zwischen sensorischen und motorischen Menschen mit ihren Auswirkungen auf einer Typisierung von Orientalen und Europäern zu De Vriendt nicht ganz zu passen. Vielmehr scheint er auch in diesem Fall ein Drittes zu verkörpern, da er als „ein Europäer und ein Orientale, ein Mann kühner Gedanken und folgerichtiger Handlungen“ 13 beschrieben wird. Es verwundert nicht, dass De Vriendt unter diesen Umständen auch „ein Mann sehr allein, ohne Bundesgenossen“ ist, der sich also außerhalb homosozialer nationalistischer Bünde positioniert, der „kein Odium“ 14 scheut, wenn er seiner Überzeugung nach handelt, selbst wenn er bewusst Thesen vertritt, die auf heftigen Widerstand stoßen. Seine Identität schwankt zwischen verschiedenen möglichen Kategorisierungen, ohne sich auf eine gänzlich reduzieren zu lassen, da er sowohl mit dem Orient als auch mit Europa assoziiert werden kann. Auch seine Beziehung zum jungen Saûd will nicht richtig in das Schema stereotypischer homoerotischer Beziehungen zwischen einem Europäer und einem Orientalen hineinpassen. Dass sich eine homosexuelle Beziehung in ei- 9 Martin Buber: Vom Geist des Judentums. Reden und Geleitworte, Leipzig 1916, S. 25. 10 Ebd., S. 46. 11 Ebd., S. 47. 12 Ebd., S. 48. 13 Arnold Zweig: De Vriendt kehrt heim. Roman, Berlin 1996, S. 31. 14 Ebd. nem orientalischen Setting abspielt, bildete keine Seltenheit im orientalistischen Diskurs zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Orientalen wurde ein ausschweifendes sexuelles Leben außerhalb der von der bürgerlichen westlichen Kultur aufgesetzten Grenzen zugeschrieben. Schon in Das neue Kanaan (1924) hatte Zweig Palästina als das Land geschildert, wo die eigene Sexualität frei von allen Konventionen und Hemmungen habe ausgelebt werden können. 15 Doch überlagern sich im Roman auch weitere kulturelle Muster, die aus der Antike stammen, man denke zum Beispiel an die pädagogische Bedeutung, die im alten Griechenland der Beziehung zwischen einem erastés und einem erómenos zukam. In diesem Zusammenhang scheint de Vriendt in die Fußstapfen „seines alten Feindfreunds“ 16 Hadrian zu treten, des philosophierenden Kaisers, der aus diesem Grund einen Bart trug, so wie auch die Ostjuden. De Vriendt trägt sich mit dem Gedanken, einen historischen Roman über ihn zu schreiben, um seine Hassliebe zu dem römischen Kaiser zu thematisieren, der den schönen Antinoos liebte und die Juden auf grausamste Weise bekämpfte. Daran zeigt sich abermals, wie prekär die Grenzziehungen zwischen Osten und Westen und die damit zusammenhängenden räumlichen Konzeptualisierungen und Diskurse im Roman verlaufen bzw. wie herkömmliche Unterscheidungen zwischen Subjekt und Objekt unterminiert werden. Mit seiner Liebe zu Saud vertritt De Vriendt in der Tat ein Beziehungsmuster, das nicht allein dem orientalistischen Diskurs verpflichtet ist, sondern auch einem relevanten Traditionsstrang der abendländischen Kultur zugerechnet werden kann, jenem Hellenentum nämlich, zu dem der wohlbeleibte Feinschmecker De Vriendt - trotz seiner frommen religiösen Ansichten - sich auch sonst tief hingezogen fühlt. Doch trifft Heines Unterscheidung zwischen lebensheiteren Hellenen und asketischen Nazarenen, 17 die hier angedeutet wird, ebenfalls auf De Vriendt nicht ganz zu, da Zweigs Gestalt Merkmale beider Gruppen aufweist und sich auch im Fall von Heines nicht rassen-, religions- oder nationsgebundener Typisierung als Drittes positioniert. Er entzieht sich abermals jeder Festschreibung. Bubers Unterscheidung zwischen Osten und Westen hatte Zweig schon im Essay Das neue Kanaan durch sein Konzept der Juden als Mittelmeervolk, als Südländer, revidiert, die deshalb mit Italienern, Arabern, Ägyptern und Südfran- 15 Vgl. Arnold Zweig: Das Neue Kanaan, in: Ders.: Herkunft und Zukunft. Zwei Essays zum Schicksal eines Volkes, Wien 1929, S. 190. Ähnliche Gedanken sind jedoch bereits in Zweigs 1911 veröffentlichtem Roman Aufzeichnungen über eine Familie Klopfer vorweggenommen . 16 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 119. Vgl. dazu Jonathan Skolnik: „Hier wuchsen die historischen Romane wild“. Arnold Zweig’s „De Vriendts kehrt heim“ and the German-Jewish Historical Novel, in: Alt/ Bernhard (Hg.): Arnold Zweig, S. 103-110. 17 Vgl. Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hg. von Manfred Windfuhr, 16 Bde., Hamburg 1973-1997, Bd. XI, 18 f. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 229 230 Lorella Bosco zosen unmittelbar verbrüdert sind. Gleichzeitig räumt Zweig jedoch ein, dass Juden, indem sie sich in viele Länder verstreut haben, die Eigenschaften der Völker angenommen haben, unter denen sie sich aufhielten. Das sei der Grund für die Vielfalt der jüdischen Typologien, denen mit Bubers Dichotomie Okzident/ Orient schwer beizukommen sei. Dementsprechend soll der neue zionistische Staatsentwurf eine binationale und bikulturelle Ordnung garantieren und „nur unter dem Beifall der Araber Palästinas“ 18 realisiert werden. Die Einwanderung der Juden nach Palästina wird in diesem Kontext als „Remediterranisierung“ beschrieben, als Rückkehr zu den Ursprüngen und zur Freiheit. Über das orientalistiche Stereotyp der homoerotischen Beziehung eines europäischen Mannes mit einem orientalischen Jungen hinaus legt der Roman De Vriendt kehrt heim eine Lektüre nah, die dieses Verhältnis als Verjüngungsversuch deutet, und zwar in zwiefacher Hinsicht: als individuelle Erfahrung und als Wiederaneignung der orientalischen Wurzeln der jüdischen Kultur, als eine sowohl körperliche als auch geistige Wiedergeburt auf dem Boden des Orients. Wer als Erwachsener ein Kind mit Leidenschaft liebt, sucht in ihm sich selbst. […] Es muß wieder das Kleine da sein, das Zierliche und Glatte, das Bewegliche und Schuldlose, das Übermütige, Spöttische, das vom Leben noch nicht befleckt ist, der jugendliche Mensch. […] [A]uf ungemeine Art hat sich hier ein Kreis geschlossen, ein Ich hat zurück zu seinem Ich gefunden, der gehaßte Strom des Lebens, einmal mußte er rückwärts fluten. 19 Dementsprechend notierte Arnold Zweig, der trotz seines Engagements für die Abschaffung des § 175 zwar zugeben musste, die Liebeszene zwischen Saûd und De Vriendt nur mit Widerwillen geschildert zu haben, in einem Brief an Sigmund Freud: „Ich war beides, der arabische (semitische) Knabe und der gottlos-orthodoxe Liebhaber und Schriftsteller.“ 20 Auch an diesem Eingeständnis wird die Hinterfragung hegemonialer Kategorien und der damit verbundenen Geschlechterrollen ersichtlich, indem herkömmliche Subjekt-Objektgrenzziehungen unterminiert werden. Im weiteren Romanverlauf wird Saûd keineswegs als passives Objekt der Begierde, sondern als durchaus entschlossenes und handelndes Subjekt dargestellt. An der oben erwähnten Wiedervereinigung mit der orientalischen Heimat, mit der „Urmutter“, wie es im Roman heißt, haftet jedoch eine tiefe Ambivalenz, die auch an der Verschränkung von homoerotischem Diskurs und kulturzionistischer Aufwertung des Orients ablesbar ist, von den subversiven Implika- 18 Zweig: Das Neue Kanaan, S. 217. 19 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 85f. 20 Brief vom 29. Mai 1932 in: Freud/ Zweig: Briefwechsel, S. 53. tionen ganz zu schweigen, die eine sexuelle Beziehung mit einem Araber mit sich barg. Die Rückkehr zu den eigenen Wurzeln ist vom Tod überschattet, mündet in ein cupio dissolvi , das im Romanschluss - bei der Beschreibung von De Vriendts Verwesungsprozess - seine volle Bedeutung entfaltet. De Vriendts Gebeine lösen sich in der Erde auf und werden vom Regen gespült. Die von Buber beschworene Wiederverwurzelung auf orientalischem Boden vollzieht sich hier deshalb buchstäblich - am elementar-organischen Prozess der Verwesung des Körpers, in einem Akt der transzendenzlosen unio mystica . Dem monotheistischen Vater-Gott, der als Garant für das Gesetz, für eine dichotome Geschlechterordnung, für den patriarchalischen Machtanspruch, für die klare Abtrennung vom Stofflichen steht, setzt sich hier ein mütterliches Prinzip entgegen, das mit der Materie, mit den ewigen Naturzyklen und mit der Auflösung in der Erde identisch ist. Auch in diesem Fall unterläuft De Vriendt (geschlechtlich-)binär kodierte Grenzregimes. Für de Vriendt stellt die Beziehung zu Saûd eine große Bedrohung dar, sowohl von arabischer Seite (der Bruder des Knaben, ein arabischer Nationalist, will ihn töten, weil er die Familie entehrt hat) als auch von jüdischer Seite, denn Homosexualität steht in krassem Widerspruch zur Orthodoxie, aber auch zum zionistischen Männlichkeitsentwurf. Daniel Boyarin hat in seinem Buch Unheroic Conduct gezeigt, wie das heterosexuelle zionistische Bild des ,Muskeljuden‘, der ja in einer Auseinandersetzung mit nicht-jüdischen Wertesystemen entwickelt wird, von den traditionellen jüdischen Männlichkeitsvorstellungen abweicht. Die Werte der Jeschiwa und des Lernens seien hingegen prägend für das Selbstverständnis jüdischer Männer der Vormoderne gewesen. Im Hinblick darauf wäre der gebildete homme des lettres De Haan eher einem traditionellen Judentum zuzurechnen, 21 so dass eine eindeutige Verortung seiner Figur abermals verhindert wird. Die Hinwendung zu einer strengen Glaubensauffassung gehört zudem nicht allein dem jüdischen Diskurs an, denn sie könnte ebenso der antimodernistischen Einstellung zu verdanken sein, die in breiten Kreisen der europäischen Kultur der zwanziger Jahre als Suche nach einer mit dem Krieg verlorenen Einheit wiederzufinden ist. Sie würde also wiederum von der tiefen Verbundenheit de Vriendts mit der europäischen Kultur der Moderne zeugen. In seinen auf holländisch geschriebenen Versen, die an Blasphemie grenzen, hadert De Vriendt wegen seiner Homosexualität mit Gott, dessen Existenz er in Zweifel zieht, denn Gott scheint denen recht zu geben, die behaupten, er sei „nicht vorhanden - vertilgt von Astronomie, Mathematik und dem reinen Denken“, „der 21 Vgl. dazu Daniel Boyarin: Unheroic Conduct: The Rise of Heterosexuality and the Invention of the Jewish Man, Berkeley/ Los Angeles 1997. Vgl. dazu Plapp: Jewish Drag, S. 156f. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 231 232 Lorella Bosco Schatten, der überhaupt keinen Messias mehr erwecken kann.“ 22 Solche Äußerungen zeigen De Vriendts am europäischen Nihilismus orientierte Gesinnung; es soll jedoch dazu angemerkt werden, dass gerade De Vriendts Hadern mit Gott einer jüdischen Tradition entspricht, in deren Rahmen die Gerichtsrede gegen Gott, Streiten und Verhandeln mit ihm vertraute und im Vergleich zu den anderen monotheistischen Religionen weithin akzeptierte Formen, sind, Gottes Ungerechtigkeit anzusprechen. So gesehen ist auch in diesem Fall eine west-östliche Doppelkodierung der Gestalt De Vriendts möglich. Die Bedrohung, der De Vriendt ausgeliefert ist und der er sich durch sein unermüdliches Handeln zugunsten der Araber aussetzt, scheint seinen beiden Namen Jizchak Josef eingeschrieben zu sein. Jizschak (Isaak) erinnert an Abrahams Sohn, der auf Gottes Befehl von seinem Vater hätte geopfert werden sollen und stattdessen an der Opferstätte von einem Engel gerettet wurde. Josef, der Träumer, wird hingegen von seinen Halbbrüdern verkauft und nach Ägypten verbracht, wo er später als oberster Verwalter des Pharaons zwischen Juden und Ägyptern vermitteln wird. Eine ähnliche Vermittlerrolle wird - wie bereits gesehen - auch von De Vriendt übernommen. Zweigs Held (oder Antiheld), der von seinem Fenster sowohl auf das Damaskustor als auch auf den Felsendom und auf die Moschee El Aqsa blickt und der „im Viertel zwischen Profeten- und St. Paulsstraße, nahe dem Damaskustor“ 23 wohnt, phantasiert häufig davon, eine Verkörperung des Isaaks zu sein und in einer früheren Existenz als Sohn des Patriarchen Abrahams gelebt zu haben. Daraus zieht er den Schluss, dass sein Schicksal gezeichnet und er als Opfer prädestiniert sei. In der fieberhaften Vision, die er bei seinem Tod erlebt und in welcher er von seiner Rückkehr nach dem mythischen Damaschek seiner Vorfahren träumt, heißt es deshalb: Und er, Jizchak, geopfert auf Moriah und nunmehr genesen, lag in der Sänfte im Schatten seiner Vorhänge und sah die steinernen Männer stehen, mit denen die Ackerbauer die Vögel des Himmels scheuchen. Hatte er seinem Vater verziehen, daß sein Blut geflossen war auf Moriah? War er nicht durch viele Verwandlungen gegangen, vom rundhörnigen Widder bis zu einem gewissen de Vriendt, dessen Name ihm aber nur noch wenig bedeutete? 24 Anders als bei seinen biblischen Vorfahren wird der Mord hier als vollzogener Akt dargestellt, es fehlt jeglicher Hinweis auf eine Stellvertretung durch den Widder. In Anlehnung an René Girards Das Heilige und die Gewalt (1972) liegt es auf der Hand, in de Vriendt einen Sündenbock, d. h. einen ausgeschlossenen 22 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 54. 23 Ebd., S. 115. 24 Ebd., S. 122. Dritten zu sehen, dessen Opfer die Opfernden aus dem Zirkel der Rache befreit, denn die Gewalt innerhalb zwischenmenschlicher Beziehungen wird auf ihn übertragen. Insofern ist das Opferritual eine gemeinschaftsstiftende Handlung, die - wie am Beispiel der griechischen Tragödie zu sehen ist - zur Re-Integration der Polis führt. Ferner zeichnet sich das Opfer durch eine grundlegende Ambivalenz aus, die Girard in paradoxer Form herausstellt: „Es zu töten ist verbrecherisch, weil es heilig ist […], aber das Opfer wäre nicht heilig, würde es nicht getötet.“ 25 Die Parallele zur antiken Tragödie zieht Zweig explizit in seinem Artikel Modell, Dokument, und Dichtung , indem er hier mit aristotelisch-freudianischer Begrifflichkeit erklärt, er habe die „Läuterung durch Erkenntnis und Selbsterkenntnis“ 26 an der Gestalt de Vriendts beabsichtigen wollen. Doch im Vergleich zur griechischen Tragödie besteht ein grundlegender Unterschied, denn die von De Vriendt ersehnte Versöhnung in Palästina bleibt nach wie vor aus. Nach seinem Tod eskalieren stattdessen die Spannungen zwischen Juden und Arabern und ein Brand vernichtet De Vriendts Haus und Bibliothek bis auf eine schwarze Mappe, die seine gotteslästerlichen Verse enthält und von Irmin gerettet wird: „Die Toten sind tot, und ihr Gedächtnis verfällt…“ 27 Folgt man Girards Thesen weiter, so ist es anzumerken, dass während die griechische Tragödie die wie auch immer kodierten Unterschiede in eine kosmische Ordnung eingliedert, moderne Gesellschaften gerade darin versagen, Differenzen in ihre Strukturen zu integrieren. De Vriendts Tod zeugt deshalb vom Ausbleiben der Katharsis, von seiner nicht integrierbaren und nicht integrierungswilligen Andersheit, die auf radikale Weise alle geltenden Rollenbilder und Verhaltensmuster der europäischen, der zionistischen und nicht zuletzt der arabischen Gesellschaft hinterfragt und subvertiert. Er polarisiert die Gemüter noch nach seiner Ermordung. In der Opfervision, die seinem Tod unmittelbar vorausgeht, weigert sich de Vriendt, der sich im Wahn mit Jizschak identifiziert hat und als solcher zu einer Art mythischer Kindheit zurückgekehrt ist, die symbolische Vaterordnung zu beschreiten, er beharrt auf seiner Differenz, indem er dem Vater, der übrigens die hybriden Züge des Sonnengottes Baal, des Abraham und des jüdischen Gottes zugleich trägt, noch im letzten Augenblick Gehorsam und Liebe vorenthält: [W]ie fernes Meerbrausen schlug an sein Ohr die lachende Stimme des fürchterlichen Vaters, der alles geschaffen und alles geordnet hatte und den Fluß der Zeit losgelassen gegen ihn: „Willst du mich denn nicht endlich lieben, Jizchak, mein Sohn, wie ich nun 25 René Girard: Das Heilige und die Gewalt, übers. von Elisabeth Mainberger-Ruth, Frankfurt a. M. 1992, S. 9. 26 Zweig: Modell, Dokument und Dichtung, S. 457. 27 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 168. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 233 234 Lorella Bosco einmal bin? “ Und der trotzige Knabe tat die Zähne schwer auseinander und hauchte: „Nein! “ 28 Die Gründe für das Ausbleiben der Katharsis in De Vriendts Opfer sind ferner auch in dem im jüdischen Theater anders als bei der griechischen Tragödie konfigurierten Verhältnis von Realpräsenz und Repräsentation im Gottesbezug zu suchen, so dass man im Hinblick darauf Isaaks Opfer als „jüdische ,Urszene‘ des Theaters“ 29 begreifen kann. Das würde die Beliebtheit erklären, auf die diese biblische Episode unter deutsch-jüdischen Autoren der Moderne und der Avantgarde (man denke zum Beispiel an Richard Beer-Hofmann, an Ernst Toller oder an Franz Kafka) stoß. Das Opfer Isaaks ist für Abraham zugleich auch ein Selbstopfer, da es der Auslöschung seines Stammes gleichkommt. Gottes Gebot, Abrahams einzigen Sohn zu opfern, duldet keinen Aufschub dessen Ausführung, stellt keine Möglichkeit der Stellvertretung in Sicht. „Auf den Anruf Gottes“, schreibt Bernhard Greiner, „gibt es kein Ausweichen in Repräsentation, kein Theater, keine Zeichenökonomie.“ 30 Erst nach Abrahams unverzüglicher Bereitschaft, Gottes Aufforderung zu folgen, verweist Gott auf die Ebene der Stellvertretung, durch den Widder. Das Verhältnis zwischen Repräsentation und Realpräsenz konfiguriert sich als ein metonymisches, anders als in der griechischen Tragödie, die eher auf einem metaphorischen basiert. Stellvertretung entsteht hier aus ihrer absoluten Negation, aus der Verweigerung der Repräsentation: „Das Eine steht für das Andere, ist seine andere Seite.“ 31 Das Absolute wird deshalb nicht durch die Katharsis ästhetisch distanziert und erhält in seiner Präsenz keine gemeinschaftsstiftende Funktion. Arnold Zweig hat sich dem Motiv der „Bindung Isaaks“ (wie Isaaks Opfer in der jüdischen Überlieferung genannt wird) und dessen ästhetischen Implikationen mehrfach zugewandt (u. a. in Juden auf der deutschen Bühne , 1928). 32 In De Vriendt greift Zweig, der seine Romanform explizit mit dem Drama vergleicht, 33 noch einmal darauf zurück und führt die Ästhetik der Verweigerung konsequent aus (nicht von ungefähr erinnert der Name „de Vriendt“ an den be- 28 Ebd., S. 124. 29 Bernhard Greiner: Das Isaak-,Opfer‘ als jüdische Urszene des Theaters und deren Fortwirken in der Theateravantgarde des 20. Jahrhunderts (am Beispiel Kafkas: das Theater von Oklahoma, „Josefine, die Sängerin“), in: Silvio Vietta/ Stephan Porombka (Hg.): Ästhetik - Religion - Säkularisierung. Bd. II: Die klassische Moderne (unter Mitarbeit von Sanne Ziethen), München 2009, S. 151-165, hier S. 154. 30 Ebd., S. 157. 31 Ebd. 32 Vgl. dazu auch Ursula Schumacher: Die Opferung Isaaks. Zur Manifestation des Jüdischen bei Arnold Zweig, Frankfurt a. M./ Berlin/ New York/ Bern 1995, S. 36-53, 163-167. 33 Vgl. dazu Arnold Zweig: Theorie des großen Romans. Aus einem Brief an Albert Wolfenstein, in: Ders.: Essays. Bd. I: Literatur und Theater, Berlin 1959, S. 376. rühmten Schauspieler Ludwig Devriendt, der sich für seine Interpretation jüdischer Rollen besonders hervortat). 34 Nicht nur entzieht De Vriendt der Möglichkeit einer Stellvertretung den Boden, sondern stellt die Autorität des väterlich/ männlich kodierten Gottesprinzips radikal in Frage - durch die Liebes- und Gehorsamsverweigerung. Das „Nein“, das De Vriendt im Todesaugenblick haucht, signalisiert in seiner Negativität sowohl die Sinnentleerung der Opferhandlung als auch das Ausbleiben deren damit verbundener gemeinschaftstiftender Funktion. Letzere wird auf die Romanerzählung und auf deren Wirkung auf die breitgefächerte Leserschaft, die stellvertretend für eine breite jüdische Öffentlichkeit steht, übertragen. Wie das Drama soll der Roman - Zweigs an Freud orientierter Ästhetik zufolge - „der Abfuhr von Gruppenaffekten“ dienen. Beide Gattungen - Drama und Roman - „gehören zu den großen seelenbildenden Mächten, die überpersönlich und ununterbrochen Gruppenwirkungen hervorbringen.“ 35 Eben aus der Gruppenbedeutung des Dramas (sowie des Romans und des Epos) leitet Zweig „das Kultische des Theaters“ ab: „Der Vorhang, der sich wie vor einem Heiligtum öffnet, der Mensch, der seinen ganzen Körper in Bewegung und seine ganze Seele in der Sprache aus der Sphäre des Privaten in die der Öffentlichkeit hineinstellt, der Schauspieler und seine große, bannende Kraft strömen nur daher.“ 36 De Vriendts individuelle Verstrickungen sind mit dem Jerusalem-Raum eng verknüpft. Im Roman stellt die Stadt Jerusalem nicht lediglich die Kulisse dar, vor der sich die im Buch erzählten Ereignisse abspielen, sondern bildet die Nahtstelle zwischen Orient und Europa, den vielschichtigen, mythisch-symbolisch aufgeladenen Raum, an der Menschen, Lebenseinstellungen, Glauben sich treffen oder aufeinanderprallen. An ihr durchkreuzen und überlagern sich Vorstellungen sowohl der Heiligen Stadt als auch der Stadt Babel, wie an den Gedanken des britischen Offiziers Irmin am Anfang des Romans ersichtlich wird: Hier saß er, in Jerusalem, einer Stadt ohne Wasser, ohne Wald, ohne Frieden, in der zweiundfünfzig verschiedene Nationen und Sekten einander im Geheimen verachte- 34 Vgl. dazu Elmar Goerden: Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Hans-Peter Bayerdörfer (Hg.): Theatralia Judaica: Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte: von der Lessing-Zeit bis zur Shoah, Tübingen 1992, S. 129-163; ferner Jörg Petzel: E. T. A. Hoffmanns theatralische Sendung. Seine Beziehungen zu den Schauspielern Iffland, Holbein, Leo und Devrient, in: E. T. A. Hoffmann-Jahrbuch 17 (2009), S. 124-136, insbesondere S. 134f. 35 Arnold Zweig: Caliban oder Politik der Leidenschaft. Versuch über die menschlichen Gruppenleidenschaften dargetan am Antisemitismus, bearb. von David R. Midgley, Berlin 2000, S. 238. 36 Ebd., S. 240. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 235 236 Lorella Bosco ten - nur weil er nicht loskonnte von diesem faszinierenden Stück nackten Felsens, das zwischen der Wüste und dem Mittelländischen Meer die Brücke von Asien nach Afrika bildete, einen der drei Gleichgewichtspunkte der Welt. 37 Die tiefgreifenden Ambivalenzen, die das Stadtbild und die Geschichte Jerusalems zu kennzeichnen scheinen, übertragen sich auf De Haan. Er verkörpert zugleich Bubers motorischen Menschen und den Nomaden, der als irritierende Denkfigur des Dazwischen begrifflich und räumlich nicht einzugrenzen ist. Es wundert daher nicht, dass De Vriendt, nach anfänglichem Zögern und Widerwillen, von einer plötzlichen Reiselust befallen wird, als Irmin ihm empfiehlt, sich von Jerusalem zu entfernen - als Schutzmaßnahme. Mit Irmin, dem Secret Service Agent, fährt er für drei Tage nach Nordgaliläa. „Die Lust des Reisens hat ihn gepackt wie ein jäher Anfall. Überhaupt nicht mehr anhalten - fahren, fahren.“ 38 Während dieser Fahrt, die ihn an arabischen Siedlungen vorbeiführt, träumt De Vriendt von einer weiteren Reise, die ihn nach Damaschek, dem Ziel seiner Sehnsucht, führen soll. Dieser Wunsch erfüllt sich erst im Augenblick des Todes, als er im traumähnlichen Zustand wähnt, in Damaskus angekommen zu sein. Das Kapitel, in dem diese Episode beschrieben wird, trägt nicht von ungefähr die Überschrift „Heim nach Damaschek“. Der vielschichtige Jerusalem-Raum, in dem sich der Mord an De Vriendt zuträgt, verschmilzt im Traum während der Nacht vor dem Tod mit der geliebten Königstadt, „der mächtigen Damaskus, die schon Abraham in ihren Lehmmauern gesehen hatte und Elieser, seinen getreuen Knecht“. 39 Hier liegt eine Anspielung auf eine Stelle aus Flavius Josephus’ Jüdische Altertümer , I, 7, 159 vor, die sich ihrerseits auf eine alte Überlieferung aus Nicolaus Damascenus beruft: Abraham habe über Damaskus geherrscht und sei von dort aus nach einigen Jahren mit seinem Volk nach Kanaan weitergezogen. Im Delirium des nahen Todes, an der Grenze zwischen Leben und Tod angekommen, hat sich De Vriendt in Isaak verwandelt und „als Jizchak ben Awraham“ kehrt er „heim aus der Fremde“, 40 heißt es im Buch, abermals das irritierende Ähnlichkeitsverhältnis zwischen Heimat und Fremde hervorhebend. In seinem traumähnlichen Zustand, auf dem Weg nach dem ersehnten Ziel Damaskus, begegnet De Vriendt-Izschaak Jesus und Saul von Tarsus, dem „Abtrünnigen“, der auch, wie de Vriendt, gegen den Vater revoltiert, indem er „dem Herrn der Heerscharen die unheilbare Wunde“ 41 (die Anspielung auf das Ritual der Beschneidung ist nicht zu übersehen) schlägt. 37 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 12. 38 Ebd., S. 102. 39 Ebd., S. 115f. 40 Ebd., S. 122. 41 Ebd. Der Romantitel erlaubt deshalb auch eine weitere Lesart des Textes, denn die hier evozierte Heimat kann sowohl mit Jerusalem als auch mit Damaschek gleichgesetzt werden. Beide Orte verkörpern sowohl das Fremde an der Heimat als auch die Heimat in der Fremde. Solche Polarisierungen werden im Laufe des Romans einem ständigen Prozess der Grenzverschiebung, der Revidierung und der Rekontextualisierung unterzogen. Damaskus, das nördlich von Jerusalem liegt, steht zugleich für den Norden, für die niederländische Heimat, so dass sich an diesem Punkt Jerusalem, der Ort, wo sich die erzählte Begebenheit zuträgt, die ersehnte Stadt Damaskus und Amsterdam einander berühren und ineinander fließen: „Ja, ins Nordland wollte er heimkehren, und ins Nordland kehrte er heim.“ 42 Der Begriff ,Norden‘ kann freilich um eine weitere Bedeutung erweitert und mit Deutschland assoziiert werden. Durch seine geschichtliche Vielschichtigkeit, seine symbolische Aufladung und nicht zuletzt durch die räumliche Ausdehnung in alle Himmelsrichtungen, die hier zu beobachten ist, erscheint Jerusalem als hybrider Ort eines Diskurses von „Ursprung und Verschiebung“, 43 in dem nationale, ethnische, kulturelle, religiöse und nicht zuletzt geschlechtliche Zugehörigkeiten hinterfragt werden. In ihrer Untersuchung zu Paulus’ Galater-Brief 3, 26-29 als Quelle des westlichen Diskurses über Generation, Raum und Identität haben Daniel und Jonathan Boyarin - mit Rückgriff u. a. auf Jean-Luc Nancy und auf Jean-François Lyotard - eine Kritik des israelischen Nationalismus aus einem postkolonialen Standort vorgelegt und zugleich für ein diasporisches Verständnis jüdischer Identität plädiert. Beide Boyarins werfen dem Zionismus die Koppelung von Genealogie- und Territorialitätsdiskursen, von Raum und Ethnizität vor. Diese problematische Bindung sollte mithilfe einer diasporischen Vorstellung von jüdischer Identität überholt werden, „not as a proud resting place (hence not as a form of integrism and nativism), but as a perpetual, creative, diasporic tension“. 44 Wie die Bibel zeigt, sind die Juden kein autochthones Volk, denn sie kommen nach Palästina als Fremde. Die rabbinische Überlieferung unterminiert den Autochthonie-Mythos: Political possession of the Land most threatened the possibility of continued Jewish cultural practice and difference. Given the choice between an ethnocentricity that would not seek domination over others and a seeking of political domination that 42 Ebd. 43 Leuenberger: Schrift-Raum Jerusalem, S. 224. 44 Daniel Boyarin/ Jonathan Boyarin: Diaspora: Generation and the Ground of Jewish Identity, in: Critical Inquiry 19 (1993), S. 693-725, hier S. 714. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 237 238 Lorella Bosco would necessarily have led either to a dilution of distinctiveness, tribal warfare, or fascism, the Rabbis chose ethnocentricity. 45 In der Diaspora sehen also beide Boyarins das Spezifische an der jüdischen Erfahrung und sie entwerfen deshalb ein Konzept „diasporischer Identität“, die - nach dem Vorbild des spanischen Mittelalters - „the dualism of gendered bodies and universal souls, or Jewish/ Greek bodies and universal souls - the dualism that the Western tradition offers“ 46 überholt, indem sie das Koexistieren mehrerer und auf den ersten Blick nicht zusammenpassender Subjektivitätsentwürfe ermöglicht. Zweigs De Vriendt liefert also in seiner Kritik am zionistischen Projekt genau das Beispiel einer derart konzipierten diasporischen Identität. Was freilich nicht besagt, dass Zweigs Roman als ein Plädoyer für eine diasporische Existenz zu lesen wäre. Bekanntlich kam Arnold Zweig während des Ersten Weltkriegs mit dem Zionismus in Berührung und blieb ihm einige Jahre lang eng verbunden. Seine zionistische Einstellung wurde erst in den Zwanzigerjahren brüchig, seine Skepsis hinderte ihn aber nicht daran, Palästina „diese ,romantische Utopie‘“ als „der einzige praktische Weg in die Zukunft“ 47 der deutschen Juden zu sehen, wie er 1933 in seiner Bilanz der deutschen Judenheit , kurz bevor er Deutschland verlässt, feststellt. Noch im selben Jahr siedelte Zweig nach Palästina über und ließ sich in Haifa nieder. In Palästina spürte er jedoch ein tiefes Gefühl der Fremdheit und litt an den Folgen der Entwurzelung. Er konnte kein Hebräisch und fühlte sich auch deshalb trotz seiner zionistischen Überzeugungen „im deutschen Geist und deutschen Land beheimatet“. 48 Er konnte seinen Platz in Erez Israel nicht finden. Bedenkt man, dass De Vriendts Geschichte nur die erste Romanhälfte einnimmt, wird die Vielfalt jüdischer Positionierungen in Palästina sowie das komplexe Machtverhältnis zwischen jüdischen Einwanderern, Arabern und Briten im weiteren Handlungsverlauf in noch ausdifferenzierter Form präsentiert. Es werden nicht zuletzt die Gründe erwähnt, die Mendel Glass, De Vriendts ostjüdischen Mörder, bei seiner Tat bewogen haben und denen De Vriendts in seiner Vermittlertätigkeit keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte: Osteuropäische Juden sind grausamen Pogromen entkommen, bei denen sie der Familienmitglieder, Freunde und aller Habseligkeiten beraubt worden sind. Sie setzen deshalb alle ihre Hoffnungen auf Palästina und fühlen sich von jedem bedroht, 45 Ebd., S. 719. 46 Ebd., S. 721. 47 Arnold Zweig: Bilanz der deutschen Judenheit 1933. Ein Versuch, bearb. von Thomas Taterka, Berlin 1998, S. 234. 48 Arnold Zweig/ Beatrice Zweig/ Helene Weyl: Komm her, wir lieben dich. Briefe einer ungewöhnlichen Freundschaft zu dritt, hg. von Ilse Lange, Berlin 1996, S. 361, Brief vom 13. Juni 1934. der auch nur den Anschein erweckt, ihnen ihren einzigen Entfaltungsraum entziehen zu wollen. In ihrer alt-neuen Heimstätte setzten sie alles aufs Spiel, weil das Scheitern bei ihnen nicht eingeplant ist. Darauf verweist Loland Irmin, der britische Offizier und Freund De Vriendts, der nach Freuds Meinung der eigentliche Romanheld war: 49 De Vriendt [konnte sich] nicht entschließen, auf die Gefühle seiner Volksgenossen Rücksicht zu nehmen. Die Lage der Juden in Palästina, besonders der Zionisten, war politisch bedrängt vom Widerstand der Araber, von der Lauheit der Verwaltung, von der Gleichgültigkeit, ja Angst breiter Judenmassen auf der Erde vor der zionistischen Idee, die ihnen ihre heimische Staatsbürgerschaft zu gefährden schien; wenig Geldmittel also, viel zu langsame Entwicklung, von der Regierung gedrosselte Einwanderung und dabei grenzenloser Opfermut der hitzköpfigen jungen Burschen, die ins Land strebten, um unter unsäglichen Schwierigkeiten aus Malariasümpfen Getreidefelder zu schaffen, aus Sandböden Orangengärten, aus kahlen Hängen Weinberge, aus stockerigen Feldwegen moderne Asphaltstraßen, bei glühender Sonne und frostigen Nächten, im Zelt jahrelang, unter den strömenden Regen des Winters und der dörrenden Sommerglut. Sie durften den schon hassen, der zu all diesen Schwierigkeiten in gespanntesten Zeitläuften nun noch den Feind in ihrer eigenen Mitte spielte und in jeder seiner Äußerungen genau das Gegenteil von dem aussprach, was sie selber dachten, wünschten, glühend für richtig hielten. 50 De Vriendt kehrt heim hat auch deshalb bislang nichts von seiner Brisanz eingebüßt, weil hier keine vorgefassten Meinungen und kurzfristige Lösungen für die innenjüdischen und jüdisch-arabischen Spannungen angeboten werden. Doch der Versuch, die zugespitzte Nahostlage in all ihren Facetten aufzuklären, ohne auf ideologische Vereinfachungen zu verfallen, stellt einen relevanten Beitrag zur Dekonstruktion der Orientalismus-Diskurse mit den damit verbundenen Hegemonialansprüchen dar. 49 Vgl. Freuds Brief vom 27. November 1932, in: Freud/ Zweig: Briefwechsel, S. 59. 50 Zweig: De Vriendt kehrt heim, S. 21. Fremde und Heimat in Arnold Zweigs Roman De Vriendt kehrt heim 239 Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman Giuliano Lozzi Il sionismo culturale è stato, com’è noto, un fenomeno storico-culturale complesso e di grande rilevanza storica. Nato all’inizio del Novecento in seno all’accesa Kulturdebatte scaturita a partire dal secondo congresso della Zionistische Weltorganisation , il sionismo culturale o spirituale si è proposto, nei decenni a seguire, come voce alternativa al sionismo politico. Consolidandosi e coinvolgendo un numero sempre maggiore di giovani intellettuali, esso ha rivestito un ruolo di primo piano nel panorama artistico e letterario del centro Europa e dell’area germanofona dove si parla, per riprendere il titolo di un celebre articolo di Martin Buber, 1 di Jüdische Renaissance , di rinascimento ebraico. 2 In questo contesto di ampio e profondo lavoro culturale, che coinvolge anche il mondo non ebraico, c’è un testo assai significativo dal quale vorrei partire per alcune riflessioni sull’apporto che Margarete Susman (1872-1966) - poetessa, pittrice, filosofa e saggista - ha dato a tale Renaissance . Il volume in questione è Vom Judentum 3 , una collettanea a cura di Hans Kohn in collaborazione con la Bar-Kochba-Gesellschaft e pubblicata nel 1913. Vi collaborarono le voci più significative della generazione della Jüdische Renaissance il cui obbiettivo è, come suggerisce il termine stesso, di dare nuova linfa vitale all’ebraismo e di porsi come alternativa al sionismo politico rappresentato soprattutto da Theodor Herzl e da Max Nordau. Ricorre il termine Wendung che, come si evince dalle prime, incisive parole dell’introduzione al volume, sembra rappresentare la priorità dei giovani sionisti: 1 Martin Buber: Jüdische Reinaissance, in: Ost und West 1 (1901), pp. 7-8. 2 Si vedano, sul tema, gli studi di Mark H. Gelber (ed.): Kafka, Zionism, and Beyond, Tübingen 2004 e Id.: Melancholy Pride. Nation, Race, and Gender in the German Literature of Cultural Zionism, Tübingen 2000 che danno conto dell’ampio spettro d’indagine su cui si muove il sionismo culturale in ambito tedesco. In italiano si vedano: Andreina Lavagetto: Martin Buber. Rinascimento ebraico. Scritti sull’ebraismo e sul sionismo (1899-1923), Milano 2013 e il recente studio di Massimiliano De Villa: La raccolta Juda nella costruzione del sionismo culturale tedesco, in: Studi Germanici 7 (2015), pp. 163-205. 3 Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba (Hg.): Vom Judentum. Ein Sammelbuch, Leipzig 1913. 242 Giuliano Lozzi Als wir […] daran gingen, dieses Buch herauszugeben, waren wir uns dessen bewußt, daß dieses Buch nur dann einen Sinn habe, wenn es einer Notwendigkeit entspringt: der Notwendigkeit der Aussprache einer Generation, die in dem Bewußtsein lebt, dass in ihrem Leben und durch ihr Leben das Schicksal des Judentums die entscheidende Wendung erfährt. […] Dies Buch ist herausgegeben von Zionisten; dies sei, um jede Falschmeldung zu vermeiden, von vornherein gesagt. 4 Chi sono questi sionisti, perché si definiscono tali e di cosa si occupano? Oltre ai già noti Martin Buber e Hans Kohn, Karl Wolfskehl e Gustav Landauer, l’unico contributo femminile è quello di Margarete Susman. Dopo gli inizi da poetessa intorno al circolo monacense di Stefan George, 5 Susman si trasferisce a Berlino e inizia a frequentare i seminari di Georg Simmel. Nel saggio per il volume Vom Judentum , intitolato Spinoza und das jüdische Weltgefühl , 6 l’autrice analizza il pensiero ebraico del filosofo olandese e studia il concetto di amor dei intellectualis come strumento di conoscenza universale. Si tratta di uno scritto importante per due ragioni: costituisce una prima, importante base teorica del pensiero della filosofa ed è il frutto di un dibattito con alcuni degli interlocutori che sarebbero rimasti tali gran parte della sua vita: Buber, per l’appunto, Simmel, Wolfskehl, Landauer e, di lì a poco, Rosenzweig. Sin dai primi articoli per la Frankfurter Zeitung , Susman aveva manifestato un acuto spirito di osservazione per i fenomeni culturali del suo tempo, attenta com’era e come sarebbe stata nel corso degli anni, agli sviluppi del dialogo ebraico-tedesco, di cui era una fervida sostenitrice, e sempre pronta, da saggista e da filosofa della cultura, ad osservarne i mutamenti, le correnti, le sfumature. Cresciuta in una famiglia benestante assimilata di Amburgo, Susman aveva maturato negli anni un approccio individuale alla cultura ebraica, in linea con la tendenza post-assimilatoria che accomuna molti giovani intellettuali nati e cresciuti in contesti laici. Claudia Sonino ben sintetizza il rapporto della scrittrice con l’ebraismo descrivendolo come “una ricerca interiore molto personale in cui le fonti della tradizione ebraica, ma non solo ebraica, consentono di formulare degli interrogativi della persona e le grandi domande epocali”. 7 Tra gli anni 4 Ivi, p. V. 5 Cfr. Jürgen Egypten: Margarete Susman und der George-Kreis. Persönliche Beziehungen, Dichtungstheorie und Weiblichkeitsentwurf, in: Ute Oelmann/ Ulrich Raulff (Hg.): Frauen um Stefan George, Göttingen 2010, pp. 157-171. 6 Margarete Susman: Spinoza und das jüdische Weltgefühl, in: Verein jüdischer Hochschüler Bar Kochba (Hg.): Vom Judentum, pp. 51-70; anche in Margarete Susman: Vom Geheimnis der Freiheit. Gesammelte Aufsätze 1914-1964, hg. von Manfred Schlösser, Berlin 1994, pp. 85-105. 7 Claudia Sonino: Margarete Susman, un destino ebraico-tedesco, in: Roberta Ascarelli (a c. di): Oltre la persecuzione. Donne, ebraismo, memoria, Roma 2004, pp. 33-42, qui p. 36. Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman 243 Dieci e Venti Susman collabora regolarmente con la rivista Der Jude e, di lì a poco, sarebbe stata nominata responsabile della pagina culturale della Frankfurter Zeitung . Torniamo al sionismo: una delle tematiche che attraversano e dividono l’intelligenza ebraica del primo Novecento, e di cui il volume curato da Kohn rappresenta solo un versante, è quella relativa all’opposizione tra il sionismo culturale, rappresentato dal russo Asher Ginsburg (Achad-Haam), e quello politico. Un dibattito articolato, con protagonisti importanti, e per il cui approfondimento rimando a studi più autorevoli. 8 Se è vero, tuttavia, che sul concetto di nazionalismo, come sostiene Shulamit Volkov nelle sue riflessioni sulle origini del pensiero nazionale ebraico, 9 non si è ragionato ancora abbastanza, ritengo importante sottolineare l’apporto che Margarete Susman, in maniera finora considerata marginale, ha dato a questo dibattito. Mi sembra, infatti, che nel suo pensiero il concetto di rinnovamento ebraico connesso al sionismo culturale sia non solo ricorrente, ma venga più volte ripreso, elaborato e trasformato in una categoria filosofica. Nelle sue riflessioni sull’ebraismo, sul sionismo, sul dialogo interreligioso Susman tiene presente il nucleo spirituale dell’ebraismo, quello jüdischer Geist che è, nella sua costellazione, genio creativo, forza plasmatrice e innovatrice, orientata all’azione anziché all’immagine, alla domanda anziché alla risposta: Was den jüdischen Geist von jedem anderen unterscheidet, das ist die unaufhebbare Beziehung seines Denkens auf den Menschen und damit auf das Tun. Der jüdische Geist hat nie wie der griechische den Kosmos rein in sich selbst zu schauen, das Welträtsel erkennend zu lösen begehrt. 10 Susman ragiona in maniera libera sui nodi cruciali relativi all’ebraismo, confrontandosi con figure estranee alla cultura ebraica come, per esempio, Mahatma Gandhi. A lui, come vedremo, dedica una conferenza nel 1929. Pur nella sua radicata apertura al dibattito e al porsi delle domande, Susman rimarrà sempre contraria al nazionalismo di matrice europea: è in questa concezione territoriale di nazione, infatti, che risiederebbe la causa scatenante della Grande Guerra 8 Cfr. Gelber: Melancholy Pride; Shulamit Volkov: Das jüdische Projekt der Moderne, München 2001. 9 Shulamit Volkov: Reflexionen zum „modernen“ und zum „uralten“ jüdischen Nationalismus, in: Ead.: Das jüdische Projekt der Moderne, pp. 32-48. 10 Margarete Susman: Der jüdische Geist, in: Ead.: Das Nah- und Fernsein des Fremden. Essays und Briefe, hg. von Ingeborg Nordmann, Frankfurt a. M. 1996, pp. 209-226, qui p. 211. 244 Giuliano Lozzi alla quale ella si oppose, diversamente da alcuni suoi colleghi sionisti, fin dagli inizi. 11 Per capire come i concetti di sionismo, Geist , stato-nazione siano intesi da Margarete Susman e per tracciare un percorso del suo pensiero politico e religioso, si prenderanno come riferimenti testuali degli stralci da alcuni saggi finora poco indagati e, là dove possibile, si tenterà un’analisi adottando diverse prospettive critiche. I saggi sono i seguenti: Einzelmoral und Staatsmoral (1915), 12 Wege zum Zionismus (1916), 13 Die Brücke zwischen Judentum und Christentum (1921), 14 una conferenza dedicata al Mahatma Gandhi (1929) 15 e il capitolo di Das Buch Hiob dedicato al sionismo (1946). 16 Nella pubblicazione in due parti Wege des Zionismus , l’autrice illustra la propria posizione sul sionismo. Parlando di un abisso tra il “vero sionismo” e quello “politico di Herzl”, Susman prende le distanze da quest’ultimo e dalla sua volontà di conferire a Israele un obiettivo terreno conforme al modello del nazionalismo europeo. Quella europea è un’idea di nazione che si lega, tra le altre cose, a un concetto politico di colonizzazione che per Martin Buber nulla ha a che vedere con la missione culturale auspicata dai sionisti della Jüdische Renaissance 17 . L’amore per Sion di matrice orientale rappresenta per Achad Haam l’essenza di un sionismo che vuole il ritorno in Palestina in quanto fulcro spirituale dell’ebraismo. Tesi condivisa da Margarete Susman che, nel suo libro Vom Sinn der Liebe , 18 approfondisce il tema dell’amore già affrontato nel saggio su Spinoza e gli conferisce un nuovo vigore filosofico, intendendolo come anelito e come inarrestabile forza interiore - nell’accezione della Lebensphilosophie . L’amore 11 Cfr. Ingeborg Nordmann: Einsamkeit und Urteilsfähigkeit. Dialoge mit Martin Buber und Franz Rosenzweig, in: Grenzgänge zwischen Dichtung, Philosophie und Kulturkritik über Margarete Susman, hg. v. Anke Gilleir/ Barbara Hahn, Göttingen 2012, pp. 62-88. 12 Margarete Susman: Einzelmoral und Staatsmoral, in: Frankfurter Zeitung (17 Novembre 1915), pp. 1-2; ripubblicato con il titolo: Der Einzelne und der Staat, in: Ead.: Vom Geheimnis der Freiheit, hg. v. Manfred Schlösser, Berlin 1994, pp. 49-55. 13 Margarete Susman: Wege des Zionismus, in: Frankfurter Zeitung (17 settembre - I parte), pp. 1-2e (19 settembre 1916, II parte), pp. 1-2. 14 Margarete Susman: Die Brücke, in: Der Jude 9 (1925-1927), Sonderheft, pp. 76-84; ripubblicato con il titolo: Die Brücke zwischen Judentum und Christentum, in: Susman: Vom Geheimnis der Freiheit, pp. 15-23. 15 Margarete Susman: Mahatma Gandhi, in: Ead.: Vom Geheimnis der Freiheit, pp. 27-48. 16 Margarete Susman: Der Zionismus, in: Ead.: Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes (1946), Frankfurt a. M. 1996, pp. 111-119. 17 Martin Buber: Jüdisches Nationalheim und nationale Politik in Palästina (1929), in: Id.: Ein Land und zwei Völker. Zur jüdisch-arabischen Frage, hg. und eingeleitet von Paul R. Mendes-Flohr, Frankfurt a. M. 1993, pp. 114-128, qui p. 118. 18 Margarete Susman: Vom Sinn der Liebe, Jena 1912 (ed. it. a cura di Anna Czajka, Il senso dell’amore, Reggio Emilia 2007). Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman 245 è un flusso in grado di trasformarsi e di trasformare, è una Verwandlung che è rigenerazione insieme spirituale e politica: Denn diese Zionsliebe entsprang im letzten Grunde keinen sozialen oder politischen Einsichten, sondern dem lebendigen nationalen Gefühl der Menge: der dunklen Sehnsucht nach einem Leben im jüdischen Geiste, dem Drang nach Heilung des Zerbrochenen, nach Erfüllung des Verkündeten. Nicht klar und bewußt, wie Achad Haam dies sieht und zu verwirklichen strebt, hat die östliche Zionsliebe dieser Sehnsucht Gestalt gegeben; […]. Wohl hat die Zionsliebe zum letzten Endziel gleichfalls die Rückkehr zum palästinensischen Boden; aber mit dem anderen Ausgangspunkt hat sie auch einen anderen Weg. Wie der Ursprung der Bewegung ein lebendigerer, unmittelbarer ist, so ist es auch der Weg, den sie weist: es ist der Weg der Wiederbelebung des jüdischen Geistes, der Wiederanknüpfung des neuen Lebens an die abgerissene jüdische Tradition. 19 La strada indicata da Susman è, dunque, quella del recupero del fondamento del sionismo orientale per rinnovare la tradizione ebraica e favorirne la rinascita. 20 Nello stesso saggio, Susman mette in contrapposizione la “limitatezza” della visione del sionismo politico alla “illimitatezza” del percorso spirituale suggerito da Achad Haam verso la realizzazione dello spirito ebraico. Insiste, inoltre, sulla necessità di una rinascita che non è una soluzione immediata e pratica, bensì è, di nuovo, un percorso spirituale e culturale: Es ist unmöglich, daß, wer so sein Volk liebt, nicht seine Sammlung und Einigung in einem freien Staate wünschen sollte. An ihr muß mit allen Kräften gearbeitet werden, aber auch ohne Täuschung über die Beschränktheit der praktischen Mittel. Unbeschränkt aber ist der andere Weg, der Weg zu einer selbständigen jüdischen Kultur, deren Vollendung auf palästinensischem Boden erst die wahre Befreiung der jüdischen Nation wäre. 21 A Martin Buber Susman dedica la seconda parte del suo Wege des Zionismus nel quale riflette sui punti di vicinanza e di lontananza di Buber (che forse erano, in parte, anche quelli di Susman stessa) rispetto al pensiero di Achad Haam e sul rapporto dialettico con la Palestina: “Die Erde Palästinas wird uns nicht umwandeln, wenn wir uns nicht selbst umwandeln. Und diese menschliche Erneuerung und Reinigung steht ihm vor allem im Zeichen der Religiosität”. 22 Sia per Susman sia per Buber il rinnovamento parte dall’individuo, passa attraverso 19 Susman: Wege des Zionismus, I. Teil, p. 1. 20 Nel suo saggio Jüdische Reinaissance Martin Buber paragona il movimento di rinnovamento ebraico a una “Quattrocento-Renaissance”. 21 Susman: Wege des Zionismus, I. Teil, p. 1. 22 Susman: Wege des Zionismus, II. Teil, p. 1. 246 Giuliano Lozzi uno sguardo introspettivo per poi divenire esterno ed effettivo. Si percepisce qui l’influsso, comune a Buber e Susman, di Simmel e della vita intesa come un “fluire unitario e individuale” 23 . Il nesso tra religiosità e nazione è cruciale per Susman, così come cruciale è, stando alla tesi di Elisa Klapheck, il rapporto tra ebraismo, inteso come religione della legge, e politica intesa come Gemeinschaft der Seelen 24 . Nel saggio Einzelmoral und Staatsmoral , Susman indaga non solo, per l’appunto, la connessione tra individuo e stato, ma precisa ciò che intende per “stato” come Gestalt . È una “forma piena” nella quale vive una comunità vibrante che si oppone all’individualismo - ma non all’individuo - ed elabora opinioni frutto di un dialogo costante: Eine Gemeinschaft, die den Namen Staat verdient, kann aus den ökonomischen Bedingungen des Einzelnen sich so wenig zusammenfügen, wie ein Mensch von außen her aus Speisen zusammengebaut werden kann: erst muß der schöpferische organische Anstoß da sein, der ihn überhaupt zu einem Gebilde werden läßt. Gestalt wächst niemals aus äußeren Mitteln zusammen, und wo eine Gemeinschaft sich zu einem Staatsgebilde erhebt, da muß die Kraft zum Schauen seiner Idee unmittelbar zeugend in ihr gewirkt und ihr wirr durcheinander flutendes Leben zur Form geprägt haben. […] Die lebendigen geistigen Kräfte aber, die ein Staatsgebilde erbauen, sind die Gesinnungen, Maßstäbe, Überzeugungen eines Volkes. 25 La formazione dello stato è dunque essenzialmente determinata dalla creatività del Geist che, da spirito individuale - grandi esponenti della cultura ebraica sono secondo Susman Freud, Spinoza, Rahel Varnhagen - assume una “forma” collettiva e diventa una comunità politica e critica, in un processo di crescita e progressiva stratificazione che è a tutti gli effetti una costruzione culturale. Al concetto di Gemeinschaft , che rimanda alle teorie sociologiche di Simmel 26 , l’autrice dedica grande attenzione e lo utilizza, in maniera discorsiva, nei suoi saggi dedicati ai diritti delle donne, al concetto di comunità religiosa, all’azione politica. Cinque anni dopo il saggio sulle strade del sionismo, Susman ritorna sulla sua idea di stato- Gestalt e la inquadra nel dialogo ebraico-tedesco. Nello scritto 23 Marco Vozza: La legge individuale dell’erotismo, introduzione a Georg Simmel: La filosofia dell’amore, a cura di Marco Vozza, Roma 2001, p. XV. 24 Elisa Klapheck: Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie, Berlin 2014, pp. 37-44. 25 Susman: Einzelmoral und Staatsmoral, p. 2. 26 Cfr. Georg Simmel: Über sociale Differenzierung. Sociologische und psychologische Untersuchungen, Lepizig 1890; si veda anche Margarete Susman: Der geistige Gestalt Georg Simmels. Ein Essay, in: Ead.: Das Nah- und Fernsein des Fremden, pp. 31-70. Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman 247 Die Brücke zwischen Judentum und Christentum , sottolinea la necessità di far affiorare il “ponte” tra spirito ebraico e spirito tedesco, che è anche quello tra ebraismo e cristianesimo, attraverso il riconoscimento delle reciproche differenze e guardando alle rispettive origini: Deutscher Christ und deutscher Jude einander Auge in Auge gegenüberstehend: […] Und nun wird auch die Brücke sichtbar, die vom Juden zum Deutschen, vom Deutschen zum Juden führt. Diese Brücke ist für den Juden das ihm ursprünglich Gewordene: das Judentum - für den Deutschen das kraft einer Umkehr ins Letzte Übernationale Erworbene: das Christentum. 27 L’incontro tra ebrei e tedeschi avviene, dunque, sul piano di un dialogo interreligioso, possibile solo se si scandagliano la storia e l’identità del popolo ebraico. Un’identità che non può e non deve essere normalizzata né adeguata ai nazionalismi europei, ma va messa in luce soprattutto in considerazione della Galut , che, per Susman, rappresenta l’essenza dell’ebraismo. Israele sarebbe allo stesso tempo Gestalt , forma culturale e spirituale, e anti- Gestalt , perché si oppone al culto dell’immagine: Dieser zentrale Tatbestand: die Kern- und Keimzelle des jüdischen Problems in der Diaspora, aus dem darum auch allein seine Lösung entspringen könnte, ist und bleibt die Tatsache, dass der Jude als der Mensch, dessen Nation und Religion, dessen Geschichte und Ewigkeit eins sind, bei dem also Nation und Geschichte selbst übernational und übergeschichtlich sind, dass dieser Mensch eben darum in keiner zeitlichen Konstellation, in keiner Gestalt des geschichtlichen Lebens sein letztes Ziel haben und darum in keinem realen Staat und Land seine endgültige Heimat finden kann. 28 Ciò che Susman intende sottolineare non è solo la vocazione sovranazionale e sovrastorica del popolo ebraico, della quale parla anche Buber, ma anche la necessità di non “limitare” - per riprendere il termine Beschränktheit del saggio precedente - lo spirito ebraico in una “forma” politica chiusa. Una “forma”, quella di Sion, che è invece uno spirito pieno, nutrito da un progetto insieme politico e religioso condiviso dagli individui che formano la comunità. Nella lotta per l’indipendenza dell’India condotta da Mahatma Gandhi Susman individua degli spunti interessanti per approfondire il concetto di nazione. Del Mahatma viene invitata a parlare a Francoforte nel 1929, come racconta nella sua autobiografia Ich habe viele Leben gelebt : Als ich dann später allein in Frankfurt war, wurde ich um einen Vortrag über Gandhi gebeten. Ich verschaffte mir nun alles, was von ihm und über ihn zu erhalten war. Es 27 Margarete Susman: Die Brücke, cit., p. 83. 28 Ivi, p. 80. 248 Giuliano Lozzi war eine andere Welt als die, die ich kannte. Die Gewaltlosigkeit […] in einer Zeit, in die eben die furchtbare Verwüstung des Krieges eingebrochen war, ist ein kaum zu fassender Gedanke. 29 In termini di confronto con l’Oriente, questo passaggio del racconto di Susman è rilevante: “Es war eine andere Welt als die, die ich kannte”. Come si confronta Susman, donna tedesca nata nella Germania dei Gründerjahre , con tale Andersheit , con quel mondo più “a est” dell’ebraismo orientale che per lei, come per Martin Buber e Achad Haam, ha costituito un riferimento religioso e culturale? Oltre al tema della non-violenza al quale Susman, come si legge dalle righe della sua autobiografia, teneva molto, l‘autrice si sofferma sull’accezione anti-europea del nazionalismo religioso di Gandhi. Nell’apprezzare il suo operato politico, critica chi, nel dibattito che ruota intorno a Israele, incoraggia un sionismo belligerante: Ein Idealist, nicht im Sinne des europäischen Idealismus, der das Sein aus dem Denken ableitet und so die Realität im Gedanken auflöst, sondern im religiös praktischen Sinne der bedingungslosen Opferbereitschaft für seine Idee, die der Politik im ganzen und dem Leben in allen einzelnen Handlungen unbedingt vorausliegt. 30 Un nazionalismo ‘puro’, basato cioè su un lavoro culturale, è estraneo ai principi imperialistici e agli accenti patriottici così comuni in Europa. Per questo, sostiene Susman, non è sufficiente che una nazione esista, essa deve costruire anche la propria dignità di esistere a partire da una forma di umanità condivisa ispirata alla tolleranza lessingiana: Diese innerste schmerzliche Identität des Mahatma mit seinem Land […] ist eins mit Gandhis großem religiösen Nationalismus. Mit dem europäischen Nationalismus hatte er nicht mehr als den Namen gemein. […] Es ist keine Spur von Imperialismus in diesem Nationalismus und Patriotismus. Jede Nation soll nach Gandhis Wunsch ihren besonderen Dharma verwirklichen; alle sollen sie sich nebeneinander und miteinander, jede zu der ihr bestimmten besonderen Form der Menschlichkeit entfalten wie etwa Lessings Toleranzbegriff es ausdrückt. Keine soll und darf die andere vergewaltigen. Eine Nation soll nicht nur sein, sie soll wert sein, zu sein. 31 L’analisi è abbastanza scevra da stereotipi o visioni predefinite. La filosofa argomenta la differenza di Gandhi rispetto al modello europeo in maniera analoga a ciò che Martin Buber farà nell’articolo del 1930 Gandhi, die Politik und 29 Margarete Susman: Ich habe viele Leben gelebt. Erinnerungen, Stuttgart 1964, p. 62. 30 Margarete Susman: Mahatma Gandhi, in: Ead.: Vom Gehemnis der Freiheit, p. 30. 31 Ivi, pp. 31-32. Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman 249 wir 32 . Al di là della condivisione di ideali che, come vedremo, non troverà la corrispondenza sperata, è interessante notare come la politica gandhiana venga considerata da Susman come un “modello alternativo”, un termine di paragone con il quale misurarsi in positivo sì, ma comunque a partire da quella che Homi Bhabha chiama “ideological Eurocentricity” dove “[T]he Other is cited, quoted, framed, illuminated, encased […].” 33 Anche quando, come nel caso di Susman, è il pensiero nazionalista europeo ad essere criticato, persiste una polarizzazione europeo/ non-europeo nella quale lo sguardo occidentale verso l’ ‘altro’, ossia verso l’India di Gandhi in questo caso, è dicotomico e carico di aspettative. 34 Tale aspettativa viene delusa dalla presa di posizione che Gandhi assume rispetto alla Shoah e alla presenza degli ebrei in Palestina. Secondo il Mahatma, infatti, gli ebrei avrebbero dovuto praticare la Satyagraha - ovvero la resistenza non violenta fino alla morte - e, nella costruzione dello Stato d’Israele, avrebbero dovuto riconoscere la legittimità del popolo palestinese: “Palästina gehört den Arabern, so wie England den Engländern, Frankreich den Franzosen gehört. Es ist falsch und unmenschlich, die Juden den Arabern aufzuzwingen.” 35 La netta posizione di Gandhi, del tutto inaspettata, scuote Martin Buber e lo induce a scrivere una lettera di grande scoramento alla quale il Mahatma non risponderà mai. 36 Facendo riferimento a questa lettera, Susman, in un articolo del 1938 pubblicato per la rivista Neue Wege , riprende il tema dell’alterità e cerca di mediare evitando che la distanza culturale, pur incolmabile, diventi una fonte di conflitto: Einer der Gründe liegt sicher in der großen räumlichen Entfernung, die Indien von dem europäischen Geschehen, zu dem ja auch das heutige palästinensische gehört, trennt. […] Ganz zweifellos spielt aber bei seiner Beurteilung der Lage auch die große geistige Ferne mit, aus der der Mahatma alles außerindische Geschehen sieht. Zweimal bin ich schon vor Jahren in Schriften Gandhis auf die Grenzen seines Begreifens gegenüber entscheidenden europäischen Erscheinungen gestoßen. Einmal, als er über Goethes „Faust“ schrieb, daß er ihn wieder und wieder gelesen habe, ohne aber einen 32 Martin Buber: Gandhi, die Politik und wir, in: Id.: Werke, München/ Heidelberg 1962, Bd. I, pp. 1081-1094. 33 Homi K. Bhabha: The Location of Culture, London 1994, p. 31. 34 Cfr. ivi, p. 37. 35 Mahatma Gandhi: Zur Lage der Juden in Deutschland und Palästina (1938), in: Buber: Ein Land, zwei Völker, pp. 150-155. 36 Martin Buber am Mahatma Gandhi, in: Buber: Ein Land, zwei Völker, pp. 158-175. 250 Giuliano Lozzi Zugang zu ihm gewinnen zu können. „I could not catch the message in it (ich konnte die Botschaft darin nicht erfassen)“ schrieb er damals. 37 Malgrado il tentativo di costruire un dialogo, il confronto, nel 1938, in pieno Terzo Reich, tra il sionismo inclusivo ed europeo supportato da Buber e Susman e l’invito gandhiano alla Satyagraha non sembra possibile. “I could not catch the message in it”: lo spostamento di Susman verso l’Oriente di Gandhi rende le posizioni inconciliabili e conduce a un’impossibilità di comprensione reciproca. Nel 1946, a ridosso dalla fine del secondo conflitto mondiale e poco prima della fondazione dello Stato di Israele, Susman pubblica il suo testo a oggi più noto - e tradotto in italiano con il titolo Il Libro di Giobbe e il destino del popolo ebraico . Si tratta di un testo complesso e di grande importanza per la prolifica autrice perché “[…] lì c’è tutta la mia vita”. 38 Con questo libro, scrive Irene Kajon, “ci si propone di analizzare la situazione del popolo ebraico all’indomani della guerra, considerandolo in certo modo come il rappresentante di un’umanità ferita, scossa nella cultura, nel suo vivere nel mondo, sofferente, alla ricerca di punti di riferimento che dessero di nuovo un senso all’esistenza”. 39 Nel capitolo dedicato al sionismo, Susman ritorna sul concetto di stato- Gestalt , rielabora e approfondisce le sue posizioni sul tema. Giunge a delle conclusioni che confermano la convinzione che religione e politica - nel contesto di una Gemeinschaft 40 - possano trovare un percorso di dialogo comune e che possano nutrirsi reciprocamente: Es gibt kein klareres Symbol der heute dem Volk im Zionismus gestellten Frage: ob, losgelöst von allen traditionellen Formen, in einer Welt wie der unseren noch die Wirklichkeit des echten Zion gelebt und neugestaltet werden kann. Der Zionismus ist wie jede Wirklichkeit in Israel eine Kraftprobe, eine Glaubensprobe, eine Lebensprobe. […] Auch Zion ist nicht Ziel, sondern Weg, nicht Antwort, sondern Frage, eine offene Zukunftsfrage an das Volk. Ihre eigentliche Bewährung findet auch in einer ganz und gar säkularisierten Welt die Zionsarbeit nur in der Sphäre des Heils: nur in einer Umbildung, Neuwerdung der Gemeinschaft, einer neuen, lebendigen Darstellung des Menschlichen. Darum schließen Zionismus und Sozialismus nicht einander aus: sie suchen einander. 41 37 Margarete Susman: Martin Bubers Brief an Gandhi, in: Neue Wege 33 (1939), pp. 263-269, qui pp. 264-265. 38 Susman: Ich habe viele Leben gelebt, p. 159: “[…] darin mein ganzes Leben ist”. 39 Irene Kajon: Allusività come critica all’idolatria. Margarete Susman sul linguaggio biblico oggi, in: Per la filosofia 1 (2014), pp. 19-28, qui p. 19. 40 Cfr. Klapheck: Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie, p. 206. 41 Susman: Das Buch Hiob und das Schicksal des jüdischen Volkes, p. 118. Il sionismo culturale nel pensiero di Margarete Susman 251 Questa connessione tra sionismo e socialismo prelude alla collaborazione che Susman avvierà con Leonard Ragaz nell’ambito del socialismo cristiano. Un sodalizio che, tuttavia, le permetterà solo in parte di proseguire la strada dell’impegno politico e spirituale intrapreso negli anni precedenti. Il valore che Susman conferisce alla comunità intesa come punto di partenza per un rapporto con l’altro fanno da apripista a un pensiero religioso e politico orientato alla valorizzazione del senso dello stato piuttosto che all’identificazione della nazione con un territorio. È un approccio aperto e progressista che, al netto delle numerose differenze, non si discosta dalle opinioni opinioni di Hannah Arendt sul sionismo, anticipa alcune correnti sociologiche americane 42 e post-coloniali 43 . Il pensiero politico di Susman mostra, dunque, tratti di grande modernità non solo nella condanna di un certo nazionalismo, ma anche nella costante ricerca del dialogo e della mediazione nonché nell’attitudine alla risoluzione dei conflitti. 42 Si pensi, per esempio, a Benedict Anderson: Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London-New York 1982. 43 Vengono in mente alcune significative riflessioni sul nazionalismo moderno contenute nel volume Judith Butler/ Gayatri C. Spivak: Che fine ha fatto lo stato-nazione? , Roma 2009. Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco Vivian Liska Nel suo libro Orientalismo , Edward Said sostiene che la costruzione di una dicotomia tra Oriente e Occidente induce a vedere l’Oriente come una proiezione negativa dell’Occidente. Nello spiegare questo aspetto, lo studioso menziona lo “stile profetico” come una delle modalità retoriche associate all’Oriente che si oppone a un’attitudine razionale ed è per questo oggetto di discredito da parte dell’Occidente. Said, che, com’è noto, nella sua trattazione dell’orientalismo trascura il caso della Germania, avrebbe potuto trovare nel modernismo tedesco un approccio più complesso sia al profetismo sia all’orientalismo. Il profetismo è infatti un tropo onnipresente, benchè controverso, nella letteratura modernista di area germanica proprio perchè trascende la dicotomia fra Oriente e Occidente. Ha, come dimostrerò in seguito, il potere di perpetuare e di scardinare la presunta opposizione fra questi due ordini e tra i loro rispettivi “stili”. Lo stile profetico del modernismo tedesco scaturì dalla coesistenza di timore e speranza nei confronti di una frattura apocalittica e dal desiderio di un radicale rinnovamento che alimentava l’immaginazione di filosofi, artisti e poeti durante i primi decenni del XX secolo. Questo fenomeno (il sentimento della fine o, per usare il titolo di una delle più famose poesie espressioniste di Jacob van Hoddis, del Weltende ) raggiunse l’apice negli anni precedenti la Prima Guerra Mondiale e durante il conflitto bellico. In questo periodo, il recupero dello stile profetico nella letteratura tedesca è sintomatico della “crisi della modernità”, una crisi degli ideali e dei valori illuministici che coinvolge il soggetto autonomo, la fede nel progresso storico e, fatto di particolare rilievo per la letteratura, la “crisi del linguaggio” o Sprachkrise . Tale fenomeno che pervade a fondo gran parte della letteratura tedesca modernista comportò che l’evidenza comunicativa e mimetica del linguaggio, dominante durante l’Illuminismo, cedesse il passo a un senso di inadeguatezza delle parole a cogliere la realtà. Le variegate risposte moderniste ed espressioniste a questa crisi si manifestarono nella ricerca di forme espressive alternative. Esse si rivolsero di conseguenza da un lato ai miti antichi o alle culture premoderne, dall’altro svilupparono forme artistiche radicalmente nuove in grado di far riemergere uno strato dell’essere più profondo 254 Vivian Liska e sostanziale. Lo stile profetico, con la sua tonalità mitica e il suo uso sublime del linguaggio che trascendeva le limitazioni del realismo del tardo XIX secolo, offriva ai poeti modernisti la possibilità di armonizzare queste aspirazioni contraddittorie sospese tra l’autenticamente antico e il radicalmente nuovo. In alcuni casi particolarmente stimolanti, tale costellazione contrappose fra di loro entrambe queste tendenze, con il risultato di una critica a tratti ludica, comunque incisiva, dell’opposizione binaria tra Oriente e Occidente e del pensiero articolato in termini dicotomici più in generale. Il profetismo modernista intrattiene una relazione ambivalente con la fascinazione per l’Oriente tipica dell’epoca. Mentre alcuni autori che si richiamano allo stile profetico nei loro scritti riconoscono le origini orientali, per lo più bibliche, di questo registro, altri lo associano alla tradizione occidentale di ascendenza ellenica. Il termine ‘profeta’ è infatti di origine greca, ma, come sottolinea Maurice Blanchot, è essenzialmente estraneo a quella cultura. Blanchot descrive le differenze cardinali tra il profetismo ellenico e quello ‘orientale‘ nei termini di una diversa relazione tra la fonte e l’articolazione del linguaggio profetico. “Chez les Grecs” scrive Blanchot “l’être en transes qu’atteint follement la divination inspirée, révèle, par un balbutiement qui n’est même pas une parole, le secret que les prophètes […] seront chargés d’interpréter”. 1 Nel mondo biblico, prosegue Blanchot, la Pythie et l’interprète ne sont pas séparés; le prophète d’Israël rassemble les deux en un seul être. C’est que la divination grecque n’est pas encore langage; elle est un bruit originel que seul l’homme qui n’en est pas possédé, capable d’entente et de mesure, peut saisir en parole et en rythme. Dans le monde biblique, celui que touche l’esprit parle aussitôt une parole déjà veritable commençante mais accomplie, […] même si elle est emportée par la violence de l’instant. 2 La differenza tra il vate greco e il “profeta d’Israele” che Blanchot mutua da Buber e da Weber ripropone in un certo senso la dicotomia individuata da Said: l’origine della divinazione greca è nettamente distinta dal vate umano che resta puramente razionale nel suo compito di interprete. Il profeta biblico, di contro, assomma sia la facoltà di ricevere la parola divina sia quella di trasmetterla in un discorso umano. Ciò che riceve è già un linguaggio; il suo face à face con il Divino è un dialogo - spesso inizialmente riluttante, quando non ribelle - e il suo discorso è ispirato contemporaneamente da un’istanza ‘ultraterrena‘ e terrena. Il profeta biblico per Blanchot è capace sia di “trasporto estatico” sia 1 Maurice Blanchot: La parole prophétique, in: Id.: Le livre à venir, Paris 1959, pp. 117-128, qui p. 117. 2 Ibidem , n. 1. Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco 255 di raziocinio. Che tale profeta sia anche quello orientale risulta evidente dalle riflessioni di Blanchot sul luogo in cui avviene il discorso profetico che egli associa a Israele sia sul piano metaforico sia sul piano metonimico. Esso è udito e proclamato nel deserto che si rivela così ben più di un semplice luogo: “ la parole aussi est désertique, cette voix qui a besoin du désert pour crier.” 3 Qui Blanchot identifica il discorso profetico sia con l’errare degli israeliti nel deserto sia con la sua poetica modernista dell’errare. Blanchot suggerisce così un rovesciamento della valenza negativa attribuita allo stile profetico e al suo contesto orientale. Entrambi sono contrapposti alla distinzione normalizzante fra un’estasi muta o balbettante da un lato e il logo s razionale associato alla tradizione occidentale in quanto erede di quella greca, dall’altro. Il deserto come paesaggio simbolico dell’Oriente e come dimora dei profeti diventa per Blanchot cifra di un movimento che si oppone a ogni tipo di ordine costituito del discorso. Profetismo e modernismo tedesco Gli autori modernisti, in particolare gli espressionisti, invocano spesso la figura del profeta, la sua voce, i suoi gesti e la sua forma di apostrofe come un potenziamento del loro afflato poetico. La voce profetica si presta poi in modo particolare a tuonare contro la situazione presente e ad annunciare il declino dell’Occidente ( Ende des Abendlandes ), la catastrofe imminente e la grande tempesta destinata a spazzar via tutto il mondo civilizzato. Lo stile profetico si accompagnava tuttavia in molti casi a un’attrazione problematica, a una propensione per il mito, l’irrazionale, gli estremi, a una fascinazione per la distruzione apocalittica e soprattutto alla richiesta di un leader forte e carismatico, di un Führer che avrebbe salvato la nazione tedesca, la civiltà occidentale e infine il mondo intero. Tale radicale forma di profetismo può essere considerate senza dubbio un tardo sintomo di ciò che Blanchot descrive come lo stile greco della profezia, in cui l’ispirazione divinatoria tiene distinti la pazzia dell’estasi dalla “comprensione e moderazione”. Molti autori modernisti di solito associati allo stile profetico invocavano infatti, per salvare la modernità, un ritorno alla Grecia, intesa come la culla dell’Occidente, e alla sua separazione di estasi e logos, meglio nota come la distinzione nietzschiana tra Dioniso e Apollo. Il recupero modernista del discorso profetico può essere in effetti ricondotto a Nietzsche. Il suo alter ego Zarathustra, modellato presumibilmente sull’esempio degli antichi profeti, scrive “neue Werte auf neue Tafeln” 4 , come annota 3 Blanchot: La parole prophétique, p. 118. 4 Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra, in: Id.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA), 15 Bde., hg. von Giorgio Colli/ Mazzino Montinari, München 1980 ff., Bd. 4, III. Teil: Von alten und neuen Tafeln, pp. 246-269, qui §. 26, p. 266. 256 Vivian Liska Nietzsche, ma è la Grecia, e non la Bibbia che si intravede dietro il suo pensiero. Come Blanchot, Nietzsche enfatizza il deserto. Per lui tuttavia l’avanzare del deserto ( Die Wüste wächst …) rappresenta il nichilismo occidentale, coinvolgendo stereotipi orientalisti per muovere una critica della civiltà europea senza per questo implicare una valutazione postiva dello scenario orientale. L’appello antimoralista nietzschiano a una trasvalutazione dei valori e a una nuova umanità ispirò generazioni di poeti e scrittori. Tra di essi la personalità più magnetica fu l’autoproclamatosi poeta vates Stefan George che fu considerato un profeta dai suoi contemporanei e che a sua volta si reputava il messia di un nuovo regno. Questo nuovo Reich avrebbe condotto a una “Germania segreta”, un’ élite intellettuale e artistica cementata dall’eredità greca e dalla sua fedeltà verso un leader forte. Il circolo di George, il George-Kreis , avrebbe finito per riscuotere grande popolarità presso i nazionalsocialisti. Lo stile profetico fu adottato non solo dai rappresentanti di un conservatorismo estetico à la Stefan George, ma anche da esponenti delle avanguardie come Hugo Ball. Nel discorso sul suo sodale Kandinsky, tenuto alla Galleria Dada nel 1917, Ball dichiarò che gli artisti del suo tempo erano “Vorläufer, Propheten einer neuen Zeit”. 5 Già in precedenza, nel 1913, Ball era stato tra i fondatori della rivista Die Revolution che esaltava la forza distruttiva dionisiaca, l’antinomismo e la negazione di tutti i valori. Colpisce il fatto che Ball diventasse subito dopo un fervente cattolico ortodosso e un antisemita convinto che considerava gli ebrei distruttori della civiltà. Espressionismo ebraico-tedesco La situazione liminale e ampiamente discussa degli autori ebreo-tedeschi fra Oriente e Occidente conferisce un rilievo particolare alla questione del rapporto che intercorre tra profetismo e orientalismo. Inoltre, l’attenzione rivolta al profetismo e al suo ruolo nella tradizione scritturale ebraica amplia in un senso non meramente sociologico la prospettiva sulle origini delle modalità di confronto ebraico-tedesche con l’Oriente. Come avrò modo di dimostrare, gli autori ebreo-tedeschi si appellano all’ordine politico, culturale e simbolico del discorso orientalista e all’uso prevalente del discorso profetico e al contempo lo dislocano . Gli autori espressionisti ebrei non restarono immuni dalle seduzioni del tropo profetico o dal fascinosum dell’esotismo orientale. Tuttavia essi si richiamavano sovente alla tradizione poetica in modalità “spezzate” che evitano 5 Hugo Ball: Kandinsky. Vortrag, gehalten in der Galerie Dada, in: Id.: Der Künstler und die Zeitkrankheit, Ausgewählte Schriften, hg. und mit einem Nachwort versehen von Hans Burkhard Schlichting, Frankfurt a. M. 1984, p. 43. Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco 257 così il rischio della manipolazione del “grande gesto”, controllandone la mistificazione, la noncuranza per le faccende terrene e il disprezzo per la politica. Di conseguenza, questi autori si sottraggono al pathos dello stile profetico, alla sua forza di distruzione apocalittica e alle sue relazioni elitarie di potere, incluse quelle al centro del discorso sull’orientalismo. Gli espressionisti ebreo-tedeschi come Albert Ehrenstein, Jacob van Hoddis, Paul Adler, Alfred Lichtenstein, Salomo Friedländer/ Mynona e Else Lasker-Schüler comunicarono le loro visioni profetiche in un cozzare irriverente e provocatorio di registri incompatibili. Il complesso tentativo di ricorrere allo stile profetico mettendo al contempo in guardia da (o addirittura respingendo) la sua problematica seduzione può essere osservato nell’opera di autori e pensatori di primo piano, pur molto diversi fra loro, come Stefan Zweig, Walter Benjamin e Martin Buber. In un testo intitolato Das neue Pathos ( Il nuovo pathos ), 6 scritto nel 1907, Stefan Zweig fu tra i primi a descrivere la nuova voce poetica in termini che ricordavano lo stile profetico: il poeta moderno non si rivolge a un lettore solitario, ma adotta l’atteggiamento del profeta; la sua allocuzione orale proclama, ammonisce, annuncia e ridesta. Non più separato dai lettori dalla barriera del medium letterario, il nuovo pathos tramuta le sue parole in un discorso appassionato alle masse in cui lingua, ritmo e musica “nicht mehr Selbstzweck sein [dürfen], sondern nur Mittel zur Erregung von Enthusiasmus”. 7 Il gesto imperioso di un oratore, scrive Zweig, è animato dalla volontà di pathos. Verso la fine di questo saggio, Zweig lancia un monito: un pathos accentuato può erodere la qualità artistica e l’efficacia della parola poetica. Il pathos copre il vuoto “durch eine große Geste” 8 e cela “die Phrase” che costituisce “die erste Gefahr des pathetischen Gedichtes”. 9 Il più grande pericolo cui è esposto il gesto profetico è comunque il suo potere di manipolare le masse fino a sottometterle ciecamente. L’ambivalenza nei confronti dello stile profetico procede spesso di pari passo, in un processo al contempo di descrizione e dislocazione, con i riferimenti all’Oriente come luogo di una ominosa alterità. L’ampio uso che Else Lasker-Schüler fa di motivi orientali è in questo senso un caso particolarmente indicativo. L’autrice è stata accusata di indulgere in stereotipi orientalisti, 10 ma è stata ritenuta al contempo una critica convinta di quella stereotipata “Be- 6 Cfr. Stefan Zweig: Das neue Pathos, in: Das literarische Echo 11, H. 24 (1909), coll. 1701- 1707. 7 Ivi, col. 1703. 8 Ivi, col. 1706. 9 Ibidem . 10 Cfr. Donna K. Heizer: German-Jewish Identity in the Orientalist Literature of Else Lasker-Schüler, Friedrich Wolf, and Franz Werfel, Columbia, S.C., 1996, p. 45. 258 Vivian Liska geisterung für das Exotische”, 11 che caratterizzava il suo ambiente. Nel mio close reading di due testi appartenenti alla prima produzione poetica di Else Lasker-Schüler mostrerò come l’interazione che si stabilisce tra la modalità con cui la poetessa si accosta alla profezia e all’Oriente e la performatività dei suoi testi letterari sovverta i discorsi dominanti su entrambi questi aspetti. Confusione salvifica: Der Großmogul von Philippopel ( Il Gran Mogul di Filippopoli ) La prosa poetica di Else Lasker-Schüler Der Großmogul von Philippopel ( Il Gran Mogul di Filippopoli ), contenuta in una delle sue prime opere, Die Nächte der Tino von Bagdad ( Le notti di Tino di Bagdad ), pubblicata nel 1907, mette in scena il riferimento “spezzato” al profetismo e al mondo orientale. Ambientata in uno scenario orientale, la sua critica sociale e culturale è rivolta all’Occidente. Tuttavia, più che il contenuto, è il suo registro letterario, una insolita mistura di sublime e grottesco, a evocare e al contempo a demistificare il discorso profetico e il suo nesso con l’irrazionalismo o il pathos orientalisti. Lasker-Schüler sovverte categorie predeterminate per mezzo di pointes e di una sintassi agrammaticale che giustappone balbettio ed espressioni colloquiali a suggestioni, d’ispirazione mistica, della potenza della parola poetica. Tale potenza risiede tuttavia non tanto nella sua forza di persuasione quanto nella straniante confusione della poetica modernista. La storia comincia come la parodia di un racconto delle Mille e una notte : Der Großmogul von Philippopel sitzt im Garten des Reichspalastes in der Sultanstadt; kommt ein fremdes Insekt von Abend her und sticht ihn auf die Spitze seiner Zunge. Er hat nämlich die Angewohnheit, sie beim Nachdenken auf der Unterlippe ruhen zu lassen. Und trotzdem die Ärzte dem Unfall keine weitere Bedeutung beilegen, geschieht es dennoch, dass der erhabene Herr sich einbildet, nicht mehr reden zu können. 12 La storia si apre con un incidente che è tanto banale quanto involontario, ma che si amplia in una stravagante parabola. I protagonisti principali sono il Gran Mogul, ministro del sultano, e la poetessa Tino. Punto da un insetto, il Gran Mogul pensa di non essere più capace di parlare. Tutti i tentativi dei medici e dei sacerdoti, dei saggi e delle guardie si sono dimostrati vani. Poichè il suo 11 Cfr. Uta Grossmann: Fremdheit im Leben und in der Prosa Else Lasker-Schülers, Hamburg 2001, p. 226. 12 Else Lasker-Schüler: Die Nächte der Tino von Bagdad, in: Ead.: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe, hg. von Norbert Oellers/ Heinz Röllecke/ Itta Shedletzky, Bd. 3.1: Prosa 1903-1920, bearb. von Ricarda Dick, Frankfurt a. M. 1998, p. 85. Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco 259 intervento per la gestione dell’impero sottoposto a minacce si è reso urgentemente necessario, il Gran Mogul sarà guarito dalla poetessa. Sarà lei a trovare la leggendaria parola magica che restituirà la lingua al ministro e che salverà quindi il paese. Le “zaubernde Lippen” della poetessa e il suo gioco amoroso ed erotico fanno sì che il Gran Mogul parli ancora, ma in una lingua che solo Tino comprende. Tino diventa la portavoce ufficiale del ministro, acquisendo per breve tempo prestigio. Ma si approfitta della situazione, riportando volontariamente in modo distorto le intenzioni del sovrano: le traduzioni delle parole di lui sono dei veri e propri stravolgimenti delle sue decisioni. Trasformando i suoi decreti, ella reca giustizia e prosperità: introduce l’importazione esente da dazi di “Spezereien fremder Länder”, 13 inventa armi non violente e muta “das Todesurteil der Rotte herrenloser Hunde”, 14 pronunciato dal Gran Mogul nell’ordine di costruire un palazzo per loro. Acquista prestigio finchè è legittimata dall’autorità di un uomo potente e sembra parlare in suo nome. Ella sovverte la sua legge opprimente, ottenendo cambiamenti politici e sociali. Ma la sua attività alla Dieta imperiale ( Reichstagsgebäude ) viene bruscamente interrotta: il suo inganno viene scoperto nei documenti del Libro Imperiale ed ella è cacciata dal palazzo in disgrazia. Ora vaga nel deserto attraverso la notte come un viaggiatore solitario in compagnia del suo asino: “Und abends liegen wir unter dem grossen Mondhaupt, mein Esel und ich, und ich deute mein Geschick, die eingeschnittenen Bilder seiner haarigen Haut! …………………………………………………………………………………………” 15 La posizione di Tino, interprete del balbettio del Gran Mogul, corrisponde alla descrizione del vate greco responsabile dell’esegesi di un oracolo. Come il profeta greco nella sua interpretazione, Tino parla per conto di un altro che non ha una lingua, ma la astuta sovversione di tale situazione a scopi politici da lei compiuta e alla fine il suo vagabondare per il deserto con l’asino evocano una figura biblica: il profeta Balaam. Nel Libro dei Numeri il re moabita Balak assegna all’indovino straniero Balaam il compito di maledire il popolo di Israele. Balaam parte con il suo asino, ma muta la maledizione di cui era stato incaricato in una benedizione, salvando così gli israeliti. Nonostante l’ira dei nemici le sue profezie hanno successo e interrompono il corso della storia. Secondo alcune tradizioni, Balaam prefigura il Messia. Due ulteriori dettagli confermano il nesso tra il testo di Else Lasker-Schüler e il Balaam biblico. In Der Magier ( Il mago ), la prosa che precede Der Großmogul von Philippopel , la figura paterna reca il nome di Bor Ab Baloch. Il padre del 13 Ivi, p. 87. 14 Ibidem . 15 Ivi, p. 88. 260 Vivian Liska Balaam biblico è chiamato Beor. “Ab” significa padre, “Baloch ” potrebbe riferirsi a Balak, il re che diede l’ordine a Balaam. 16 Più di un indizio porta alla conclusion che Lasker-Schüler stabilisca un’analogia tra la figura biblica di Balaam e l’idea di una redenzione per mezzo del disorientamento - la deliberata ‘distorsione’ della storia. Ciò è evidente nelle corrispondenze tra i componimenti Weltflucht ( Fuga dal mondo ) e Elbanaff . Secondo la stessa Lasker-Schüler, la seconda poesia rappresenta la ‘traduzione’ della prima “in diesem mystischen Asiatisch”. 17 Weltflucht Elbanaff Ich will in das Grenzenlose Min salihihi wali kinahu Zu mir zurück, Rahi hatiman Schon blüht die Herbstzeitlose fi is bahi lahi fassun - Meiner Seele, Min hagas assama anadir, Vielleicht - ist’s schon zu spät zurück! Wakan liachad abtal, O, ich sterbe unter Euch! Latina almu lijádina binassre. Da Ihr mich erstickt mit Euch. Wa min tab ihi Fäden möchte ich um mich ziehn - Anahu jatelahu Wirrwarr endend! Wanu bilahum. Beirrend, Assama ja saruh Euch verwirrend , fi es supi bila uni Um zu entfliehn El fidda alba hire Meinwärts. 18 Wa wisuri - elbanaff! 19 #18##19 In Elbanaff , la versione mistico-asiatica, di cui solo poche unità semantiche sono comprensibili, della poesia Welflucht , il nono verso contiene la parola “bilahum”. Nella ‘traduzione’ tedesca, questo termine è l’equivalente di Wirrwarr , confusio- 16 In ebraico il nome Balak può essere letto anche come Baloch. È Balak a ordinare a Balaam la maledizione che costui trasforma invece in una benedizione. 17 Else Lasker-Schüler: Ich räume auf! , in: Ead.: Werke und Briefe. Bd. 4.1: Prosa 1921-1945. Nachgelassene Schriften, bearb. von Karl Jürgen Skrodzki/ Itta Shedletzky, Frankfurt a. M. 2001, p. 58. La poesia Elbanaff è preceduta dai commenti di Lasker-Schüler, secondo cui le sue prime poesie sarebbero state scritte in un “linguaggio primordiale” ( Ursprache ) dei tempi di Saul, il regale ebreo selvaggio: “Ich verstehe sie heute noch zu sprechen, die Sprache, die ich wahrscheinlich im Traume einatmete. […] Mein Gedicht Weltflucht dichtete ich u. a. in diesem mystischen Asiatisch”. Ibidem . 18 Else Lasker-Schüler: Weltflucht, in: Ead.: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Bd. 1.1: Gedichte, bearb. von Karl Jürgen Skrodzki unter Mitarbeit von Norbert Oellers, Frankfurt a. M. 1996, p. 34. 19 Lasker-Schüler: Ich räume auf! , p. 59. Orientalismo e stile profetico nell’espressionismo ebraico-tedesco 261 ne o caos. Al v. 11, bila , come bilahum , sta per “che confonde”. Il v. 8 presenta Anahu jatelahu . Anahu contiene la radice greca * ana che in parole come “anagramma” e “anastrofe” sta per “ri-assetto” o “ri-ordinamento.” Anahu jatelahu significa perciò “che pone termine al caos”, cioè che pone termine alla confusione proprio attraverso la confusione. Come nella storia biblica di Balaam, la redenzione deriva dalla distorsione disorientante della lingua degli oppressori. Al v. 9 di Elbanaff , Assama è il nome di una farfalla or ientale. Richiama alla mente l’immagine di una larva che in Weltflucht dipana fili intorno a sè. La salvezza avviene attraverso la trasformazione della larva in una farfalla, il simbolo della creazione artistica. Questa analogia riflette le azioni della poetessa nella storia e della autrice della storia, le distorsioni ‘salvifiche’ dei decreti dell’oppressore da parte di Tino e la forma disorientante e perciò redentrice della storia stessa ad opera di Else Lasker-Schüler. L’atto creativo che confonde il linguaggio normativo di chi governa contiene una promessa di redenzione messianica. Tuttavia, questa speranza è interrotta dai governanti che vogliono conservare il vecchio regime. Essi scacciano la poetessa, profetessa di un nuovo ordine, e ne fanno un’emarginata. La storia di Lasker-Schüler tratta ovviamente della crisi moderna del linguaggio e introduce un riferimento al discorso profetico come potenziamento poetico. Essa tuttavia evita “il gesto imperioso dell’oratore” e “la volontà di pathos” descritti da Stefan Zweig. La storia evoca la necessità e la possibilità di redenzione da un mondo opprimente attraverso la potenza della creazione letteraria. Ma in contrasto con altre versioni di questo motivo poetico, Lasker-Schüler suggerisce una deformazione grottesca dell’ordine costituito, una redenzione attraverso la confusione che adotta il registro profetico, disinnescandone le minacce. Analoga ambivalenza caratterizza il suo approccio al mondo orientale che viene al contempo evocato e dislocato. Lo scenario orientale delle Nächte der Tino potrebbe essere certamente letto nei termini di una fantasticheria orientale. Un motivo ricorrente nel dibattito sulle relazioni orientali fra i sessi è toccato dall’immagine del velo che si lacera. Lo stereotipo dell’orientale crudele può essere riconosciuto con ogni probabilità nel proposito del Gran Mogul di uccidere la torma di cani randagi. Ma gli elementi orientali non costituiscono un invito “to control, contain and otherwise govern […] the Other”, 20 come scrive Edward Said in Orientalism . Storia e linguaggio svelano le origini degli elementi orientalistici come motivi poetici, immaginazioni spezzate, che interpretano e trasformano descrizioni fantasmatiche anzichè richiamare alla memoria un remoto paradiso esotico. L’Oriente di Lasker-Schüler è al tempo stesso lontano e vicino: piuttosto che dimostrare il potere su un Altro romanzesco, lo scenario orientale 20 Edward W. Said: Orientalism. Western Conceptions of the Orient, London 1978, p. 48. 262 Vivian Liska di Lasker-Schüler funge da contraltare critico alla Germania guglielmina con al suo centro un opprimente Reichtagsgebäude che non è solo collocato nei Balcani, ma che è anche l’ultimo bersaglio della confusione salvifica dell’autrice. L’attitudine ambivalente nei confronti della dimensione orientale e profetica, come dimostrato nel Gran Mogul di Philippopel di Lasker-Schüler e in molti altri autori ebreo-tedeschi, si addice perfettamente alle figure profetiche della Bibbia ebraica. I profeti ebrei non sono dopo tutto necessariamente provvisti di lungimiranza, forza o saggezza. Sono da principio uomini comuni, spesso imperfetti e meschini, e talvolta comici. Nella sua introduzione al libro dei Numeri, Robert Alter pone l’accento sullo humor nella storia di Balaam che, come scrive, “serves the purposes of a monotheistic satire of pagan notions of the professional seer with independent powers to curse or bless.” 21 Le profezie possono essere anche, come ha rilevato Michael Walzer, “provocations, verbal assaults on the institutions and activities of everyday life.” 22 Sulla scia delle riflessioni di Walter Benjamin su Kafka, 23 potremmo dire invece che i profeti sono più preoccupati dell’“esistenza distorta degli esseri umani” che dei “teologumena” generalmente associati a loro. Molti altri esponenti del modernismo tedesco minimizzano la riluttanza dei profeti a portare a termine i loro compiti, la loro incertezza e il loro aspetto triviale, persino comico. Questi scrittori enfatizzano invece l’eroismo, il pathos e la possente retorica dei profeti che invocano. Di contro, molti espressionisti ebreo-tedeschi conservano gli aspetti conflittuali, imperfetti, comuni e del tutto umani delle loro figure profetiche. Paradossalmente, perciò, l’imperativo del rinnovamento rappresentato da questi autori modernisti si serba fedele al sostrato ancestrale della cura e dell’attenzione ebraica per il mondo. Nasce dal cuore di questa preoccupazione per le cose terrene che include il riguardo per ciò che è messo ai margini e disprezzato. Nel caso dell’Oriente, esso è sia il mondo degli altri sia il proprio. Traduzione italiana dell’originale inglese di Lorella Bosco 21 Robert Alter: The Five Books of Moses. A Translation with Commentary, New York/ London 2004, p. 679. 22 Michael Walzer: The Prophet as Social Critic, in: Id.: Interpretation and Social Criticism, Cambridge, Massachussets/ London 1987, pp. 67-93, qui p. 68. 23 Cfr. Walter Benjamin: Benjamin über Kafka. Texte, Briefzeugnisse, Aufzeichnungen, hg. von Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1981, p. 117. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 1 Eva Kocziszky Die Flamme raubte ich (…) Schülerin Heraklits in Asien geboren Ich habe sie ins Haus der Väter heimgeleitet Wo der Gesetzesbaum der seine Kraft verloren Nun arglos Scheiterhaufen vorbereitet 2 Johann Ohneland, „der uralte Mensch“, „der Mensch dem du begegnet bist/ Auf dem Fischmarkt“ 3 , eine der stärksten Sprechmasken des Dichters Yvan Goll, proklamiert in diesen Versen jenes dichterische Credo, das mit allen Verwandlungen des früh abgebrochenen Werks von Anfang bis Ende währt: Den lodernden Grimm auf jegliche versteinerte Tradition, auf jegliche tote Religiosität und auf jegliche eingeengte nationale Identität. In seiner 1927 erschienenen satirischen Erzählung Eurokokke schildert der Autor in einer surrealen Krimigeschichte, wie ein Virus das dekadente, von Gott abgewandte Europa zermürbt. Der Name des Krankheitserregers sei „Eurokokke“, es sei ein Bazillus oder ein Virus, das der Erzähler zuerst auf den Türmen von Notre Dame aufgefunden habe. Von seinem Fund sagt er seinem Gesprächspartner: „Notre Dame, lieber Herr, existiert schon heute nur noch in unserer Vorstellung, ist nur noch ein eingebildetes Gebäude, das der Realität nicht mehr dient, denn weder der Glaube, noch Gott wohnen mehr in ihm: die Eurokokke hat diese zerfressen.“ 4 1 Ich möchte meinen besonderen Dank dem Literaturarchiv Marbach aussprechen, das mir mit einem Forschungsaufenthalt Recherchen im Nachlass von Yvan Goll ermöglicht hat. 2 Yvan Goll: Johann Ohneland, in: Ders.: Die Lyrik, hg. von Barbara Glauert-Hesse, Bde I-IV, Berlin 1999, Bd. III, S. 271. Die Gedichte werden nach dieser Ausgabe zitiert. 3 Goll: Die Lyrik, III, S. 275. 4 Yvan Goll: Eurokokke, zitiert nach: Ders.: Dichtungen. Lyrik, Prosa, Drama , hg. von Claire Goll, Darmstadt 1960, S. 231. 264 Eva Kocziszky Eine „gräßliche Krankheit der Leere“ habe den Kontinent ergriffen und mit einem „Ennui“, einer tödlichen Langeweile infiziert, wogegen nicht einmal „der Wasserreis der Buddhisten“, der „süßsaure Karpfen jüdischer Freitagabende“, oder die schale „Oblate aus der ungewaschenen Hand des Pfarrers“ helfen würden. 5 Eine kulturpessimistische Stimmung und Apokalyptik stand zwar dem Expressionismus nicht fern und mehrere Autoren haben eine Kulturkritik an Europa geteilt, wie etwa André Gide oder Paul Valéry, aber Golls Perspektive scheint durchaus individuell, einzigartig zu sein. Er gibt eine satirisch genaue Diagnose für eine Epoche, in der ‚Gott‘ gestorben sei. Seine jüdische Perspektive lässt er u. a. dadurch kennzeichnen, dass er den Namen Europas spielerisch hebräisierend etymologisiert und ihn aus der Wurzel rb , bzw. ereb ableitet: So heißt Europa nicht nur „transmontan“, sondern auch „das letzte“, das sich am Ende befindet. 6 Kurzum: Ein „Torso“ sei Europa, setzt er in seinen Dithyramben bissig satirisch fort, ein „Rumpf der Welt“, der „auf dem Sockel der Massengräber“ stehe, „ein unsterbliches Denkmal des Mords“, gegen das er eine zornige, prometheische Revolte führt. Aus dieser Perspektive sei Europa nichts als ein titanischer „Krampf der Erde gegen den Himmel“. 7 Ganz unpathetisch wird aber mit der Kraft des „Trotzdem“ eine erhoffte Wiedergeburt Europas deklariert, eine Erneuerung der europäischen Kultur aus dem Geiste Heraklits und aus dem Geiste des Judentums, aus dem Geiste, wie ursprünglich das lebendige Judentum war und sein sollte. Einige Interpreten der Gedichte - wie Dietrich Schaefer, Bera Profit oder Martin Roussel 8 - setzten das Erstere - das Heraklitische - mit Alchemie und das Letztere - Judentum - mit Mystik gleich. Ich werde hingegen versuchen, näher an die materiellen sprachlichen Bezüge der dichterischen Metaphorik heranzugehen und diese zweifache Bindung der Gollschen Lyrik als Genese der dichterischen Deklaration in einem Zeitalter zu betrachten, das sich mit Nietzsches Spruch vom Tod Gottes verstehen lässt. Das Gedicht Noemi (1916) bezeugt, dass Goll nicht nur Europa Müdigkeit und Verfall vorwarf, sondern auch eine religiöse Erstarrung und Lebenslosigkeit in seiner jüdischen Tradition erkannte. Im Gedicht spricht eine prophetische Frauengestalt, die Noemi genannt wird. Wahrscheinlich enthält der Name eine 5 Ebd., S. 223. 6 Vgl. dazu Luisa Passerini: Il mito d’Europa, radici antiche per nuovi simboli, Firenze 2002, S. 16. 7 Goll: Die Lyrik, I, S. 126. 8 Vgl. Bera B. Profit: Interpretations of Ywan Golls Late Poetry, Frankfurt am Main/ Las Vegas 1977; Martin Roussel: Touché par la Morsure de Temps. Ein Sonett von Yvan Goll, in: Eva Kocziszky/ Jörn Lang (Hg.): Tiefenwärts. Archäologische Imaginationen von Dichtern, Darmstadt 2014, S. 118-120. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 265 Anspielung an Naomi aus dem Buch Ruth : Sie wird zu einer Stimme des Heimatlosen, zu einer prophetischen Figur, die an der Schicksalserbschaft“ ihrer „Bibelmütter“, „Prophetinnen“ und „Königinnen“ leidet, die sich mit allen glänzenden und faden Perioden der jüdischen Geschichte - mit den „Gottesjahre(n)“ der Patriarchen, mit den „Tempeljahre(n)“ der Könige und mit den „Ghettojahre(n)“ der Diaspora - identifiziert. 9 Sie manifestiert jene Selbstverständlichkeit, die Golls jüdisches Bewusstsein kennzeichnet, und weist auf jenen Fokus der Identifikation hin, nach der das Jüdische ohne Gottesbezug nicht denkbar sei. Noemi konstatiert jedoch in der Abfolge dieser Geschichte - wie die alttestamentlichen Propheten es festzustellen pflegten - eine zunehmende Gottesferne Israels: Israel sei ein „verwitterndes Gebirg“, „ein „alternder Gletscher“, das mit erkaltetem Herzen „den Prozess des Himmels“ „erörtert“. Jede prophetische Rede soll aber eo ipso auch zukunftsorientiert werden, sie soll auch wegweisend sprechen: Hör’ Israel! Dein Geist ist die glänzende Neugeburt, Dein Geist ist der alte Gott, Zum Sohne der Menschheit verjüngt. 10 In diesen Versen versetzt Goll zum ersten Mal die Metapher der verjüngenden Sohnschaft in jüdischen Kontext. Dies soll ein Indiz dafür sein, in seiner ausgeprägten jüdischen Identität mehr als bloßen Kosmopolitismus zu sehen. Er hat sicherlich extrem schmerzhaft die Heimatlosigkeit erlebt, 11 die ihm bereits mit seiner gebürtigen „Zweisprachigkeit“ als Nachkomme einer deutsch-jüdischen Familie in Lothringen sowohl zur französischen Sprache als auch zur deutschsprachigen Kultur zuteilwurde. Kosmopolitisch war er sicherlich mit seiner warmen Sympathie für einen idealen Kommunismus. Golls „Heimatlosigkeit“ hat aber meines Erachtens mehr mit der allgemeinen Exilexistenz der Moderne als mit dem realen Schicksal eines jüdischen Intellektuellen in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu tun. So bildet auch seine Sprechmaske des ,ewigen Juden‘, des Ahasvers, keine Rückbindung an das spezifisch jüdische Schicksal im Abendland, an dessen Leid und an dessen Hoffnungen. Ich habe bisher keinen Hinweis auf das Ideengut des Zionismus bei ihm gefunden, er suchte anscheinend nicht nach Utopien. Nach der Machtergreifung Hitlers beschloss Goll, die französische Version seiner neu konzipierten Eurokokke nicht mit dem Titel Der müde Ahasver zu versehen, weil er die Bedeutung des Werks eingeengt hätte, wie er selbst formuliert, „vom Kontinental-Abendländischen 9 Goll: Die Lyrik, I, S. 127. 10 Ebd., S. 129. 11 Heike Schmidt: Art mondial. Formen der Internationalität bei Yvan Goll, Würzburg 1999, S. 36. 266 Eva Kocziszky zum Jüdisch-Persönlichen“. 12 Diese Argumentation weist darauf hin, dass Goll die moderne Heimatlosigkeit, die unentrinnbar gewordene Wander-Existenz des abendländischen Menschen in ihrer Tiefe verstehen wollte. Sie ist mehr als das Leid des Diaspora-Lebens, sie ist nämlich zugleich ein Kennzeichen der Moderne, die das Wesen des Menschen grundsätzlich verwandelt. Eingedenk einiger wichtiger Züge des Kosmopolitismus - den man bei Yvan Goll im Sinne von Internationalismus, Pazifismus und Humanismus jüdischer Prägung definiert hat 13 - nenne ich Golls Lyrik in erster Linie universalistisch, weil sie das Individuelle nicht aufhebt, sondern in einen globalen Raum stellt. Den Terminus ,Universalismus‘ will ich in diesem Kontext weniger im herkömmlichen christlichen Sinne verstehen: Eher poetologisch und philosophisch, mit einer Anspielung an Hölderlin im Sinne der Apriorität des Individuellen über das Allgemeine. Goll nennt sich in seinen Briefen gerne einen „jüdischen Propheten“, der „durch die Märkte der Erde“ mit den „Fußschmerzen“ Christi wandert, und dem nichts Menschliches fremd sei. 14 Ich klammere aber in dieser Studie die Biographie aus 15 und betone in seinem vorsokratisch-jüdisch geprägten elementaren Christentum das kath holou, und zwar nicht im Sinne einer historischen Form christlicher Religiosität. Dieses kath holou, die universale Vision von der durch Gott bewirkten Erneuerung und Wiedergeburt des Menschen durchdringt seine besten Gedichte, verbindet seinen avantgardistischen Antitraditionalismus mit den Räumen des Universalen und des Heiligen, mit den par excellence sakralen Orten, zu denen die Kathedralen Frankreichs auf eminente Weise gehörten. Neben der heimatlosen prophetischen Stimme der Noemi ist eine markante Sprechmaske die des Bar- 12 Regine Rosenthal: Orte des Wanderns. Städtische und globale Räume im Werk Yvan Golls, in: Manfred Schmeling/ Monika Schmitz-Emans (Hg.): Das Paradigma der Landschaft in Moderne und Postmoderne, Würzburg 2007, S. 139-160, hier S. 146. 13 Vgl. dazu Johannes Ullmaier: Yvan Golls Gedicht „Paris brennt“: Zur Bedeutung von Collage, Montage und Simultanismus als Gestaltungsverfahren der Avantgarde , Tübingen 1995 . 14 Yvan Golls Brief an Paula Ludwig, den 23. November 1936, in: Claire Goll/ Yvan Goll/ Paula Ludwig: „Nur einmal noch werd’ ich dir untreu sein“. Briefwechsel und Aufzeichnungen 1917-1966, hg. von Barbara Glauert-Hesse, Göttingen 2013, S. 548. 15 Golls Briefe sind erst seit einigen Jahren in der bei der direkt vorhergehenden Fußnote angeführten Ausgabe zugänglich geworden. Sie bezeugen, dass ihn sowohl die Figur Jesu Christi, über die er 1932 sogar ein Drama zu schreiben plante, als auch das Christliche in seiner antitraditionellen Form lebenslang, vor allem aber in den Zwanziger und in den späten Vierziger Jahren, beschäftigte. Siehe dazu insbesondere die Briefe auf den Seiten 153, 167, 722 etc. Claire Goll beschreibt außerdem in ihrer Autobiographie die letzte Reise Yvans, die als Pilgerreise nach Assisi führte. Claire Goll: Ich verzeihe keinem, München 1978. Aus einem Brief von Paul Celan erfahren wir, dass es ein Skandal war, dass Claire Goll keine katholische Bestattung bestellte. Vgl. dazu Barbara Wiedemann (Hg.): Paul Celan - Die Goll-Affäre. Dokumente zu einer „Infamie“, Frankfurt a. M. 2000, S. 228. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 267 baren, der als Tröster auftritt. In einem anderen, als definitiv kalt und leblos empfundenen sakralen Raum, in einer Kathedrale, in der eben die Messe läuft, destruiert der Sprecher nietzscheisch-kierkegaardisch diesen sakralen Ort, um ihn mit dem Gebaren eines Einzigen, der im Gedicht namenlos, unbestimmt bleibt, wieder zu errichten: Einer da oben, Der kämpfende, der stampfende Mensch war allen so hingegeben, Daß er der tiefsten Erde ihre Klage entlockte, Daß alle einen Augenblick ruhten von ihrem Schmerz, Und daß der Dom sich öffnete und Gottes Stimme hereinrollte. 16 Dieser Einzelne wird „der stampfende“ genannt, wohl ein Kennzeichen der „Barbaren“, die imstande sind, eine todmüde Kultur zu erneuern: „Kommt, Barbaren, Skythen, Neger, Indianer, stampft! “ 17 Die stampfende Revolte des Barbaren, seine tiefe Klage um die stumme Leere einer Gottesabwesenheit verändert den leblos gewordenen sakralen Raum und öffnet ihn für „Gottes Stimme“. Golls avantgardistischer Ansatz paart Antitraditionalismus mit dem Kult des Primitiven, des antibürgerlich Einfachen, der sich nicht nur in der Figur des Stampfenden, sondern auch in den späteren Sprechmasken des „Feuersohnes“ erkennen lässt. Die nüchtern-melancholische Konsequenz lautet: „Ich bin unbegabt für Europa.“ 18 Die Figur des Trösters verwandelt sich in Neuer Orpheus (1918) zu einem anderen „Barbaren“, zur Urfigur des Dichters Orpheus. Dieser Orpheus, den Goll Jahre vor Rilkes Sonetten zum Bild des modernen Dichters macht, ist ein Zeitgenosse der industriell verwüsteten „grauen Städte“, er ist der Leiermann der Hinterhöfe in den Blockhäusern der Arbeiter, ein Musikant der modernen Großstadt. In ihm verborgen ist aber zugleich der „Gott der Kunst“ 19 : Ein „christlicher Orpheus“ 20 , dessen dichterische Aufgabe mit einem messianischen Tröster einer hoffnungslos gewordenen Menschheit verschränkt ist. Kein lyrisches Werk Golls ist so experimentell wie dieses. Von den sieben großen Abschnitten werden in den ersten ganz nüchtern jene Effekte großstädtischen Lärms zusammengefügt, die sein Lied übertönen: 16 Goll: Lyrik, I, S. 166. 17 Yvan Goll: Das Wort an sich. Versuch einer neuen Poetik, in: Die Neue Rundschau 32 (1921), S. 1082-1085, hier S. 1083. 18 Yvan Goll: Astral, in: Id.: Gedichte, I, S. 256. 19 Goll: Gedichte, I, S. 97. 20 Ebd., S. 102. 268 Eva Kocziszky Morgens, im kalten Korridor, zwischen aufgestülpten Stühlen, trällerte ihn der rote Pikkolo. Es war der Schlager der Welt, vom großen neuen Frühling kündend. Aber die Menschen dachten nicht, daß er von Gott komponiert war. (…) Die Menschen im schwarzen Tunnel des Kinos hörten ihn nicht. Der Ventilator summte wie eine tolle Fliege darüber. 21 Golls Orpheus scheint zuerst ein scheiternder großstätischer Messias zu sein. Der Abschluss des Zyklus, mit dem Titel „Absolution“, bringt eine ‚millenarische‘ Wende in die lyrische Erzählung: Der in die Wildnis zurückgezogene Orpheus kehrt im dritten Jahrtausend erneut zurück, um über Umkehr und Vergebung der Blutwäsche zu singen: Orpheus sang. Die Menschen haben sich alle geöffnet. Die Kathedrale schimmerte von fließendem Blut. Durch Kleid und Hemd zeigte ein jeder seines Herzens leuchtenden Gral. 22 Die Aufgabe der Kunst sei immer noch dieselbe wie einst, schreibt Goll in seinem Essay Die drei guten Geister Frankreichs , „dem armen, suchenden, sehnenden Geist in sinnlichen bunten Gebilden die vorübergehende Befriedigung zu geben, die er zum Leben braucht, bis er selbst Gott erkannt hat.“ 23 Die Kunst soll zu Gott führen, in Gottes Nähe hört aber ihre Sendung auch auf. Mit dieser Erkenntnis schreibt Goll fünf Jahre später eine weit kürzere französische Fassung des Neuen Orpheus . In Le Nouvel Orphée (1917) werden die messianischen Züge dieses „musicien d’automne, / Collectioneur d’etoiles“ sorgfältig gelöscht. Sogar einem Dichter der Liebe und des Mitgefühls, wie Goll in seiner expressionistischen Phase das Dichtertum versteht, sei es verwehrt, in der Rolle eines neuen Erlösers aufzutreten, ihm hafte notwendigerweise etwas Unwahrhaftiges an. Er vermag lediglich ein Verwandter des gefesselten - und nie befreiten - Prometheus zu werden. Seine Figur steht für einen Sänger, der zu gleicher Zeit ein „Gott und ein Anti-Gott“ ist. Es bleibt nur das Wissen: „Die Welt erkaltet ohne Metaphysik“. 24 Die zweifache Bindung der Dichtung, das Göttliche und das zwangsläufig ihm zugehörige Wider-Göttliche, lässt diesen großstädtischen wie seinen neuen deutschsprachigen Verwandten vom Jahre 1924 tragikomisch scheitern. 25 Man erinnere sich an Hölderlins Vers aus seinem 21 Ebd., S. 102f. 22 Ebd., S. 110. 23 Yvan Goll: Die drei guten Geister Frankreichs, Berlin 1919, S. 43. 24 Zitat aus dem Gedicht Kilowatt , in: Goll: Gedichte, I, S. 317. 25 Zu den unterschiedlichen Orpheus-Versionen Golls siehe Elisabetta Terigi: Yvan Goll ed il crollo del mito d’Europa , Firenze 2013, S. 146ff. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 269 Hymnus Der Einzige „Die Dichter müssen auch/ Die geistigen weltlich seyn.“ 26 Der Moderne ist eine spirituelle Dichtung, wenn sie überhaupt einmal möglich war, von Grund auf zuwider. Der Feuersohn Golls späte Dichtung im Band Traumkraut ist von seiner expressionistischen und modernistischen Phase nicht nur zeitlich, sondern auch durch seine französische Dichtung der 30er und 40er Jahre getrennt. Eine Verknüpfung zwischen beiden herzustellen ist jedoch nicht unmöglich. Weiterhin gilt nämlich, was Goll in den 20er Jahren proklamierte: Das Elementare als mögliche Geburtsstätte einer neuen Metaphysik. In einem Brief vom 15. Oktober 1938 schrieb Yvan Goll an Paula Ludwig, er sei ein „gesunder Jude“, was aber immer noch bedeute, „ein kranker Europäer“ zu sein. 27 Sich einen „gesunden Juden“ zu nennen, der seine Identität und seinen Gottesbezug stolz bewahrt und vor sich nicht flieht, war 1938 ein klares politisches Selbstbekenntnis, fand aber in Golls zitiertem Brief auch eine poetologische Auslegung: „Gesund sein ist vielleicht: zur Erde wiederfinden“, „zur wirklichen Einfalt des Lebens“, „abseits von allem Heroischen“, fügt er hinzu. 28 Die poetische Gesundung an der Realität der Erde mag dem Wortlaut nach auch auf Rimbaud hinweisen, verbirgt aber einen grundsätzlich anderen poetischen Gestus: Das Anarchistische, das Rebellische und die ungebundene, ja zerstörerische Kraft des Elementaren, welche auch Golls Jugenddichtung charakterisierte, sollen nun zur Erde zurückfinden, das heißt: eine neue Bindung finden. Zu den früheren Sprechmasken des lyrischen Subjekts, zur Prophetin oder zum Barbaren gesellt sich ein neues lyrisches Ich, der Sohn. Im Gegensatz zur Metaphorik der Sohnschaft in der Frühlyrik handelt es sich aber nun nicht mehr um eine Metapher, sondern um ein neues lyrisches Subjekt, das sich selbst aus seiner Beziehung zum Vater erkennt. Während die Idee der Sohnschaft um 1916 und in den Folgejahren noch vaterlos war, das heißt noch abstrakt blieb, entwickelt Goll nun seine neue Identität aus seiner Beziehung zum Vater ( Jahve) und zu den Vätern. Goll nimmt aber indessen wieder auf Heraklit Bezug, dessen Feuerkult in seiner Dichtung mit einem eigenartigen Re-Orientalisieren wiederbelebt wird. 29 Die höchst komplexe und leitmotivisch 26 Friedrich Hölderlin: Der Einzige, Erste Fassung, zit. nach: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, hg. von Michael Knaupp, München 1992, Bd. I, S. 390. 27 Goll/ Goll/ Ludwig: „Nur einmal noch werd’ ich dir untreu sein“, S. 630. 28 Ebd. 29 Die bisherigen Interpretationen zu Golls Gedichten haben mehr auf die psychologisierende Alchemie C. G. Jungs hingewiesen als auf die Vorsokratiker, deren Kult in der Avantgarde, insbesondere im Surrealismus nachweislich ist. 270 Eva Kocziszky das ganze Werk prägende Metaphorik des Feuers könnte nur im Rahmen einer eigenständigen Studie untersucht werden. Ich schränke meine Fragestellung auf zwei Aspekte ein, die beide bereits mit den im Motto zitierten Versen aus dem Zyklus Johann Ohneland angedeutet sind: die Flamme raubte ich (…) Schülerin Heraklits in Asien geboren Ich habe sie ins Haus der Väter heimgeleitet Wo der Gesetzesbaum der seine Kraft verloren Nun arglos Scheiterhaufen vorbereitet 30 #30 Erstens: die Flamme, die in der vorangehenden Strophe prometheisch als „der Freiheit Kind“ bezeichnet worden ist, wird hier mit einer überraschenden Personifikation „Schülerin Heraklits“ genannt, die „in Asien geboren“ wurde. Das Feuer der Gollschen Lyrik ist für Goll ein Antidotum gegen das krankhafte Europäertum, d. h. ein asiatisches Urelement, mit dem Feuer Heraklits gleichzusetzen, das alle Bereiche des Lebens durchglüht, verlebendigt, erleuchtet. Man denke nur an das Fragment 62 des Heraklit: „Die gegebene schöne Ordnung aller Dinge, dieselbe in allem, … sie war immer, ist und wird sein: Feuer, ewig lebendig, nach Maßen entflammend und nach (denselben) Maßen erlöschend.“ 31 Der Hinweis auf Heraklit erhält in diesem Kontext eine besondere Emphase, ein Absetzen und einen Kontrast zum Empedokleischen. Das Selbstzerstörerische am empedokleischen Kult des Feuers hat in der deutschsprachigen Lyrik Friedrich Hölderlin darzustellen gewusst: Das Leben suchst du, suchst und es quillt und glänzt Ein göttlich Feuer tief aus der Erde dir, Und du in schauderndem Verlangen Wirfst dich hinab, in des Ätna Flammen. 32 #32 Im Gegensatz zum faustischen Verlangen des Empedokles wird die Flamme, diese „Schülerin Heraklits“, „ins Haus der Väter heimgeleitet“, also zu ihrer anderen, tieferen hebräischen Herkunft zurückgeführt. Sie ist nämlich dort längst erloschen. Somit gewinnt das Feuer in Golls Dichtung eine höchst komplexe Semantisierung: Es ist und bleibt das Element, aus dem alles entstand und entsteht, das Element, das alles verzehrt, verwandelt und erneuert, wie die Arche 30 Goll: Johann Ohneland, in: Goll: Gedichte, III, S. 271. 31 Frg. 62, übersetzt von Jaap Mansfeld in: Ders./ Oliver Primavesi (Hg.): Die Vorsokratiker. Griechisch/ Deutsch , Stuttgart 2011, S. 263. 32 Friedrich Hölderlin: Empedokles, in: Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe, Bd. I, S. 251. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 271 von Heraklit. Aber zugleich ist es auch das göttliche Feuer des Alten Testaments, das Element, der Ort der Parusie Gottes, das gefahrvolle, unheimliche Feuer des brennenden Dornbusches. Ein anderes Gedicht aus dem posthumen Band Traumkraut , das den Titel Geburt des Feuers trägt, stellt sich nicht mehr in den Prozess der Heimführung des Feuers, sondern artikuliert eine neue Feuersprache: Geburt des Feuers Feuervater Gib mir meine Feuersprache Feuerfleisch Anbruch innerster Verwandlung Feuerharfe meiner frühen Schmerzen Feuerfisch meiner Begierden Magres Feuer der Revolten Rosenfeuer meiner Dome Nacktes Feuer meines Weinbergs Feuerrabe Friß die Reste des Vergessens Feuerfuchs lass die wahren Wälder glühen Feuerzahn in meinem Muskel Feuerruf in meinem Ohr Feuerengel dieser Erde Feuervater Segne deinen Feuersohn. 33 Der Titel heißt „Geburt des Feuers“, es geht also um dessen Genese. Hat es aber einen Sinn, über die Genese des Feuers zu sprechen? Ein Urelement wird genauso wenig geboren wie etwa das Feuer des Dornbusches - die Sprache aber, eine neue Feuersprache, vermag nur noch in der Dichtung geboren zu werden. Zur Relevanz des Titels zum Gedichttext gehört aber, dass diese Sprache nie mono- 33 Aus Yvan Goll: Traumkraut , in: Ders.: Gedichte, II, S. 318, Vorfassung: Feu, Feuer, Feuerrose, ebd., S. 400. 272 Eva Kocziszky logisch entsteht, sie wird aus einer Beziehung hervorgehen, die sich zwischen dem „Feuervater“ und dem „Feuersohn“ konstituiert. Der erste Vers beginnt mit einer Anrede: „Feuervater/ Gib mir eine Feuersprache“. Die Anrede und die mit ihr formulierte Bitte fingiert ein Gespräch zwischen Vater und Sohn: Vom „Feuervater“ verlangt der Sohn seine eigene „Feuersprache“, welche die Voraussetzung für das Gespräch bildet. Die Feuersprache, um die gebeten wurde, entsteht im Prozess des Gedichts. Entsprechend fängt die Mehrheit der Verse mit einem Wortkompositum an, dessen erster Teil das Wort „Feuer“ enthält. Einige sind kühne Wortbildungen, andere zeugen von der wunderbaren metaphorischen Kraft der Namengebung. „Feuerfisch“, „Rosenfeuer“, „Feuerrabe“ sind zwar lexikalisch nachweislich, aber muten als kühnste Metaphern an. 34 Eine äußerst nominale Sprache entsteht, hart und streng, wie die aneinandergereihten Nomina immer schon klingen, sie muten aber zugleich auch spielerisch an, die Wortkomposita nutzen ja die ungeheuer vielfältige Möglichkeit der Sprache, eine große Anzahl von alten und neuen Wortkomposita mit dem Wort „Feuer“ bilden zu können. Diese metaphorischen Wortkomposita könnten Golls Vorstellung vom „Wort an sich“, von der absoluten Metapher auch entsprechen. Das vom Kontext herausgelöste und somit isolierte Wort nannte Goll „funkelndes Signal zwischen den Assoziationen der Seele“. 35 Es ist bekannt, dass diese revolutionäre Erneuerung des lyrischen Sprechens, die mit der Bildung absoluter Metaphern hervortrat, bereits das frühe Werk von Yvan Goll kennzeichnet. 36 Eine Feuersprache entsteht, weil „nur Worte allein“ „so rasch wie Streichhölzer die Nacht anflackern“ können. 37 Dasselbe sollen nun auch die isolierten Feuerworte dieses Gedichts tun: Als Feuerworte die Nacht um sie herum „anflackern“. Mag sein, dass im Konzept des absoluten Wortes das surrealistische Programm der Poesie noch mitwirkt, der Autor dieser Verse operiert aber keinesfalls mit freien, spontanen Assoziationen: Weit mehr sollen seine funkelnden Signale der wahren Benennung dienen und zu einem Baustein im strengen Konstrukt des 34 Zu ihnen gehört z. B. der „ Feuerfisch “ - an sich ein Oxymoron - obwohl es eine Gattung der Pteroinae bzw. Pteroini ist, oft auch „Rotfeuerfisch“, seltener „Löwenfisch“ genannt - ein Bewohner der Korallenriffe. Mit diesem „Südwort“ (Ausdruck von G. Benn) wird der Bereich der Begierde verknüpft. „Feuerrabe“ ist eine Bezeichnung für die Steinkrähe. Und „Feuerfuchs“ ist eine alternative Bezeichnung für den roten Fuchs. „Rosenfeuer“ weist vielleicht auf ein altes Brauchtum, das vorwiegend im Allgäu praktiziert war und dort immer noch gepflegt wird: Es handelt sich um eine symbolische Winteraustreibung. Hier im Gedicht soll aus den Domen des Ichs, d. h. aus den inneren sakralen Orten des Subjekts die winterliche Kälte ausgetrieben werden. 35 Goll: Das Wort an sich, S. 1084. 36 Dietrich Schäfer: Die frühe Lyrik Iwan Golls, Diss., 1965, S. 131f. 37 Goll: Das Wort an sich, S. 1084. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 273 Gedichts werden. Bereits in seinem Manifest des Surrealismus wandte sich Goll gegen jene „Fälschung“ der Bewegung, die seiner Ansicht nach Ex-Dadaisten treiben und von der „Allmacht des Traums“ faseln. 38 Die Poesie soll die Natur wiederfinden, schreibt Goll bereits hier, um dann in Manifest des Reismus hinzuzufügen: Dichtung darf nicht zur Wortmagie oder sogar zur Wortrhetorik degradiert werden. Die Wortdinge der Dichtung sollen die „Essenz des Lebens“ zur Sprache bringen: „Um die Essenz des Lebens auszudrücken, müssen Kunst und Malerei dem Ding an sich, dem Res, entströmen: Blume sein, mit der Wurzel verbunden. Diese Wurzel ist Res, nicht Realitas“ - proklamiert er im Manifest . 39 Alle Feuerworte werden auf eine zweifache Wiederholung gebaut. Erstens wird das Wort „Feuer“ in den Komposita vierzehn Mal wiederholt - vom „Feuervater“ bis zum „Feuersohn“. Zweitens werden diese „Feuerworte“ zu Namen für das, was zum Ich gehört. Die Genitivmetapher verbinden die Feuerworte mit unterschiedlichen Bereichen des Innenlebens des Sprechers, mit „Schmerzen“, „Begierden“, „Revolten“, mit „Vergessen“ und „glühen“. Zuerst wird das Feuer mit dem „Fleisch“, das heißt mit dem Körper verbunden, um aus ihrer Einheit den „Anbruch innerster Verwandlung“ zu starten: „Feuerfleisch/ Anbruch innerster Verwandlung“. Hernach wird das Feuer in den Orten der Tiefe der Seele benannt: „Feuerharfe meiner frühen Schmerzen / Feuerfisch meiner Begierden“: Die Nomina strahlen feine Emotionalität aus, sie assoziieren Liebe und Schmerz. Die Feuerdinge der nächsten Strophe gehören dann mehr zum Willensbereich, zu den Entscheidungen und auch zum Versagen des Subjekts: Die „Revolte“ besitzt nur noch ein „Mageres Feuer“, das „Rosenfeuer“ der inneren „Dome“ des Subjekts hat nach einem alten süddeutschen Brauch die Funktion, die winterliche Kälte von diesem sakralen Ort auszutreiben. Vielleicht knüpft sich an den Ritus der Winteraustreibung auch der nächste Vers: „Nacktes Feuer meines Weinbergs“. Wird im frühlingshaften Weinberg des Ichs Feuer geschürt, wie es ansonsten Winzer beim frostigen Aprilwetter zu tun pflegen, um den Frost, die zerstörerische Kälte von den Weinstöcken fernzuhalten? Zuletzt verwandelt sich auch das Feuer selbst zu einem Engel: Ein „Feuerengel dieser Erde“ gesellt sich prophetisch, wie feurige Engel eben sind, und verstärkt visionär den „Feuerruf“ des Ohrs. Die „innerste Verwandlung wird somit vollkommen. 38 Goll: Dichtungen. Lyrik, Prosa, Drama , S. 187. An dieser Stelle möchte ich mich für alle Anregungen bedanken, die ich während meiner Gastprofessur an der Universität Lorrain Metz im April 2017 von Kollegen und Studenten für die Ausarbeitung meines Manuskripts erhalten habe. 39 Manifest des Reismus, zitiert nach: Goll: Dichtungen. Lyrik, Prosa, Drama , S. 436. 274 Eva Kocziszky An das vierzehn Mal wiederholte Wort „Feuer“ schließt sich das Possessivpronomen „mein“ auch sieben Mal an. Die Bereiche des „meins“ haben wir eben überblickt: Vom Fleisch über die Begierden, den Willen und die Erinnerungen bis zur Sphäre des Sakralen. Die Feuersprache hat bisher alles inventarisiert, was an Feuerdingen das Subjekt konstituiert, jetzt aber geht es darum, was einem Du gehört, was also „dein“ ist: „Feuervater/ Segne deinen Feuersohn“. Wir wissen zwar immer noch nicht, wer der Angeredete ist, aber wir wissen schon, dass dieser „Feuervater“ - vielleicht doch wie das Feuer des Dornbusches - einen zu segnen vermag. Aus Anrede und Gespräch wird ein Gegenüber vom Feuervater und Feuersohn und auch ohne das Element zu personifizieren, dürfen wir in der Aufforderung zum Segnen die klassische Stimme eines Gebets wahrnehmen. Das Feuer als orientalisches Element vermag also die Dinge eines Subjekts zu erhellen, zu erleuchten, sie zu läutern, ja sogar sie auszulöschen und zu verwandeln, es ist heraklitisch ewig lebendig - und somit - mit einer alttestamentlichen Wendung - auch „segnend“. Diese Bindung an das Feuer, die Golls späte Gedichte prägt, schöpft ihre Sprache aus der jüdischen Mystik, bildet jedoch keine Rückkehr zu einer jüdischen oder zu irgendeiner anderen Tradition. Sie ist schicksalhaft, sie ist eine nicht abänderbare Realität, eine Last und zugleich eine nie endende Aufgabe. Kein anderes Gedicht setzt sich paradoxer mit dieser Identitätsfrage auseinander als ein spätes Gedicht des schon totkranken Golls mit dem Titel Der heilige Leib. 40 Das Sprecher-Ich beschreibt seinen kranken Leib als eine von seinen Ahnen bewohnte Behausung: Ein „Knochenhaus“, in dessen „Ruinennische“ noch die „Mutter“ schläft, und „Am Kehlkopf klebt noch der Tabakrauch der Alten“. Der Sprecher lässt darüber keinen Zweifel, dass diese Ahnen das jüdische Erbe mit seiner religiösen Prägung in ihm anwesend machen: Mein heiliger Leib! Die Opferstiere brüllen tief in mir Und Rinderlenden duften samstäglich. Der kranke Leib sei „heilig“, ein Tempel, in dem das Opfertier für die Sünde geschlachtet und gebraten wird. Er ist aber zugleich eine widerliche „Garküche“ der Metzger-Ahnen: „Und meine Milz ist ihre Garküche,/ In der sie kochen mit Fett und Blut.“ Die Metaphern, die das Oxymoron „der heilige Leib“, ein scheinbares Requisit religiöser ritueller Sprache, entfalten, bilden eine sonderbare Kette, beginnend mit „Knochenhaus“ über ‚Tempel’ und „Ruine“ bis zur „Küche“. Die bildlichen Assoziationen durchdringen einander so kraftvoll, dass sie voneinander völlig 40 Goll: Gedichte, II, S. 317. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 275 abtrennbar werden, sich miteinander fortwährend verschränken: Das Heilige und das Ekelhafte, das Rituelle und das Alltägliche, das Vergangene und das Gegenwärtige, das Kollektive und das rein Individuelle. Nur eines vermögen sie nicht: Auf die Präsenz Gottes hinzuführen, auf ihn zu zeigen. Im Hause der Person, im Leib, wohnen die Ahnen; dieses Haus - um es mit der Parabel des Neuen Testaments zu charakterisieren - sei aber „auf Sand gebaut“ 41 , oder wie der letzte Vers deklariert: Ohne Gott. Ein hartes, krasses, und knappes Urteil über überkommene Traditionen, die das Religiöse nur fingieren, wie es uns bereits aus der Lyrik des jungen Goll bekannt ist. Der leidende Leib und die Figur des qualvoll Kranken evoziert auch bei Goll die Gestalt Hiobs, er ist eine seiner letzten biblischen Sprechmasken. Die in vielen unabgeschlossenen Varianten überlieferten Manuskripte zu den Hiob-Gedichten Golls haben gemeinsam, dass sie zwar aus der Situation von extremem Leid und Schmerz geschrieben sind, aber keine Klage formulieren. Sie sind durch das Wissen geprägt, dass im Leiden etwas sichtbar wird, was über die Person des Leidenden und auch über das Menschliche hinausgeht. Hiobs Gesänge ist das letzte Gedicht, in dem Goll die prophetische Anredeformel „Höre Israel“ wieder benutzt: Höre Israel Ich bin der Zehnbrotebaum Ich bin das Feuerbuch Mit den brennenden Buchstaben Ich bin der dreiarmige Leuchter Von vielwissenden Vögeln bewohnt Mit dem siebenfarbenen Blick. 42 Dreimal soll Israel hören: „ Ich bin “. Solche Verse wie diese „Ich bin der Zehnbrotebaum“ sollte man nicht so lesen, dass man nach dem Prädikatsnomen fragt. 43 Dass der Akzent auf dem Zeigen, auf der Selbstdemonstration - „ich bin“ - liegt, wird auch mit der starken Gestik des mit der Anrede verbundenen Sich-Zeigens, das sich dreimal wiederholt, hervorgehoben: Höre Israel, „ich bin …“, „Ich bin …“, „ich bin …“. Man denke dabei an die Formel, „ich bin, der ich bin“, 41 Mt.7, 24. 42 Goll: Gedichte, II, S. 323. 43 Wie etwa Georg Langenhorst: „Nachts hat mich euer Gott gequält“ - Hiob-Motive in der Lyrik des 20. Jahrhunderts, in: Werner Schüßler/ Marc Röbel (Hg.): Hiob transdisziplinär: seine Bedeutung in Theologie und Philosophie, Kunst und Literatur , Lebenspraxis und Spiritualität, Berlin 2013, S. 191-211. 276 Eva Kocziszky oder an die Selbstoffenbarung Christi in den Evangelien: „Ich bin“. 44 Das Gedicht benutzt also eine Sprachformel, die traditionell zu Gott gehört, in der sich Gott, der Gottvater Jahwe und Gottes Sohn offenbart haben. Neben Psychotikern sind es nur wenige Dichter, die sich an eine solche Sprache heranwagen, und denen es gelingt, an jener Grenze des Sagbaren anzukommen, wo das Sich-Zeigen über das Menschliche hinausgehend eine furchtbare, göttliche Sakralität und Autorität gewinnt und im wörtlichen Sinne ‚apokalyptisch‘ wird: Eine messianische Selbstoffenbarung vor den Augen des angeredeten Gottesvolks, Israel. Wir wissen zwar nicht, was ein „Zehnbrotebaum“ genau ist, ein Zusammenhang zwischen Brot, Feuerbuch und Leuchter ist jedoch festzustellen, die alle bildlich auf den Menschensohn hinweisen. Die Zahlen hatten für Goll sicherlich einen ganz wichtigen symbolischen Wert, hier auch zehn, drei, sieben. Dreimal wird die Formel „ich bin“ benutzt, und die Person, auf die sie hinweist, ist nicht mit dem leidenden, kranken Hiob identisch. Der Sprecher, der sich mit dieser absoluten Deklaration seiner Person manifestiert, ist mehr als die erfundene Sprechmaske oder eben als deren Allegorisieren als „Ecce Homo“. Der „Zehnbrotenbaum“, das „Feuerbuch“ und das dreiarmige „Leuchter“ mit dem „siebenfarbenen Blick“ deutet den Menschensohn an, nicht den bloß leidenden und sterbenden, sondern vor allem den Verklärten, der als die einzige Quelle des Lebens erscheint. Die Zusammenführung von „Leuchter“ und „Baum“ weist hier auf die natürliche Einheit von Religion und Schöpfung, auf deren Lebenskraft hin. Nicht ganz anders hier in Hiob , ohne dabei beim Bild der alttestamentlichen Menora zu bleiben. Der Leuchter des Alten Testaments wird aufgrund der Prophetie von Jesaja ( Jes. 11, 1-3) messianisch interpretiert: Der Leuchter mit seinen Verzierungen aus Pflanzen und Blumen sei ein Baum des Lebens, in dem bildhaft die Auferstehung und das ewige Leben erscheinen. Die Hiobsfigur des Gedichts identifiziert sich zum dritten Mal mit einem Leuchter, der „von vielwissenden Vögeln bewohnt“ sei, und sein „siebenfarbener Blick“ evoziert den Menschensohn der Offenbarungen, der inmitten der sieben goldenen Leuchtern erscheint : Offb. 1, 12-13: „Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter, und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich.“ 45 „Mit dem siebenfarbenen Blick“, vor allem mit der Zahl sieben, wird eine Totalität bezeichnet, ein Totalblick, dessen sieben Farben auch die sieben Farben des Regenbogens, alle Farben des Lichts, zugleich andeuten. Der Regenbogen ist außerdem das starke, zuverlässige Zeichen des Bundes, den Gott mit dem Menschen gemacht hat. 44 2. Mo 3, 14: „Da sprach Gott zu Mose: , Ich bin, der ich bin‘. Dann sprach er: So sollst Du zu den Söhnen Israel sagen: (Der) , Ich bin‘ hat mich zu Euch gesandt.“ Sowie u. a. Joh 18, 5. 45 Übersetzung von Martin Luther. „Feuersohn“: Europa und der Orient in Yvan Golls Poetik des „Elementaren“ 277 Das letzte Wort ist „Blick“. Es gibt jedoch keinen Blick ohne eine Blickrichtung. Wohin blickt der Sprecher, worauf richtet sich sein Blick? Auf Israel, das mit der prophetischen Anredeformel „Höre Israel“ angeredet wurde? Oder blickt der Sprecher noch in weitere Entfernungen, in eine Ferne des Unsichtbaren, in das ewige Leben? Anstatt einer einfachen Zusammenfassung möchte ich hier eher darauf hinweisen, dass Yvan Golls paradoxes Verhältnis zu Europa und zum Orient seine Dichtung von Anfang an prägt und in seinen eigenartigen, jüdisch-christlichen Sprechmasken zu Wort kommt. Paradox nenne ich dieses Verhältnis insofern, als Goll solche Identitäten, die in unserer heutigen Kultur nur noch als Widersprüche und miteinander unvereinbare Positionen gelten, in sich vereinen konnte: Judentum und Christentum waren ihm genauso wenig einander widerstrebende, oder sogar einander ausschließende Lebenserfahrungen wie das Bedürfnis nach Metaphysik und die politische Stellungnahme für einen menschlichen Sozialismus. Die Rezeption seines Werkes leidet bis heute unter Erwartungen eines Für und Wider und orientiert sich auf fatale Weise an einem anderen Maßstab, am ohnehin großen Konzept der Lyrik nach Auschwitz, wie es von Paul Celan ausgeführt wurde. Man hat indessen nicht zugegeben, dass der schmale Weg Celans und Yvan Golls universalistischer Anspruch des kath’holou komplementär zueinander gehören können, ja sogar sollten. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali Il tardo-antico come fonte dell'Europa moderna Irene Kajon Introduzione: una polemica sulla storia dell’Occidente L’oggetto del presente contributo è il concetto della cultura europea nel suo rapporto con l’Oriente affermato tra le due guerre mondiali da alcuni intellettuali ebrei tedeschi che si raccoglievano intorno alla Warburg Bibliothek : essi sono Aby Warburg, Ernst Cassirer, Raymond Klibansky. Il loro punto di vista su tale tema acquista però maggiore rilievo se abbiamo presente come sfondo un’importante polemica storiografica che ebbe luogo verso la fine degli anni Trenta sul problema delle origini dell’Europa moderna e della moderna cultura europea. Le linee fondamentali di questa polemica ci mostrano nel modo più chiaro come si configurassero allora le varie posizioni in ambito tedesco ed europeo riguardo al problema del rapporto tra Occidente e Oriente, sia pure viste da un’angolatura particolare, e in quale direzione si volgessero le idee difese da tali intellettuali, quando parteciparono alla discussione su questo problema. Nel 1937 apparve postumo a Parigi, presso l’editore Felix Alcan, il libro dello storico belga Henri Pirenne (1862-1935) intitolato Mahomet et Charlemagne , il quale riproduceva una serie di lezioni che l’autore aveva tenuto con grande successo nel novembre e dicembre 1931 all’Università di Bruxelles. 1 Egli aveva avuto modo, prima della morte, di terminare soltanto la prima stesura del testo. Lo stile incalzante e la narrazione a grandi pennellate, propri di chi scrive ancora più per sé che per i lettori e rinvia a un secondo tempo le rifiniture e i dettagli, contribuirono alla larga diffusione dell’opera. Ma era soprattutto l'originalità delle tesi sostenute con decisione nel libro ciò che non poteva non attrarre l’attenzione. Infatti, contro l’opinione, affermata particolarmente dalla storiografia 1 Cfr., nell’ed. it.: Henri Pirenne: Maometto e Carlomagno, Bari 1969 (rist. 2007), per una descrizione della genesi del libro, la Prefazione di Ovidio Capitani, pp. V-XXVII. 280 Irene Kajon tedesca di orientamento nazionalistico tra fine Ottocento e inizio del Novecento, erede del Romanticismo tedesco, ricordata da Pirenne 2 , secondo cui le invasioni barbariche, e particolarmente il 476 (l’anno della deposizione dell’ultimo imperatore d’Occidente Romolo Augustolo), avevano segnato l’inizio del Medio Evo, considerato come un’epoca dotata di grande vitalità e portatrice di nuovi valori rispetto a quella anteriore, caratterizzata da una grande decadenza, Pirenne posticipava la fine della civiltà antica a Carlomagno, nell’VIII secolo. Il Medio Evo - con lo spopolamento delle città, la struttura sociale feudale stratificata, dai signori alle loro corti ai servi della gleba, il diradarsi del commercio, con l’eccezione di Venezia e delle Fiandre, il primato del latino dei chierici nelle scuole e della Chiesa sulle autorità civili, l’analfabetismo delle masse, la cultura fondata soltanto sulla fede cristiana - aveva piuttosto le sue origini, egli scriveva, 3 nell’epoca in cui, dopo la predicazione di Maometto, erano state rapidamente guadagnate all’Islam gran parte delle regioni che si affacciano sul Mediterraneo. L’inimicizia tra musulmani e cristiani, divampata nell’VIII secolo, e la conseguente impossibilità di rapporti commerciali e di scambio culturale tra loro avevano provocato la fine di un mondo che fino a quel tempo era stato sostanzialmente unitario, pur avendo al suo interno grandi differenze di popoli e di culture. L’espansione dell'Islam, secondo Pirenne, aveva implicato lo spostamento del centro di gravità europeo dall’Italia, il sud della Francia, e la Spagna verso il centro e il nord, verso la Francia settentrionale e la Germania: quello spazio, che per molti secoli aveva unito l’Europa, le coste orientali del Mediterraneo, e il nord Africa, in cui vigevano un latino semplificato parlato da tutti, la moneta imperiale aurea, e la cultura greca e latina intrecciata con quella cristiana e orientale, era venuto meno. Perciò l’Europa centrale e settentrionale che, fino all’VIII secolo, aveva visto nel meridione quello sbocco che le permetteva di entrare in relazioni commerciali e culturali con altre regioni, si rinchiudeva in sé stessa, dando luogo a una società dai caratteri profondamente diversi da quelli presenti nella società anteriore. Il Medio Evo fu - Pirenne sosteneva 4 - in contrasto con l’intensità degli scambi commerciali e la vivacità culturale dei secoli che l’avevano preceduto, un’epoca d’impoverimento economico, di lacerazioni tra i popoli e le classi sociali, di dispersione della popolazione nelle campagne, di ritorno a tecniche primitive, d’imbarbarimento dei costumi, di formazione di 2 Ivi, pp. 9, 11, 26, 41: Pirenne cita, come rappresentanti di tale storiografia, Georg Waitz: Deutsche Verfassungsgeschichte, 8 Bde., Kiel 1844-1878 (rist. 1882-1885); Heinrich Brunner: Deutsche Rechtsgeschichte, Leipzig, 1. Bd.: 1887, 2. Bd.: 1892; Ludwig Schmidt: Geschichte der deutschen Stämme bis zum Ausgang der Völkerwanderung. Die Ostgermanen, Berlin 1904-1918 (rist. 1934). 3 Pirenne: Maometto e Carlomagno, pp. 137-175. 4 Ivi, pp. 227-274. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 281 una cultura elitaria, racchiusa nelle corti e nei conventi, di relazioni sociali e politiche basate su rapporti privati, e perciò prive di riconoscimento dell’uguale dignità degli individui, di scomparsa dello Stato come potere pubblico in grado di gestire risorse finanziarie e di amministrare impersonalmente il diritto. Pirenne affermava nel suo libro - dopo aver tratteggiato tale quadro del Medio Evo, ristretto ai secoli VIII-XI, mettendone in rilievo gli aspetti che riteneva negativi, e riprendendo dunque l’interpretazione di esso che era stata espressa soprattutto nel Rinascimento e nell’Illuminismo - che l'Europa moderna, animata da spirito imprenditoriale e commerciale e da una cultura libera dai vincoli esterni posti dalla Chiesa, non era tanto nata, intorno al XII secolo, in continuità con la civiltà medievale, quanto nella frattura con questa e attraverso il riallacciarsi, dopo la parentesi costituita dal conflitto rappresentato dalle due figure di Maometto e Carlomagno, alla tarda antichità. 5 Il risorgere dei traffici marittimi nel Mediterraneo, la creazione di nuovi centri urbani e il rifiorire di quelli anteriori, il formarsi di una mentalità laica, piuttosto che impregnata di una religiosità intollerante e fanatica, permetteranno specie dal XII secolo in poi non solo la ripresa delle antiche fonti classiche e cristiane, aperte a influssi provenienti dall'Oriente, ma anche l’instaurarsi di contatti economici e culturali tra il mondo di lingua araba e il mondo cristiano, sebbene non venissero meno neanche allora i conflitti militari e politici tra il cristianesimo e l’Islam. Particolarmente Pirenne si soffermava in Mahomet et Charlemagne sul ruolo degli ebrei come figure di grandi mediatori, sul terreno sia economico sia culturale, tanto nell’epoca che aveva visto la continuità di tutte le istituzioni dell'Impero romano - soprattutto lingua, moneta, e cultura come strumenti di unificazione - quanto nell’epoca in cui il Medio Evo volgeva al tramonto. 6 Benché vi fossero in Europa e nel Mediterraneo, nell’età che aveva visto il diffondersi del cristianesimo, come nel mondo cristiano e islamico successivo, persecuzioni o discriminazioni nei loro confronti, essi furono in grado di porre in relazione ambienti culturali diversi a causa dei loro legami familiari, della loro mobilità, e del loro svolgere attività economiche legate prevalentemente all’economia del commercio e del denaro. Le audaci tesi di Pirenne, quanto alla genesi dell’Europa moderna e della sua cultura, erano svolte nel libro in esplicita polemica con la tesi prevalente nel suo tempo nella storiografia europea, secondo la quale la genesi dell'Europa moderna andava rintracciata nell’opposizione all’Islam, già tipica del Sacro Romano Impero. Tale tesi si ispirava non solo al nazionalismo romantico, ma anche alle lezioni berlinesi di filosofia della religione e di filosofia della storia di Hegel, pubblicate dopo la morte del filosofo, avvenuta nel 1831, le prime nel 5 Ivi, pp. 273-274. 6 Ivi, pp. 248-252. 282 Irene Kajon 1832 e le seconde nel 1837. 7 In esse Hegel aveva configurato la storia universale nel senso di un passaggio dall’Oriente all’Occidente, dal sud al nord del mondo, considerando la Germania come la nazione in cui la civiltà cristiano-borghese aveva raggiunto il suo punto culminante: l’Europa cristiana, che aveva il suo fulcro più recente nei popoli del nord, man mano si era allontanata dall’Oriente, che costituiva il passato della storia dell’umanità. Al contrario, per Pirenne, la modernità europea non aveva la sua culla nell’Europa centrale e settentrionale - i luoghi principali della terra governata da Carlomagno - come tale storiografia riteneva, rintracciando entro il feudalesimo i semi degli eventi futuri, ma implicava il rinnovarsi della connessione dell’Europa centrale e settentrionale con l’Europa meridionale, mediante un distacco dal feudalesimo: l’Europa moderna - come l’autore sosteneva anche in un altro suo corso anteriore di lezioni, tenuto nel 1917 8 - era nata principalmente nelle città, che si erano sviluppate in opposizione alle campagne, attraverso l’azione di ceti di commercianti e di artigiani che erano stati, previamente, gli emarginati della società feudale, coloro che risultavano esclusi dalla sua struttura economico-sociale. Secondo Pirenne dunque, la modernità europea non era improntata a un cristianesimo considerato in conflitto con l’Islam, in quanto erede del Medio Evo come epoca in cui il Mediterraneo era stato abbandonato e le regioni del centro e nord europeo avevano assunto importanza, ma si configurava come una civiltà in stretta e costante relazione con l’Islam come con l’Oriente, nel ritorno in forme rinnovate alle radici pagane e cristiane tardo-antiche: la cultura dell’Europa moderna non si era innestata sulla fede cristiana e sulla teologia cristiana medievale, ma sulla ripresa di quelle fonti che avevano costituito l’humus della cultura antica, influenzata profondamente specie a partire dal I secolo d. C. dall’Oriente, e che erano giunte fino al XII secolo anche con la mediazione dell’arabo e dell’ebraico; il senso della cultura europea moderna consisteva nella difesa di un’umanità che non si concepiva primariamente legata alla terra, divisa secondo etnie o gruppi nazionali, come se essa avesse le sue basi in un’economia agricola e in una società gerarchica, tipiche del Medio Evo, ma vedeva sé stessa soprattutto aperta a culture diverse, all’Occidente come all’Oriente, percepiti nei loro stretti legami e intrecci. 7 Tali lezioni hegeliane, trascritte dagli uditori, sono state ristampate nell’ed. in corso delle Vorlesungen presso l'editore Meiner: cfr. Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, 3 Bde., 1821-1831, Hamburg 1984; Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, 1. Bd.: 1822-23, Hamburg 2015; 2. Bd.: 1824-25, Hamburg 2017. 8 Cfr. Henri Pirenne: Histoire de l'Europe, des invasions au XVI siècle, Paris/ Bruxelles 1936 (ed. it.: Firenze 1956, rist. 1999). Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 283 La polemica di Pirenne specie con alcuni esponenti della ricerca storica tedesca tra Ottocento e Novecento ci illumina il contesto culturale in cui bisogna collocare le riflessioni, nell’età tra le due guerre mondiali, degli autori ebrei tedeschi sopra menzionati riguardo al rapporto tra l’Europa e l’Oriente - riflessioni che presenteremo brevemente in questo contributo attraverso l’analisi di alcuni loro testi. Nonostante essi non nominino mai nei loro scritti di questo periodo tale polemica, per quanto è a nostra conoscenza, essi condividono indubbiamente, come sfondo implicito di tali loro riflessioni, come vedremo, proprio l’orientamento affermato in Mahomet et Charlemagne . Come Pirenne, essi ritenevano che solo collegandosi con il Mediterraneo la cultura cristiano-germanica si sarebbe liberata di ciò che, in essa, in età moderna, apparteneva ancora al Medio Evo, al concetto di un uomo rinchiuso entro un mondo dai confini determinati e sottoposto a forze a lui superiori; come Pirenne, essi esaltarono la molteplicità delle fonti, greco-romane, ebraiche, cristiane, orientali, che l’Europa mantiene al suo interno, come frutto della cultura tardo-antica, e che costituirono le basi del suo rinnovamento e del rapporto tra cristianesimo e Islam agli albori della modernità contro quelle tendenze, manifestatesi nel Medio Evo, legate all’opposizione tra lingue e nazioni, a un’economia basata sulla proprietà terriera e a una società divisa in caste; come Pirenne, essi difendevano una cultura incentrata sull’uomo, vedendo in lui un essere libero, che vive fondamentalmente in una sfera di scambio di segni, suoni, parole, immagini, oggetti creati dall’attività umana, oltre ogni separazione tra Occidente e Oriente, che essi consideravano come contingente, effetto di certe circostanze storiche; come Pirenne, essi distinguevano nella cultura ciò che non ha e ciò che ha un senso tendenzialmente universale, e che dunque può essere reso indipendente dal legame con la nazione che dapprima lo ha prodotto. In un periodo in cui l’Europa sperimentava al suo interno quei gravi contrasti che la porteranno alla seconda guerra mondiale, tali intellettuali ebrei tedeschi si fecero portatori di quel cosmopolitismo che li portava a rintracciare nelle varie civiltà ciò che potesse avere significato e valore. E proprio perciò, come vedremo, essi indagarono con predilezione quelle formazioni spirituali che sono esse stesse il risultato d’incontri tra ambienti diversi, e sostennero un orientamento filosofico che, rintracciando in Occidente e in Oriente un fondo comune, infine cancella la loro separazione. La Warburg Bibliothek: Warburg, Cassirer, Klibansky Fin dal 1901 Aby Warburg (1866-1929) raccolse ad Amburgo quell’ingente patrimonio librario relativo alle scienze della cultura che, messo più tardi, intorno al 1910, a disposizione del pubblico, era destinato a formare la Warburg Biblio- 284 Irene Kajon thek . Specie dopo la fondazione dell'Università ad Amburgo nel 1919 questo centro, che si appoggiava dal punto di vista finanziario su fondi provenienti dalla famiglia di Warburg, vide riuniti intorno a sé importanti storici dell’arte, del pensiero filosofico, delle religioni, diventando promotore di edizioni di testi e di studi, sede di conferenze, e luogo di formazione di giovani ricercatori. La Warburg Bibliothek era però considerata negli anni tra le due guerre mondiali dall’ambiente circostante come un’istituzione culturale ebraica non solo per la provenienza familiare del suo fondatore e di molti tra gli studiosi che alle sue attività prendevano parte (oltre a Cassirer e Klibansky, erano ebrei Fritz Saxl, Gertrud Bing, ed Erwin Panofsky), 9 ma soprattutto per il respiro universalista e umanista e l’orientamento fortemente anti-romantico che l’animavano. Warburg, come si evince dalla raccolta di studi sulla ripresa dell’antico paganesimo nel Rinascimento che fu pubblicata dopo la sua morte, 10 non riteneva che l’arte dovesse essere isolata dalla storia della cultura e studiata da una disciplina specifica, quasi rappresentasse - come una visione di essa ispirata al Romanticismo tedesco, soprattutto a Schelling, affermava - il momento più alto dell’esperienza umana; l’arte doveva invece, per essere realmente compresa, essere inserita entro il suo proprio periodo storico, del quale andavano necessariamente studiate le più diverse espressioni, dalle fonti letterarie ai costumi, dagli arredamenti delle case alle feste e alle varie immagini presenti nella vita quotidiana, a esempio nelle stampe, nei calendari o nelle carte da gioco. Nello stesso tempo, tuttavia, Warburg non intendeva essere uno storico della cultura che si abbandonava al suo oggetto, senza valutarlo: egli poneva una netta distinzione tra quelle manifestazioni culturali che avevano origine sia dalla più profonda vita affettiva sia dalla ragione dell’uomo, e quelle manifestazioni che si presentavano come il risultato di una fantasia incontrollata, di timore e angoscia di fronte a forze potenti e occulte dominatrici dell’esistenza umana, di un’adesione immediata alla realtà data in tutti i suoi particolari, la quale presupponeva l’annullamento di ogni presa di distanza. Egli attribuiva alle prime un significato universale, mentre considerava le seconde tali da dover essere moderate e compenetrate dalla luce dello spirito, in quanto ordinatore e costruttore. Egli caratterizzava il primo tipo di manifestazioni come ‘Atene’, comprendendo però con questo termine sia l’elemento dionisiaco sia l’elemento apollineo, che egli 9 Cfr., sul circolo di Warburg, Claudia Cieri Via: Introduzione a Aby Warburg, Roma/ Bari 2011. 10 Cfr. Aby Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance, 2 Bde., Leipzig/ Berlin 1932 (rist.: Gesammelte Schriften, Bd. I, 1.2, Berlin 1998). (L’edizione italiana, apparsa con il titolo: La rinascita del paganesimo antico, Firenze 1980, presenta delle varianti rispetto all'ed. tedesca, spiegate da G. Bing nella sua Introduzione). Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 285 vedeva in opera nella cultura antica e tardo-antica, sorta a nuova vita nel Rinascimento italiano e tedesco, che particolarmente era oggetto della sua indagine; e caratterizzava il secondo tipo di manifestazioni con il termine di ‘Alessandria’, comprendendo con tale termine non tanto il complesso della civiltà ellenistica, quanto soltanto quelle tendenze in essa che avevano carattere mitico-magico o irrazionale. 11 ‘Alessandria’ era per lui anche la civiltà del Medio Evo che si era sviluppata nel nord della Francia e in Germania prima che queste si risvegliassero a nuova vita tramite un ritorno alla civiltà del commercio e del denaro verso il XII secolo, prima che il pesante ed elaborato stile nel vestiario e nell’arte alla franzese (ancora in uso, sia pure limitato, nella Firenze del Quattrocento) 12 fosse sostituito dal semplice ed elegante, ma pieno di vita e movimento, stile classico. ‘Atene’, per Warburg, risorgeva continuamente da ‘Alessandria’, sebbene questa, che non poteva essere mai del tutto annullata, rimanesse sempre sullo sfondo. Era ‘Atene’, che egli considerava anche alle origini dell’Illuminismo dell’età moderna, ciò che egli additava ai suoi contemporanei come modello da seguire, pena il consegnarsi a una catastrofe dell’umano. In un saggio anteriore agli anni della prima guerra mondiale già emerge tale prospettiva, secondo la quale Warburg interpretava la storia della cultura europea: questa, egli riteneva, affondava le sue radici nel profondo legame sussistente tra Occidente e Oriente attraverso il mondo greco-romano fusosi poi con il cristianesimo, e aveva dato splendidi frutti quando tale mondo era risorto nel Rinascimento, per quanto i fantasmi partoriti da forze psichiche oscure minacciassero in ogni momento di distruggere tale cultura. Si tratta del saggio, risalente al 1913, intitolato Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt ( Aeronave e sommergibile nella immaginazione medievale ). 13 Egli vi descrive due arazzi che, insieme ai partecipanti al X congresso internazionale di storia dell’arte, poté vedere nell’autunno del 1912 a Roma, nelle sale private del principe Doria, aperte per quell’occasione. Gli arazzi, provenienti dalle Fiandre, tessuti probabilmente a Tournai tra il 1450 e il 1460, di grande estensione (4 metri e 30 di altezza e 10 metri di lunghezza) rappresentavano la vita di Alessandro Magno, il primo le gesta della sua prima giovinezza, il secondo le sue azioni nell’epoca della sua maturità, in cui si lanciava alla conquista del mondo. Le scene del secondo arazzo, brillanti per i loro colori, popolate da esseri umani e figure immaginarie, riproducevano - spiega Warburg nel suo saggio - ciò che di Alessandro si narrava in un romanzo assai diffuso nell’età medievale, di cui 11 Su ‘Atene’ e ‘Alessandria’ in Aby Warburg, cfr. Gertrud Bing: Introduzione, in: Warburg: La rinascita del paganesimo antico, p. XXXI. 12 Cfr. A. Warburg: Scambi di civiltà artistica fra Nord e Sud nel secolo XV (1905), in: Id.: La rinascita del paganesimo antico, pp. 171-178. 13 Ivi, pp. 273-282. 286 Irene Kajon sono rimasti numerosi manoscritti in Oriente e in Occidente, in ventiquattro lingue diverse, risalente a un modello greco, e riproposto in francese intorno al 1450 presso la corte di Borgogna da Jean Wauquelin (fonte immediata, appunto, dell’arazzo), ovvero di come Alessandro fosse asceso dapprima nell’alto del cielo in una gabbia portata da grifoni e poi disceso nel fondo del mare racchiuso in una botte di vetro. Vi era, nello stile della composizione del secondo arazzo, quello stesso emergere di un atteggiamento lucido e razionale dal caos delle varie figure di un’immaginazione incontrollata, che era già presente nel romanzo di Alessandro. Una civiltà aperta e tollerante, già virtuosa nella tecnica, non più strettamente legata ai costumi cortigiani medievali, facendo capolino da tali fantastiche raffigurazioni, si riconnetteva alla cultura dell’Impero romano nell’età in cui Occidente e Oriente comunicavano tra loro. Scrive Warburg: Von den lichten Höhen klassischer Kultur scheint keine Brücke mehr zu dieser unterirdischen Welt kindischer Phantome zu führen, und doch ist der Kern echt antiker orientalisch-römischer Sonnenreligion durchzufühlen. In Alexanders Auf- und Niederfahrt durch den Weltenraum klingt - meines Erachtens - die Sage und der Kult des Sonnengottes nach, wie er täglich auf- und niederfährt in seinem Wagen, der ja im syrischen Kult des Malachbel tatsächlich mit vier Greifen bespannt erscheint. In der römischen Staatsreligion der späteren Kaiserzeit fand dieser Kult der Sonne bekanntlich seinen Höhepunkt darin, daß zu ihr die vergöttlichte Seele des abgeschiedenen römischen Kaisers zurückkehrte. Der Abenteuerroman läßt nun in seiner trotz hemmunglosen Schwelgens im Wunderbaren im Grunde so rationalistischen Stimmung den Heros Alexander gleichsam schon auf Erden die sonnenhafte Apotheose in seiner Himmelfahrt mit den Greifen erleben. Und wenn auch der prosaischere Burgunderhöfling seinen Fürsten nicht mehr im poetischen Naturdienst, als Sonnengott selbst, anbetet, so begrüßt und verehrt er ihn doch wenigstens wie einen von einer gefahrvollen Forschungsreise zurückgekehrten glücklicheren Phaeton. 14 La prosa quotidiana affiorava dalla lussureggiante poesia dell’arazzo raffigurante Alessandro Magno imperatore: essa testimoniava come a poco a poco si affermasse entro l’involucro favolistico e leggendario una mentalità pragmatica, rivolta all’azione nella realtà attraverso l’uso della ragione nell’esplorazione di sempre nuove possibilità. In questo suo testo Warburg ricorda anche come, per la mentalità dell’Europa colta della metà del 1400, coloro che conquistarono nel 1453 Costantinopoli - Maometto II e i suoi guerrieri turchi - non erano affatto visti come nemici dell’Europa sul piano della cultura, proprio perché anch’essi, come i re delle regioni europee, si consideravano e venivano all’esterno perce- 14 Warburg: Die Erneuerung der heidnischen Antike, Bd. 2, p. 247 (p. 279 nell’edizione italiana). Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 287 piti come eredi di Alessandro. Ed essi sembravano all’Europa colta essere tali eredi per i loro grandiosi obiettivi imperiali - nota Warburg 15 - molto più di quel personaggio, stilizzato più tardi, all’inizio del Cinquecento, dal Sodoma, negli affreschi della Villa Farnesina a Roma, in modo raffinato ed elegante come sposo accanto a Roxane nella leggiadra rappresentazione delle loro nozze, sebbene in questo caso la scena si ispirasse immediatamente alle scene antiche dei banchetti. Ma è soprattutto in un saggio pubblicato nel 1920, rimasto allo stato di frammento, molto suggestivo, ricco com'è di interessanti accostamenti tra fonti letterarie e fonti iconografiche, intitolato Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten ( Divinazione antica pagana in testi ed immagini dell’età di Lutero ), 16 che Warburg mostra l’ambivalenza della moderna cultura europea sospesa tra il riconoscimento della libertà e razionalità umana e la resa di fronte al peso dell’oscura e invincibile realtà esteriore, e difende l’idea della necessità di non soggiacere al destino come quel punto di vista che dovrebbe essere considerato importante e vero per tutti gli uomini. Egli descrive in tale saggio il doppio modo di vedere l’astrologia presente nella cultura dell’Europa moderna, risalente all’antichità e recepito poi da testi appartenenti sia al mondo arabo sia al mondo cristiano che si diffusero verso la fine del Medio Evo, da Bagdad a Toledo a Padova verso la Germania: da un lato l’astrologia è credenza nell’influenza determinante che le stelle hanno sulla vita degli uomini, dall’altro mezzo di orientamento per gli uomini desiderosi di essere artefici della propria esistenza. Scrive Warburg in tale saggio, soffermandosi sull’astrologia come fenomeno ambivalente: Durch getreue Überlieferung auf der Wanderstraße vom Hellenismus her über Arabien, Spanien und Italien nach Deutschland hinein (wo sie schon von 1470 ab in der neuen Druckkunst in Augsburg, Nürnberg und Leipzig in Wort und Bild eine wanderlustige Renaissance vollführen) waren die Gestirngötter in Bild und Sprache lebendige Zeit-Gottheiten geblieben, die jeden Zeitabschnitt im Jahreslauf, das ganze Jahr, den Monat, die Woche, den Tag, die Stunde, Minute und Sekunde, mathematisch bezeichneten, zugleich aber mythisch-persönlich beherrschten. Sie waren dämonische Wesen von unheimlich entgegengesetzter Doppelmacht: als Sternzeichen waren sie Raumerweiterer, Richtpunkte beim Fluge der Seele durch das Weltall, als Sternbilder Götzen zugleich, mit denen sich die arme Kreatur nach Kindermenschenart durch ehrfürchtige Handlungen mystisch zu vereinigen strebte. Der Sternkundige der Reformationszeit durchmißt eben diese dem heutigen Naturwissenschaftler unvereinbar erscheinenden Gegenpole zwischen mathematischer Abstraktion und kultlich 15 Warburg: La rinascita del paganesimo antico, p. 281. 16 Ivi, pp. 309-390. 288 Irene Kajon verehrender Verknüpfung wie Umkehrpunkte einer einheitlichen weitschwingenden urtümlichen Seelenverfassung. 17 Tutta l’età della Riforma - come si evince soprattutto dalle figure di Lutero e di Melantone, il primo che irride alla fede nell'astrologia, pur senza rinunciare al pensiero che la volontà divina regga le sorti del mondo, l’altro che è convinto dello studio, come scienza, dell’influenza degli astri sulla storia umana - è segnata da tale doppia tendenza nei confronti dell’astrologia. Liberarsi dall’astrologia, pur nella consapevolezza che essa nasce da regioni profonde della psiche, alla ricerca di una civiltà incentrata sulla ‘libertà di pensiero’, oltre le divisioni nazionali, è ciò che viene indicato come obiettivo da Warburg nella pagina finale di questo suo testo. Ernst Cassirer (1874-1945), che si avvicinò alla Warburg Bibliothek all’epoca della sua chiamata nel 1919 all’Università di Amburgo, condivide con Warburg l’ideale universalistico della cultura. Fin dall’indagine presentata in Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit ( Il problema della conoscenza nella filosofia e nella scienza dell’età moderna) , i cui primi due volumi apparvero all’inizio del Novecento, 18 Cassirer mostra come la cultura della modernità - scienza, religione, letteratura, filosofia - sia nata attraverso un distacco dall’età del Medio Evo: in linea generale, questa vede l’uomo inserito in un essere avente la sua propria struttura e le sue proprie determinazioni, consegnato a percezioni di cui l’intelletto rimane al servizio, subordinato ai dati della tradizione, succube di quelle istituzioni che si presentano come depositarie della volontà divina. Soltanto emancipandosi a poco a poco dai vincoli cui la costringeva il pensiero e la fede medievali, la ragione umana si mostra in grado specie a partire dal XV secolo - con Niccolò Cusano - di produrre una filosofia e una cultura avente oggettività e universalità. Si crea in tal modo, secondo Cassirer, nell’Europa moderna uno spazio intellettuale e morale comune formato da ciò che, essendo opera dello spirito - ovvero di facoltà attive nell’uomo, le quali lo separano dalla sua appartenenza a una certa area geografica, a una particolare confessione, o a un’epoca storica determinata - può trapassare da una nazione a un’altra perché è compreso e trasmesso, a volte anche elaborato in modi nuovi. 17 Aby Warburg: Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, in: Id.: Die Erneuerung der heidnischen Antike, Bd. 1, p. 491 (pp. 314-315 dell’edizione italiana). 18 Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 2 Bde., Berlin 1906-7. Il 3. volume uscirà nel 1920, il quarto postumo, dapprima in inglese, nel 1950. La trad. it., in 4 voll., con il titolo: Storia della filosofia moderna, è stata pubblicata dapprima da Einaudi, Torino 1963. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 289 È però in occasione della risposta a Bruno Bauch, acceso nazionalista durante la prima guerra mondiale, che Cassirer esprime il suo orientamento sulla cultura nel modo più incisivo ed efficace. Questo testo, scritto nel settembre del 1916, presente nel suo Nachlass , è stato recentemente reso noto. 19 Bauch aveva pubblicato nel numero di giugno 1916 di Der Panther. Deutsche Monatsschrift für Politik und Volkstum una lettera indirizzata a Leonore Ripke-Kühn, datata 22 maggio 1916, in cui esprimeva la sua piena condivisione delle tesi principali sostenute da quest’ultima in un suo contributo, pubblicato nel numero di aprile della stessa rivista. 20 In esso Ripke-Kühn aveva attaccato l’interpretazione di Kant data dalla scuola di Marburgo, che aveva Hermann Cohen come suo fondatore e Cassirer come uno dei suoi più noti esponenti, poiché - essendo tale interpretazione fondata sulla distinzione tra intuizione e intelletto nella teoria della conoscenza - giudicata non conforme a quel concetto della profonda unità fisico-psichica nell’uomo che ella considerava tipico della cultura tedesca. Ripke-Kühn vedeva su tale interpretazione l’influenza dell’ebraismo professato entro la scuola di Marburgo. Bauch aveva poi fatto seguire a tale lettera a Ripke-Kühn la pubblicazione a Berlino nel 1916 di una sua conferenza, tenuta a Jena in quello stesso anno, dedicata al concetto di nazione come nucleo di una filosofia della storia (la conferenza sarà anche stampata l’anno successivo nelle Kant-Studien ), 21 nella quale sosteneva l’estraneità alla nazione tedesca di tutti coloro che non appartenevano alla nazione tedesca in quanto innanzi tutto provvista di una certa conformazione fisico-psichica e abitante in una certa terra. La lingua, la letteratura, l’arte, la filosofia della Germania, secondo Bauch, potevano essere veramente comprese, coltivate, sviluppate solo da coloro che per nascita erano parte del popolo tedesco: gli Ebrei, come ‘popolo ospite’ ( Gastvolk ) su suolo tedesco, non potevano partecipare a quell’amore per la madrepatria, la cui terra era stata fecondata dal lavoro di generazioni, che nutrivano coloro che erano membri, in quanto con-nativi, Miteingeborene , del ‘popolo autoctono’; lo Stato stesso non doveva essere concepito, alla maniera dei giusnaturalisti del Settecento, come una cornice esteriore di convivenza, una forza protettrice del diritto degli individui, ma come il punto più elevato della nazione, la sua struttura istituzionale, e la stessa storia dell'umanità doveva essere vista come una sto- 19 Cfr. Ulrich Sieg: Deutsche Kulturgeschichte und jüdischer Geist. Ernst Cassirers Auseinandersetzung mit der völkischen Philosophie Bruno Bauchs. Ein unbekanntes Manuskript, in: Leo Baeck Institute Bulletin 88 (1991), pp. 59-91. Questo ms., insieme a testi di Bauch che più avanti citeremo, è stato inserito nel IX vol. dei Nachgelassene Manuskripte und Texte di Cassirer (Hamburg 2008, pp. 29-60; 279-291). 20 Cfr. la lettera di Bauch in Cassirer: Nachgelassene Manuskripte, vol. IX, pp. 279-284. 21 Bruno Bauch: Vom Begriff der Nation. Ein Kapitel zur Geschichtsphilosophie, in: Kant-Studien 21 (1917), pp. 139-162. 290 Irene Kajon ria delle nazioni, avente ciascuna la sua propria inconfondibile fisionomia fisica e la sua propria mai pienamente comunicabile cultura. Tutto ciò che di originale avevano prodotto i pensatori e gli artisti tedeschi andava dunque strettamente collegato con la storia della Germania: perfino l'imperativo categorico kantiano era visto da Bauch - che poneva in indissolubile relazione Kant e Federico il Grande, considerato come il promotore del rafforzamento della Prussia entro le potenze europee - alla luce della nozione storica dell’obbedienza alle leggi dello Stato, in quanto provenienti da una volontà sovrana che non aveva più la sua fondazione nella ragione. 22 Di fronte a tali tesi di Bauch, Cassirer - richiamandosi all'atteggiamento dell’umanesimo fiorito tra Oriente e Occidente agli inizi dell’età moderna e dell’Illuminismo - sosteneva la sua idea della cultura tedesca, europea, e umana come una cultura formata da più apporti provenienti da varie voci, avente origine da un lavoro dello spirito, e non da immediate reazioni della psiche, e condivisa al di là delle varie lingue e dei confini territoriali, perché non arbitraria e contingente, ma avente valore e oggettività; ed egli affermava la sua idea di nazione non come comunità di coloro che nascono in una stessa terra come consanguinei, bensì formata da una cultura nazionale, che non doveva mai peraltro essere vista nel suo isolamento da altre culture nazionali. Così egli scrive nella sua replica, ricordando come Kant avesse esaltato l'indipendenza della ragione dalla natura, distinguendo fra l’“antropologia”, che proviene dalle conoscenze empiriche sull'uomo, e l’“antroponomia”, che accerta le leggi razionali dell’operare umano, e come avesse fatto dipendere nella sua filosofia la prima dalla seconda: Denn das gerade charakterisiert hier den in wahrhaften Sinne deutschen Denker Kant: dass er den Gedanken einer deutschen Ethik mit aller Klarheit von sich weist. Die kritische Ethik ist es gewesen, die zuerst den Gegensatz zwischen ethischer und anthropologischer Betrachtung in all seiner schneidenden Schärfe aufgedeckt und die damit ein für allemal den Rassengedanken aus der Grundlegung der Ethik verbannt hat. […] Dies kann freilich nicht so verstanden werden, als ob die kritische Ethik die empirischen Differenzen, die unendlich vielfältigen und verwickelten Relativitäten des konkreten sittliches Lebens leugne : - das aber behauptet sie freilich, dass es auch hier ein absolutes Gesetz gibt, dessen Begründung sich über alle diese Relativitäten erheben und von ihnen loslösen muss. Kants Ethik steht hier mit seiner Logik auf genau der gleichen Grundlage - und dass das Nämliche von seiner Aesthetik gilt, das beweist jener tiefsinnigste, selten ganz verstandene und gewürdigte Teil seiner 22 Ivi, pp. 150-151. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 291 ästhetischen Erörterungen, in welchem das Schöne in dem “übersinnlichen Substrat der Menschheit” gegründet wird. 23 Scriveva ancora Cassirer: Die Sonne der Rassengemeinschaft leuchtet über Weise und Toren, über Gerechte und Ungerechte. Eine Norm aber gewinnen wir erst, wenn wir das, was die einzelnen Völker in ihrer Geschichte für sich erstrebt, was sie als Gebot und Forderung vor sich hingestellt haben, vergleichen und wenn wir das Mass der tatsächlichen Erfüllung dieser Forderung abschätzen. Auf solchen Momenten beruht die ideale Continuität und der ideale Zusammenhang jeder nationalen Geschichte. 24 Egli non temeva di usare nei confronti della posizione affermata da Bauch - che era espressa a volte in un linguaggio evocativo e poetico - l’espressione di “naturalismo dogmatico”, affetto da mania di “burocratica precisione”, nemico in realtà della vita e della storia, le quali sono indisgiungibili dal lavoro della ragione; e di dichiarare l’antisemitismo di Bauch, ammantato di speculazione, costruito su una tale nozione della storia esaltatrice della terra e della comunanza di stirpe, peggiore dell’antisemitismo che traeva la sua nefasta forza soltanto dalla passione, poiché il secondo gli era per lo meno comprensibile, mentre il primo gli sembrava frutto soltanto di freddezza verso le persone reali e i loro reali sentimenti, di una filosofia che, rinnegando sé stessa, si trasformava in ideologia al servizio di un partito. La risposta di Cassirer a Bauch era inserita all’interno di un conflitto che opponeva allora Cohen e Cassirer come membri ebrei della Kant Gesellschaft , organo delle Kant-Studien , agli altri membri. Esso si risolse nella forma di una mediazione. 25 Nei suoi scritti di storiografia filosofica della fine degli anni Venti e dell'inizio degli anni Trenta Cassirer, in continuità con le ricerche esposte in Freiheit und Form ( Libertà e forma , 1916) e in Kants Leben und Lehre ( Vita e dottrina di Kant , 1918), ricostruiva la storia della filosofia europea - dal Rinascimento italiano alla filosofia inglese del Cinquecento e Seicento all’Illuminismo francese e tedesco 26 - attenendosi a un filo conduttore presente in tutti tali ambiti culturali, il quale 23 Ernst Cassirer: Zum Begriff der Nation. Eine Erwiderung auf den Aufsatz von Bruno Bauch, in: Id.: Nachgelassene Manuskripte, pp. 39-40. 24 Ivi, p. 45. 25 Cfr., per una ricostruzione della vicenda, in Helmut Holzhey: Cohen und Natorp. Der Marburger Neukantianismus in Quellen, Basel/ Stuttgart 1986, la corrispondenza dall'ottobre 1916 al gennaio 1917 tra Cohen, Natorp, Cassirer, e Vaihinger, allora direttore delle Kant-Studien . 26 Ernst Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance, Leipzig/ Berlin 1927 (prima ed. it.: Firenze 1935); Die Platonische Renaissance in England und die 292 Irene Kajon consisteva in un platonismo d’ispirazione etico-religiosa. Egli vedeva in queste sue opere di storico un’esposizione delle varie forme nelle quali lo spirito filosofico era diventato cosciente di sé come attività riflessiva sulla totalità dell’esperienza umana: uno spirito filosofico che nell’età moderna, ogni volta sempre di nuovo, aveva riconosciuto l’uomo come essere simbolico, in grado di produrre un mondo significativo mediante l’uso del complesso delle sue funzioni mentali, l’uomo in quanto libero dalla necessità naturale, in relazione con l’intelligibile. Etica, diritto, scienza, arte, mito, linguaggio, tutte le sfere della cultura, avevano il loro punto di confluenza nell’essere umano come homo agens , la cui ragione, essendo incondizionata, si fonda sull’essere stesso di Dio. I dialoghi di Platone che, attraverso la ricezione degli antichi, passando per le traduzioni e i commenti in latino della tarda antichità e in arabo verso la fine del Medio Evo, erano giunti fino ai teorici del diritto dell’età moderna - da Grozio a Leibniz, Wolff, Rousseau e Kant -, sono la fonte principale cui Cassirer guarda nei suoi libri storici tra le due guerre. A Platone egli s’ispira anche in discorsi, articoli, lezioni, della stessa epoca, che dedica alla filosofia del diritto e dello Stato. 27 L’Europa moderna era dunque radicata, per Cassirer, in una cultura antica che aveva in sé elementi occidentali e orientali ed essa difendeva valori cosmopolitici. Più tardi, negli Stati Uniti, riprendendo in An Essay on Man ( Saggio sull'uomo , 1944) la sua Philosophie der symbolischen Formen ( Filosofia delle forme simboliche , 1923-1929) egli esporrà le leggi e i principi dello spirito che presiedono all’insieme della cultura umana, da un lato sostenendo il valore autonomo di ciascuna sfera della cultura, dall’altro - e senza contraddirsi, poiché egli distingueva tra il punto di vista che considera una sfera dell’esperienza umana di per sé, e il punto di vista che considera la stessa sfera in rapporto a un’altra sfera - delineando un’evoluzione dal mito alla scienza nell’ambito della conoscenza della natura e dal mito all’etica nell’ambito della religione e del pensiero politico. Raymond Klibansky (1905-2005) fu allievo di Cassirer negli anni in cui questi viveva ad Amburgo, da lui chiamato nel 1926 in questa città per partecipare alle attività della Warburg Bibliothek , come egli stesso narra. 28 La ricerca storiografica di Klibansky degli anni Venti e le sue edizioni critiche di testi negli anni Venti e Trenta, alcune delle quali erano parte di un progetto di ampio respiro, Schule von Cambridge, Leipzig/ Berlin 1932 (Firenze 1947); Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932 (Firenze 1944). 27 Cfr. Ernst Cassirer: Die Idee der republikanischen Verfassung. Rede zur Verfassungsfeier am 11. August 1928, Hamburg 1929; Vom Wesen und Werden des Naturrechts, in: Zeitschrift für Rechtsphilosophie in Lehre und Praxis 6 (1932), pp. 1-27; e la traccia di un corso del 1932 intitolata: Rechtsproblem - Verhältnis zum Gottesproblem, in: Nachgelassene Manuskripte, pp. 129-139. 28 Cfr. Raymond Klibansky: Le philosophe et la mémoire du siècle. Entretiens avec G. Leroux, Paris 1998. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 293 ci mostrano la profonda consonanza esistente tra Cassirer e il giovane studioso. Formatosi nell’Università di Heidelberg, dove si era iscritto nel 1923, egli era interessato non solo alla filologia classica e alla storia della cultura, ma - come egli ricorda - soprattutto alla questione filosofica dell’uomo. I primi studi di Klibansky s’indirizzano, attraverso ricerche sulle fonti edite e inedite, verso la ricostruzione del modo in cui, grazie alla persistenza della tradizione platonica nell’età ellenistica e nei primi secoli dell’era cristiana, Platone poté essere letto e interpretato dal XII secolo fino al Rinascimento italiano e tedesco; e le sue edizioni critiche di testi riguardano autori che, agli albori della modernità, furono influenzati dall’opera platonica. Se Cassirer si era dedicato nei suoi scritti storici di quei medesimi anni all’illustrazione della storia del platonismo da Niccolò da Cusa in poi, Klibansky indaga, retrocedendo nel tempo, la storia della ricezione di Platone - attraverso i commenti in greco e alle traduzioni e commenti in latino e arabo - fino a Niccolò da Cusa. Infatti, egli dedica la sua Habilitationsschrift , discussa nel 1931, a Bernardo e Teodorico di Chartres, che nel XII secolo ripresero nella loro filosofia della natura e cosmologia il Timeo , e studia in una sua memoria del 1929 l’influenza di Proclo sulle filosofie di Meister Eckart e di Niccolò da Cusa. 29 Nel 1927 esce, da lui curata, un'edizione del De sapiente di Charles de Bovelles, tra il 1929 e il 1936 egli è editore di testi di Niccolò da Cusa e di Meister Eckhart - del primo di questi due ultimi autori egli aveva in animo di pubblicare l’opera completa, mentre del secondo avrebbe voluto pubblicare soltanto l’opera latina; e nel 1939 egli offre il programma, in un sintetico testo dedicato alla continuità della tradizione platonica, di una serie di pubblicazioni che avrebbero dovuto proporre all’attenzione il Plato latinus e il Plato arabus come anelli di una lunga catena che dall’antico giungeva fino al moderno. 30 Klibansky era convinto, al pari di Warburg e di Cassirer, che il moderno pensiero europeo - di cui era parte integrante, egli riteneva, la filosofia idealistica tedesca - non avrebbe potuto nascere se non avesse guardato come sua fondazione a una cultura, quella dell’antichità tra l’espansione dell’ellenismo e l’avvento e diffusione del cristianesimo sulle due sponde del Mediterraneo, che aveva già esaltato l’uomo come essere sensibile-intelligibile, avente radici in cielo, pur stando sulla terra, secondo la celebre immagine che compare nel Timeo . 29 Raymond Klibansky: Bernhard und Thierry von Chartres, Heidelberg 1932; Ein Proklos-Fund und seine Bedeutung, Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 1928-29, Heidelberg 1929. 30 Cfr., editi da Klibansky: Carolus Bovillus: Liber de Sapiente, in: Cassirer: Individuum und Kosmos; Nicolai de Cusa: Opera omnia, vol. II: Apologia Doctae Ignorantiae I, Lipsiae 1932; Magistri Eckardi Opera latina, fasc. I: Super Orationem Dominicam, Lipsiae 1934; e il suo libro The Continuity of the Platonic Tradition during the Middle Ages, London 1939. Il progetto, in quest’ultimo descritto, troverà man mano attuazione nel secondo dopoguerra. 294 Irene Kajon Più tardi, specie dagli anni Sessanta, Klibansky si farà promotore di un pensiero filosofico incentrato sulle idee di tolleranza, di pace, di dialogo tra le nazioni, di difesa dei diritti dell’uomo e del cittadino. Tanto la vera religione quanto la vera filosofia, delle quali continuò nel corso della sua vita a studiare nella storia gli intrecci, poggiano per lui su una presa di posizione non dimostrabile o giustificabile, ultima base delle loro argomentazioni, quella che difende l’appartenenza dell’uomo a un piano più elevato di quello rappresentato dall’esistenza e dal tempo. Egli criticherà tutti quegli orientamenti filosofici del Novecento - da Heidegger ai postmoderni - che dissolvono la nozione stessa del logos , compiacendosi di ridurlo a un mero mezzo dei bisogni dell’uomo visto come essere soltanto naturale e storico, e introducendo così insuperabili barriere tra i singoli e tra le religioni e le culture. 31 Come Warburg e Cassirer, Klibansky aveva un alto concetto della filosofia: egli le assegnava il compito di unire l’umanità attraverso il riconoscimento che vi è in essa, in Oriente come in Occidente, l’aspirazione alla fine delle guerre, del fanatismo religioso e politico, e della violenza nei rapporti umani, a causa della vivente razionalità in essa presente. Come Warburg e Cassirer, anche Klibansky in nome di quel platonismo che era stato coltivato nei primi secoli dell’era cristiana, ripreso poi, dopo la crisi dell’VIII secolo, dalla cultura dell’Europa moderna, non disgiungeva nell’uomo mente e affetti. Un’osservazione conclusiva: la storia come costruzione per il futuro La Warburg Bibliothek è celebrata da tutti gli studiosi che l’hanno resa oggetto delle loro ricerche per l’eccellenza dei singoli risultati nel campo delle scienze della cultura, che essa raggiunse specie tra le due guerre ad opera dei suoi maggiori rappresentanti. Alcuni di tali risultati, riesposti e ampliati, poterono vedere la luce soltanto nel secondo dopoguerra. 32 Noi vorremmo invece porre l’accento, alla fine di questo contributo, sull’interesse che hanno per noi oggi le indagini di Warburg, Cassirer, Klibansky sul senso della cultura dell’Europa moderna e sulla sua genesi. In un’età come la nostra in cui spesso Occidente e Oriente sono contrapposti sul piano economico, culturale e politico, e in cui spesso si considera la filosofia dell’Occidente culminante in Hegel, dopo il quale non resterebbe che esaltare la fine di ogni pensiero incentrato sulla ragione - come avviene nei seguaci di Heidegger, nei pensatori della differenza, o nei filosofi attratti dal bíos -, a 31 Cfr. Klibansky: Le philosophe et la mémoire du siècle. 32 Cfr. Raymond Klibansky/ Erwin Panofsky/ Fritz Saxl: Saturn and Melancholy, London 1964. Il cosmopolitismo di Warburg, Cassirer, Klibansky tra le due guerre mondiali 295 noi sembra che la prospettiva degli autori qui presi in esame mostri fecondità e lungimiranza. E ciò proprio per il fatto che essi pongono una continuità tra la tarda antichità (concetto, quest’ultimo, affermato tra i primi da Pirenne, ma valorizzato anche da storici recenti), 33 nella quale Occidente e Oriente s’incontrarono, e la modernità europea, e per il fatto che essi vedono il platonismo di orientamento etico-religioso come il tramite tra l’una e l’altra. La ragione non è per loro lo strumento di dominio della civiltà occidentale, nemica della vivente realtà, noncurante delle reali differenze, ma ciò che soltanto può far entrare in contatto gli esseri umani, che sono nel mondo, con l’incondizionato e il trascendente, permettendo una comune cultura. L’orientamento di tali intellettuali ebrei tedeschi era certamente ispirato dal futuro cosmopolitico che essi auspicavano e attraverso tale chiave essi lessero il passato. Come Pirenne, cui molti tra gli storici a lui contemporanei o delle generazioni seguenti hanno rimproverato la visione eccessivamente estesa, essi sono stati accusati da gran parte della critica di essere, nel loro internazionalismo, avulsi dalla realtà concreta, e di tralasciare nelle loro analisi, o di porre in secondo piano, tutti quegli elementi che non rientravano nei quadri che con tanta maestria dipingevano. Ma, come scrive Jaspers in La questione della colpa (1946) riflettendo sulla storia della cultura tedesca ed europea, è appunto l’ideale ciò che dovrebbe animare il lavoro della storiografia, pur nella cura per i dettagli. 33 Cfr. Teresa Sardella: La fine del mondo antico e il problema storiografico della Tarda Antichità: il ruolo del cristianesimo, in: Chaos e Kosmos 14 (2013), pp. 1-40. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten Camilla Miglio Geopoetik des Celanschen Ostens 1 Wort und Himmelsrichtung ‚Osten‘ markieren ein komplexes Bezugssystem in Paul Celans Werk. Dieser Beitrag versucht, den Celanschen ‚Osten‘ in seiner mehrfachen poetischen und poietischen 2 Valenz zu erörtern. All die daraus entstehenden Facetten fügen sich zusammen in ein zentrales geopoetisches ,Wort‘ Osten ein, welches einem besonderen Osten-und-Orient-Diskurs Impuls gibt. Dieser Diskurs re-konfiguriert die Landschaften und die poetische Imagination als Übersetzungen eines Traumas. 3 Das Trauma des verlorenen Ostens bzw. der verlöschten Bukowina, zusammen mit der darauffolgenden zwanghaften geografischen Re-Orientierung im ‚Westen‘ bedeuten eine De- und Reterritorialisierung, die imstande ist, Lokalisierung, Sprache und geosemiotische Übersetzung zusammenzubringen. 4 Die „Kartizität“ 5 des Celanschen Werkes besteht gerade darin, dass sein geopoetisches remapping sowohl im Gedicht als auch im schreibenden und im lesenden Subjekt neue Räume performativ entstehen lässt. Celans Osten-Diskurs verweist eigentlich weder auf einen eindeutig bestimmbaren topografischen, wenn auch mythisierten 6 Ort, noch auf eine Utopie der 1 Siehe Adalberto Vallega: La geografia del tempo, Milano 2005, S. XII. 2 Als erste bahnbrechende Studie über die „Produktion des Raumes“ soll hier an Henri Lefebvre: La production de l’espace, Paris 2000 (zunächst 1974 erschienen), S. 9, erinnert werden. Es soll hier des Weiteren noch auf die neueste Studie von Federico Italiano: Translation and Geography, London/ New York 2016 verwiesen werden, die u. a. eine Diskussion der wichtigsten Theorien in diesem Forschungsbereich anbietet. 3 S. dazu Camilla Miglio: Vita a Fronte. Saggio su Paul Celan, Macerata 2005, S. 25-58, 115- 136, 247-252. 4 S. dazu Italiano: Translation and Geography, S. 1. 5 Robert Stockhammer: Kartierung der Erde: Macht und Lust in Karten und Literatur, München 2007, S. 68 . 6 Wobei „Osten“ einen mythischen Gehalt im Sinne Cassirers erhält. Vgl. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, Bde. 1-3[1923-1929]. 8. Aufl., Darmstadt 1987- 1990, Bd. II: Das Mythische Denken, S. 106. 298 Camilla Miglio verlorenen Heimat. Sein Osten ist kein auf der Landkarte identifizierbarer Ort, er ist vielmehr ein Raum, 7 der vom Autor und vom Leser immer wieder gestreift und langsam beschritten, manchmal ausgegraben werden muss. Er ist jedoch ohne geografisch und historisch bestimmte Landkarten, Landschaften und Ortschaften undenkbar. Der vorliegende Beitrag geht in Celans Schreiben einer Geo-poetik nach, die am Herzen seines Werks und wohl auch seiner eigenen Existenz liegt. Es geht um eine Poetik und um eine Existenz, in denen mehrere Orte und Zeiten in dieselbe Kerbe schlagen. Orte und Zeiten „kerben sich“ 8 nämlich in die glatte Oberfläche der Heilsutopien jeglicher Wiederkehrperspektive oder jeglichen Messianismus ein; heterotopisch gestalten sie sich jeweils als „anderer Raum, andere Zeit“, 9 um doch eigentlich auch die Zeit der Erwartung eines Neuanfangs aus dem Horizont zu tilgen, letztendlich nur Raum für eine A-topie schaffend. Als methodologischer Hinweis sei in diesem Kontext schließlich auf das „geosemiotische Dreieck“ des Kulturgeografen Adalberto Vallega verwiesen, der sich fragt, wie es möglich sei, das Zeitgefühl im Zeichen des Ortes zu erfassen und auf diese Weise zu erkennen, zu welchen Werten und zu welchen Bedeutungen die Zeit des einzelnen Ortes führt, und wie ein Ort neue Werte und Bedeutungen produzieren kann. Im Kern dieses Verfahrens stellt sich die Frage, wie mit einem scheinbaren Paradox umzugehen ist, das darin besteht, eine „Geographie der Zeit“ zu konstruieren - im Sinne einer Repräsentation von Zeit, die Orte bezeichnet. Überlegungen dieser Art sind besonders ergiebig, wenn sie auf einen Autor wie Celan angewandt werden, der einmal seiner Freundin Ilana Shmueli gegenüber behauptete: „Die Geschichte hat die Geographie verschlungen“. 10 Vallega greift Peirces semiotisches Dreieck auf, um die Zeichenhaftigkeit von Orten und Erinnerungsorten zu messen (wobei es sich bei ihm um geografisch bestimmbare Orte und Monumente handelt, während es in meiner Untersuchung eher um Orte, literarische Texte und mnestische loci geht). Unsere Anwendung des geosemiotischen Dreiecks wird einen Schritt weiter führen. Dadurch sollen nicht nur neue Werte, sondern auch neue Orte und Räume erzeugt werden. 7 Zur Unterscheidung der Begriffe ,Ort‘ und ,Raum‘ siehe z. B. Aleida Assmann: Geschichte findet Stadt, in: Moritz Csàky/ Cristoph Leitgeb (Hg.): Kommunikation, Gedächtnis, Raum. Kulturwissensschaften nach dem ‚Spatial Turn‘, Tübingen 2009, S. 13-28; Karin Wenz: Raum, Raumsprache und Sprachräume: Zur Textsemiotik der Raumbeschreibung, Tübingen 1997. 8 Im Sinne von Deleuze und Guattari; vgl. Gilles Deleuze/ Félix Guattari: Das Glatte und das Gekerbte (1980), in: Jörg Dünne/ Stephan Günzel (Hg.): Raumtheorie. Grundlagentexte aus Philosophie und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. 2006, S. 434. 9 Vgl. Michel Foucault: Des espaces autres, in: Ders.: Dits et écrits (1954-1988), Bd. 4, Paris 1980, S. 752-767 . 10 Ilana Shmueli: Sag, daß Jerusalem ist, Frankfurt a. M. 2002. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 299 Der erste Eckpunkt (Nr. 1 in der Abbildung) bestimmt die geografische oder topografische Dimension: Den Ort als Objekt, als „Teil einer objektiv identifizierbaren Landfläche“ 11 , auf der die Erinnerung fußt. Die Sphäre der Erinnerung ist nicht nur historisch, sondern auch poetisch bestimmt; hinzu kommt die mnestisch-poetische Sphäre des Verfassers, der sie neu-schreibt. Die Orte bergen die Erinnerung an Glück und Gräuel, Tod und Zerstörung, aber auch an Wiedergeburt mit sich. Die vom Kulturgeografen Yu-Fu Tuan 12 ausgearbeitete Kategorie der Topophilie soll in dieser Hinsicht erweitert werden: Topophilie bezeichnet nicht nur - wie schon bei für Yu-Fu Tuan - den Ort selbst, als ,Verkehrstheater‘ und Hüter der Erinnerung, sondern vor allem einen gelebten Ort, der Teil unserer existentiellen Sphäre und unserer Spiritualität wird. Der Eckpunkt an der rechten Basis des Dreiecks bietet uns daher zwei Perspektiven: „Das Subjekt umfasst das Objekt in seinen Darstellungen der Welt, das Objekt ist auf diese Weise am Subjekt beteiligt, lebt in der intellektuellen und spirituellen Sphäre des Subjekts und erzeugt […] Emotionen und Vorstellungen.“ 13 Wie nimmt die Zeit an alledem Teil? Wenn wir uns zum Eckpunkt 2 des geosemiotischen Dreiecks bewegen, finden wir heraus, dass der Ort semiotisch übersetzt worden ist, und Vallega erinnert zu Recht an Peirces Representamen . Hier entstehen „die Sinne der Zeit, die sich an diesem Ort befinden.“ 14 Der Ort ist Teil der Wahrnehmung des schreibenden, aber auch des lesenden Subjekts, das liest, sieht, das Werk als Ort-und-Zeichen wahrnimmt 15 . Der Ort als Zeichen 11 Vallega: La geografia del tempo, S. XII. 12 Yu-Fu Tuan: Topophilia: A Study of Environmental Perceptions, Attitudes and Values, New York 1990. 13 Zitiert in: Vallega: La geografia del tempo, S. VIII-XIII. Meine Übersetzung. 14 Ebd., S. XII. 15 „Nous ne vivons pas à l’intérieur d’un vide qui se colorerait de différents chatoiements, nous vivions à l’intérieur d’un ensemble de relations qui définissent des emplacements irréductibles les uns aux autres et absolument non superposables“. Foucault: Des espaces autres, S. 755. 300 Camilla Miglio „erzeugt Diskurse“, es setzt - in Michael Cronins Worten - einen „negentropic process“ 16 in Gang: Er produziert neue Räume und überhaupt die Emergenz des Neuen, 17 und das Neuentstandene kann auch das Alte-und-Traumatische, die Vergangenheit verändern. 18 Das geopoetische Gedicht wird, in semiologischer Hinsicht, zu einem ,Interpreter‘, zu einem Zeichen also, das Bedeutungen generiert. Der Eckpunkt 3 hat die Funktion, den Sinn des Zeichens zu sammeln, und eine neue Dimension für den Ort zu er-örtern, sodass der Ort ein Resonanzraum von verschiedenen Stimmen, Zeiten, und sogar weiteren Orten wird. Das Topophilie-Regime erzeugt daher keine Erklärungen und Beschreibungen, sondern Werte. Ein dynamischer Raum öffnet sich im geosemiotischen Dreieck, wo jeder Eckpunkt eine Dimension darstellt, die sich auf die andere bezieht, und es ist nicht möglich, die geographische Referenz des im Gedicht besprochenen Ortes ein für allemal zu identifizieren. Das Wort ,Osten‘ befindet sich daher in einem mobilen Raum. Auch wenn es an der Historizität und Konkretheit von Landschaften und Städten teilhat, taucht es als Pluralzeichen auf. Celan überschreitet nicht die Grenze zwischen Osten und Westen, zwischen der Gegenwart und der Zukunft, sondern bleibt genau an der Schwelle zwischen verschiedenen Zeiträumen. Dieses Dasein am Rande verschiedener Zeiten desselben Ortes übernimmt den Wert des Gegenworts, 19 das mit poetischer, ethischer, politischer Valenz beladen ist. In diesem Zusammenhang helfen uns die Worte eines anderen großen zeitgenössischen Kulturgeografen, Gunnar Olsson: Der Akt des Verstehens liegt nicht darin, die Grenzen zu überschreiten, sondern darin, genau an den Grenzen selbst zu sein. Jede Erfahrung findet an der Grenze statt, da alles im Zentrum so natürlich ist, dass es unbemerkt bleibt. Am Rande stehen bedeutet daher, von der Akzeptanz des Gegebenen zum Tabuverbot übergegangen zu sein. In dieser Position gefangen zu sein , 20 bleibt im Riss zwischen den Kategorien und weist die Sicherheit zurück, gefangen zu werden. 21 16 Siehe Michael Cronin: Translation and Identity, London/ New York 2006, S. 130, und Federico Italiano: Translation and Geography, S. 7. 17 Ebd. 18 S. dazu Camilla Miglio: „Wiederholung ist eine- Erinnerung - in- Richtung nach vorn “. Ein Kierkegaardsches Muster in Celans Poetik der Übersetzung, in: Barbara Hans-Bianchi u. a. (Hg.): Fremdes wahrnehmen aufnehmen, annehmen. Studien zur deutschen Sprache in Kontaktsituationen, Frankfurt a. M./ Bern/ Wien 2013, S. 97-108. 19 Es handelt sich um ein Schlüsselwort in der Meridian -Rede. Zur politischen und libertären Valenz des Wortes vgl. Camilla Miglio: Paul Celan, Il meridiano ( Der Meridian ), in: Massimo Bonifazio/ Daniela Nelva/ Michele Sisto (Hg.): Il saggio tedesco del Novecento, Firenze 2009, S. 279-292. 20 Meine Hervorhebung. 21 Gunnar Olsson: Linee senza ombre. La tragedia della pianificazione, a cura di Franco Farinelli, Roma/ Napoli 1991, S. 135. Meine Übersetzung. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 301 Wir könnten Olssons Argument fortsetzen, indem wir folgende Anmerkung Celans paraphrasieren. Das „Sprachgitter“ - schreibt Celan in den vorbereitenden Notizen zum Meridian 22 - ist auch ein „Raumgitter“. Die Gedichte sind „Wortlandschaften“, aber „die neue Wortlandschaft“ ist noch immer im „linguistischen Tabu“, in der Negation gefangen. Deshalb braucht es eine Form der Erinnerung, die „Anamnese“ ist, die durch „linguistische Räume“ in der Zeit aufsteigt. Die Poesie ist in der Zeit des Ortes, an den sie erinnert, eingeschrieben, hier und jetzt in der Poesie, in dem Augenblick, in dem der Dichter es zu Papier bringt, jedes Mal, wenn wir es lesen. In diesem Sinne können wir auch die Celan-Notiz verstehen, die sich auf die Reflexion der sprachlichen Räume bezieht: „Poesie hat Zeit und hat keine Zeit.“ 23 Wie ich bereits an anderer Stelle erklärt habe, 24 Gedichte aus der Sammlung Niemandsrose ( Eis Eden, Es ist alles Anders, Und mit dem Buch aus Tarussa ) ermöglichen eine Ausgrabung in neu erschaffenen, temporalisierten Räumen. Ortsgebundene Worte wie: Schnee, Weiß, Mutter, Erde, Fluss, Herz, Tod, Stimme, Stille, Leben erzeugen ein Gelände, das Zeit hat und keine Zeit hat, Raum und keinen Raum deckt. Diese Archäologie von ortsgebundenen Namen und Dingen führt zu Bedeutungen, die selbst Räume erzeugen, und ihrerseits nicht von den Orten erzeugt werden. Aber die Worte gehen wiederum von einer mnestischen Spur heraus, die mit den historisch-geografisch referentiellen Orten in Berührung gekommen ist. Von daher die Zirkularität der Eckpunkte im geosemiotischen Dreieck. Diese Art von Wissen ist in der lyrischen Sprache besonders lebendig und empfindlich. Und es ist die stärkste Spur der Kluft zwischen der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Kultur und all dem, was davor in der westlichen Erkenntnistheorie und Anthropologie geschehen ist. Foucault zeigt diesen Prozess in Les mots et les choses . 25 22 Paul Celan: Der ,Meridian‘. Vorstufen - Textgenese - Endfassung. Tübinger- Ausgabe, hg. von Jürgen Wertheimer/ Bernhard Böschenstein/ Heino Schmull, Frankfurt a. M. 1999, S. 102: „Sprachgitter - Raumgitter / / Gedichte als Wortlandschaften/ Die neue Wortlandschaft/ dazu Sprachtabu/ / Erinnerung - anamnesis usw. / / Sprachräume/ / Das Gedicht hat Zeit und hat keine Zeit“ [Paul Celans Hervorhebung]. 23 Ebd. 24 Paul Celan: Gesammelte Schriften in 7 Bänden ( GW), hg. von Bertrand Badiou/ Jean-Claude Rambach/ Barbara Wiedemann, Frankfurt a. M. 2000, Bd. I, S. 224, 284, 287; vgl. dazu Miglio: Vita a fronte, S. 122-136; Camilla Miglio: A Nord del futuro, con sottobraccio il “libro di Tarussa”. Una mappa per Paul Celan, in: Diletta D’Eredità/ Camilla Miglio/ Francesca Zimarri (Hg.): Paul Celan in Italia. Un percorso tra ricerca, arti e media 2007-2014, Roma 2015, S. 57-66 [URL: http: / / www.editricesapienza.it/ sites/ default/ files/ 5286_Paul_ Celan_in_Italia.pdf ]. 25 „[L]a théorie de la représentation disparaît comme fondement général des tous les ordres possibles; le langage comme […] quadrillage premier des choses […] s’efface à son tour; une historicité profonde pénètre au coeur des choses, les isole et les définit dans leur 302 Camilla Miglio Das von Celan ausgesprochene Wortkomplex-Osten und seine geosemiotischen Korollarien performieren eine Gratwanderung zwischen Utopie und Heterotopie, um zur A-topie zu gelangen. Sie führen zu keiner tröstenden Utopie, und öffnen sich zu den weit verstörenden Heterotopien, weil sie die Sprache heimlich untergraben, weil sie dies und jenes verbieten, weil sie die gebräuchlichen Namen, die „Syntax“ der Worte und der Orte brechen und verwickeln. Verzweifelt tendiert Celan zur Umgestaltung eines „glatten“ Heilsuniversums mit messianischen Merkmalen (zum Beispiel in der schon erwähnten Sammlung Niemandsrose , in Es ist alles anders oder Mit dem Buch aus Tarussa ), 26 dessen Darstellung ständig in eine irreparable Kluft umkippen kann. Celan bleibt einer Unmöglichkeit ausgesetzt: jene Unmöglichkeit nämlich, den geosemiotischen Gehalt des Ortes zu erschließen, die Wieder-auf-erstehung des Ortes als Objekt, als Metapher und als sinngebende, raum- und zeitschaffende Kraft zu ermöglichen. Der Ort bleibt offen, gebrochen, ausgefranst, unterbrochen, geschnitten, verwundet (man denke z. B. an Keine Sandkunst mehr oder an das späte AUS ENGELSMATERIE ). Er bleibt - um Olssons Worte wieder aufzunehmen, in einer bestimmten Position gefangen . Der Dichter bleibt im Riss zwischen den Kategorien 27 stecken. Die Utopie der symbolischen Rückkehr könnte Jerusalem heißen; die letztendliche Atopie wird aber Ägypten sein: ein Ort, wo er „gefangen geblieben ist“. Wenn man von der offensichtlichen Kartizität der Celanschen Dichtung ausgeht, erweist sich als besonders wichtig, die u-, hetero- und eigentlich a-topische Natur seines Osten-Diskurses anhand einiger Textstellen zu rekonstruieren. Hier schematisch das Celansche geosemiotische Dreieck: cohérence propre, leur impose des formes d’ordre qui sont impliquées par la continuité du temps.“ In: Michel Foucault: Les mots et les choses, Paris 1966, S. 14. 26 Siehe Anmerkung 24. 27 Olsson, Linee senza ombre, S. 135. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 303 Der Eckpunkt 1 (Ort als Objekt), i.e. der Bukowiner Osten, gehört zum referentiellen Zeitraum der Biografie Paul Celans, und produziert die Metaphern der verlorenen Heimat, des Schnees, des Brunnenlandes usw.; Eckpunkt 2 (Ort als Zeichen) ist ein semiotisches Wort-Bild das sowohl zur historischen Erfahrung Celans, als auch zur Geschichte des jüdischen Volkes (Exodus und Diaspora) gehört (der „Wanderosten“, das „Kyrillische“). 28 Er produziert ferner eigene Osten-Diskurse, die im mehrsprachigen, mehrschichtigen Echoraum „Osten“ mitklingen und in seiner stratigrafischen Wortlandschaft eingekerbt sind (man denke an die großen, elegischen Gedichten der letzten Sektion von Niemandrose . „ Mon coeur est a l’Est - Il y est, Pierrot ! “ schreibt Celan an seinen rumänischen Jugendfreund Petre Solomon. 29 Das Verb être / sein , in dritter Person est , ist in diesem Kontext besonders hervorzuheben, da es sowohl eine zeiträumliche Existenz und Befindlichkeit als auch eine semiotische, generative Sinnproduktion in Celans Poetik und Existenz darstellt, wie es beim Eckpunkt 3 sichtbar wird. Dieses Verb wird nämlich in einem anderen Kontext vorkommen - und zwar in einem späten Gedicht - geschrieben für Ilana Shmueli - wo Celan schreibt: „Sag, dass Jerusalem i s t“. 30 Ist das denn die Utopie einer Sinnproduktion, wo Jerusalem im Präsens des (Zeitworts) „Sein“, im Wort einer Liebes- und Gesprächspartnerin auferstehen kann? Dies bleibt eine unerfüllte Eventualität, die wohl im Jerusalem-Zyklus als Möglichkeit angedeutet. Es gibt aber auch das Gegenteil, in einem anderen Brief, den Celan an Max Frisch und implizit an Ingeborg Bachmann schickt: Er meint, es bleibe ihm sogar das Exodus-Gefühl versperrt; er sei nie „aus Ägypten“ zurückgekehrt. Er ist sozusagen in einem 28 Hier zitiere ich aus Und mit dem Buch aus Tarussa - als Beispiel für solche Bilder, die insbesondere im Band Die Niemandsrose häufig vorkommen. 29 Paul Celan an Petre Solomon, zit. nach George Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, Bucuresti 1990, S. 246. 30 Paul Celan an Ilana Shmueli, in: Paul Celan/ Ilana Shmueli: Briefwechsel, hg. von Ilana Shmueli/ Thomas Sparr, Frankfurt a. M. 2004, S. 45; vgl. auch DIE POLE, in: Paul Celan: Die Gedichte. Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hg. von Barbara Wiedemann, Frankfurt a. M. 2003, S. 362. 304 Camilla Miglio Zwischenraum steckengeblieben, so wie der Jäger Gracchus von Franz Kafka, nicht von ungefähr Celans Lieblingslektüre, und zwar eine, die laut vorgelesen wird - mit und für Ilana Shmueli. 31 Die verlorene Bukowiner Heimat - Kyrillisches - Wanderosten - Nicht-Osten - Jerusalem/ Ägypten: Dieser änigmatischen semantischen und geosemiotischen Konstellation geht der vorliegende Beitrag auf die Spur. Osten als Objekt-(W)Ort? Setzen wir wieder beim Europäischen Osten an. Er soll primär als Objekt-Ort bzw. für die ,referentielle‘, topografische Landschaft der Bukowina-Ukraine stehen. Hier tauchen die ersten Schwierigkeiten auf: In vielen Texten wird dieser Raum als Bildkomplex, aber kaum als Toponym erwähnt; er erweist sich eher als ein ,kulturelles‘ mental territory , eine verschollene Landschaft, in der „Menschen und Bücher lebten“ - mit einem klarem Hinweis auf die Buber’sche Neugründung der Mythen des jüdisch-jiddischen chassidischen Ostens. Von großer Bedeutung in Celans Dichtung ist das Zusammenfallen des konkreten historischen Bezugs mit der geographisch-kulturellen Figur, mit der Rhetorik und der Poetik. Sprachgitter - Raumgitter/ / Gedichte als Wortlandschaften/ Die neue Wortlandschaft/ dazu Sprachtabu/ / Erinnerung - anamnesis usw./ / Sprachräume/ / Das Gedicht hat Zeit und hat keine Zeit [Paul Celans Hervorhebung]. 32 Der historisch-geographische Osten, die Bukowina, ist als Zeichen der Unerreichbarkeit und Abwesenheit poetisch relevant. Diese Abwesenheit ist aber deutlich festgelegt, durch die Aufteilung der Bukowina nach dem 2. Weltkrieg, die Unüberwindbarkeit des Eisernen Vorhangs, den Konflikt mit dem Westen historisch bestimmt. Der Osten ist in mehrfacher Hinsicht eine ungastliche Nicht-Heimat, er ist ein Un-Wort, ein Un-Ort geworden. Immerhin zitiert Celan die Bukowina kaum direkt als geographischen Ort. Er lässt die figürlich-rethorisch-poetischen Aspekte aufleben, wo Geographie und Geschichte tief eingraviert sind, wie die Schrift auf einem Epigraph eingekerbt wird. 33 Bukowina ist das Brunnenland : Das Land der Brunnen, die noch heute zu tausenden auf dem Land um das heutige Černivci zu sehen sind, das metaphorisch das durchlässige Land ist, durchzogen von unterirdischen Wasserläufen, welche jederzeit bereit 31 Vgl. Celan/ Shmueli: Briefwechsel, S. 64. 32 Paul Celan: Der Meridian , S. 102. 33 „Das Gedicht, das du schreibst, ist Epigraphie“ schreibt Celan in einem Meridian -Entwurf, um es gleich darauf zu streichen; und fährt fort: „… die Sprache wird lapidar, das Gedicht hat den Charakter der […] Inschrift“; vgl. ebd. , S. 98. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 305 sind, hervorzusprudeln, um das Leben quellen zu lassen. Es ist das Buchenland: Die Deutschstämmigen aus dieser Gegend nannten ihr Deutsch „Buchenlanddeutsch“. Diesem alten Namen steht für Celan bereits ein ihm geltendes düsteres Schicksal eingeschrieben. Denn diese Bezeichnung deutet auf Buchenwald, den Todesort, an den die Grausamkeit der Geschichte genau auf einem Hügel gegenüber Weimar, Wiege des deutschen Humanitätsideals, angelegt hat. Bukowina ist aber auch das Kronland : das „Land der Krone“, das die Zugehörigkeit zur untergangenen österreich-ungarischen Identität unterstreicht, aber auch deutlich auf Celans Poetik der Wiederherstellung der Würde des Menschen anspielt, innerhalb des Komplexes der „Krone“ dessen, was königlich ist im Menschen, dessen Würde. Celan konzentriert sich auf die charakteristischen Aspekte der Landschaft: Bäume, Blumen, Spring- und Ziehbrunnen. Die Flüsse, das Meer (das Schwarze Meer), die sanfte Linie der Berge und Hügel, den Wind, den Schnee. In den weiter zurückliegenden Gedichten schlägt er den Ton der Lieder und Balladen sowohl der romantischen Tradition als auch der volkstümlich rumänischen an. Das Repertoire nimmt dennoch eine allegorische, beunruhigende Färbung an. Die Landschaft wird mit mütterlichen Attributen aufgeladen - allerdings nicht mit jenen des Mutterlandes, sondern des Muttertodes. Die evozierende und tröstende Kraft der Volkstradition wie auch der der regionalen Sprache wird schon in der frühen Dichtung Celans in Frage gestellt. Das Lied gibt weder die Mutter noch die Landschaft, in der sie lebte und getötet wurde, zurück. Es ist die Spur, die Gravur einer Landschaft von Zeichen, die ,Mütter‘ sein werden, Hervorbringerinnen von etwas Neuem, im Sinne einer Matrix. Winter (1942) Dran hängt zuweilen eine Rosenstunde. Verlöschend. Eine. Immer eine … Was wär es, Mutter: Wachstum oder Wunde - Versänk ich mit im Schneewehn der Ukraine. […] 34 Die Namen, die Landschaften mit ihren unparteiischen, botanischen Korrelaten funktionieren als beunruhigende loci , die nahe der traumatischen Gegend liegen, zwischen den Ruinen eines geographischen Theaters des Gedächtnisses. 35 Heimkehr (1955) Schneefall, dichter und dichter, Taubenfarben, wie gestern, Schneefall, als schliefst du auch jetzt noch. 34 Paul Celan: Das Frühwerk, hg. von Barbara Wiedemann, Frankfurt am Main 1989, S. 68. 35 Vgl. dazu Miglio: Vita a Fronte , S. 49-51. 306 Camilla Miglio Weithin gelagertes Weiß. Drüberhin, endlos, Die Schlittenspur des Verlorenen Darunter, geborgen, stülpt sich empor, Was den Augen so weh tut, Hügel um Hügel, Unsichtbar. Auf jedem, Heimgeholt in sein Heute, Ein ins Stumme entglittenes Ich: Hölzern, ein Pflock. 36 Die Schneebilder verweisen auf die Ukraine und assoziieren Tod und Gewalt. Spiegelbildlich verweisen die Wasserbilder auf die Bukowina, implizieren deshalb Leben und Wiedergeburt. Die Ukraine, die Bukowina: Gelände einer begrabenen Vergangenheit, wo eine von den Nazis gemeuchelte Mutter buchstäblich an den Ufern des Flusses Bug, in Transnistrien, im Schnee versinkt. Aber die Ukraine und die Bukowina sind keine zeitlich-räumlich verschiedenen Realitäten. Und gerade diese Mutter (Mutter Erde, Mutter und Erde) kommt wie das Wasser der Brunnentröge in der Bukowina zurück ins Leben, um dem Tod Körper und Gesicht zu geben und der Auslöschung, der Zerstörung ein Gegenüber im Wort entgegen zu setzen. Also muss der Sohn das Wort der Mutter sammeln, so wie es ist, kristallisiert, und es in den Vers fließen lassen. Auch das ist der Sinn der Ballade So bist du denn geworden 37 aus Mohn und Gedächtnis , die allerdings 1950 in Paris entstanden ist: „Du steigst in alle Brunnen,/ du schwebst durch jeden Schein.“ Das Mutterwort lebt durch die Stimme des Sohnes neu, des Sohnes, der ein verfremdetes Deutsch schreibt und ein fremdes Deutsch mit östlichem Einschlag spricht, ein Post-Habsburgisches, das man heute nicht mehr hört, außer in den Dokumentarfilmen von Volker Koepp. 38 Osten, oder Der Nicht-Westen Der Blick, den Celan in seinem Schreiben nach Osten wendet, verändert sich im Laufe seines lyrischen Schaffens. Diesbezüglich erweist sich ein Beispiel aus seinem Briefwechsel mit dem Jugendfreund Petre Solomon, den er 1957 nach fast 36 Celan: Die Gedichte, S. 94. 37 Ebd., S. 46. 38 Vgl. Volker Koepp: Herr Zwilling und Frau Zuckermann, Vineta Film, Berlin 1998; Ders.: Dieses Jahr in Czernowitz, Vineta Film, Berlin 2004. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 307 zehn Jahren Pause wieder aufnimmt und der die Enttäuschung über die westliche Welt schildert, als besonders aussagekräftig. Auf eine sehr dramatische Weise kommt hier die Wurzel des Unbehagens zum Ausdruck, das ihn in heftige Krisen stürzt, aus denen er sich in den letzten Lebensjahren kaum befreien wird. Er braucht das Vertrauen, die Authentizität der Freunde, eine Qualität, die er ihrem ,Nicht-westlich-Sein‘ zuschreibt: „Occidentaux […], c’est-à-dire des beaux mélanges de futurité, fourberie, venalité, bêtise.“ Die Plagiatsbeschuldigung, der er sich ausgesetzt sieht, spitzt seine Krisenmomente zu, welche die Sehnsucht nach dem Osten und seinen antiwestlichen Mythos nähren. Im Westen herrschen Doppelzüngigkeit, Falschheit und verschleierte antisemitische Intrige. Die Erinnerung an die gemeinsamen Ausflüge mit Salomon in die Karpaten leuchtet, die verschlüsselten Anspielungen auf die gemeinsamen Erlebnisse durchziehen die Gedichte: Page 68 de „Atemwende“, c’est quelque chose comme l’anamnèse de Mangalia; page 79 - les bisons romains aperçus par Rosa Luxemburg à travers les barreaux de sa prison convergent avec trois mots du Médecin de Campagne de Kafka - et avec ce nom: Rosa. Je coagule, l’essai de faire coaguler - Paris, où est-ce ? 39 Aus diesem Brief ist ein wichtiger Hinweis auf Poetik und Methode zu entnehmen. Der Dichter Celan versucht, verschiedene Räume und Zeiten „gerinnen zu lassen“. Der Mythos Bukowina-Bukarest-Europäischer Naher Osten materialisiert sich in dem Traum, sich wieder der rumänischen Dichtung zuzuwenden, die er über Jahre hinweg aufgrund der Wechselfälle des Schicksals vernachlässigt hat. Celan möchte es wieder gutmachen, vielleicht mit einer Anthologie der rumänischen Dichtung. Diese wird aber nie das Licht erblicken. Für Celan ist Osten hier das Wort, das Nicht-Westen bedeutet. Diese zweite Bedeutung gewinnt mehr und mehr an Gewicht, je länger die Schatten werden, die das Anlanden im Westen wirft, die Zeichen der Verzweiflung. Der breitere Osten und seine geo-grafische Über-setzung Die Re-konfiguration des heimatlichen Ostens in seinem Werk, als Dichter und Übersetzer, wird eher in den Mandel’ š tam-Übersetzungen, und in alledem, was er „Kyrillisches“ nennt, sichtbar. Drei Gedichte, alle aus Niemandrose , wären in diesem Kontext zu erwähnen: Es ist alles Anders 40 , wo das imaginäre re-mapping eines Mutterlandes bzw. Land der Mutter mit der geografischen, performativ-kör- 39 Paul Celan an Petre Solomon, zit. nach Gutu: Die Lyrik Paul Celans und der geistige Raum Rumäniens, S. 251. 40 Celan: Die Gedichte, S. 162 ff. 308 Camilla Miglio perlichen und poetischen Übersetzung aus der Sprache, aus der Landschaft, aus der Dichtung und aus dem Leben Osip Mandel’štams geschieht; Und mit dem Buch aus Tarussa , wo die geografische Übersetzung aus der Gegend des Flusses Oka, nord-östlich der Bukowina, und die biografische und poetische Übersetzung Marina Cvetaevas zusammentreffen; 41 und schließlich Hüttenfenster , 42 wo die Gegend von Witebsk und der exilierte Künstler Marc Chagall die geographische und poetische Übersetzungsbewegung im Gedicht mitkonfigurieren. Celans Vorstellung eines breiteren, weiteren, auch slawischen Ostens, der sich mit der jüdischen und jiddisch-sprechenden Diaspora kombiniert, kann mit dem „Blick nach Osten“ anderer Autoren, wie Joseph Roth oder Franz Kafka, verglichen werden. Mit verschiedenen Abweichungen kann man bei jedem dieser drei Autoren die Haltung feststellen, die Philippe Jaccottet in seinem Essay A partir du mot Russie 43 erkennt, nämlich, dass das Wort den Ort tatsächlich generiert. Einen Ort, der wiederum nicht in stabilen Grenzen topographisch lokalisierbar ist. So kehrt Franz Tunda, Protagonist der Flucht ohne Ende von Joseph Roth, Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg und früherer Bürger des Habsburgerreiches, als „Russe“ in den Westen zurück. Die Beziehung Kafkas zur jiddischen Welt ist auch als eine weitere Spielart dieses Bedürfnisses zu lesen, auf der Suche nach der Ursprünglichkeit der Herkunft, immer weiter Richtung Osten imaginativ zu blicken 44 . Auch Celan erzeugt eine Sinn-Raum-Einheit punktuell, wie man z. B. aus der Schlussstrophe von Hüttenfenster herauslesen kann: - ein Atem? ein Name? Geht im Verwaisten umher, tänzerisch, klobig, die Engelsschwinge, schwer von Unsichtbarem, am wundgeschundenen Fuß, kopflastig getrimmt vom Schwarzhagel, der auch dort fiel, in Witebsk, - und sie, die ihn säten, sie schreiben ihn weg mit mimetischer Panzerfaustklaue! -, 41 Ebd., S. 164 ff. 42 Ebd., S. 157 ff. 43 Philippe Jaccottet: A partir du mot Russie, Paris 2002. 44 Vgl. Dieter Lamping: Von Kafka bis Celan: jüdischer Diskurs in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts, Göttingen 1998. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 309 geht, geht umher, sucht, sucht unten, sucht droben, fern, sucht mit dem Auge, holt Alpha Centauri herunter, Arktur, holt den Strahl hinzu, aus den Gräbern, geht zum Ghetto und Eden, pflückt das Sternbild zusammen, das er, der Mensch, zum Wohnen braucht, hier, unter Menschen, schreitet die Buchstaben ab und der Buchstaben sterblichunsterbliche Seele, geht zu Aleph und Jud und geht weiter, baut ihn, den Davidsschild, läßt ihn aufflammen, einmal, läßt ihn erlöschen - da steht er, unsichtbar, steht bei Alpha und Aleph, bei Jud, bei den andern, bei allen: in dir, Beth, - das ist das Haus, wo der Tisch steht mit dem Licht und dem Licht. 45 oder wie in Es ist alles anders steht: Wie heißt es, dein Land Hinterm Berg, hinterm Jahr? Ich weiß, wie es heißt. Wie das Wintermärchen, so heißt es, es heißt wie das Sommermärchen, das Dreijahreland deiner Mutter, das war es, 45 Celan: Die Gedichte, S. 157ff. 310 Camilla Miglio das ists, es wandert überallhin, wie die Sprache, wirf sie weg, wirf sie weg, dann hast du sie wieder, wie ihn, den Kieselstein aus der Mährischen Senke, den dein Gedanke nach Prag trug, aufs Grab, auf die Gräber, ins Leben, längst ist er fort, wie die Briefe, wie alle Laternen, wieder Mußt du ihn suchen, da ist er, klein ist er, weiß, um die Ecke, da liegt er, bei Normandie-Njemen - in Böhmen, da, da, da, hinterm Haus, vor dem Haus, weiß ist er, weiß, er sagt: Heute - es gilt: Weiß ist er, weiß, ein Wasser- Strahl findet hindurch, ein Herzstrahl, ein Fluß, du kennst seinen Namen, die Ufer hängen voll Tag, wie der Name, du tatest ihn ab, mit der Hand: Alba. 46 Hier entsteht - als Textgewebe, als Wortlandschaft - ein „Hier und Jetzt“, wo man jemanden, etwas, das es nicht mehr gibt, antreffen kann. Auf dem fruchtbaren, generativen, zeugungsfähigen und erzeugenden Territorium der Sprache entsteht auf diese Weise der Ort, an dem eine Art Wiedergeburt, die sich im östlichen Wort schlechthin: „Alba“ kristallisiert, möglich erscheint. Bei Celan öffnet sich hier die Möglichkeit, einen „Dritten Raum“ zu „besetzen“. 47 Hier produziert Celan Freiheits- und Integritätsmetaphern, ein typisches Phänomen dessen, was sich als innereuropäischer Orientalismus bezeichnen ließe. Es handelt sich dabei um einen Orientalismus, der sich auf eine edenische Herkunft, auf das gelobte und verlorene Land, hinspannt. Der europäische Osten überlagert sich mit einem Wunsch-Ort der messianischen Wiedervereinigung, 46 Celan: Die Gedichte, S. 162f. 47 Vgl. Lorella Bosco: Tra Babilonia e Gerusalemme: scrittori ebreo-tedeschi e il “terzo spazio”, Milano 2012. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 311 der - als das Gegenteil von Exil - dem authentischen, von der Bibel inspirierten Zustand des Menschen - gleichkommt. Die Zugehörigkeit zu den Werten des Ostens wird bei Celan immer gebrochener zu Wort kommen. In diesem Zusammenhang ist die Besinnung auf den Osten als mystische Figur in seiner späten poetischen Reflexion einzuordnen. Im Bahir konnte Celan über Scholems Übersetzung dem „Osten der Welt“ begegnen, wo die Herkunft der Saat Israels zu finden ist („Vom Osten bringe ich deinen Samen herbei“ , Is. 43,5). Das Bahir, das älteste unter den Büchern der jüdischen Mystik, das noch die Spuren seiner exotischen und östlichen Herkunft bewahrt, beschäftigt sich nämlich mit der Frage des Bösen, d. h. der Zerstreuung des Samens Israels. Der Autor des Bahirs [§. 105] fragt sich: „Was bedeutet der Vers: vom Westen her sammle ich euch (Is. 43, 5)? “ Der Westen ist nach der Interpretation des Bahirs der Ort, an dem sich jeglicher Samen vermischt. 48 Celan stellt die Dichtung des Ursprungs in Frage, und schont dabei auch den jüdischen Ur-Mythos des Ostens nicht. Als Beispiel kann man folgendes Gedicht erwähnen: Die freigeblasene Leuchtsaat, in den unter Weltblut stehenden Furchen. Eine Hand mit dem Schimmer des Urlichts wildert jenseits der farnigen Dämme: als hungerte noch irgendein Magen, als flügelte noch irgendein zu befruchtendes Aug. 49 Bei Celan wird die dekonstruktive Arbeit an den Topoi des Ostens im topografischen, topologischen und tropologischen Sinn immer tiefer. Im Unterschied zum jungen Celan, dem Leser und Übersetzer der Klagen von Yehuda Halevy und dem Deuter - schon in dieser frühen Phase - der antiken Diaspora-Vorstellung, 48 Zit. aus der ital. Ausgabe: Sefer-ha-bahir. Il libro fulgido, in: Giulio Busi/ Elena Loewenthal (Hg.): Mistica Ebraica. Testi della tradizione segreta del giudaismo dal III al XVIII secolo, 2. Auflage, Torino 1999, S. 192. Meine Übersetzung. 49 Celan: Die Gedichte, S. 252; vgl. darüber Enrico Tatasciore: La critica del Cabalismo scholemiano attraverso la riscrittura poetica: cinque poesie di “Fadensonnen“, in: Camilla Miglio (Hg.): Il demone a vela. Traduzione e riscrittura tra didattica e ricerca, Napoli 2006, S. 185-242. 312 Camilla Miglio glossiert der späte Celan den Bahir „in Poesie“ - also mittels der Dichtung. Seine Interpretation, die sich begrifflich aus Scholems Version speist, nimmt sich durch ihren zunehmend bitteren Ton aus. Celans Sarkasmus ist die desillusionierte Haltung desjenigen, der sich dem Westen (dem Boden der Zerstreuung, des Chaos, der Neumischung) gegenübergestellt sieht, dem aber der utopische Osten (die Erde des göttlichen Lichtes, das sich eintrübt, verschwindet) zugesperrt ist, weil er „nie aus Ägypten ausgezogen“ 50 ist. Er kann, darf vielleicht nicht sagen, dass Jerusalem „i s t“. Doch bleibt sein Osten durch seine Dichtung mit Jerusalem verwoben. Ein fernerer Osten? Was bedeutet es, Celan sei „nie aus Ägypten ausgezogen“ Es gibt eine weitere Dimension in Celans Werk, die als eigenartiger, paradoxer Orientalismus eingestuft wird, und mit der Verwendung des Substantivs, des Bildes und der Landschaft von „Ägypten“ einhergeht. In einem Brief an Max Frisch schrieb Celan, dass er sich nicht erinnern könne, jemals aus Ägypten (nach dem Exodus) herausgekommen zu sein, das heißt, er habe das Gelobte Land nie erreicht, er sei immer noch und immer wieder in der Wüste, im Exil oder in einer anderen Heimat unterwegs. Die orientalische Ortbezeichnung ,Ägypten‘ erhält daher eine a-topische Qualität, die mit dem Ort „Osten“ verglichen werden soll. Celan schreibt an Max Frisch am 15.4.1959, aus Paris: Ich werde nun doch nicht schon nächste Woche kommen können, sondern erst übernächste, denn ich bin soeben an eine […] Neffenpflicht [erinnert worden], an mein vor Monaten gegebenes Versprechen, zu den jüdischen Ostern nach London zu fahren, zu einer alten Tante, und nun werde ich, obwohl ich mich keineswegs erinnere, jemals aus Ägypten ausgezogen zu sein, dieses Fest feiern, in England, bei meinen Verwandten […] 51 Zu diesem Briefausschnitt hat Giorgio Agamben bemerkt, wie der letzte Satz über Ägypten ein implizites Unmögliches, ja Undenkbares, „über die Lage des Judentums (und Celans) überhaupt“ beinhalte: Celan situiert sich als Jude in Ägypten, also vor und jedenfalls außerhalb jenes Exodus des jüdischen Volkes aus Ägypten unter Moses Führung, der vom jüdischen Ostern 50 Paul Celan an Max Frisch, am 15. April 1959, in: Ingeborg Bachmann/ Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel, hg. von Hans Höller/ Barbara Wiedemann, Frankfurt am Main 2008, S. 165. 51 Ebd. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 313 jährlich in Erinnerung berufen und gefeiert wird. Es handelt sich um etwas viel Radikaleres als ein Eingedenken der Galut. Celan stellt sich bei einem Judentum ohne Moses und ohne Gesetz. Er ist in Ägypten geblieben. Unklar bleibt mit welcher Rolle, ob als Gefangener, ob Sklave, ob freier Mensch. Sicher ist, dass er keinen anderen Wohnsitz kennt als Ägypten. (…) Wer in Ägypten geblieben ist, kann nicht einmal Jerusalem, Davids Stadt, als Heimat betrachten 52 . Für Celan ist „Ägypten“ überall (in Czernowitz, Wien, Paris, London, und sogar in Jerusalem). Das weiß er, und auch seine Freundin Ilana Shmueli. Er kann nicht „dazu gehören“, selbst als er von ihr, seiner letzten, intensiven Liebe, nach Jerusalem begleitet wird. Ägypten ist daher eine Atopie, ein Ort vor und außerhalb aller Diskurse über Exil, Diaspora und / oder Heimkehr. Celans Bar mizwa -Name ist nicht zufällig Pesach. Er selber i s t Pesach in Ägypten. Unmöglich, aus sich selbst herauszugehen. Er wird am Pesach-Tag in die Seine gehen, aus dem Leben heraus ins Wasser. Nur in diesem Ägypten, in diesem unmöglichen Osten kann er seine Liebe zu der „Fremden“ Ingeborg Bachmann situieren. Sein erster Liebesbrief an sie besteht nämlich aus dem Gedicht In Ägypten . Und Ingeborg Bachmann wird mehrmals in ihren Briefen auf diese östliche Suggestion, ja auf diesen orientalischen Bann reagieren, indem sie am 24.6.1949 von Wien nach Paris schreibt: ja es ist so, ich hab Dich lieb, ich hab es nie gesagt damals. Den Mohn hab ich wieder gespürt, tief, ganz tief, Du hast so wunderbar gezaubert, ich kann es nie vergessen. Manchmal möchte ich nichts, als weggehen und nach Paris kommen, spüren, wie du meine Hände anfasst, wie Du mich ganz mit Blumen anfasst und dann wieder nicht wissen, woher Du kommst und wohin Du gehst. Für mich bist Du aus Indien oder einen noch ferneren, dunklen, braunen Land, für mich bist Du Wüste und Meer und alles was Geheimnis ist 53 . Man sieht hier, wie der Orient-Diskurs mit dem Liebesdiskurs verwoben ist. Sogar der Mohn ist eine östliche Blume, und zwar die Blume der östlichen Poesie (man denke an die Persische Tradition der Ghazelen - an Hafis u. a. - wo die Blume Laleh , bzw. wilder Mohn mit Wind, Erotik und Freiheit assoziiert wird). Wenn Celan „in Ägypten“ stecken geblieben ist, hat er keine Erfahrung des Exodus und des gelobten Landes machen können. Erst ein ,Gegenüber‘, bzw. eine Ansprechpartnerin, eine Liebesbriefpartnerin, kann ihn darin bestätigen, 52 Giorgio Agamben: Pasqua in Egitto, in: Id.: Il fuoco e il racconto, Roma 2014, S. 76. Meine Übersetzung. 53 Bachmann/ Celan: Herzzeit, S. 11. 314 Camilla Miglio dass die Utopie möglich ist, ja sagen, dass Jerusalem „i s t“. Ihr Name ist Ilana Shmueli 3.12.1967 DU SEI WIE DU, immer. Stant up Jherosalem inde erheyff dich Auch wer das Band zerschnitt zu dir hin, inde wirt erluchtet knüpfte es neu, in der Gehugnis, Schlammbrocken schluckt ich, im Turm, Sprache, Finster-Lisene, kumi ori 54 . Das ist das erste Gedicht, das Celan für Ilana Shmueli schreibt. Wie bei Bachmann, handelt es sich hier um einen Liebesbrief, der sich als Gedicht gestaltet, und der zugleich als Markstein in seiner Dichtung steht. In Meister Eckharts Sprache und mittelhochdeutscher Übersetzung von Jesaja 60, 1 heißt es: „Steh auf, Jerusalem, und erhebe dich“ - und im weiteren Verlauf, wie bei Eckhart auch (bei Celan wird der Satz als Vers angeführt) „und werde Erleuchtet“. Eckhart spricht darüber hinaus von den drei Seelenkräften: „De eirsten craft is gehochnysse, de ment eyne heymeliche, verborgen konst“ („Die erste Kraft ist Gedächtnis, womit ein geheimes, verborgenes Wissen gemeint ist“). Josef Quint, der Herausgeber von Meister Eckharts Predigten, leitet den Begriff von „Gehugnisse“ (Gedächtnis) ab. Und Celan hat in seinem Eckhart-Exemplar viele Lesespuren hinterlassen 55 . Kumi ori ist in hebräischer Sprache der Anfang von Jesajah, 60, 1: „Erhebe dich, leuchte“, der in der Jerusalemer Bibel: „Auf, werde Licht“ heißt. Celan situiert also seine Liebe zu Ingeborg Bachmann in ‚Egypten‘, und die Liebe zu Ilana Shmueli im ‚Orient‘ (im etymologischen Sinn, aus dem lateinischen Verb orior , „aufstehen“, in Zusammenhang mit dem „Werden“ des Lichts, mit der Erleuchtung). Auch in einem anderen Gedicht aus dem Jerusalem-Zyklus, das mit der Angabe „Paris 21 Okt 1969“ versehen ist, spielt die östliche Himmelsrichtung eine wichtige Rolle: 54 Celan/ Shmueli: Briefwechsel, S. 9. 55 Vgl. Thomas Sparrs Kommentar, ebd., S. 188-189. „l’Est - Il y est! “ / „Jerusalem ist“? Paul Celans geopoetischer Osten 315 Die Glut Zählt uns zusammen Im Eselsschrei vor Absalom Grab, auch hier, Gethsemane, drüben, das umgangene, wen überhäufts? Am nächsten der Tore tut sich nichts auf, über dich, Offene, trag ich dich zu mir. 56 Als „Absaloms Grab“ wird in Jerusalem eine Grabanlage im Kidron-Tal im östlichen Teil der Stadt bezeichnet. Gestsemane liegt auch am östlichen Hang des Kidron-Tals. Das Tor des Erbarmens, oder der Barmherzigkeit ( sha’ar ha-rachamim ) der Jerusalemer Stadtmauer, im Osten oberhalb des Kidrontals, auch das goldene Tor genannt, ist zugemauert und soll nach der Überlieferung erst beim Eintreffen des Messias geöffnet werden. 57 Absalom ist daher - wie Celan - auch einer, der steckengeblieben, hängengeblieben ist. Einer, der nicht (mehr) flüchten konnte, nicht mehr den ex-odos , den Weg ins Freie finden durfte. Einer, der in einem Un-Ort gefangen geblieben ist. Schluss. Un-Osten Wir sind dem Wortkomplex Osten - vom ‚objektiven‘ Ort Bukowina bis zum semiotischen Ort Mutter-Heimat - mit Celan nachgegangen. Dieser Weg hat Diskurse über Mutter-Sprache, Kyrillisches, neue Landkarten, Meridianen ausgelöst. Wir sind den Raum der osteuropäischen Diaspora durchgegangen, der sein geopoetisches Wort ,produziert‘, indem er auch ihresgleichen als Gesprächspartner, als ,Gegenüber‘ gesucht und interdiskursiv wiedererweckt hat (man denke etwa an Mandel’štam, Cvetaeva, Chagall). In Celans poetischer und privater Schreibpraxis finden Erotik und Liebe ihre Orte im Lichte der Unmöglichkeit: in „Ägypten“ (mit der „fremden“, jüdisch reterritorialisierten Ingeborg Bachmann), und in „Jerusalem“ (mit der heimischen, deterritorialisierten Ilana, die ihren Weg vom europäischen Osten nach Israel gegangen ist, und zu ihm, nach Westen nicht ganz kommen kann). Aber Paris, im Westen, soll Celans letzte Station bleiben: sein Un-Ort, sein Un-Osten, sein Un-Ostern. 56 Ebd., S. 16. 57 Vgl. ebd., Thomas Sparrs Kommentar, S. 191-192. „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ Symptomatik des Orientalismus im Werk Elias Canettis Giulia A. Disanto In den imaginären, stets kulturell geprägten Geographien, die in der Beschreibung von Schauplätzen eines literarischen Werkes Ausdruck finden können, sind die Achsen Nord-Süd und Ost-West von primärer Relevanz. So wurde bekanntlich u. a. für Autoren wie Goethe und Thomas Mann der Süden als Antipode der nordischen Heimat zum Inbegriff der Sehnsucht und der Kunst. Zudem machte Goethe mit dem West-Östlichen Divan das europäische Publikum mit der Welt des orientalischen Mittelalters vertraut, während Thomas Mann gewichtige Vorbilder in der russischen sowie französischen Erzähltradition fand. Für viele andere Autoren ist besonders die Gegenüberstellung von Ost und West von Belang. Dies gilt insbesondere für die deutsch-jüdische Literatur, wie eine breite literarische Tradition bezeugt, die von Heinrich Heines Bericht Über Polen (1823) über Aus Halb-Asien (1876) und den im selben Jahr erschienenen Die Juden von Barnow von Karl Emil Franzos bis hin zu Alfred Döblins Reise in Polen (1925) sowie Joseph Roths Juden auf Wanderschaft (1927) und Hiob. Roman eines einfachen Mannes (1930) führt. 1 Beide Oppositionen mögen utopisch oder ideologisch überladen sein, wie Canetti nicht ohne Ironie in der Beschreibung des „Keifers“ (und Journalisten) Abul Khattib hervorhebt: Der Keifer. Abul Khattib verkündet Gott. Er sitzt hier unter uns anderen, verwirrten Sprößlingen des Westens und keift täglich hundertmal: „Der Osten! Der Osten! “ […] Aber wirklich er selbst ist er nur, wenn er von den spirituellen Werten des Ostens keift. Man fragt sich, was er tun würde, wenn es Ost und West nicht gäbe. Er müßte sich dann auf Süd und Nord umstellen. […] Oft keift er verständlich, wenn er von der bitteren Armut seiner Leute zu Hause spricht. Dann vermutet man sogar Mitgefühl 1 Vgl. Itta Shedletzky: Ost und West in der deutsch-jüdischen Literatur von Heinrich Heine bis Joseph Roth , in: Mark H. Gelber et al. (Hg.): Von Franzos zu Canetti. Jüdische Autoren aus Österreich. Neue Studien, Tübingen 1996, S. 189-200. 318 Giulia A. Disanto hinter seinen Worten. Es klingt immer als Anklage gegen den reichen Westen. Da man weiß, wie recht er hat, fühlt man sich schuldig. Man fühlt sich schuldig, weil man hier lebt und es einem viel zu gut geht. Aber sehr bald verläßt er diese materiellen Niederungen und springt über zu Gott und den spirituellen Werten. Wenn er „Gott“ sagt, keift er am meisten. Man versteht dann nie recht, ob er den Zustand des Ostens auf die Gottlosigkeit des Westens oder die des Ostens selbst zurückführt. 2 Elemente einer Symptomatik des Orientalismus - mit Orientalismus ist hier eine europäisch zentrierte Auseinandersetzung mit dem Orient und die daraus folgende ästhetische Verarbeitung durch wiederkehrende Orientbilder gemeint - überlagern sich auch im Werk von Elias Canetti, Schriftsteller jüdischer Abstammung und Weltbürger, der in der osteuropäischen Stadt Rustschuk (Bulgarien) geboren wurde und in seiner literarischen Wahlsprache Deutsch beheimatet war. Sollen Canettis Anschauungen über den Orient mit seinem allgemeinen ethnologischen Interesse in Verbindung gesetzt werden, gelten aus meiner Sicht die Aufzeichnungen nach der Marokkoreise als Paradebeispiel der Orientalismusproblematik, wie sie sich später im Rahmen der von Eduard Said entscheidend geprägten Diskussion definieren lässt. In der vorliegenden Untersuchung sollen dementsprechend Canettis Bild bzw. Bilder des Orients dargestellt und diskutiert werden, wobei der Reisebericht Die Stimmen von Marrakesch. Aufzeichnungen nach einer Reise ins Zentrum der Analyse gerückt ist. Zuerst ist zu bemerken, dass die Orientalismusfrage im Werk und im Denken Canettis vom Thema seiner jüdischen Identität nicht zu trennen und tief in der familiären Erziehung verwurzelt ist. Lebenslang hat Canetti, nicht zuletzt aufgrund eines ausgesprochenen Freiheitsdrangs, sowohl die Zugehörigkeit zu den literarischen Bewegungen des Jahrhunderts als auch jegliche erkennbare Mitgliedschaft im Judentum oder auch im Christentum verweigert. Er entwickelte aber eine Art privater Religion, die auf dem Tötungsverbot basierte und in der die Worte „Verbotsbereitschaft“, „Menschenliebe“ und „Versöhnlichkeit“ eine zentrale Rolle spielten. 3 Canetti ist ein Beispiel für das, was Martin Bollacher ausdrücklich in Bezug auf diesen Autor den „postreligiösen Status des Menschen“ 4 nennt: „Das Jenseits ist in 2 Elias Canetti: Nachträge aus Hampstead. Aus den Aufzeichnungen 1954-1971, Frankfurt a. M. 1995, S. 190f. Aufzeichnung aus dem Jahr 1971. 3 Vgl. Helmut Göbel: Elias Canetti, Reinbek bei Hamburg 2005, S. 32f. 4 Martin Bollacher: „Spaniole“ und „deutscher Dichter“. Elias Canettis Verhältnis zum Judentum, in: Heinz Ludwig Arnold (Hg.): Elias Canetti, in: TEXT + KRITIK 28 (2005), S. 92: „Die über sich selbst nur unzureichend aufgeklärte Aufklärung mündet nach Canetti in eine radikale Diesseitigkeit, in der die Macht der transzendenten Religion einer immanenten Religion der Macht gewichen ist. […] In einer um alle supranaturalen Bezüge „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ 319 uns: eine schwerwiegende Erkenntnis, aber in uns ist es gefangen. Dies ist die große und unlösbare Zerklüftung des modernen Menschen. Denn in uns ist auch das Massengrab der Geschöpfe“. 5 Trotz der entschlossenen Verweigerung jeglicher Ideologiesysteme und Glaubensbekenntnisse ist die westlich konnotierte kulturelle Identität des europäischen Kosmopoliten Canetti in besondere Weise von seiner jüdischen Herkunft geprägt. Canetti war nämlich kein „deutscher“ oder aschkenasischer Jude, sondern er gehörte der sephardischen Gemeinde des Osmanischen Reiches an, die sich in der altspanischen Sprachvariante des Ladinos ausdrückte. Er verbrachte seine Kindheit in der Vielvölkerkultur der bulgarischen Stadt Rustschuk, die donauabwärts in Richtung Varna, auf das Schwarze Meer, gen Osten blickte und sich donauaufwärts an der Wiener Kultur orientierte. Das Deutsche hatte sich damals als Bildungssprache durchgesetzt und wurde außerdem von seinen Eltern als eine Art intime Geheimsprache gebraucht, mit der sie die Kinder aus einigen Gesprächen ausschlossen. Und als Elias Vater frühzeitig starb, übernahm er selbst als erstgeborener Sohn konkret und affektiv die Rolle der ersten deutschsprachigen Bezugsperson der Mutter. Sie brachte ihm die deutsche Sprache mit Strenge bei, so dass das Deutsche vom Autor als eine „spät und unter wahrhaftigen Schmerzen eingepflanzte Muttersprache“ beschrieben wird. 6 Der junge Canetti, mit dem jüdischen Vornamen Elias, bekam keine richtige Erziehung in den religiösen Gebräuchen, er wurde - wie er selber erzählt - erst über das künstlerische Werk Michelangelos zu den Propheten geführt (GZ, 317). Der Großvater väterlicherseits versuchte, ihn in die Praxis der jüdischen Religion einzuführen, die Mutter unterstrich dagegen, Shakespeare und Schiller seien wichtiger (GZ, 103 und 132). Nach seinen ersten Jahren in Rustschuk beginnt für Canetti eine Zeit von ruhelosen Umzügen, denen das Exil später folgen soll. Er bleibt jedoch innerhalb der Grenzen Europas, die er erst im März 1954 verlässt, als er als Begleiter eines englischen Filmteams drei Wochen nach Marokko fährt. Infolge ihrer Ausweisung aus Spanien im Jahre 1492, die auch Canettis Vorfahren in die Emigration trieb, siedelten sich die spanischen Juden u. a. in Marokko an. Insofern bietet verkürzten Innerweltlichkeit unterliegen auch die religiösen Mythen dem Prozess der Säkularisierung und Immanentisierung und konfrontieren den Menschen mit seinem eigenen Aggressionspotenzial und dem Erschrecken über die ,Fleischheit des Fleisches‘ [Canetti, Masse und Macht ].“ 5 Elias Canetti: Die Provinz des Menschen. Aufzeichnungen 1942-1972, Frankfurt a. M. 1976, S. 218. 6 Elias Canetti: Die gerettete Zunge. Geschichte einer Jugend, Frankfurt a. M. 1979, S. 90. Nachfolgend zitiert als GZ mit Seitennummer. 320 Giulia A. Disanto ihm die Reise die Gelegenheit zu einer Konfrontation mit den eigenen jüdischen Wurzeln. Das Wort „Europa“ verbindet der Schriftsteller mit der Erinnerung an das letzte Gespräch mit seinem früh gestorbenen jungen Vater. Kurz vor einem Herzanfall ist Jacques Canetti dabei, dem jüngeren Bruder Elias die englische Adresse der Familie beizubringen. Der anwesende Elias beendet die Zusammenstellung der Adressteile mit dem Wort „Europe“ (GZ, 61). Damit unterstreicht er, dass die Familie jetzt fernab vom als östlich empfundenen Rustschuk ist. Obwohl Canettis Erinnerung an die Heimatstadt der Kindheit einerseits positiv ist - er beschreibt Rustschuk als „eine wunderbare Stadt für ein Kind“ (GZ, 10) -, ist sein Eindruck von der Stadt andererseits auch ambivalent aufgrund des ihm vermittelten Familienstolzes und des innerhalb des sephardischen Milieus kultivierten Hochmuts gegenüber der aschkenasischen Kultur der Ostjuden und der Nicht-Juden. Canetti ist in seinen universalistischen und humanistischen Überzeugungen, die wie ein kritischer Spiegel europäischer Ideengeschichte aus seinen Schriften hervortreten, zweifellos ein Kosmopolit. Er schreibt auf Deutsch, ist in der englischen Kultur zuhause, wählt die Schweiz als Wohnort, und findet ein positives Idealbild von Zivilisation nur im Fernen Osten, vornehmlich in der chinesischen Kultur. Im Fall Canettis ermöglichen ihm gerade seine sephardischen Wurzeln, sich als „westlich“ zu erkennen. 7 Schließlich mag Canetti im jüdischen Schicksal der Wanderschaft, das er als zentrales Massensymbol des jüdischen Volkes interpretiert und das sich in seiner individuellen Lebensgeschichte widerspiegelt, eine Voraussetzung zu seiner Poetik der Verwandlung gefunden haben. Der lange Zeit als Nebenwerk in der gesamten literarischen Produktion Canettis betrachtete Reisebericht Die Stimmen von Marrakesch , 8 der erst 1968 als Buch in der „Reihe Hanser“ veröffentlicht wurde und als Teil des autobiografischen Korpus des Autors zu betrachten ist, rückt erst mit dem gesteigerten 7 Vgl. Irene Stocksieker Di Maio: Space in Elias Canetti’s Autobiographical Trilogy, in: Dagmar C.G. Lorenz (Hg.): A Companion to the Works of Elias Canetti, Rochester NY 2004, S. 175-197, hier S. 178f.: „Canetti had negative received notions of the ,Oriental‘ that he learned to question but which still linger in the text. Oriental signifies a slow pace, indolence, and backwardness. This negative concept of the Oriental was prevalent in his immediate and extended family. Young Canetti easily assimilated his family’s mindset that opposed backward Oriental Roustchouk to modern, enlightened Europe. […] Canetti draws a distinction between his Sephardic heritage, which he calls Spanish or ,spaniolisch‘ (the German equivalent for Ladino), implicitly making it Western, and his roots in the Balkans and Turkey, which he calls Oriental.“ 8 Vier Kapitel ( Brote , Erzähler und Schreiber , Begegnung mit Kamelen und Der Unsichtbare ) waren 1956 in der Zeitschrift „Wort in der Zeit“ veröffentlicht worden, zudem erschienen die letzten zwei davon 1962 in der Anthologie Welt im Kopf (vgl. Sven Hanuschek: Elias Canetti. Biographie, München/ Wien 2005, S. 528). „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ 321 Interesse der 80er Jahre für die Reiseliteratur wieder ins Zentrum der literaturwissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Der Text spielt aber eine Schlüsselrolle in der gesamten Produktion des Autors, denn mit der Verschriftlichung seiner Reisewahrnehmungen in Marokko unmittelbar nach der Rückkehr aus diesem Land löst sich eine Schreibblockade. Die Reise findet während der langen Arbeit an dem großen Essay Masse und Macht statt, in einem Moment, in dem das Studium der ethnographischen Quellen und die gesamte Arbeit an Canettis zentralem Buch stocken. Es hat sich auch hier, seit ich zurück bin, nichts verwischt. Es nimmt alles an Leuchtkraft noch zu. Ich glaube, durch eine einfache Darstellung des Gesehenen, ohne jede Veränderung, Erfindung, Übertreibung, kann ich etwas wie eine neue Stadt in mir erbauen, in der das stockende Buch über die Masse wieder gedeihen wird. Es ist mir nicht um das Unmittelbare zu tun, das ich jetzt niederzuschreiben gedenke, sondern nur um eine neue Grundlegung: einen anderen, unerschöpften Raum, in dem ich sein darf; einen neuen Atem, ein ungenanntes Gesetz. 9 Wie schon erwähnt wurde, führt die Reise den Autor zu einer der östlichen Hauptsiedlungen des spaniolischen Judentums. Unter den vielen möglichen Auslegungen kann die Reise als eine Suche nach dem eigenen Ursprung gelesen werden, genauso wie Canettis Gesellschaftsstudium Masse und Macht in der Definition von Ritchie Robertson „eine Suche nach Ursprüngen“ wird. 10 Die Erzählung ist voll von Ambivalenzen, von westlichen Stereotypen, von kritischen Stellen, die mehr oder weniger ein typisches Postkartenbild des Landes schaffen, z. B. wenn Canetti schreibt: „Männer mit Turbans auf dem Haupte gingen geschäftig und doch ruhig unter ihnen umher, es war ein Bild des Friedens und der Dämmerung.“ 11 Die kritische politische Situation eines Landes, das in jenen Jahren um die Unabhängigkeit vom französischen Kolonialismus kämpft, wird hingegen im ganzen Bericht kaum angesprochen. Am Anfang des Textes stellt sich der Erzähler als ein Reisender vor, der sich der fremden Kultur völlig öffnen möchte, und sich deshalb vor der Reise nicht über das Land informiert und nicht versucht, dessen Sprache zu verstehen, damit keine Vorurteile die unmittelbare Wahrnehmung der Stimmen verderben 9 Canetti: Die Provinz des Menschen, S. 196. 10 Ritchie Robertson: Canetti als Anthropologe, in: Michael Krüger (Hg.): Einladung zur Verwandlung. Essays zu Elias Canettis „Masse und Macht“, München/ Wien 1995, S. 193. 11 Elias Canetti: Die Stimmen von Marrakesch. Aufzeichnungen nach einer Reise, Frankfurt a. M. 1980, S. 8. Das Werk wird nachfolgend als SM mit Seitennummer zitiert. 322 Giulia A. Disanto können. 12 Dafür verständigt sich der Reisende auf Französisch, in der Sprache der Kolonisatoren. Die Wörter, die er nicht versteht, sind nicht nur konkrete Zeichen für die magische Andersartigkeit des Ortes, sie garantieren eine gewisse - vom westlichen Touristen erwünschte - Distanz. So schreibt Canetti z. B. über die arabischen Erzähler auf dem Marktplatz: Der Erzähler hatte mich natürlich bemerkt, aber für ihn blieb ich ein Fremder in seinem Zauberkreise, denn ich verstand ihn nicht. Oft hätte ich viel darum gegeben zu verstehen, und ich hoffe, der Tag wird kommen, da ich diese fahrenden Erzähler so würdigen kann, wie es ihnen gebührt. Aber ich war auch froh, daß ich sie nicht verstand. Sie blieben für mich eine Enklave alten und unberührten Lebens. (SM, 65) Im Mittelpunkt der Reiseerfahrung stehen die Laute von Marrakesch, das heißt die Stimmen der Menschen, die Schreie der zum Schlachthaus geführten Kamele, der Schrei der Esel, die Rufe der Händler und der Bettler. Manfred Durzak bezeichnet diese Welt der Stimmen als eine „Sammlung von Epiphanien im Joyceschen Sinne“. 13 Faszinierend ist zudem die Aneignung der gesehenen Dinge in ihrer Farbe und Materialität durch Canettis luzide und evokative Sprache. Der Beobachter entziffert auf jeden Fall seine Wahrnehmungen durch sein westliches Wissen, z. B. als er die Gesichter der Mellah einzuordnen versucht: Ich ging so langsam wie möglich vorüber und betrachtete die Gesichter. Ihre Verschiedenartigkeit war erstaunlich. Es gab Gesichter, die ich in anderer Kleidung für Araber gehalten hätte. Es gab leuchtende alte Juden von Rembrandt. Es gab katholische Priester von listiger Stille und Demut. Es gab Ewige Juden, denen die Unruhe über die ganze Gestalt geschrieben war. Es gab Franzosen. Es gab Spanier. Es gab rötliche Russen. Einen hätte man als den Patriarchen Abraham begrüßen mögen, er sprach herablassend zu Napoleon und ein hitziger Besserwisser, der wie Goebbels aussah, mischte sich ein. (SM, 34) Und er begegnet orientalischen Frauen, „wie sie Delacroix gemalt hat“ (SM, 56). Das Vorhandensein westlicher Vorstellungen eines phantastischen Orients 12 Im Kapitel Die Rufe der Blinden schreibt er: „Ich träume von einem Mann, der die Sprachen der Erde verlernt, bis er in keinem Lande mehr versteht, was gesagt wird. Was ist in der Sprache? Was verdeckt sie? Was nimmt sie einem weg? Ich habe während der Wochen, die ich in Marokko verbrachte, weder Arabisch noch eine der Berbersprachen zu erlernen versucht. Ich wollte nichts von der Kraft der fremdartigen Rufe verlieren. Ich wollte von den Lauten so betroffen werden, wie es an ihnen selber liegt, und nichts durch unzulängliches und künstliches Wissen abschwächen. Ich hatte nichts über das Land gelesen. Seine Sitten waren mir so fremd wie seine Menschen“ (SM, 19). 13 Manfred Durzak: Elias Canetti, in: Helmut Steinecke (Hg.): Deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, Berlin 1994, S. 478-495, hier S. 486f. „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ 323 ist im Werk kaum zu bestreiten. 14 Die sexuelle Anziehungskraft der Frau mit orientalischen Zügen oder Merkmalen taucht übrigens in Canettis Gesamtwerk an mehreren Stellen auf. Somit sind zwei erste Aspekte der orientalistischen Symptomatik im Werk eingegrenzt: Erstens die durch Werte und Kenntnisse der westlichen Kultur codierte Wahrnehmung des fremden Ortes, zweitens das damit verbundene Ästhetisierungsverfahren des Exotischen. Liest man das Buch aus dem Blickwinkel der Orientalismusdebatte, so scheint Canettis Einstellung nach Bernhard Fetz „(post) kolonialistisch, rassistisch, frauenfeindlich“; so schreibt Fetz weiter: [E]r pathologisiert das Fremde und richtet es sich mit eurozentrischer Perspektive zu. Canetti begeht damit einen Verrat an der eigenen multikulturellen Herkunft, an seiner Vielsprachigkeit, an seiner jüdischen Herkunft, indem er seine europäische bildungsbürgerliche Sozialisation auf ein orientalisches, und das heißt im Kontext des ‚Orientalism‘ auf ein kulturell unterlegenes Land projiziert. 15 Das Werk bedient sich an mancher Stelle der gängigen Stereotype, die das westliche Bild des Orients kennzeichnen. So betrachtet scheint das Buch genau zu den umstrittenen Theoretisierungen Saids zu passen. Stuart Ferguson argumentiert in diesem Sinne in Elias Canetti and Multiculturalism: As a Sephardic Jew who underwent coercive Germanic acculturation under pressure first from his mother and later from his Swiss peers, Canetti feels able to assert the resulting dominant ethnocultural perceptions, caused by and maybe even compensating the traumatic onset of that acculturation, within an at times ethnically discriminatory experiential narrative. 16 Canettis Die Stimmen von Marrakesch unterscheidet sich von der übrigen Produktion des Autors durch eine seltene Lebendigkeit und Freude am Leben, die vermutlich zum Publikumserfolg des Buches beigetragen haben. 17 Angesichts seiner Ambivalenzen bleibt aber die Frage offen, wie jene Lebendigkeit der lite- 14 Auf eine ähnliche Art und Weise beschreibt Canetti in Die Fackel im Ohr seine Frau Veza, als wäre sie eine Gestalt aus Tausend und eine Nacht : „Sie sah sehr fremd aus, eine Kostbarkeit, ein Wesen, wie man es nie in Wien, wohl aber auf einer persischen Miniatur erwartet hätte“, in Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931, Frankfurt a. M. 1982, S. 72. 15 Bernhard Fetz: Dialektik der Ethnographie: „Die Stimmen von Marrakesh“, in: Kurt Bartsch/ Gerhard Melzer (Hg.): Elias Canetti, Graz 2005, S. 79-93, hier S. 80-81. 16 Stuart Ferguson: Elias Canetti and Multiculturalism, in: Poetica 29 (1997), S. 565. 17 Sicherlich wichtig für den Erfolg des Buches wurde die Lancierung des Bändchens, mit dem der Hanser Verlag eine neue Reihe eröffnete. Der Buchumschlag war übrigens von Heinz Edelmann gestaltet worden. Edelman war „im Jahr zuvor durch sein Design des 324 Giulia A. Disanto rarisch vermittelten Wahrnehmungen und der meisterhaft geschilderten Details zu verstehen ist. Bleibt der Ich-Erzähler am fremden Ort ein Außenbeobachter der, auch wenn der Text an mancher Stelle Platz für Momente der Empathie einräumt, letzten Endes wieder nach Hause zurückfahren wird und an den wirklichen Begebenheiten und an der Kultur des Landes nicht interessiert ist? Wie sind der Besuch des jüdischen Viertels und die Episode der Familie Dahan zu interpretieren, die formal und inhaltlich die Zentralkapitel des Buches darstellen? Setzt die Reise für Canetti eine Art ethologisches Experiment voraus oder bedeutet sie vielmehr eine Heimkehr? Und vor allem: Hat der Autor von Masse und Macht die Aspekte des westlichen hegemonialen Diskurses - um auf den Wortschatz von Said und von seinen Vorbildern Gramsci und Foucault zurück zu kommen - während der Marokkoreise wirklich ignoriert? Eine Lektüre des Werkes, die sich ausschließlich auf die postkolonialistische Perspektive fokussiert, wäre sicherlich zu einseitig und würde diesem deshalb nicht gerecht. Selbst Bernhard Fetz ist der Meinung, dass es im Buch auch andere Instanzen gibt, die die Erzählung bestimmen. 18 Die hoffnungsvolle Erwartung des Reisenden, der auf die Suche nach tiefsten Erlebnissen geht, ist deutlich an den reichen, detaillierten Beschreibungen zu spüren. Es gibt Passagen im Werk, in denen das Ich wieder zu sich selbst findet, z. B. als der Erzähler die glückliche Verzauberung auf einem Platz in der Mellah, den er „das Herz“ benennt, schildert: Mir war zumute, als wäre ich nun wirklich woanders, am Ziel meiner Reise angelangt. Ich mochte nicht mehr weg von hier, vor Hunderten von Jahren war ich hier gewesen, aber ich hatte es vergessen und nun kam mir alles wieder. Ich fand jene Dichte und Wärme des Lebens ausgestellt, die ich in mir selber fühle. Ich war dieser Platz, als ich dort stand. Ich glaube, ich bin immer dieser Platz. (SM, 38) Diese Schlüsselpassage schildert eine positive, von Anfang an erwartete Wendung: Der fremde Ort ist plötzlich nicht mehr fremd. Um mögliche Antworten auf die vorher gestellten Fragen zu finden, ziehen wir noch andere Faktoren in Betrachtung. Canetti war auf Einladung seines Freundes Aymer Maxwell nach Marokko gekommen, begleitet von einer Gruppe Engländer, „die sich mit der Herstellung des ekelhaftesten Film-Machwerks“ beschäftigte und alles nur nach seiner „Verwertbarkeit“ beurteilte. 19 Der Blick von Canetti distanzierte sich also von einer derartigen Perspektive, er hatte Beatles-Trickfilms Yellow Submarine berühmt geworden, die Stimmen von Marrakesch sind sein gelungenster Canetti-Umschlag“ (Hanuschek: Elias Canetti, S. 528). 18 Fetz: Dialektik der Ethnographie, S. 84f. 19 Canetti, 2.4.1954, Nachlaß Elias Canettis in der Zentralbibliothek Zürich, Schachtel 54, zitiert nach Hanuschek: Elias Canetti, S. 530. „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ 325 zunächst keine konkrete „Verwendung“ des Gesehenen im Blick. Canetti, der jahrelang Hefte voller Aufzeichnungen verfasst hat, machte sich während des Aufenthalts in Marokko keine Notizen. Die erste Abfassung des Manuskripts erfolgte erst nach seiner Rückkehr nach London. 20 In den in Nordafrika verbrachten drei Wochen sehnte sich der Schriftsteller zweifellos nach Erlebnissen, die sich von denen seiner englischen Begleiter deutlich unterschieden. Als er in der zweiten Hälfte der 60er Jahre sein Manuskript für die Publikation anfertigte und es seinem Verleger Fritz Arnold sandte, reagierte dieser mit Begeisterung, bedauerte nur, dass Canetti das Thema „Knabenliebe“ - laut Arnold „ein sehr wesentliches Element der arabischen Welt“ 21 - nicht angesprochen habe. Anhand bisher unveröffentlichten Materials aus Canettis Nachlass berichtet Sven Hanuschek von einem tatsächlich ausgelassenen Kapitel über den Kretin in Marrakesch , eine Figur, die regelmäßig als Sextourist und Päderast nach Marrakesch fuhr. 22 Der Grund für die Unterdrückung des Kapitels war vermutlich das Risiko einer möglichen Identifizierung der Figur, Canetti war aber offensichtlich auch nicht daran interessiert, die Erwartungen des westlichen Publikums an den Reisebericht zu erfüllen. Trotz der unbestreitbaren Präsenz stereotypischer Bilder ist Marrakesch auch ein Ort der Verwandlung für den Ich-Erzähler, wie die Mellah-Passage bezeugt, und es gelingt dem Autor, die Stadt literarisch als möglichen Verwandlungsort für den Leser zu gestalten. Und die Ethnologie, der Ausflug zu fremden Völkern und in ferne Zeiten, die Revokation der Mythen haben bei Canetti eine ähnliche Funktion wie bei Karl May: poetische Modellbildung, hergestellt am Schreibtisch, Kontinente der Sehnsucht. So wenig Karl May wirklich ein Held und Weltenbummler war, so wenig war Canetti Ethnologe, Mythenforscher oder Kulturanthropologe. Beide aber waren gleichermaßen am Schreibtisch gefangengenommen vom Fernen und vom Fremden, wie es sich in ihren Bibliotheken fand, weil sie dahinter den Schlüssel zum Verständnis ihrer Gegenwart und ihres Selbst vermuteten - wie phantasmagorisch dieser immer auch ausfallen sollte. Und die Provokation besteht wie bei allen derartigen Unternehmungen nicht darin, diesen fiktionalen Charakter aufzudecken und zu unterstreichen, sondern darin, diese Modelle wirklich werden zu lassen. 23 20 Vgl. Hanuschek: Elias Canetti, S. 528. 21 Arnold an Canetti, 13.4.1967, Archiv des Carl Hanser Verlags, München, zitiert nach Hanuschek: Elias Canetti, S. 529. 22 Vgl. Hanuschek: Elias Canetti, S. 533f. 23 Konrad Paul Liessmann: Auf fremden Pfaden , in: Michael Krüger (Hg.): Einladung zur Verwandlung. Essays zu Elias Canettis „Masse und Macht“, München/ Wien 1995, S. 286- 311, hier S. 286-287. 326 Giulia A. Disanto Eine weitere Bestätigung der Semantisierung von metaphorischen Räumen durch die literarische Beschreibung der phänomenalen Wirklichkeit findet sich in Canettis Bild des Fernen Ostens, vor allem Chinas. Er ist ein Bewunderer der asiatischen Kulturen, sodass, als er z. B. erfuhr, dass Hera Buschor, seine zweite Frau, chinesisch lernte, er mit Euphorie reagierte. 24 In seinem Frank Kafka gewidmeten Essay Der andere Prozeß wird an die Gespräche mit dem britischen Sinologen Arthur Waley erinnert, der gerne Kafka liest, weil dieser „der einzige, seinem Wesen nach chinesische Dichter, den der Westen aufzuweisen hat“, sei. 25 Sinologe ist bekanntlich auch Peter Kien, der große Büchersammler, der in seiner Bibliothek Werke der West- und der Ostliteratur vereinigt. Der Intellektuelle, von dem Canetti im Roman Die Blendung eine bittere Karikatur liefert, ist zum Scheitern verurteilt, weil er die Texte in ihrer Gelehrsamkeit, nicht aber in ihrem tiefsten Sinne zu verstehen imstande ist. 26 Zu Recht behaupten deshalb Arnason und Roberts: „If prehistory signifies the overwhelming origin and source of cultural creativity, China represents everything that Canetti associates with civilization: that is, with the civilizing effects of culture on power.“ 27 Wenn es um Canettis Bild des Orients geht, soll schließlich ein letzter wichtiger Faktor in Betracht gezogen werden. Die Erfolgsgeschichte der Theoretisierungen Saids beginnt erst 1978 mit der Veröffentlichung von Orientalism , als die meisten Werke Canettis schon erschienen waren. Man könnte aber trotzdem anhand der von Said vorgeschlagenen Muster, a posteriori eine Lektüre Canettis versuchen, wenn Canetti für solche Themen nicht bereits andere bedeutendere Vorbilder gehabt hätte. Seit Ende der 30er Jahre, während des englischen Exils, traf sich Canetti regelmäßig mit Franz Baermann Steiner (1909-1952), seine Gespräche mit ihm spielten eine entscheidende Rolle für den Essay Masse und Macht . Schon in den 1940er Jahren nahm Baermann Steiner postmoderne Diskussionen über Themen wie Tabuisierung, Sklaverei und Orientpolitik vorweg. Lange vor Edward Said stellte er den westlichen Begriff von Zivilisation in Frage. Es ist unbestreitbar, dass Canetti viele solcher Gedanken rezipiert hat, und das geschah wiederum - wie bei seinem Freund - im Diskussionskontext des Antisemitismus. 24 Hanuschek: Elias Canetti, S. 525. 25 Elias Canetti: Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice, in: Ders.: Das Gewissen der Worte. Essays, Frankfurt a. M. 1981, S. 77-165, hier S. 146. 26 Im Gegenteil bleibt die Sinologie von Saids Begriff der Orientalistik ausgeschlossen, wofür er von vielen Seiten kritisiert wurde. 27 Johann P. Arnason und David Roberts: Elias Canetti’s counter-image of society: crowds, power, transformation, Rochester NY 2004, S. 68. Vgl. auch Ning Wu: Canetti und China: Quellen, Materialien, Darstellung und Interpretation, Stuttgart 2000. „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“ 327 Die autobiografische Trilogie bezeugt, wie sich Canetti von dem anfänglichen, von der familiären Erziehung bestimmten Begriff des Orientalischen allmählich entfernte: Zuerst beim Treffen mit Doktor Menachemoff während seiner Reise nach Bulgarien 1924, später in den Gesprächen mit Isaac Babel und vor allem mit dem von Canetti verehrten Dr. Abraham Sonne. Canetti änderte seine Position in Sachen Religion nicht, aber - wie Mark Gelber in seinem Aufsatz über die Figur von Abraham Sonne in Das Augenspiel ausführlich zeigt - die Konfrontation mit dem jüdischen (aschkenasischen) Gelehrten Sonne fördert Canettis Gewinn einer neuen Perspektive zum eigenen Judentum. 28 Marrakesch stellt in diesem Kontext einen bedeutenden Wendepunkt dar. In der Geretteten Zunge erinnert sich Canetti an seinen Großvater mit folgenden Worten: „Er war schon lange gestorben, als ich seinesgleichen unter den Geschichtenerzählern in Marrakesch wiederfand, und obwohl ich von ihrer Sprache kein Wort verstand, waren sie mir durch die Erinnerung an diesen Großvater vertrauter als alle die unzähligen anderen Menschen, denen ich dort begegnete“ (GZ, 110). Dazu liest man noch im Nachlass: „In den Suks der Mohammedaner habe ich es gelernt, die Juden ruhiger zu sehen, und ich glaube, ich kann über sie jetzt endgültig ins Reine kommen.“ 29 Während der sprachbegabte Europäer durch Marrakesch flaniert und dabei das Gefühl des Versagens der eigenen Sprache nicht unterdrücken kann, steht er plötzlich nicht mehr als Westlicher und Fremder da, denn er wird als Jude anerkannt. 30 Danach kann sich der Erzähler heimisch fühlen und sozusagen animistisch mit Orten wie der Mellah oder Figuren wie dem „unsichtbaren“ Bettler identifizieren. Ein Prozess der Verwandlung - ein Schlüsselbegriff in der Poetik Canettis, der sich die Dichter als „Hüter der Verwandlung“ 31 wünschte - betrifft den Reisenden in Marrakesch. Das letzte Kapitel des Berichts mit dem Titel Der Unsichtbare ist einem Bettler gewidmet, der sich als ein „braunes Bündel am Boden“ (SM, 85) auf dem vom Erzähler geliebten kleinen Platz in der Mellah aufhält und den Raum mit einem einfachen Laut der Klage füllt. 28 Vgl. Mark H. Gelber: Abraham Sonne und „Das Augenspiel“. Jüdisches Bewußtsein in Elias Canettis autobiographischen Schriften, in: John D. Pattillo-Hess und Mario R. Smole (Hg.): Canettis Aufstand gegen Macht und Tod, Wien 1996, S. 69-79. 29 Canetti, 28.4.1954, Nachlaß Elias Canettis in der Zentralbibliothek Zürich, Schachtel 54, zitiert nach Hanuschek: Elias Canetti, S. 538. 30 Im Kreis der Familie Dahan wird der Ich-Erzähler als „Israélite“ anerkannt. Begeistert bestätigt er diese Tatsache. Die Schwägerin scheint davon ein bisschen enttäuscht zu sein. „Vielleicht hätte sie sich den Fremden ganz fremd gewünscht“, denkt dann der Reisende. Vgl. SM, 49. 31 Elias Canetti: Der Beruf des Dichters. Münchner Rede, Januar 1976, in: Ders: Das Gewissen der Worte, S. 272-283, hier S. 278. 328 Giulia A. Disanto Der Mann mit seinem endlosen Gebet wird zum alter ego des Reisenden, der sich ihm gegenüber ohnmächtig und gleichzeitig stolz fühlt. Die Reise kann letzten Endes auch als Metapher des Lebens gelesen werden, wobei sich die schriftstellerische Arbeit mit Lauten, Buchstaben und Wörtern als ein beharrlicher Widerstandsakt gegen den Tod erweist. Die Ohnmacht galt mir selbst: Ich fühlte, daß ich nie etwas unternehmen würde, um hinter das Geheimnis des Bündels zu kommen. Ich hatte Scheu vor seiner Gestalt; und da ich ihm keine andere geben konnte, ließ ich es dort am Boden liegen. […] Sein Weg hin und zurück war mir noch heiliger als mein eigener. […] Ich war stolz auf das Bündel, weil es lebte. Was es sich dachte, während es hier tief unter den anderen Menschen atmete, werde ich nie wissen. Der Sinn seines Rufes blieb mir so dunkel wie sein ganzes Dasein: Aber es lebte und war täglich zu seiner Zeit wieder da. […] Vielleicht besaß es keine Zunge, um das „l“ in „Allah“ zu formen, und der Name Gottes verkürzte sich ihm zu „ä-ä-ä-ä-ä-“. Aber es lebte, und mit einem Fleiß und einer Beharrlichkeit ohnegleichen sagte es seinen einzigen Laut, sagte ihn Stunden und Stunden, bis es auf dem ganzen weiten Platz der einzige Laut geworden war, der Laut, der alle anderen Laute überlebte. (SM, 86 f.) Der Reisende sucht in seinen Spaziergängen durch Marrakesch nach der Bestätigung des eigenen Lebens, er erkennt sich in Orten, Tieren, Dingen, Lauten und Menschen - neben diesen auch in den Körpern der Frauen wieder. Er sucht nach jener Materialität, die ihn am Leben hält und in der Canetti Diesseits und Jenseits vereinigt sieht. ISBN 978-3-7720-8642-7 www.francke.de Der Band hinterfragt den Nutzen des Begriffs „Orientalismus“ zur Erforschung der vielfältigen deutsch-jüdischen kulturellen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei wird Orientalismus einerseits als postkolonialer Diskurs verstanden, der Identitätskonflikte und Sprachprobleme der jüdischen Diaspora in den Blick nimmt, andererseits als philologische Wissenschaft vom Orient. Die Beiträge behandeln folgende Fragen: In welchem Maße wurden deutsche Juden vom zeitgenössischen wissenschaftlichen Diskurs über den „Orient“ und den „Orientalen“ beeinflusst bzw. gestalteten ihn mit? Wie tief verinnerlichten Juden die stereotypen Bilder ihrer Umgebung und inwiefern konnten die deutsch-jüdischen Orientalisten diese Vorurteile und deren philosophische Legitimierung wissenschaftlich widerlegen? Wie veränderte sich das Bild des Orients, als viele emigrierte deutsche Juden sich in Palästina mit dem „wahren“ Orient konfrontiert sahen?