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Wieviel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater

2016
978-3-7720-5579-9
A. Francke Verlag 
Clemens Räthel

Die Darstellung von Juden auf der Bühne ist so alt wie das europäische Theater selbst. Zumeist treffen dabei negativ gezeichnete Figuren auf ihre in aufklärerischer Absicht erschaffenen edlen Glaubensgenossen. Die Auseinandersetzungen, die um diese Darstellungen geführt werden, spiegeln dabei häufig gesellschaftlich virulente Diskurse über das Verhältnis der nicht-jüdischen Mehrheit zur jüdischen Minderheit: Wie (un-)sichtbar soll der Andere auftreten, welche Bedingungen werden an gesellschaftliche Teilhabe geknüpft - oder anders gefragt: Wie viel Bart darf sein? Dieser Band untersucht die bisher außer Acht gelassenen jüdischen Bühnenfiguren in den skandinavischen Nationaltheatern im 18. und 19. Jahrhundert. In der Begegnung zwischen Aufführungspraxis, gesellschaftspolitischen Prozessen und dramatischen Texten entsteht ein lebendiges Bild, das mehrdimensional die Sonderstellung dieser Länder beleuchtet. Zugleich hinterfragt das Buch die Annahme von vermeintlich homogenen nordeuropäischen Gesellschaften und bereichert aktuelle Integrationsdebatten um eine historisch-ästhetische Dimension.

ISBN 978-3-7720-8579-6 Die Darstellung von Juden auf der Bühne ist so alt wie das europäische eater selbst. Zumeist tre en dabei negativ gezeichnete Figuren auf ihre in au lärerischer Absicht erscha enen edlen Glaubensgenossen. Die Auseinandersetzungen, die um diese Darstellungen geführt werden, spiegeln dabei häu g gesellscha lich virulente Diskurse über das Verhältnis der nicht-jüdischen Mehrheit zur jüdischen Minderheit: Wie (un-)sichtbar soll der Andere au reten, welche Bedingungen werden an gesellscha liche Teilhabe geknüp - oder anders gefragt: Wie viel Bart darf sein? Dieser Band untersucht die bisher außer Acht gelassenen jüdischen Bühnen- guren in den skandinavischen Nationaltheatern im 18. und 19. Jahrhundert. In der Begegnung zwischen Au ührungspraxis, gesellscha spolitischen Prozessen und dramatischen Texten entsteht ein lebendiges Bild, das mehrdimensional die Sonderstellung dieser Länder beleuchtet. Zugleich hinterfragt das Buch die Annahme von vermeintlich homogenen nordeuropäischen Gesellscha en und bereichert aktuelle Integrationsdebatten um eine historisch-ästhetische Dimension. www.francke.de Clemens Räthel Wie viel Bart darf sein? Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater Clemens Räthel Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater Clemens Räthel Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. © 2016 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach Umschlaggestaltung: Bernd Rudek Design GmbH, Balingen-Frommern Printed in Germany ISBN 978-3-7720-8579-6 Umschlagabbildungen: Vorderseite: Carl Winsløw als Joseph Golz in Thomas Overskous Østergade og Vestergade; Lars Hjortsberg als Shewa in Richard Cumberlands Juden. Rückseite: Johan Ludvig Phister als Skomager in Christian Hostrups Gjenboerne. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort. Danksagungen Ich möchte mich bedanken: Bei meiner „ Chefin “ Stefanie von Schnurbein für die grenzenlose Unterstützung, den festen Glauben an mich und diese Arbeit, die scharfsinnigen Ideen, das Einlassen auf diese unvorhergesehene und manchmal unvorhersehbare Reise, die aufrichtige Motivation, die Freiheit und das Vertrauen. Bei Jochen Schiedermair für das hilfreiche Zweitgutachten und die angenehme Zusammenarbeit, auch über die Dissertation hinaus. Bei meiner „ Zensorrrin “ Sabine Meyer, dabei vom ersten Tag, für die klugen Augen, die scharfen Analysen, die liebevollen Aufforderungen zum Weiterdenken, die Freude und die Lust am „ Forschen “ , verrückte Ideen und vor allem das befreiende gemeinsame Lachen - nicht nur in den Pausen. Bei Jana Wiechers für das unermüdliche Lesen, den genauen Blick, die beglückenden Anfeuerungsschreiben, die Neugierde, den Gin und all das Vor, In und Hinter den Zimmern. Beim Cusanuswerk für die Unterstützung dieser Arbeit durch das Promotionsstipendium und vieles darüber hinaus. Zudem bei der VG Wort für die großzügige Unterstützung bei der Finanzierung dieses Buches. Bei den unglaublich umsichtigen und hilfsbereiten Archivmitarbeitern in Kopenhagen und Stockholm, ohne deren Kenntnisse, Liebe zum Detail und Offenheit für mein Thema viele Schätze ungehoben geblieben wären. Allen voran bei dem wunderbaren Niels Peder Jørgensen, der mir etliche Monate bei der Recherche im Archiv des Königlichen Theaters in Kopenhagen begleitend, aufmunternd, wissend und humorvoll zur Seite stand. Ich danke auch Lilo Skaarup und Camilla Vaara. Bei Florian Brandenburg für die unerschöpflich scheinende fachliche Präsenz, die Offenheit, hilfreiche Unzufriedenheit und den immer so positiven Blick nach vorn. Bei Freunden und Kollegen, die auf vielfältige Weise mich und diese Arbeit bereichert haben: Thorsten Wagner, Lill-Ann Körber, Katharina Bock, Frederike Felch, Paul Greiner, Tomas Milosch, Doreen Reinhold, Ebbe Volquardsen und Marzena Debska-Buddenhagen. Bei den Theaterwissenschaftlern Christel Weiler und Willmar Sauter, die mir bei den ersten Schritten auf dem Weg eine große Hilfe und Unterstützung waren und durch ihr Interesse sowie ihren Enthusiasmus wichtige Weichen gestellt haben. Bei vielen Freunden hier und dort, die verziehen haben, dass ich nicht immer da war, wo ich vielleicht hätte sein sollen, die geholfen, gebetet und getröstet haben: Imzadi Julia Fisahn, Rebecca McPherson, Michael Precious Csar, Saskia von Winterfeld, Patrick Stauf, Martin Birnbaum, Carl Freiherr von Ansbach und Henry Strauch. Bei Dr. Christian Brünahl, Dr. Martyn Vilain und Kathrin Lund fürs Dasein, Errettungen und Vergnügungen. Bei vielen Mitcusanern, die das Leben schöner, reicher und freudiger gemacht haben: Lena Schneider, Stefan Rosmer, Felicia Sparacio, Angelina Hartnagel und das Mii. Bei den Menschen, die mir die Liebe zum Theater näher gebracht haben und die mir die Liebe zum Theater näher gebracht hat, die mein „ Doppelleben “ zwischen Bühne und Bibliothek mit verrückten Inszenierungen, achterbahnartigen Abenteuern sowie tief beglückenden Momenten so zauberhaft machen: Bärbel Jaksch, Peter Zadek, Stanzi Albert, Sven-Eric Bechtolf und Frau Busching. Bei meinen Lehrerinnen aus alter Zeit, von deren bewundernswerter Arbeit ich immer noch zehre: Frau Vry, Frau Berwanger und Frau Kuhle. Vor allem aber bei meiner großen, gütigen, liebenden und lustigen Familie. Ihr seid das Schönste auf der Welt. Ohne Euch wäre nichts geworden! Gar nichts. Alle, die ich hier vergessen habe, mögen es mir bitte nachsehen. God save the Queen! 6 Danksagungen Inhaltsverzeichnis Danksagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Anknüpfungspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3 Das Theater als Untersuchungsgegenstand - Methodische Vorüberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.4 Vorhang auf! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2. Männer mit Bärten - Juden und andere Maskierte in Ludvig Holbergs Komödien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1 Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.1.1 Den danske Skueplads - Holbergs Theater? . . . . . . . . . 37 2.1.2 Die Volksbühne - Ein bürgerlicher Traum . . . . . . . . . 40 2.1.3 Das Rollenfachsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.2 Holbergs Komödienwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.2.1 Unrasiert und fern der Heimat - Harlekinaden in Ulysses von Ithacia und Den ellefte Junii . . . . . . . . . . . . 48 2.2.2 Bürger und Betrogene - Pragmatik in Det arabiske Pulver und Abracadabra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.2.3 „ (Un-)Echte Juden “ - Gegnerschaft in Diederich Menschen-Skræk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.2.4 Glaube, Liebe, Hoffnung - Religiöse Rendezvous in Mascarade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.3 Rollenfach Jude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.4 P. S.: Und da sie nicht gestorben sind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Zwischen den Jahrhunderten - Peter Andreas Heibergs (jüdische) Grenzgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.1 Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! . . . . . . . 93 3.2 Identitätssuche I: Hybrides Stadt-Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.3 Identitätssuche II: Ein königliches Theater für die Bürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.4 Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne (Die Chinafahrer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.4.1 Chinafarerne - Gang der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3.4.2 Von der Größe der Welt - Moderne Juden . . . . . . . . . 110 3.4.3 Der feine Unterschied - Juden und Juden . . . . . . . . . . 118 3.4.4 Dabeisein ist alles? - Vom Preis der Teilhabe . . . . . . . 125 3.4.5 Wie es hallt und schallt - Singende Juden . . . . . . . . . . 128 3.4.6 Coats of many colours - Harlekins Immerwiederkehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 3.5 P. S.: Heiberg vs. Heiberg - Wenn der Vater mit dem Sohne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Juden im Wunderland? - Johan Ludvig Heiberg, Kong Salomon und das Goldene Zeitalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4.1 Kampf um die Gleichstellung - Judenbrief und Judenfehden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4.2 Thalia Terminator - Die Bühne als Stütze der Nation . . . . . 145 4.3 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.3.1 „ Das ist doch hier kein Zirkus! “ - Der Streit ums Vaudeville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4.3.2 Kong Salomon og Jørgen Hattemager - Gang der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 4.3.3 Eine gottverlassene Gegend - Goldkalb als Retter . . . 157 4.3.4 Dressed for success - Theatralischer Status und (Ver-)Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 4.3.5 Wir haben noch lange nicht genug - Karneval in Korsør . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 4.3.6 Strangers in the night - Exotische Fremde . . . . . . . . . . 171 4.3.7 Jodelnde Deutsche und Dirty Dancing - Heibergs Vaudeville-Musiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.3.8 Homme de théâtre - Heiberg als Theaterrevolutionär . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4.4 We are family I - Integrationsgefälle in Thomas Overskous Østergade og Vestergade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4.4.1 Gang der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 4.4.2 Christliche Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4.4.3 Bürgerliche Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4.5 Wunderland ist abgebrannt - Oehlenschlägers Aladdin . . . 193 8 Inhaltsverzeichnis 4.6 Exodus - Christian Hostrups Gjenboerne . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 4.7 Das Ende des jüdischen Rollenfachs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten - Judendarsteller am Königlichen Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 5.1 Sein oder Nichtsein - Der Beruf des Schauspielers zu Beginn des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5.2 Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5.3 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ . . . 226 5.3.1 (Um-)Wege - Von Flensburg nach Kopenhagen. . . . . 227 5.3.2 Ryge als Salomon Goldkalb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 5.4 Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5.5 Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg . . . . . . . . . . 248 5.6 Körper von Gewicht - Und wenn sie nicht gestorben sind, dann „ jüdeln “ sie noch heut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 6. Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 6.1 „ Gibt es niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? “ - (Theater-)Geheimnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 6.2 Die „ Judenfrage “ in der norwegischen Verfassung . . . . . . . . 273 6.3 Nur ein gefangener Jude ist ein guter Jude . . . . . . . . . . . . . . . 277 6.4 Das Theater als Bildermacher des Geheimen . . . . . . . . . . . . . 281 6.5 Schauspieler und Falschspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 6.6 Semiotischer Vertrauensverlust - Wer ist wer? . . . . . . . . . . . . 287 7. Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm . . . 291 7.1 Am Vorabend des großen Theaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 7.2 Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 7.3 Das Theater lernt sprechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 7.4 Die Anfänge jüdischen Lebens in Schweden . . . . . . . . . . . . . . 311 7.5 Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7.5.1 Gang der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 7.5.2 Moses als Teilhaber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Inhaltsverzeichnis 9 7.5.3 Judenfiguren als theatralisches Erfolgsrezept . . . . . . . . 322 7.5.4 Juden- und „ Rockrollen “ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 7.6 PS: Und da er nun gestorben ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 8. „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ - Richard Cumberlands Juden als Evergreen am Dramaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 8.1 Das Ende des Autorentheaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 8.2 Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 8.2.1 Gang der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 8.2.2 Juden und andere Komödien im Repertoire des Theaters um 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 8.2.3 Lars Hjortsberg - Der erste Starschauspieler des Dramaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 8.2.4 We are family II - Schewa, Jabal, Rachel . . . . . . . . . . . 356 8.3 Komik als Ermächtigungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 9. Schlussbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 10 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung I m September 1790 erscheint in der dänischen Monatszeitschrift Minerva ein Artikel, der sich unter der programmatischen Überschrift Et par Ord om Jøder, af en Jøde (Ein paar Worte über Juden, von einem Juden) 1 gegen Beschuldigungen wehrt, die jüdischen Bevölkerungsteile würden eine kulturelle Zugehörigkeit zur Mehrheitsgesellschaft ablehnen. Vielmehr verortet der namentlich nicht genannte Verfasser die Ursachen der ausbleibenden Integration hauptsächlich auf Seiten der Dänen. Es fehle an Akzeptanz, ganz praktisch beispielsweise an Lehrstellen und zudem, so der Autor, könnten, wenn es um soziale Integration gehe, wohl kaum die Juden den ersten Schritt machen. Außerdem gäbe es, anders als behauptet, durchaus Bemühungen innerhalb der jüdischen Minderheit, sich gesellschaftlich zu beteiligen: [N]aar Jøder med Skiæg paastaae at især unge Folk af deres Nation ere Atheister / . . . / , som ikke troe enhver Absudirtet om Ceremonial-Loven, saa er dette lige saa urimeligt, som at ville paastaae at alle de, der lade Skiægget voxe, ere Slyngler. / . . . / Overalt bliver det vel det Beste at bedømme Mennesker efter deres Gierninger, og ikke efter deres religiøse Meeninger. Heraf sees, at der gives Jøder, der ønske at blive nyttige Medborgere; og at der / . . . / gives de, der ere dem imod. 2 [W]enn diese Juden mit Bart behaupten, dass vor allem junge Menschen ihrer Nation Atheisten seien / . . . / , die nicht jede Absurdität der Zeremonien-Gesetze befolgen, ist dies genau so unpassend, als würde man behaupten, dass alle, die sich den Bart wachsen lassen, Schlingel seien. / . . . / Es ist doch immer besser, die Menschen nach ihren Taten zu beurteilen statt nach ihren religiösen Anschauungen. Dann wird man sehen, dass es Juden gibt, die den Wunsch hegen, nützliche Mitbürger zu werden und dass es / . . . / solche gibt, die dagegen sind. 3 1 Ich werde die skandinavischsprachigen Titel bei ihrer ersten Nennung im Kapitel übersetzen, im Anschluss jedoch ausschließlich auf die Originale referieren. 2 „ Et par Ord om Jøder, af en Jøde. “ (Minerva, September 1790) 3 Soweit nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen von mir. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, werden im Folgenden Zitate im Fließtext ausschließlich auf Deutsch angeführt, die Originale finden sich in den Fußnoten. Längere Zitate werden in beiden Sprachen im Haupttext wiedergegeben. Bei den Übersetzungen - gerade der Sie scheinen also zu existieren, die nützlichen Vorbilder, die durch ihr Handeln unter Beweis zu stellen suchen, wie wichtig ihnen gesellschaftliche Teilhabe ist. Wahrgenommen werden aber zumeist, so legt es die Schrift nahe, die Halunken, die Schlingel, die sich einem Aufgehen in die Mehrheitsgesellschaft verweigern und dies auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild manifestieren. Religiöse Engstirnigkeit trifft hier auf (jugendlich konnotierte) Offenheit. Das Spannungsfeld zwischen diesen Positionen bestimmt seit dem 18. Jahrhundert die (Selbst-)Wahrnehmung der jüdischen Minderheiten in den skandinavischen Ländern auf vielfältige Weise. Dänemark, Schweden und Norwegen gehen dabei unterschiedliche Wege, egal ob es die rechtliche Stellung der jüdischen Minderheit, die Voraussetzungen zur Teilhabe oder überhaupt deren legale Anwesenheit im Land betrifft. Die (implizit) auch vom Autor 1790 gestellte Frage Wie viel Bart darf sein? - anders formuliert: Wie kenntlich dürfen Unterschiede hervortreten? - verlangt, auf einen gesamtskandinavischen Rahmen appliziert, differenzierte Antworten, die mit Blick auf aktuelle Diskurse zusätzlich an Gewicht gewinnen. Die Klagen über die bärtigen Schlingel zum Ende des 18. weichen zu Beginn des 21. Jahrhunderts - zumindest in Teilen der medialen Öffentlichkeit - der Erzählung einer „ Erfolgsgeschichte “ , 4 in welcher die Juden als Vorbilder geglückter Integration gefeiert werden, als Orientierungspunkte für heutige Migranten: Danske jøders integration har været så stor en succes, at den bør bruges som model for nutidens indvandrere, mener forskere. / . . . / „ Jeg synes, at man på mange måder kan kalde indvandrere og flygtninge for nutidens jøder. Og jeg er sikker på, at vi kan lære meget af jødernes erfaringer. Den tilpasning, jøderne har måttet foretage religiøst, er der også behov for blandt muslimer. “ 5 Die Integration der dänischen Juden ist solch ein großer Erfolg gewesen, dass er als Modell für die heutigen Einwanderer gebraucht werden sollte, sagen Forscher. / . . . / „ Ich bin der Ansicht, dass man die Einwanderer und Flüchtlinge literarischen Texte - habe ich mich bemüht, so nah wie möglich am Original zu bleiben, aber zugleich den „ Ton “ des Geschriebenen zu transportieren. 4 „ Og omend vejen sine steder har været både lang og stenet, så er jødernes integration i Danmark en succeshistorie. “ ( „ Succes med forhindringer. “ Kristeligt Dagblad, 31. August 2005) / / „ Auch wenn der Weg teils lang und steinig war, so ist die Integration der Juden in Dänemark eine Erfolgsgeschichte. “ 5 „ Danske jøder kan lære os om integration. “ (Kristeligt Dagblad, 31. August 2005) 12 Einleitung auf vielfältige Weise als die heutigen Juden bezeichnen kann. Und ich bin sicher, dass wir viel von den jüdischen Erfahrungen lernen können. Die Anpassung, welche die Juden religiös vorgenommen haben, ist auch unter Muslimen eine Notwendigkeit. “ Die hier von Bente Clausen 2005 in einem Zeitungsartikel wiedergegebenen Standpunkte 6 etablieren ein Vorbild-Narrativ, welches erahnen lässt, dass die nicht erst 1790 begonnene Diskussion über die Ausgestaltung jüdischer Akkulturation langlebig Diskurse in den skandinavischen Ländern prägt. Dass Feind- und Vorbildzuschreibungen dabei unterschiedlichen Konjunkturen unterworfen sind und nur temporär Gültigkeit besitzen, scheint bei Clausen kaum auf. Ihre „ Erfolgsgeschichte “ erweckt die Vorstellung eines bequemen Weges und vermittelt den Eindruck, dass die skandinavischen Länder eine europäische Ausnahme angesichts eines nahezu fehlenden oder weniger virulenten Antijudaismus und Antisemitismus darstellen. Bereits der Blick auf die anonyme Veröffentlichung in Minerva verdeutlicht, dass sich eine vielschichtigere Annährung an den „ Weg “ der jüdischen Minderheit in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft empfiehlt. Diesen Versuch unternimmt das vorliegende Buch. Anhand von Beispielen aus der Theaterpraxis beschäftige ich mich im Folgenden mit den Verflechtungen skandinavisch-jüdischer Beziehungen. Im Fokus meiner Untersuchung steht dabei die Frage nach den Funktionen jüdischer Figuren auf der Bühne des 18. und 19. Jahrhunderts: Von der Gründung der „ Nationaltheater “ in den jeweiligen Ländern, die einen ungemein wichtigen Beitrag für das nationale und kulturelle Selbstverständnis leisten, bis zu den Anfängen des modernen Regietheaters ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ich werde zeigen, auf welche Weise das performative Experimentieren mit Markierungen des Anderen auf den skandinavischen Bühnen die bekannten „ Judenbilder “ erweitert und dabei nicht in der Schilderung von „ guten “ und „ schlechten “ - also mehr oder 6 Bente Clausen ist von 1993 bis 1996 dänische Innenministerin und arbeitet seither als Journalistin. In der zuerst zitierten Reportage zeichnet sie die Geschichte der Juden und ihrer Integration in Dänemark nach. In dem zuletzt angeführten Artikel gibt sie Gespräche mit unterschiedlichen Akteuren wieder, die inhaltlich alle in die selbe Richtung zielen. Sie zitiert Jacques Blum, Kultursoziologe und Sprecher der jüdischen Gemeinde (Det mosaiske Troessamfund), Eva Bøggild, die als Doktorandin an der Universität Lund vorgestellt wird und abschließend Muharrem Aydas, der als Integrationsberater präsentiert wird. Die Einschreibung in diesen vermeintlich „ wissenschaftlichen “ Diskurs dient der Legitimation der Aussagen. Einleitung 13 weniger angepassten - Figuren verharrt. Das Theater bietet mehr als Vorbilder oder Schurken und lädt auf diese Weise dazu ein, die ambivalenten Darstellungen differenzierten Sichtweisen zu unterziehen, die über die Bühne hinaus Wirkmächtigkeit entwickeln. Mein Ansatzpunkt nimmt so das Theater als Mitspieler wahr und versteht es als Akteur, der nicht abgetrennt von der „ außertheatralischen Wirklichkeit “ existiert und Bedeutungen produziert. 7 Das Bühnengeschehen sehe ich als immer an die Gesellschaft, in der es existiert, gebunden: Es bildet diese einerseits ab, andererseits gestaltet es Normen, Bilder und Wertvorstellungen aktiv mit. 8 Diese Austauschbeziehungen in den Blick zu nehmen, ist ein Schwerpunkt dieser Arbeit. 1.1 Zugänge Die Figur des Juden auf der Bühne reicht weit zurück, neben den spätmittelalterlichen Judenfiguren der geistlichen Spiele, die vor allem als Klischees durch eine lächerliche Aufmachung und körperliche Einschreibungen antijüdische Stereotype bedienen, 9 prägen die im elisabethanischen Theater etablierten Charaktere wie Shylock aus William Shakespeares Der Kaufmann von Venedig oder Barabas aus Christopher Marlowes Der Jude von Malta den europäischen Theaterkanon und haben viele „ Nachfolger “ gefunden. 10 Dabei scheinen die in den europäischen Gesellschaften virulenten (Angst-)Bilder des Juden als fremd und anders 7 Fischer-Lichte, Erika: „ Theatre and the civilizing process. An approach to the history of acting. “ In: Postlewait, Thomas; McConachie, Bruce A. [Hrsg.]: Interpreting the theatrical past. Essays in the historiography of performance. Iowa 1991, S. 19 - 36, hier: S. 19. Verfasser und Titel werden im Fußnotenapparat eines jeden Kapitels bei der ersten Erwähnung vollständig angegeben, danach verwende ich nur noch die Kurzform. 8 Diamond, Elin: Unmaking mimesis. Essays on feminism and theater. London 1997; Reinelt, Janelle G. [Hrsg.]: Critical theory and performance. Ann Arbor 1992. 9 Bayerdörfer weist darauf hin, dass diese körperlich leichter oder stärker deformierten Charaktere zusätzlich durch weitere Signale wie unförmige Kostüme, Bart und Peyess, schiefe Körperhaltung, Trippelschritte sowie ausladende Arm- und Beinbewegungen markiert werden. (Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Judenrollen und Bühnenjuden. Antisemitismus im Rahmen theaterwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. “ In: Bergman, Werner; Körte, Mona [Hrsg.]: Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Berlin 2004, S. 315 - 351, hier: S. 324) 10 Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Umrisse und Probleme des Themas. “ In: Bayerdörfer, Hans- Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 1 - 23, hier: S. 6 f 14 Einleitung eine wichtige Rolle zu spielen. Immer wieder gibt es Versuche, den als unheimlich empfundenen, scheinbar nicht immer wahrnehmbaren Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden zu markieren. 11 Die Frage nach der Ausgestaltung der Bärte zielt daher immer über ästhetische Darstellungsparameter hinaus, denn die Bühne fungiert im Zuge dieser Konstruktion als ein Ort für die Kontrastierung von fremd und eigen, als Entwurf einer „ (ir-)realen “ Welt, innerhalb der das Jüdische sichtbar scheint beziehungsweise sichtbar gemacht wird. Diese Motivtradition der Judenrollen in ihrer Ausgestaltung in den skandinavischen Ländern hat, wie ich zeigen werde, in der Forschung bisher kaum Beachtung gefunden. Dabei tauchen in Dänemark bereits auf der ersten landessprachlichen Bühne in der Lille Grønnegade ab 1722 in den Komödien Ludvig Holbergs Judenfiguren auf und bleiben bis in die „ Hochzeit “ des Theaters während des Modernen Durchbruchs im ausgehenden 19. Jahrhundert prominent. Diese Entwicklung im skandinavischen Sprachraum nachzuvollziehen steht im Fokus meiner Arbeit. Anhand wichtiger Kristallisationspunkte werde ich untersuchen, wie sich Markierungen des Jüdischen im Zeichen von Emanzipation und Akkulturation, aber auch in Anbetracht der Veränderungen innerhalb der Institution Theater im 18. und 19. Jahrhundert verschieben und welche Kategorien in der Auseinandersetzung um das Eigene und das Fremde offensichtlich werden; ich werde der Frage nachgehen, anhand welcher sozialen, kulturellen, religiösen aber auch körperlichen Einschreibungen beziehungsweise Herausschreibungen die (Nicht-)Zugehörigkeit zur Gesellschaft auf der Bühne verhandelt wird und welche Wechselwirkungen sich mit außertheatralischen Orten nachvollziehen lassen. Dabei geht es nicht darum, eine möglichst lückenlose Aufzählung und Dokumentation jüdischer Figuren zu liefern, vielmehr werde ich exemplarisch Brüche und signifikante Änderungen in der Motivtradition der Judenrolle in den skandinavischen Ländern in den Blick nehmen. Als zeitlicher Ausgangspunkt dient die Gründung der jeweiligen landessprachlichen Theater im 18. beziehungsweise 19. Jahrhundert. Der Nationaltheatergedanke, der vor allem im deutschsprachigen Raum in den pro- 11 Gilman, Sander L.: „ Der jüdische Körper. “ In: Schoeps, Julius; Schlör, Joachim [Hrsg.]: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Frankfurt am Main 1995, S. 167 - 179, hier: S. 167 Zugänge 15 grammatischen Schriften von beispielsweise Johann Christian Gottsched 12 und Gotthold Ephraim Lessing 13 seinen Ausgang nimmt, zeigt sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Dänemark und Schweden virulent, in Norwegen gewinnt die Idee ab den 1830er Jahren an Aktualität. Die Bühnen fungieren dabei als „ initial manifestos / . . . / to fortify the language, improve manners and morals, educate the people and, ultimately, validate the credentials of the nation. “ 14 Die Herausbildung der Bühnen als „ Schule der Nation “ und ihre Bedeutung für eine als spezifisch dänisch, schwedisch oder norwegisch wahrgenommene Identität verstehe ich dabei keinesfalls als einheitlichen Prozess, erfolgt doch deren Etablierung immer auch in Abgrenzung zu den jeweiligen Nachbarländern. Trotz teils unterschiedlicher (Gründungs-)Voraussetzungen, gegenläufiger Entwicklungen und Konjunkturen ist diesen Theatern gemeinsam, dass sie über den Unterhaltungswert hinaus eine zentrale Funktion in nationalen Vergemeinschaftungsprozessen einnehmen. Vor diesem Hintergrund erklärt sich meine Schwerpunktsetzung auf die drei „ großen “ Bühnen und deren Vorläufer: Det kongelige teater am Kongens Nytorv in Kopenhagen, Den kungliga dramtiska teatern (Dramaten) in Stockholm sowie das Christiana Theater in der norwegischen Hauptstadt. 15 Um sich dem Phänomen der jüdischen Figuren auf diesen Bühnen im 18. und 19. Jahrhundert zu nähern, ist die Analyse der von ihnen eingenommenen Rollenfächer entscheidend, da diese im Theaterbetrieb neben wirtschaftlichen vor allem auch dramaturgische Funktionen übernehmen. Die einzelnen Partien werden nach festgelegten, aus der Commedia dell ’ arte stammenden Sparten besetzt, an welche die Schauspieler 16 (auch vertraglich) gebunden sind: Ein Liebhaber bleibt ein Liebhaber, ein Clown 12 Gottsched, Johann Christoph: Die deutsche Schaubühne nach den Regeln und Exempeln der Alten. [Sechs Bände] Leipzig 1741 - 1745 13 Lessing, Gotthold Ephraim: Hamburgische Dramaturgie. Leipzig 1972 [Erstmals in zwei Bänden erschienen 1767 - 1769] 14 Senelick, Laurence et al. [Hrsg.]: National theatre in Northern and Eastern Europe, 1746 - 1900. Cambridge 1991, S. 3 15 Das Theater der norwegischen Hauptstadt fungiert erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als national konnotierte Bühne, namentlich spiegelt sich dies ab 1899 im neu eröffneten Nationaltheater wider. Die enge Verzahnung mit dem dänischen Pendant rechtfertigt allerdings die Fokussierung auf diese Vorgängerbühne im Kapitel zu Norwegen. 16 Wenn ich im Folgenden „ Schauspieler “ , „ Zuschauer “ etc. schreibe, beziehen sich diese Sammelbegriffe nicht nur auf Menschen mit einer männlichen Geschlechtsidentität. Ich wähle diese Form, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. 16 Einleitung ein Clown. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein versteht sich die Aufführung mehr als die Summe der Fächer und weniger als „ Gesamtkunstwerk “ , wie man es im vom Regisseur geprägten Theater seit dem späten 19. Jahrhunderts kennt. Dieser Blickwinkel rückt zum einen die Darsteller als entscheidende Akteure in den Mittelpunkt der Betrachtung und dient zum anderen als ästhetisch begründete Begrenzung des Untersuchungszeitraumes. Dieser zunächst theaterhistorisch legitimierte zeitliche Rahmen ist zugleich eine Phase, in der sich das jüdische Leben in Dänemark und Schweden zu etablieren beginnt und Diskurse über die Ausgestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders an Aufmerksamkeit gewinnen. Dabei unterscheiden sich die skandinavischen Länder hinsichtlich der rechtlichen Stellung und numerischen Präsenz ihrer jüdischen Bevölkerung fundamental: Genießen die Juden in Dänemark schon ab 1814 vor dem Gesetz eine weitgehende Gleichstellung, erfolgt diese in Schweden erst schrittweise bis Mitte des 19. Jahrhunderts. In Norwegen hingegen ist Juden laut der Verfassung von 1814 der Aufenthalt im Land untersagt. Mit Blick auf diese heterogenen Entwicklungen bietet sich eine vergleichende Betrachtungsweise umso mehr an, stellt sich doch die Frage, inwieweit diese die Präsenz und Darstellung jüdischer Figuren auf den Bühnen mitbestimmen und prägen. Am Beispiel der nationalen Theater lässt sich so der Frage nachgehen, wo und wann, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Verhältnis zwischen Juden und Nicht-Juden in den skandinavischen Ländern in Erscheinung tritt. Dazu halte ich es für erforderlich, Theaterereignisse in einem möglichst breiten Kontext zu untersuchen. Theatergeschichte wird häufig (implizit) als Fortschrittsgeschichte geschrieben: Vom mittelalterlichen Mysterienspiel hin zum Durchbruch des modernen Regietheaters werden Entwicklungen auf der Bühne als fortlaufende „ Verbesserungen “ erzählt, als scheinbar linearer Weg, der zum bestmöglichen, nämlich dem heutigen Theater führt. Die Untersuchung gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen, die Frage nach der Bedeutung und Funktion der Bühne im zeitgenössischen Kontext, aber auch nach dem Einfluss der als wichtig erachteten „ Verbesserungen “ innerhalb des Theaterbetriebs werden zumeist vernachlässigt. Gerade die Untersuchungen zu jüdischen Bühnenfiguren beschäftigen sich zuvorderst mit der (Weiter-)Entwicklung der äußeren Zeichnung sowie der szenischen Mittel und leiten aus einer performativen (Un-)Sichtbarmachung häufig eine zubeziehungsweise abnehmende Toleranz der Gesellschaft gegenüber Juden im Allgemeinen Zugänge 17 ab. Dies spiegelt sich nicht zuletzt in der (wissenschaftlichen) Fokussierung auf die Figuren Nathan und Shylock, 17 anhand derer die Grundausrichtung der Rollengeschichte nachgezeichnet wird. Zwischen diesen Extrempositionen werden Charaktere und Stücke verortet: Eine größere Nähe zu Lessings Figur impliziert dabei aufklärerische, judenfreundliche Positionen, wohingegen eine Affinität zu Shylock Judenfeindschaft, eine karikierende und häufig lächerlichmachende Darstellung nahelegt. Auf eine Kontextualisierung, die diese Narrative hinterfragen könnte, wird größtenteils verzichtet. Die skandinavischen Bühnen bieten sich hier als Untersuchungsgegenstand in besonderer Weise an, da beide Figuren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kaum gezeigt werden - lediglich Der Kaufmann von Venedig wird vier Mal in Kopenhagen gespielt. Damit wird die Frage relevant, welche Parameter der Verkörperung jenseits dieser beiden wirkmächtigen Charaktere Gewicht besitzen. Neben dem beschriebenen Fortschrittsnarrativ findet sich in der Auseinandersetzung mit der Geschichte der Juden in Europa eine zweite Lesart: Jüdisch-nichtjüdische Beziehungen werden häufig mit einem Blick auf den Holocaust untersucht. Bedingt durch die Kontinuitäten und Konjunkturen des Antisemitismus, so die Forschung, sei jüdisches Leben letztlich zum Untergang verdammt gewesen. 18 Beide Herangehensweisen verstellen den Blick zum einen auf die spezifische Ästhetik des Theaters und seine Prämissen im 18. und 19. Jahrhundert, zum anderen blenden sie durch (historische) Vorausdeutungen die komplexen Beziehungen zwischen theatralischen (Re-)Präsentationen und sozialen sowie politischen Zusammenhängen aus. 19 Gegen eine verabsolutierende oder auch essentialisierende Handhabe von Judenfeindschaft auf der einen und einer fortschrittsnarrativen Lesart auf der anderen Seite werde ich im Rahmen dieser Arbeit nach den Funktionen jüdischer Figuren in den skandinavischen Theatern fragen. Mir geht es demnach nicht um die Analyse eines Mehr oder Weniger an positiv beziehungsweise negativ konnotierten Charakteren oder der Menge (anti-)jüdischer (Theater-)Bilder. Vielmehr werde ich die 17 Bayerdörfer 2004, S. 323 18 Als Beispiele lassen sich hier die Werke von Leo Goldberger (Goldberger, Leo [Hrsg.]: The rescue of the Danish Jews. Moral courage under stress. New York 1987) und David Vital (Vital, David: A people apart. The Jews in Europe 1789 - 1939. Oxford 1999) anführen. 19 Ausführlich mit dem Phänomen des foreshadowing beschäftigt sich Michael Bernstein. (Bernstein, Michael André: Foregone conclusions. Against apocalyptic history. Berkeley 1994) 18 Einleitung Frage ins Zentrum rücken, welche Stellung diesen im Bedeutungssystem Theater zukommt. Dieser Ansatz lädt dazu ein, Aspekte der gesellschaftspolitischen Beschaffenheit jüdisch-nichtjüdischer Beziehungen, deren Entwicklungen, Verschiebungen oder auch die Abwesenheit von Entsprechungen in die Betrachtung mit einfließen zu lassen und so vielfältig an bisherige Forschungsergebnisse anzuknüpfen sowie diese zu ergänzen. 1.2 Anknüpfungspunkte Die Theatergeschichte der skandinavischen Länder im 18. und 19. Jahrhundert ist in weiten Teilen gut erforscht, dies gilt insbesondere für Dänemark und Schweden. Es existieren für die einzelnen Länder verschiedene, teils sehr umfassende Überblickswerke und Einzelstudien, 20 die jedoch nur vereinzelt Aspekte der Motivtradition des Juden auf der Bühne beleuchten. Eine systematische Beschäftigung ist bisher ausgeblieben; besonders für das 18. und 19. Jahrhundert sind die Leerstellen unübersehbar. In den letzten Jahrzehnten sind jedoch äußert verdienstvolle Pionierarbeiten von Niels Peder Jørgensen für Dänemark 21 und Willmar Sauter 22 für Schweden entstanden, die mir wichtige Ausgangspunkte 20 Für Dänemark sind hier die Überblickswerke von Thomas Overskou (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Første Deel-Femte Deel. Kjøbenhavn 1846 - 1864), Peter Hansen (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 1ste og 2den del. Kjøbenhavn 1889 - 1892) und Kela Kvam (Kvam, Kela et al.: Dansk Teaterhistorie. Bd. 1: Kirkens og kongens teater. København 1992) zu nennen. Für Schweden vor allem die Theatergeschichte von Nils Personne (Personne, Nils: Svenska Teatern I - V. Stockholm 1913 - 1919), Georg Nordensvan (Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917) und der an der Universität Stockholm entstandene Sammelband Teater i Sverige (Hammergren, Lena et al. [Hrsg.]: Teater i Sverige. Hedemora 2004). In Norwegen haben Ann Schmiesing (Schmiesing, Ann: Norway ’ s Christiania Theatre, 1827 - 1867. From Danish showhouse to national stage. Madison 2006) und Trine Næss (Næss, Trine: Christiania Theater forteller sin historie 1877 - 1899. Oslo 2005) überzeugende Studien zum Theater in der Hauptstadt Christiania, dem heutigen Oslo, im 19. Jahrhundert vorgelegt. Eine gesamtskandinavische Perspektive bieten Frederik und Lise-Lone Marker (Marker, Frederik J; Marker, Lise-Lone: A history of Scandinavian theatre. Cambridge 1996). 21 Jørgensen, Niels Peder: „ The Stage Jew. “ In: Gelfer-Jørgensen, Mirjam [Hrsg.]: Danish Jewish art. Jews in Danish art. København 1999, S. 470 - 479 22 Sauter, Willmar: „ Svensk-judisk teaterhistorik. “ In: Bornstein, Idy [Hrsg.]: Nya judiska perspektiv. Essäer tillägnade Idy Bornstein. Stockholm 1993, S. 201 - 233; Sauter, Willmar: „ Shylock i Sverige. “ In: Teatervetenskap Nr. 20, 1979. Willmar Sauter beschäftigt sich Anknüpfungspunkte 19 liefern. Einzelne Gesichtspunkte behandelt zudem Kerstin Derkert. 23 Methodisch und theoretisch kann ich an Forschungsergebnisse aus dem deutsch- und englischsprachigen Raum anknüpfen, die Auseinandersetzung mit Judenrollen hat in diesen Ländern eine lange wissenschaftliche Tradition. 24 Wegweisend sind hier die Arbeiten von Hans-Peter Bayerdörfer, der zum einen systematisch Untersuchungsmethoden und -felder beschreibt, 25 zum anderen in zahlreichen Sammelbänden umfangreiche Ergebnisse vorlegt, 26 die teilweise auch eine europäische Perspektive berücksichtigen, die skandinavischen Länder jedoch außen vor lassen. 27 Meine Analyseansätze profitieren darüber hinaus von Hans-Joachim Neubauers Impulsen, der auf das Problem hinweist, dass Juden im Drama und Theater meist als literarischer Reflex auf eine wie auch immer geartete historische „ Wirklichkeit “ untersucht werden. Er plädiert dafür, die spezifische Semantik und Ästhetik der Figuren mitzulesen und weniger auf die Differenz zur historischen „ Realität “ zu referieren, die dadurch vor allem auf ein Weniger oder Mehr an Antisemitismus schließt. 28 In der englischdarüber hinaus mit der Darstellung jüdischer Figuren im 20. Jahrhundert (Sauter, Willmar: Theater als Widerstand. Wirkung und Wirkungsweise eines politischen Theaters. Faschismus und Judendarstellung auf der schwedischen Bühne 1936 - 1941. Stockholm 1979) und beleuchtet zusammen mit Yael Feiler am Beispiel verschiedener Inszenierungen von Der Kaufmann von Venedig antisemitische Strukturen performativer Arbeiten (Feiler, Yael; Sauter, Willmar [Hrsg.]: Shakespeares Shylock och antisemitismen. Stockholm 2006). 23 Derkert, Kerstin: „ Dramatiska teatern under den gustavianska tiden. “ In: Rosenqvist, Claes [Hrsg.]: Den svenska nationalscenen. Traditioner och reformer på Dramaten under 200 år. Höganäs 1988, S. 9 - 69 24 Ich möchte hier nur zwei wichtige Untersuchungen älteren Datums nennen, auf weitere relevante Literatur werde ich in den jeweiligen Kapiteln verweisen: Zweig, Arnold: Juden auf der deutschen Bühne. Berlin 1928; Sinsheimer, Hermann: Shylock. Die Geschichte einer Figur. München 1960 25 Bayerdörfer 2004; Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Harlekinade in jüdischen Kleidern? Der szenische Status der Judenrollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. “ In: Horch, Hans Otto; Denkler, Horst [Hrsg.]: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Zweiter Teil. Tübingen 1989, S. 92 - 117 26 Bayerdörfer, Hans-Peter; Dietz, Bettina [Hrsg.]: Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jahrhundert. Berlin 2007; Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992 27 Bayerdörfer, Hans-Peter; Fischer, Jens-Malte [Hrsg.]: Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Restauration bis zur Zwischenkriegszeit. Tübingen 2008 28 Neubauer, Hans-Joachim: „ Stimme und Tabu. Was das Theater erfindet und was es vermeidet. “ In: Benz, Wolfgang [Hrsg.]: Judenfeindschaft als Paradigma. Studien zur 20 Einleitung sprachigen Forschung stehen zumeist die Shakespeare-, Cumberland- und Marlowe-Figuren im Vordergrund, 29 die besonders die Abschnitte zu Dänemark und Schweden bereichern. Neben den theaterwissenschaftlichen Ausführungen sehe ich Anknüpfungsmöglichkeiten an literaturwissenschaftliche Forschungsbereiche. Gerade die neueren Untersuchungen zu jüdisch-skandinavischen Figuren und Autoren von Stefanie von Schnurbein und anderen liefern dabei wichtige Ansatzpunkte, 30 wobei diese zuvorderst auf Erzählliteratur fokussieren und dramatische Charaktere nur am Rand Erwähnung finden. 31 Für meine Fragestellung lassen sich darüber hinaus germanistische Arbeiten fruchtbar machen, die sich mit deutsch-jüdischer Literatur beziehungsweise mit Judenbildern in der Literatur beschäftigen. 32 Dies gilt insbeson- Vorurteilsforschung. Berlin 2002, S. 70 - 78; Neubauer, Hans-Joachim: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994 29 Herskovits, Andrew: The positive image of the Jew in the comedia. Oxford 2005; Brown, John Russell [Hrsg.]: Marlowe, Tamburlaine the Great, Edward the Second, and The Jew of Malta. A casebook. Basingstoke 1994; Cheyette, Bryan: Constructions of ‘ the Jew ’ in English literature and society. Racial representations 1875 - 1945. Cambridge 1993; Rosenberg, Edgar: From Shylock to Svengali. Jewish stereotypes in English fiction. Stanford 1960 30 Beispielhaft zu nennen sind hier: Schnurbein, Stefanie von: „ Hybride Alteritäten. Jüdische Figuren bei H. C. Andersen. “ In: Behschnitt, Wolfgang; Herrmann, Elisabeth [Hrsg.]: Über Grenzen. Grenzgänge der Skandinavistik. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Anz. Würzburg 2007, S. 129 - 150; Schnurbein, Stefanie von: „ Darstellungen von Juden in der dänischen Erzählliteratur des poetischen Realismus. “ In: Nordisk Judaistik. Scandinavian Jewish Studies 25: 1 (2004), S. 57 - 78; Schiedermair, Joachim: „ Der Kaufmann von Kopenhagen. Geld und Gabe in Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden (1836). “ In: Müller-Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim [Hrsg.]: Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. Tübingen und Basel 2013; Bach, Tine: „ Jøder i dansk litteratur. “ Alef 12 - 13 1994/ 95, S. 19 - 26; Bach, Tine: Exodus. Om den hjemløse erfaring i jødisk litteratur. Kopenhagen 2006 31 Müller-Wille, Klaus: „ Ende gut, alles gut? Das Imaginäre der Ökonomie und die Konstitution des Populärtheaters (Fasting, P. A. Heiberg, Overskou, Hertz). “ In: Müller- Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim [Hrsg.]: Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. Tübingen und Basel 2013, S. 193 - 213; Brøndsted, Mogens: Ahasverus. Jødiske elementer i dansk litteratur. Odense 2007; Rothlauf, Gertraud: Vom Schtetl zum Polarkreis. Juden und Judentum in der norwegischen Literatur. Wien 2009 32 Hartwich, Wolf-Daniel: Romantischer Antisemitismus. Von Klopstock bis Richard Wagner. Göttingen 2005; Krobb, Florian: Die schöne Jüdin. Jüdische Frauengestalten in der deutschsprachigen Erzählliteratur vom 17. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Tübingen 1993 Anknüpfungspunkte 21 dere für die Forschungsbeiträge, die als Ergebnis der Tagung Conditio Judaica veröffentlicht wurden 33 und für den von Willi Jasper, Eva Lezzi und anderen herausgegebenen Sammelband Juden und Judentum in der deutschsprachigen Literatur. Maßgeblich nimmt sich zudem Doerte Bischoffs Beitrag aus, der einen performativitätstheoretischen Ansatz verfolgt. Bischoff drängt darauf, die komplexen Beziehungen zwischen literarisch inszenierten Stereotypen und deren Wirkmacht in sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhängen in den Blick zu nehmen, ohne dabei auf (vermeintlich) kausale Zusammenhänge zu fokussieren, etwa in dem Sinne, dass die auf dem Theater und in der Literatur geprägten Bilder von Juden aufgegriffen und sich durch ständiges Wiederholen in „ realen Kontexten “ zu Stereotypen verfestigen. 34 Dieser Blick auf die performative Verfasstheit und ästhetische Ausgestaltung dieser Charaktere lässt sich für meine Untersuchungen immer wieder fruchtbar machen. Die Einbeziehung gesellschaftspolitischer Rahmenbedingungen jüdischen Lebens in die Analyse wäre ohne die umfangreiche geschichtswissenschaftliche Forschung nicht möglich. Über prosopographische und genealogische Studien älterer Provenienz hinaus (insbesondere für Dänemark 35 ) liegen für Schweden und Norwegen wichtige historische Standardwerke zur jüdischen Geschichte vor, etwa von Hugo Valentin 36 und Oskar Mendelsohn. 37 Für Dänemark hat vor allem Bent Blüdnikow Pionierdienste geleistet, nicht zuletzt mit dem gemeinsam mit Harald Jørgensen herausgegebenen Sammelband Indenfor Murene. 38 Auch das von Miriam Gelfer- Jørgensen herausgegebene, großformatige und voluminöse Werk Danish 33 Horch, Hans Otto; Denkler, Horst [Hrsg.]: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Erster und zweiter Teil. Tübingen 1988 und 1989 34 Bischoff, Doerte: „ Handelnde Juden, Verhandlungen des Jüdischen. Zur Performativität eines Stereotyps. “ In: Lezzi, Eva; Salzer, Dorothea M. [Hrsg.]: Dialog der Disziplinen. Jüdische Studien und Literaturwissenschaft. Berlin 2009, S. 215 - 250 35 Margolinsky, Julius: Stamtavlen Henriques 1725 - 1948. Bendix Moses Henriques efterkommere. Kopenhagen 1949 36 Valentin, Hugo: Judarnas historia i Sverige. Stockholm 1924; Valentin, Hugo: Judarna i Sverige. Stockholm 1964 37 Mendelsohn, Oskar: Jødenes historie i Norge gjennom 300 år. Oslo 1987; Mendelsohn, Oskar: „ Jødene i Norge. “ In: Broberg, Gunnar et al. [Hrsg.]: Judiskt liv i Norden. Uppsala 1988, S. 39 - 52 38 Blüdnikow, Bent; Jørgensen, Harald [Hrsg.]: Indenfor murene. Jødisk liv i Danmark 1684 - 1984. Udgivet af Selskabet for dansk-jødisk historie, i anledning af 300-året for grundlæggelsen af Mosaisk Troessamfund. København 1984 22 Einleitung Jewish art 39 verdient in diesem Zusammenhang Erwähnung. Hinzu kommen neuere überblicksartige, populärwissenschaftliche Gesamtdarstellungen 40 und Dokumentationen wissenschaftlicher Tagungen, 41 welche die Fokussierung der Forschung auf die Komplexe Zweiter Weltkrieg, Besatzung und Judenverfolgung beziehungsweise Judenrettung glücklicherweise auffächern. 42 Diese vielfältigen Forschungstraditionen und -ergebnisse bilden meiner Arbeit einen wichtigen Anker. Durch die Verschränkung der theater- und literaturwissenschaftlichen Ansätze und deren historischer Verortung kann es gelingen, der bisher ausgeblendeten Frage nach den spezifischen Funktionen jüdischer Figuren im Theater der skandinavischen Länder nachzugehen. 1.3 Das Theater als Untersuchungsgegenstand - Methodische Vorüberlegungen Meine Untersuchung fokussiert auf die jeweilige Aufführung; ich betrachte demnach ausschließlich Werke, die in wahrnehmbarer Zahl in den Nationaltheatern gespielt werden. Dies bedeutet, dass die vorliegende Arbeit keine Dramenanalyse (im literaturwissenschaftlichen Sinn) versucht, vielmehr lese ich in Anlehnung an Erika Fischer-Lichte die Aufführung als Text, 43 der neben den auch schriftlich fixierten Inhalten über eine Vielzahl von Zeichen sowie Materialien Bedeutung produziert und der sich vor allem durch seine Ereignishaftigkeit auszeichnet: Das Theater ist immer gebunden an einen spezifischen Ort und eine bestimmte Zeit, es erfordert - in 39 Gelfer-Jørgensen, Mirjam [Hrsg.]: Danish Jewish art. Jews in Danish art. København 1999 40 Hammerich, Paul: Undtagelsen. En krønike om jøderne i Norden frem til 2. verdenskrig. Kopenhagen 1992 41 Hier sind besonders die Beiträge von Erik Lönnroth (Lönnroth, Erik: „ Europa, Norden och judarna. “ In: Broberg, Gunnar et al. [Hrsg.]: Judiskt liv i Norden. Uppsala 1988, S. 9 - 14) und Sven Tägil (Tägil, Sven: „ Judarna i Sverige. “ In: Broberg, Gunnar et al. [Hrsg.]: Judiskt liv i Norden. Uppsala 1988, S. 15 - 26) herauszustellen. 42 Beispielhaft möchte ich hier nur drei Arbeiten anführen: Sode-Madsen, Hans [Hrsg.]: I Hitler-Tysklands skygge. Dramaet om de danske jøder 1933 - 1945. Kopenhagen 2003; Johansen, Per Ole: Oss selv nærmest. Norge og jødene. Oslo 1984; Lidegaard, Bo: Die Ausnahme. Oktober 1943: Wie die dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger der Vernichtung entkamen. München 2013 43 Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Band 3: Die Aufführung als Text. Tübingen 1995 [3. Aufl.], S. 10ff Das Theater als Untersuchungsgegenstand 23 seiner Minimalvoraussetzung - immer einen Darstellenden, der vor einem Publikum einen Charakter verkörpert. 44 Eine Analyse dieses Korpus sieht sich dabei der methodischen Schwierigkeit ausgesetzt, dass ihr Gegenstand flüchtig ist und nur im Verlauf seiner Hervorbringung rezipiert und analysiert werden kann. 45 Anders als beispielsweise ein Bild, das unabhängig von seinen Produktionsbedingungen betrachtet und gedeutet werden kann, bleibt eine Aufführung in ihrer raumzeitlichen Verfasstheit zunächst wenig greifbar. Sie hinterlässt jedoch Artefakte und Zeugnisse, die eine Interpretation ermöglichen. 46 Unter diesen Gesichtspunkten kann es nicht mein Bestreben sein, Aufführungen des 18. oder 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren, vielmehr schlage ich ein Modell vor, das die Artefakte auf unterschiedlichen Ebenen in den Blick nimmt. In der praktischen Umsetzung wird es darum gehen, verschiedene (Material-)Schichten freizulegen, die zusammengelesen eine mehrdimensionale „ Interpretation der theatralischen Vergangenheit “ 47 ermöglichen, dabei die transistorische Verfasstheit des Theaters, also dessen Flüchtigkeit, nicht ausblenden. Die vielfältigen Zeugnisse, die sich für meine Analyse in besonderer Weise eignen, verorte ich in drei übergeordneten Feldern: Neben den Dramentexten stehen die zeitgenössische Theaterpraxis sowie deren gesellschaftspolitische Verortung im Mittelpunkt. Die unterschiedlichen Materialschichten will ich zunächst kennt- 44 Ich folge hier Fischer-Lichtes Definition von Theater, die sich dabei an Eric Bentley orientiert: „ Theater, reduziert auf seine minimalen Voraussetzungen, bedarf also einer Person A, welche X repräsentiert, während S zuschaut. “ (Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Band 1: Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1998 [4. Aufl.], S. 16.) 45 Die besonderen Bedingungen theaterwissenschaftlicher Aufführungsanalysen sind hinreichend und ausführlich besprochen und fokussieren vor allem auf das Transistorische dieser Kunstform, das sich einer Analyse im Prinzip verweigert, dem man aber mit Hilfe der Artefakte, die eine Aufführung hinterlässt, nahe kommen kann. Hingewiesen sei hier nur auf die Arbeiten von Erika Fischer-Lichte (Fischer-Lichte 1998, S. 15ff; Fischer-Lichte 1995, S. 7 ff ) sowie Jacqueline Martin und Willmar Sauter (Martin, Jacqueline; Sauter, Willmar: Understanding Theatre. Performance Analysis in Theory and Practice. Stockholm 1995, S. 105 ff). 46 Bayerdörfer 2004, S. 320 47 Ich lehne mich in der Begrifflichkeit hier bewusst an das von Thomas Postlewait herausgegebene Buch Interpreting the theatrical past (Postlewait, Thomas; McConachie, Bruce A. [Hrsg.]: Interpreting the theatrical past. Essays in the historiography of performance. Iowa 1991) an, um deutlich zu machen, dass eine Rekonstruktion von Theaterereignissen nicht möglich ist, die Interpretation derselben aber auf vielfältige Weise erfolgen kann. 24 Einleitung lich machen und im Anschluss daran meine theoretischen Zugänge und Analysewerkzeuge benennen. Dramentexte Wichtige Ausgangspunkte bilden zunächst die Dramentexte, in denen jüdische Figuren auftreten, lässt sich an ihnen doch nachzeichnen, welche Juden die Bühnen bespielen. Es handelt sich hierbei um Stücke, die heute zu großen Teilen unbekannt sind oder nur äußerst selten aufgeführt werden, im 18. und 19. Jahrhundert jedoch die Spielpläne bestimmen. Die (Wieder-)Entdeckung dieser Werke dient so nicht nur der Annäherung an die jüdischen Figuren des Rollenfachtheaters, sondern „ feiert “ ein wenig auch dessen vergessene Verfasser: Die dramatischen Arbeiten der Dänen Ludvig Holberg, Peter Andreas sowie Johan Ludvig Heiberg und Adam Oehlenschläger sind dabei ebenso zu nennen wie das Œ uvre des Schweden Olof Kexél. Dass hier nicht nur die gedruckten Ausgaben Relevanz besitzen, sondern auch aus handschriftlichen Manuskripten, Souffleurexemplaren, Partituren und Rollenheften wichtige Informationen hinsichtlich der Entstehung und Formierung der Partien abgeleitet werden können, wird im Verlauf der Arbeit immer wieder deutlich und unterstreicht einmal mehr die Fokussierung auf die Aufführungspraxis. 48 Zeitgenössische Theaterpraxis Die Texte dieser Autoren entstehen dabei immer mit dem Blick auf die Bühne: Dramen werden im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert in der Regel nicht als Lesesondern als Spielstoffe verfasst. Das Theater ist der Ort, der ökonomischen Gewinn generiert. Dabei erscheint es mir wichtig, das Verhältnis zwischen Bühne und Dichtern als Austauschbeziehung zu lesen und diese gegenseitigen Beeinflussungen gerade bei der Untersuchung jüdischer Dramatis Personae in den Blick zu nehmen: Um aufgeführt zu werden - und das möglichst in wahrnehmbarer Zahl - müssen die Autoren die organisatorischen als auch technischen Möglichkeiten der Bühne berücksichtigen, aber auch den Personenapparat so gestalten, dass er mit den Möglichkeiten des Theaters umsetzbar ist. 48 Die im europäischen Vergleich einmalig umfangreichen Theaterarchive in Kopenhagen (Det kongelige teaters arkiv og bibliotek, KTB) und Stockholm (Kungliga teatrarnas arkiv, KTA) haben mir für diese Arbeit als wertvolle und unerschöpfliche Materialgrundlage gedient. Das Theater als Untersuchungsgegenstand 25 Gleichzeitig prägen Autoren die Entwicklungen der Bühne, indem sie durch neue Genres, exotische Schauplätze und ästhetische Neuerungen technische wie auch personelle Änderungen an den Spielstätten mitverantworten. Diese Verortung der Dramen auf der Bühne - im Spielbetrieb der Königlichen Theater - wird durch eine Fülle von Materialien ermöglicht: Hierbei erweisen sich neben Bühnenbildentwürfen und Figurinen vor allem die Inspizientenbücher (maskinmesterprotokoller) und Bühnenpläne als aufschlussreich. Den organisatorischen Aufbau und die praktische Ausgestaltung des Spielbetriebs zeichne ich mit Hilfe von Theaterplakaten, Spielplänen, Repertoirelisten, zeitgenössischen theaterhistorischen Werken und dem internen Schriftverkehr der Theater nach. 49 Zudem kommt theoretischen Schriften, die sich der Schauspielästhetik widmen, eine wichtige Rolle zu. Auf diese Weise gelingt es, die zentrale Funktion der Darsteller in diesem Untersuchungsfeld in die Analyse prominent mit einzubeziehen. Die Schauspieler fungieren in der Epoche des Rollenfachtheaters, in einem ästhetischen Feld vor dem Regisseur, als das zentrale und prägende Element der Bühnen und verbinden in ihren Verkörperungen den dramatischen Text mit der Bühnenästhetik; sie dienen als ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis der jüdischen Figuren. Nicht umsonst postuliert Bayerdörfer in seiner wegweisenden Schrift über die theaterwissenschaftliche Beschäftigung mit Judenfiguren, dass „ [a]lle Wege des Theaters / . . . / zum Schauspieler beziehungsweise zum Sänger, Tänzer oder Performer etc. [führen]. “ 50 Diesen in seiner Körperlichkeit als wichtigen Teilnehmer im Prozess der Bedeutungsproduktion zu begreifen, hat in den letzten Jahren vermehrt Eingang in die Forschung gefunden. Besonders die Arbeiten von Erika Fischer-Lichte und beispielsweise Dieter Mersch weisen auf die Notwendigkeit dieser Perspektive gerade auch in Bezug auf historische Aufführungen hin. Dabei fokussieren diese Ansätze vor allem auf das „ Paradox der Materialität “ 51 des Schauspielerkörpers, das sich darin äußert, dass auf der Bühne Zeichenfunktion und -träger identisch werden 52 und der Darsteller auch durch sein 49 Dieses Material habe ich teilweise in den oben aufgeführten Archiven, teilweise in den Königlichen Bibliotheken in Kopenhagen (Det Kongelige Bibliotek) und Stockholm (Kungliga biblioteket) eingesehen. 50 Bayerdörfer 2004, S. 317 51 Mersch, Dieter: „ Paradoxien der Verkörperung. “ In: Nöth, Winfried; Hertling, Anne [Hrsg.]: Körper - Verkörperung - Entkörperung. Kassel 2005, S. 17 - 41, hier: S. 26 52 Mersch 2005, S. 29 f 26 Einleitung „ leibliches In-der-Welt-sein “ , 53 das nach bestimmten, die Bühne betreffenden Regeln arbeitet und ausgebildet ist, 54 Aussagen trifft. Dies unterstreicht, dass sowohl der semiotische als auch der phänomenale Körper an der Bedeutungsproduktion auf der Bühne beteiligt sind 55 und in der Analyse dieser Prozesse prominent aufgenommen werden müssen. Die Arbeit der Schauspieler werde ich detailliert anhand von Reglements, (Auto-)Biographien, Kritiken, Briefen und Theaterbildern nachzeichnen und dabei deutlich machen, wie sie gerade in Dänemark und Schweden die Ausprägung der jüdischen Charaktere aktiv mitgestalten. Das heterogene Material unterstreicht, dass eine Theateraufführung nicht einen Autor - nämlich den des Dramas - hat, sondern deren vieler. Mein Blickwinkel rückt diese Vielstimmigkeit des Bühnenereignisses in den Fokus. Gesellschaftspoltische Verortung Diese Vielstimmigkeit gewinnt an Tiefenschärfe, wenn sie die gesellschaftlichen Entwicklungen und Positionen berücksichtigt, denn verstanden als soziale Praxis, die „ Wirklichkeit “ nicht nur spiegelt sondern auch beeinflusst, kommt der Stellung der Bühnen in den politischen und sozialen Prozessen eine besondere Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund untersuche ich in meiner Arbeit die vielfältigen Ursachen und Voraussetzungen, die zur Gründung der landessprachlichen Theater in den jeweiligen Ländern führen, und fokussiere auf ihre Bedeutung für die Herausbildung einer nationalspezifischen kulturellen Identität. Hier kommt der umfangreichen Theaterhistoriographie der skandinavischen Länder, welche die Bedingungen und Vorläufer ihrer königlichen Bühnen eingehend beleuchtet, eine wichtige Materialfunktion zu. Zu nennen sind außerdem Reglements der Theater, Privilegien, die den Spielbetrieb und dessen Bedingungen organisieren, sowie - gerade in Bezug auf Schweden - der Schriftwechsel zwischen dem Monarchen und der Theaterleitung. 53 Fischer-Lichte, Erika: „ Verkörperung/ Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftliche Kategorie. “ In: Fischer-Lichte, Erika et al. [Hrsg.]: Verkörperung. Tübingen und Basel 2001, S. 11 - 25, hier: S. 12 54 Weiler, Christel: „ Haschen nach dem Vogelschwanz. Überlegungen zu den Grundlagen schauspielerischer Praxis. “ In: Weiler, Christel; Lehmann, Hans-Thies [Hrsg.]: Szenarien von Theater und Wissenschaft. Berlin 2003, S. 204 - 214, hier: S. 204 55 Klein, Gabriele: „ Körper und Theatralität. “ In: Fischer-Lichte, Erika et al. [Hrsg.]: Diskurse des Theatralen. Tübingen und Basel 2005, S. 35 - 47, hier: S. 41 Das Theater als Untersuchungsgegenstand 27 Zudem scheint es mit Blick auf die jüdischen Figuren unabdingbar, die Bedingungen jüdischen Lebens in die Betrachtung einfließen zu lassen. Dies veranschaulicht zum einen die heterogenen Entwicklungen in den skandinavischen Ländern, zum anderen lässt sich so der Frage nachgehen, auf welche Weise die unterschiedlich gewichteten Auseinandersetzungen um die rechtliche Stellung und die Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe der jüdischen Migranten die Bühnenpraxis beeinflussen. Hierzu kann ich auf die inzwischen doch recht umfangreiche, oben angeführte Forschung zur Geschichte der Juden Bezug nehmen und diese an die Ausformung und Rezeption der einzelnen Aufführungen zurückbinden. Die Frage Wie viel Bart darf sein? verspricht gerade in der Interaktion zwischen Theater und „ außertheatralischer Wirklichkeit “ vielschichtige Aussagen. Im Spannungsfeld dieser drei großen Untersuchungsbereiche lässt sich die Ausgestaltung und Darstellungsweise der Bühnenjuden mehrdimensional wahrnehmen. Dem heterogenen Materialkorpus nähere ich mich mit einem diskursanalytischen Ansatz in Anknüpfung an Foucault. Dieser hebt in seiner Archäologie des Wissens die unterschiedlichen Möglichkeitsbedingungen von Aussagen hervor. Gerade mit Blick auf meine historischen Artefakte erscheint mir diese Herangehensweise fruchtbar, da sie, wie Foucault ausführt, vielfältig „ Spuren “ wahrnehmen und miteinander verknüpfen kann: Die Aussageanalyse ist also eine historische Analyse / . . . / : sie fragt die gesagten Dinge nicht nach dem, was sie verbergen, was in ihnen und trotz ihnen gesagt wurde, nach dem Nicht-Gesagten, das sie verbergen, dem Gewimmel von Gedanken, Bildern und Phantasmen, die sie bewohnen. Sondern umgekehrt, auf welche Weise sie existieren, was es für sie heißt, manifestiert worden zu sein, Spuren hinterlassen zu haben und vielleicht für eine eventuelle Wiederverwendung zu verbleiben. 56 Versteht man meine unterschiedlichen Materialien als Aussagen, zeigt sich, dass es im Zusammenlesen von komplexen Diskursformationen mit den Referenten der Aussagen, den Aussagen selbst, den in ihnen eingenommenen Subjektpositionen und der ihnen eigenen Materialität und Medialität gelingen kann, den Untersuchungszeitraum in seiner Besonderheit zu 56 Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Frankfurt am Main 1995 [7. Aufl.], S. 159 28 Einleitung erfassen. Appliziert auf das Theater sehe ich die Stärke dieses Ansatzes darin, nicht ausschließlich einzelne Zeichensysteme zu betrachten, sondern die Aufführung als Teil eines Diskurses zu verstehen, der über den Zeitraum des Spiels hinaus mit anderen Teilen interagiert. Zudem ermöglicht die Fokussierung auf die Interdependenzen zwischen den unterschiedlichen Feldern von einer Prämissensetzung abzusehen und damit Interpretationsansätze zu eröffnen, die rein literatur- oder theaterwissenschaftliche Analysen erweitern. Diese Annäherung an den Untersuchungsgegenstand und seine Materialität erlaubt eine Perspektive auf die Aufführungen des 18. und 19. Jahrhunderts, in welcher deren Vielstimmigkeit anklingen kann, die sie aus ihrer Zeit heraus betrachtet und dadurch Einsichten verspricht, die mehrdimensional die Bühne und ihre Vernetzung mit der „ außertheatralischen Wirklichkeit “ in den Blick nimmt. Zudem erhoffe ich mir durch diesen Zugang, das Theater in seiner Lebendigkeit besser abbilden zu können, ein wenig von der Faszination der historischen Aufführungen zu transportieren und auf diese Weise - wie Susan Sontag fordert - auch von der „ Erotik der Kunst “ 57 zu erzählen. 1.4 Vorhang auf! Ich folge in meiner Arbeit geographischen Grenzen. Dänemark, Norwegen und Schweden werden separat betrachtet, was sich aus der unterschiedlichen Entwicklung der Theater, aber auch der jüdischen Präsenz in den Ländern erklärt. Zudem kann auf diese Weise ein verallgemeinernder Blick auf Skandinavien als (vermeintlich) einheitlicher Kulturraum vermieden werden. Dass sich auf Grund der historisch gewachsenen Kontakte zwischen den Staaten sowie ihrer geographischen als auch sprachlichen Nähe eine Vielzahl von Interdependenzen prägend ausnimmt, rechtfertigt einmal mehr die gemeinsame Betrachtung und spielt im Verlauf der Untersuchung immer wieder eine wichtige Rolle. Die Gewichtung der einzelnen Kapitel resultiert dabei aus dem Material. Dänemark nimmt hier den größten Raum ein, was sich mit Blick auf den frühen Beginn des landessprachlichen Theaterlebens 1722 und die Fülle der jüdischen Charaktere bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts erklärt. Die Bühne in Schweden erblüht erst im ausgehenden 18. Jahrhundert unter Gustav III., 57 Sontag, Susan: „ Gegen Interpretation. “ In: Sontag, Susan: Kunst und Antikunst. 24 literarische Analysen. München 1980, S. 9 - 18, hier: S. 18 Vorhang auf! 29 fokussiert zunächst auf die Oper und Heldendarstellungen der schwedischen Geschichte und räumt jüdischen Charakteren deutlich weniger Raum ein. In Norwegen, das bis 1814 zu Dänemark gehört und kulturell stark von diesem Nachbarn geprägt wird, etabliert sich die nationale Bühne erst 1899, deren Vorläufer zeichnen sich gerade durch die Abwesenheit jüdischer Figuren aus. Im ersten, weitaus umfangreichsten Teil, beschäftige ich mich mit den Entwicklungen in Dänemark. Zunächst nehme ich die Gründung des landessprachlichen Theaters in der Lille Grønnegade in Kopenhagen und dessen bis heute prominenten (Haus-)Autor Ludvig Holberg in den Blick. Dieser schreibt für „ seine “ Bühne über 20 Komödien, in denen etliche jüdische Charaktere auftreten. Diesen in der literatur- und theaterwissenschaftlichen Forschung kaum beachteten Figuren kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie noch bis weit ins 20. Jahrhundert auf der Bühne präsent bleiben und die Darstellungskonventionen in entscheidendem Maße prägen (Kapitel 2). Diesem ersten landessprachlichen Theater ist nur ein kurzes Leben beschieden, nach fünf Jahren schließt es wieder und erst nach der Aufhebung des unter Christian VI. erlassenen Theaterverbots öffnet 1748 ein neues Haus am Kongens Nytorv, das sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach und nach als nationale Institution zu etablieren beginnt. Die veränderte Stellung des Theaters beeinflusst dabei auch die Ausgestaltung der jüdischen Charaktere. Am Beispiel von Peter Andreas Heibergs Singspielen wird deutlich, wie die bühnentechnische und -ästhetische Modernisierung zu einer Auffächerung jüdischer Charaktere führt, was sich vor allem in der Aufnahme des edlen Juden Moses in den Personenapparat manifestiert (Kapitel 3). Literarischen Grenzgängern kommt in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine entscheidende Funktion zu. Die als so genanntes guldalder (Goldenes Zeitalter) gefeierte Epoche zwischen 1800 und 1850 zeichnet sich durch starke (geo-)politische Veränderungen und eine damit einhergehende ökonomische Misere des dänischen Staates aus. Gleichzeitig erleben die Künste - und hier vor allem das Theater - einen erheblichen Aufschwung und die Bühne wird zu der führenden kulturellen Institution Dänemarks. Wichtigster Dramatiker dieser Zeit ist Johan Ludvig Heiberg, der durch seine Vaudevilles die königliche Bühne über viele Jahre entscheidend prägt. Neben ihm sorgen Autoren wie Adam Oehlenschläger, Thomas Overskou und Jens Christian Hostrup für eine Blütezeit des Theaters. In dieser Phase erreichen aber auch die Diskurse um die rechtlich novellierte Stellung der Juden ihren nicht nur publizistischen Höhepunkt. Die als jødefejden (Judenfehde) bekannten, 30 Einleitung teils auch gewalttätigen Auseinandersetzungen der Jahre 1813 und 1819 fokussieren wie in einem Brennglas die Pole der Diskussion und beeinflussen, wenn auch zeitlich versetzt, die Wahrnehmung und Ausgestaltung jüdischer Charaktere. Hier zeigen sich auf der Bühne neue Konstellationen, Erweiterungen und gleichzeitig Fortschreibungen der bekannten Bilder, welche die Ambivalenzen der Figuren vielfältig hervortreten lassen (Kapitel 4). Das so genannte Goldene Zeitalter bringt neben einer Fülle literarisch bedeutender Werke auch die ersten großen Schauspieler-Stars hervor, die zunehmend das Gesicht und die Geschicke der Bühne beeinflussen. Dies hat insofern Auswirkung auf die Ausformung der Bühnenjuden, als sich in Kopenhagen eine spezifische Darstellungsform etabliert, die sich im Vergleich mit dem restlichen Europa einmalig ausnimmt. Am Kongens Nytorv wird es über mehrere Jahrzehnte Praxis, die jüdischen Charaktere zu großen Teilen in die Hand eines Schauspielers zu legen. Hans Christian Knudsen, Johan Christian Ryge und Ludvig Phister prägen nacheinander dieses Rollenfach und begegnen den Auffächerungen der dramatischen Figuren mit einer gleichzeitigen performativen Personalisierung. Alle drei gehören zu den führenden Darstellern ihrer Zeit und verorten das jüdische Rollenfach damit in einem prominenten Zusammenhang. Diese für das dänische Theater spezifischen Interdependenzen zwischen Text und Körper beeinflussen dabei sowohl die Spielplangestaltung als auch die Darstellungskonventionen bis ins 20. Jahrhundert hinein und unterstreichen die Bedeutung des Untersuchungszeitraums auch für die Anfänge eines mehr vom Regisseur geprägten Theaterbetriebs (Kapitel 5). Die angesprochenen innerskandinavischen Verschränkungen sind in besonderer Weise zwischen Dänemark und Norwegen zu beobachten und manifestieren sich nicht zuletzt im Theater: Auf der Bühne der norwegischen Hauptstadt spricht man im 19. Jahrhundert vorwiegend dänisch. Augenfällig erscheint dabei, dass die Orientierung am dänischen Vorbild die jüdischen Figuren ausspart. Im kurzen Kapitel zu Norwegen zeige ich beispielhaft, dass diese Leerstelle eine besondere performative Präsenz mit sich bringt, die sich aus der Angst vor dem Unbekannten und der Furcht vor dem doch irgendwie Vertrauten speist. In diesem Spannungsfeld etabliert sich ein (jüdisches) Geheimnis, aus dem sich die Wirkmächtigkeit der (un-)bekannten Figur erklärt, das aber auch aufzeigt, auf welche Weise die eingangs beschriebenen (Angst-)Bilder des Juden unabhängig von seiner physischen Präsenz virulent sind (Kapitel 6). Vorhang auf! 31 Im abschließenden Teil der Arbeit richte ich den Blick nach Schweden, wo Gustav III. ab 1773 dem Land zwei Nationaltheater verordnet: Zunächst ein Opernhaus, ab 1788 ein Sprechtheater. Diese zum dänischen Theaterleben teils gegenläufige Entwicklung erweist sich gerade im Hinblick auf die Bühnenjuden als Grundlage einer fruchtbaren Auseinandersetzung. Die in der Forschung bisher ausgeblendeten jüdischen Charaktere der Anfangsjahre des Theaters zeichnen sich vor allem durch ihre Komik aus, die durch den Darsteller Kjell Waltman eine besondere Kennung erfährt (Kapitel 7). Dass diese spezifisch schwedische Bühnentradition trotz der Veränderungen des Theaterbetriebes nach der Ermordung Gustavs III. über Jahrzehnte prägend bleibt, zeige ich am Beispiel von Richard Cumberlands Erfolgsstück The Jew. Am Dramaten wird diese Figur über 40 Jahre zum Inbegriff des Juden auf der Bühne und verdeutlicht, auf welche Weise Aufführungen die tradierten, vielseitigen und teils ambivalenten Bedeutungsmöglichkeiten vorangegangener Darstellungen inkorporieren und dadurch transportieren. Es zeigt sich, dass die im Gustavianischen Theater angelegten, komisch konnotierten Juden weiterleben, dabei der „ ernsten “ , aufklärerischen Intention des Cumberland ’ schen Dramas jedoch keineswegs abträglich sein müssen (Kapitel 8). Hier deutet sich bereits an, dass die eingangs beschriebenen Diskrepanzen zwischen „ guten “ und „ schlechten “ , „ nützlichen “ und „ verwerflichen “ Juden in der Auseinandersetzung mit jüdischen Bühnenfiguren nicht an Relevanz verlieren. Der Ansatzpunkt meiner Arbeit zielt jedoch darauf, neben diesem Entweder-Oder den Blick auf ein Sowohl-als-Auch zu ermöglichen. Mit Hilfe der Verschränkungen zwischen dramatischen Texten, der zeitgenössischen Theaterpraxis und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen gelingt es dabei, bisher kaum wahrgenommene literatur- und theaterwissenschaftliche Aspekte in den Fokus zu rücken, dabei Zwischenpositionen, Ambivalenzen und Widersprüche zuzulassen. Die skandinavischen Bühnen lassen sich so als Orte wahrnehmen, die statt Shylock und Nathan ganz eigenen „ glorreichen Halunken “ Raum bieten und die Frage Wie viel Bart darf sein? teils ungewohnt, vielschichtig und manchmal recht überraschend beantworten. Vorhang auf! Mazel tov. 32 Einleitung 2. Männer mit Bärten - Juden und andere Maskierte in Ludvig Holbergs Komödien I mmer wieder Bärte. Bärte und Perücken. Diese Utensilien spielen für die Darstellung von Juden auf der Bühne eine eminent wichtige Rolle, kaum andere Requisiten - vielleicht noch die Hüte - sind für das Bild des Bühnenjuden von größerer Bedeutung. Die Kraft und Macht „ jüdischer “ Bärte und Perücken, ihre Veränderungen, Spielarten, Kontinuitäten und Traditionen scheinen für das Theater bis mindestens ins 20. Jahrhundert hinein eine ungeheuere Strahlkraft zu besitzen. 1722 eröffnet in der Lille Grønnegade in Kopenhagen das erste landessprachliche Theater Dänemarks, und auch hier ist es zunächst der Bart, der den Juden - oder den, der als solcher gelten will - am augenfälligsten kennzeichnet. Ludvig Holberg schreibt für diese neue Bühne über 20 Komödien, avanciert zum meistgespielten Autor und begründet damit eine dänische Theater- und Literaturtradition, die bis weit ins 19. Jahrhundert prägend bleibt. In sechs seiner Dramen treten jüdische Figuren teils prominent auf, sie bilden von Gründung des Theaters an eine Grundfeste des Spielbetriebs. Die umfangreichen Arbeiten zu Holberg haben diesen Aspekt des dramatischen Schaffens bisher außer Acht gelassen. Auffällig ist diese Leerstelle, schließt Holberg doch an eine europäische Theatertradition an. Dabei stellt sich die Frage, auf welche Weise er diese bei der Ausgestaltung seiner dänischen Bühnenjuden aufnimmt und modifiziert - also welche Rolle er den Bärten zuweist. Ich werde im Folgenden die Spielregeln untersuchen, welchen die jüdischen Charaktere im Theater folgen sowie der Frage nach deren Funktionen in den Dramen Ludvig Holbergs nachgehen. Dabei scheint es mir wichtig, die Figuren aus ihrer Zeit heraus zu betrachten, mit einem besonderen Augenmerk auf die Theaterkonventionen und die Stellung der Bühnenjuden im Holberg ’ schen Theaterkosmos. Die frühe dänische Theatergeschichte ist umfangreich erforscht, wobei besonders „ Holbergs Bühne “ und deren Vorgeschichte sowohl in der älteren als auch neueren (Theater-)Wissenschaft den Ausgangspunkt der Untersuchungen bilden. 1 Der Blick richtet sich vor allem darauf, 1 Zu den bedeutenden Forschungsbeiträgen zählen Thomas Overskous mehrbändige Theatergeschichte (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første das Haus in der Lille Grønnegade als nationale Errungenschaft und den Beginn eines genuin dänischen Theaters zu lesen. Im ersten Teil des Kapitels werde ich in aller Kürze die theaterhistorischen Aspekte beleuchten, die sich mit Blick auf die Neugründung bedeutend ausnehmen, bietet sich auf diese Weise doch die Möglichkeit, die Ursprünge und Arbeitsbedingungen der neuen Bühne besser zu verstehen. Holbergs Komödien entstehen im Spannungsfeld zweier Theaterformen, die sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts herauskristallisieren: das Molière atmende französische Hoftheater und die zumeist aus Haupt- und Staatsaktionen bestehenden Aufführungen der deutschen Wandertruppen. Darüber hinaus werde ich das Augenmerk auf eine die wirtschaftliche aber auch dramaturgische Ordnung des Theaters - und damit auch der dramatischen Literatur - bestimmende Tradition legen: das System der Rollenfächer. Im zweiten Teil beleuchte ich die vielschichtigen Funktionen der jüdischen Figuren in den Dramen Holbergs, wobei in besonderer Weise ihre Stellung in der gängigen Theaterpraxis des Rollenfachsystems Berücksichtigung erfährt. Abschließend frage ich nach den Strategien, mit Hilfe derer Holberg und „ seine “ Bühne das Jüdische als spezifisch herstellen und sichtbar machen. 2.1 Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts weist das dänische Theater kaum nationalspezifische Züge auf. 2 Wie im übrigen Europa gibt es bis zur Reformation das kirchliche Mysteriensowie Passionsspiel und an den Universitäten erfreut sich die Schulkomödie größerer Popularität. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts wird Dänemark zunehmend Reiseziel deutscher, niederländischer sowie englischer Wandertruppen, während sich Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Første og Anden Deel. Kjøbenhavn 1846 og 1856. Im Folgenden: Overskou I und Overskou II), das Werk von Hansen (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 1ste del. Kjøbenhavn 1889. Im Folgenden: Hansen I) sowie aus der neueren Zeit die Arbeiten von Kela Kvam (Kvam, Kela et al.: Dansk Teaterhistorie. Bd. 1: Kirkens og kongens teater. København 1992. Im Folgenden: Kvam I) und Jens Engberg (Engberg, Jens: Til hver mands nytte. Historien om det Kongelige Teater 1722 - 1995, Bind I. København 1998. Im Folgenden: Engberg I). 2 Bamberger, Angelika: Ludvig Holberg und das erste dänische Nationaltheater. Frankfurt am Main 1983, S. 16 34 Männer mit Bärten zeitgleich ein stark französisch geprägtes Hoftheaterleben unter Christian V. und seinem Nachfolger Frederik IV. entwickelt. 3 Dieses zunehmend professioneller organisierte Hoftheater erfährt eine Neuausrichtung, als 1701 René Montaigu die Leitung einer Gruppe aus insgesamt zwölf Schauspielern übernimmt und die folgenden 20 Jahre in dieser Funktion am Hof verbringt. 4 Montaigu, Prinzipal der Truppe und maître de théâtre, 5 ist sowohl für die Besetzung der Rollen, die Proben, die Musikauswahl und die Choreographien als auch für die Ausbildung der Akteure verantwortlich. Seine häufigen und ausgedehnten Studienreisen nach Paris 6 - im Auftrag und damit auch auf Kosten des Königs - verdeutlichen den großen Einfluss des französischen Theaterlebens auf Montaigus Ensemble. Das Pariser Repertoire, technische Entwicklungen und schauspielerische Trends halten so mittelbar Einzug in Dänemark. Zum ersten Mal überhaupt arbeiten über einen längeren Zeitraum ausgebildete Schauspieler am Hof, um 1712 wird für sie im Schloss ein Theatersaal errichtet, der auch hinsichtlich der Bühnenmaschinerie den neusten Möglichkeiten entspricht. 7 Das Hoftheater bleibt jedoch eine nicht-öffentliche Bühne, mehr ein Privatvergnügen des Königs, nach dem Geschmack und den Bedürfnissen des jeweiligen Herrschers ausgestaltet. 8 Gleichzeitig mit der rasanten Entwicklung des Hoftheaters gewinnt eine gänzlich andere Theaterform größeren Einfluss: die vorwiegend deutschen Wandertruppen mit ihren Haupt- und Staatsaktionen. 9 Schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts finden sich immer wieder fahrende Schausteller in Dänemark ein. Ihr Repertoire besteht überwiegend aus musikalischen 3 Ausführliche Untersuchungen zur frühen dänischen Theatergeschichte finden sich beispielsweise bei: Marker, Frederick J.; Marker, Lise-Lone: A history of scandinavian theatre. Cambridge 1996, S. 3 - 49. Im Folgenden: Marker&Marker; Kvam I, S. 9 - 75; Overskou I, S. 3 - 156; Bamberger 1983, S. 15 - 39 4 Detaillierte biographische Angaben zu Montaigu liefert beispielsweise Mogens Leisner- Jensen. (Leisner-Jensen, Mogens: Da Holberg blev poët. Tre studier i vittighedsværkernes oprindelse. Odense 1995, S. 76 ff) 5 Bamberger 1983, S. 32 6 Mindestens vier Reisen sind belegt: 1708, 1711/ 12, 1717, 1721. (Marker&Marker, S. 48) 7 Die Bühne kann heute noch besichtigt werden, das Theatermuseum hat dort sein Zuhause gefunden. 8 Es gibt Überlegungen, dass seit der Errichtung des neuen Theatersaals auch bestimmten Schichten des Kopenhagener Bürgertums der Zutritt zum Hoftheater gestattet worden sein könnte. Allerdings fehlen hierfür eindeutige Belege. (Marker&Marker, S. 48) 9 Zur Entwicklung der Wandertruppen, ihrem Personal und Repertoire: Bamberger 1983, S. 35ff Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 35 Darbietungen, Komödien, Reiterspielen, Harlekinaden, Maskeraden und verschiedenen Zirkusnummern. Meist bleiben die Truppen mit ihrem relativ überschaubaren Repertoire nicht lange im Land, sie treten auf Marktplätzen, in Rathäusern oder auf Jahrmärkten auf und nur in äußerst seltenen Fällen auch am Hof. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts lässt sich in Kopenhagen von einer Professionalisierung der Wandertruppen sprechen, 10 viele wichtige kontinentaleuropäische Ensembles finden ihren Weg in die dänische Hauptstadt. 11 Zu den bedeutenden Akteuren auf diesem Gebiet gehören der Franzose Etienne Capion und der Deutsche Samuel Paulsen von Qvoten, die sich ab 1719 das Privileg teilen, in Kopenhagen Theatervorstellungen mit ausländischen Truppen - einheimische gibt es ja nicht - ausrichten zu dürfen. Beide gelten in Dänemark als erfahrene Theatergrößen. Capion arbeitet als Dekorateur und Bühnenmeister am Hof, von Qvoten reist viele Jahre durch die Provinz und erlangt vor allem durch seine Arbeit als Puppenspieler größere Bekanntheit. 12 Ihre Vorstellungen geben Capion und von Qvoten im Giethuset, der ehemaligen Kanonengießerei der Flotte im Herzen Kopenhagens am Kongens Nytorv. 13 Auf dem Programm stehen Darbietungen mit Marionetten sowie Haupt- und Staatsaktionen, die mit einer Truppe „ hochdeutscher Komödianten “ 14 aufgeführt werden. Zu einer Zeit, in der Theateraufführungen strengen Regeln und der Genehmigung durch den König unterliegen, ist der Erwerb des oben genannten Privilegs eine unabdingbare Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Theaters. Nur so kann es gelingen, eine Bühne dem Publikum bekannt zu machen, zu etablieren und damit die notwendigen Einnahmen zu erzielen. Capions und von Qvotens Bühne floriert bereits im ersten Jahr. 15 Als das Patent 1720 erneuert wird, aber von Qvoten 10 Auf dem Land sieht die Situation zunächst wohl anders aus, so bemerkt beispielsweise Bamberger: „ In der Provinz traten vorwiegend Gaukler, Zahnbrecher, Wunderärzte und Chirurgen auf, die, um mehr Publikum anzulocken, nebenher Komödien spielten und Pickelheringswitze präsentierten. “ (Bamberger 1983, S. 35) 11 So sind die Besuche der Truppen von Gabriel und Christian Möller, Gerhard Rudolph Hascarl, Jürgen Friedrich Schweiger und Johann Christian Spiegelberg belegt. (Pies, Eike: Prinzipale. Zur Genealogie des deutschsprachigen Berufstheaters vom 17. bis 19. Jahrhundert. Ratingen 1973) 12 Marker&Marker, S. 48 13 Zur Geschichte des Giethuset, der Einrichtung und den szenentechnischen Möglichkeiten: Kvam I, S. 65ff 14 „ højtyske Comoedianter “ (Krogh, Torben: „ Omkring Grønnegadeteatret. “ In: ders. [Hrsg.]: Musik og Teater. København 1955, S. 54 - 73, hier: S. 59) 15 Kvam I, S. 70 36 Männer mit Bärten Dänemark Richtung Schweden verlässt und der Mietvertrag mit der Flotte ausläuft, ersucht Capion erfolgreich um die Genehmigung, ein festes Theater in der Lille Grønnegade zu bauen. 16 Der König unterstützt den Bau durch Steuererleichterungen und erweitert Capions Privileg dahingehend, dass ohne dessen Genehmigung „ kein Komödiant, kein Seiltänzer, kein Marionettenspieler oder Gaukler in Kopenhagen auftreten [darf]. “ 17 Das neue Haus wird mit der Intention errichtet, hinsichtlich der Ausstattung und der bühnentechnischen Möglichkeiten eine Entsprechung zum Hoftheater zu bilden. 18 Der Bau erfolgt im Herbst 1721. Zeitgleich entlässt der König nach über 20 Jahren Ende 1721 René Montaigu mit seiner Truppe und engagiert nach neuem Geschmack stattdessen ein deutsches Opernensemble. Montaigu steht mit seinen Akteuren ohne Theater da - Capion hingegen hat ein Theater, aber (noch) keine Schauspieler. So tritt ab Januar 1722 Montaigus Ensemble - neben deutschen Wandertruppen - zwei Mal pro Woche mit französischen Komödien, mehr oder weniger also ihrem Repertoire vom Hof, in Capions Haus auf. Auf dieser neuen Bühne treffen so erstmals die zwei bestimmenden Spielarten des frühen 18. Jahrhunderts direkt aufeinander: das von Frankreich beeinflusste (ehemalige) Hoftheater und das deutsch geprägte Theater der Wandertruppen. Eine zunächst eher zufällige Begegnung, teilen sich doch die verschiedenen Ensembles mangels Alternativen die selbe Bühne. Auf diesen Pfeilern gründet sich jedoch kurz darauf Den danske Skueplads (Die Dänische Schaubühne), das erste landessprachliche Theater. 2.1.1 Den danske Skueplads - Holbergs Theater? Holbergs Theater fällt also nicht vom Himmel. Und Holbergs Theater ist auch gar nicht Holbergs Theater. Vielmehr sind Montaigu und Capion die treibenden Kräfte und Köpfe hinter der neuen Bühne. 19 Capion gehört das 16 Diese Straße existiert nicht mehr in Kopenhagen. Das Theater lag ungefähr in der heutigen Ny Adelgade. (Billeskov Jansen, Frederik J.: Holberg og hans tid. Copenhagen 1980, S. 56) 17 Bamberger 1983, S. 128 18 Krogh 1955, S. 61 f 19 Zu erwähnen ist hier sicherlich auch Frederik Rostgaard, der auf Grund seiner guten (auch verwandtschaftlichen) Verbindungen zum Hof und in seiner Funktion als „ Oversecretair i det danske Canvellie “ als eine Art Schutzherr des Theaters fungiert. Darüber hinaus verfasst er auch Texte für die neue Bühne. (Overskou I, S. 161 f) Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 37 ca. 500 Zuschauer fassende Theatergebäude, Montaigu bringt seine langjährigen Erfahrungen als Prinzipal einer Truppe ein. Zunächst stellt sich jedoch das Problem, dass 1722 während der Fastenzeit, in der traditionell keine Aufführungen stattfinden dürfen und daher keine Einnahmen zu verzeichnen sind, der Großteil der französischen Schauspieler Dänemark wie üblich Richtung Frankreich verlässt, nur diesmal mangels beruflicher Perspektiven nicht zurückkehrt. Montaigu steht ohne Ensemble da, und weniger aus patriotischen denn aus praktischen Überlegungen sieht er nun in einem landessprachlichen Theater die Chance, nach der Entlassung am Hof seine Arbeit fortzusetzen. Im Juli 1722 erhält er die Erlaubnis, in Kopenhagen Komödien in dänischer Sprache aufzuführen: Eine absolute Neuheit mit Sensationspotenzial - und Sensationen bringen Zuschauer und Zuschauer das dringend benötigte Geld. Die größte Schwierigkeit besteht anfangs darin, ein Ensemble zusammenzustellen, denn es gibt schlichtweg keine dänischen Schauspieler. So besteht die Truppe zunächst aus Amateuren, überwiegend Studenten, verstärkt durch die erfahrenen Akteure Marie Magadalene Montaigu und Frédéric Daniel Pilloy. 20 René Montaigu selbst tritt nicht mehr auf, aber er vermittelt den dänischen Schauspielern die Grundlagen des Berufs. Der starke französische Einfluss wird hier einmal mehr deutlich, denn die von Montaigu unterrichtete Schauspielkunst und große Teile des Repertoires sind nach dem Pariser Vorbild ausgestaltet. Darüber hinaus erweist sich von Bedeutung, dass die neue Comedie Danoise ein Privattheater ist, d. h. Montaigus Truppe ist anders als zu Zeiten am Hof auch auf den finanziellen Erfolg der Stücke angewiesen, die ca. 500 Plätze im Theater müssen gefüllt und das Publikum unterhalten werden. So finden neben Theateraufführungen auch Assembléen statt; Musik, Tanz, Maskeraden und Glücksspiel erwirtschaften wichtige Einnahmen. 21 In dieses Konglomerat von Interessen, Traditionen, Neuerungen und ökonomischen Notwendigkeiten schreibt Holberg seine Komödien. Zunächst jedoch schlägt er eine andere Laufbahn ein, die auf Umwegen zum Theater führt. Geboren 1684 in Bergen - daher später als großer Norweger und auch Gründervater des norwegischen Theaters beziehungsweise der 20 Marie Magdalene Montaigu ist bereits zu Zeiten des Engagements am Hoftheater die weibliche Hauptdarstellerin, Frédéric Pilloy folgt dem Leiter der Truppe im Fach des Ersten Liebhabers nach. (Marker&Marker, S. 51) 21 Als der König 1724 wegen Gefährdung der Jugend diese Art von Veranstaltungen verbietet, kommt es kurz darauf zum ersten Bankrott des Grønnegade-Theaters. 38 Männer mit Bärten norwegischen Literatur verehrt 22 - kommt Holberg 1704 nach Kopenhagen. Nach Abschluss seines Studiums und verschiedenen Reisen ins europäische Ausland beginnt er seine Karriere an der Kopenhagener Universität. 1717 wird er auf den Lehrstuhl für Metaphysik und Logik berufen, 1720 erhält Holberg die Professur für Rhetorik. 23 In diese Zeit fällt der Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit, so entstehen beispielsweise ab 1719 Peder Paars, eine burleske Parodie der Aeneis sowie verschiedene Gedichte. Gemeinsam ist allen Werken, dass sie die Verhältnisse in der dänischen Gesellschaft karikieren, kommentieren oder zumindest zugespitzt darstellen. Dieses charakteristische Merkmal findet sich auch in der Mehrzahl der Komödien, die Holberg für die Comedie Danoise schreibt und welche später als Referenzpunkte das nationale Theater prägen. Warum ausgerechnet Holberg der „ Hausautor “ der neuen Bühne wird und inwieweit er für die Planung und Konzeption des Theaters verantwortlich zeichnet, gilt in der Forschung als umstritten. 24 Es kann vermutet werden, dass die ersten Komödien als eine Art „ Versuchsballon “ fungieren, mit dem sich einstellenden Erfolg immer neue folgen und Holberg so schließlich zu der Figur wird, die den Großteil des Repertoires bestimmt. 22 Klotz, Volker: Radikaldramatik. Szenische Vor-Avantgarde. Von Holberg zu Nestroy, von Kleist zu Grabbe. Bielefeld 1996, S. 19 23 Detaillierte Informationen zu Holbergs Reisen und seinem akademischen Werdegang liefert beispielsweise Lars Langslet. (Langslet, Lars Roar: Den store ensomme. En biografi om Ludvig Holberg. Oslo 2001, S. 53 ff) 24 Holberg geht lediglich indirekt auf die Gründe ein. Er verweist darauf, dass „ die allervornehmsten Männer der Stadt “ ihn zum Verfassen dänischsprachiger Komödien gedrängt hätten. (Billeskov Jansen, Frederik J. [Hrsg.]: Ludvig Holbergs Memoirer. København 1943, S. 85. Im Folgenden: Memoirer) Kela Kvam unterstreicht darüber hinaus die Bedeutung des Erfolgs von Holbergs Peder Paars. Sie sieht darin einen wichtigen Grund für den Wunsch, Holberg solle Komödien in der Landessprache verfassen. (Kvam, Kela: „ Holbergs teatersyn. “ In: Neiidendam, Klaus [Hrsg.]: Holberg på scenen. København 1984, S. 7 - 17, hier: S. 8) Hans Brix sieht in Holberg gar den Urheber der Idee eines landessprachlichen Theaters und vertritt die Meinung, dass Holbergs Stücke bereits vor der Erteilung des Privilegs, dänische Komödien spielen zu dürfen, fertig geschrieben waren. (Brix, Hans: „ Holberg. “ In: Tilskueren 1920 II; Brix, Hans: „ Holbergs Skueplads. “ In: Tilskueren 1919 II) Nystrøm und Jensen sehen vor allem Capion und Montaigu als Gründer und Ideengeber des Theaters. (Jensen, Anne E.: Teatret i Lille Grønnegade 1722 - 1728. København 1972, S. 33; Nystrøm, Eiler: Den danske Komedies Oprindelse. Om Skuepladsen og Holberg. København 1918, S. 76) Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 39 2.1.2 Die Volksbühne - Ein bürgerlicher Traum Verortet man das Theater in der Lille Grønnegade in seinem zeitgenössischen theatergeschichtlichen Kontext, wird deutlich, welche Traditionen es aufnimmt und wo grundlegende Neuerungen erkennbar werden: Das Theater schließt an die französische Komödie und die deutschen Wandertruppen an, aber erstmals wird in der Landessprache gespielt, es gibt eine öffentliche Bühne mit einem festen Ensemble und regelmäßigem Spielbetrieb, die sich ganz dezidiert an das Kopenhagener Bürgertum richtet. Das neue Theater in der Lille Grønnegade eröffnet am 23. September 1722 bezeichnenderweise mit Molières Der Geizige. In einem für diesen Anlass verfassten Prolog von Frederik Rostgaard tritt die Theatergöttin Thalia auf, um die Ziele und die Programmatik der Bühne dem Publikum vorzustellen: Trofaste Kjøbenhavn! mandhaftig Tvillingrige! Med Eders ædle Børn! tillader mig at sige / I korthed, hvo jeg er, og hvad jeg farer med, / Og hvorfor jeg i Dag er mødt paa dette Sted. / Thalia er mit Navn, en Jomfrue fuld af Glæde, / Som nødig er blandt dem, der sørge eller græde, / Men heller jeg med Lyst paa Folkets Adfærd seer, / Og med en skjønsom Digt ad Verdens Galskab leer. [. . .] Jeg har en Tegnebog, i den jeg flittig skriver / Hvad smaa og store Folk i begge Kjøn bedriver, / Det bringer jeg i Riim, om jeg de Stunder faaer / Dog i ubunden Stiil det og fra handen gaaer. / Ved mine Søstres Hjælp, som have lært att spille / Paa mangt et Instrument, jeg veed at forestille / I ærbar Lystighed, ja ret som i et Speil, / Hvad Folkets Idræt er, og hvor de tage feil. / Jeg nævner ingen Mand, ei Sted, ei Huus, ei Gade, / Men straffer uden Frygt alt, hvad man bør at hade, / I hvor jeg det og seer, om hvem det og er sagt, / Til Lærdom for enhver, som derpaa giver Agt. / Trofaste Kjøbenhavn! mandhaftig Tvillingrige! / Tvivl ingenlunde paa, at man jo og kan sige / I eders ædle Maal, hvad andre have sagt, / Naar Kunst og Øvelse til Sproget bliver lagt. / Det ene beder jeg af denne høie Skare, / At hver, som fælder Dom, en liden Tid vil spare, / Og med Taalmodighed opbie anden gang, / Om alting har i Dag just ei den rette Klang. / Mit Selskab svoret har at ville sig bemøie / Med største Flid og Kraft, jer alle at fornøie; / Har jeg mig vel opført, da rører Haand og Fod, / Thi Modet voxer, naar Begyndelsen er god. 25 25 Overskou I, S. 180 f 40 Männer mit Bärten Getreues KOPENHAGEN, Mannhaftes ZWILLINGREICH mit euren edlen Kindern, erlaubt mir, in Kürze zu sagen, wer ich bin, was ich treibe und weshalb ich mich heute an diesem Ort eingefunden habe. Thalia ist mein Name, eine Jungfrau voller Freude, die ungern unter denen ist, die seufzen oder weinen; viel lieber betrachte ich das Verhalten der Menschen und lache mit einem scherzhaften Gedicht über die Narrheit der Welt. [. . .] Ich habe ein Notizbuch: darein schreibe ich fleißig, was Hohe wie Niedrige beiderlei Geschlechts tun; das setze ich in Reime, wenn ich Zeit dazu habe, doch geht es auch in ungebundenem Stil von der Hand. Mit Hilfe meiner Schwestern, die mich mancherlei Instrument zu spielen gelehrt haben, weiß ich in ehrbarem Vergnügen, ja recht wie in einem Spiegel, das Tun und Treiben des Volks vorzustellen, und wo es irrt. Ich nenne keinen Menschen, keine Stadt, kein Haus, keine Straße, sondern strafe alles, was man verabscheuen soll, wo ich es auch sehe, von wem es auch gesagt wird, ohne Furcht, jedem zur Lehre, der darauf achtgibt. Getreues KOPENHAGEN, Mannhaftes ZWILLINGREICH! Zweifelt keinesfalls daran, dass man auch in Eurer edlen Sprache sagen kann, was andere gesagt haben, wenn zur Sprache Kunst und Übung kommen. Das Eine erbitte ich von dieser schönen Schar, daß jeder sein Urteil ein kurze Zeit aufspare und in Geduld ein zweites Mal erwarte, wenn heute noch nicht alles just den rechten Klang hat. Meine Truppe hat geschworen, sich bemühen zu wollen, mit größtem Fleiß und aller Macht Euch alle zu erfreuen; habe ich meine Sache gut gemacht, dann rührt Hände und Füße; denn der Mut wächst, wenn der Anfang gut ist. 26 Die Ziele und Intentionen der neuen Bühne werden hier in Form einer theatralischen Handlung dem Publikum vorgestellt. Thalia adressiert zunächst direkt die Bevölkerung Dänemarks und speziell Kopenhagens. Die Bürger der Hauptstadt erhalten eine eigene stehende Bühne, die - da sie durch ein königliches Privileg geschützt ist - als staatliche Institution deklariert wird. 27 Die dänische Sprache wird aufgewertet und als gleichwertige Theatersprache eingeführt; die neue Bühne verpflichtet sich einer wenngleich nicht ernsten, doch zumindest ernstzunehmenden Dramatik. Die Komödie soll nicht nur dem Amüsement dienen, sondern eine moralische Lehre beinhalten sowie menschliche Vergehen in ihren Folgen für die Umwelt vorführen, um die Zuschauer vor ähnlichen Fehlern zu 26 Die Übersetzung stammt von Uwe Ebel. (Ebel, Uwe: Konzepte einer nationalspezifischen Dramatik von Holberg bis Ibsen. Metelen/ Steinf. 1990, S. 38 f) 27 Ebel 1990, S. 40 Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 41 bewahren. 28 Das bürgerliche Publikum und nicht der König fungiert als Gradmesser, was am Ende des Prologs durch die Thematisierung des Beifalls zum Ausdruck kommt, aber auch in der wirtschaftlichen Notwendigkeit eines populären Spielplans begründet liegt. Die dänische Schaubühne ist somit ein Theater ohne König, aber auch ohne den vierten Stand, der zwar als theater-, jedoch nicht als bühnenfähig gilt. Ich möchte daher das Theater in der Lille Grønnegade nicht als erstes „ Nationaltheater “ , 29 sondern vielmehr als eine im besten Sinne des Wortes bürgerliche Volksbühne verstehen, sowohl hinsichtlich des avisierten Publikums als auch in Bezug auf die aufgeführten Stücke, deren Thematiken und Protagonisten. Vor diesem Hintergrund schreibt Holberg seine Komödien und ist der Autor, der die neue Bühne wie kein anderer prägt. Kurz nach der Eröffnung findet am 25. September 1722 mit Den politiske Kandestøber (Der politische Kannengießer) seine erste Premiere statt. Während der ersten 18 Monate kommt die unglaubliche Zahl von 15 Holberg-Komödien auf die Bühne, bis zur Schließung des Theaters 1727 werden 22 seiner Komödien aufgeführt. Das Haus in der Lille Grønnegade als erstes dänisches Nationaltheater zu erzählen, hat häufig den Blick für den schwierigen und unsteten Beginn dieser Bühne verschleiert. Das in der Forschung so gefeierte Theater ist keine reine Erfolgsgeschichte, zunehmend gibt es wirtschaftliche Schwierigkeiten und ein Nachlassen des Publikumsinteresses macht sich bemerkbar. Da Kredite für den Bau nicht mehr oder nur sehr schwierig zurückgezahlt werden können, wird schließlich der Direktor Capion verhaftet. Immer wieder kommt es zu vorübergehenden Schließungen und Wiedereröffnungen, aber weder bühnentechnische Neuerungen noch „ Sonderangebote “ - teilweise kann man vier Vorstellungen mit einer Eintrittskarte sehen - können den wirtschaftlichen Niedergang des Theaters aufhalten. 1727 findet die letzte Vorstellung statt und Den danske Skueplads schließt wegen Zuschauermangels sowie der desolaten finanziellen Situation. Erst viele Jahre später, nach der Aufhebung des von Christian VI. erlassenen Theaterverbots, 30 eröffnet in Kopenhagen am Kongens Nytorv 1748 wieder 28 Grandjean, Marianne: Ludvig Holbergs kunstsyn og dramaturgi. København 1980, S. 42 ff 29 Bamberger 1983, S. 127 30 Nach einem verheerenden Brand in Kopenhagen im Jahr 1728 ist zunächst an ein wie auch immer geartetes dänischsprachiges Theater nicht zu denken. Mit der Thronbesteigung des pietistischen Christian VI. 1730 werden keine Theaterlizenzen mehr vergeben. Am 21. März 1738 erfolgte schließlich ein Verbot von Theateraufführungen. 42 Männer mit Bärten ein bürgerliches Theater, für welches Holberg vor seinem Tod nochmals fünf Komödien schreibt. 31 2.1.3 Das Rollenfachsystem Wer seinerzeit Dramen verfasst, schreibt sie in der Regel für die Bühne - so auch Holberg. Um aufgeführt zu werden, ist es für einen Autor wichtig, die Spielbarkeit seiner Stücke zu gewährleisten, also beispielsweise die Handlungsorte so zu wählen, dass sie mit den technischen Gegebenheiten des Theaters umzusetzen sind. Vor allem aber muss er den Personenapparat auf eine Weise gestalten, die den schauspielerischen Möglichkeiten und Besonderheiten des Ensembles entspricht. Eine wichtige Bedeutung kommt dabei dem System der Rollenfächer zu. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein folgt das europäische Theater dieser Ästhetik, werden die Rollen nach „ jenen aus der Commedia dell ’ arte überkommenen ästhetischen und rechtlichen Institutionen des Theaterbetriebes “ 32 besetzt. Sowohl die künstlerische als auch die wirtschaftliche Ordnung des Theaters ist dieser Einteilung geschuldet. Gezielt werden die Schauspieler für bestimmte professionelle Disziplinen, so genannte Fächer, eingestellt und dementsprechend bezahlt. Deren Zahl und Zuschnitt variiert je nach Größe des Ensembles, Region aber auch Epoche. Neben den unveränderlichen Grundtypen - zu diesen zählen Helden und Liebhaber und ihre Entsprechungen im weiblichen Personal 33 - gibt es eine relativ feste Anzahl, die je nach Bedarf und Zeitgeschmack unterteilt und ergänzt werden kann: Väter und Mütter, 34 Offiziere, Tyrannen, Dienstmädchen Erst 1746 hebt Frederik V. das Theaterverbot auf und in relativ kurzer Zeit etablieren sich unterschiedliche kleine Theater in der Hauptstadt. (Marker&Marker, S. 61 ff) 31 Holbergs Komödien finden auch außerhalb von Dänemark ein breites Publikum. In Deutschland erfolgen zahlreiche Aufführungen an unterschiedlichen Theatern, zu den beliebtesten Dramen zählt Der politische Kannengießer. (Roos, Carl: Det 18. Aarhundredes tyske oversættelser af Holbergs komedier. Deres oprindelse, karakter og skæbne. Kjøbenhavn 1922) 32 Neubauer, Hans-Joachim: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994, S. 37 33 Doerry, Hans: Das Rollenfach im deutschen Theaterbetrieb des 19. Jahrhunderts. Berlin 1926, S. 11 34 Auffällig ist, dass Vaterfiguren viel verbreiteter sind als Mutterfiguren, was sich auch in der ungleich größeren Differenzierung des Fachs des Vaters widerspiegelt: „ [E]dle und ernsthafte Väter, polternde Alte, zärtliche, launige Väter [. . .] bürgerliche Väter, drollige Hausväter usw. “ (Doerry 1926, S. 11) Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 43 sowie Chargen. 35 Das Theater ist also mehr als Summe seiner Fächer, als „ Handwerk “ zu verstehen und weniger als ein Gesamtkunstwerk, wie man es seit dem Ende des 19. Jahrhundert propagiert und das seither das (kontinental-)europäische Theaterverständnis prägt. Das Rollenfachsystem hinterlässt deutliche Spuren - auf der Bühne wie im Drama. Die Grundtypen haben bestimmte Konnotationen und übernehmen unterschiedliche dramaturgische Funktionen. Helden und Liebhaberinnen, Chargen und Väter sind in dieser Lesart keine Erfindungen der Autoren, vielmehr Material, das diese auf eine bestimmte Weise ausformen. Rollenfächer sind feste Größen, die Aufführungen und den jeweils konkret dargestellten Charakter überdauern - es handelt sich also immer um spezifisch kodierte Figuren. Gerade im Hinblick auf die Frage nach den Funktionen jüdischer Figuren im ersten dänischsprachigen Theater ist dieses System daher von enormer Bedeutung, bietet es doch einen Schlüssel, der es erlaubt, die Figuren hinsichtlich ihrer spezifischen Semantik und Ästhetik zu analysieren und Veränderungen innerhalb der Bedeutungssystems Theater und Drama überhaupt erst aufzuspüren und zu bestimmen. Wenn spätestens im 20. Jahrhundert häufig der Regisseur Ausgangspunkt theaterhistorischer und -theoretischer Untersuchungen wird, erachte ich es für sinnvoll, für das 18. und die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts die Ästhetik des Rollenfachs sowie deren Konsequenzen für die dramatischen 36 und theatralischen Vorgänge in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen, die jüdischen Dramatis Personae innerhalb dieses Systems zu verorten und mit dieser besonderen Perspektivik zu betrachten. Bei der Analyse der jüdischen Charaktere in Holbergs Komödien bietet sich auf diese Weise die Möglichkeit, Judenrollen sowohl im Theater ihrer Zeit als auch im Holberg ’ schen Theaterkosmos zu verorten und sie hinsichtlich der Frage nach spezifischen Strategien der Sichtbarmachungen zu untersuchen. Von Bedeutung erweist sich zusätzlich, dass Holberg mit seinen Dramen nicht nur die Theaterkonventionen der Zeit bedient, vielmehr formt er das Rollenfachsystem auf eine ganz eigene Art und Weise so aus, dass in der Forschung häufig von der „ Holberg ’ schen Familie “ gesprochen 35 Ausführlicher zur Gestaltung des Rollenfachsystems im 18. Jahrhundert: Diebold, Bernhard: Das Rollenfach im deutschen Theaterbetrieb des 18. Jahrhundert. Leipzig 1926 36 Ich verwende in Anlehnung an Szondi den Begriff „ dramatisch “ und „ Drama “ nicht im Sinne von „ pathetisch “ oder „ spannend “ , sondern als Bezeichnung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Art der Bühnendichtung. (Szondi, Peter: Theorie des modernen Dramas. 1880 - 1950. Frankfurt am Main 1963, S. 13) 44 Männer mit Bärten wird. 37 Spätestens mit seinem 1724 geschrieben Drama Mascarade modifiziert Holberg seine Rollenfächer zu festen Typen, die in Abwandlungen und mit Ergänzungen immer wieder auftauchen. 38 Als besonders erweist sich dabei, dass jede Figur über ein spezifisches, einzigartiges Merkmal verfügt. So unterscheiden sich die Charaktere nicht nur in ihren Funktionen voneinander, sondern sind immer auch gekennzeichnet durch ihr Aussehen, ihre Sprache beziehungsweise ihren Dialekt und ihr Benehmen. Auf diese Art verortet Holberg sie in einem bestimmten lokalen aber auch gesellschaftlichen Milieu. 39 Diese Holberg ’ sche Familie ist einzigartig in der europäischen Theatergeschichte, wobei Familie nicht den Verwandtschaftsgrad der Figuren untereinander bezeichnet, sondern darauf anspielt, dass sie in immer ähnlichen Formationen in den Komödien vertreten sind: das Dienerpaar Henrik und Pernille, der Schelm und Betrüger Jesper Oldfux, der bodenständige und etwas plumpe Arv, das Liebespaar Leander und Leonore sowie die Kopenhagener Bürger Magdelone (als Mutterfigur), Jeronimus (als Hausvater eher bodenständig und konservativ angelegt) und Leonard (als Freund und Verteidiger der Jugend und ihrer Interessen.) Im Folgenden werde ich der Frage nachgehen, welche der Rollenfächer in Holbergs dramaturgischer Matrix jüdisch werden können und wie sich diese jüdischen Figuren innerhalb der Holberg ’ schen Familie verorten lassen. 37 Bamberger 1983, S. 104 38 Ebel, Uwe: Kontinuität und Diskontinuität sprachkünstlerischer Gestaltung im Epochenwandel: Holberg-Sterne-Strindberg-Jacobsen. Frankfurt am Main 1985, S. 27. Bamberger hingegen nennt als Ausgangspunkt für die Etablierung der festen Typen die Komödie Jean de France. (Bamberger 1983, S. 104) Im Gegensatz zu Jean de France tragen die Charaktere in Mascarade aber auch die sie fortan kennzeichnenden Namen. In Anlehnung an Molière, Plautus aber auch die Tradition der Commedia dell ’ arte formt Holberg seinen Personenapparat aus. Zu den Vorbildern und Einflüssen auf Holbergs dramatisches Schaffen: Klotz 1996, S. 21ff; Rossel, Sven Hakon: „ Ludvig Holberg: The Cosmopolitan. A Monographic Sketch. “ In: Rossel, Sven Hakon [Hrsg.]: Ludvig Holberg. A European writer. A study in influence and reception. Amsterdam 1994, S. 1 - 41, hier: S. 18ff; Bamberger 1983, S. 94ff; Topsøe-Jensen, H. G.: „ Holberg og den eftermolièrske Komedie. “ In: Holberg Aarbog 1921, S. 112 - 143 39 Marker&Marker, S. 56 Die Vorläufer der Dänischen Schaubühne 45 2.2 Holbergs Komödienwelt In sechs der Komödien Holbergs finden sich jüdische Charaktere: Ulysses von Ithacia - eller en tydsk Com œ die (Ulysses von Ithacia oder eine deutsche Komödie), Den ellefte Junii (Der elfte Juni), Det arabiske Pulver (Das arabische Pulver), Abracadabra (Abrakadabra), Diederich Menschen-Skræk (Dietrich Menschenschreck) und Mascarade (Die Maskerade). Zunächst fällt die Namenlosigkeit der jüdischen Figuren auf, im Personenverzeichnis tauchen sie lediglich als „ Jøde “ ( „ Jude “ ) beziehungsweise wie in Den ellefte Junii gar nicht auf. Lediglich in Abracadabra, einem Spätwerk Holbergs, ist die Figur zusätzlich namentlich markiert: „ Ephraim, en Jøde “ . Diese Namenlosigkeit ist insofern untypisch für Holberg, als seine Figuren in der Regel über ihren Namen - damit verbunden ist ja auch ihre Zugehörigkeit zur Familie - oder (äußerst selten) zumindest den Beruf gekennzeichnet sind. 40 Weiter fällt auf, dass die Juden sehr ähnlich, nahezu identisch gezeichnet sind: Sie tragen erstens einen Bart und besondere Kleidung, sie sind zweitens ausnahmslos männlich und, wenn auch keine genauen Altersangaben gemacht werden, lässt sich aus den Texten schließen, dass sie mittleren Alters sein müssen. Drittens zeichnen sich die Figuren durch eine deutsch-dänisch-plattdeutsche Sondersprache 41 aus und viertens handelt es sich durchgehend um Einzelgängerfiguren, die sich weder in familiären noch religiösen Gemeinschaften verorten lassen. Gemeinsam ist ihnen ebenfalls, dass sie keine festen Berufe ausüben, aber grundsätzlich mit den Bereichen Geld, Verleih und Börse in Verbindung gebracht werden. Dass sich diese einheitliche Darstellung nicht nur in den Texten, sondern auch auf der Bühne wiederfindet, darf angenommen werden. Der Großteil der Quellen stammt zwar aus späteren Zeiten - die ersten Regie-Protokolle 40 So werden beispielsweise in Jule-Stuen „ Skolemesteren “ (der Schulmeister), in Jacob von Tyb œ „ Verten “ (der Wirt) und in Jeppe paa Bierget „ Dommeren “ (der Richter) sowie „ Secreteren “ (der Sekretär) aufgezählt. 41 Inwieweit die Sondersprache der jüdischen Figuren eine Erfindung Holbergs ist oder die sprachliche Realität in Kopenhagen widerspiegelt, ist in der Forschung umstritten. Hartvig sieht in der Sondersprache ein absolutes Phantasieprodukt (Hartvig, Michael: Jøderne i Danmark i tiden 1600 - 1800. København 1951, S. 143), Roos bezeichnet sie als „ eine Art Jiddisch “ (Ludvig Holbergs Comoedierne og de populære Skrifter - Festudgaven 1922. Bd. 1. Tekstredaktion og kommentar ved Carl Roos. Kjøbenhavn 1923, S. 564), Feigs sieht eine Mischung aus beiden Varianten als wahrscheinlich an. (Feigs, Wolfgang: „ Deutschland, Deutsche und Deutsch in Ludvig Holbergs Komödien. “ In: Nerthus 2, 1969, S. 249 - 265, hier: S. 259) 46 Männer mit Bärten entstehen in den 1770er Jahren, 42 also deutlich nach dem Tod des Autors beziehungsweise der Entstehung der Komödien am Theater in der Lille Grønnegade - dennoch geben sie wertvolle Einblicke in die Aufführungspraxis auch des ersten landessprachlichen Theaters. Dies liegt darin begründet, dass die Aufführungsvoraussetzungen sich deutlich anders als heutzutage darstellen: Die Bühnenkonventionen sind weitaus konservativer; szenische Arrangements, Ausstattung sowie Kostüme werden kaum verändert, vielmehr von Generation zu Generation weitergegeben. Das Rollenfachsystem und seine kurzen Probenzeiten verlangen geradezu nach Kontinuität. Auf diese Weise sind die Angaben aus den Regieprotokollen der 1770er keine tatsächlichen Aussagen über die Spielpraxis auf der Grønnegade-Bühne, sie legen aber nahe, dass große Ähnlichkeiten vorgeherrscht haben müssen. 43 Bedenkt man zudem, dass ein Schauspieler wie beispielsweise Clementin, der noch unter Holberg das Haus am Kongens Nytorv 1748 wiedereröffnet, zur Zeit der Entstehung der Regieprotokolle noch aktiv auf der Bühne steht und seine berühmten Holberg- Rollen zeigt, wird erkennbar, dass die Quellen einen zwar nicht unverstellten und sicher unscharfen, dennoch erhellenden Blick auf die Spielpraxis des ersten dänischen Theaters ermöglichen. Hinsichtlich der Ausgestaltung der jüdischen Charaktere folgt die Bühne den Texten. Sämtliche Juden tragen Bärte - mal schwarz, mal rot - dunkle, zumeist lange Röcke und in der Regel eine Perücke samt Hut. 44 Der reichhaltige Fundus der Bühne 45 ermöglicht somit eine textgetreue Aus- 42 Hiebei handelt es sich um frühe Regieprotokolle, die Torben Krogh detailliert aufgearbeitet hat. (Krogh, Torben: Holberg i det Kgl. Teaters ældste Regieprotokoller. København 1943) 43 Krogh 1943, S. 8 44 In Det arabiske Pulver trägt der Jude einen roten Bart, dazu einen alten Hut samt Perücke. ( „ Jøden: En gammel lysebrun Kiol og Vest, gammel Hat, rødt Skiæg, en gammel Paryk og en Stok. “ Krogh 1943, S. 40) In Mascarade reüssiert Henrich als Rabbi mithilfe einer schwarzen Robe, einer schwarzen Perücke und eines roten Barts. ( „ [S]ort Robe til Rabbi- Dragt med en sort Paryk, rødt Skiæg og nedslagen Hat. “ Krogh 1943, S. 46) In Diderich Menschen-Skræk verkleidet sich Henrich auf gleiche Weise ( „ Henrich / . . . / Som Jøde I en gl: borgerlig Dragt med Skjæg, Stok. “ ) und auch Ephraim trägt ein ähnliches Kostüm. ( „ I en gl: borgerlig Dragt med Skiæg, Hat og Peryke. Stok. “ Krogh 1943, S. 70) Dass der Bart das herausragende Merkmal der Juden in Ulysses darstellt, überrascht kaum. ( „ En Jøde. En borgerlig Klædning. Skjæg. En anden Jøde. Ligeledes. “ Krogh 1943, S. 54) 45 Neiiendam zeigt auf, dass bereits die Bühne in der Lille Grønnegade über einen umfangreichen Fundus verfügt, die Kostüme immer auch wieder für Maskeraden ausgeliehen werden. (Neiiendam, Klaus: Om iscensættelsen på teatret i Lille Grønnegade. København 1981, S. 97) Holbergs Komödienwelt 47 stattung der Figuren. Diese sehr deutlichen und spezifischen Kennzeichnungen der jüdischen Charaktere, ich wähle hierfür den Begriff der semiotischen Homogenität, legen zwei Interpretationsmodelle nahe: Einmal liegt die Überlegung auf der Hand, Holberg bediene sich aus einem tradierten und reichhaltigen Archiv antijüdischer Stereotype, schreibe diese fort und verfestige sie auf diese Weise auch in „ realen “ Kontexten. Eine zweite Lesart bietet die Möglichkeit, Holbergs Judenfiguren vor allem in ihrer Differenz zur historischen „ Wirklichkeit “ zu betrachten und damit der Literatur und dem Theater einen abbildenden oder fiktiven Charakter zuzusprechen. Dass beide Modelle zu kurz greifen und die eindeutige - ja fast uniforme - Kenzeichnung der jüdischen Figuren bei Holberg durchaus komplexeren Strategien folgt, werde ich im Folgenden zeigen. Es geht mir darum, zum einen den szenischen Status der Judenfiguren in den Blickpunkt der Untersuchung zu rücken und zum anderen die spezifische Verfasstheit literarischer und theatralischer Darstellungen nicht auszublenden. Gefragt werden soll demnach nicht nach der „ Menge “ negativ konnotierter Bilder des Jüdischen, vielmehr fokussiert das Kapitel auf die Untersuchung der Funktionen jüdischer Figuren im Holberg ’ schen Theaterkosmos und den sich daraus für sie ergebenen Handlungs(un)möglichkeiten. In einem nächsten Schritt gilt es dann, die Strategien zu beleuchten, mit Hilfe derer kulturell wirkmächtige Vorstellungen vom „ Anderen “ bei Holberg performativ herausgebildet und sichtbar gemacht, möglicherweise aber auch subversiert werden können. 2.2.1 Unrasiert und fern der Heimat - Harlekinaden in Ulysses von Ithacia und Den ellefte Junii Ulysses von Ithacia erscheint zunächst, darauf weist bereits der Untertitel eller en tydsk Com œ die hin, als Parodie auf die vornehmlich von Wandertruppen gespielten Haupt- und Staatsaktionen. Holberg beschreibt in seinen Memoiren, wie er kennzeichnende Attribute dieser Theaterform aufnimmt und übertreibt. Als Beispiele für typische Elemente der Haupt- und Staatsaktionen, die er für seinen Ulysses verwendet, führt er den Handlungszeitraum von 40 Jahren, die ständigen Szenen- und Schauplatzwechsel sowie die vielen falschen Namens- und Ortsangaben an. 46 Aber 46 „ Denne Comoedie er en Critiqve over de vanskabte halvhundrede Aars Comoedier, som tilforn pleyede at spilles her af Landstrygere. Den indeholder en Tiid af 40 Aar og Scenerne deri forandres stedse, Fyrsterne og Generalerne skilles alleene fra den gemeene Mand ved deres stolte og opblæste Tale, hver gang Kongen kommer frem, paa Theatrum, 48 Männer mit Bärten Holberg polemisiert in dieser Komödie nicht nur gegen das Spiel der Wandertruppen, das ihm ästhetisch zuwider und seiner Bühne ein unerwünschter Konkurrent ist, sondern er führt das Theater als solches vor, dessen Voraussetzungen und Grundelemente. Immer wieder zerfällt die szenische Illusion, wird sie von Holberg in einer anarchischen „ Selbstfledderei des Theaters “ 47 bewusst zerstört. Die Grundlage der Handlung bilden, wie der Titel andeutet, Homers Ilias und Odyssee. Auf diese Weise entzieht sich Holbergs Komödie scheinbar der heimischen Welt, der bürgerlichen und bäuerlichen Sphäre und spielt im (N)Irgendwo der antiken Mythologie, die als Folie für Polemik und Parodie fungiert. 48 Konkret dürfte vor allem das Stück Ulisse et Circé aus der berühmten Sammlung Le Théâtre italien de Gherardi Vorbild und Inspirationsquelle für Holberg gewesen sein. 49 Besonders ein Element dieses stark in der Tradition der Commedia dell ’ arte verhafteten Stückes ist auch bei Holberg wesentlicher Bestandteil: die Figur des Harlekins. Unstrittig übernimmt zunächst Ulysses ’ Diener Chilian diese Rolle - er ist der eigentliche Protagonist, bringt das Geschehen voran, trifft die wichtigen Entscheidungen, verkleidet sich, spioniert, spielt seinem Herrn und dessen Mitstreitern Streiche und wird so zum Motor der Handlung. Holberg selbst stødes der I Trompeterne, Personerne i Comoedien ere en Time unge, en anden Time gaaer de paa Gravens Bredde. Herforuden begaaes der idelig store Feyl i Tids- Beregningen, gives urigtige Navne paa Personer og Steder, og saadanne mange andre Ting, som Omløberes Comoedier ere fulde af. “ (Memoirer, S. 89) / / „ Diese Komödie ist eine Kritik an einem halben Jahrhundert missgebildeter Komödien, die hier einst von Landstreichern gespielt wurden. Sie beinhaltet eine Zeitspanne von 40 Jahren und die Szenen verändern sich beständig, Fürsten und Generäle unterscheiden sich nur durch ihre geschwollene Rede vom gemeinen Mann, jedes Mal, wenn der König die Bühne betritt, werden Trompeten geblasen, die Charaktere in der Komödie sind mal jung, mal stehen sie mit einem Fuß im Grab. Darüber hinaus werden viele Fehler hinsichtlich der Zeitangaben begangen, Personen und Orten falsche Namen gegeben und vielerlei anderer solcher Dinge [getan], von denen die im Umlauf befindlichen Komödien voll sind. “ 47 Klotz 1996, S. 41. 48 Hougaard hat zudem deutlich gemacht, dass die Verortung in einer „ imaginary landscape “ dazu führt, dass die festen Charaktere der Holberg ’ schen Familie hier - abgesehen von der Dienerfigur - variantenreicheren, klassischen Figuren Platz machen: „ [T]hat gives Ulysses a unique place among the comedies. “ (Hougaard, Jens: Ludvig Holberg. The Playwright and his Age up to 1730. Odense 1993, S. 99) 49 Ausführlich zu möglichen Motiven und zur Entstehungsgeschichte der Komödie: Rahbek, K. L.: Om Ludvig Holberg som Lystspildigter og om hans Lystspil. Anden Deel. København 1816, S. 218 - 246; Brix, Hans: „ Holberg og Théâtre Italien. “ In: Edda 1919, Bd. XI, S. 120 f Holbergs Komödienwelt 49 bezeichnet ihn in seinen Aufzeichnungen als „ Harleqvin “ 50 und auch das Kostüm deutet klar in diese Richtung: Noch 1778 tritt Chilian in „ einer Harlekintracht mit Fuchspelz am Kopf und einer Glocken in der Hose “ 51 auf. Welchen Part übernehmen nun die Judenfiguren in dieser Gemengelage aus Haupt- und Staatsaktion, Commedia dell ’ arte und Parodie? Wichtig in diesem Zusammenhang ist zunächst die „ Judenszene “ ganz am Ende des Stückes, verbunden mit der Überlegung, wie diese sich in den Gesamtablauf der Komödie einfügt. Die Frage stellt sich, welche Bedeutung dieser Szene hinsichtlich der Ausgestaltung der Holberg ’ schen Komik, der parodistischen Intention des Stückes und der Dekonstruktion der theatralischen Illusion zukommt. Mit Blick auf die Struktur und Komposition des Dramas möchte ich dafür argumentieren, dass Holberg hier seine jüdischen Charaktere als Harlekine funktionalisiert: Am Schluss der Komödie treffen wir auf Ulysses, der nach 40 Jahren heimkehrt und erfahren muss, dass seine Frau Penelope ihn betrogen hat. Erschöpft und verwahrlost sitzt er auf einem Stuhl, und während das Lied „ O du gamle Hanrey “ 52 gespielt wird, schläft er ein. Es folgt der Auftritt der beiden Juden, die im gesamten Stück zuvor weder auftauchen noch Erwähnung finden. Die von mir oben aufgeführten Charakteristika der Judendarstellung bei Holberg spiegeln sich hier ausnahmslos wider: Zwei ältere Männer mit Bart und einer besonderen Sprache verlangen Geld von Ulysses für die angeblich ausgeliehenen Kleidungsstücke: Scen. Ult. To Jøder. Ulysses. 1 J ØDE : Dat ist doch verflucht mit den Comoedianten, naar man laner en Kleidung ud, schicher sie nimmer zu rechter Tyt to rüch, und so most man bien en heel Uuge nach Betaling. 50 Memoirer, S. 89 51 „ [E]n Harleqvinsdragt, Ræverumpe i Hovedet, en Bjælde i Buxerne. “ (Krogh, Torben: Studier over de sceniske opførelser af Holbergs Komedier i de første aar paa den genoprettede danske skueplads. København 1929, S. 50) 52 Holbergs Werke werden im Folgenden nach der zwölbändigen Gesamtausgabe mit Bandzahl, Akt oder Szenenbezeichnung sowie Seitenzahl zitiert: Ludvig Holberg værker i tolv bind. Digteren, Historikeren, Juristen, Vismanden. Udgivet med inledninger og kommentarer af F. J. Billeskov Jansen. Bind III - VII. København 1969 - 1970, hier: Holberg 4: Ulysses, V, 4, S. 405 50 Männer mit Bärten 2 J ØDE : Dat ist wahr Ephraim. Men warumb er wi so dull. Aaber see en maal. Dar sitz er, und slaapt mit de schöne Roch. Ich dachte es wohl. Das ist unverskamen so mit lante Klær to handelen. (Gaaer hen og rykker Ulysses i Armen.) Hær Mussier! Er det Manneer mit solke Klæren zu slaapen. U LYSSES : Hvem er saa dristig, at hand tør vække mig op af min Søvn? 2 J ØDE : Dat bin ich. Mussier kennet wohl Ephraim. U LYSSES : Jeg kiender dig icke, O Ridder! 2 J ØDE : So kenner ich ham Mussier. U LYSSES : Jeg er den store Ulysses von Ithacien. 2 J ØDE : Und ich bin die kleine Jude Ephraim. U LYSSES : Jeg er den, som har forstyrret den ædle Stad Troja Asiens Zierat og Øyesteen. 2 J ØDE : Und ich bin ein Mann wessen Vor-Voders en die grosse Stadt Jerusalem gewohnt hebben. U LYSSES : Jeg er kommen hid for at tage en blodig Hevn af min troløse Gemahl Penelope. 2 J ØDE : Und ich bin hidkommen um Bezahlung for mine lante Klæer zu foderen. Aber det skal ablaaffen ohne Blut. U LYSSES : Jeg kand see paa dit Skiæg, at du est en vandrende Ridder. 2 J ØDE : All zu viel wandrend disverr! so wohl ich als andre Israels Kinder. U LYSSES : Siig mig ædle Ridder, hvordan det staaer til i Ithacien. 2 J ØDE : Møssier, ich heb kein Tyt, ich muß die Kleidung ut lanen zu ein Masqverade von Abend. U LYSSES : Tør du legge Haand paa mit kostbare Legeme? Pack dig strax fra mig, eller du skal føle Effecten af min Vreede. 2 J ØDE : Træck ju man ut, oder du skal følen die Effect von Lands Lov und Gerecht. U LYSSES : Ach Himmel! saadant skal hende mig efter 40 Aars Landflygtighed. (De træcker Kiolen af ham, sigende: ) Bist du in fyrretive Jahr weg gewesen, so muuss du auch for fyrretiv Jahr bezahlen. Wir wollen strax Reichnung machen. Adiøs saa lang. U LYSSES : Ach Himmel! havde jeg taget mig for at ødelegge alle Jøder i Steden for at gaae til Troja, saa havde mit Herredømme ikke saa hastig faaet Ende. 53 53 Holberg 4: Ulysses, V, scen. Ult., S. 405ff Holbergs Komödienwelt 51 Letzte Szene Ulysses, zwei Juden. E RSTER J UDE : Dat is doch verflucht mit die Komödianten: man leiht Kleider aus, und die schicken sie nie zurick zur rechten Zeit, und dann muß man noch ’ ne ganze Woch ’ warten auf Bezohlung. Z WEITER J UDE : Dat is wahr, Ephraim, aber wat sind wir auch so dumm? Da seh amal, da sitzt er un schlaft mit de scheene Rock! Ich dacht es wohl: dat is unverschamt, so geleihte Kleider ßu behandeln! Geht hin und zerrt Ulysses am Arm: Hört amal, Mussje, is dat Manier, mit solche Kleider ßu schlaffen. U LYSSES : Wer ist so dreist, mich in meinem Schlaf zu stören? Z WEITER J UDE : Dat bin ich - Mussje kennt wohl den Ephraim? U LYSSES : Ich kenne dich nicht, o Ritter. Z WEITER J UDE : So kenn ich doch ihm, Mussje. U LYSSES : Ich bin der große Ulysses von Ithakien. Z WEITER J UDE : Und ich bin die kleine Jude Ephraim. U LYSSES : Ich habe die edle Stadt Troja zerstört, Asiens Zierde und Augenstern. Z WEITER J UDE : Und ich bin eine Mann, dessen Vorväter gewohnt hebbt in die große Stadt Jerusalem. U LYSSES : Ich bin gekommen, um an meiner treulosen Gemahlin Penelope blutige Rache zu nehmen. Z WEITER J UDE : Und ich bin gekommen, um Bezohlung zu forderen for meine gleihte Kleider, aber wird sich das abwickeln ohne Blut! U LYSSES : Ich sehe an deinem Bart, daß du ein wandernder Ritter bist. Z WEITER J UDE : Oh, allzuviel wandernd - leider, sowohl ich als die andere Israels Kinder. U LYSSES : Sage mir, o edler Ritter, wie steht es in Ithakien? Z WEITER J UDE : Mussje, ich hebb kein Zeit nicht - , muß haben Kleider zu eine Maskerade heut abend. U LYSSES : Was, du wagst es, Hand anzulegen an meinen edlen Leib? Pack dich, oder du spürst die Wirkung meines Zorns! Z WEITER J UDE : Zieh du dir aus, oder du spürst Wirkung von Landes Recht und Gesetz! U LYSSES : Ach, Himmel! Und solches muß mir geschehen - nach vierzig Jahren Irrfahrt! Sie ziehen ihm die Kleider aus. Z WEITER J UDE : Bist Du weg gewesen vierzig Jahr, mußt du auch bezohlen für vierzig Jahr! Wir wollen stracks die Rechnung aufmachen! Adien solange! 52 Männer mit Bärten U LYSSES : Ach, mein Gott, hätte ich doch bloß all die Juden 54 ausgemerzt, statt nach Troja zu gehen, so wäre meine Herrlichkeit nicht so schnell zu Ende gewesen! 55 In dieser Schlussszene der Komödie finden sich vielfältige Aspekte, die meine These der „ Harlekinisierung “ der Judenfiguren untermauern. Zunächst geht es um die Stellung dieser Szene im Stückablauf. Der letzte Auftritt gebührt gewöhnlich dem Harlekin, der Epilog bietet ihm (und seinem Darsteller) traditionell die Möglichkeit, sein Können noch einmal unter Beweis zu stellen. Das macht Shakespeares Narr nicht anders als der Harlekin der Commedia dell ’ arte, der Hanswurst der deutschen Haupt- und Staatsaktionen oder eben die Judenfiguren hier bei Holberg. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert fungiert der Harlekin als Inbegriff des Komischen 56 und gerade in der Commedia dell ’ arte-Tradition ist er berühmt für seine Lazzi, 57 aber auch für seine besondere Beziehung zum Publikum. Der Harlekin gilt nicht nur als Unterhalter oder Komiker, er ist auch ein Vermittler zwischen Bühne und Publikum: Neue Handlungsorte, Zeitsprünge oder Umbaupausen erklärt oder überbrückt er. Die vierte Wand existiert für diese Figur nicht, sie ist ein Grenzgänger, zugleich Teil der Handlung und deren Motor, aber auch Beobachter und Kommentator des dramatischen Geschehens. Der Harlekin verbindet auf diese Weise Bühne und Zuschauerraum. 54 In der Übersetzung von Hans-Jürgen Hube heißt es hier: „ / . . . / hätte ich doch bloß all die Wucherer ausgemerzt. “ 55 Holberg, Ludvig: „ Ulysses von Ithakien oder Eine deutsche Komödie. “ In: Ludvig Holberg. Ausgewählte Komödien. Herausgegeben, kommentiert und aus dem Dänischen übertragen von Hans-Jürgen Hube. Rostock 1986, S. 223 - 291, hier: S. 288ff 56 Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Tübingen 1999, S. 75 57 Lazzi bezeichnen Gags oder Buffotricks, die in immer neuen Varianten in die Handlung eingeschoben werden konnten. Typische Lazzi sind die Untersuchungen beim Arzt, die Prügelszenen, ein Hungeranfall, ein Besäufnis - oder das Fliegenfangen, ein besonders beliebter Gag, der veranschaulicht, auf welche Weise die spezielle Komik der Harlekine funktioniert: „ Arlecchino, auf einem Wachtposten vergessen und von Hunger geplagt, verflucht seinen Herrn und die Welt. Eine Fliege belästigt ihn. Vergeblich versucht er, sie zu vertreiben. Nicht lange. Seine Rache- und Hungergefühle beginnen, sich auf den Störenfried zu konzentrieren. Nachdem der Zuschauer deutlich über die aufkeimende Absicht informiert ist, geht die Jagd los und kann sich je nach Phantasie des Darstellers und der hinter den Kulissen benötigten Zeit in die Länge ziehen. “ (Esrig, David: Commedia dell ’ arte. Eine Bildgeschichte der Kunst des Spektakels. Nördlingen 1985, S. 170) Holbergs Komödienwelt 53 Chilian, Holbergs Harlekin, bringt all diese Elemente zusammen, aber auch in der Schlussszene von Ulysses von Ithacia finden sich diese Aspekte wieder. Aus den Regieanweisungen geht hervor, dass der Jude/ Harlekin Ulysses zunächst am Arm zerrt und ihm später die Kleidung auszieht. Diese szenischen Vorgänge dürften auf der Bühne eine gute Gelegenheit für Lazzi, Handgemenge und Beschimpfungen aller Art gegeben haben. Darüber hinaus trägt der besondere „ Dialekt “ der Judenfiguren als auch die Mischung unterschiedlicher Sprachen zur Steigerung des komischen Effekts bei. Gleichzeitig begeben sich die beiden Harlekinfiguren in eine kommentierende Position, wenn sie deutlich machen, dass Ulysses ein Schauspieler mit geborgten Kleidern ist. Auch hier werden beide harlekintypischen Positionen bezogen: Die Judenfiguren als Handelnde und Kommentierende. Und auch hier zerspringt die Theaterillusion: Die Titelfigur nur ein Schauspieler im geborgten und nicht bezahlten Kostüm? Folgt man dieser Lesart, stellt sich die Frage, wie sich die jüdischen Harlekine des Epilogs zur Harlekinfigur des Stücks, also Chilian, verhalten. Wie viele Komiker verträgt Ithacia? Untersucht man das Drama eingehender, werden augenfällige Parallelen zwischen der Chilian-Figur und den jüdischen Charakteren deutlich, die zeigen, dass die Juden des Epilogs nicht nur inhaltlich sondern auch strukturell als Harlekine verstanden werden können. Im ersten Akt schickt Ulysses Chilian auf Reisen, um Verbündete für den geplanten Feldzug gegen Troja zu werben. Er selbst will zu Hause bleiben und verspricht, sich so lange nicht zu rasieren, bis der Diener zurückgekehrt ist. Als Chilian die Bühne wieder betritt, findet er einen schlafenden (! ) und langbärtigen (! ) Ulysses vor. Ulysses ’ Bart dient nicht nur als Zeichen dafür, dass ein Jahr vergangen ist, gleichzeitig nutzt Holberg hier die Gelegenheit, mit Hilfe der Harlekinfigur die Theatersituation als solche zu thematisieren: Chilian zeigt sich zunächst verwundert darüber, dass ihm selbst im Verlauf des Jahres kein Bart gewachsen ist. Nachdem er Ulysses genauer in Augenschein genommen hat, stellt er jedoch fest, dass er einer Fälschung aufsitzt. C HILIAN : Men der seer jeg min Herre sidde sovende. Hillement hvor har han hastig faaet et langt Skiæg! dog der er sandt, det har haft et heelt Aar at voxe udi. Men jeg har intet Skiæg faaet imidlertiid. Det kand jeg ikke begribe; Skiægge, maaskee, voxer ikke i andre Lande, end som her. Men hvad Pokker? det sidder jo gandske løst. Han tar Skiægget af Ulysses, og hefter det til sin Hage. Vender sig til Spectatores: 54 Männer mit Bärten Kand I nu see, Monsieur, af mit Skiæg, at jeg har været et heelt Aar borte? I er saa forbandet vantroe. I vil endelig have Troen i Hænderne. 58 C HILIAN : Doch da sitzt ja mein Herr und schläft! Sapperlot, hat der in der kurzen Zeit aber ’ nen langen Bart gekriegt! Ach, richtig, der hat ja auch ein ganzes Jahr Zeit zum Wachsen gehabt! Aber ich hab doch inzwischen keinen Bart gekriegt! Wachsen die Bärte hierzulande womöglich schneller als anderswo? Na, beim Henker, der sitzt ja ganz lose! Nimmt Ulysses den Bart ab und befestigt ihn an seinem eigenen Kinn. Zum Publikum: Erkennt Ihr jetzt, Messieurs, an meinem Bart, daß ich ’ n ganzes Jahr weg war? Ihr seid so verdammt phantasielos! Wollt bloß das glauben, was ihr mit den Händen greifen könnt! 59 Den Bärten in dieser Komödie ist offenbar nicht zu trauen, sie können ge- und vertauscht werden, sie fungieren mal als Requisit, mal als Zeit(sprung) indikator, jedoch nicht - das macht Holberg gleich am Anfang deutlich - als personenspezifisches Erkennungsmerkmal. Nachdem Ulysses erwacht, gibt Chilian zudem vor, seine Muttersprache verlernt zu haben und antwortet in äußerst komisch anmutenden Phantasielauten. 60 Chilian nutzt nicht nur die Chance, sich des Bartes seines Herrn zu bemächtigen, sondern er spricht auch direkt das Publikum an, tritt aus der Handlung heraus und kommentiert sowohl das dramatische Geschehen als auch die Theatersituation als solche. Bereits im ersten Akt werden so strukturelle und inhaltliche Muster der Konstruktion der Harlekinfigur sichtbar, die sich durch die gesamte Komödie ziehen: Chilian (der Harlekin) wird mit einem Auftrag fortgeschickt, um diesen zu erfüllen, verkleidet er sich - als wichtige Hilfsmittel dienen zum einen der Bart zum anderen die linguistische Maskierung. Bei seiner Rückkehr findet er einen meist schlafenden Ulysses vor. Durch das Heraustreten aus der dramatischen Handlung und die direkte Ansprache der Zuschauer etabliert der Harlekin darüber hinaus sein besonderes Verhältnis zum 58 Holberg 4: Ulysses, I, 14, S. 352ff 59 Holberg; Hube 1986, S. 241 60 So antwortet Chilian beispielsweise auf Ulysses ’ Frage, ob er seine Muttersprache verlernt habe, folgendermaßen: „ Ski olski dolski podolski opodolski iopodolski siopodolski asiopodolski basiopodolski ebasiopodolski mebasiopodolski emmebasiopodolski klemmebasiopodolski. “ (Holberg 4: Ulysses, I, 14, S. 353) Holbergs Komödienwelt 55 Publikum. Dieses Muster wiederholt sich: Im dritten Akt schickt Ulysses Chilian fort, um den Propheten Nabocodonosor zu suchen. Dieser soll den Ausgang des Krieges voraussagen. Statt des Propheten betritt aber der verkleidete Chilian die Bühne: Wieder ein falscher Bart, wieder eine fremde Sprache. In der Regieanweisung heißt es: „ Chilian mit einem langen Bart und einem breiten, die Augen überschattenden Hut. / . . . / mit verstellter Stimme. “ 61 Chilian narrt auf diese Weise nicht nur seinen Herren, sondern das gesamte Heer, indem er voraussagt, dass nur sein eigenes Überleben und Wohlergehen den Erfolg des Krieges gewährleisten kann. So entbindet sich Chilian von der Teilnahme an jeglichen Kampfhandlungen. Das Publikum ist sich jederzeit bewusst darüber, wer hinter welchem Bart, hinter welcher Verkleidung steckt - und welche Absichten damit verfolgt werden. Am Ende der Komödie, nach der Rückkehr nach Ithacia, wiederholt sich dieses Muster erneut. Ulysses schickt Chilian fort, um seine untreue Ehefrau zu bestrafen. Bevor er ihn verlässt, bringt der Diener seinem Herrn neue Kleidung und hilft ihm beim Ankleiden. 62 Kurz darauf kommen zwei bärtige, fremdsprachige Charaktere auf die Bühne und wecken den wieder einmal eingeschlafenen Ulysses: die Judenfiguren. Die Parallelen zum Anfang sowie zur Prophetenszene können augenfälliger nicht sein. Dass die Juden zudem genau die Kleidung zurückfordern, die Chilian kurz vor seinem Abgang Ulysses ausgehändigt hat, wirft die Frage auf, ob nicht etwa gar der Diener selbst hinter der neuerlichen Verkleidung, hinter dem wieder falschen Bart steckt. Im Text deutet zunächst nichts darauf hin, dass dieser hier als Jude verkleidet zurückkommt. Auch in der praktischen Umsetzung auf der Theaterbühne ist das nicht der Fall. 63 Deutlich wird jedoch, dass die Szene zwischen Ulysses und den beiden jüdischen Charakteren nach den selben Mustern funktioniert wie die Szenen des „ echten “ Harlekin und daher die Lesart möglich scheint, sich Chilian unter der jüdischen Verkleidung vorzustellen - was macht schon 61 „ Chilian med et lagt Skiæg og en bred Hat, som staaer ham ned i Øyene / . . . / førende et fremmed Maal. “ (Holberg 4: Ulysses, III, 3, S. 375) 62 Die Regieanweisung lautete: „ Chilian henter i en Hast en skiøn Klædning og en Hat med Plumager, ifører Ulysses Kiolen. “ (Holberg 4: Ulysses, V, 3, S. 402) / / „ Chilian bringt eilig ein schönes Kleid und einen Federhut, zieht Ulysses das Kleid an. “ 63 Anhand der Besetzungslisten des Königlichen Theaters lässt sich dies zumindest für den Zeitraum von 1748 - 1889 nachweisen. (Aumont, Arthur; Collin, Edgar: Det danske Nationalteater 1748 - 1889. En statistik fremstilling af det Kongelige Teaters Historie fra Skuepladsens Aabning paa Kongens Nytorv 18. December 1748 til Udgangen af Sæsonen 1888 - 89. København 1896) 56 Männer mit Bärten ein falscher Bart mehr oder weniger? Es sind somit nicht nur die harlekintypischen Elemente wie die Lazzi, die Sprachkomik und das besondere Verhältnis zum Publikum, welche in der letzten Szene die Judenrollen als Harlekine funktionalisieren, auch Komposition und Aufbau der Komödie legen diese These nahe. Und während der Zuschauer im Verlauf des Stückes immer weiß, wer welche (Ver-)Kleidung und wessen Bart trägt, ist die letzte Szene möglicherweise Harlekins größte Nummer: Er narrt nicht nur Ulysses sondern das ganze Theater. Ein fremder und doch so bekannter Bart, der unerkannt die Illusionen und Konventionen der Bühne sowie der Zuschauenden hintergeht, dabei das Theater und sein Publikum vor- und verführt. Anders gelagert als die Harlekinade in Ulysses von Ithacia ist die Komödie Den ellefte Junii. Das Stück handelt vom jütländischen Bauernsohn Studenstrup, der am 11. Juni 64 im Auftrag seines Vaters zum ersten Mal nach Kopenhagen reist, um Geldgeschäfte zu erledigen sowie fällige Zinsen einzutreiben. Besonders hat er es auf einen gewissen Skyldenborg abgesehen, der Schulden in Höhe von mehreren tausend Talern angehäuft hat. Er gerät jedoch an dessen gewieften Diener Henrich, dem es gelingt, den ahnungslosen Bauernsohn mit Hilfe verschiedener Intrigen seines Geldes zu berauben und so seinen Herren vor der Pfändung zu bewahren. Verkleidungen aller Art, Verwechslungen, Betrügereien und krumme Geschäfte prägen den Gang der Handlung. Am Ende gelingt es dem Diener Henrich, den einfältigen und hochnäsigen Bauernsohn ohne Geld aus der Stadt zu jagen, seinen Herren finanziell zu retten und selbst ökonomisch davon zu profitieren. Das Stück reüssiert als eine typische Holberg-Komödie, die in Kopenhagen spielt, einen aktuellen Anlass zum Thema hat und das bürgerliche Publikum der Hauptstadt auf Kosten der bäuerlich geprägten Landbevölkerung amüsiert. Nicht Henrich fungiert in diesem Stück als Harlekin, Ulysses von Ithacia bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme im Œ uvre Holbergs. Geschrieben als Parodie auf die Haupt- und Staatsaktionen kann Holberg auf diese Figur 64 Am 11. Juni werden traditionell Wechsel, Schuldforderungen sowie Kredite fällig. Viele Geschäftsleute aus dem ganzen Land kommen an die Börse, um ihre Geldangelegenheiten zu regeln - es ist „ ein Tag der Abrechnung. “ (Nielsen, Erik A.: Holbergs komik. København 1984, S. 317) So wird schon im Titel deutlich, um welche Aspekte das Stück inhaltlich kreist. Die Uraufführung findet am 11. Juni 1724 statt, kurze Zeit später wird Capion, der Direktor des Theaters in der Lille Grønnegade, verhaftet, weil er seine Wechsel nicht mehr einlösen kann. (Overskou I, S. 212 f ) Holbergs Komödienwelt 57 nicht verzichten. 65 Ein Blick auf den jüdischen Charakter in Den ellefte Junii zeigt jedoch, dass dieser eine Teilfunktion des Harlekins übernimmt. Der Auftritt des Juden beschränkt sich auf zwei kleine Szenen zu Beginn des dritten Aktes, ein äußerst kurzes Intermezzo einer Nebenfigur, die im Personenverzeichnis nicht einmal Erwähnung findet. Dieser Akt beginnt an der Börse, worüber die einleitende Regieanweisung informiert: „ Die Börse wird gezeigt, dann treten Kaufleute auf, zunächst ein Kaufmann, darauf ein Jude mit Bart. “ 66 Der Erstere feilscht im Folgenden mit dem Juden über die Konditionen für einen Kredit in Höhe von 4000 Talern. Scen. 1 K IØBMANDEN : / . . . / Men der seer jeg en Jøde, jeg maa høre engang hvad han begiærer. Serviteur Monsieur, har han ingen Kroner at vexle? J ØDEN : Nai Monsieur, jeg troer ikke, at jeg har nogen; vilde han sonsten have mange? K IØBMANDEN : Fire Tusind Rixdaler. J ØDEN : Jeg har selbst ingen itzund Monsieur, men maa skee jeg kunde skaffe ham welke hos en god Ven for halvtolvte pro Cento. K IØBMANDEN : Halvtolvte pro Cento? det er jo Jødisk. J ØDEN : Ja jeg er og en Jøde; ich will ihm sagen, Monsieur, Coursen er elleve og en qvart, nu maa jeg jo i det ringeste have en qvart for min Umag. SCEN. 2. Kiøbmanden. En anden Kiøbmand. Jøden. F ØRSTE K IØBMAND : Ney, vi betakker os, saa længe som her er Christne i Landet, handler vi ikke med Jøder. See der seer jeg en god ærlig Christen Kiøbmand. Hør, min Herre, har han ingen Croner at vexle? A NDEN K IØBMAND : Jo til Tieneste. F ØRSTE K IØBMAND : Hvad tar han pro Cento? 65 Unverkennbar ist, dass es bei der Figur des Dieners He(i)nrich immer wieder Anleihen an die Figur und Funktion des Harlekins gibt. Gerade das gemeinsame Auftreten mit der Magd Pernille erinnert in seiner Verfasstheit stark an die Typen der Commedia dell ’ arte. In Holbergs Komödie De Usynlige (erscheint 1731, die Premiere erfolgt allerdings erst 1747) treten Arleqvin und Colombine sogar namentlich auf. Aber sofort lassen sich Holbergs Henrich und Pernille erkennen. Beide finden - ähnlich wie ihre Herren - durch verschiedene Verkleidungen, Maskeraden und Verwirrungen schließlich doch zueinander. 66 „ Børsen præsenteres, hvor efterhaanden kommer Kiøbmænd ind, først en Kiøbmand og en Jøde med et Skiæg. “ (Holberg 3: Den ellefte Junii, III, 1, S. 355) 58 Männer mit Bärten A NDEN K IØBMAND : Tolv Rixdaler. F ØRSTE K IØBMAND : Da kand jeg faae dem hos en anden Jøde for elleve. A NDEN K IØBMAND : Kand nok være. F ØRSTE K IØBMAND : Jeg seer da, her er verre at handle med Christne Jøder; jeg maa hen til den anden igien. Hør Smautz, lad mig da faae nogle af jeres Croner. J ØDEN : Mit Navn er Moses, min Herre! jeg er kein Smautz, jeg er en Portugiser Jude; will Herren sonsten mit mig hiem gaaen, kand han nogen faae, men intet geringer. F ØRSTE K IØBMAND : Ja lad os gaae da. 67 Erste Szene D ER K AUFMANN : / . . . / Aber da sehe ich einen Juden, ich muß doch mal hören, was er haben will. Serviteur, Monsieur, hat Er keine Kronen zu wechseln? D ER J UDE : Nein, Monsieur, ick glob nit, daß ick welche hob; ist ’ s viel, wos der Härr will hoben? D ER K AUFMANN : Viertausend Thaler. D ER J UDE : Ick hob itzund selber kane, Monsieur, aber vielleicht kann ick Ihne welche schaffen von ein guten Fraind for zwelftehalb Procent. D ER K AUFMANN : Zwölftehalb Procent? Das ist ja jüdisch. D ER J UDE : Mein, ick bin auch ein Jüd. Ick will Ihm sogen, Monsieur, der Cours ist elf und en Vertelchen, nu muß ick doch hoben zum mindesten fer meine Mih e Vertelchen? Zweite Szene Der Kaufmann. Ein zweiter Kaufmann. Der Jude. E RSTER K AUFMANN : Nein, da bedanken wir uns, so lange noch Christen im Land sind, handeln wir nicht mit Juden. Aber sieh, da sehe ich ja einen braven ehrlichen christlichen Kaufmann. Hört, mein Herr, hat Er keine Kronen zu verwechseln? Z WEITER K AUFMANN : Ja, zu dienen. E RSTER K AUFMANN : Wie viel Procent nimmt Er? Z WEITER K AUFMANN : Zwölf Procent. E RSTER K AUFMANN : Da kann ich sie ja bei dem anderen Juden für elf kriegen? Z WEITER K AUFMANN : Kann wohl sein. 67 Holberg 3: Den ellefte Junii, III, 1 und 2, S. 355 f Holbergs Komödienwelt 59 E RSTER K AUFMANN : Ich sehe schon, die christlichen Juden sind noch schlimmer, ich muß nun wieder zu dem Vorigen. Hör ’ Schmuel, dann gieb mir was von Deinen Kronen. D ER J UDE : Mein Name ist Mauses, mein Herr, ich bin kein Schmuel, sondern an Jüd aus Portugal; will der Herr mit mir kümmen nach Hause, kann er welche kriegen, aber billiger nicht. E RSTER K AUFMANN : So wollen wir nun gehen. 68 Dass der Jude einen Bart trägt und sich darüber hinaus einer Sondersprache bedient, erscheint kaum überraschend. Ebensowenig die Tatsache, dass man ihn - noch dazu am 11. Juni - an der Börse antrifft. Schon eher der Fakt, dass sich im Verlauf des Gesprächs herausstellt, wie unrecht ihm der Kaufmann tut, wenn er ihn des Wuchers bezichtigt. Der Jude gibt sich darüber hinaus einen Namen, er weigert sich auf diese Weise, den von ihm als abwertend und beleidigend empfundenen Begriff „ Schmautz “ zu akzeptieren. Holberg ermächtigt ihn, sich selbst zu taufen: Hier steht kein Wucherer oder Bittsteller auf der Bühne, sondern der Geldverleiher Moses. Die Komödie spielt damit zum einen auf eine doch heterogenere Zusammensetzung der jüdischen Bevölkerung in Kopenhagen an, 69 zum anderen stärkt sie, so meine These, die Gesprächsposition der jüdischen Figur in der Verhandlung mit dem Kaufmann. Dass Holberg sich in Den ellefte Junii erkennbar auf die Seite des Juden stellt und den dänischen Kaufmann als profitgierig abstempelt, fächert sein Judenbild auf. Die Hauptfunktion dieser beiden kurzen Szenen sehe ich allerdings an anderer Stelle. Als Leser wird man direkt in der Regieanweisung über den Ortswechsel zu Beginn des dritten Aktes informiert. In einem kleinen Theater wie in der Lille Grønnegade, das nur bedingt 68 Holberg, Ludvig: „ Der elfte Juni. “ In: Holbergs ausgewählte Komödien. Aus dem Dänischen von Robert Prutz. Erster Band. Leipzig 1890, S. 191 - 258, hier: S. 219 f 69 In der Hauptstadt unterscheidet man zwischen den sogenannten Portugieser-Juden, vorwiegend Seefahrer und Händler, und den askenasischen Juden, die vor allem aus Deutschland zuwandern und den Großteil der jüdisch-dänischen Minderheit bilden. (Thing, Morten: Den historiske Jøde. Essays & ordbog. København 2002, S. 191ff; Blüdnikow, Bent; Jørgensen, Harald [Hrsg.]: Indenfor murene. Jødisk liv i Danmark 1684 - 1984. Udgivet af Selskabet for dansk-jødisk historie, i anledning af 300-året for grundlæggelsen af Mosaisk Troessamfund. København 1984, S. 15ff; Blum, Jacques: Dansk og/ eller jøde. En kultursociologisk undersøgelse af den jødiske minoritet i Danmark. Købnhavn 1972, S. 19 ff) 60 Männer mit Bärten technische Möglichkeiten zur Verwandlung von Spielorten hat, stellt sich dies weitaus schwieriger dar. Darüber hinaus hätte eine wie auch immer geartete realistische Darstellung des Börsengeschehens einen unglaublichen Personalaufwand bedeutet, was sich das Theater zum einen nicht leisten kann und zum anderen die begrenzten räumlichen Gegebenheiten der Bühne nicht erlauben. Den Trubel, die Hektik und das Gedränge an der Börse thematisiert Holberg in der Anfangsszene der Komödie, in der drei Viehhändler, die erst kürzlich in Kopenhagen eingetroffen sind, sich darüber beschweren, wie schwierig es sei, durch die Menschenmassen zur Börse zu gelangen. Dort müssen dem Gespräch nach unhaltbare Zustände herrschen, so dass auf Grund der Enge einer der Viehhändler mit kaputten Strümpfen und der andere mit zerrissener Kleidung zurückkehrt. 70 Um dies auf der Bühne glaubhaft zu realisieren, ohne die Voraussetzungen des Theaters zu verkennen, bedient sich Holberg hier des Harlekins. Eingangs habe ich erwähnt, dass eine Funktion des Harlekins darin besteht, Ortswechsel anzukündigen beziehungsweise zu erklären. Die jüdische Figur im dritten Akt kündigt den Ortswechsel nicht nur an, sie stellt ihn vielmehr dar. Der Jude als Börse, der als Pars pro Toto die Hektik, das Gedränge und die Aufgeregtheiten dieses Schauplatzes charakterisiert. Dass die Szenen darüber hinaus keinen neuen Handlungsstrang etablieren, der wieder aufgenommen oder später mit anderen Elementen verwoben wird, untermauert meine Lesart. Holberg geht es darum, dem Zuschauer glaubhaft zu vermitteln, dass das Geschehen an der Börse spielt - ohne dabei die technischen und personellen Voraussetzungen des Theaters auszublenden. Dass hier zudem eine Diskussion über die (un-)gerechte Behandlung der Juden sowie die Heterogenität der jüdischen Bevölkerung der Hauptstadt mit anklingt, mag möglicherweise nicht das Hauptanliegen des Autors dargestellt haben, als Effekt des Zwischenspiels stellt sich dies jedoch unweigerlich ein. Wie diese Szenen auf der Bühne ausgestaltet werden, lässt sich nur mehr vermittelt erschließen, allerdings zeigt sich, dass die Börsenszene aus Den ellefte Junii immer wieder Gegenstand der Auseinandersetzungen ist. Jens Kragh Høst beklagt sich noch gut 80 Jahre nach der Uraufführung im von ihm herausgegebenen Theaterblad über die „ geringe Anzahl von Menschen an der Börse, “ die Holbergs Anweisungen zuwider kaum die Hektik 70 Holberg 3: Den ellefte Junii, I, 1, S. 329ff Holbergs Komödienwelt 61 und das Gedränge szenisch transportieren könnten. 71 Auch der Theaterhistoriker Hansen greift diese Beschwerde auf. 72 Bestätigt wird dies durch Aufzeichnungen des Theaters: Die Szene an der Kopenhagener Börse wird laut Regiebuch um die Hälfte der von Holberg vorgegebenen Zeit gekürzt. Es gibt schlechthin nicht die finanziellen Möglichkeiten, ausreichend Statisten zu engagieren. Lediglich ein Junge als Diener findet sich unter den Ausgabeposten wieder. 73 Dies unterstreicht einmal mehr, welch emblematische Bedeutung der jüdischen Figur in dieser Komödie zukommt. 2.2.2 Bürger und Betrogene - Pragmatik in Det arabiske Pulver und Abracadabra Im Zentrum der Handlung von Det arabiske Pulver stehen der Bürger Polidor, der seit Jahren vergeblich versucht Gold herzustellen, und der bei Holberg bekannte Schelm und Betrüger Oldfux, der sich als erfolgreicher Goldmacher ausgibt und verspricht, sein Geheimnis an Polidor verkaufen zu wollen. Mit Hilfe des Juden scheint der Handel zunächst zu gelingen. Dieser vermittelt den Kontakt zwischen Oldfux und Polidor und fungiert darüber hinaus als Verwalter des geforderten Kaufpreises von 4000 Talern, da Polidor erst bezahlen will, nachdem er sich der Fähigkeiten Oldfux ’ vergewissert hat. Diese Zwischenposition der jüdischen Figur als Vermittler und Verwalter, als zwischen den Dingen (nicht darüber! ) stehend, kennzeichnet meiner Ansicht nach ihre Funktion in diesem Drama. Seinen ersten Auftritt hat der Jude in der zweiten Szene. 74 Oldfux, dessen Karriere als Betrüger ganz zu Beginn des Stücks eine ausführliche Darstellung erfährt, 75 wird vom Juden als Neuankömmling in der Stadt 71 „ Besynderligt nok er det ogsaa, at see det lille Antal Mennesker paa Børsen, da der efter Holbergs Bud dog bør føre ind saamænge, som man kann afstedkomme. “ (Theaterblad No 10, 31. Dec. 1807) 72 Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 170 f. Im Folgenden: Hansen II 73 Krogh 1929, S. 38 f 74 Holberg verzichtet in Det arabiske Puver auf Akteinteilungen, die Komödie ist in 13 Szenen gegliedert. 75 In der ersten Szene trifft Oldfux seinen alten Freund Andreas wieder und berichtet ihm von seinen Tätigkeiten in den letzten Jahren: In Augsburg hat er als Arzt praktiziert, in Nürnberg sich als Prophet ausgegeben, in Frankfurt als Fechtmeister, in Strasburg als Politiker, in Köln als Astronom, in London als Goldmacher und in Antwerpen als Heiliger. 62 Männer mit Bärten identifiziert und sofort angesprochen: „ Sein Diener, mein Herr! hat er was zu skacheren? “ 76 Wieder treffen wir auf einen typischen Holberg-Juden: ein alleinstehender Mann, ein geschickter Händler, ein komischer Sondersprachler, ein sicherlich Bärtiger, 77 ein zunächst Namenloser. 78 Die Intrige nimmt ihren Lauf. Oldfux gelingt es, Polidor weiszumachen mit Hilfe des so genannten arabischen Pulvers und einer geheimen Beschwörungsformel Gold herstellen zu können. Diese Neuigkeit macht die Runde und die Bürger der Stadt, die Polidor ob seiner Obsession und Zurückgezogenheit bisher ignoriert oder verlacht haben, finden sich in seinem Haus ein, um ihn zu feiern. In Det arabiske Pulver führt Holberg nicht allein Polidor vor, sondern eine ganze bürgerliche Gesellschaft, die dem Glauben erlegen scheint, Goldmacherei sei möglich, die ihr Fähnchen nach dem Wind (in diesem Fall Geld) richtet und die es mangels bürgerlicher Moral- und Wertvorstellungen nicht anders verdient hat, als von einem wie Oldfux vorgeführt und ausgenommen zu werden. Denn wenig überraschend stellt sich heraus, dass Oldfux mit Hilfe eines alten Freundes die bürgerliche Gemeinschaft narrt. Das Gold, das Polidor glaubt hergestellt zu haben, war bereits zuvor in das Pulver gemischt und auch die arabische Beschwörungsformel erweist sich als dreister Betrug - rückwärts gelesen steht dort: „ [A]lle Goldmacher sind Betrüger und du ein Narr. “ 79 Als der Schwindel auffliegt, hat Oldfux die Stadt verlassen und nicht nur Polidor sein Geld verloren, sondern auch der Jude, Polidors Frau Leonora sowie das Dienstmädchen Pernille sind um ihre Vermögen gebracht: Der Jude hat Oldfux in Erwartung eines großen Gewinns einen kostbaren Juwelen anvertraut, Leonora einen wertvollen Ring und Pernille ihre gesamte Erbschaft. Am Schluss nimmt Polidor für sich in Anspruch, aus seinem Fehler gelernt zu haben, schwört der Goldmacherei ab und zieht mit seiner Familie aufs Land, um fortan ein in bürgerlichen Augen anständiges Leben zu führen. Der Jude bleibt allein zurück. 76 Holberg 4: Det arabiske Pulver, 2. Szene, S. 110. Hierbei handelt es sich um das Original, keine Übersetzung. 77 Der Bart wird in den Regieanweisungen nicht erwähnt. Aus späteren Aufzeichnungen des Theaters geht jedoch deutlich hervor, dass auf dieses markante Zeichen des Jüdischen nicht verzichtet werden kann. Das erste Regieprotokoll von 1773 beschreibt den roten Bart und auch in einer späteren Version (1778) tritt der Jude selbstverständlich mit Hut, Perücke, Bart und Stock auf. (Krogh 1943, S. 40 ff) 78 Im Text als auch im Personenverzeichnis steht durchgehend „ Jøde “ . Heinrich und auch Polidor sprechen ihn zweimal als Benjamin namentlich an. 79 „ [A]lle Guldmagere ere Bredagere og du en Nar “ (Holberg 4: Det arabiske Pulver, 13. Szene, S. 136) Holbergs Komödienwelt 63 Exemplarisch lässt sich in Det arabiske Pulver eine Struktur Holberg ’ scher Komödiendramaturgie im Hinblick auf bürgerliche Handlungsmoral herausarbeiten. Die dramatische Handlung wird in der Antike in Anlehnung an die Handelnden (prattein) als Pragma bezeichnet. Holberg nimmt dies auf und spitzt es in einem „ bürgerlichen “ Sinn zu, indem er seine Figuren daran misst, wie pragmatisch sie handeln. 80 Ein Happy End wird nur denen zugedacht, die mit Hilfe der geeigneten Mittel den schnurgeraden Weg einschlagen. Um Abwechslung, Verwicklungen und dadurch Komik zu garantieren, stellen sich den Pragmatikern Hindernisse in den Weg, die dazu führen, dass sie noch hemmungsloser und zielgerichteter vorgehen müssen. Diese Hindernisse bestehen vor allem in Personen, die eben nicht pragmatisch im bürgerlichen Sinne handeln - so wie die jüdische Figur in Det arabiske Pulver. In ihrer (Zwischen-)Position als Vermittler dient sie nicht nur als „ Hindernis “ und somit als Katalysator der Handlung, sondern auch als Kontrastfolie für das Bürgertum. Von der moralischen Wende, welche die Hauptfigur durchläuft, bleibt sie ausgeschlossen. Da der Zuschauer bereits am Anfang weiß, was Oldfux und sein Helfer Andreas planen, steht im Mittelpunkt der Handlung nicht mehr der Betrug an sich, sondern vielmehr die Art und Weise, wie die beiden ihn durchführen. Dass Polidor sein Geld verlieren wird, steht von Beginn an fest. Durch diese Erzählweise wird der Zuschauer in eine (all-)wissende Position versetzt, die es Holberg erlaubt, auf die Fragestellung nach bürgerlicher (Un-)Moral und Handlungs(ohn)macht zu fokussieren. Es bleibt bemerkenswert, dass der Autor sich in Det arabiske Pulver auf die Seite des Schurken stellt, um dem Publikum vorzuführen, wie fragwürdig abergläubische Vorstellungen von Goldmacherei sind und wie diese letztlich dem moralischen und ökonomischen bürgerlichen Körper schaden. Die Bühne fungiert dabei zunächst als ein Ort der Beunruhigung, letztlich manifestiert sich hier jedoch eine Selbstvergewisserung der Gesellschaft, für welche Holberg deutlich macht, dass eine bürgerliche Verbesserung immer dann möglich scheint, wenn pragmatisch gehandelt wird. In dieser Lesart besteht die Hauptfunktion der jüdischen Figuren in dem Drama darin, der bürgerlichen Gesellschaft als Kontrastfolie zu dienen und so deren moralische Überlegenheit zu demonstrieren. Zugespitzt findet sich dies im Schlussbild der Komödie: Der gebesserte Polidor fährt mit seiner Familie aufs Land, um ein „ anständiges “ Leben zu beginnen, der Jude bleibt 80 Klotz 1996, S. 33 64 Männer mit Bärten - so steht es in der abschließenden Regieanweisung - heulend auf der Bühne zurück. 81 In einer anderen Spielart, aber ähnlicher Funktion begegnet uns der Jude Ephraim in Holbergs Komödie Abracadabra. 82 Hier stehen zunächst andere Figuren im Mittelpunkt der Handlung: Leander und Henrich, Holbergs berühmtes Paar, der reiche Bürgersohn und sein Diener. In Abwesenheit von Leanders Vater führen die beiden ein ausschweifendes Leben mit Frauenbekanntschaften, Glücksspiel und Alkohol. Sie vernachlässigen das Haus und den Landbesitz, zahlen keine Steuern und müssen sich schließlich - natürlich beim Juden - Geld leihen, um ihren aufwendigen Lebensstil zu finanzieren. So stehen eines Morgens der Gutsverwalter Arv, der Vogt Jesper und der Jude Ephraim mit finanziellen Forderungen vor dem Haus. Arv und Jesper benötigen Geld, um Futter für die Tiere zu kaufen sowie fällige Steuern zu begleichen; Ephraim fordert sein Darlehen zurück. Keinem der drei gelingt es, sich Gehör zu verschaffen, vielmehr werden sie von Henrich vertröstet und verlacht. Die Rolle der jüdischen Figur ist auf zwei Auftritte begrenzt, aber sie übernimmt eine wichtige Funktion für den Gang der Handlung. Seinen ersten Auftritt hat Ephraim in der fünften Szene des ersten Aktes. Nicht nur der Name (siehe Ulysses) kennzeichnet ihn als charakteristischen Holberg- Juden, auch die Sprache und seine Beweggründe erweisen sich als typisch für die Holberg ’ sche Dramatik: SCEN. 5 Ephraim Jøde. Personerne af forrige Scene. E PHRAIM : Man muss længe löpen ehr man hier sine Penge kriegen. H ENRICH : Nu har Fanden ført os denne Jøde paa Halsen igien. / . . . / God Morgen, Mester Ephraim! Hvad er hans Forlangende? E PHRAIM : Spürsmahl hvad mit Forlangende er! H ENRICH : I kand giøre en hob Allarm for lumpen 500 Rdlr. 81 Die abschließende Regieanweisung lautet: „ De gaaer alle ud. Jøden og Kokken hylende. “ (Holberg 4: Det arabiske Pulver, 13. Szene, S. 136) / / „ Alle gehen hinaus. Der Jude und der Koch heulend. “ 82 Der vollständige Titel lautet Huus-Spøgelse eller Abracadabra. Com œ die udi tre Acter. Uden Actricer. (Das Hausgespenst oder Abracadabra. Komödie in drei Akten. Ohne Schauspielerinnen.) Diese Komödie ist eine der wenigen, die Holberg für die wiedereröffnete dänische Schaubühne schreibt. Die Premiere erfolgte am 3. November 1752, fertig gestellt wird das Stück bereits 1750. Holbergs Komödienwelt 65 A RV : korsende sig. 500 Rdlr.! han lar sig nok ikke afspiise med saadan Froekost, som jeg fik. E PHRAIM : 500 Rdlr. finder man nicht paa Gaden; das ist keen Pakketel mein gute Henrik. H ENRICH : Jeg veed jo at en ærlig Mand kand have nogen Credit et par Dage. E PHRAIM : En par Dagen, segg ju? ik kenne ju par Dagen! Ick svær durch unser Heiligen Thalmud, daß - A RV : Talmud, er det Jødernes Gud, Hr. Foget? J ESPER : Det maa vel saa være. H ENRICH : Hør, Ephraim! her staaer ogsaa Folk som skal have Penge. Nu er det Spørsmaal hvem man først skal betale, enten Christne Mennesker, eller en Jøde, som har forraad vor Herre. E PHRAIM : Du har forraad og taglik forraader din Herre, det wet ick. 83 5. Szene Der Jude Ephraim. Die Personen der vorherigen Szene. E PHRAIM : Man muss lange löpen ehr man hier sin Geld kriegen. H ENRICH : Jetzt hat uns der Teufel auch noch diesen Juden auf den Hals gehetzt. / . . . / Guten Morgen, Meister Ephraim! Was verlangt Ihr? E PHRAIM : Rat mal, was ich verlang! H ENRICH : Wegen der lächerlichen 500 Taler macht Ihr einen solchen Aufstand? A RV : Bekreuzigt sich. 500 Taler! Der wird sich nicht so einfach abspeisen lassen. E PHRAIM : 500 Taler findet man nicht auf der Straße; das ist keen Pakketel mein gute Henrik. H ENRICH : Aber ein ehrlicher Mann kann doch wohl ein paar Tage Kredit verlangen. E PHRAIM : Ein paar Tage, sagst Du? Ich kenn ’ Deine paar Tage! Ich schwör durch unser Heiligen Thalmud, daß - A RV : Talmud, ist das der Gott der Juden, Herr Vogt? J ESPER : Kann schon sein, H ENRICH : Hör zu Ephraim, hier stehen noch andere, die Geld wollen. Jetzt ist bloß die Frage, wen man zuerst bezahlt. Die Christen oder einen Juden, der unseren Herrn verraten hat? E PHRAIM : Du hast Deinen Herrn verraten, tust es täglich, det wet ick. Dieser kurze Abschnitt verdeutlicht bereits den Hauptkonfliktpunkt: Ephraim fordert rechtmäßig sein Geld zurück, aber er hat keine anderen 83 Holberg 7: Abracadabra, I, 5, S. 94 f 66 Männer mit Bärten Möglichkeiten, als Henrich um die Rückzahlung zu bitten. Rechtlich, so scheint es in diesem Stück, gibt es keine Handhabe. Schlimmer noch: Der Diener verlacht den Juden, bagatellisiert die Höhe der offenen Zahlungen und diskriminiert Ephraim ganz deutlich auf Grund seiner Glaubenszugehörigkeit. Nicht nur sieht Henrich die christlichen Gläubiger im Vorteil, sondern er bedient sich ebenfalls des alten Vorurteils, die Juden hätten Jesus verraten und als Folge dessen selbst Schuld an ihrer schlechten Stellung innerhalb der Gesellschaft. Herausstellen möchte ich, dass die religiöse Verortung hier nicht durch die jüdische Figur, sondern durch Henrich erfolgt. Dies unterstreicht einmal mehr, dass Holbergs Juden sich vor allem durch ihre äußere Erscheinung, ihre Sprache und ihre soziale (Allein-)Stellung auszeichnen. Die religiösen Aspekte thematisieren, wie ich später noch genauer zeigen werde, ausschließlich die anderen. Nachdem Henrich den Juden - aber auch Arv und Jesper - mit ihren Bitten um Geld abgewiesen hat, erscheint kurz darauf Leander mit seinem Saufkumpel Octavius. Beide haben offensichtlich die Nacht durchgezecht und kommen nun am Vormittag nach Hause zurück. Die drei Bittsteller ersuchen Leander, endlich Geld herauszugeben, aber dieser will davon nichts wissen. Vielmehr fordert er die Musikanten (in den Kulissen) auf zu spielen. 84 Und kurz darauf erfahren wir, wie in dieser Komödie ganz ohne Frauen getanzt wird: „ Er [Leander] nimmt sich den Vogt, Octavius nimmt Arv und Henrich Ephraim, mit denen sie lustig herumtanzen. Henrich schlägt Ephraim aufs Hinterteil, als der nicht weitermachen will. Dieser ruft: Ach waj, ach waj. “ 85 Statt ihren berechtigten Forderungen nachzukommen, werden Arv, Jesper und Ephraim herumgewirbelt und schließlich von den drei Müßiggängern sogar aus dem Bild getanzt. 86 Wer hier handelt und wer sich behandeln lässt, steht außer Frage. Pragmatiker sind Leander, Octavius und vor allem Henrich. Und wie der Diener den Juden zum Tanzen zwingt und ihn dann von der Bühne swingt, ist ein Hol- 84 „ Spiller op en lystig Polsk Dands der inde I Herre Musikanter! “ (Holberg 7: Abracadabra, I, 6, S. 96) / / „ Spielt einen lustigen polnischen Tanz da drinnen, Ihr Herren Musiker! “ 85 „ Han [Leander] tager Fogden op til Dands, Octavius tager Arv, og Henrich Ephraim, og dandser lystig om med dem. Henrich spender Ephraim for Rumpenm naar han ey vil fort, han raaber: ach waj, ach waj! “ (Holberg 7: Abracadabra, I, 6, S. 96) 86 „ De dandse igien paa samme Maade, og omsider dandser ud af Theatro, saa at Leander og Henrich kommer alleene tilbage. “ (Holberg 7: Abracadabra, I, 6, S. 97) / / „ Sie tanzen auf die selbe Weise schließlich von der Bühne, Leander und Henrich kommen alleine zurück. “ Holbergs Komödienwelt 67 berg ’ scher Einfall, der das Verhältnis dieser beiden Figuren nicht einprägsamer verdeutlichen könnte. Ähnlich wie in Det arabiske Pulver macht Holberg hier deutlich, dass in seiner dramatischen Welt Recht haben und Unrecht verüben weder als handlungsentscheidende noch als moralische Parameter dienen. Holberg ’ sches Komödienglück ist denen vorbehalten, die aktiv gestalten, die sich bürgerlich-pragmatisch geben und Widerständen trotzen. Kredite zurückzufordern, wenn auch rechtmäßig, wird von und bei Holberg nicht belohnt. Aber er braucht den Juden als Hindernis, um den Gang der Handlung immer neuen Wendungen und Reibungen auszusetzen. Einmal mehr kommt dies im zweiten Akt zum Tragen, als Leanders Vater Jeronimus unerwartet zurückkehrt und es an Henrich ist, die prekäre Situation zu retten: Haus und Gut verfallen, das Geld verbraucht, die Gläubiger vor der Tür. Und der gewiefte Diener handelt, er ersinnt Lügen und Intrigen. Jeronimus darf sein eigenes Haus nicht betreten (in dem Leander betrunken und mit Damenbesuch im Bett liegt), denn, so Henrich, es spuke darin. In dem Moment, in dem Ephraim von Jeronimus sein Geld verlangt, behauptet Heinrich dreist, dieses Geld habe Leander benötigt, um ein neues Domizil zu erwerben - zum einen habe man unmöglich in dem alten bleiben können, zum anderen habe es sich dabei um ein besonders lukratives Geschäft gehandelt, denn statt für 6000 Taler habe er es für die von Ephraim geliehenen 500 Taler gekauft. Als sein Herr das neue Haus sehen will, führt er ihn mit Hilfe unterschiedlichster Tricks in die Bleibe des Nachbarn. Der erneute Auftritt Ephraims im zweiten Akt fungiert somit als ein wichtiger Handlungskatalysator, da Henrich nun erklären muss, was es mit den 500 Talern auf sich hat. Der jüdische Charakter ist zweifelsohne eines der zentralen Hindernisse, die sich dem Pragmatiker Henrich in den Weg stellen. Aber der Diener umschifft diese Klippen mit Bravour und Ephraim wird von Jeronimus auf den nächsten Tag vertröstet. Kleinlaut macht er sich davon: „ Gut, gnadiger Herr! gut, gnadiger Herr! Adieus. “ 87 Anders als sein Sohn will Jeronimus sein Zahlungsversprechen wirklich einlösen und die Sache scheint für die jüdische Figur gut auszugehen. Aber auch hier zeigt sich die Holberg ’ sche Komödienwelt doppelbödig, denn es wird schnell klar, dass es sich bei Jeronimus ’ Geste der Großzügigkeit und seinem Einsatz für die gerechte Behandlung seines jüdischen Gläubigers zuvorderst um Geldwäsche handelt. Seine lange Abwesenheit liegt nämlich 87 Holberg 7: Abracadabra, II, 4, S. 112 68 Männer mit Bärten darin begründet, dass Jeronimus sich für einen Prozess in Lübeck aufgehalten hat. Durch Bestechung von Richter und Beamten hat er nicht nur den Prozess, sondern auch 2000 Dukaten gewonnen. Sein schlechtes Gewissen plagt ihn, wenn auch nur ein wenig, und er gibt sich erleichtert, das Geld an den Juden loszuwerden: „ Ich bin recht glücklich, auf diese gute Weise das Geld loszuwerden. / . . . / Ich hab es nur dadurch gewonnen, dass ich Richter und Anwälte geschmiert habe. Darum ist es mir nicht unlieb, es für solche Ausgaben zu verwenden; denn ich muss zugeben, dass sich mein Gewissen meldet, sobald ich dieses Geld nur sehe. “ 88 Dass es zur Übergabe desselben im Verlauf der Komödie nicht kommt, ist nicht nur der dramaturgischen Konzeption geschuldet, sondern ein weiteres Indiz dafür, dass Ephraims Funktion vor allem darin besteht, als Hindernis der Handlung neue Wendungen zu geben und Herausforderungen an die Pragmatiker zu stellen. Seine Geschichte muss nicht zu Ende erzählt werden. Und das Ende kommt rasch: Jeronimus kommt hinter die Intrige, den Spuk und die Verschwendung. Henrich wird als Hauptschuldiger identifiziert und soll gehängt, Leander von seinem Vater verstoßen und enterbt werden. Fast. Denn das komödiengerechte Glück erreichen bei Holberg die aktiv Handelnden, die Pragmatiker. Und so lässt sich Jeronimus doch noch umstimmen, Octavius ersetzt den finanziellen Schaden und sein Sohn gelobt Besserung. Es folgt die Versöhnung, oder wie es bei Holberg heißt: „ General pardon “ . 89 Ähnlich wie in Det arabiske Pulver fällt auf, dass Holberg sich erkennbar auf die Seite der „ Betrüger “ stellt. Henrich und Leander kommen ohne Strafe davon und Jeronimus darf sein schmutziges Geld waschen. Die Pragmatiker sind bei Holberg die Bürger, die Fehler machen und Hindernisse aus dem Weg räumen. Betrogen sind die Anderen: der Jude Ephraim und der Gutsverwalter Arv. Dabei geht es Holberg ganz offenbar nicht darum, eine gute und gesetzestreue Lebensweise als vorbildhaft aufzuzeigen, sondern das aktive Gestalten, den Pragmatismus als bürgerliche Tugend darzustellen. Natürlich geloben die „ Schuldigen “ am Ende Besserung, aber auch hier ist das Credo des Handelns die Essenz bürgerlicher Normvorstellungen: Moralisch ist, wer pragmatisch handelt. Gestraft sind bei Holberg die Betrogenen - sie verlieren ihre Rechte, werden der 88 „ Jeg er glad ved at blive paa en god Maade skildt ved disse Penge. / . . . / Jeg vandt dem ved at smørre Dommere og Advocater. Hvorfore det er mig ikke ukiert at anvende dem till saadan Udgift; Thi jag kann ikke nægte, at saa tit jeg seer paa disse Penge, saa rører Samvittigheden sig udi mig. “ (Holberg 7: Abracadabra, III, 1, S. 123) 89 Holberg 7: Abracadabra, III, 9, S. 140 Holbergs Komödienwelt 69 Lächerlichkeit preisgegeben und in Holbergs Bilderwelt schlicht von der Bühne getanzt. Während sich am Schluss von Abracadabra die Bürger (männlich und christlich) selbst feiern, weil sie als Handelnde ihr Schicksal in die Hand nehmen und in Det arabiske Pulver diese Selbstbeweihräucherung in ein Irgendwo auf dem Land verlegt ist, fällt die jeweils gegensätzliche Position des Juden ins Auge. In Abracadabra fehlt er im großen Finale, in Det arabiske Pulver bleibt er allein auf der Bühne zurück. Er besetzt die Leerstelle, den Ort, an dem nicht gefeiert wird. Er ist das Hindernis, der Unpragmatische und damit im bürgerlichen Verständnis auch der Unmoralische. In genau dieser Funktion stellt er eine wichtige Triebfeder der Handlung in beiden Komödien dar; dies schließt ihn nicht nur von der Möglichkeit einer bürgerlichen Verbesserung aus, es funktionalisiert ihn geradezu als Gegenentwurf bürgerlicher Pragmatik. 2.2.3 „ (Un-)Echte Juden “ - Gegnerschaft in Diederich Menschen-Skræk In seiner Komödie Diederich Menschen-Skræk 90 räumt Holberg den jüdischen Charakteren den wohl größten Raum ein, er öffnet einen Spiel-Platz für zwei Juden - einen „ echten “ und einen „ unechten “ . In über der Hälfte der 21 Szenen treten sie einzeln oder zusammen auf, was darauf hindeutet, dass mit den jüdischen Figuren auch Fragen nach Kleidung und Verkleidung, Echtheit und Rolle, Original und Fälschung in den Mittelpunkt des Dramas rücken. Leander liebt Hyacinthe, keine zunächst ungewöhnlich anmutende Situation bei Holberg. Hyacinthe befindet sich jedoch im Besitz des Juden Ephraim, dieser hat sie auf dem Sklavenmarkt käuflich erworben und will sie nun an einen Offizier - jenen titelgebenden Herrn Menskenskrek 91 - 90 Der vollständige Titel auf dem ältesten erhaltenen Theaterplakat vom 6. Mai 1726 lautet Diederich Menschenskræk eller Hr. von Donnerburg. (Clausen, Julius [Hrsg.]: Plakater fra Theatret i Lille Grønnegade. Udgivne i Facsimile af Selskabet for dansk Theaterhistorie med en Inledning ved Julius Clausen. Kjøbenhavn 1912) Es gilt als gesichtert, dass die Premiere bereits 1724 stattfindet. Im Druck erscheint das Stück unter dem Titel Diederich Menschenskræk im Jahr 1731. Ich folge hier der Schreibweise der von mir verwendeten Gesamtausgabe. In Diederich Menschen-Skræk verzichtet Holberg auf Akteinteilungen, die Komödie gliedert sich in 21 Szenen. 91 Auch wenn der Titel der Komödie Diederich Menschen-Skræk heißt, wird im Personenverzeichnis und im Verlauf der Komödie die titelgebende Gestalt als „ Herr Menskenskrek “ beziehungsweise als „ Officeer “ bezeichnet. 70 Männer mit Bärten weiterverkaufen. Ephraim entspricht dabei genau dem gängigen Bild eines Holberg-Juden: Er wohnt allein in seinem Haus, bedient sich der jüdischen Sondersprache, auch ist er an seiner besonderen Kleidung erkennbar und handelt mit unterschiedlichen Waren, in diesem Fall mit Hyacinthe. Da Menskenskrek verheiratet ist, sollen der Kauf sowie die Übergabe der (Jung-)Frau heimlich abgewickelt werden. Gegen diesen Plan intrigieren zum einen die Frau des Offiziers, die auf Umwegen von dem Vorhaben Mitteilung bekommen hat, zum anderen auch Leanders Diener Henrich. Der Offiziersfrau liegt daran, nicht als betrogene Ehegattin dazustehen, und Henrich will seinem Herrn zum Liebesglück verhelfen. Beide planen, gemeinsam Hyacinthe zu retten: Zunächst verkleidet sich Henrich als Jude, 92 um Christopher Maurbrekker, den Gesandten des Offiziers, abzufangen, ihm die Übergabedokumente abzunehmen und im Gegenzug die als Hyacinthe verkleidete Frau des Offiziers auszuhändigen. Nach diesem ersten Teil des Plans wechselt Henrich sein Aussehen und begibt sich in Soldatenuniform als Christopher Maurbrekker verkleidet zum Juden Ephraim, übergibt die Dokumente und erhält im Gegenzug die echte Hyacinthe. Um sich schließlich der Kaufsumme zu versichern, begibt er sich - abermals als Jude - zu Herrn Menskenskrek. Dort kommt es ungeplant zum Aufeinandertreffen der beiden Juden. Henrich und Ephraim stehen sich gegenüber und suchen zu beweisen, wer nun der „ wahre “ Jude unter der (Ver-)Kleidung ist. Ephraim wird vor und von den Anwesenden zunächst als der falsche „ enttarnt “ und als vermeintlicher Deserteur eingesperrt. Henrich hingegen, der als der „ echte “ Jude angesehen wird, bekommt die Kaufsumme von 120 Talern ausbezahlt. Doch auch diese Intrige wird entwirrt und Holberg erlöst schließlich (nicht nur) die Liebenden: Leander und Hyacinthe dürfen heiraten (glücklicherweise 92 In der sechsten Szene beauftragt Henrich seinen Herrn Leander, ihm für die Rettung Hyacinthes die passende Kleidung zu besorgen: „ [O]g derforuden skal I skaffe mig en Jøde-Klædning. “ (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 6. Szene, S. 277) / / „ [D]arüber hinaus sollt Ihr mir ein Juden-Kleid besorgen. “ Am Ende des Stück beschreibt die Frau des Offiziers, wie die Intrige ausgeführt wurde: „ Da skal jeg fortælle heele Historien. Jeg kom hid for at hindre det, jeg havde udspioneret, og da fandt jeg en Tiener, som strax lovede att gaae mig til haande; han førte mig ind i dette Huus, hvor han selv paatog Jøde- Klæder for at narre Christopher. “ (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 21. Szene, S. 304) / / „ So werde ich nun die ganze Geschichte erzählen. Ich kam hierher, um das, was ich ausspioniert hatte zu verhindern. Da fand ich einen Diener, der sofort versprach, mir zur Hand zu gehen; er führte mich in dieses Haus hinein, in dem er sich selbst das Juden- Kleid anzog, um Christopher zum Narren zu halten. “ Holbergs Komödienwelt 71 stellt sich dabei heraus, dass Hyacinthe die vor Jahren entführte Tochter der Schwester von Leanders Vater ist und die Familien nun glücklich vereint einer leuchtenden Zukunft entgegensehen), Henrich entgeht einer Bestrafung und Ephraim wird gemeinsam mit Menskenskrek von dessen Frau verprügelt. Auf die vielfältigen Vorbilder für Holbergs Dramen habe ich eingangs bereits hingewiesen. Diederich Menschen-Skræk gehört zu den Komödien, deren Anlage und Handlungsstruktur klare Anleihen an die Commedia dell ’ arte-Tradition erkennen lassen: der Konflikt zwischen Jung und Alt (hier der Streit zwischen Leander und seinem Vater), die Umkehrung der Verhältnisse zwischen Diener und Vorgesetzen (wenn beispielsweise Henrich als Soldat seinen Herrn verprügelt) sowie die glückliche Vereinigung der beiden Liebenden (Leander und Hyacinthe finden schließlich zueinander). Ähnlich wie in Abracadabra fungiert das Verhältnis zwischen der Juden- und der Dienerfigur und dessen Dynamik als wichtiges Spannungsfeld in Diederich Menschen-Skræk. Aus dem gemeinsamen Tanz in Abracadabra wird hier eine ganze Komödie, Henrich und Ephraim dominieren als Kernpaarung in unterschiedlichen Konstellationen die Handlungsstruktur des Stücks. 93 Anders als in Det arabiske Pulver oder Abracadabra fungiert der Jude hier weder als Hindernis noch als Kontrastfolie bürgerlicher Überlegenheit, vielmehr erwächst er zu einem vollwertigen und ernstzunehmenden Gegner. Er ist in dieser Lesart kein Behandelter, sondern ein Handelnder im bürgerlichen Sinn: Pragmatisch, praktisch, gut. Pragmatisch, weil er einem ausgeklügelten Plan folgt. Praktisch, weil er seine Außenseiterposition verlässt und sich als Teilhaber am gesellschaftlichen Leben in Szene setzt. Gut, weil er nicht (un-)moralischer handelt als die bürgerliche Elite. Er ist weder Bittsteller noch Vermittler, sondern gestaltet die Vorgänge der Handlung aktiv mit. Dass Ephraim dabei nicht aus einer Außenseiterposition agiert, wird gleich zu Beginn deutlich, als Leander versucht ohne Erlaubnis in das Haus des Juden einzudringen, um der geliebten Hyacinthe einen Kuss auf die Wange drücken zu können. Er wird auf frischer Tat ertappt und von Ephraim an seiner Unternehmung gehindert, der sich daraufhin bei Leanders Vater Jeronimus beschwert. Der Jude erscheint als angesehener Bürger, Jeronimus nimmt ihn gegen seinen eigenen Sohn in Schutz, tadelt dessen 93 Holberg nennt das Stück in seinen Aufzeichnungen selbst „ Diderich von Menschen- Schreck, eller Henrichs intriguer “ , also „ Henrichs Intrigen “ . (Memoirer, S. 90) 72 Männer mit Bärten Verhalten öffentlich und begegnet seinem Gast auf Augenhöhe, nennt ihn nicht „ Schmautz “ sondern „ lieber Ephraim “ . 94 Es fällt darüber hinaus auf, dass Ephraims Vorgehen ein Plan zugrunde liegt: Der Jude ist Partner und Vertrauter des Offiziers Menskenskrek, der mit ihm unter strengster Geheimhaltung den Vertrag geschlossen hat. Das Abkommen zwischen ihnen regelt nicht nur den Preis, sondern auch die komplizierten Modalitäten der Kaufabwicklung. Der Menschenhandel wird dabei von den Bürgern - Menskenskrek, Jeronimus, Maurbrekker - nie als unmoralische Handlung eingestuft, vielmehr erscheint das Vorgehen als legitim und findet breite Unterstützung. Der Offiziersfrau geht es ebenfalls nicht um eine Verurteilung des Menschenhandels, sie agiert als (fast betrogene) Ehefrau auf eigene Rechnung. Und auch Henrichs Entschluss, sich in den Kampf um Hyacinthe zu stürzen, liegen keine moralischen Überlegungen oder der Ausbruch ritterlicher Tugenden zu Grunde; es handelt sich schlicht um eine Dienstanweisung seines Herrn Leander. Im Juden erwächst Henrich so ein fast ebenbürtiger Gegner, der über einen Plan verfügt, kämpft und zahlreiche Verbündete auf seiner Seite weiß. Und auch wenn es so anmutet, dass Ephraim schließlich - wie immer - als Verlierer vom Platz geht, fällt auf, dass er in Diederich Menschen-Skræk auch in der Niederlage nicht allein steht. Jeronimus unterstützt ihn nicht nur, er lässt sich sogar gemeinsam mit ihm bestrafen, genau wie am Schluss der Offizier Menskenskrek (letzterer wohl eher unfreiwillig). Ich will damit deutlich machen, dass es einen klaren Unterschied zu den jüdischen Figuren in Det arabiske Pulver und Abracadabra gibt. Dabei geht es mir weniger um das Resultat als um den Handlungsspielraum, den Holberg in Diederich Menschen-Skræk dem jüdischen Charakter einräumt: Er ist Antagonist, Handelnder, und wenn er am Ende verliert, dann verliert er nicht allein. Für ein hochkarätiges Duell braucht es einen ernstzunehmenden Gegner. Bei Holberg erfolgt der Kampf auf Augenhöhe, den Ephraim nicht gewinnt, der aber seine Attraktivität daraus zieht, dass er 94 „ kiere Ephraim “ (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 4. Szene, S. 274) Um seine Loyalität dem Nachbarn gegenüber zu unterstreichen, warnt Jeronimus in der nächsten Szene seinen Sohn und dessen Diener Henrich eindringlich davor, sich nochmals am Eigentum des Juden zu vergreifen. In der 13. Szene lässt er sich sogar gemeinsam mit Ephraim von dem als Soldaten verkleideten Henrich verprügeln. Die Frau des Offiziers berichtet in der siebten Szene, dass der Jude in der ganzen Nachbarschaft gut gelitten sei und alle mit ihm handelten. Holbergs Komödienwelt 73 auch anders hätte ausgehen können. Die Spannung in dieser Komödie resultiert genau daher, dass nichts sicher ist: Wer steckt hinter welchem Bart? Wer wird wen ver- und hinters Licht führen können? Diesen Fragen erwächst eine besondere Bedeutung, wenn der „ echte “ und der „ verkleidete “ Jude aufeinandertreffen - Ephraim gegen Henrich: SCEN. 17 Jøden. Henrich. Mensken-Skrek. Christoffer. / . . . / J ØDEN : Schlaff ich, oder bin ich wachend? / . . . / Jeg bliver gal, hier ist Betrug. Hör, Wolgebohrner Herr! Ich bin der Jude Ephraim, der die Jungfer har solt. H ENRICH : Du must være Dievelen! ich kenne dich wol. J ØDEN : Bin ich nicht Ephraim? ich must mich jo selbsten kennen. O FFICEER : Hvad Pokker er dette? H ENRICH : Das ist ein forkleidet Soldat, Herr! ein Gaudieb. O FFICEER : Da skal han faae en U-lykke. J ØDEN : Ach Gestrenger Herr, troe ham nicht. H ENRICH : Formedelst solche Skelmen und Gaudiebe, som sig i vores Dragt klær, maae vi offt Ferfolgung leiden. O FFICEER : Det er sandt. Siig, Hund! fra hvilket Regiment est du bort løben? J ØDEN : So wahr als ich ein Ehrlicher Mann bin, so bin ich der Jude Ephraim, und udi dette Huus boer. H ENRICH : Ha! ha! ha! das ist recht genug: so wahr als du bist ein Ehrlicher Mann; aber det skal du først beviisen. J ØDEN : Ach Herr, troer ham nicht! ich kann Beviis faae, daß ich die rechte Jude Ephraim bin, und ich kann til Beviis Omstände erzählen, dat die Jomfrue af min Commissionar for 3 Dage siden ist verkauft, daß er in mein Name har faaet 20 Ducater paa Haanden, daß die Jomfrue heist Hyacinthe, undt daß sein Diener mir sein Pitskaft til Tekken viiset har efter Aftalen, da han die Jomfrue fik. O FFICEER : Hvad Dievlen er dette? Er her ved Taskenspillerie af een Ephraim giort Dobbletter? H ENRICH : Ach Himmel, der Gaudieb hat alle Umstände ausspionirt um den gutten Herr und mich armen Mann zu betriegen. Ach ach! welcher loser Vogel, welcher loser Vogel! / . . . / J ØDEN : Ich fluche bey Himmel und Erde, daß ich bin der Jude Ephraim. / . . . / O FFICEER : Hør, Corperal! C ORPORAL : kommet ind. Gestrenger Herr! 74 Männer mit Bärten O FFICEER : Forvar mig denne Karl; Det er en forklædt Soldat. Corporalen trekker Jøden ud og han skriger: oh vai mir. 95 17. Szene. Der Jude, Henrich, Menschenschreck, Christoffer. / . . . / D ER J UDE : Schlaff ich, oder bin ich wachend? / . . . / Ich wird verrückt, hier ist Betrug. Hör, Wolgebohrner Herr! Ich bin der Jude Ephraim, der die Jungfer har solt. H ENRICH : Du musst der Teufel sein! ich kenne dich wohl. D ER J UDE : Bin ich nicht Ephraim? ich must mich jo selbsten kennen. O FFIZIER : Was geht hier vor? H ENRICH : Das ist ein forkleidet Soldat, Herr! ein Gaudieb. O FFIZIER : Der wird ein Unglück erleben. D ER J UDE : Ach Gestrenger Herr, glaub ihm nicht. H ENRICH : Wegen solcher Schelme und Gaudiebe, die sich unserer Kleidung bemächtigen, müssen wir immer wieder Verfolgung leiden. O FFIZIER : Das ist wahr. Sag, Hund, von welchem Regiment bist du davon gelaufen? D ER J UDE : So wahr als ich ein Ehrlicher Mann bin, so bin ich der Jude Ephraim und wohn in diesem Haus. H ENRICH : Ha! ha! ha! das ist recht genug: so wahr als du bist ein Ehrlicher Mann; aber das musst du erst beweisen. D ER J UDE : Ach Herr, glaub ihm nicht! ich kann Beweise bringen, daß ich die rechte Jude Ephraim bin, und ich kann zum Beweis Omstände erzählen, dat die Jomfrue auf meine Kommision vor drei Tagen ist verkauft, daß er in mein Name hat 20 Ducater auf die Hand bekommen, daß die Jomfrue heist Hyacinthe, undt daß sein Diener mir sein Siegel als Zeichen gezeigt hat, wie abgesprochen, als er die Jomfrue bekam. O FFIZIER : Was zum Teufel geht hier vor? Sind hier durch Zauberei aus einem Ephraim zwei gemacht worden? H ENRICH : Ach Himmel, der Gaudieb hat alle Umstände ausspionirt um den gutten Herr und mich armen Mann zu betriegen. Ach ach! welcher loser Vogel, welcher loser Vogel! / . . . / D ER J UDE : Ich fluche bey Himmel und Erde, daß ich bin der Jude Ephraim. / . . . / O FFIZIER : Herr Korporal! K ORPORAL : Kommt herein. Gestrenger Herr! 95 Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 17. Szene, S. 295ff Holbergs Komödienwelt 75 O FFIZIER : Verwahr mir diesen Kerl; es handelt sich um einen verkleideten Soldaten. Der Korporal zieht den Juden hinaus während dieser „ Oh vai mir! “ ruft. In dieser Szene kann Ephraim offensichtlich nicht beweisen, dass er der „ richtige “ Jude ist. Die Grundlage seiner dramatischen Identität und seine Stellung innerhalb der Holberg ’ schen Familie werden damit in Frage gestellt. Er wird als „ Fälschung “ identifiziert und als vermeintlicher Deserteur ins Gefängnis geworfen. 96 Der verkleidete Heinrich zeigt hingegen, dass er, wenn es sein muss, sogar der „ bessere “ Jude ist. Holberg rückt hier Aspekte von Maskierung und Verkleidung ins Zentrum, die von uneindeutigen Identitäten zeugen. Wenn wir den Blick auf die (Ver-) Kleidungen über diese Szene hinaus weiten, verstärkt sich dieser Befund, denn in Diederich Menchen-Skræk wird nicht nur der Juden verdoppelt, sondern auch der Soldat Maurbrekker sowie die Jungfrau Hyacinthe. Durch die Dopplung der Theatersituation - ein Schauspieler spielt eine Figur, die sich wiederum verkleidet - richtet sich der Blick des Betrachters nicht mehr nur darauf, wie Holberg seine Figuren, beispielsweise den Juden zeichnet, sondern wie die Dienerfigur sich einen Juden vor- und diesen darstellt. Für welche Zeichen entscheidet sich Henrich, um als authentischer Jude oder als echter Soldat wahrgenommen zu werden? Die Frage stellt sich, inwieweit Unterschiede zwischen „ echten “ und „ unechten “ Charakteren in der Figurenzeichnung erkennbar werden und welche Bedeutungen diesen Unterschieden zugemessen werden müssen. Als Christopher Maurbrekker bedient sich der Diener Henrich der Technik der Übertreibung. Als Soldat verkleidet, kennzeichnen ihn neben der Kleidung (Uniform) und der teils abweichenden Sprache (deutsch) vor allem seine Gewaltbereitschaft ( „ Nun gilt es! Ich muss mich brutal zeigen, so glaubt er mir desto schneller. “ 97 ) und der exzessive Gebrauch militärischer Termini. 98 Der „ echte “ Christopher Maurbrekker verzichtet auf diese Attribute, lediglich Kleidung und Sprache hat er mit Henrichs Version des Charakters gemeinsam. Im Gegensatz zu Ephraim thematisiert 96 Dass Juden zu diesem Zeitpunkt nicht im Militär dienen dürfen, somit auch kaum desertieren können, vergrößert die Komik der dreisten Lüge. 97 „ Nu gielder det for Alvor; jeg maa stille mig brutal an, saa troer han mig des snarere. “ (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 12. Szene, S. 287) 98 Henrich befragt in der zwölften Szene den Juden nach der Bedeutung verschiedener militärischer Fachbegriffe: Contrescarpie, Ravelin, Campagnie Carré, Aproche Petards usw. (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 12. Szene, S. 288) 76 Männer mit Bärten Henrichs Jude zum einen den Vorgang der Verkleidung, zum anderen verortet er seinen Juden in einem religiösen Kontext. In der Gegenüberstellung der beiden Juden in der 17. Szene beschuldigt Henrich als „ verkleideter “ Jude den „ echten “ Juden, dessen Aufmachung wäre der Grund für die schlechte Behandlung der jüdischen Bevölkerung: „ Wegen solcher Schelme und Gaudiebe, die sich unserer Kleidung bemächtigen, müssen wir immer wieder Verfolgung leiden. “ 99 Henrich benennt hier die vestimentäre Aufmachung als Ursache gesellschaftlicher Diskriminierung, spricht ihr so eine außergewöhnliche Wichtigkeit und Relevanz zu. Dass er sich seiner (Ver-)Kleidung so gut zu bedienen weiß, dass sie echter auf die handelnden Figuren wirkt als die Kleidung Ephraims, rückt aber auch die Unzuverlässigkeit dieses Zeichens in den Fokus. Meine These lautet, dass es Holberg durch die Doppelung der Figuren gelingt, die Attribute, die eine jüdische Figur markieren, mit Hilfe unterschiedlicher Techniken zu verfremden. Diese Verfremdung führt dazu, dass die Zeichen als das erkennbar werden, was sie sind: Zeichen für Zeichen. Dadurch richtet sich der Blick des Zuschauers auf das Konstruierte in der Darstellung jüdischer Charaktere auf der Bühne. 100 Es wird deutlich, dass die „ verkleideten “ Figuren keine Kopien sind, sondern dass gerade durch Abweichungen und Verschiebungen die als „ natürlich “ angenommen Zeichen hinterfragt werden. So gelingt es, Kategorien von „ echt “ und „ unecht “ in eine Uneindeutigkeit zu überführen, die dem Zuschauer veranschaulichen kann, welcher Gesetze und Mittel sich das Theater bedient. Ephraim wird in Diederich Menschen-Skræk nicht nur auf dramaturgischer Ebene zum Handelnden, sondern es gelingt Holberg auch, die Figur des Bühnenjuden ästhetisch zu öffnen, indem er die spezifische Verfasstheit der Rollengestaltung in den Blickpunkt rückt und auf diese Weise in Bewegung setzt. 99 „ Formedelst solche Skelmen und Gaudiebe, som sig i vores Dragt klær, maae vi offt Ferfolgung leiden. “ (Holberg 5: Diederich Menschen-Skræk, 17. Szene, S. 295) 100 Diese Argumentation lehnt sich an eine feministische Lesart des Brecht ’ schen Verfremdungseffekts und seiner Theorie zum Gestus an, die bei Elaine Aston und Elin Diamond vor allem Anwendung in Bezug auf Fragen zur Verhandlung von Geschlechtsidentitäten in theatralischen Zusammenhängen gefunden hat. (Diamond, Elin: „ Brechtian Theory/ Feminist Theory. “ In: The Drama Review, 1988: 32, S. 82 - 94; Diamond, Elin: Unmaking Mimesis: Essays on Feminism and Theatre. London 1997; Aston, Elaine: An Introduction to Feminism and Theatre. London 1995) Aston und Diamond machen dabei deutlich, wie mit Hilfe verschiedener Techniken das Zeichenhafte in der Darstellung von Geschlechtsidentitäten auf der Bühne deutlich gemacht werden kann. Holbergs Komödienwelt 77 2.2.4 Glaube, Liebe, Hoffnung - Religiöse Rendezvous in Mascarade Ein „ unechter “ Jude begegnet uns ebenfalls in Holbergs Komödie Mascarade. 101 Hier ist es erneut Leanders Diener Henrich, der sich, um nicht erkannt zu werden, als Jude verkleidet. Seiner Maskierung gehen Liebeswirrungen, familiäre Auseinandersetzungen und durchtanzte Nächte voraus. Leander und sein Diener Henrich vergnügen sich unbemerkt von Leanders Vater Jeronimus auf den Maskenbällen im Theater. Auf Grund dieser nächtlichen Ausschweifungen hat es Leander versäumt, sich bei seinem zukünftigen Schwiegervater und seiner ihm noch unbekannten Braut Leonora vorzustellen. Diese sind aus Jylland angereist, um die von den Vätern arrangierte Hochzeit zu begehen. Entgegen dieser Pläne hat sich Leander jedoch auf dem nächtlichen Maskenball in eine Unbekannte verliebt - ohne zu wissen, dass es sich dabei um seine Zukünftige handelt. Er sieht sich außerstande, das gegebene Heiratsversprechen seines Vaters einzuhalten, flieht aufs Land und lässt Leonora durch den als Juden verkleideten Henrich seinen Aufenthaltsort mitteilen. Diese täuscht mit Hilfe ihrer Magd Pernille einen Selbstmord vor, denn auch sie will sich nicht an das Heiratsversprechen ihres Vaters halten. Schließlich werden die Liebenden gefunden und es stellt sich heraus, dass sie füreinander bestimmt und einander versprochen sind. Die zornigen Väter beruhigen sich, die Liebenden feiern ihr Glück und schließlich darf auch noch das Dienerpaar Henrich und Pernille einander das Jawort geben. Bereits im Titel wird deutlich, dass (Ver-)Kleidungen eine wesentliche Rolle in diesem Drama spielen und als Motor der Handlung fungieren. Eine wahre Maskierungsorgie fährt Holberg hier auf. Gleich zu Beginn erhält Leanders Mutter eine Lieferung verschiedener Kostüme und Masken, um sich für das abendlich Vergnügen auszustatten; Tänze werden 101 Die Komödie wird Ende Februar 1724 uraufgeführt. Sie ist in drei Akte unterteilt und läuft von Beginn an äußerst erfolgreich, wie Holberg in seinen Memoiren selbst vermerkt: „ Det er uvist, enten den meest behagede den gemeene Mand, som helst vil have noget for Øyene, eller og fornemme Folk, som helst vil have noget for Ørene, thi Indholdet er sødt og forliebt, og Samtalerne overalt Satyriske; den blev efter Befalning 3 gange spillet efter hinanden, hvilken Lykke ingen Comoedie endnu har havt hos os. “ (Memoirer, S. 89) / / „ Es ist nicht recht zu sagen, ob sie eher dem gemeinen Mann gefiel, der etwas für die Augen geboten haben wollte oder eher der vornehmeren Bevölkerung, die etwas für die Ohren wünschte. Denn der Inhalt ist süß und verliebt und die Dialoge recht satyrisch. [Das Stück] wurde auf allgemeinen Wunsch dreimal hintereinander gespielt, ein Glück, das bisher keiner Komödie bei uns zuteil geworden ist. “ 78 Männer mit Bärten einstudiert und Finten ersonnen, damit Jeronimus, seines Zeichens ein entschiedener Gegner des „ unchristlichen “ Treibens, nicht hinter diese Pläne kommt. Im Zwischenakt, dem so genannten Intermedium, wird gar ein Maskenball auf der Bühne aufgeführt. Fünfzehn Minuten lang, so steht es in der Regieanweisung, gewährt das Theater Einblicke in das stadtbekannte Treiben: Intermedium. Hvorudi Mascaraden præsenteres. Derudi præsenteres Leander at blive forliebt i en Maske, som er Leonora Leonards Datter. De demaskerer sig begge, tales ved, og gir hinanden sine Ringe. Naar samme Præsentation har varet et Qvarteer, lader man Dækket falde. 102 Zwischenspiel, in welchem die Maskerade dargestellt wird. Man sieht darin, wie Leander sich in eine Maske verliebt, welche Leonora, Leonhards Tochter, ist. Beide demaskieren sich, sprechen mit einander und tauschen ihre Ringe. Wenn dieses Spiel eine Viertelstunde gewährt hat, fällt der Vorhang. 103 Holberg bringt hier etwas Verbotenes auf die Bühne und bezieht mit seinem Drama Stellung in einer politisch heiklen Angelegenheit. 1724 erlässt der König ein Verbot von Maskeraden und Glücksspiel, die Uraufführung der Komödie erfolgte kurz nach dieser Einschränkung und bleibt nicht Holbergs einzige Parteinahme in dieser Sache. 104 Bis dahin gehören diese besonderen Tanzveranstaltungen zum festen Bestandteil des Programms des Theaters in der Lille Grønnegade: Gewöhnlich beginnen im Theater die Komödien um fünf Uhr nachmittags und dauern in etwa zwei Stunden. 105 Es bleibt dem Publikum danach genug Zeit, um sich für die um acht Uhr beginnenden Maskeraden umzukleiden. Dafür wird der Bühnenraum zur Tanzfläche umfunktionalisiert, während der Zuschauerbereich als Flaniermeile der Gäste dient. Wer nicht tanzt, der (glücks-)spielt. Diese Feste stellen eine wichtige Einnahmequelle für das Theater dar und das Verbot trifft die ökonomisch auf wackligen Beinen 102 Holberg 4: Mascarade, Intermedium, S. 191 103 Holberg, Ludvig: „ Die Maskerade. “ In: Holbergs ausgewählte Komödien. Aus dem Dänischen von Robert Prutz. Erster Band. Leipzig 1890, S. 339 - 403, hier: S. 356 104 Auch in seiner Epistel 347 verteidigt er diese Form der Veranstaltung. 105 Das lässt sich zum einen den noch erhaltenen Theaterplakaten entnehmen (Clausen 1912), andererseits wird es in den Komödien selbst thematisiert, beispielsweise in Mascarade und in Den danske Com œ dies Liigbegiængelse. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die Anfangszeiten nicht immer eingehalten werden. Holbergs Komödienwelt 79 stehende Bühne hart. Das Setting des Balls und seine Folge für die jungen Liebenden sowie die in der Komödie geführten Auseinandersetzungen um die Zulässigkeit solcher Veranstaltungen müssen dem zeitgenössischen Publikum äußerst vertraut erscheinen, fungieren sie doch als eine Art melancholische Erinnerung an vergangene Vergnügungen. Betrachtet man die äußeren Zeichen, unterscheidet sich Henrichs kurzer Auftritt als Jude zu Beginn des dritten Aktes der Komödie nicht von den bekannten Judendarstellungen bei Holberg. Kleidung und Bart werden bereits in der einleitenden Regieanweisung beschrieben: „ Henrich, mit einem Bündel auf dem Rücken, als Juden-Priester verkleidet, mit einem langen schwarzen Bart. “ 106 Die handelnden Personen im Drama können Henrich daraufhin problemlos zuordnen: Jeronimus identifiziert ihn sofort als „ Jøde-Præst “ ( „ Juden-Priester “ ) und spricht ihn mit „ Rabbi “ an, 107 Pernille fragt sich, was den Juden vor ihre Tür geführt haben könnte, 108 und Magdelone hält den Juden für einen Spion ihres Sohnes 109 (womit sie nicht ganz unrecht hat). Henrich sieht sich jedoch gezwungen, das bekannte Spektrum jüdischer Zeichen zu erweitern. Er entscheidet sich, nicht mehr allein der Kleidung und dem Bart zu vertrauen, damit er von dem unerwartet auftauchenden Jeronimus nicht enttarnt wird. Zunächst antwortet er Jeronimus in einer Phantasiesprache, die als „ hebräisch “ bezeichnet wird: „ Abi Kala Spinther, meristan Cadedi Farluf spæ kavet. “ 110 Erst auf dessen wiederholtes Bitten wechselt er die Sprache und bedient sich des für die Holberg ’ schen Juden typischen Gemischs aus Deutsch, Dänisch und Plattdeutsch. 111 Um Jeronimus abzulenken, beginnt Henrich nun über Wesensmerkmale der jüdischen Religion zu sprechen; so informiert er über die Ursprünge des „ Thalmud “ ( „ geschrieben von den Türkischen Gott Mahometh “ 112 ) und des „ Alcoran “ ( „ eine Juden-Biebel “ 113 ). Sein Gegenüber zeigt sich davon zunehmend entnervt und wendet sich ab - was Henrich die Möglichkeit gibt, seinen Plan umzusetzen und Pernille, seinem weiblichen Pendant, den neuen Aufenthaltsort seines 106 „ Henrich, med en Byldt pa Ryggen, klædt som en Jøde-Præst, med et langt sort Skiaeg. “ (Holberg 4: Mascarade, III, 5, S. 225) 107 Holberg 4: Mascarade, III, 5, S. 226 108 Holberg 4: Mascarade, III, 7, S. 227 109 Holberg 4: Mascarade, III, 9, S. 230 110 Holberg 4: Mascarade, III, 5, S. 226 111 Henrich bezeichnet diese Sprachmischung selbst als „ westphälisk “ . (Holberg 4: Mascarade, III, 5, S. 226) 112 Holberg 4: Mascarade, III, 7, S. 228 113 Holberg 4: Mascarade, III, 7, S. 228 80 Männer mit Bärten Herrn mitzuteilen. Der kurze Auftritt des verkleideten Henrich führt die in Diederich Menschen-Skræk gemachten Beobachtungen weiter: Die Verortung des „ unechten “ Juden wird durch die Verwurzelung der Figur in einem pseudo-religionsgeschichtlichen Kontext breiter grundiert und mit Hilfe der ebenfalls religiös konnotierten Phantasiesprache erweitert. Hinzu kommt, dass der verkleidete Henrich körperliche Zuschreibungen des Jüdischen thematisiert. Seine „ hebräischen “ Antworten erklärt er damit, dass er davon ausgegangen sei, bei Jeronimus handele es sich ebenfalls um einen Juden, „ denn der Herr hat ein perfect Jüdisk Gesicht, ein perfect Jüdisk Gesicht. “ 114 Er behauptet sogar, Jeroniums in Altona in der Synagoge gesehen zu haben. Dass ein Diener (in seiner Verkleidung) seinen ihm wohlbekannten Herrn ein jüdisches Gesicht attestiert, entbehrt zum einen nicht einer gewissen Komik, es macht aber vor allem deutlich, dass Vorstellungen eines spezifisch jüdischen Körpers virulent gewesen sein müssen. Dies setzt sich fort, wenn Henrich mit einem verliebten Blick auf Pernille wünscht, ein „ echter “ Jude zu sein: „ Dieses Mädchen gefällt mir ganz ausnehmend; wäre ich nur ein Jude, so möchte ich ihr in der Tat ihre Jungfräulichkeit stibitzen. “ 115 Die Religion, ein spezifisch jüdisches Gesicht und ein lüsterner (natürlich männlicher) Körper werden hier prominent aufgegriffen. Auf diese Weise verändert sich das Bild des Holberg-Juden und liefert eine ästhetische Erweiterung: Plötzlich verunsichert ein Fremder die Bühne, der sprachlich und religiös kaum mehr verständlich scheint. Diese Beunruhigung verstärkt sich dadurch, dass Henrichs Verkleidung außerhalb des dafür legitimierten Raumes erfolgt: Als Ort für Maskeraden dient - in der Grønnegade gar im doppelten Sinn - das Theater, eine karnevaleske Heterotopie, ein spezifischer Raum, der eigenen Gesetzen folgt. Das Zeitfenster dieser gesellschaftlich sanktionierten Überschreitungen ist ebenfalls klar definiert, denn nur nachts darf der Ausnahmezustand Überhand nehmen. In diesem streng limitierten Rahmen funktioniert die Unerkanntheit als gemeinsame Übereinkunft, als ein gefeiertes Misstrauen gegenüber vestimentären Codes. Henrichs Auftritt erfolgt nun außerhalb dieser Ordnung, mitten am Tag ergeht er sich als Jude und Überbringer geheimer Nachrichten auf den Straßen der Stadt. Er verlässt Raum und Zeit erlaubter Maskierung und wird daher nach seiner 114 Holberg 4: Mascarade, III, 5, S. 226 115 „ Denne Pige staaer mig perfect vel an, gid jeg var kun en Jøde, saa skulde jeg virkelig filoutere hende hendes Jomfruedom. “ (Holberg 4: Mascarade, III, 8, S. 230) Holbergs Komödienwelt 81 Enttarnung heftig bestraft, um die beruhigende Ordnung wiederherzustellen. Diese finale Bestrafung, die in gewisser Weise sowohl Henrich als auch seinem unverschämten Juden gilt, rückt zudem die komische Funktion Holberg ’ scher Judenfiguren in den Fokus. Klar zeigt sich, dass Henrichs Juden-Auftritt vor allem dem Amüsement dient. Man lacht über seine Lüsternheit, die Sprachverdrehungen, den losen Bart und die Frechheit, Jeronimus als perfekten Juden zu bezeichnen. Holberg, so meine Lesart, ist sich über das komische Potential dieser Figur im Klaren. In der Logik seiner Komödienwelt hätte Henrich sich ebenfalls einer anderen Aufmachung bedienen können: Keine Börse, kein Handelsplatz und kein Geldgeschäft weit und breit „ erfordern “ eine jüdische Figur. Das Überbringen der geheimen Nachricht hätte glaubwürdig auch in anderen Verkleidungen erfolgen können. Dass Holberg inmitten all der Masken einen Juden auf die Bühne zaubert, legt die Vermutung nahe, dass er und sein Publikum großen Gefallen an diesem komischen Charakter gefunden haben, der in Mascarade das (religiös) Fremde mit dem Lächerlichen mischt, die verbotenen Maskenbälle auf die Straßen verlegt und auf diese Weise zugleich beunruhigt und amüsiert. 2.3 Rollenfach Jude Abschließend möchte ich deutlich machen, dass die hier herausgearbeiteten Funktionen jüdischer Figuren zuvorderst Schwerpunkte darstellen, die sich Überlappungen und fließender Übergänge nicht entziehen wollen: ein wenig Harlekin, Betrogener, Gegner und (Ver-)Fremder steckt in (fast) jedem dieser Charaktere, aber - wie ich versucht habe zu zeigen - in unterschiedlichem Ausmaß. Vor allem soll jedoch deutlich werden, dass der eingangs beschriebenen semiotischen Homogenität eine funktionale Heterogenität zur Seite tritt. Dadurch bietet sich die Gelegenheit, Holbergs Juden in einer breiteren Auffächerung wahrzunehmen. Zudem stellt sich die Frage, inwieweit das Miteinander von semiotischer Homogenität und funktionaler Heterogenität eine besondere Sichtbarmachung der jüdischen Figuren mit sich bringt und auf welche Art diese sich dadurch möglicherweise von anderen Kontrast- oder Nebenfiguren unterscheiden. Die immer wieder deutlich gewordene semiotische Homogenität erscheint als das beste Beispiel dafür, dass Holberg seine jüdischen Charaktere augenfällig kennzeichnet und somit von anderen (Neben-)Figuren abhebt. 82 Männer mit Bärten Bei genauerer Betrachtung erweisen sich aber die Namenlosigkeit, die einheitliche Kleidung, die Bärte und der spezifische Sprachgebrauch der jüdischen Figuren keineswegs als Alleinstellungsmerkmale. Im Verlauf der Analyse ist immer wieder deutlich geworden, wie wenig den äußeren Zeichen zu trauen ist - es wimmelt von falschen Bärten, eine uniforme Kleidung weisen auch andere Rollen auf und spätestens in Menschen-Skræk und Mascarade wird die Zuverlässigkeit der Kleidung als Zeichen grundsätzlich in Frage gestellt: Wo Jude draufsteht, ist nicht immer Jude drin. Namenlos irren auch andere Figuren durch Holbergs Komödien und es erscheint keineswegs abwegig, Leander, Jeronimus und vor allem Henrich 116 weniger als Namen denn als Typenbezeichnungen zu lesen. Als prominentestes Merkmal bleibt die Sondersprache der Juden. Der Theaterhistoriker Neubauer hat herausgearbeitet, dass sich eine eigene „ jüdische “ Bühnensprache im kontinentaleuropäischen Theater schon sehr früh nachweisen lässt. Er analysiert, wie unterschiedliche Muster, die eine Figur linguistisch als „ jüdisch “ kennzeichnen, sich auch auf die Charakterisierung derselben auswirken: Je niedriger der Assimilationsgrad eines jüdischen Charakters ist, desto leichter wird er als abweichend Sprechender mit dem moralisch Niedrigen und Verwerflichen identifiziert. Sprachliche Kompetenz gilt hingegen als Indiz auch moralischer Qualität. 117 Anknüpfend an diese Ergebnisse liegt zunächst der Schluss nahe, dass Holberg durch die sondersprachliche Zeichnung seine Juden als wenig assimiliert, als Außenseiter und moralisch verwerflich Handelnde charakterisiert. Erweitert man den Blick, fällt jedoch auf, dass die Sondersprache kein Alleinstellungsmerkmal jüdischer Figuren ist - umgekehrt lässt sich sogar dafür argumentieren, dass die komischen Effekte der Sprachmischung ein wichtiges Element der Holberg ’ schen Dramatik darstellen: So sprechen beispielsweise die Barbiere und Soldaten überwiegend deutsch, 118 wobei sie sich teilweise eines Sprachgemischs bedie- 116 Wie sehr die Holberg ’ schen Figuren und ihre Namen als Typen wahrgenommen werden, spiegelt sich beispielsweise auch darin wider, dass Goldonis Stück Il servitore di due padroni (Der Diener zweier Herren) am Königlichen Theater in der Übersetzung von Jens Windtmølle von 1760 bis in die Spielzeit 1856/ 57 unter dem Titel Henrik, som tjener to Herrer (Henrik, der zwei Herren dient) aufgeführt wird. Erst die Neuübersetzung von J. Davidsen Én Tjener og to Herrer (Ein Diener und zwei Herren) verzichtet auf die Nennung der dänischen Dienerfigur im Titel. 117 Neubauer 1994, S. 146 118 Weit über die Hälfte der 32 Komödien Holbergs enthält deutsche Elemente. (Feigs 1969, S. 249) Rollenfach Jude 83 nen, teilweise durchgehend Hochdeutsch verwenden. 119 Französisch dient vor allem dem Bürgertum als Kultursprache 120 und spiegelt den starken Einfluss Frankreichs auf das Repertoire und die Schauspielästhetik der Grønnegade-Bühne. Bezeichnend ist, dass sich Charaktere häufig in unterschiedlichen Sprachen miteinander verständigen, was als Zeichen dafür gesehen werden muss, dass Holbergs Figuren trotz oder gerade wegen des sprachlichen Durcheinanders verstanden werden. 121 Diese Beobachtung eröffnet die Möglichkeit, in der abweichenden Sprache der Judenrollen mehr zu lesen als lediglich ein Indiz ihrer missglückten Assimilation, durch das „ Klischees, Stereotypen und Vorurteile “ verstärkt werden. 122 Die besondere linguistische Ausformung der Bühnenjuden ließe sich - zusammen mit den übrigen Sondersprachlern - auch als kosmopolitisches Ab- und Traumbild eines heterogenen Kopenhagens verstehen. Im Spannungsfeld zwischen ihrer Position als „ Sprachverderber “ 123 sowie ihrer Rolle als weltgewandte Großstädter oszillieren die jüdischen Figuren und machen dabei deutlich, wie Holberg Stereotype der Judendarstellung reproduziert und gleichzeitig aufbricht. Deutlich wird, dass auch die offensichtliche semiotische Homogenität komplexen Mechanismen folgt. Erst im Zusammenspiel mit ihrer funktionalen Auffächerung erfahren die 119 Feigs 1969, S. 249 120 Paul, Fritz: „ Das Spiel mit der fremden Sprache. Zur Übersetzung von Sprachkomik in den Komödien Holbergs. “ In: Paul, Fritz [Hrsg.]: Europäische Komödie im übersetzerischen Transfer. Tübingen 1993, S. 295 - 323, hier: S. 298. Anne E. Jensen verweist darüber hinaus auf die Vorbildfunktion des französischen Theaters für Holberg und die daraus resultierende Verwendung der Sprache in seinen Komödien. Nicht nur stammt René Montaigu, der Leiter der Truppe, welche die Holberg ’ schen Komödien uraufführen aus Frankreich, auch Holbergs ausgedehnte Reisen nach Paris und die Kopenhagener Aufführungen von Molières Dramen kurz vor der Eröffnung des Theaters in der Lille Grønnegade auf französisch sind hier eine reichhaltige Quelle. (Jensen, Anne E.: Studier over europæisk Drama i Danmark 1722 - 1770. Bd. I Tekst. København 1968, S. 11 ff) 121 Viebeke Winge weist darauf hin, dass um 1700 etwa 20 % der Bevölkerung Kopenhagens deutschsprachig sind. (Winge, Viebeke: „ Dansk og tysk i 1700-tallet. “ In: Feldbæk, Ole [Hrsg.]: Dansk identitetshistorie 1. Fædreland og modersmål 1536 - 1789. København 1991, S. 89 - 110, hier: S. 91) Darüber hinaus macht sie deutlich, dass deutsch zumindest in Grundzügen vom damaligen Theaterpublikum verstanden wird und daher die komischen Pointen, die durch die Sprachmischung erzeugt werden, beim Zuschauer Anklang finden. (Winge, Viebeke: Dänische Deutsche - deutsche Dänen. Geschichte der deutschen Sprache in Dänemark 1300 - 1800 mit einem Ausblick auf das 19. Jahrhundert. Heidelberg 1992, S. 307 und 320 ff) 122 Paul 1993, S. 314 123 Feigs 1969, S. 260 84 Männer mit Bärten jüdischen Figuren bei Holberg eine besondere Sichtbarmachung, die durch körperliche Einschreibungsprozesse manifestiert wird, die Einschränkungen im Rollenfachsystem mit sich bringen. Gerade mit Blick auf die Aufführungspraxis erweist sich dies als bedeutsam, denn von den vielen Parametern mit denen das Theater Bedeutung erzeugt, ist der Körper des Schauspielers wohl das wichtigste. 124 Dabei spielen auf der einen Seite Mimik, Gestik und Proxemik (also Gesicht, Körperausdruck und Bewegung im Raum) eine herausragende Rolle, auf der anderen Seite kommt den akustischen Zeichen (also Sprache, Rede und Stimme des Schauspielers) eine wichtige Funktion zu. Die körperliche Sichtbarmachung der jüdischen Figuren lenkt dabei den Blick von der Sprache auf die Stimme und zeigt, auf welche Weise Holberg (s)eine „ jüdische Stimme “ erfindet. Während das Sprechen, das vor allem lernbar und veränderlich ist, eine kulturelle Größe darstellt, deutet sich im Konzept der „ jüdischen Stimme “ eine Naturalisierung des Jüdischen an, eine Einschreibung des Anderen in die Physis. Diese „ jüdische Stimme “ lässt sich heute nur vermittelt erschließen, aber sowohl die Texte als auch die zeitgenössische Theaterpraxis können Anhaltspunkte liefern: Auffällig ist zunächst, dass Juden bei Holberg meist klagend auftreten, sie müssen sich gegen Übergriffe wehren - körperlicher Art oder gegen ihr Eigentum gerichtet - , sind daher häufig auf der Flucht oder betreten die Szene in Eile. 125 Hinzu kommt, dass sich so nicht nur die Stimme als weinerlich und damit schwach manifestiert, sondern dass dies sich im als anfällig dargestellten jüdischen Körper fortsetzt. Häufig wird der Jude verprügelt oder über die Bühne gezogen, ohne dass er sich wehrt: In Det arabiske Pulver betrügt man ihn um sein Vermögen und die Komödie endet damit, dass der 124 Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Band 1: Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1998 [4. Aufl.], S. 60. Fischer-Lichte weist hier auf Ausnahmen hin, auf Möglichkeiten zumindest sequentiell auch ohne Schauspieler auszukommen. Gleichzeitig macht sie deutlich, dass es sich dabei um Grenzbereiche zwischen Theater und anderen Künsten handelt. Geht man von der Grundvoraussetzung aus, dass Theater dadurch definiert ist, das der Schauspieler A den Charakter B verkörpert, während C zuschaut, ist die körperliche Anwesenheit des Darstellers (und auch des Publikums! ) zwingend erforderlich. 125 Einige Beispiele verdeutlichen dies: „ Wat ist dat for Allarm paa min Dør? “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 12. Szene, S. 287); „ Ach, ach, was böses hab ich giort? “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 13. Szene, S. 291); „ Au, au, au, min kostbare Juvel! “ (Holberg 4: Det arabiske Pulver, 13. Szene, S. 135); „ Ey hør doch, Mussie! “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 13. Szene, S. 291); „ Ach waj mir, ach waj mir! “ (Holberg 7: Abracadabra, I, 6, S. 97); „ Jeg har aldrig haft sulk fordrieslig Jahr als dette Jahr, hvo ik kommen, kan ik keen Geld kriegen. “ (Holberg 7: Abracadabra, II, 4, S. 109). Rollenfach Jude 85 Jude heulend auf der Bühne zurückbleibt. 126 Im Stück Abracadabra fordert Henrich Ephraim, der sein verliehenes Geld rechtmäßig zurück verlangt, zum Tanz auf, und als dieser sich weigert, zwingt ihn der Diener mit Tritten dazu. Zwei Mal ruft Ephraim: „ Ach waj (mir), ach waj (mir)! “ 127 In der Komödie Diderich Menschen-Skræk arbeit Holberg dieses Motiv am deutlichsten heraus. Der jüdische Charakter tritt auf mit dem Satz: „ Hey! Gevalt! Gevalt! “ 128 , um sich im Anschluss darüber zu beklagen, dass er in seinem Hause nicht mehr sicher sei. In der zwölften Szene wird er von dem als Soldat verkleideten Diener Henrich überfallen, der ihm zunächst mit allerlei militärischem Vokabular Angst einjagt, ihn dann verprügelt und schließlich vorgibt, ihn umbringen zu wollen, woraufhin der Jude auf Knien um sein Leben bittet. 129 In der Gegenüberstellung mit dem diesmal als Juden verkleideten Diener Henrich entlarvt dieser ihn als vermeintlichen Deserteur und der Offizier lässt ihn schreiend von der Bühne abtransportieren: „ Der Korporal zieht den Juden hinaus während dieser Oh vai mir! ruft. “ 130 Ganz am Ende, als alle Verkleidungen abgelegt sind und die Liebenden einander gefunden haben, wird der Jude, als er den Betrug, der an ihm begangen wurde, anprangert, von der Offiziersfrau (! ) final gezüchtigt. 131 Mit Blick auf die Aufführungspraxis und das Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauerraum in der Lille Grønnegade liegt die Vermutung nahe, dass sich der klagende und weinerliche Ton stimmlich stark manifestiert haben muss, um präsent zu sein. Wie damals üblich sind Tanz, Musik, Essen und Trinken, das Verlassen und Wiederbetreten des Theaters während der laufenden Vorstellung an der Tagesordnung. Die besten und teuersten Plätze befinden sich zudem auf der Bühne (siehe Abb. 1), insgesamt bietet das Theater Platz für ca. 500 Zuschauer. 132 Eine leise, nuancierte und differenzierte Spielweise dürfte sich demnach in der 126 „ De gaaer all ud. Jøden / . . . / hylende. “ (Holberg 4: Det arabiske Pulver, Szene 13, S. 135) / / „ Alle gehen hinaus. Der Jude / . . . / heulend. “ 127 Holberg 7: Abracadabra, I, 6, S. 96 f. 128 Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 3. Szene, S. 272 129 „ Jøden. paa Knæ. Ach Monsr. Christopher Maurbrekker, spar mit Liv. “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 13. Szene, S. 291) / / „ Der Jude: auf Knien. Ach Herr Maurbrekker, verschont mein Leben. “ 130 „ Corporalen trekker Jøden ud og han skriger: oh vai mir. “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 17. Szene, S. 297) 131 „ Jøden. løber og raaber A wai mir! “ (Holberg 5: Diderich Menschen-Skræk, 21. Szene, S. 305) 132 Neiiendam 1981, S. 10 86 Männer mit Bärten Aufführungspraxis grundsätzlich unattraktiv ausnehmen. Dies verdeutlicht, dass die jüdischen Figuren auf der Bühne auch stimmlich - und damit körperlich - markiert werden. In diese Richtung weist auch die erste dänische Schauspieler-Fibel aus dem Jahr 1782. Knud Lyne Rahbek, ein einflussreicher Theatertheoretiker und -kritiker beschreibt hier in Briefform die Grundzüge der Schauspielkunst sowie die Verfasstheit der einzelnen Rollenfächer: 133 „ Judenrollen fordern insbesondere den Dialekt, der nicht genau beschrieben werden kann und zudem ein eigennütziges, verdächtiges Aussehen, eine hohle und tiefe Stimme - so wollen die Dichter sie haben. “ 134 Trotz der Knappheit der Darstellung fällt auf, dass neben der hier als Dialekt bezeichneten Sondersprache vor allem eine spezifische Modulation der Stimme als Bedingung einer glaubhaften Darstellung gilt, Abb. 1: Über das Innere des Theaters in der Lille Grønnegade gibt es keine detaillierten Aufzeichnungen. Die Abbildung zeigt, wie sich der dänische Maler Rasmus Christiansen eine Vorstellung im ersten landessprachlichen Theater vorstellt. 133 Detaillierter auf die Aufführungspraxis der Holberg ’ schen Komödien am Königlichen Theater sowie auf schauspielästhetische Fragen gehe ich in Kapitel 5 ein. 134 „ Jøderollen kræver især Dialekten, som ikke kan beskrives, og saa noget egennyttigt, skummelt i Udseende, noget huult og dybt i Stemmen; saaledes vil Digterne have dem. “ (Rahbek, Knud Lyne: Breve fra en gammel Skuespiller til hans Søn. Kiøbenhavn 1782, S. 356) Rollenfach Jude 87 die zudem als Indiz für charakterliche Merkmale aufgefasst und gedeutet wird. Auf diese Weise rückt einmal mehr die physische Verfasstheit der jüdischen Figuren in den Fokus. Meine These ist, dass Holberg, da Sondersprachen in seinem Theaterkosmos nicht durchgängig jüdisch konnotiert sind, die jüdische Stimme und damit auch einen jüdischen Körper qua Rollenprofil schon im 18. Jahrhundert anlegt, gegen den sich das potent und zunehmend wichtiger werdende, selbstbewusste Bürgertum seiner eigenen moralischen und körperlichen Überlegenheit vergewissert. Diese spezifische Sichtbarmachung der Bühnenjuden stellt den religiösen, ökonomischen und kulturellen Differenzen die Behauptung der Andersartigkeit der jüdischen Physis zur Seite. So erfindet das Holberg ’ sche Theater als eine Einrichtung, in welcher der Schauspieler als wichtigste Bedeutungseinheit fungiert, einen neuen, fiktiven Körper. Diese Einschreibungen bringen ihrerseits, so meine These, Beschränkungen für die jüdischen Charaktere mit sich. Betrachtet man Holbergs Dramen in Bezug auf die Rollenfachtradition beziehungsweise die Holberg ’ sche Familie, erübrigt sich fast die Frage, welche Fächer jüdischen Charakteren zugänglich sind; Holberg vermeidet, dass seine Protagonisten - also die Helden, Liebhaber und generell alle Frauenfiguren - jüdisch werden. Vielmehr gestaltet er seine Bühnenjuden auf eine Weise, die den Schluss nahe legt, dass sie ein eigenes Rollenfach ausformen: mit einem eindeutigen (uniformen) Aussehen, mit bestimmten Funktionen und spezifischen sozialen Merkmalen. Holberg erfindet für sein neues Rollenfach eine „ jüdische Stimme “ , anders gesagt einen jüdischen Körper, was im Umkehrschluss dazu führt, dass gerade ob dieser Erfindung jüdischen Figuren der Zugang zu anderen Fächer verschlossen bleibt. Dem „ dramatische[n] Liebesverbot für jüdische Männer “ , 135 dem Holberg uneingeschränkt folgt und das er damit auf der dänischen Bühne etabliert, werden die Ephraims, Moses ’ und wie immer namenlos sie heißen, bis weit ins 19. Jahrhundert hinein nicht entkommen können. 135 Neubauer, Hans-Joachim: „ Stimme und Tabu. Was das Theater erfindet und was es vermeidet. “ In: Benz, Wolfgang [Hrsg.]: Judenfeindschaft als Paradigma. Studien zur Vorurteilsforschung. Berlin 2002, S. 70 - 78, hier: S. 77 88 Männer mit Bärten 2.4 P. S.: Und da sie nicht gestorben sind . . . Dass Ludvig Holberg einmal mit Peter dem Großen verglichen würde, hätte 1727 wohl kaum jemand für möglich gehalten. Und so dauert es auch gut anderthalb Jahrhunderte, bis der jüdisch-skandinavische Intellektuelle und Literaturkritiker Georg Brandes diesen - vorsichtig formuliert: gewöhnungsbedürftigen - Vergleich wagt: „ Ludvig Holbergs Bedeutung für Dänemark ist gleichzusetzen mit der Peter des Großen für Russland. “ 136 1727 sieht Holbergs Theaterwelt doch ganz anders aus - die dänische Schaubühne schließt im finanziellen Ruin, das bürgerliche Theater ist tot, Holberg verfasst bis auf weiteres keine Dramen mehr und kehrt statt dessen an die Universität zurück. Aber ein Abschiedsgeschenk ist ihm das Theater in der Lille Grønnegade noch wert: Den danske Com œ dies Liigbegiængelse (Die Beerdigung der dänischen Komödie). Ein kurzes Stück, aufgeführt nach der letzten Vorstellung am 25. Februar 1727, in dem die Komödie bestattet wird, die Schauspieler Abschied nehmen und - hier schließt sich der Bogen zu Rostgaards Eröffnungsmonolog - Thalia die letzten Worte über dem offenen Grab spricht. Das Experiment eines bürgerlichen Theaters ist gescheitert, die Schulden sind schließlich zu groß, das Interesse des Publikums zu klein. Kurz bevor Thalia die Bühne betritt, spielt sich folgende Szene ab: Ein Jude und der Leiter der Truppe Montaigu debattieren lautstark über die Folgen des Todes der Komödie, wobei es sich selbstverständlich um eine schöne Frau beziehungsweise deren anmutige Leiche handelt. Montaigu und der Jude stellen fest, dass es ihnen nun unmöglich sein wird, ihr verauslagtes Geld zurückzubekommen. Dabei unterhalten sie sich in ihren jeweiligen Sprachen miteinander - französisch und deutsch. Wieder nutzt Holberg das Mittel der Sprachmischung zur Erzeugung komischer Effekte, auch wenn der genaue Inhalt des Gesprächs dem Improvisationsgeschick der Schauspieler vorbehalten bleibt, wie sich aus der Regieanweisung erkennen lässt: Scen. 5. Montaigu klædt som en Kok. Hammer som en Jøde. Montaigu taler Fransk, som gaaer ut paa Gasconsk, og Hammer Høytydsk. Discursen gaaer ud paa, at eftersom Com œ dien er død, de skal have Besværlighed 136 „ Hans Betydning for Danmark er da en lignende som Peter den Stores for Rusland. “ (Brandes, Georg: „ Holberg (1887). “ In: Brandes, Georg: Udvalgte Skirfter. 2. Bind: Danske Klassikere. København 1984, S. 10 - 37, hier: S. 13) P. S.: Und da sie nicht gestorben sind . . . 89 at faae deres Penge, som de har forstrakt til Acteurerne. De regner Vexelviis op, hvad de have at fordre hos enhver, og det hver paa sit Sprog; i det samme kommer man med liget. 137 Szene 5 Montaigu als Koch verkleidet. Hammer als Jude. Montaigu spricht französisch, das immer wieder ins Gaskognische abdriftet, Hammer spricht hochdeutsch. Die Diskussion kreist darum, dass beide nach dem Ableben der Komödie Schwierigkeiten erwarten, das Geld zu bekommen, das sie den Schauspielern vorgestreckt haben. Sie rechnen sich abwechselnd - jeder in seiner Sprache - vor, bei wem sie welche offenen Forderungen haben. Währenddessen kommt man mit der Leiche. Beide folgen daraufhin dem Trauerzug und schließlich wird - noch einmal die technischen Möglichkeiten der Bühne nutzend - die Leiche im Bühnenboden versenkt. Henrich stürzt sich hinterher, er will den Tod der Geliebten (Komödie) nicht überleben. Und wir lauschen Thalia und ihrem Abgesang auf das Theater. Was bleibt? Henrich tot im Grab, aber der Jude am Leben und mitten auf der Bühne. Es lässt sich spekulieren, ob Ephraim bei Holberg nun endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, ob Henrich doch wieder gewonnen hat und aus der Unterwelt alle verlacht, oder ob Holberg der Neuberin 138 zuvorkommt und mit der Komödie auch gleich den Harlekin beerdigt und damit das bürgerliche Theater mit seinen Ansprüchen sowie moralischen Entwürfen, wie Thalia/ Rostgaard sie zu Beginn verkündet haben, erst im Abgesang wirklich zum Blühen bringt. Sicher ist nur: 20 Jahre später stehen alle wieder auf - das Theater öffnet von neuem und eine andere (Erfolgs-)Geschichte nimmt ihren Lauf. Henrich lebt und der Jude wird mit ihm spielen (müssen), für ein paar hundert Jahre oder zwei. 137 Holberg 6: Den danske Com œ diens Liigbegiængelse, Szene 5, S. 461 138 Dem einflussreichen Theatermann Gottsched gelingt es, für seine Ideen zur Reform der Wandertruppentheater die Prinzipalin Friederike Caroline Neuber zu gewinnen. 1737 trägt diese in einer komödiantischen Aktion den Harlekin auf der Bühne zu Grabe. (Fischer-Lichte, Erika: Geschichte des Dramas. Epochen der Identität auf dem Theater von der Antike bis zur Gegenwart. Band 1: Von der Antike bis zur deutschen Klassik. Tübingen 1990, S. 255) 90 Männer mit Bärten 3. Zwischen den Jahrhunderten - Peter Andreas Heibergs (jüdische) Grenzgänger N ach dem Ende des Theaters in der Lille Grønnegade vergehen fast 30 Jahre, ehe sich der Vorhang erneut hebt und das Kopenhagener Publikum dem Spiel von Henrich, Ephraim und all den anderen wieder beiwohnen kann. Noch länger dauert es, bis das Theater ein königliches wird und die einst bürgerliche (Volks-)Bühne eine nationale Institution. Über mehrere Etappen, unter verschiedenen Eigentümern, in unterschiedlichen Lokalen und in Konkurrenz mit privaten wie höfischen Theaterunternehmungen erwächst die dänische Schaubühne im Laufe mehrerer Jahrzehnte zu einer der führenden kulturellen Arenen. Die unstete und lange provisorische Existenz des „ neuen “ Theaters nimmt dabei deutlich Einfluss auf dessen inhaltliche Ausgestaltung. Dabei entsteht nur eine sehr überschaubare Anzahl dänischer dramatischer Arbeiten, denn ein „ Hausautor “ wie Holberg existiert nicht. Dessen jüdische Charaktere bleiben auf der Bühne jedoch zu Hause und es braucht lange, bis sie in den Dramen Peter Andreas Heibergs neue „ Geschwister “ finden. Erst zum Ausklang des 18. Jahrhunderts, unter veränderten theaterpolitischen und -ästhetischen Voraussetzungen, erweitert sich durch dessen Œ uvre die Bandbreite jüdischer Figuren. Bis es jedoch dazu kommt, ist es ein großes Theater um das Theater, um eine Bühne, auf der sich neue und alte Juden alsbald in königlichem Glanz zu tummeln scheinen. Der lange Zeitraum zwischen dem Ende der ersten landessprachlichen Bühne und der Institutionalisierung des neuen Theaters verlangt einen ausführlicheren theatergeschichtlichen Abriss, denn die Bühne, auf welcher Heibergs Juden zum Ende des 18. Jahrhunderts reüssieren, unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem Vorläufer in der Lille Grønnegade. Diese Entwicklungslinien, die sich sowohl organisatorisch, inhaltlich, ästhetisch als auch gesellschaftspolitisch auswirken, werden in aller Kürze im ersten Teil des folgenden Kapitels dargelegt. Ich werde dabei der Frage nachgehen, auf welche Weise sich der theatralische Wiederaufbau in der Hauptstadt Kopenhagen darstellt und aufzeigen, wie die Bühne zum Ausgang des 18. Jahrhunderts als zunehmend bürgerliche Institution wahrgenommen wird. Viele der Veränderungen und Entwicklungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihren Anfang nehmen, zeigen sich für das Theater bis weit ins 19. Jahrhundert hinein wirkmächtig: das Entstehen der Theaterkritik, die konturierte Entwicklung des Rollenfachbetriebes, damit verbunden die herausragende und prägende Stellung der Schauspieler und nicht zuletzt die zunehmende nationale Bedeutung des Theaters. Im zweiten Teil des Kapitels werde ich am Beispiel von Peter Andreas Heibergs Singspiel Chinafarerne (Die Chinafahrer) untersuchen, welche Funktionen die jüdischen Charaktere auf der bürgerlichen Bühne einnehmen, auf welche Weise sie sich an Holbergs jüdischem Rollenfach orientieren und ob beziehungsweise wie sich möglicherweise ihre Handlungsspielräume im Lichte der veränderten theaterästhetischen sowie politischen Verhältnisse verschieben. Machen Heiberg und das Theater sich über die Juden lustig, wie Carl Lexow behauptet, 1 oder bietet die Bühne doch vielschichtigere Antworten und Möglichkeiten? Auf welche Weise korrespondieren die jüdischen Figuren auf der Bühne mit den „ realen “ Juden, die in größerer Zahl als noch zu Holbergs Zeiten zum Ende des Jahrhunderts in Kopenhagen heimisch werden? Wichtig erscheint mir dabei, das Drama vor der Folie des veränderten Selbstverständnisses des bürgerlichen Standes und der damit einhergehenden Neupositionierung des Theaters innerhalb der Gesellschaft zu lesen. Die recht übersichtliche Forschung zu P. A. Heiberg legt nämlich den Schwerpunkt zum größten Teil auf seine politischen Schriften oder konzentriert sich auf seine Biographie. 2 Sein dramatisches Œ uvre wird trotz seiner Prominenz auf dem Spielplan des Königlichen Theaters kaum behandelt. Dabei halte ich Heiberg für einen der wichtigsten Theaterautoren des ausgehenden 18. Jahrhunderts, der in seinen Dramen dazu beiträgt, das jüdische Rollenfach aufzufächern. Er fungiert als Wegbereiter der (Vor-)Moderne und als verbindendes Element zwischen Holberg und dem so genannten Goldenen Zeitalter. 1 Lexow, Carl: P. A. Heiberg. Borger av menneskeligheten. Oslo 2010, S. 194 2 Gute Überblicke über das politische als auch literarische Œ uvre Heibergs finden sich bei: Ingerslev-Jensen, Povl: P. A. Heiberg. Den danske Beaumarchais. Herning 1974; Schwanenflügel, Herman: Peter Andreas Heiberg. En biografisk studie. Kjøbenhavn 1891; Lexow 2010 92 Zwischen den Jahrhunderten 3.1 Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! Es dauert fast eine Generation bis im August 1746 König Christian VI. stirbt und mit ihm das ab 1735 in zwei Schritten eingeführte Theaterverbot. 3 Sein Sohn und Nachfolger Frederik V. lässt kaum Zeit verstreichen, um das kulturelle Leben der Hauptstadt zu ermutigen und zu unterstützen. Die Theaterlandschaft in Kopenhagen beginnt zu blühen: Italienische Oper, Komödien in deutscher, französischer sowie dänischer Sprache, Haupt- und Staatsaktionen und manches mehr wird den Bürgern der Hauptstadt geboten. Allerdings sind viele dieser Unternehmungen nur von kurzer Dauer und enden im finanziellen Ruin. Mit Hilfe einflussreicher Fürsprecher und staatlicher Unterstützung gelingt es jedoch einer dänischen Truppe, im weitesten Sinne den Nachfolgern des Grønnegade-Theaters, sich langfristig zu etablieren. Ende Dezember 1746 erhält deren Leiter Carl August Thielo vom König die Erlaubnis, Aufführungen in dänischer Sprache zu geben. 4 Unterstützung erhält Thielo durch Holberg, der ihn zum einen überzeugt, nicht auf französische Komödien oder deutsche Haupt- und Staatsaktionen zu setzen, und der zum anderen am Hof als wichtiger Fürsprecher für ihn auftritt. Darüber hinaus schreibt Holberg für das wiedergeborene Theater fünf neue Komödien. Eine weitere Verbindung zum ersten dänischen Theater ist der Schauspieler Frederik Pilloy. 5 Einst im Rollenfach des Ersten Liebhabers der Star 3 Zunächst tritt am 12. März 1735 die sogenannte „ Helligdagsforordning “ in Kraft, die Theateraufführungen an Feiertagen und den Abenden zuvor untersagt. Theaterspielen ist somit zumindest theoretisch weiterhin erlaubt, es gibt auch Erwähnungen von Aufführungen in Norwegen und Holstein (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 1ste del. Kjøbenhavn 1889, S. 156. Im Folgenden: Hansen I), praktisch liegt das Theater der Hauptstadt aber komplett brach. Ab dem 21. März 1738 greift dann eine Verordnung, die verbietet, dass „ Komödianten, Seiltänzer oder Taschenspieler sich in Dänemark oder Norwegen einfinden, um ihr Spiel oder ihre Vorstellungen zu zeigen. “ ( „ Men en Forordning af 21. Marts forbød Komediantspillere, Linedansere eller Taskenspillere at indfinde sig i Danmark eller Norge for deres Spil og Exercitier der at forestille. “ Hansen I, S. 156) 4 Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af danske Skuespil indtil vor Tid. Anden Deel. Kjøbenhavn 1856, S. 28 f. Im Folgenden: Overskou II. Das neue Privileg entspricht dabei fast wörtlich dem 1722 auf Montaigu ausgestellten: Das Theater soll für die Besucher erschwinglich sein und weder gegen Anstand noch guten Geschmack verstoßen. 5 Im Gegensatz zu den meisten Schauspielern hat Pilloy Kopenhagen nach dem Ende des Grønnegade-Theaters nicht verlassen, sondern sich als Geschäftsmann in der Hauptstadt niedergelassen. Er unterhält einen Weinhandel und übernimmt „ aus alter Liebe zu seiner Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! 93 der Truppe erinnert seine neue Position an die seines Lehrmeisters Montaigu: Er stellt seine langjährige Bühnenerfahrung beim Einstudieren der Stücke sowie beim Engagement der neuen Kräfte zur Verfügung. Auf diese Weise sucht man einem der Hauptprobleme der Anfangszeit, dem Mangel an ausgebildeten Schauspielern, zu begegnen. Der nicht unerhebliche Einfluss von Holberg und Pilloy deutet darauf hin, dass sich die Aufführungspraxis nicht wesentlich von der im „ alten “ Theater unterscheidet. Holberg vermerkt später diesbezüglich, dass sich die Schauspieler nach einiger Einarbeitung hinter ihren Vorgängern nicht zu verstecken bräuchten. Die neue Bühne biete „ ebenso tüchtige Akteure wie die frühere und folgt man dem Urteil derjenigen, die beide gesehen haben, sind die heutigen gar die Besseren. “ 6 In der Tat sind später so bewunderte und prägende Darsteller wie Gert Londeman, Christoffer Paulli Rose und Marcus Hortulan von Beginn an Teil des Ensembles. 7 Neben den Herausforderungen eine Truppe zusammenzustellen, besteht eine weitere Schwierigkeit darin, ein passendes Lokal zu finden. Seine erste Bleibe hat das neue Ensemble in Bergs Hus in der Læderstræde, einem „ einschlägigen Vergnügungsetablissement “ . 8 In der dritten Etage des Hauses gibt es einen großen Saal, der bis 1742 der jüdischen Gemeinde Kopenhagens als Synagoge dient. 9 Ein Gotteshaus, ein Puff, ein Theater: Bergs Hus zeichnet die nicht nur räumliche Suche der dänischen Truppe nach einem Platz in der Hauptstadt nach. Am 14. April 1747 erfolgt die erste Kunst die Sorge, die Veranstaltungen für das Theater zu machen, und die neuen Acteurs zu unterrichten. “ (Schlegel, Johan Heinrich: „ Vorbericht “ . In: Johann Elias Schlegels Werke. Dritter Theil. Herausgegeben von Johann Heinrich Schlegeln. Kopenhagen und Leipzig 1764, S. 243 - 250, hier: S. 247f) 6 „ [D]enne nye Skue-Plads [er] bleven forsynd med ligesaa gode Acteurs, som den forrige, og dømme adskillige, som have seet dem begge, den sidste at være bedre. “ (Holberg, Ludvig: Epistler. Bind V. København 1951, S. 9) 7 Detaillierter zum Ensemble und dessen Aufbau und Zusammensetzung: Hansen I, S. 177ff; Overskou II, S. 81ff und Schwarz, Friderich: Lomme-Bog for Skuespilyndere, Vol 2. København 1785, S. 250ff 8 Krogh, Torben: Fra Bergs Hus i Læderstræde til Komediehuset paa Kongens Nytorv. København 1949, S. 12. Auch Kela Kvam weist auf diese Konnotation des Hauses hin: „ Men ellers var det vin, spil og kvinder, man søgte i hans [Bergs] etablissement. “ (Kvam, Kela et al.: Dansk Teaterhistorie. Bd. 1: Kirkens og kongens teater. København 1992, S. 110. Im Folgenden: Kvam I) / / „ Ansonsten waren es vor allem Wein, Spiel und Gesang, weswegen man sein [Bergs] Etablissement besuchte. “ 9 Der Saal ist ca. 15 Meter lang, acht Meter breit, sieben Meter hoch und bietet überdies eine Empore. (Kvam I, S. 110) Zur Geschichte des Hauses in der Læderstræde siehe auch: Elling, Christian: Maskespil. København 1945, S. 9ff und Hartvig, Michael: Jøderne i Danmark i tiden 1600 - 1800. København 1951, S. 182ff 94 Zwischen den Jahrhunderten Aufführung der neu gebildeten Gesellschaft und die Eröffnungspremiere - Holbergs Den politiske Kandestøber (Der politische Kannengießer) - fungiert nicht zufällig als Hommage an das Theater in der Grønnegade. Das Repertoire besteht in den folgenden Monaten nahezu ausschließlich aus Holberg-Komödien 10 und auf Grund der geringen Erfahrung der Schauspieler werden die Aufführungen zunächst als öffentliche Proben ( „ Prøvekomedier “ ) deklariert. Anfangs wird einmal wöchentlich gespielt, ab Juni dann zweimal. Es handelt sich demnach keineswegs um einen regulären Theaterbetrieb im heutigen Verständnis, vielmehr möchte ich von einer Gründerzeit sprechen: eine Periode voller Unwägbarkeiten, Orientierungsphasen und Positionskämpfen. 11 Die Bedeutung, die dem Theater von öffentlicher Seite zugemessen wird, nimmt trotz der recht kurzen Existenz der neuen Bühne erheblich zu und die Fragen nach der Stellung und der Funktion eines landessprachlichen Theaters gewinnen eine größere Öffentlichkeit. Einer der prominenten Vorreiter ist hierbei der Dramaturg und Autor Johann Elias Schlegel, der schon 1747 die Errichtung eines dänischen Nationaltheaters öffentlich anmahnt. 12 Auch wenn sich der Weg dorthin als 10 Eine Übersicht über die gespielten Komödien findet sich in Overskou II, S. 46 f. Darunter sind auch die Stücke Mascaraden, Det arabiske Pulver und Diderich Menschen-Skræk. 11 So führen Streitereien zwischen den Schauspielern und dem Leiter des Theaters (Overskou II, S. 50 ff), Probleme mit dem Verkauf von Eintrittskarten, Konkurrenzveranstaltungen anderer Theatergesellschaften und vieles mehr dazu, dass immer wieder Vorstellungen ausfallen und der Spielbetrieb erheblichen Unregelmäßigkeiten unterworfen bleibt. Zudem treten die Mängel des Hauses in der Læderstræde immer deutlicher zu Tage. Es erweist sich als zu klein, die bühnentechnischen Möglichkeiten als sehr begrenzt und die relativ abgelegene Lage am Rande der Stadt macht es der dänischen Truppe schwierig, mit anderen lokalen Attraktionen mitzuhalten. Neben dem schon erwähnten französischen Ensemble und der italienischen Operngesellschaft ist einer der Hauptkonkurrenten um die Gunst des Publikums Julius Heinrich von Qvoten, der Sohn des großen Gegenspielers des Grønnegade-Theaters. Er agiert zunächst äußerst erfolgreich in einem als Theater eingerichteten Gebäude in der Store Kongensgade und bietet dort Vorstellungen sowohl in dänischer als auch deutscher Sprache an, darunter Komödien, Lustspiele und Tragödien. Sogar Holbergs Dramen stehen auf dem Spielplan. (Neiiendam, Robert: „ Hvordan det gick til. “ In: Krogh, Torben [Hrsg.]: Komediehuset paa Kongens Nytorv 1748. Udg. af det Kgl. Teater i 200 aaret 1948. København 1948, S. 41 - 70, hier: S. 46.) 12 Johann Elias Schlegel (1719 - 749) wirkt zunächst als Mitarbeiter an Gottscheds Theatertextsammlung Die Deutsche Schaubühne mit, bevor er als Sekretär des sächsischen Gesandten nach Dänemark geht, wo er sich als Theaterautor zunehmend von den Gottsched ’ schen Regeln löst. In seinen beiden Schriften „ Gedanken über das Theater und insbesondere das dänische “ sowie „ Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters “ von 1747 setzt er sich mit den Voraussetzungen und Bedingungen des Schauspiels in Kopenhagen auseinander. Er stellt dabei vor allem den moralischen Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! 95 langwierig darstellt, gibt es erste Weichenstellungen in diese Richtung. Der Plan eine neue Spielstätte im Herzen der Stadt am Kongens Nytorv zu errichten, gehört sicher dazu. Abb. 2: Der Stich zeigt die Frontansicht des 1748 nach den Plänen Eigtveds fertig gestellten neuen Theatergebäudes am Kongens Nytorv. Im Auftrag des Königs zeichnet Hofbaumeister Nicolai Eigtved für den Bau des neuen Theaters verantwortlich. In atemberaubendem Tempo wird es fertig gestellt und so verfügt nun die dänische Schauspieltruppe über ein eigenes Haus (Abb. 2). Ein wichtiges Novum dabei ist, dass der König den Nutzen eines Theaters in den Vordergrund, entwickelt Pläne, wie eine Bühne (auch ökonomisch) erfolgreich geführt werden kann und gibt nicht zuletzt praktische Hinweise die Ausbildung der Schauspieler sowie die Auswahl der zu spielenden Stücke betreffend. Aus einer Position als „ Ausländer “ (Schlegel, Johann Elias: „ Gedanken über das Theater und insbesondere das dänische. “ In: Johann Elias Schlegels Werke. Dritter Theil. Herausgegeben von Johann Heinrich Schlegeln. Kopenhagen und Leipzig 1764, S. 242 - 258, hier: S. 251) beschreibt er das Theater als nationale Aufgabe, die nach den Spezifika des jeweiligen Landes auszugestalten sei. Darüber hinaus sieht er die Bühne als eine verschiedene gesellschaftliche Schichten zusammenführende Institution, in der die höfische Welt, das Bürgertum und der „ gemeine Mann “ zusammenkommen. (Schlegel, Johann Elias: „ Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters. “ In: Johann Elias Schlegels Werke. Dritter Theil. Herausgegeben von Johann Heinrich Schlegeln. Kopenhagen und Leipzig 1764, S. 260 - 298, hier: S. 266) 96 Zwischen den Jahrhunderten Baugrund zur Verfügung stellt und die Stadt Kopenhagen ein Darlehen gewährt - das Theater also in einem weitaus größeren Maße institutionell gefördert wird als bisher. Zunächst bedeuten diese ehrgeizigen Pläne, dass die Schauspieler gezwungen sind, mehrmals umzuziehen und in unterschiedlichen Provisorien weiterzuspielen: zunächst im Tjærehus 13 und danach im Theater in der Store Kongensgade. 14 Nach nur einem halben Jahr Bauzeit eröffnet das Theater am Kongens Nytorv im Dezember 1748 mit royaler Unterstützung. Das Haus in der Læderstræde konnte der König unmöglich besuchen, nun aber, am vornehmsten Platz der Stadt, in einem Gebäude frei von unliebsamen Konnotationen und Geschichte(n), lässt sich der Herrscher sehen und hebt das Theater der dänischen Truppe in eine neue Dimension: Er adelt und legitimiert es durch seine Anwesenheit moralisch und gesellschaftlich. Eine Bühne, so lässt die Eröffnungsvorstellung zunächst vermuten, für Adel und Bürgertum gleichermaßen - in Form eines durch den Monarchen geförderten Theaters, mit einer vom Hof bestellten Direktion und staatlich unterstützter Infrastruktur. 15 Auch gibt 13 Der Umzug ins Tjærehus bringt ein deutlich geräumigeres und ansehnlicheres Lokal, die Eröffnung findet Overskou zufolge am 18. Dezember 1747 statt, dem Geburtstag der Königin (Overskou II, S. 84). Krogh weist jedoch darauf hin, dass dieser Termin so nicht stimmen kann, da an diesem Tag die italienische Truppe eine Opernvorstellung gibt, welcher der König beiwohnt (Krogh 1949, S. 52). Vielmehr nennt Krogh den 19. Dezember 1747 als Eröffnungsspieltag. (Krogh 1949, S. 54) Seiner Argumentation folgt auch die neuere Theatergeschichtsschreibung. (Kvam I, S. 114; Engberg, Jens: Til hver mands nytte. Historien om det Kongelige Teater 1722 - 1995, Bind I. København 1998, S. 41. Im Folgenden: Engberg I) Beim Tjærehus handelt es sich im Übrigen um die vormals als Giethus bekannte Kanonengießerei der Flotte, in der schon von Qvoten und Capion ihr erstes gemeinsames Theaterunternehmen angesiedelt haben (Vgl. Kap. 2.1). Danach dient es dem Militär als Materiallager. (Siehe dazu: Elling, Christian: „ Omkring Theatret paa Kongetorvet. “ In: Krogh, Torben [Hrsg.]: Komediehuset paa Kongens Nytorv 1748. Udg. af det Kgl. Teater i 200 aaret 1948. København 1948, S. 27 - 40, hier: S. 36) Die letzte Vorstellung findet dort am 7. Juni 1748 statt, danach wird das Tjærehus abgerissen, um dem Theaterneubau Platz zu machen. 14 Das Theater in der Store Kongensgade wird frei, nachdem von Qvoten junior Mitte Mai 1748 aus finanziellen Gründen aufgeben muss. Die dänische Truppe ist damit nicht nur einen Konkurrenten los, sie kann sich darüber hinaus sowohl mit einigen Schauspielern aus der Qvoten ’ schen Truppe verstärken, als auch das leerstehende Theater als Zwischenquartier nutzen. Vom 21. Juni bis zum 11. Dezember 1748 finden die Vorstellungen dort statt. Von Qvoten bleibt in Kopenhagen und verdient seinen Lebensunterhalt als Zahnarzt und Kostümverleiher. (Krogh 1949, S. 68) 15 So erfolgt beispielsweise der Kartenverkauf durch das Büro des städtischen Wirtschaftsdirektors ( „ økonomidirektørens rådmandskontor “ ). Zunächst wird zweimal wöchentlich gespielt, jedoch nie sonntags. Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! 97 sich das Theater eine eigene Programmatik, für jedermann sichtbar an der Fassade des neuen Hauses zusammengefasst: Landsmand, / . . . / naar Du i vores Skuespil, som i et Speil, betragter Verdens Vandel, den onde og den gode; beleer Menneskets Skrøbelighed, Daarlighed og Udyd; da lær derved at kjende din egen, at rette den, forandre og forbedre dig, fra det Uanstændige til det Anstændige, fra det Onde til det Gode, fra Udyd til Dyd. Tak den Stormægtigste, Alernaadigste og Viiseste Enevolds-Herre og Konge Friedrich den Femte, / . . . / Som skienkede Pladsen, lod Huuset bygge, til Sine Undersaaters Nytte og hver Mands Forlystelse. 16 Landsmann, wenn Du in unserem Schauspiel, wie in einem Spiegel, den Wandel der Welt, das Gute und das Schlechte betrachtest, die Schwächen, den Wahnsinn und die Untugend der Menschen belächelst, lerne so Dein eigenes Bild kennen, berichtige es, verändere und verbessere Dich vom Unanständigen zum Anständigen, vom Schlechten zum Guten, von der Untugend zur Tugend. Dank dem mächtigen, allergnädigsten und weisesten Alleinherrscher und König Frederik V., / . . . / der diesen Platz schenkte, das Haus bauen ließ, zum Nutzen seiner Untertanen und Jedermanns Vergnügen. Die Aufgaben des Theaters sind hier scharf umrissen dargestellt: die Bühne als standesübergreifende moralische Anstalt, in der Mitte der Gesellschaft und zur Verbesserung derselben. Aber es dauert noch, bis das Haus am Kongens Nytorv diesen Platz wirklich einzunehmen in der Lage ist und infolge dessen den Diskurs darüber bestimmt, was als „ guter Geschmack “ zu gelten habe. Nichtsdestotrotz beginnt sich am Kongens Nytorv ein zentrales (bürgerliches) Theater zu etablieren. Zunächst sind die räumlichen und technischen Möglichkeiten im Vergleich zu den Provisorien bedeutend verbessert: Das Theater bietet ca. 600 - 700 Zuschauern auf verschiedenen Ebenen Platz, 17 die Bühne ist groß genug für drei, später dann vier Kulissen 16 Kvam I, S. 116 17 Da es keine festen nummerierten Plätze gibt, sondern Logen, Bänke und viele Stehplätze, lässt sich die genaue Anzahl nicht feststellen. Daher gehen in der Forschung die Angaben über die ungefähren Zahlen auseinander: Kvam geht von knapp 600 Plätzen aus (Kvam I, S. 118), Overskou spricht von 782 Plätzen ohne Königsloge (Overskou II, S. 80). Hansen und Neiiendam orientiert sich in ihren Arbeiten an Overskou und nennen die exakt selbe Ziffer (Hansen I, S. 177; Neiiendam 1948, S. 50), Engberg nennt eine Zahl von ca. 700 (Engberg I, S. 53). 98 Zwischen den Jahrhunderten samt Rundhorizont 18 und die Unterbühne beherbergt eine Pumpe, die bei Bedarf dafür sorgt, dass es auf der Szene regnen kann. Darüber hinaus gibt es im Bühnenhimmel eine ausgefeilte Mechanik für die Flugmaschinerie. Das Gebäude bietet der dänischen Truppe ein technisch auf dem neuesten Stand befindliches Zuhause, sogar Opernaufführungen werden möglich. 19 Zusätzliche Einnahmen entstehen dem Theater durch Bälle, die zahlreich gegeben werden und sich einiger Beliebtheit erfreuen. Dass hierbei die Schauspielerinnen des Ensembles für das Servieren der Getränke verantwortlich zeichnen, trägt sicher zur Popularität dieser Veranstaltungen bei. Das Theater ist und bleibt ein Zentrum des Vergnügens, 20 das Spiel von und über Moral und Tugend ist nur ein Teil des Betriebs. Die Bühne als moralische Anstalt zur (bürgerlichen) Verbesserung zu verstehen, mag zu diesem Zeitpunkt eher dem Wunsch denn der Wirklichkeit entsprechen. Dass Schlegels Nationaltheatergedanke zunächst keinen merklichen Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nimmt, mag in der heterogenen Ausformung des Publikums und den sich daraus ergebenden unterschiedlichen und teilweise konkurrierenden kulturellen Angeboten der Hauptstadt begründet liegen. 21 Schlegels Idee einer nationalen Bühne für alle Stände scheint schwierig zu realisieren, auch wenn erste Verschränkungen erkennbar werden. Das Theater lebt, es wird institutionell gefördert und trotz aller Schwierigkeiten steht sein Fortbestehen außer Frage. Der König lässt sich als Initiator und Unterstützer der landessprachlichen Bühne 18 Die Bühne ist ca. zehn Meter tief und 15 Meter breit. (Friis, Niels: Det Kongelige Teater. Vor Nationale Scene i Fortid og Nutid. København 1943, S. 20) 19 Die wohl eingehenste Analyse und Geschichte des Theaters im Hinblick auf bauliche und technische Gegebenheiten und Veränderungen (Beleuchtung, Maschinerie, Zuschauerraum, Brandsicherung, Umbauten, Kulissen, Kostüme, Requisiten etc.) bietet Niels Friis. (Friis 1943) 20 Kvam I, S. 118 21 Die Gründerzeit nach dem Tod des alten Königs beschert Kopenhagen drei große und prägende Theater(formen), die sich in ihrer Ausrichtung deutlich voneinander unterscheiden, ein jeweils anderes Publikum ansprechen und mit verschiedenen Voraussetzungen in das Ringen um die Gunst der Zuschauer einsteigen: Das „ dänische “ Theater am Kongens Nytorv, die italienische Operngesellschaft im Schlosstheater und die französische Truppe in einem Theater in der Nørregade. 1750 übersiedelt die italienische Operntruppe an das neu gebaute Theater und teilt sich die Bühne mit den dänischen Akteuren. Gleichzeitig verlässt die französische Truppe ihr Haus in der Nørregade und nimmt das Hoftheater in Besitz (Krogh 1949, S. 73). Das Publikum ist dementsprechend aufgeteilt: Der König und der Adel besuchen vorwiegend die Oper sowie die französische Komödie, die dänische Truppe am Kongens Nytorv wird zuvorderst von der bürgerlichen Mitte frequentiert, wobei es immer wieder vorkommt, dass auch der König und sein Gefolge einzelnen Aufführungen beiwohnen. Gründerzeit: Der König ist tot, es lebe das Theater! 99 feiern, auch wenn seine Hoftheatertruppe und die Opernaufführungen ihm sprachlich als auch ästhetisch näher und die finanziellen Zuwendungen an das Theater äußerst überschaubar bleiben. Es ächzt unter den enormen Schulden, die sich durch den Bau und die Ausstattung der Bühne angesammelt haben und schon nach kurzer Zeit wird dem Monarchen das selten besuchte Theater zu teuer und er verschenkt es an die Stadt Kopenhagen. 3.2 Identitätssuche I: Hybrides Stadt-Theater Am 23. Mai 1750 vermacht der König das neue Schauspielhaus der Stadt Kopenhagen - vor allem, weil er die Kosten des laufenden Theaterbetriebes sowie die Schulden des Neubaus nicht mehr tragen will. Der Magistrat der Stadt ist sich des Hintergrunds der Schenkung wohl bewusst, ziert sich zunächst und kann schließlich das Geschenk nicht mehr ausschlagen. Das Theater am Kongens Nytorv wird so im wahrsten Sinne des Wortes zum Stadttheater. Die neuen Besitzverhältnisse ändern jedoch nichts an der zum einen ökonomisch äußerst prekären Situation, 22 zum anderen stellt sich die ständig wechselnde Leitung des Theaters als wenig hilfreich für die Etablierung eines festen Ensembles und Spielplans heraus. Zwar stehen am Gebäude die Ziele und Aufgaben des Theaters für jedermann sichtbar in goldenen Lettern, aber die Leitung der Bühne, zumeist Beamte ohne Theaterinteresse und im Nebenberuf, ist zuvorderst mit ökonomischen, organisatorischen und kaum mit inhaltlichen oder künstlerischen Fragen beschäftigt. In die Zeit des Stadttheaters fallen jedoch auch erste Bemühungen hinsichtlich einer Professionalisierung der Bühne, 23 nichtsdestotrotz bleiben die Verhältnisse und Zustände am und um das Theater 22 Die finanziellen Zuwendungen durch den König lesen sich zunächst äußerst großzügig: 1756 wird das Theater mit Hilfe eines einmaligen Zuschusses in Höhe von 3000 Rdl. vor dem Ruin gerettet. Ab 1758 gewährt der König dann einen jährlichen Betrag von 8000 Rdl. - allerdings unter der Auflage, dass das Theater am Kongens Nytorv die äußerst kostspielige, aber am Hof sehr beliebte italienische Operntruppe übernimmt. Das strukturelle Defizit wird dadurch noch erhöht. Im Zuge dieser Umstellung gewinnt der Hof wieder mehr Einfluss am Theater, wird von dort doch künftig einer der Theaterdirektoren gestellt. (Hansen I, S. 213 f.) 23 Ein wichtiger Aspekt ist dabei das am 28. Dezember 1754 erlassene Regelwerk Instruction for Troupen ved den danske Skueplads i Kjøbenhavn, in dem das Theater die Aufgaben der Schauspieler, praktische Fragen im Hinblick auf die Ausführung der einzelnen Rollen und auch ökonomische Bedingungen des Berufes neu definiert. 100 Zwischen den Jahrhunderten instabil: Skandale erschüttern und amüsieren die Hauptstadt, 24 Gaukler sowie Akrobaten treten auf der Bühne auf 25 und seit 1768 gibt es am Kongens Nytorv wieder Maskenbälle, die sich ungeteilter Popularität erfreuen und dem „ Bildungsauftrag “ des Theaters entgegenstehen. Darüber hinaus prägen Streitereien zwischen der Operntruppe und dem Sprechtheater - vor allem geht es hier um die finanzielle Ausstattung - das Bild der Bühne in der Öffentlichkeit. Das Prozesshafte der Entstehung einer nationalen Bühne und die Schwierigkeiten des neuen Theaters sind deutlich erkennbar: unklare Zuständigkeiten, ein heterogenes Publikum 26 mit stark differierenden Ansprüchen an das Repertoire, die daraus resultierenden internen Auseinandersetzungen und eine häufig wechselnde Direktion - eine Stadt, vielleicht ein halbes Königreich, weiß noch nicht richtig wohin mit dem/ ihrem Theater. Dies schlägt sich auch in der Ausgestaltung des Repertoires nieder. Es gibt kaum dänische Autoren, die für die Bühne schreiben wollen/ können. So bleibt Holberg der meistgespielte einheimische Dramatiker, auch wenn der Spielplan nicht mehr alle seine Komödien umfasst. 27 An Stücken zeitgenössischer Autoren herrscht großer Mangel, immer wieder gibt es Ver- 24 Einer der großen (Theater-)Skandale ereignet sich 1765. Nach einer Aufführung lässt „ der berüchtigte Lüstling “ (Hansen I, S. 229) Graf Danneskjold-Laurvigen die Schauspielerin Mette Marie Rose in sein Haus entführen, um sich auf diese Weise das Einverständnis der Eltern zur Hochzeit zu erzwingen. Der Vater der Entführten, ebenfalls Schauspieler, verweigert die Zustimmung. Erst nachdem der König seine Soldaten schickt, lässt Danneskjold-Laurvigen die Entführte wieder frei. Er wird nach Norwegen „ verbannt “ , sie betritt nie wieder die Bühne. Der Skandal hält die Hauptstadt über Wochen in Atem. 25 Friis 1943, S. 65 26 Das Opernpublikum rekrutiert sich vorwiegend aus der gehobeneren Gesellschaft, wohingegen die landessprachliche Komödie zum großen Teil bürgerliche Zuschauer ins Theater lockt: „ Operaens kernepublikum var de øverste rangklasser, diplomater, officerer og hofkavalerer. I logerne sad kvinderne i krinoliner, dybt dekolleterede med smykkeornamenter på brystet og kolossale håropsætninger. Herrerne i rangsuniformer og med struttende skøder, pungparykker og kniplinger. Till komedien blandede de sig med skikkelige borgere i parterret. “ (Kvam I, S. 127) / / „ Das Kernpublikum der Oper bestand aus den obersten Klassen, Diplomaten, Offizieren und Hofkavalieren. In den Logen saßen die Frauen in Reifröcken, tief dekoltiert mit Schmuckornamenten auf der Brust und kolossalen Frisuren. Die Herren in Uniform und mit strotzenden Fräcken, Perücke und Spitze. Zur Komödie mischten sie sich unter die angesehenen Bürger im Parkett. “ 27 Vielmehr findet eine Verengung des Repertoires auf wenige, dafür äußert häufig aufgeführte Stücke statt, unter anderem Mascarade, Diderich Menschen-Skræk und Ulysses von Ithacia. Identitätssuche I: Hybrides Stadt-Theater 101 suche, aber eigentlich gelingt es nur Charlotte Dorothea Biel als Dramatikerin sowie Übersetzerin im Spielplan präsent zu sein. Sicherlich spielen hier auch die fehlenden finanziellen Anreize, für die Bühne zu schreiben, eine wichtige Rolle. Schon Schlegel hatte 1747 gefordert, die Verfasser besser zu entlohnen, letztlich ohne Gehör zu finden. 28 Die Qualität zeitgenössischer dänischer Theaterdichtung beschreibt der Theaterhistoriker Hansen wie folgt: Hvad der kom frem som Forsøg paa dansk Skuespildigtning var af den allertarveligste Art, en evneløs Famlen, der aabenbarede Mangel paa teknisk Indsigt i samme Grad som Fattigdom paa Tanker. Hvor nøisom i sine Fordringer eller hvor ukultiveret i sin Smag man var, sees bedst af, at man nedlod sig til at optage Paullis i Grønnegade spillede Makværk Den seendes Blinde. 29 Die Versuche dänischer Dramatiker waren von der allererbärmlichsten Sorte, ein unbegabtes Herumtapsen, das sowohl Mängel hinsichtlich der technischen Ausführung als auch Ärmlichkeit an Gedanken offenbarte. Wie genügsam mit seinen Forderungen und wie unkultiviert im Geschmack man war, wird schon dadurch ersichtlich, dass man sich herabließ, Paullis in der Grønnegade aufgeführtes Machwerk Den seendes Blinde (Der sehende Blinde) wiederaufzunehmen. Dass Hansens sehr subjektiv gefärbte Äußerungen durchaus den Geschmack eines breiteren Publikums wiedergeben, zeigt sich darin, dass äußerst selten Stücke dänischer Autoren den Weg auf die Bühne finden. Die wenigen Ausnahmen halten sich zumeist nur äußerst kurz im Repertoire. Der Spielplan wird vielmehr von französischen Autoren dominiert, vor allem von Molière, Voltaire, Diderot und Lesage. Darüber hinaus bleibt die italienische Operngesellschaft integraler Bestandteil des Theaters und auch die französische Truppe existiert weiter. Dass sich das dänische Schauspiel trotz deutlicher Unterfinanzierung behaupten kann, ist zum einem der inzwischen institutionellen Verankerung der Bühne sowie der schauspielerischen Klasse der Aufführungen geschuldet. Diese Ausgangslage zum Ende der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts unterscheidet sich also in wesentlichen Punkten von der Situation der Bühne in der Lille Grønnegade. Die Schließung des Theaters steht trotz der 28 Schlegel, Johan Elias: „ Gedanken zur Aufnahme des dänischen Theaters. “ , S. 297 29 Hansen I, S. 258 f 102 Zwischen den Jahrhunderten teils verheerenden finanziellen Lage nie wirklich zur Debatte und macht die neue Qualität des Theaters und seine Stellung in der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft deutlich. Die Stadttheaterjahre sind eine Epoche des Übergangs und der Etablierung: Das Haus am Kongens Nytorv behauptet und entwickelt sich als ein Hybrid-Theater in einem Spannungsfeld zwischen Maskenbällen, Gauklerkunst, italienischer Oper und dänischem Sprechtheater, spielt für den König und den einfachen Mann, wenn vornehmlich auch nicht dieselben Vorstellungen. Ästhetisch wankt und schwankt es zwischen barockem Hoftheater, mondänem Rokoko-Sensualismus und einem neueren, moralisch mitfühlendem Ernst. Die großen Konstanten dieser Jahre sind Unbestimmbarkeit und Wandel. 3.3 Identitätssuche II: Ein königliches Theater für die Bürger Zum Ende der sechziger Jahre verschärft sich die finanzielle Schieflage des Theaters erheblich. Schließlich kann und will die Stadt die Verluste nicht mehr tragen, was dazu führt, dass die Bühne 1770 wieder in die Trägerschaft der Krone fällt. 30 Mit der Übernahme des Theaters durch den König werden wesentliche Veränderungen angestoßen. Eine Kommission unter der Leitung von Ad. Gotth. Carstens erarbeitet Vorschläge, um das disparate Theaterwesen der Stadt neu zu ordnen. So entsteht die Idee, zum einen die kostspielige französische Truppe ans Königliche Theater zu verlegen und als integralen Bestandteil der dänischen Bühne zu erhalten und zum anderen das umstrittene italienische Opernensemble auf einige wenige Sänger zu reduzieren, andere Partien mit Schauspielern zu besetzen beziehungsweise weniger aufwendige Kompositionen oder nur Querschnitte der großen Opern aufzuführen. Die Vorschläge der Kommission führen letztlich dazu, dass die französische Truppe im März 1773 die Stadt verlässt, da für sie ein Zusammenwirken mit den dänischen Akteuren ausgeschlossen erscheint. Die stark reduzierte italienische Oper findet in der neuen Form weder beim Publikum noch bei den Sängern Anklang, wird schließlich vom König abgesetzt und zum Ende der Saison 1777/ 78 gehört die Bühne zur Freude der bürgerlichen Kritik endlich in Gänze dem 30 Es gibt daraufhin noch den Versuch, das Theater als privatwirtschafliches Unternehmen an den Ober-Kapellmeister Sarti zu verpachten, aber auch diesem Modell ist kein Erfolg beschert und so wird es nach einer Saison zu den Akten gelegt. Ab 1772 zeigt auch der Name des Theaters, wessen Kind man am Kongens Nytorv ist: Det Kongelige Teater. Identitätssuche II: Ein königliches Theater für die Bürger 103 dänischen Ensemble. 31 Darüber hinaus gibt es mit Hans Wilhelm Warnstedt ab 1778 das erste Mal einen hauptamtlichen Theaterchef, der seinem Haus weit über die finanziellen Fragen hinaus eine Richtung vorgibt, das Repertoire bestimmt, Schauspieler besetzt und neue Stücke annimmt oder verwirft. 32 Prägend ist Warnstedts Arbeit auch für die Nachwelt: Sein Bestreben, das künstlerische Niveau des Theaters zu heben und zugleich die Wertschätzung für die Arbeit der Schauspieler zu stärken, findet Ausdruck auch in der schriftlichen Auswertung und Fixierung der 31 Gerade die italienische Oper ist häufig Ziel harscher Kritik. Sie wird als unnatürlich und unmoralisch kritisiert, verderbe den guten Geschmack und sei außerdem viel zu teuer. In seiner Streitschrift gegen die Oper geht Abrahamson sogar soweit, diese Gattung als „ große dramatische Plage “ ( „ store dramatiske Landeplage “ , Abrahamson: „ Om Synge- Spil. “ In: Rahbek, Knud Lyne [Hrsg.]: Lommebog for Skuespilyndere. København 1788, S. 115 - 197, hier: S. 125) zu bezeichnen. Auch das Ballett erfülle nicht die Ansprüche an Natürlichkeit und gesunden Menschenverstand und solle daher ebenfalls abgeschafft werden: „ Det Ønske, at see begge Dele [Opera og Ballett] afskaffede ved den Danske Skueplads, har revet mig hen at sige mine Tanker offentligen derom, / . . . / at en Italiensk Opera i Danmark / . . . / er imod den sunde naturlige Smag. “ (Abrahamson 1788, S. 193) / / „ Der Wunsch, beide Teile [Oper und Ballett] an der Bühne abgeschafft zu sehen, hat mich hingerissen, meine Gedanken darüber öffentlich zu machen, / . . . / dass eine italienische Oper in Dänemark / . . . / gegen jeden gesunden, natürlichen Geschmack ist. “ Friderich Schwarz argumentiert später gegen eine mögliche Wiedereinführung des Balletts. Diese Gattung sei seiner Auffassung nach immer nur eine „ Nebensächlichkeit “ ( „ biting “ ) gewesen und habe dennoch ungeheure Summen verschlungen, ohne dem Staat irgendetwas zurückzugeben. Die Unnatürlichkeit des Balletts sieht er als Grund dafür, dass es keine moralische Instanz und daher der Verbesserung der Gesellschaft in keiner Weise zuträglich sein kann: „ [H]vad Indtryck kan det giøre paa en fornuftig tænkende Tilskuers Siel, at see en Henrich IV sparke omkring i en Ballett? “ (Schwarz, Friderich: „ Ere Balletter nødvendige for Skuepladsen? “ In: Schwarz, Friedrich [Hrsg.]: Lomme-Bog for Skuespilyndere. Vol 1. Kiøbenhavn 1784, S. 142 - 154, hier: S. 145) / / „ Welchen Eindruck muss es auf die Seele eines vernünftig denkenden Zuschauers machen, Heinrich IV. in einem Ballett herumhüpfen zu sehen? “ 32 Darüber hinaus wird das Theater von Grund auf saniert (Einen Einblick in die Baugeschichte des Theaters gerade auch im Vergleich mit anderen europäischen Bühnen bietet: Langberg, Harald: Kongens Teater. Komediehuset på Kongens Nytorv 1748 - 1774. København 1974). Die schnelle Errichtung des Gebäudes rächt sich, es ist baufällig, Bühne und Zuschauerraum morsch und die Maschinerie veraltet. Die baulichen Veränderungen und technischen Erweiterungen sorgen dafür, dass das nun Königliche Theater am Kongens Nytorv mehr Zuschauern Platz bietet und die Aufführungen technisch komplizierter ausfallen können. Während des halbjährigen Umbaus wird ein neuer Eingangsbereich geschaffen, die Bühne technisch modernisiert sowie verbreitert, die Schauspieler erhalten neue Garderoben und der Zuschauerbereich wird um bis zu 400 auf ca. 1200 Plätze vergrößert (Friis 1943, S. 22ff; Hansen I, S. 313 ff). 104 Zwischen den Jahrhunderten Theaterarbeit. Nach dem Vorbild des Mannheimer Nationaltheaters 33 lässt er Protokolle und Journale führen, welche die einzelnen Aufführungen dokumentieren und heute als unschätzbare Quellen dienen, um einen Einblick in die Aufführungspraxis der frühen Jahre der Bühne zu erlangen. Auch die gesellschaftliche Stellung der Bühne und ihrer Angestellten hat die Kommission im Auge. So werden die Gagen der Schauspieler erhöht, 34 auch die Entlohnung der Musiker wird vereinheitlicht und die teilweise Bezahlung in Naturalien durch Valuta ersetzt. 35 Ziel ist es, den Angestellten des Theaters eine wirtschaftlich tragfähige Grundlage ihrer Existenz zu schaffen. 36 Verbunden damit erfolgen weitere organisatorische Neuerungen innerhalb des Theaters. So tritt ein neues Reglement in Kraft, das die Arbeitsbedingungen, die Verpflichtungen und Rechte der Schauspieler regelt. Um Autoren zu ermutigen, mehr für die Bühne zu schreiben und auf diese Weise die landessprachliche Dramatik vermehrt in den Mittelpunkt zu rücken, wird eine bessere Honorierung dramatischer Texte festgelegt. Die stärkere soziale Absicherung der Schauspieler und das Bemühen um 33 Ab 1778 versucht der Intendant des Mannheimer Theaters, Wolfgang Heribert Freiherr von Dalberg, durch seine Spielplangestaltung die Bühne zu einem tatsächlichen „ Nationaltheater “ zu machen, indem er neue deutsche Dramatik etabliert und auch die Diskussion über dramaturgische Fragen in regelmäßigen Ausschusssitzungen fördert. Auf diese Art und Weise entwickelt Dalberg mit seinen Schauspielern einen eigenen Mannheimer Stil, dessen wichtigster Vertreter der Darsteller und Regisseur August Wilhelm Iffland ist. Die Protokolle der Ausschusssitzungen geben einen wichtigen Einblick in die Theaterarbeit vor Ort und die kulturpolitische Programmatik der Bühne. (Brauneck, Manfred: Die Welt als Bühne: Geschichte des europäischen Theaters, Band II. Stuttgart u. a. 1996, S. 737 ff) Warnstedt orientiert sich am Königlichen Theater dabei sowohl an den praktischen als auch theatertheoretischen und schauspieltechnischen Erkenntnissen der Mannheimer. Davon zeugen zum einen die von ihm initiierten Protokolle, aber auch die Aufnahme bedeutender Mannheimer Dramatiker wie Iffland, Kotzebue, Schröder und Schiller in den Spielplan. 34 Zudem werden die Gagen nicht mehr wöchentliche sondern als Jahresgage berechnet, was für die Schauspieler eine größere ökonomische Sicherheit bedeutet. (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af danske Skuespil indtil vor Tid. Tredie Deel. Kjøbenhavn 1860, S. 16 f. Im Folgenden: Overskou III.) 35 Im Zuge dieser Veränderungen wird das „ Vin-Deputat “ für die Musiker abgeschafft. Wein im Wert von 1200 Rdl. steht bis dahin dem Theaterorchester zu. Hier erfolgt von nun an eine Bezahlung in Valuta. (Hansen I, S. 311) 36 Die wöchentliche Bezahlung beinhaltet unter anderem die Regelung, dass im Falle der vorübergehenden Schließung des Theaters (z. B. bei Landestrauer, Katastrophen, religiösen Feiertagen usw.) kein oder nur ein geringer Teil des Einkommens ausbezahlt wird. Die daraus entspringende ökonomische Unsicherheit der Schauspieler spiegelt sich auch in deren sozialer Stellung wider und wirkt auf das Theater als Ganzes zurück. Identitätssuche II: Ein königliches Theater für die Bürger 105 eine „ eigene “ Dramatik verfolgt somit deutlich das Ziel einer Aufwertung der Institution Theater innerhalb Kopenhagens. Eine von außerhalb des Theaters ausgehende Neuerung verleiht der Bühne in den 1770ern ein verändertes Gesicht: Nicht nur etabliert sich erstmalig eine Theaterkritik, auch die Auseinandersetzungen darüber, was auf der Bühne gespielt werden soll und was zu unterbleiben hat, verlagern sich aus den Hinterzimmern des Theaters in die Öffentlichkeit. Teilweise wird der Kampf publizistisch ausgetragen, teilweise ganz handfest während der Aufführungen selbst. Auf diese Weise ändert sich das Selbstverständnis der Zuschauer. Am augenfälligsten lässt sich dies am Beispiel der als Tronfølgefejden bekannten Auseinandersetzung um Niels Krog Bredals Singspiel Tronfølgen i Sidon (Die Thronfolge in Sidon) nachvollziehen. 37 Auslöser hierfür ist der 18-jährige Intellektuelle Peter Rosenstand-Goiskes, der mit seinem zwei Mal wöchentlich erscheinenden Dramatiske Journal 1771 die Theaterkritik in Dänemark begründet. Er orientiert sich dabei an Lessings Hamburgischer Dramaturgie, besucht das Theater jeden Abend, vergleicht Aufführungen der selben Stücke und bespricht Neuinszenierungen - dabei bewertet er nicht nur die Darsteller, sondern auch die Arbeit der Autoren und der Theaterleitung. Gerade für die Schauspieler ist diese eingehende Beobachtung und deren Veröffentlichung ungewohnt und so ist Rosenstand-Goiskes selbst häufig im Mittelpunkt der Kritik, die ihm vorwirft, zu jung und zu ungebildet zu sein sowie sprachlich ungeschliffen zu agieren. Tronfølgefejden, einer der größten (Theater-)Skandale im Kopenhagen der 1770er Jahre, entzündet sich an der scharfen Kritik Rosenstand-Goiskes an Bredals Singspiel. 38 Bredal, nicht nur als Autor sondern auch in der Funktion als Theaterdirektor, entsetzt die scharfe Kritik an seinem Werk und dessen Ausführung auf der Bühne so sehr, dass er als Antwort darauf ein Stück mit dem Titel Den dramatiske Journal eller Critik over Tronfølgen i Sidon (Das dramatische Journal oder Die Kritik an Die Thronfolge in Sidon) verfasst, das am 25. November 1771 als Nachspiel zu Tronfølgen i Sidon auf der Bühne gezeigt wird. Darin wird der Kritiker zum Mittelpunkt der Kritik, eine hämischen Abrechnung des Autors und Theaterleiters mit seinem 37 Bredals Stück ist eine Bearbeitung von Pietro Metastasios Il Re pastore und behandelt eine Episode aus dem Leben Alexander des Großen. 38 Rosenstand-Goiskes bemängelt vor allem die unglaubwürdige Handlung, die wenig gelungene Adaption des Stoffes, die geschmacklose Ausstattung und die schlechte Leistung der Schauspieler. Einzig die von Sarti komponierte Musik findet beim Kritiker Anklang. 106 Zwischen den Jahrhunderten Widersacher. Das Publikum reagiert darauf höchst unterschiedlich: Adlige, Offiziere und andere Militärs bejubeln die Aufführung und unterstützen Bredals Kurs, auf der anderen Seite des Parketts finden sich vorwiegend Studenten, die ihrem Unmut darüber Luft machen, auf welche Weise hier mit einem Rezensenten umgegangen wird. Es ist auch ein Kampf des etablierten Theaters gegen neue Strömungen und Forderungen nach Veränderung. Das daraus entstehende Handgemenge im Theatersaal setzt sich als Massenschlägerei auf den Straßen bis weit in die Nacht fort. 39 Das Theater ist für Wochen und Monate Gesprächsstoff in allen gesellschaftlichen Klassen. Auch in dieser stark verkürzten Zusammenfassung der Ereignisse kristallisieren sich wichtige Punkte des zeitgenössischen Theaterlebens heraus: Die neue Institution der Kritik wächst heran, der Prozess der Meinungsbildung über das Königliche Theater und dessen Stellung in der Gesellschaft wird von und vor einer breiteren Öffentlichkeit ausgetragen. Damit fungiert das Publikum zunehmend als wichtiger Bestandteil der Aufführung, das Parterre übernimmt in dem immer noch stark ständisch segregierten Haus eine Vormachtstellung als des Volkes Stimme, die es durch Applaus oder Pfiffe deutlich vernehmbar kenntlich macht. Diese wichtigen Tendenzen verfestigen sich währen der siebziger und achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts und prägen das Theater bis weit ins nächste Jahrhundert hinein. 40 Durch die Neuerungen auf technischer, organisatorischer und dramaturgischer Ebene verändert sich die Stellung des Theaters in der Kopenhagener Gesellschaft seit den siebziger Jahren stark. Von der bürgerlichen Volksbühne über die verschiedenen hybriden Bühnenformen wird Det kongelige Teater zum zentralen kulturellen Platz Kopenhagens. Mit der Übernahme der Bühne durch den König rückt das Haus weiter in die Mitte der Gesellschaft, es wird zum Austragungsort ästhetischer und moralischer Fragen, ein königliches Theater der Bürger. „ Ei blot til lyst “ - „ Nicht nur dem Amüsement “ : 41 Die Neue Inschrift über dem renovierten Proszenium der Bühne am Kongens Nytorv weist den Weg des Theaters in eine neue Ära. 39 Ausführlicher zu Tronfølgefejden: Kvam I, S. 144 f; Overskou II, S. 467ff; Engberg I, S. 95ff 40 Vgl. Kap. 4 41 Zum Zustandekommen dieses neuen Mottos und der Geschichte der Theaterinschriften: Neiiendam, Klaus: „ Skriften på væggen. Om prosceniumsindskrifter og deres betydning. “ In: Neiiendam, Klaus [Hrsg.]: Danske teaterhistoriske Studier. Selskabet for Dansk Teaterhistorie 2000 (b), S. 5 - 28 Identitätssuche II: Ein königliches Theater für die Bürger 107 3.4 Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne (Die Chinafahrer) Wie zu Beginn des Kapitels angedeutet, bekommen die Holberg ’ schen Judenfiguren, die weiterhin die Bühnen bespielen, in den 1790er Jahren Geschwister. Dies resultiert zum einen daraus, dass die Bemühungen der Theaterleitung, die landessprachliche Dramatik zu fördern, Früchte tragen und dänische Autoren jüdische Charaktere in ihren Dramen figurieren, zum anderen verringert sich der französische Einfluss auf das Repertoire und es wird nun auch Literatur von Cumberland, Sheridan, Kotzebue und Iffland gespielt, in der jüdische Figuren teils prominent auftreten. 42 Als einer der prägenden Autoren dieser Zeit erweist sich Peter Andreas Heiberg, dessen im Januar 1792 erstmals aufgeführte Komödie De Vonner og Vanner (Die Von und Zus) von dem einflussreichen Kritiker und Theatertheoretiker Knud Lyne Rahbek als „ die erste dänische Komödie seit Holberg “ bezeichnet wird, ein Stück „ in dem die Gebräuche und Handlungen dänisch sind, denn in den anderen bekannten [Komödien] könnten die Szenen, wenn man nur die Namen änderte, genauso gut in Hamburg, Wien oder sogar Paris spielen. “ 43 Heibergs dramatische Werke, so lässt sich aus der Aussage schließen, knüpfen an Holberg ’ sche Traditionslinien an und laufen ähnlich erfolgreich und häufig am Theater. Selbst nach seiner Verbannung aus Dänemark - wegen politisch nicht genehmer Äußerungen im Jahr 1799 - bleiben seine Komödien und Singspiele wichtiger Teil des Spielplans und ziehen unverändert das Publikum an. Zwei seiner erfolgreichsten Stücke figurieren an herausragender Stelle jüdische Charaktere: Chinafarerne, 44 Premiere am 2. März 1792 und 42 Im Repertoire finden sich unter anderem folgende Stücke: Richard Sheridan Bagtalelsens skole (The school for Scandal), Premiere am 8. Januar 1784; Richard Cumberland Jøden (The Jew), Premiere am 17. Mai 1795; August Wilhelm Iffland Embedsiver (Dienstpflicht), Premiere am 15. September 1797. 43 „ [D]en første danske Komedie siden Holbergs Dage d. v. s. en Komedie, hvor Sæderne og Handlingerne ere danske; thi i de andre, der vare ham bekjendte, kunde Scenerne, naar blot Navnene bleve forandrede, godt henlægges til Hamborg, Wien ja endog til Paris. “ (Krogh, Torben: Danske Teaterbilleder fra det 18de Aarhundrade. En teaterhistorisk Undersøgelse. København 1932, S. 155.) Verschweigen sollte man nicht, dass Rahbek und Heiberg gut miteinander befreundet sind, dieser Umstand das Urteil möglicherweise beeinflusst haben kann. 44 Teilweise findet sich auch die Schreibweise Kinafarerne. Ich folge der Orthographie der gedruckten Fassung. (Heiberg, Peter Andreas: „ Chinafarerne. Syngestykke i to Acter, 108 Zwischen den Jahrhunderten Indtoget 45 (Der Einzug), Premiere am 17. Februar 1793. Bei beiden Dramen handelt es sich um Singspiele, eine zur damaligen Zeit äußerst beliebte Gattung. Meine Analyse des Dramas Chinafarerne nimmt im Folgenden sowohl die textliche Verortung der jüdischen Figuren als auch deren Ausformung auf der Bühne im ausgehenden 18. Jahrhundert in den Blick. Die Verschränkungen unterschiedlicher Perspektiven - Text, Musik, Bühnensowie Kostümbild - ermöglicht, die Ambivalenzen in der Darstellung der Bühnenjuden bei P. A. Heiberg konturiert wahrzunehmen. 3.4.1 Chinafarerne - Gang der Handlung Kapitän Bergström kommt mit seinen Schiffen von einer langen Handelsreise aus China nach Kopenhagen zurück, wo er zum einen von seiner Geliebten Wilhelmine und zum anderen von den Juden Ascher und Ephraim erwartet wird, denen er Geld schuldet. Wilhelmine und Bergström sind ineinander verliebt, doch der Vater will seine Zustimmung zur Heirat nicht geben, da Bergström den Pfandbrief Aschers nicht einlösen kann und deshalb droht, ins Gefängnis geworfen zu werden. Bergström hat es auf seiner Reise zu erheblichem Reichtum gebracht, gibt jedoch vor, mittellos zu sein, um den Charakter Wilhelmines und ihres Vaters auf die Probe zu stellen und sich von ihrer wahrhaftigen Liebe zu überzeugen. So bahnt sich eine Katastrophe an: Ascher macht sich mit Unterstützung der Behörden auf den Weg, um Bergström festzunehmen, Vater Merian bleibt bei seiner Weigerung, der Hochzeit zuzustimmen und Wilhelmine verzweifelt, weil sie ihren Liebsten zu verlieren glaubt. In diesem Moment kommt ein weiterer Jude ins Spiel, ein Freund sowohl Bergströms als auch Merians: Moses. Er erklärt sich bereit, die Schulden Bergströms zu übernehmen und schenkt darüber hinaus Wilhelmine ein nicht unbeträchtliches Vermögen in Form von Aktien. Als Bergström hinzugerufen wird, lüftet er sein Geheimnis und macht deutlich, dass er auf die Gaben Moses ’ nicht angewiesen ist. Am Ende lösen sich so alle Verzweiflungen und Intrigen: Ascher bekommt sein Geld, Moses ist erleichtert, seine Freunde med en Mellem-Act. “ In: Heiberg, Peter Andreas: Samlede Skuespil. Anden Deel. Kjøbenhavn 1806, S. 287 - 374. Im Folgenden: Chinafarerne) 45 Heiberg, Peter Andreas: „ Indtoget. Syngestykke i to Acter. “ In: Heiberg, Peter Andreas: Samlede Skuespil. Tredie Deel. Kjøbenhavn 1806, S. 343 - 411. Im Folgenden: IN Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 109 beschenkt zu haben, Merian erfreut sich am Glück seiner Tochter und die Liebenden können der Hochzeit entgegenfiebern. 3.4.2 Von der Größe der Welt - Moderne Juden Schon im Titel des Singspiels fällt auf: Die Welt ist größer geworden. Es sind nicht mehr wie bei Holberg jütländische Bauern oder deutsche Soldaten, die als Fremde nach Kopenhagen kommen und deren Heimat als (weit) entfernt wahrgenommen wird. Die Kopenhagener segeln bis nach China - nicht als Entdecker sondern als Kaufleute. Der Überseehandel wird als lohnender Wirtschaftszweig dargestellt und die dänische Hauptstadt als internationaler Umschlagplatz. Und mitten drin, wie könnte es anders sein, die Juden. Heiberg eröffnet sein Stück am Hafen, wo der Chor aufs Meer hinausschaut. Die erste Szenenanweisung lautet: Skuepladsen forestiller Kjøbenhavns Toldbod; man seer en Mængde Jøder med Kikkerter at see need til Helsingøer og vente paa Chinafarerens Ankomst. Man seer ogsaa af og til andre Folk, som ere beskjeftigede paa Toldboden. 46 Die Bühne zeigt Kopenhagens Zollamt; man sieht eine Menge Juden, die mit Fernrohren Richtung Helsingør blicken und auf die Ankunft der Chinafahrer warten. Man sieht auch andere Menschen, die im Zollamt arbeiten. Das Drama beginnt also mit einem starken Bild: Sobald sich der Vorhang hebt, bestimmt die Diskrepanz zwischen den als aktiv handelnd wahrgenommenen Christen und den als wartend und damit passiv beschriebenen Juden die Szenerie. Die darauf folgende musikalische Eröffnungsnummer der jüdischen Händler scheint diesen Eindruck zu verstärken und weitet zugleich den Blick über die Grenzen der Hauptstadt hinaus: Leve Reverser und Botmerie, Den Asiatische Companie, Och vi, och vi! Verlierer man tidt, Har man bisweilen doch lidt Profit, Profit! Leve Reverser und Botmerie, 46 Chinafarerne, S. 289 110 Zwischen den Jahrhunderten Den Asiatische Companie, Och vi, och vi! 47 Ein Hoch auf Zinsen und Verträge, die Asiatische Kompanie und auf uns, auf uns! Verliert man Zeit, bleibt einem bisweilen nur wenig Profit, Profit! Ein Hoch auf Zinsen und Verträge, die Asiatische Kompanie und auf uns, auf uns! Die Welt der Komödie hat sich vergrößert, nicht mehr der nächstgelegene Marktplatz ist das Zentrum des Handels, für die guten Geschäfte mit Asien stellen ein paar Meere dazwischen keine Hindernisse mehr dar. Gleich zu Anfang macht Heiberg deutlich, dass in seiner Stückewelt die Juden besonders von dieser Expansion und der Erweiterung der Handlungsarenen profitieren. Wo bei Holberg die Juden in der Hoffnung auf ein kleines Geschäft mit den Nachbarn als Einzelgänger und Bittsteller über die Bühne und durch die Stücke huschen, steht hier nun ein großer Chor auf der Bühne, die Fernrohre in den Himmel gestreckt und harrt der Ankunft der Schiffe. Deren Besatzung hat sich verschuldet auf die Reise begeben und nun soll die Rendite eingefahren werden. Aus der Gruppe der Juden treten im ersten Gesang zwei Figuren prominent heraus: Ascher und Ephraim. Beide zeigen sich im Besitz wichtiger Papiere, die ihnen beträchtliche Gewinne an den Erlösen der Companie sichern und die sie mit aller Macht gewillt sind einzutreiben. Sie drohen mit Prozessen, Bestechung von Richtern sowie Beamten und schließlich mit Gefängnis. 48 Im Verlauf des Gesprächs wird deutlich, dass beide die Seefahrer nicht nur mit Bargeld sondern auch mit einer Vielzahl unterschiedlicher Waren versorgt haben, bevor diese in See gestochen sind, darunter Lebensmittel, 47 Chinafarerne, S. 289 48 „ Ephraim: Schnart de maae komme,/ Har de ei Geld in deres Lomme,/ Schlæbe vi in dem i Schlutterie./ . . . / Ascher: Processer schal feres,/ Richterne schmeeres,/ Dispacher opgieres,/ Hwat du da faaer zumlezt, du schal see. “ (Chinafarerne, S. 290) / / „ Ephraim: Bald werden sie kommen, / Haben sie dann kein Geld in ihren Taschen,/ werfen wir sie in den Schuldturm. / . . . / Ascher: Dann werden Prozesse geführt,/ Richter geschmiert,/ mit Handelskommissaren Kasse gemacht,/ Was Dir dann noch bleibt, wirst du sehen. “ Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 111 Wein und Luxusgüter. Ein Artikel wird besonders hervorgehoben, den ich als zentrale Metapher begreife: das Herbarium. Ephraim erklärt Ascher, was es damit auf sich hat: O, det er en alt for herlig Stikke! Det er, miseel! en Samling af alle de Græs und Gevæxter, som voxes paa den hele Jord. Dem bruger Chineserne at male efter paa Theetasser. / . . . / Troe mich Bruder! det er en kostbar Schatz, nær den kommer vel til China. 49 Oh, das ist ein herrliches Stück! Das ist, bei meiner Seele, eine Sammlung aller Gräser und Pflanzen, die auf der ganzen Erde wachsen. Die Chinesen benutzen sie, um danach ihre Teetassen zu bemalen. / . . . / Glaub mir, Bruder, das ist ein kostbarer Schatz, wenn er erst einmal heil in China angekommen ist. Die ganze Welt findet sich hier in einem Buch, das auf Reisen geschickt wird: Das Herbarium steht für eine neue Form des Handels und beleuchtet so Mechanismen des Wirtschaftskreislaufes im ausgehenden 18. Jahrhundert. Wissen wird exportiert, um im Ausland - hier in China - in ein Produkt transformiert und mit Gewinn reimportiert zu werden. Das Herbarium in sich hat keinen eigentlichen ökonomischen Wert, vielmehr bekommt es diesen erst im Prozess der zielgerichteten Umwandlung. Die jüdischen Charaktere werden dabei als Initiatoren dieses Prozesses figuriert, der geistiges Kapital in Valuta umwandelt. Der Handel der Bühnenjuden beschränkt sich in Chinafarerne nicht mehr wie noch bei Holberg ausschließlich auf den Verleih von Geld und Kleidung, Heibergs Juden zeichnen sich vielmehr als Motor einer neuen globalen Wirtschaftsordnung aus, deren Güteraustausch komplexen Regeln folgt. Wie ich im Folgenden zeigen werde, verstehe ich das Herbarium zudem auch als Sinnbild der erheblichen Erweiterung des Spektrums an Judenfiguren, denn sowohl in Chinafarerne als auch in Indtoget öffnen sich neue Facetten der jüdisch-dänischen Theaterlandschaft. In Heibergs Herbarium Judaicum finden sich auch weiterhin die Holberg ’ schen Juden, aber der Blick weitet sich, die Welt wird größer und die Spielweise der jüdischen Charaktere erfährt eine Differenzierung und Auffächerung. In dem Maße, in dem die Welt sich vergrößert, werden die jüdischen Figuren bei Heiberg ein bestimmender Teil von ihr, sie fungieren als Träger und Motoren einer sich etablierenden (Vor-)Moderne. Dies lässt sich auf 49 Chinafarerne, S. 293 112 Zwischen den Jahrhunderten vielfältige Weise nachvollziehen - zunächst anhand der Objekte, die sie umgeben und mit denen sie Handel treiben: Mit Fernrohren blickt der Chor der Juden aufs Meer hinaus. Sicherlich ist das Fernrohr kein an sich moderner Gegenstand, die Wissenschaftler sehen seit dem Mittelalter damit in die Sterne, erklären die Welt mal rund, mal als Scheibe. In Chinafarerne dienen sowohl die offensichtliche Alltäglichkeit dieses Produkts, sein Auftreten in großer Stückzahl als auch die Richtung des Blickes als Träger eines modernen Kontextes. Das Fernrohr stellt kein exklusives, der Wissenschaft vorbehaltenes Instrument mehr dar, es richtet stattdessen in großer Zahl den Blick aufs Meer, den Schiffen und damit einem ökonomischen Ziel entgegen. Die Himmel sind längst erforscht und leer. Auch die Waren, mit denen die jüdischen Charaktere handeln, mit denen sie die Schiffe vor ihrer Abfahrt beladen haben, lassen sich als modern qualifizieren: Ephraim erwähnt neben Lebensmitteln vor allem eine silberne Uhr, gerahmte Landschaftsbilder, Porträts dänischer Königinnen und Könige und schließlich jenes bezeichnende Herbarium. Auch hier erzeugt der Kreislauf, in den die Objekte gesetzt werden den modern konnotierten Zusammenhang in einem weit stärkeren Maß als diese selbst. In der neueren skandinavistischen Literaturwissenschaft gibt es in den letzten Jahren vermehrt Tendenzen, die Anfänge der Moderne in der skandinavischen Literatur bei H. C. Andersen zu verorten. 50 Ich möchte hinzufügen, dass mit Heibergs Singspiel die Moderne zumindest einen Vorläufer hat. Sicherlich nicht wie bei Andersen in der poetischen Form - das Singspiel ist doch ein klassisches Genre des ausgehenden 18. Jahrhunderts 51 - aber die Figuren werden in modernen (ökonomischen) Strukturen verortet: Die einsetzende Massenproduktion, die Kapitalisierung von Wissen und der Mangel an Zeit ziehen sich thematisch durch das gesamte Stück. Auch auf individueller Ebene wird die Anziehungskraft von als modern wahrgenommenen Dingen hervorgehoben: Tee, Seidentücher und Nankin aus China erfreuen sich großer Beliebtheit. All diese Mechanismen und Gegenstände sind in Chinafarerne zuvorderst jüdisch kon- 50 Besonders hervorzuheben ist hier der von Klaus Müller-Wille herausgegebende Sammelband Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne, der diesen Denkansatz nicht nur aus vielfältigen Blickwinkeln beleuchtet, sondern zudem auch einen hervorragenden Forschungsüberblick gewährt. (Müller-Wille, Klaus [Hrsg.]: Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne. Tübingen und Basel 2009) 51 Siehe dazu: Krogh, Torben: Zur Geschichte des dänischen Singspiels im 18. Jahrhundert. Berlin 1923 Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 113 notiert beziehungsweise durch Handlungsprozesse jüdischer Charaktere wirkmächtig. Das Theater bringt mit Heibergs Singspiel eine detaillierte Schilderung des zeitgenössischen bürgerlichen Lebens einer heterogenen, (vor-)modernen Großstadt auf die Bühne: Es wimmelt von unterschiedlichen Nationalitäten, Ständen und Berufen; Kopenhagen fungiert als Drehscheibe des internationalen Handels. Das Geschehen spielt mitten am Hafen, auf den Straßen, in den Kneipen. Dieses Setting spiegelt sich in Thomas Bruuns Bühnenbild wider (Abb. 3), das ästhetisch die moderne und bürgerliche Ausrichtung des Heiberg ’ schen Singspiels manifestiert. 52 Besondern augenfällig stellt sich dies im so genannten Zwischen-Akt dar, der revueartig in den zweiten Teil überleitet. Heiberg ergänzt seine Milieuschilderung des Hafens darin durch den Schauplatz der berühmt berüchtigten Kneipe Brokkens Bod. 53 Diese Art von Zwischenspiel, eigent- 52 Chinafarerne stellt hinsichtlich des Handlungsortes und damit auch des Bühnenbildes eine wahrnehmbare Weiterentwicklung der bekannten Formen dar. Die im Theatermuseum enthaltenen Entwürfe zeugen davon, mit welcher Genauigkeit Bruun sich an einer wirklichkeitsgetreuen Darstellung des Hafenmilieus versucht hat. Das letztlich angewendete Prospekt blickt aus Richtung Amaliengade auf den Hafen (Krogh 1932, S. 149 ff ). Die Aufzeichnungen im Theaterarchiv verraten darüber hinaus, dass ergänzend dazu Statisten auf der Bühne eingesetzt werden, die an den Häuserecken Aufstellung nehmen, um so das Bild lebendiger und damit glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Die detaillierten Notizen gehen soweit, dass im Regiprotokol explizit festgehalten ist, dass der vordere Wachtposten möglichst ein kleiner Mann zu sein habe. Die Vermutung liegt nahe, dass er ansonsten die perspektivisch angeordneten Kulissen überragt hätte (Neiiendam, Klaus: „ Drømmen om Cathay. Kina som inspiration for europæisk teater og særlig dansk teater i 1700og 1800-tallet. “ In: Neiiendam, Klaus [Hrsg.]: Danske teaterhistoriske Studier. Selskabet for Dansk Teaterhistorie 2000 (a), S. 143 - 193, hier: S. 172). 53 Brokkens Bod, benannt nach seinem ersten Besitzer Jens Brock, ist eine der ältesten und zur damaligen Zeit bekanntesten Kneipen Kopenhagens. Sie zeichnet sich zum einen durch ihre Lage direkt am Hafen und zum anderen durch niedrige Preise aus. Gerade für Matrosen führte der erste Weg nach ihrer Ankunft meist direkt dorthin: „ [D]et var en almindelig kendt Sag, at man i Brokkens Bod kunde faa de største Snapse til billigste Pris. / . . . / Det var saare naturligt, at Matroserne fra en hjemkommen Kinafarer søgte ind i Brokkens Bod. “ (Krogh 1932, S. 152) / / „ [E]s war allgemein bekannt, dass man in Brokkens Bod die größten Schnäpse zum kleinsten Preis bekam. / . . . / Es war also nur natürlich, dass die Matrosen eines heimgekehrten Chinaseglers sich dorthin begaben. “ Als Bühnendekor wird für die Kneipe eine aus anderen Stücken bekannte Stube verwendet, offenbar in der Annahme, dass die Zuschauer das Innere der Wirtsstube gut genug kennen. Scheinbar um 1830 werden Veränderungen am Bühnenbild vorgenommen. Aus dem Maskinmesterplan geht hervor, dass beispielsweise in die Wirtshaus-Dekoration eine echte Tür eingebaut wird. (Krogh 1932, S. 150) 114 Zwischen den Jahrhunderten lich eine Domäne der Oper, dient bei Heiberg erstmals als Möglichkeit, zeit- und stimmungsraubende Umbaupausen in einem Singspiel kontextualisiert zu überbrücken. 54 Die Szenenanweisung für das Intermezzo ist äußerst kurz gehalten, gibt jedoch die Richtung und Intention wieder: Skuepladsen forestiller en Stue i Brokkens Boed. Dands med Pantomime af Chinafarer, der forære deres Kjerester Silketørklæder og andre chinesiske Vahre. Jøder, som kjøbe og tuske adskillige Snurrepiberier. Nogle som spiller Kort, andre som drikker o. s. v. 55 Die Bühne zeigt eine Wirtsstube in Brokkens Bod. Tanz und Pantomimen der Chinafahrer, die ihre Liebsten mit Seidentüchern und anderen chinesischen Abb. 3: Thomas Bruuns Prospekt für Chinafarerne blickt aus Richtung der Amaliengade auf den Kopenhagener Hafen. 54 Julius Friedrich hat gezeigt, dass Heibergs Chinafarerne das erste Singspiel ist, das sich an diesem Genre versucht. (Friedrich, Julius: Claus Schall als dramatischer Komponist. Ein Beitrag zur Geschichte des dänischen Singspiels und Balletts um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts. Wanne-Eickel 1930, S. 51) 55 Chinafarerne, S. 328 Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 115 Waren beschenken. Juden, die verschiedene Kuriositäten kaufen und verschachern. Einige spielen Karten, andere trinken usw. Die Quellen zeigen, dass Heibergs Vorstellungen hinsichtlich des Zwischenspiels auf vielfältige Weise entsprochen wird. Das im Theaterarchiv erhaltene Regiprotokol, 56 in dem neben Informationen zur personellen Ausgestaltung der einzelnen Stücke auch wichtige Requisiten und Kostümanweisungen aufgeführt sind, sieht hier für die Bühne viele verschiedene Nationalcharaktere und eine breite Mischung verschiedener Berufe samt charakteristischer (Arbeits - )Kleidung vor: englische, spanische, holländische und russische Matrosen, eine deutsche und eine russische Magd, darüber hinaus sechs der heimgekommenen Schifffahrer (natürlich in Nankin-Hosen), drei dänische Matrosen, vier Matrosenfrauen, drei Dienstmädchen, ein Jude und ein Tischlersowie ein Schuhmachergeselle. 57 Das große personelle Aufgebot, die musikalische Ausgestaltung und die choreographische Umsetzung erfreuen sich beim Publikum einiger Beliebtheit und so beschreibt Thomas Overskou in seiner Theatergeschichte gerade diesen Teil als gefeiertes Spektakel: En af Galeotti fortræffeligt arrangeret Mellemact, der især bestod af forskjellige Nationaldandse og opl œ stes i en meget moersom Forvirring ved et Klammerie imellem Matroserne och deres Baldamer, som alle ville dandse paa eengang, passede herligt ind i dette livlige Genrestykke, der vandt meget levende Bifald og fik stærkt Tilløb. 58 Ein von Galeotti vortrefflich arrangiertes Zwischenspiel, das zuvorderst aus verschiedenen Nationaltänzen bestand und durch die sehr vergnügliche Verwirrung infolge eines Streits zwischen den Matrosen und ihren Balldamen, die alle gleichzeitig tanzen wollten, aufgelöst wurde, passte herrlich hinein in dieses Genrestück, das lebendigen Beifall und regen Zuspruch erhielt. Sowohl die internationale Zusammensetzung der Gäste des Wirtshauses als auch die exotischen Waren, welche die Händler aus China mitgebracht haben (siehe Abb. 4), 59 stehen für die Moderne. Die alte, bekannte 56 Regiprotokol 1784, Det Kongelige Teaters Arkiv og Bibliotek, KTB 57 Regiprotokol 1784, KTB 58 Overskou III, S. 490 59 Auf der Bühne wird dies vor allem durch den Diener Just ausgedrückt, der laut Regiprotokol seine Geliebte Birgitte mit Geschenken überhäuft: „ [E]t Par Silke-Tör- 116 Zwischen den Jahrhunderten Abb. 4: Die von Jens Juel gefertigte Abbildung der Szene unterstreicht die Wichtigkeit der „ chinesischen Requisiten “ in Heibergs Singspiel. Wie zu dieser Zeit üblich, handelt es sich nicht um eine genaue Wiedergabe der Bühnenhandlung, gewisse Ausschmückungen und Variationen gehören dazu, aber deutlich sind die im Regiprotokol aufgeführten Objekte zu sehen. Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 117 Kopenhagener Welt dagegen spielt Karten und trinkt. Die jüdischen Figuren bewegen sich als aktive Teilnehmer zwischen beiden Sphären, (ver-)kaufen, tauschen und treiben Handel. Brokkens Bod fungiert für sie als ein Zwischenort, im Foucault ’ schen Verständnis als eine Heterotopie, 60 die wenn auch nicht Heimat, so doch Raum bietet. Wie weit weg scheinen da plötzlich Holbergs Einzelgänger, die als Geldverleiher meist an der Existenzgrenze ihr Auskommen finden müssen. Hier steht ein ganzer Chor von Juden und besingt die eigene Geschicklichkeit, nimmt Teil am Leben der Stadt, prägt den Handel sowie das Geldwesen und wirkt als treibende Kraft des Fortschritts. Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die jüdischen Figuren in der Stadt beziehungsweise im Stück bewegen und diese(s) prägen, erreicht damit eine andere Qualität. 3.4.3 Der feine Unterschied - Juden und Juden Die Anfangsszene, die so eindrucksvoll mit dem Chor der Juden beginnt, endet mitten in einem Gespräch zwischen Ascher und Wilhelmine. Die abrupte Unterbrechung ist dem Zeitdruck geschuldet, unter dem die jüdische Figur zu stehen scheint. Mit einem Blick auf seine Taschenuhr (! ) ermahnt Ascher seinen Kompagnon Ephraim: „ Ephraim! Wir müssen zur Börse. Die Uhr schlägt zwölf. Komm, lass uns gehen. (ruft laut) Zur Börse! Zur Börse! “ 61 Darauf stimmen „ alle Juden “ ein: „ Zur Börse! Zur Börse! “ 62 Die Bühne leert sich und Wilhelmine bleibt allein zurück. Kurz darauf kommt ihre Freundin Birgitte, um ihr Gesellschaft zu leisten. Beide warten auf das Wiedersehen mit ihren Geliebten, denn auch Birgittes Verlobter Just ist mit dem Schiff nach Kopenhagen zurückgekehrt. Mit Birgitte kommt, wenn auch nicht in persona, der nächste Jude auf die klæder, hvori er 3 Stykker Nankin, et lidet Skriin hvori 12 Silke-Törklæder / . . . / , en Tekasse med 5 Pd. The, en chinesisk Mand og Kone, som rokke med Hovedet, samt en Mand, der stöder Kaalbötter. “ (Regiprotokol 1784, KTB) / / „ Ein paar Seidentücher, von denen drei Stücke Nankin sind, ein kleiner Schrein, in dem 12 Seidentücher, / . . . / eine Teetasse mit fünf Pfund Tee, ein chinesischer Mann und eine chinesische Frau, die mit dem Kopf wackeln, sowie ein Mann, der Kohlkübel stößt. “ 60 Ich verwende Heterotopie hier in einem Foucault ’ schen Verständnis als Zwischenraum, in dem Normabweichungen als gesellschaftlich legitimiert verstanden werden. (Foucault, Michel: „ Andere Räume. “ In: Barck, Karlheinz u. a. [Hrsg.]: Aisthesis. Wahrnehmungen heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig 1990, S. 34 - 46) 61 „ Ephraim! Vi maae paa Beersen. Klokken er tolv. Kom ladt os gaae. (raaber høit.) Paa Beersen! paa Beersen! “ (Chinafarerne, S. 295) 62 „ Alle Jøderne: Paa Beersen, paa Beersen! “ (Chinafarerne, S. 295) 118 Zwischen den Jahrhunderten Bühne, der dritte Mann sozusagen. Er ist das bestimmende Gesprächsthema zwischen den beiden Frauen. Zunächst erscheint er als weitere Abwandlung von Ascher und Ephraim, Birgitte spricht von ihm als „ dem alten Junggesellen mit Spitzbart “ , 63 der - und das ist die erste größere Überraschung - als potenzieller Bräutigam ins Gespräch gebracht wird. Natürlich wird diese Option als Gefahr beschrieben, denn Wilhelmine ist schließlich in Bergström verliebt, aber allein die Befürchtung, der Vater könnte sie mit dem Juden verheiraten wollen, zeigt, dass es mit dem (noch nicht anwesenden) „ neuen “ Juden eine besondere Bewandtnis zu haben scheint. Wilhelmine ergreift zudem deutlich Partei für ihn, sie besteht darauf, ihn bei seinem Namen zu nennen - Moses - und charakterisiert ihn als ehrenwerten und gerechten Mann, der vielen anderen als Vorbild dienen könne: Kan han ikke være en brav Mand fordi han er en Jøde? Kanskee du skulde have ondt ved at pille flere brave Folk ud i en af Byens Kirker, end i Synagogen. / . . . / Hvor man finder en retskaffen Mand, der maae man holde paa ham, enten han saa troer det vi troer, eller ikke. Og at Moses er en retskaffen Mand, det er jeg overbeviist om. 64 Kann er nicht ein braver Mann sein, obwohl er Jude ist? Gut möglich, dass es Dir schwer würde, mehr brave Leute in einer der Kirchen der Stadt zu finden als in der Synagoge. / . . . / Wo man einen rechtschaffenen Mann findet, soll man zu ihm halten, egal ob er dasselbe glaubt wie wir oder nicht. Und dass Moses ein rechtschaffener Mensch ist, davon bin ich überzeugt. Birgitte schließt sich schnell dieser Meinung an, erklärt, dass sie oft gehört habe, wie Moses bei Wilhelmines Vater für die Tochter gesprochen habe, damit sie eben nicht verheiratet werde, was Birgitte so glücklich gestimmt habe, dass sie „ den Juden am liebsten geküsst hätte, trotz seinen langen Spitz..rrrr.., ach jetzt fang ich wieder damit an. “ 65 So stehen plötzlich zwei junge Frauen auf der Bühne und schwärmen von einem Juden, den wir nicht kennen, den wir nicht gesehen haben, von dem wir nur wissen, dass er wohl zu den Guten gerechnet werden muss. Wilhelmines aufgeklärte 63 „ den gamle Pebersvend med Bukkeskjæget “ (Chinafarerne, S. 298) 64 Chinafarerne, S. 299 65 „ [S]aa er jeg blevet saa glad, at jeg gjerne har kunnet kysse Jøden, uagtet hans lange Buk.. rrr. . . nær havde jeg sagt det ord igjen. “ (Chinafarerne, S. 299) Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 119 Haltung und religiöse Toleranz - gute Menschen gibt es überall, unabhängig von ihrem Glaubensbekenntnis - überrascht in ihrer Deutlichkeit und ist in dieser Form auf der dänischen Bühne ein Novum. Ebenso die als überdeutlich wahrgenommene Kontrastierung mit den in der Anfangsszene agierenden Juden Ascher und Ephraim. Die Art und Weise, wie die Figur dieses Juden eingeführt wird, muss als Aufwertung verstanden werden: Moses kommt nicht selbst auf die Bühne, das dauert noch einen ganzen Akt, es sind zwei junge Frauen, die das Publikum auf ihn einstimmen, die für ihn werben, die ihn verorten und ihn sogar küssen würden. Natürlich hat er einen Bart, ein Bühnenjude bleibt schließlich ein Bühnenjude, aber was macht das bisschen Bart schon gegen eine edle Gesinnung! Der erste Akt birgt somit nicht nur eine größer gewordene Welt, Heiberg zeigt darüber hinaus, dass diese Vergrößerung den jüdischen Figuren ein breiteres Spektrum bietet. Aber Heiberg erfindet seine Judenfiguren keineswegs aus dem Nichts, vielmehr schreibt er sie deutlich in das traditionelle Rollenfach ein: Wie bei Holberg handelt es sich um Männer mittleren Alters, 66 die ihr Geld durch Verleih und Handel beziehungsweise an der Börse verdienen. Hinzu kommt, dass nicht nur die Sondersprache prominent eingesetzt ist, sondern dass die jüdische Figuren nahezu jeden ihrer Sätze mit einer eigenen idiomatischen Kennung versehen: Ascher benutzt nahezu ununterbrochen die Formulierung „ vær en evig! “ - allein in der ersten Szene des ersten Aktes acht Mal; 67 Ephraim wird durch die Verwendung des Idioms „ miseel! “ gekennzeichnet, das sich in der ersten Szene sechs Mal findet. Darüber hinaus zeigt sich, dass das als Geldgier wahrgenommene Beharren Aschers auf Einlösung des Pfandbriefes und sein Vorhaben, den Kapitän notfalls einsperren zu lassen, dem Glück des jungen Liebespaares im Wege stehen. Viele der von Holberg bekannten Charakteristika werden somit übernommen, teils wird auf seine Komödien direkt angespielt - beispielsweise wenn der Diener Just seiner Birgitte erklärt, Kapitän Berg- 66 Allerdings fällt in Chinafarerne auf, dass die Juden keine Einzelgängerfiguren mehr sind - nicht nur eröffnet das Stück mit einem Chor von Juden, auch ist zumindest Ascher verheiratet und hat Kinder: „ Jeg har stoer Familie, und er, wahrhaftig ikke riig; aber den Moses, han er en riig Mand, und har, vær en evig! hverken Kone eller Bern. “ (Chinafarerne, S. 363 f) / / „ Ich habe eine große Familie und bin wahrhaftig nicht reich; aber Moses, der ist ein reicher Mann und hat weder Frau noch Kind. “ 67 Teilweise benutzt Ascher die Formulierung sogar mehrfach innerhalb einer Replik: „ Ja sa! aber han har, vær en evig! ogsaa faaet de reene contante Penge. Du har leveert Vahre, der falder, vær en evig! meere af ved den Handel, Bruder! “ (Chinafarerne, S. 292) 120 Zwischen den Jahrhunderten ström stecke in seinen Kleidern, „ falls nicht der Jude Ascher sagt, dass es seine Sachen sind. “ 68 Die Schlussszene aus Ulysses von Ithacia drängt sich hier als Parallele geradezu auf, 69 und das Publikum wird diese Anspielung verstanden haben, ist doch Holberg mit seinen Schauspielen auf der Bühne in Kopenhagen überaus präsent. Heiberg schreibt sein Singspiel in diese Holberg ’ sche Tradition ein, aber er erweitert das Rollenfach deutlich. Denn auch wenn wir Moses in persona im ersten Akt noch nicht gesehen haben, deutet sich doch auf prominente Weise die Einführung einer anders gelagerten Judenfigur an. Die Spannung der Handlung ergibt sich nicht nur aus der Ungewissheit, ob Bergström seine Schulden beim Juden Ascher wird bezahlen können. Die Spannungskurve leitet auch auf die Ankunft Moses ’ hin. Wer ist dieser Jude, der als Freund bezeichnet wird, den die Frauen schätzen und der in der neuen, größeren (Bühnen-)Welt eine Sonderstellung einzunehmen scheint? Mit Beginn des zweiten Aktes betritt Moses endlich die Bühne. Die Unterschiede zwischen den jüdischen Charakteren in Heibergs Chinafarerne werden spätestens hier evident. Wilhelmines Vater Merian und Moses hegen offensichtlich einen äußerst freundschaftlichen Umgang miteinander. Sie sitzen beieinander auf dem Balkon, trinken Bier und rauchen ihre Pfeifen: Ein Gespräch unter Männern. Die Szene macht deutlich, dass beide häufiger Zeit zusammen verbringen und Moses dabei aus Sicht des Zuschauers einen positiven Einfluss auf Merian ausübt. Seine Selbstlosigkeit wird dadurch unterstrichen, dass er den Vater davon abhält, Wilhelmine gegen ihren Willen mit einem wohlhabenden Mann zu vermählen. Er verteidigt dabei das Liebesglück zwischen Wilhelmine und Bergström nicht nur durch Worte, sondern ist später auch bereit, ihre Schulden zu bezahlen und macht ihnen ein großzügiges Hochzeitsgeschenk. Dass er dabei selbst eine gute Partie für Wilhelmine abgäbe und sie äußerst anziehend findet, wird dem Zuschauer bereits impliziert, wenn Birgitte eingangs befürchtet, Wilhelmine könnte mit Moses verheiratet werden. Und spätestens wenn Moses Wilhemine bittet, für ihn zu singen, 70 dämmert es nicht ungewollt, dass der edle Jude einer solchen Verbindung selbst nicht abgeneigt wäre und er mehr als nur den Gesang zu schätzen weiß. 68 „ Ja, ifald ikke Jøden Ascher siger, at der er hans Klæder. “ (Chinafarerne, S. 326) 69 Vgl. Kap. 2.2.1 70 „ O ja Junfer! jeg herer Dem alt for gjerne singe. “ (Chinafarerne, S. 332) / / „ Oh ja, Jungfer! Ich höre Sie allzu gerne singen. “ Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 121 Dem Vater geht es zuvorderst darum, seiner Tochter eine ökonomisch sichere Zukunft zu gewährleisten. Und diese sichere Zukunft ist gefährdet - durch einen anderen Juden, nämlich Ascher. Moses steht das Bild des Schacherjuden Ascher konträr gegenüber. Ein Jude ist bei Heiberg also nicht immer gleich ein Jude, die Linie zwischen Gegner und Freund ist keine offensichtliche: Es gibt gute und schlechte Juden, genau wie es gute und schlechte Christen gibt. Moses ’ Sonderstellung wird auch dadurch hervorgehoben, dass er sich nicht opportunistisch gegen Ascher wendet oder diesen verurteilt, er gibt sich als Vermittler zwischen den Welten: „ Ja, ja! So genau kenn ich Ascher nicht, er kann ein redlicher Mann sein, das ist möglich. Aber freilich weiß ich, dass er hart sein kann und einen Menschen für zehn Reichstaler in den Schuldturm wirft. “ 71 Die Figur des edlen Juden erweitert das Figurenspektrum, das Herbarium Judaicum auf der Bühne auffallend. Moses gehört einem gewissen Teil der Mehrheitsgesellschaft an und genießt ein hohes Ansehen, ganz explizit wird er als Merians Vertrauter tituliert 72 und auch Bergström bezeichnet ihn als „ meinen rechtschaffenden Freund “ . 73 Zu den anderen Juden hingegen hat er kaum Verbindungen, weder Ascher noch Ephraim sind sonderlich gut auf ihn zu sprechen, vielmehr bezeichnen sie ihn als „ Renegat “ , 74 als einen, der sich weigert mitzumachen und mitzuspielen. Eine Absage, die auf religiöser, kultureller und ökonomischer Ebene erfolgt. Auf bezeichnende Weise schwebt Moses zwischen den Sphären und lässt sich dadurch in keiner genauer verorten. Als assimilierter Jude kann er an der bürgerlichdänischen Gesellschaft teilhaben, gleichzeitig ist der Preis für diese partielle Partizipation der Verzicht auf soziale Teilhabe innerhalb der jüdischen Minorität. Darüber hinaus versichert sich die dänische Gesellschaft an Moses ihrer eigenen Kompetenz: Die Hilfe, die Moses Bergström anbietet, damit dieser schließlich Wilhelmine heiraten kann, erweist sich als nicht notwendig. Bergström hat das Geld längst beieinander, denn letztlich wissen sich die dänischen Bürger immer noch selbst zu helfen. Moses ’ Reaktion darauf - „ Was für ein Unglück, dann habe ich ja nichts Gutes 71 „ Ja ja! jeg kjender ikke den Ascher so neie, han kan være en redlich Mand, det er mueligt. Aber freilich veet jeg, at han er haard, und kan schlenge mig en Mand i Schlutteriet for ti Rigsdaler. “ (Chinafarerne, S. 330) 72 Im Personenverzeichnis wird er wie folgt eingeführt: „ Moses, en Jøde, Merians Ven. “ (Chinafarerne, S. 288) / / „ Moses, ein Jude, Merians Freund. “ 73 „ [M]in retskafne ven! “ (Chinafarerne, S. 333) 74 Chinafarerne, S. 294 122 Zwischen den Jahrhunderten getan. “ 75 - verdeutlicht, dass Bergström ihm damit einen Teil seiner Existenzberechtigung entzieht. Hier wird offensichtlich, welche Rolle Besitz und die Verwendung desselben für Moses ’ Selbstverständnis und seinen Platz im bürgerlichen Kosmos spielen. Seinen Reichtum verdankt er - und hier erfährt die Handlung eine erneute Wendung - einem Christen. Moses berichtet, dass er als Kind von Bergström vor dem Gefängnis gerettet wurde, dass dieser seine kleinen Ersparnisse opferte, um Moses ’ Schulden zu begleichen. Hier wird der Jude in ein weiteres (narratives) Modell eingeschrieben, denn seine Ehrenhaftigkeit verdankt er im Grunde der noch edleren Tat eines Christen, die ihm ein späteres Leben in Reichtum überhaupt erst ermöglicht hat. 76 So wird das christliche Handeln Bergströms letztlich als Auslöser für die Figuration des edlen Jude zugrunde gelegt. Und Bergströms Großmut kennt keine Grenzen: Er akzeptiert schlussendlich Moses ’ Hochzeitsgaben, in gewisser Hinsicht „ schuldet “ der Jude ihm ja das Geld, und lässt ihn auf diese Weise seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe entrichten. So ist Chinafarerne nicht nur eine Erzählung darüber, dass es gute und weniger gute Juden gibt, gleichzeitig spiegelt das Stück dem Publikum, wie anständig Bergström handelt, wenn er Moses ’ Teilhabe überhaupt erst ermöglicht. Die fortschreitende Integration Moses ’ und das sich daraus ergebende Integrationsgefälle zwischen ihm und den anderen Juden wird am Ende der Komödie dadurch hervorgehoben, dass er an der Hochzeit von Bergström und Wilhelmine teilnehmen und sogar mit den anderen essen will. Naa, ja . . . af allt schpiser jeg vel ikke, og hvat jeg ikke maae schpise, der lader jeg passere forbie. / . . . / So en Rigorist er jeg ikke, at jeg skulde troe, at vor Herre bliver vreed, fordi jeg schpiser med die Christen, eller wenn jeg gaaer med Pidsk i Haaret, und uden Skjeg. 77 Nun ja, von allem werde ich wohl nicht probieren, aber was ich nicht essen mag, lasse ich einfach passieren. / . . . / So ein Rigorist bin ich nicht, der glaubt, unser Herr würde zornig, weil ich mit den Christen speise oder einen Zopf im Haar trage oder ohne Bart gehe. 75 „ Det er en Ulikke for mig, saa har jeg jo intet godt gjort. “ (Chinafarerne, S. 365) 76 Ähnliche Narrative findet sich beispielsweise in Lessings Nathan der Weise und Cumberlands Der Jude. 77 Chinafarerne, S. 369 Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 123 Moses scheint bereit, sich der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen - erkennbar an der Perücke beziehungsweise dem Zopf sowie dem fehlenden Bart. Die meisten Zuschauer dürften Heibergs Anspielung auf Konfliktlinien innerhalb der jüdischen Gemeinde Kopenhagens verstanden haben. Die Auseinandersetzungen um den Grad der Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft eskalieren 1787, als vornehmlich junge Gemeindemitglieder sich weigern, die traditionelle jüdische Kleidung zu tragen, zudem in der Synagoge rasiert sowie mit Perücke nach dänischer Manier erscheinen und daraufhin von der Segnung ausgeschlossen werden. 78 Dass dieses Vorkommnis weit über die jüdische Gemeinde hinaus ihr Echo in der Hauptstadt findet, zeigen unter anderem Rosenstand-Goiskes Aufzeichnungen. 79 Moses ’ Verortung innerhalb dieser Konfliktlinien unterstreicht, als wie weit fortgeschritten sich seine Akkulturation darstellt. Akkulturation versteht Heiberg dabei vor allem als Anpassung an bürgerliches Brauchtum und Kultur. Dies gipfelt im entscheidenden Kuss, einer Art Segnung durch Wilhelmine, die als Aufnahmeritual in die Gesellschaft verstanden werden kann: Wir küssen Dänen, keine Juden. 78 Ausführlicher dazu: Blüdnikow, Bent: Sladder og Satire. Københavnerliv i 1780 ’ erne. København 1988, S. 97ff 79 In Rosenstand-Goiskes Efterretniger liest sich die Auseinandersetzung wie folgt: „ Det er bekiendt nok, at Jøderne her i Staden, især de Unge, friserer Haaret paa en Maade, som ligner de Christnes, og enten binder det eller fæstner det bag udi skikkelse af en Marelok (pisk). Nogle af Jødernes ældste have anset dette for et farligt Kietterie og have giort Anmærkninger derom, men forgieves, thi det er vanskeligt at forandre en Hovedsag. Man troede da paa engang at afskiære denne farlige Slange ved Rabbinernes Hielp, og denne læste i Synagogen Velsignelsen over alle dem som inge Marelok havde. Jøden Wallich reiste sig derpaa og læste Velsignelsen over alle dem, som bærer Marelok. “ (Rosenstand-Goiskes, Peder: Kritiske Efterretninger om den Kgl. danske Skueplads, dens Forandringer efter 1773 og dens Tilstand, med Bedømmelse over Skuespillere og Dandsere af begge Køn. Udg. med Fortale og Anmærknmger af C[hr.] Molbech. København 1839) / / „ Es ist bekannt, dass die Juden hier in der Stadt, vor allem die jüngeren, das Haar ähnlich wie die Christen frisieren und es entweder gebunden oder nach hinten in einem Zopf tragen. Einige der Ältesten der jüdischen Gemeinde sahen dies als gefährliche Ketzerei an und wiesen darauf hin, aber vergeblich, denn es ist schwer, so eine wichtige Sache zu verändern. Man glaubte dann mit Hilfe der Rabbiner diese gefährliche Schlange loszuwerden, und so lasen diese den Segen in der Synagoge nur für jene, die keinen Zopf trugen. Daraufhin erhob sich der Jude Wallich und segnete alle, die einen Zopf trugen. “ 124 Zwischen den Jahrhunderten W ILHELMINE : O! hvor jeg kunde kysse den Mand. M OSES : Tør De vel kisse en Jede? Jungfer! W ILHELMINE : Og det spørger De om? og det en Mand som De! (kysser ham.) Naar herefter nogen taler ilde om en Jøde, saa vil jeg erindre Dem, og tænke: Der er dog brave Mænd i alle Religioner. 80 W ILHELMINE : Oh, ich könnte diesen Mann küssen! M OSES : Trauten Sie sich, einen Juden zu küssen? Jungfer! W ILHELMINE : Das fragen Sie? Ein Mann wie Sie! (küsst ihn) Sollte noch einmal jemand schlecht über Juden reden, so will ich mich an Sie erinnern und denken: Brave Menschen gibt es doch in allen Religionen. Während (tabuisierte) Küsse noch durch die Luft schwirren, lässt Heiberg seine Protagonisten zum Ende des Dramas gemeinsam Hochzeit (und Abendmahl) feiern, Moses scheint angekommen. Im Glückstaumel stellt sich die Frage, an welche Bedingungen seine Teilhabe geknüpft ist. 3.4.4 Dabeisein ist alles? - Vom Preis der Teilhabe Die Erweiterung des Herbarium Judaicum in Heibergs Singspiel durch den edlen Juden Moses lässt deutliche Parallelen zu Lessings Bühnenstück Nathan der Weise erkennen. 1779 erschienen, kann man mit großer Gewissheit davon ausgehen, dass Heiberg Lessings dramatisches Gedicht gut gekannt hat, auch wenn es auf dem Königlichen Theater nicht gespielt wird. 81 Nathan als auch Moses formen in ihrer Funktion als edle Juden eine 80 Chinafarerne, S. 369 f 81 Nathan der Weise wird am 27. März 1815 und am 28. Februar 1816 in Kopenhagen nur als Lesung einzelner Szenen im Rahmen so genannter Benefice-Vorstellungen aufgeführt. K. L. Rahbek fertigt schon früh Übersetzungen einzelner Teile an, die er fortlaufend in der Zeitschriften Den danske Tilskuer veröffentlicht: Den danske Tilskuer No 52, Julii 1795 (En Scene af Nathan den vise, oversat til Prøve, K. R.); Den danske Tilskuer No 44, Junii 1796 (Scenen med Tempelherren og Patriarchen i Lessings Nathan, oversat ved K. R.); Den danske Tilskuer No 62 og 63, Augusti 1799 (Fire Scener af Lessings Nathan des Vise, som en Prøve af den udkomne Oversættelse. K. L.Rahbek). Im April 1840 werden einige Szenen der Neuübersetzung von Henrik Hertz im Rahmen einer Nachmittagsveranstaltung von Mad. Nielsen auf die Bühne gebracht. Dass Nathan aber schon früh als Inbegriff des edlen Juden auch in Dänemark gilt, erschließt sich beispielsweise aus folgendem Artikel: Jøden, som ikke hedder Nathan (Minerva for December Maaned 1790). Dabei handelt es sich um eine Erzählung über einen Juden, der eine arme Witwe Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 125 wichtige und bis dahin ungewöhnliche Spielart des Rollenfachs aus. 82 Wenn auch die Handlungsstränge unterschiedliche Ausprägungen aufweisen, sind doch, so meine These, erstaunliche Parallelen erkennbar, die es ermöglichen, Schwierigkeiten und Begrenzungen literarisch-bürgerlicher Emanzipationsbestrebungen und -narrative in den Blick zu nehmen. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer hat die Brüchigkeit der Nathanfigur aufgezeigt und damit die vorwiegend positiven Wertungen dieses Dramas in der Forschung ergänzt. 83 Mit Blick auf die Verbindungslinien zwischen beiden Theaterstücken erscheint mir eine Lesart von Chinafarerne unter Berücksichtigung der Mayer ’ schen Analyse vielversprechend. Dabei geht es vor allem darum, herauszufinden, wie im ausgehenden 18. Jahrhundert die Fragen nach Voraussetzungen und Bedingungen jüdischer Emanzipation auf dem Theater verhandelt werden. Zunächst tritt augenfällig hervor, dass Moses ’ Akkulturation ihrer Form und Bestimmung nach eine Individualemanzipation ist. Heiberg zeichnet weniger das Bild eines emanzipierten Juden, als vielmehr das eines emanzipierten Individuums. Chinafarerne weist nicht den Weg der jüdischen Gemeinschaft in die Mitte der Gesellschaft, vielmehr zeichnet es den Weg eines Einzelnen nach. Moses ’ Verortung in dieser bürgerlichen Gesellschaft beruht auf spezifischen Umständen und er erfüllt, wie oben ausgeführt, die Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Emanzipation. Wie Nathan ist er vermögend und nur mittels dieses Vermögens kann er seinen Edelmut unter Beweis stellen, denn anders als die übrigen jüdischen Figuren nutzt er den Reichtum nicht für sich, sondern um (in der Mehrheitsgesellschaft) Gutes zu tun. Dass dies den Außenseiterstatus Moses ’ nur zu einem gewissen Grad aufheben kann, scheint immer wieder durch. Denn Moses ist kein willentlicher Außenseiter, sondern vielmehr das, was Mayer als existentiellen Außenseiter bezeichnet - er hat keine andere Wahl. 84 Daher kann seine Emanzipation nur individuell und partiell erfolgen; bei aller Anerkennung durch seine bürgerlichen Freunde bleibt Moses ein Vereinzelter. Wie Nathan darf er bis zum Ende auf der Bühne stehen, ja sogar im abschließenden Vaudeville mitsingen - in betrügt und dies damit rechtfertigt, dass er sonst seine eigene Familie nicht hätte ernähren können. 82 Zu nennen wäre an dieser Stelle auch Cumberlands Figur Shewa aus dem Schauspiel Der Jude. (Vgl. Kap. 8) 83 Mayer, Hans: Außenseiter. Frankfurt am Main 1975. Insbesondere verweise ich auf das Kapitel Der Weise Nathan und der Räuber Spiegelberg (S. 327 - 349). 84 Mayer 1975, S. 13ff 126 Zwischen den Jahrhunderten welchem er aber wiederum seinen Außenseiterstatus thematisiert und damit zementiert. 85 Wie Nathan bleibt er allein, am Ende ist er mit niemandem verwandt, weder mit der bürgerlichen noch mit der jüdischen Welt und so wohnt seinen Bestrebungen nach Teilhabe schon immer eine Vergeblichkeit inne. Zudem fällt auf, dass Moses als Figur weitgehend eine Abstraktion ist und seine Lebenswirklichkeit nahezu ausgeblendet wird. Die wichtigsten Informationen über ihn liefern Wilhelmine und Birgitte im ersten Akt, im zweiten Akt tritt Moses ausnahmslos als Wohltäter in Erscheinung. Wir wissen nicht, womit er sein Geld verdient, wie er nach Kopenhagen gekommen ist oder was er tut, wenn er nicht gerade seine Freunde vor anderen Juden rettet. Als fast ausnahmslos Beobachtender und Beratender handelt er kaum, liebt er nicht und lässt sich mit der Welt nur im „ vernünftigen Räsonieren “ 86 ein. Einzig die Kindheitserzählung - Bergström kauft Moses mit seinen kleinen Ersparnissen aus dem Gefängnis frei - verortet ihn in einer wie auch immer gearteten „ Lebensrealität “ und erinnert in ihrer Funktion auffallend an Nathans Pogromschilderung. 87 Darüber hinaus versteht Heiberg seinen Moses - und das ist eine weitere Parallele zu Lessings Bühnenstück und gleichzeitig ein Bruch mit der Holberg ’ schen Traditionslinie - vor allem der Religion nach als Juden: Wilhelmine weist eingangs darauf hin, dass es gute Menschen in allen Glaubensbekenntnissen gibt, Moses bisherige Abwesenheit bei Festen wird mit dem nicht koscheren Essen begründet und seine finale Ankündigung, an der Hochzeit teilzunehmen (trotz des Essens! ), quittiert Bergström mit: „ Bravo! Bravo! Es wäre doch jammerschade, wenn unterschiedliche Glaubensansichten einen Keil zwischen rechtschaffene Leute treiben 85 „ Och schlaaer man mich met serschildt Schtempel,/ und sætter mich som Dids Exempel,/ Fordie jeg er en ehrlich Mand,/ So schladdrer man. “ (Chinafarerne, S. 372 f) / / „ Aber will man mich abstempeln,/ an mir ein Exempel statuieren,/ weil ich ein ehrlicher Mann bin./ Sag ich: Alles nur Gerede! “ 86 Neubauer, Hans-Joachim: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994, S. 83 87 Nathan beschreibt im siebten Aufzug des vierten Akts, wie er seine Familie verlor, kurz bevor er Recha adoptierte: „ Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun./ Ihr wisst wohl aber nicht, dass wenige Tage/ Zuvor, in Gath die Christen alle Juden/ Mit Weib und Kind ermordet hatten; wisst/ Wohl nicht, dass unter diesen meine Frau/ Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich/ Befunden, die in meines Bruders Hause,/ Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt/ Verbrennen müssen. “ (Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen. Stuttgart 2000, S. 119 f) Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 127 könnten. “ 88 So wird die bürgerliche Vermählung zur gelebten Ringparabel. Die Fokussierung auf das Jüdische als zuvorderst religiöses Element nimmt das gewünschte Ergebnis einer aufgeklärten Emanzipation quasi vorweg: Moses ist nur noch der Religion nach ein Jude und diese wird in Bezug auf die Teilhabe am bürgerlich-gesellschaftlichen Leben sowohl von ihm als auch von den anderen als wenig relevant gekennzeichnet. Moses ’ exponierte Stellung und seine positive Zeichnung stellen ein Novum auf der dänischen Bühne dar und erweitern damit das jüdische Rollenfach. Gleichzeitig zeigt Heiberg in seinem Singspiel aber auch die Brüchigkeit von Emanzipationsbestrebungen und stellt Bedingungen für gesellschaftliche Teilhabe, die individuell (zumindest teilweise) erfüllbar scheinen, aber weder umsonst noch allgemeingültig sind. Moses scheint den Preis bezahlen zu wollen. Und zu können. 3.4.5 Wie es hallt und schallt - Singende Juden Heibergs Singspiel feiert große Erfolge, was der dänische Theaterhistoriker Klaus Neiiendam damit begründet, dass es sich um ein gelungenes „ Gesamtkunstwerk “ 89 handele. Auch wenn ich mit diesem Begriff vorsichtiger umgehen möchte, weist er doch in eine wichtige Richtung. Neben der kurzweiligen Handlung und den sprachwitzigen Dialogen kommt dem Zusammenspiel zwischen Vicenzo Galeottis szenischen Arrangements, dem sehr naturalistisch anmutenden Dekor von Thomas Bruun und Claus Schalls Vertonung eine entscheidende Rolle für den anhaltenden Erfolg des Stücks zu. Schalls Musik - so meine These - übernimmt dabei eine wichtige Funktion in der vielfältigen Darstellung jüdischer Figuren auf der Bühne. 90 Der Chor der Juden zu Beginn des Stückes unterstreicht zunächst die eingangs gemachten Beobachtungen einer negativen Zeichnung: Auf Grund des geringen Tonumfangs des Chorstückes und der starken, aber gleichbleibenden Rhythmisierung lässt sich die Eröffnung als Sprechgesang kennzeichnen. Der Sechsachteltakt der Partie unterstreicht den vorantreibenden Charakter, die Orchestrierung ist sparsam gewählt, so dass die Vokalpartie in den Vordergrund rückt. Die mehrstimmigen Chorsätze, die zudem Schlüsselbegriffe wie „ Profit “ oder „ Schlutterie “ 88 „ Bravo, Bravo! Det er dog evig Skade, at forskjellige Meeninger skal kunde gjøre Skilsmisse imellem retskafne Mennesker. “ (Chinafarerne, S. 369) 89 Neiiendam 2000 (a), S. 172 90 Die Partitur von Chinafarerne ist in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen erhalten. (Schall, Claus: Chinafarerne (Repetiteur Parti). [RISM DKKk mu7408.0936]) 128 Zwischen den Jahrhunderten immer wiederholen, etablieren eine unterschwellig bedrohliche Stimmung, die dem eigentlich freudigen Ereignis - die Rückkehr der Schiffe von einer langen und gefahrvollen Reise - entgegensteht und den Ton für die verwickelte Handlung setzt. Aber die musikalische Zeichnung bleibt uneindeutig: Der Chor am Beginn des ersten Aktes trägt dazu bei, die jüdischen Händler im Hafen durch negative Konnotationen als Bedrohung zu zeichnen. Nicht nur der Text, der den Profit über alles stellt und die ankommenden Schiffsleute mit Gefängnis bedroht, noch ehe sie einen Fuß an Land gesetzt haben, sondern auch die musikalische Umsetzung bricht in die Idylle des naturalistisch wiedergegeben Hafenmilieus ein und verheißt den Ankommenden schwere Zeiten. Gleichzeitig amüsiert das musikalische Zwiegespräch zwischen Ascher und Ephraim, das vom Chor gerahmt wird, mit seinem Plapper-Parlando in Buffomanier das Publikum, verleitet gerade auch wegen des Gebrauchs der typischen Sondersprache zum Lachen und kontrastiert auf diese Weise die chorische Partie, auf die es mit chromatischen Aufgängen immer wieder hinleitet. Ich möchte nicht so weit gehen, dies als positive Darstellung zu interpretieren, aber der populäre, vom Publikum geliebte Buffo verleiht der Chorpartie eine Leichtigkeit, die dem Text nicht innewohnt und unterstreicht auf diese Weise die Ambivalenzen in der Zeichnung der jüdischen Figuren. Eindeutiger komponiert Schall den edlen Moses am Beginn des zweiten Aktes. Zunächst fällt auf, dass er nicht allein singt, sondern mit seinen Freunden. Das mit Allegro expressivo überschriebene Quartett verzeichnet Moses musikalisch als Teilhaber an der Mehrheitsgesellschaft. In dieser Szene (II, 4) versuchen Bergström, Wilhelmine und auch Moses Merian davon zu überzeugen, seine Zustimmung zur Hochzeit zu geben. In der Vertonung der Szene wird deutlich, dass hier Merian die Außenseiterposition einnimmt: Zunächst erzählt Wilhelmine von ihrem Liebesschmerz; schwungvoll und sehr melodiös hat Schall diese Stimme geschrieben. Auch Bergströms Part hält er ähnlich. Der folgende Refrain ist in einem dreistimmigen Satz komponiert, den Wilhelmine, Bergström und Moses gemeinsam singen: „ Kann unser Gebet/ unser Weinen dich nicht bewegen? “ 91 Der lebhafte Charakter der Musik ändert sich hier: Lange, gehaltene Noten, ein sehr geringer Tonumfang, dazu der Einsatz des gesamten Orchesters und die Laustärkenangabe fortissimo verleihen diesem Teil einen hymnischen Charakter. Moses fungiert dabei als essentieller Bestandteil, denn der gewaltige Dreiklang braucht eben nicht nur die 91 „ Kan vor Bøn dem/ vor Graad dig ei bevæge? “ (Chinafarerne, S. 341) Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 129 Stimmen der beiden Liebenden, um seinen appellativen Ausdruck zu entfalten. Auch die fugatisch ineinander verschränkten Einwürfe, mit denen Moses und Bergström den verstockten Vater überzeugen (oder gar übertönen? ) wollen, sind auf den Juden als wichtiges Instrument angewiesen. Diese Figur wiederholt sich zum Ende der Gesangspartie, wobei abschließend auch Wilhelmine mit einstimmt. Deutlich wird, dass der Dreiklang zwischen den Liebenden und Moses gegen Merian steht, musikalisch gesehen die Außenseiterposition nicht jüdisch konnotiert ist, vielmehr Moses hier auf der „ richtigen “ Seite steht. Ergänzt wird dieses Bild durch das Vaudeville am Ende von Chinafarerne. Nun, nachdem alle Verwicklungen gelöst sind und die Hochzeit naht, reüssieren die Helden im großen Finale - wohlgemerkt werden Ascher und Ephraim nicht dazu gebeten - und fassen die Moral der Handlung und ihre eigenen Erkenntnisse zusammen. Moses ’ Position wird nicht nur durch seine Anwesenheit auf der Bühne und seine textliche Verortung, sondern auch durch die Komposition zementiert. Deren strophische Anordnung und Melodieführung, die jeweils durch kurze Einsätze des Chores unterstützt wird, zeigt sich für alle Figuren gleich. Und so singen nacheinander Merian, Wilhelmine, Bergström und Moses dieselben Noten - musikalisch unterscheidet sie also nichts mehr voneinander. Aber nicht nur Moses darf (mit-)singen. Im zweiten Akt hat Ascher einen musikalisch großen Auftritt. In der zwölften Szene trifft er auf Wilhelmine und deren beste Freundin Birgitte. Ascher erscheint hier erneut als geldgieriger Schacherjude, gleichzeitig zeichnet Heiberg ihn als grausam und nahezu sadistisch. Mit wachsender Begeisterung enthüllt er Wilhelmine die bevorstehende Verhaftung ihres Geliebten, berichtet ihr, dass die mitgebrachten Soldaten sich auf seine Kosten im Wirtshaus betrinken und Bergström dies bei seiner Verhaftung zu spüren bekommen werde. Ihre Tränen quittiert er mit der ironischen Aussage, dass der Geliebte im Gefängnis sicher keine Not zu leiden habe. Und so singt er: Man kan i Slutteriet leve, Saa herligt og saa godt, Som nogen Junker eller Greve, Paa noget andet Slot. Til ingen Ting man der kan trænge, Naar man har Penge. Og naar man er med Stedet lidt bekjendt, 130 Zwischen den Jahrhunderten Man lever excellent. Det er den største Feil, jeg veed om Slutterie. At man er ikke der aldeles frie. 92 Im Schuldturm kann man leben, so herrlich und so gut. Wie ein Junker oder Graf Auf irgendeinem Schloss. Nur wenn man Geld hat, kann man zu nichts gedrängt werden. Und ist man mit dem Ort nicht bekannt: man lebt dort exzellent. Das ist der größte Fehler, den ich kenn: Zu glauben, im Schuldturm wäre man nicht völlig frei. Die musikalische Zeichnung Aschers steht in dieser Szene der textlichen entgegen und verursacht auf diese Weise Ambivalenzen in der Wahrnehmung der Figur. Sein Lied bildet einen der musikalischen Höhepunkte des Abends. Die Nummer ist einfach gehalten, die vier Strophen haben dieselbe Melodie und auch die Orchestrierung - so geht es zumindest aus der Partitur hervor - ändert sich nicht. Der eingängige Gesang, der unkomplizierte Rhythmus und die Wiederholungen der jeweils letzten beiden Zeilen in jeder Strophe führen dazu, dass der Wiedererkennungswert ungemein hoch ist. In die Mitte jedes Abschnitts setzt der Komponist zudem eine Fermate, ein Ruhezeichen, das dem jeweils zweiten Teil einen neuen Start und somit zusätzlich Schwung verleiht. Das „ Schuldturmlied “ ist ein Schlager aus der Heiberg-Zeit, der die Aufführungen weit überlebt. 93 Dass nun gerade Ascher diese beliebte Komposition singen darf, verändert meiner Ansicht nach die Figur. Ein Lied, das eine solch große Popularität auszeichnet, auf das die Zuschauer in jeder Aufführung warten, führt dazu, dass dem Sänger große Sympathien entgegengebracht werden. Ascher ist nicht mehr nur der geizige Jude, den das Unglück der armen Wilhelmine kalt lässt. Er bringt den Saal 92 Chinafarerne, S. 359 93 „ Schalls livlige og melodieuse Musik bar de forskjellige Stemninger kraftigt oppe og / . . . / mange af de enkelte Sange / . . . / fortsatte deres Liv langt ned gjennem Tiderne, f. Ex. / . . . / Aschers Vise Man kan i Slutteriet leve. “ (Hansen I, S. 502) / / „ Schalls lebendige und melodiöse Musik unterstützte die unterschiedlichen Stimmungen auf beste Weise und / . . . / viele der einfachen Lieder / . . . / lebten lange weiter, so z. B. / . . . / Ascher Schuldturmlied. “ Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 131 zum Kochen und wird dafür vom Publikum geliebt - sein Lied ist eines zum Mitmachen, zum Mit-Nachhause-Nehmen. Und wenn wir singen, was der Jude singt - auch wenn Heiberg nicht unerwähnt lässt, dass dieser es geklaut habe 94 - wird er ein Teil von uns. Wer singt oder gesungen wird, der bleibt. Dass nun die jüdischen Figuren - alle! - ihre Stimmen erheben, ihr Gesang kräftig durch das Theater schallt, bedeutet somit auch eine wichtige Verschiebung der körperlichen Einschreibungen und damit der Ausgestaltung des Rollenfachs. Die „ jüdische Stimme “ schwächelt sich - zumindest in den Gesangspartien - nicht mehr in Holberg ’ scher Manier von „ Ach waj mir, ach waj mir! “ zu „ Au, au, au, min kostbare Juvel “ . 95 Sie wird lauter, stärker und damit wahrnehmbarer. Musikalisch sind die jüdischen Figuren in Chinafarerne längst in der Gesellschaft angekommen. Moses fungiert als konstituierender Teil des mehrstimmigen Gesangs (zusammen mit Wilhelmine und Bergström), seine Position im Drama wird durch Schalls Vertonung weiter hervorgehoben. Ascher bringt mit einem überaus erfolgreichen „ Schlager “ das Publikum in Wallung, was seine Rolle auf überraschende Weise auffächert und ergänzt. Das Herbarium atmet, es singt und erscheint lebendiger und bunter als zuvor. 3.4.6 Coats of many colours - Harlekins Immerwiederkehr? Diese Buntheit spiegelt sich auch in der äußeren Erscheinung der jüdischen Charaktere wider, die sich äußerst farbenfroh gekleidet auf der Bühne präsentieren. Aus dem Regiprotokol lässt sich entnehmen, dass Moses einen violetten Rock trägt, Ascher einen braunen und Ephraim einen hellblauen. Für die Schauspieler, welche die jüdischen Charaktere geben, sind Perücke und Bart obligatorisch, obwohl entscheidende Unterschiede gemacht werden: Moses ’ Bart ist kurz (! ), Ephraim trägt neben der Perücke einen Hut und darüber hinaus einen roten Bart. 96 So ist das oben beschriebene Integrationsgefälle auch hinsichtlich der äußeren Erscheinung der Figuren erkennbar: Je 94 „ Har de ikke heert den Vise, der er gjort om Schlutteriet? Den har en af Dereses Folk gjort; for voreses Folk kan ikke rime. “ (Chinafarerne, S. 359) / / „ Kennen Sie nicht das Lied über den Schuldturm? Das hat einer von Ihren Leuten gemacht, denn unsere können nicht dichten. “ 95 Vgl. Kap. 2.3 96 „ Moses: Violet klædes Kiole, sort Embs (? ) Underklæning, sorte Strömper, rund Paryk, et kort Skiæg./ Ascher: Bruun klædes Kiole, sorte Byxer, Paryk og Skiæg./ Ephraim: Lyseblaae klædes Klædning, sorte Strömper, Hat, Paryk og rödt Skiæg. “ (Regiprotokol 1784, KTB) 132 Zwischen den Jahrhunderten länger und röter der Bart - rote Haare waren bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts das typisch jüdisch konnotierte Zeichen 97 - desto weniger Teilhabe. In Bezug auf Bärte und Perücken fehlen die Angaben, wenn es um den Chor aus der Anfangsszene geht, jedoch hält das Regiprotokol eine interessante Anweisung hinsichtlich der Kostüme bereit: „ Chor: alle als Juden in verschiedenen bürgerlichen Trachten “ . 98 Der Chor der Juden, so bedrohlich das Eröffnungslied auch wirken mag, feiert auf der Bühne eben keine schwarze Messe in dunklen Kaftanen, vielmehr stellt er sich als ein recht bunter Haufen dar. Dies unterstreicht die Deutung, dass die jüdische Minderheit in Chinafarerne in gewisser Weise als eine angekommene Gruppe verstanden werden kann, die in ihrem Äußeren den Gepflogenheiten und Sitten der Hauptstadt entspricht oder entsprechen will und so auf der Bühne eine teilweise bürgerliche Verortung erfährt. Gerade im Hinblick auf die Ausgestaltung der Holberg-Juden, die traditionell zuvor- 97 Rote Haare als ein typisches Zeichen jüdischer Bühnenfiguren sind ein gesamteuropäisches Phänomen. Höfele verortet diese Tradition in den Judas-Darstellungen der mittelalterlichen Spiele. (Höfele, Andreas: „ Judengestalten im englischen Theater (1700 - 1900). “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 115 - 128, hier: S. 116) Die Darstellungsweise der Stage Jews in England beleuchtet u. a. Elmar Goerden (Goerden, Elmar: „ Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte des Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts. “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 129 - 163), der vor allem Shylock als Prototypen und dessen Darstellung durch Macklin in den Fokus rückt und an Keans Neuinterpretation der Rolle ab 1814 am Drury Lane Theatre - erstmals ohne die traditionelle rote Perücke - die Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdeutlicht. (Dazu auch: Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Harlekinade in jüdischen Kleidern? Der szenische Status der Judenrollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. “ In: Horch, Hans Otto; Denkler, Horst [Hrsg.]: Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Zweiter Teil. Tübingen 1989, S. 92 - 17, hier: S. 113) Für Schweden hat die Bedeutung der roten Perücke (und deren Fehlen) Willmar Sauter nachgewiesen (Sauter, Willmar: „ Svensk-judisk teaterhistorik. “ In: Bornstein, Idy [Hrsg.]: Nya judiska perspektiv. Essäer tillägnade Idy Bornstein. Stockholm 1993, S. 201 - 233, hier: S. 207) und auch in Dänemark erfreut sich diese Tradition sogar außerhalb des Theaters großer Beliebtheit. Michel Levin, bekannt durch seine langjährigen Auftritte in Dyrehaven unter dem Pseudonym Jøden under Træet, trug stets eine feuerrote Perücke, nach seinem Tod 1835 fanden sich fünf dieser Haarteile in seinem Nachlass (Nystrøm, Eiler: Offentlige Forlystelser i Frederik den Sjettes Tid. Kildeforlystelser i Dyrehaven m. m. København 1913, S. 90 ff) 98 „ Chorister. Alle som Jøder i forskiellige borgerlige Dragter “ (Regiprotokol 1784, KTB) Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 133 derst in schwarz oder braun auftreten, 99 fällt dies umso mehr ins Gewicht. Auf diese Weise erfährt die semiotische Homogenität der Holberg ’ schen Juden hier auch eine optische Auffächerung. Dabei spielen sicher auch die technischen Möglichkeiten des Theaters zu dieser Zeit eine wichtige Rolle. Nimmt man diese genauer in den Blick, zeigt sich, dass farbenfrohe Kostüme eine wichtige Voraussetzung darstellen, um auf der Bühne besser wahrgenommen zu werden. Die Beleuchtung im Theater erweist sich als sehr bescheiden, sie besteht zuvorderst aus Talglampen an der Rampe und in den Seitenkulissen. Niels Friis konstatiert, dass die Schauspieler nur gut gesehen werden können, wenn sie sich direkt an der Rampe bewegen. 100 Dass eine farbenfrohe Kostümwahl sich dabei zusätzlich hilfreich ausnimmt, versteht sich von selbst. Aber auch die größer gewordene Kopenhagener Welt, die Position der Juden als Mittler zwischen den Sphären und ihre moderne Verortung als globale Händler lassen sie bunter auftreten als zuvor. Ihre textliche Sichtbarmachung findet ihre Entsprechung in einer neuen performativen Auffälligkeit. Es mag aus heutiger Sicht zunächst überraschend anmuten, die jüdischen Figuren so bunt angezogen zu wissen, verortet in der zeitgenössischen Theaterpraxis und der prominenteren Funktion der Juden in Chinafarerne dient die Neu-Kostümierung meiner Ansicht nach zunächst als Aufwertung. Darüber hinaus scheint es möglich, in der neue Buntheit der Heiberg ’ schen Juden auch eine clowneske, möglicherweise gar lächerliche Zeichnung der Charaktere zu lesen. Man stelle sich nur die Szene vor, wenn Moses, Ascher und Ephraim in violett, braun und hellblau zusammen auf der Bühne stehen, bärtig, mit Perücke und in der typischen Sondersprache über - natürlich! - Geld reden. Drei Harlekine, die schimmernd mitspielen, unterschiedliche Funktionen übernehmen und die Ambivalenzen ihrer Charaktere auch mit Hilfe ihrer Kleidung nach außen tragen. Heibergs Herbarium Judaicum offeriert auf diese Weise sowohl im Text als auch auf der Bühne eine Erweiterung der bis dato bekannten jüdischen Charaktere: Im Holberg ’ schen Atem erzählte Schacherjuden, die aber inzwischen ein konstitutiver Bestandteil der (vor-)modernen Großstadt geworden sind, deren Welt nicht in Amager oder Jütland endet, sondern die ihre Waren über die Meere schicken und als Motor einer sich globalisierenden Wirtschaft dienen. Ergänzt werden diese in sich bereits 99 Vgl. Kap. 2.2 100 Friis 1943, S. 142 134 Zwischen den Jahrhunderten komplexen Figurationen durch den edlen Juden Moses. In Anlehnung an Lessings Nathan fungiert er als Gegenentwurf zu den bekannten jüdischen Charakteren, gleichzeitig wird jedoch klar, dass seine gesellschaftliche Teilhabe an Bedingungen geknüpft ist und dass Gleichberechtigung und Akkulturation von Heiberg vor allem als Aufgehen des Individuums in die bürgerliche Gesellschaft postuliert werden. Die Umsetzung auf der Bühne lotet Grenzüberschreitungen und die Brüchigkeit der analysierten Figuren weiter aus. Ästhetisch verortet die Aufführung ihre Juden in einer - ich bin geneigt zu sagen - interkulturellen Großstadt. Nicht der bürgerliche Salon dient als Handlungsort, sondern vielmehr der Hafen und das dazugehörige Wirtshaus, in dem Seeleute und Händler aus verschiedenen Nationen aufeinandertreffen. Die jüdischen Figuren sind nicht mehr die einzigen Anderen oder Fremden. Hingegen wird vor dem Hintergrund des Hafens auf ihre, wenn auch individuell unterschiedlich ausgeprägte, Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft fokussiert. Dass die Juden sich nicht integrieren lassen woll(t)en, wie Carl Lexow in seiner Analyse von Chinafarerne schreibt 101 (wobei nicht ganz klar wird, ob es ihm um die „ echten “ oder die Bühnenjuden geht), erscheint in dieser Lesart wenig einleuchtend. Ebensowenig macht sich Heiberg über seine Juden lustig, sie sind keine Narren oder Bittsteller - vielmehr fungieren sie als Wegbereiter und Symbole einer internationalen Großstadt. Ihre Mehrdeutigkeiten und Ambivalenzen unterstreichen, dass sich eine vielschichtigere und brüchigere Erzählung auf dem Königlichen Theater zugetragen haben muss. Chinafarerne birgt auf diese Weise ein wirkliches Herbarium jüdischer Figuren, verwurzelt im Holberg ’ schen Rollenfach, aber mit Blüten, die dem dänischen Theater bis dahin unbekannt sind. 101 „ I vår tid kan vi selvfølgelig diskutere det anstendige i å henge ut jødene på denne måten, men for folk flest den gang var dette virkeligheten. Derfor synger jødene nedenfor om prokuratorer (advokater) og slutteriet (gjeldsfengslet) i samme strofe. Mange var ambivalente til pengutlånere, å havne i deres klør var ingen spøk. Jødene lot seg heller ikke integrere i samfunnet, de holdt på sine særegne skikker, tro og religiøse påbud. “ (Lexow 2010, S. 197) / / „ Heutzutage können wir selbstverständlich darüber diskutieren, ob es anständig ist, Juden auf diese Weise darzustellen, aber für die meisten sah die Wirklichkeit damals so aus. Viele waren den Geldverleihern gegenüber skeptisch, in deren Fängen zu landen, war kein Vergnügen. Die Juden ließen sich auch nicht in die Gesellschaft integrieren, sie hielten an ihren besonderen Bräuchen, ihrem Glauben und religiösen Geboten fest. “ Herbarium Judaicum - Peter Andreas Heibergs Chinafarerne 135 3.5 P. S.: Heiberg vs. Heiberg - Wenn der Vater mit dem Sohne . . . P. A. Heibergs zweites Singspiel, das jüdische Figuren auf die Bühne bringt und sein Herbarium bereichert, spielt auf dem flachen Land, weit außerhalb der Tore des modernen Kopenhagens. In Indtoget folgen die Zuschauer einer Dorfgemeinschaft auf Sjælland, die in Erwartung eines reichen marokkanischen Prinzen ihre Gemeinde auf den Kopf stellt, um dem besonderen Gast einen angemessenen Empfang zu bereiten. Angetrieben vom örtlichen Musiklehrer Bræger, der sich durch den adligen Besucher eine Beförderung und Anstellung als Hofmusiker in Kopenhagen erhofft, bereiten sich die Bewohner singend auf dessen Ankunft vor: Der Chor muss aufmarschieren und neue Lieder einstudieren, während andere Bewohner die Stadt schmücken und illuminieren. Brægers schöne und tugendhafte Tochter Marianne unterstützt ihren Vater, obschon sie an dessen Ambitionen zweifelt. Ihr glühender Verehrer Johan, dessen gesangliches Talent hörbare Grenzen hat und dem der Vater daher die Zustimmung zur Hochzeit verweigert, sinnt auf einen Plan, die Geliebte dennoch zu ehelichen. Da kommt ihm die Ankunft des armen Juden Salomon gerade recht - er bittet ihn, ein wenig „ Komödie zu spielen “ 102 und sich als Prinz auszugeben. Die Zustimmung ist ihm gewiss. Der Jude reüssiert als marokkanischer Adliger, die Dorfgemeinschaft huldigt ihm und singt und Johan steht kurz davor, seine Marianne zu bekommen. Aber schließlich wird Salomon doch enttarnt, Marianne heiratet lieber einen anständigen Studenten und Bræger bleibt frohen Mutes in seinem Dorf. Währenddessen ist der „ echte “ Prinz ungesehen durch das Dorf gefahren. Auch dieses Werk Heibergs läuft erfolgreich am Theater, seinen großen Durchbruch erlebt der Stoff aber erst gut 30 Jahre später in einer Bearbeitung: Unter dem Titel Kong Salomon og Jørgen Hattemager (König Salomon und Jürgen Hutmacher) bringt kein geringerer als Heibergs Sohn Johan Ludvig den bekannten Plot in einer Neufassung auf die königlichen Bretter und das theaterbesessene Publikum zum Überkochen. In seinem Vaudeville zeigt Johan Ludvig Heiberg nicht nur einen Juden in der Hauptrolle und eine neue Theaterform am Kongens Nytorv, sondern holt auf besondere Weise auch seinen immer noch verbannten Vater nach Kopenhagen zurück. Anhand der Ausformung und Rezeption der beiden verkleideten Juden lässt sich auf besondere Art die Transformation des 102 „ Kan Du spille Comedie Salomon? “ (IN, S. 375) 136 Zwischen den Jahrhunderten Theaters in eine nationale Institution nachvollziehen. Vater und Sohn bilden so eine dramatische Klammer zwischen den Jahrhunderten, die auf bezeichnende Weise Veränderungen und Konstanten in der Ausgestaltung des jüdischen Rollenfachs deutlich macht. Ihr Einzug in Thalias Tempel gelingt in äußerst erfolgreicher Manier, und so ist die Hauptstadt 1825 ganz verliebt in Heiberg(s), einen (verrückten) Hutmacher und den Juden, der auszog (und sich anzog), ein König zu sein. Wenn der Vater mit dem Sohne: Goldene Zeiten am Königlichen Theater. P. S.: Heiberg vs. Heiberg - Wenn der Vater mit dem Sohne . . . 137 4. Juden im Wunderland? - Johan Ludvig Heiberg, Kong Salomon und das Goldene Zeitalter I n der Zeit zwischen der Premiere von Indtoget 1793 und Kong Salomons unglaublichem Erfolg 1825 durchlaufen nicht nur Kopenhagen sondern der gesamte dänische Staat bedeutende Veränderungen. Der Beginn des 19. Jahrhunderts verunsichert Dänemark zutiefst: gesellschaftlich, ökonomisch und (geo-)politisch. Wo eben noch Handelsschiffe das Bild der Hauptstadt bestimmen, wird nun die dänische Flotte versenkt, Kopenhagen von den Engländern bombardiert und großflächig zerstört. Verlorene Kriege und damit einhergehend der Verlust Norwegens, ein Staatsbankrott und Legitimationsprobleme der staatlichen Ordnung, die weit mehr das gesamtgesellschaftliche Leben als nur die Monarchie treffen, führen dazu, dass eine verunsicherte Nation nach neuen Leitbildern sucht und diese auch im Theater, in der Literatur und den bildenden Künsten findet. Aus einem politisch-ökonomischen Desaster zu Beginn des neuen Jahrhunderts, einer nationalen Depression, erwächst eine Epoche, welche als das Goldene Zeitalter Dänemarks bezeichnet wird. 1 1 Den Begriff Dansk Gulalder (Das Goldene Zeitalter Dänemarks), mit der in der Regel die Epoche von 1800 bis 1850 bezeichnet wird, prägt der Literaturwissenschaftler Valdemar Vedel in seiner 1890 erschienen Schrift Studier over Guldalderen i dansk digtning. Vedel selbst weist jedoch bereits auf das verklärende Moment des Terminus ’ hin und versucht, sich damit aus den „ ideologisch-ästhetischen Fronten “ herauszuhalten, die zum Ende des 19. Jahrhunderts mit Blick auf dessen erste Hälfte aufbrechen. (Glienke, Bernhard: „ Goldhörner und Höllenblumen. Zur Romantikrezeption der dänischen Neuromantik. “ In: Bandle, Oskar et al. [Hrsg.]: Nordische Romantik. Akten der XVII. Studienkonferenz der IASS. Basel und Frankfurt am Main 1991, S. 368 - 376, hier: S. 370) Nach dem Zweiten Weltkrieg wird für diese Zeitspanne häufig der Begriff Biedermeier verwendet. Heinrich Anz hat darauf hingewiesen, dass es sich bei beiden Zuschreibungen um kulturpolitische Kampfbegriffe aus dem akademischen Lehr- und Forschungsbereich handelt, die zumeist verklärend (Goldenes Zeitalter) oder kritisch (Biedermeier) auf eine Epoche zurückschauen. (Anz, Heinrich: „‚ Ich wage es, mich auch einen deutschen Dichter zu nennen. ‘ Situation und Selbstverständnis des literarischen Grenzgängers Adam Oehlenschläger zwischen dänischer und deutscher Literatur. “ In: Henningsen, Bernd [Hrsg.]: Begegnungen. Deutschland und der Norden im 19. Jahrhundert. Berlin 2000, S. 19 - 47, hier: S. 23) Bernd Hennigsen hat herausgearbeitet, dass den bedeutenden künstlerischen Die gesellschaftlichen Umbrüche und Verunsicherungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts kommen nicht zuletzt im Ringen um die Emanzipation der jüdischen Minderheit prominent zum Ausdruck, das in einer weitgehenden gesetzlichen Gleichstellung der Juden 1814 und den teils gewaltsamen Auseinandersetzungen darum gipfelt. Das folgende Kapitel zeigt, auf welche Weise gesellschaftspolitische Prozesse in Folge der Napoleonischen Kriege die Stellung des Theaters und die Position des Publikums verändern und fragt, inwieweit sich unter diesen Bedingungen die neue rechtliche Position der Juden in der Gestaltung des Rollenfachs auf der Bühne auswirkt. Anhand der Geschichte der beiden verkleideten Juden, erzählt von Vater und Sohn Heiberg, werde ich untersuchen, wie im Spannungsfeld von Motivtradition, neuer Ästhetik und geänderten gesellschaftlichen Bedingungen das jüdische Rollenfach in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer Transformation unterliegt. Meiner Ansicht nach kommt Johan Ludvig Heiberg dabei eine Schlüsselposition zu, da er in seinem Vaudeville Kong Salomon og Jørgen Hattemager (König Salomon und Jürgen Hutmacher) einen dänisch-jüdischen Protagonisten mit großem Erfolg auf der Bühne etabliert und als erster Verfasser nach den Auseinandersetzungen um die Gleichstellung der jüdischen Minderheit einen Juden auf das Theater bringt. Ihm folgen weitere Autoren, die eine beachtliche Zahl von jüdischen Bühnenfiguren hervorbringen, welche vielschichtig und erfolgreich dem Rollenfach eine Auffächerung einhauchen. Der Komplexität dieser Charaktere auf der nationalen Bühne sowie der Erweiterung des Spektrums des Rollenfaches wird im Zusammenhang mit Analysen ausgewählter Dramen von Thomas Overskou, Adam Oehlenschläger und Jens Christian Hostrup im zweiten Abschnitt des Kapitels Rechnung getragen - allesamt äußerst populäre Dramatiker am Kongens Nytorv, die in der Forschung bisher kaum Beachtung gefunden haben. Die Leistungen des Goldenen Zeitalters auch kompensatorische Elemente innewohnen, da Dänemark unter machtpoltischen Misserfolgen, territorialen Verlusten und wirtschaftlichem Niedergang zu leiden hat: „ Es war ein goldenes Zeitalter in eiserner Zeit. “ (Henningsen, Bernd: Dänemark. München 2009, S. 138) Auf dieses „ eigentümliche Mischverhältnis “ haben auch Klaus-Müller Wille und Joachim Schiedermair verwiesen, die in den kulturellen Erfolgen eine „ Gegengeschichte “ zum wirtschaftlichen Niedergang lesen. (Müller-Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim: „ Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung. “ In: Müller-Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim [Hrsg.]: Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. Tübingen und Basel 2013, S. IX - XXVI, hier: S. IX) Ich werde im Folgenden die Zuschreibung Goldenes Zeitalter als Epochenbeschreibung für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts nutzen. 140 Juden im Wunderland? Gewichtung der Autoren in diesem Teil der Arbeit resultiert dabei vor allem aus der unterschiedlichen Präsenz ihrer jüdischen Figuren im Spielplan. 4.1 Kampf um die Gleichstellung - Judenbrief und Judenfehden In den Jahren zwischen den Heibergs finden bedeutende Veränderungen hinsichtlich der rechtlichen Stellung der Juden in der dänischen Gesellschaft statt, die in einer weitgehenden Gleichberechtigung der jüdischen Minderheit münden. 2 Es überrascht kaum, dass dieser Weg nicht ohne Widerstände bleibt und der Prozess der (rechtlichen) Integration der jüdischen Bevölkerung in die Mehrheitsgesellschaft dabei von vielen Seiten auf starke Gegenwehr stößt - nicht zuletzt aus der jüdischen Gemeinde selbst. Die Auseinandersetzungen in der Gemeinde zwischen den eher konservativen auf der einen und den von Moses Mendelssohn inspirierten vor allem jüngeren Gemeindemitgliedern auf der anderen Seite kommen zum Ende der 1780er Jahre im Zusammenhang mit dem bereits in Chinafarerne (Die Chinafahrer) angesprochenen Perücken-Streit deutlich an die Oberfläche. 3 Der Wunsch der reformorientierten Juden, sich nach dänischem Vorbild zu kleiden und damit äußerlich (un-)sichtbar als Teil der bürgerlichen Gesellschaft wahrgenommen zu werden, trifft bei den Ältesten der jüdischen Gemeinde auf heftigen Widerstand. 4 Die große Skepsis der Integrationsgegner speist sich vor allem aus der Befürchtung, durch die Aufgabe der Selbstständigkeit den dänischen Verwaltungs- und Organisationsstrukturen unterworfen zu werden und auf diese Weise nicht nur an Einfluss zu verlieren, sondern zugleich auch den (weiteren) Niedergang jüdischer Traditionen in Kauf nehmen zu müssen. Die Ablehnung geht soweit, dass sich beispielsweise der 1793 eingesetzte Rabbiner Abraham Gedalia deutlich dagegen ausspricht, dass Gemeinde- 2 Die formale Gleichstellung der Juden erfolgt schließlich mit der Einführung des Junigrundloven im Jahr 1849. 3 Vgl. Kap. 3.4.3 4 Der Streit weitet sich auf andere Fragen wie beispielsweise die Verwendung finanzieller Mittel und Verwaltungsangelegenheiten aus und zieht sich über Jahre hin. Erst 1791 kann ein Kompromiss gefunden werden. (Blüdnikow, Bent; Jørgensen, Harald [Hrsg.]: Indenfor murene. Jødisk liv i Danmark 1684 - 1984. Udgivet af Selskabet for dansk-jødisk historie, i anledning af 300-året for grundlæggelsen af Mosaisk Troessamfund. København 1984, S. 76) Kampf um die Gleichstellung - Judenbrief und Judenfehden 141 mitglieder die Landessprache erlernen. Auf der anderen Seite äußern sich reformorientierte Kräfte auch öffentlich, um ihr Bestreben, ein „ nützlicher Teil “ der Gesellschaft zu werden, einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Regierung unter Frederik VI. setzt in ersten Schritten umfassende Reformen nach dem Vorbild des österreichischen Kaisers Joseph II. durch 5 und ermöglicht auf diese Weise, dass Juden beispielsweise ein Handwerk erlernen können (1788), das Recht auf Landbesitz (1802) sowie Handelserleichterungen (1810) erhalten und zudem die Schulen auch jüdischen Schülern geöffnet werden. 1796 erarbeitet eine Kommission unter Mitwirkung von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde eine Agenda, die eine umfassende rechtliche Novellierung zum Ziel hat. Die Umsetzung scheitert zunächst am Widerstand der Führung der jüdischen Gemeinde, bildet aber in wesentlichen Punkten die Grundlage der Gesetzgebung, die 1814 eine weitgehende Gleichstellung verwirklicht. Die lange Frist zwischen Ausarbeitung und Umsetzung lässt vermuten, dass in wirtschaftlich prosperierenden Zeiten die Emanzipation der Juden deutlich schneller voranschreitet als unter ökonomisch schwierigen Bedingungen, wie sie in Dänemark infolge der verlorenen Kriege herrschen und im Staatsbankrott 1813 gipfeln. Auf diese wichtigen Verbindungslinien hat beispielsweise Reinhard Rürup in anderen Zusammenhängen hingewiesen; 6 Leif Ludwig Albertsen sieht in der ökonomischen Depression gar die Hauptursache für die (literarischen) Ausschreitungen gegen die Juden in Dänemark zwischen 1813 und 1819. 7 Die neuen Gesetze und Verordnungen werden intensiv diskutiert, einhergehend mit der Frage nach den Voraussetzungen gesellschaftlicher Teilhabe der jüdischen Minderheit. Der Literatur kommt dabei im Prozess der Aushandlung von Emanzipationsbedingungen eine wichtige Rolle zu. Augenfälligster Ausdruck hierfür sind die unter dem Namen literarische Judenfehde (litterære jødefejde) geführten Auseinandersetzungen im Jahr 1813. Den Auftakt bildet die Übersetzung von Friedrich Buchholz ’ Schrift 5 Der österreichische Kaiser setzt ab 1781 erste Reformedikte durch, die Juden den Zugang zu bürgerlichen Berufen und allgemeiner Schulbildung ermöglichen sollen. 6 Rürup, Reinhard: „ Emanzipation und Antisemitismus: Historische Verbindungslinien. “ In: Strauss, Norbert A. [Hrsg.]: Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust. Frankfurt und New York 1985, S. 88 - 98, hier: S. 91 7 Albertsen, Leif Ludwig: Engelen Mi. En bog om den danske jødefejde. Med en bibliografi af Bent W. Dahlstrøm. København 1984, S. 30 142 Juden im Wunderland? Moses und Jesus ins Dänische, 8 in der er gegen die von Christian Dohm geforderte „ bürgerliche Verbesserung “ der Juden anschreibt, 9 eine vermeintliche jüdische Weltverschwörung anprangert und unter anderem die angeblichen Schäden darlegt, welche die Juden den Ländern, in denen sie sich aufhalten, verursachen. Die Übersetzung von Thomas Thaarup bringt vielfältige Reaktionen hervor, welche die „ Judenfrage “ aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutieren und mal für, mal gegen die Schrift und den Übersetzer argumentieren. Thaarup ist dabei kein Unbekannter, als Gründer der dänischen Literaturgesellschaft, zeitweiliger literarischer Direktor des Königlichen Theaters und Autor erfolgreicher Bühnenstücke ist seiner Schrift eine breite Öffentlichkeit sicher. Zudem versieht er die Übersetzung mit einer recht langen Einleitung, in der er antijüdische Ideen und Legenden salonfähig zu machen sucht. Die heftigen Gegenreaktionen von beispielsweise Jens Baggesen und Steen Steensen Blicher stacheln ihn zu neuen Schriften an und so werden diese lebhaften Auseinandersetzungen im Jahr 1813 zu einem der bestimmenden Themen in der dänischen Hauptstadt. 10 Der Streit zieht sich über Monate und trägt auch dazu bei, dass die Regierung die Gesetze 1814 umfassend novelliert. Die Anordnung vom 29. März 1814 stellt einen „ entscheidenden Wendepunkt “ 11 im Hinblick auf die rechtliche Stellung der Juden in Dänemark dar, was in Folge dazu führt, dass sich neue Möglichkeiten für jüdische Bürger eröffnen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und dieses zu 8 Buchholz, Friedrich: Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältnis der Juden und Christen. Eine historisch-politische Abhandlung. Berlin 1803. / / Buchholz, Friedrich: Moses og Jesus eller Jødernes og de Christnes intellektuelle og moralske Forhold, en historisk-politisk Afhandling af Friedrich Buchholz. Oversat med Forerindring af Thomas Thaarup. København 1813. 9 In seiner berühmt gewordenen Schrift Über die bürgerliche Verbesserung der Juden thematisiert der preußische Beamte Christian Wilhelm von Dohm als einer der ersten die Idee, die jüdische Bevölkerung in die (bürgerliche) Gesellschaft zu integrieren und sie auf diese Weise für das Allgemeinwohl nützlich zu machen. In ihrer rechtlich beschnittenen, diskriminierten Position und nicht in ihrer Religion oder Herkunft sieht er die Hauptgründe dafür, dass sie „ sittlich verdorbener “ handeln würden. (Dohm, Christian Wilhelm: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. Berlin und Stettin 1781, S. 34) 10 Einen ausführlichen Einblick in die Vorgänge, Parteinahmen und involvierten Autoren der literarischen Judenfehde bieten Leif Ludwig Albertsen (Albertsen 1984) und Martin Schwarz Lausten (Lausten, Martin Schwarz: Oplysning i kirke og synagoge. Forholdet mellem kristne og jøder i den danske oplysningstid (1760 - 1814). København 2002, S. 341 - 374). 11 Blüdnikow; Jørgensen 1984, S. 85 Kampf um die Gleichstellung - Judenbrief und Judenfehden 143 prägen. Allerdings wird in den Straßen Kopenhagens bald deutlich, dass rechtliche Gleichheit nicht die soziale Gleichstellung garantiert und gerade in wirtschaftlich prekären Zeiten antijüdische Ressentiments und Ausschreitungen einen fruchtbaren Boden finden. Ausgehend von Deutschland und den sozialen Unruhen infolge der schlechten ökonomischen Lage nach den langen Kriegsjahren breiten sich gewaltsame Proteste gegen die Juden über Europa aus und erreichen im September 1819 Kopenhagen, wo es der Polizei erst im Januar 1820 gelingt, die Ausschreitungen einzudämmen und zu ersticken. 12 Jahre später - im Herbst 1830 - kommt es als Folge der Julirevolten in Frankreich und auch Deutschland wieder zu Übergriffen auf jüdische Bürger in Kopenhagen. Wie sehr diese Geschehnisse die (bürgerliche) Welt der Hauptstadt prägen und ein wichtiges Moment der Auseinandersetzung bilden, wird deutlich, wenn man deren literarische Aufarbeitung betrachtet. Nicht nur die literarische Judenfehde 1813 sondern auch die gewaltsamen Straßenszenen von 1819 und 1830 finden ihren Niederschlag in der zeitgenössischen Erzählliteratur. 13 Hingegen halten sich das Theater und die Dramatiker diesbezüglich auffallend zurück. Das Repertoire am Kongens Nytorv bleibt von den äußeren Ereignissen scheinbar unbeeindruckt. 12 Blüdnikow; Jørgensen 1984, S. 86. Nach einem schnellen Eingreifen der Polizei ebben die gewaltsamen Ausschreitungen jedoch nach kurzer Zeit wieder ab. 13 Als Beispiele sind hier Hans Christian Andersens Kun en spillemand (Nur ein Spielmann) und Bernhard Severin Ingemanns Den gamle rabbin (Der alte Rabbi) zu nennen. Ausführlicher hat sich damit Stefanie von Schnurbein beschäftigt. (Schnurbein, Stefanie von: „ Darstellungen von Juden in der dänischen Erzählliteratur des poetischen Realismus. “ In: Nordisk Judaistik. Scandinavian Jewish Studies 25 (1), 2004, S. 57 - 78; Schnurbein, Stefanie von: „ Hybride Alteritäten. Jüdische Figuren bei H. C. Andersen. “ In: Behschnitt, Wolfgang; Herrmann, Elisabeth [Hrsg.]: Über Grenzen. Grenzgänge der Skandinavistik. Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Anz. Würzburg 2007, S. 129 - 150.) Joachim Schiedermair hat zudem deutlich gemacht, dass auch Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden (Der Jude) vor dem Hintergrund der Pogrome zu lesen ist, auch wenn diese nicht direkt verhandelt werden. (Schiedermair, Joachim: „ Der Kaufmann von Kopenhagen. Geld und Gabe in Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden (1836). “ In: Müller-Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim [Hrsg.]: Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. Tübingen und Basel 2013, S. 51 - 68) 144 Juden im Wunderland? 4.2 Thalia Terminator - Die Bühne als Stütze der Nation Die Zurückhaltung des Theaters sowohl in der Frage der rechtlichen Stellung der Juden als auch hinsichtlich der gewaltsamen Ausschreitungen in den Herbsttagen der Saison 1819 verwundert umso mehr, als die Bühne nach den politischen und ökonomischen Turbulenzen zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer mehr zu einem Ort der Verhandlung des Nationalen 14 sowie zu einem Zentrum patriotischen Miteinanders wird. Drohender (Kriegs-)Gefahr begegnet das Theater mit patriotischen Liederabenden - hier zeichnet sich vor allem der beliebte Schauspieler Hans Christian Knudsen aus, der ab 1801 immer wieder solche Veranstaltungen initiiert, die in der Regel damit enden, dass das Publikum singend durch die Straßen der Hauptstadt zieht. 15 Nach der Niederlage 1807 und dem Staatsbankrott 1813 bleibt das Theater, auch wenn es kurzzeitig schließen muss, ein zentraler Sammelpunkt der hauptstädtischen Bevölkerung, die sich unter dem Patronat des Königs ihrer nationalen Identität vergewissert. Zwei Mal pro Woche besucht der Monarch nun „ sein “ Theater, nicht nur aus Freude an dem Dargebotenen, sondern auch aus politischen Erwägungen und macht es auf diese Weise zu einem wichtigen Baustein im nationalen Diskurs. Das Haus am Kongens Nytorv wandelt sich von einer bürgerlichen Volksbühne in eine nationale Institution. Die strukturellen und organisatorischen Veränderungen innerhalb des Theaters in der Zeit zwischen den Heibergs sind dabei recht überschaubar. Leitung und Organisationsstruktur scheinen gefestigt und bewährt, 16 das Repertoire bestimmen mehr denn je Dramen von Kotzebue und Iffland, 17 14 „ Kongens teater var blevet nationalfølelsens tempel. “ (Kvam, Kela et al.: Dansk Teaterhistorie. Bd. 1: Kirkens og kongens teater, København 1992, S. 190. Im Folgenden: Kvam I) / / „ Das Königliche Theater war zum Tempel des Nationalgefühls geworden. “ 15 Ausführlicher beschäftige ich mich mit dem Schauspieler Hans Christian Knudsen in Kap. 5.2. 16 Im Jahr 1794 bekommt das Theater eine stabile Organisationsstruktur, die bis 1849 kaum verändert wird: Der Theaterchef wird vom Hof bestellt (zumeist der Hofmarschall), unterstützt wird er von zwei bis drei Mitdirektoren, die jeweils für den künstlerischen (litterær direktør) beziehungsweise ökonomischen Bereich (økonomidirektør) verantwortlich zeichnen. (Engberg, Jens: Til hver mands nytte. Historien om det Kongelige Teater 1722 - 1995, Bind I. København 1998, S. 148. Im Folgenden: Engberg I; Kvam I, S. 189 f ) 17 Zwischen 1801 und 1825 werden von Kotzebue gut 70 Dramen in über 700 Vorstellungen gespielt. Von Iffland werden immerhin 20 Stücke in ca. 300 Aufführungen gezeigt. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 203. Im Folgenden: Hansen II; Engberg I, S. 140) Thalia Terminator - Die Bühne als Stütze der Nation 145 Singspiele nach französischen Vorbild erfreuen sich einiger Beliebtheit, Holbergs Komödien werden seltener gegeben und an neuer landessprachlicher Dramatik erreicht nur Adam Oehlenschläger nennbare Erfolge. Die größten Veränderungen, so meine ich, finden im Zuschauerraum statt und machen die Stellung der Bühne als nationale Institution erkennbar. Das Publikum ist spätestens ab der Jahrhundertwende überwiegend bürgerlich, diesem Umstand wird durch Veränderungen im Abonnement-System und einer schrittweisen Bestuhlung des Stehparketts Rechnung getragen. 18 In Zeiten der Verunsicherung und der politischen sowie ökonomischen Turbulenzen ist der Erfolg des Theaters enorm: Der Andrang auf die Karten erweist sich teils als übergroß, auf den unnummerierten Plätzen herrscht ein Gedränge, ein Kommen und Gehen, und in den manchmal völlig überbuchten Logen sieht der einzelne Besucher kaum das ganze Bühnengeschehen. 19 Es schwatz, pfeift, raucht, stinkt, trampelt, promeniert, schluchzt und zwischenruft in Thalias neugestaltetem Tempel. Das zunehmend selbstbewusste und meinungsstarke Publikum - eine Entwicklung, die sich bereits in der Auseinandersetzung um Tronfølgen i Sidon (Die Thronfolge in Sidon) angedeutet hat 20 - gewinnt weiter an Einfluss und es wird im so genannten „ kritischen Parterre “ 21 mehr und lautstärker denn je die eigene Bedeutung durch Applaus, Kommentare oder Pfiffe demonstriert. So ist es nicht immer nur die einzelne Aufführung, welche die Zuschauer ins Theater führt, das Spektakel um das Spektakel erregt fast ebenso große Aufmerksamkeit. Fragen betreffend die ästhetische Ausrichtung der nationalen Bühne, deren literarische Qualität sowie die schauspielerische Ausführung der Stücke bestimmen nicht nur 18 Die baugeschichtlichen Vorgänge um die etappenweise Umgestaltung des Parketts des Königlichen Theaters sind detaillierter nachzulesen bei Elin Rask. (Rask, Elin: Det kritiske Parterre. Det Kongelige Teater og dets publikum omkring år 1800. København 1972, S. 56 - 87) 19 Viele der Logen sind von Zwischenhändlern, so genannten billethøkere, abonniert. Diese bezahlen dem Theater einen festen Preis und dürfen im Gegenzug die Plätze der Logen einzeln verkaufen. Oft führt dies dazu, dass die jeweiligen Logen völlig überfrachtet sind und die Zusammensetzungen des Publikums in diesen so genannten Høkerlogen sich als äußerst heterogen darstellt. Gerade an Tagen, an denen beliebte Stücke laufen, erzielen die Verkäufer hohe Preise. An anderen Tagen, wenn bekannte und wenig beliebte Dramen auf dem Programm stehen, ergeben sich Verluste, da die Karten weit unter dem sonst üblichen Preis abgegeben oder gar nicht verkauft werden. Durch dieses Konstrukt variieren die Preise für Theaterkarten in den Logen teils sehr stark, das Theater kann hingegen mit konstanten Einnahmen kalkulieren. (Hansen II, S. 281 ff ) 20 Vgl. Kap. 3.3 21 Rask 1972, S. 138ff 146 Juden im Wunderland? das Theaterleben, sondern tangieren mehr und mehr die gesamte Stadt. Ganz Kopenhagen, so scheint es, besteht aus (verkannten) Direktoren, die wissen, wie das nationale Theater zu leiten sei. Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts bekommt das Haus am Kongens Nytorv ein „ friedlicheres Publikum “ . 22 Betrachtet man die Stellung des Theaters in der Mitte der bürgerlichen Gesellschaft als Ort der Meinungsbildung und als Platz, an dem ästhetische, gesellschaftspolitische und nationale Fragen verhandelt werden, überrascht zum einen, dass das Kongelige Teater in den Judenfehden 1813 und 1819 keine Stellung zu beziehen scheint und zum anderen wie wenig diese Ereignisse in der dramatischen Literatur Niederschlag finden. Ein genauerer Blick auf die Tagespolitik der Bühne erlaubt jedoch eine vielschichtigere Wahrnehmung. Die merklichste Reaktion des Königlichen Theaters auf die Judenfehden ist zunächst der Erlass einer Verordnung, welche die Publikumsreaktionen nach Aufführungen auf zehn Minuten begrenzt und so in geordnete Bahnen lenken soll. Dies geschieht vor folgendem Hintergrund: Am 4. Dezember 1819, kurz nach den antijüdischen Gewaltausbrüchen in Kopenhagen, steht die Uraufführung des eher unbedeutenden Stückes Det unge Menneske paa 60 Aar 23 (Der junge Mensch von 60 Jahren) am Königlichen Theater an. Im Vorfeld sickert in der Hauptstadt durch, dass der Übersetzer Nathan David Jude ist und schnell macht das Gerücht die Runde, dass daher das Stück ausgepfiffen werden solle. Die Theaterleitung ist äußerst beunruhigt. Vorangegangen sind dem selbst für das Kopenhagener Publikum äußerst scharfe Auseinandersetzungen um das Singspiel Den lille Rødehætte 24 (Das kleine Rotkäppchen) im Oktober und November 1819. Die Aufführung wird - nach erfolgreicher Premiere - quasi von der Bühne „ verjagt “ . Kritiker sehen in dem Stück den Versuch, dänische Komponisten zugunsten ausländischer von der Bühne zu verdrängen und lasten dies dem italienischen Gesangsmeister Siboni 25 an. Ab der zweiten Vorstellung spielen 22 Kvam I, S. 194 23 Lustspiel in einem Akt von Merles und Braziers (Le cidevant jeune homme). Die Premiere erfolgt am 4. Dezember 1819, das Stück wird danach nicht wieder aufgeführt. 24 Le petit chaperon rouge, französisches Singspiel von Théaulon mit Musik von Boyeldieu. Die Übersetzung besorgt N. T. Bruun. Die Premiere erfolgt am 29. Oktober 1819, bis 1874 wird es insgesamt 75 Mal aufgeführt. 25 Im Jahr 1819 wird Giuseppe Siboni nach Stationen in Mailand, Neapel, London, Wien und St. Petersburg ans Königliche Theater engagiert, zunächst als Heldentenor später als Lehrer und Gesangsmeister sowohl an der neugegründeten Gesangsschule als auch am Theater. (Schepelern, Gerhard: Giuseppe Siboni. Sangeren - Syngemesteren. Et Afsnit af Thalia Terminator - Die Bühne als Stütze der Nation 147 sich - angeführt von Studenten - heftige Tumulte im Theater ab, schließlich muss sogar die Polizei eingreifen und nach sechs ausverkauften Vorstellungen ist die Theaterleitung gezwungen, das Stück vom Spielplan zu nehmen. 26 Der sich abzeichnende Skandal um Det unge Menneske paa 60 Aar veranlasst die Direktion am Tag der Premiere jene Verordnung herauszugeben, welche die Reaktionen des Publikums auf zehn Minuten begrenzen soll. 27 Die Zuschauern verstehen dies nun gleichsam als Aufforderung, diese Zeitspanne in Gänze auszunutzen. Es wird applaudiert und gepfiffen, nicht nur wegen des Gesehenen, sondern auch aus reinem Vergnügen an der Sache. 28 Der Autor, Schauspieler und Theaterhistoriker Thomas Overskou, zu diesem Zeitpunkt bereits am Königlichen Theater engagiert, 29 schildert die aufgeladene Atmosphäre in der Hauptstadt und an der Bühne im Vorfeld der Premiere wie folgt: Paa den Tid, kort efter den skammelige Jødefeide, yttrede sig endnu, ei alene hos Almuen, men selv i de høiere Stænder, en levende Forfølgelsesaand imod Jøderne og det var let at vække en ophidset Stemning, naar en Jøde tillod sig at træde frem paa en Maade, der kunde tilvinde ham offenlig Opmærksomhed. En ung, kundskabsrig Mand [Nathan David] / . . . / havde fra det Franske oversat Bagatellen Det unge Menneske paa 60 Aar / . . . / . Det blev neppe bekjendt, førend det strax / . . . / hed, at „ Jøden skulde pibes ud “ ; og uden at der var Spørgsmaal om, hvorledes Stykket var, blev det længe førend dets Opførelse betragtet som fordømt. 30 Damals, kurz nach der beschämenden Judenfehde, zeigte sich immer noch, nicht nur bei der Allgemeinheit, sondern selbst in den höheren Ständen, eine lebendige Feindschaft gegen die Juden und es geschah leicht, dass eine gereizte Stimmung aufkam, wenn ein Jude es sich erlaubte auf eine Weise aufzutreten, die ihm öffentlich Aufmerksamkeit einbrachte. Ein junger, kundiger Mann Operaens Historie ude og hjemme hovedsagelig paa Grundlag af hidtil ubenyttede trykte og utrykte Kilder. Valby 1989) 26 Den lille Rødehætte kehrt erst in der Saison 1821/ 22 ans Königliche Theater zurück, wird dann aber gleich neun Mal gespielt. 27 1823 wird die Zeitspanne auf fünf Minuten begrenzt. (Kvam I, S. 194) 28 Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Fjerde Deel. Kjøbenhavn 1862, S. 615. Im Folgenden: Overskou IV 29 Thomas Overskou debütiert am 29. Oktober 1818 in Kleists Pigen fra Heilbronn (Das Käthchen von Heilbronn) am Königlichen Theater. (Overskou, Thomas: Af mit Liv og min Tid (1798 - 1818). Udgivet af Robert Neiiendam. København 1961, S. 187) 30 Overskou IV, S. 614 f 148 Juden im Wunderland? [Nathan David] hatte aus dem Französischen die Bagatelle Det unge Menneske paa 60 Aar übersetzt / . . . / . Dies war kaum bekannt, als es bereits / . . . / hieß, dass „ der Juden ausgepfiffen werden soll “ und ohne, dass die Frage, wie das Stück war, behandelt wurde, stand der Misserfolg schon lange vor der Aufführung fest. Die Stimmung in Kopenhagen erweist sich als angespannt und die Theaterleitung ist sich dessen bewusst. Der Versuch, den Übersetzer und damit auch die Bühne mit Hilfe der Zehn-Minuten-Verordnung zu schützen, bewirkt zunächst das Gegenteil und zeugt vor allem von der Hilflosigkeit des Theaters, unter den gegebenen Umständen Stellung zu beziehen. Neue Dramatik, welche die Auseinandersetzungen um die rechtliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit verhandelt, existiert nicht und so bleiben nur der Erlass von Verhaltensregeln und die Spielplangestaltung, mit denen sich das Theater positionieren kann. Die Auswertung von letzterem zeigt dabei spannende Auffälligkeiten. In den Hochzeiten der Judenfehden 1814 und 1819 verzichtet das Theater nahezu komplett darauf, Stücke anzusetzen, in denen jüdische Charaktere figurieren. In der Saison 1819/ 20 findet sich kein einziges solches Drama und auch die Saison 1814/ 15 verzeichnet nur zwei solcher Abende. 31 Sowohl in den Spielzeiten davor und danach sind jüdische Charaktere auf der Bühne keine Seltenheit. 32 Da der Spielplan, anders als heute, kurzfristig erarbeitet wird, lässt sich von Seiten des Theaters schnell auf (Miss-)Erfolge, aber auch auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen reagieren. Meine These lautet, dass - gerade auch im Hinblick auf die oben beschriebene nationale Bedeutung des Theaters - die Spielplangestaltung kein Zufall ist. Dies legt 31 Gespielt werden Holbergs Den ellefte Junii und Ifflands Embedsiver (Dienstpflicht). In beiden Stücken handelt es sich bei den jüdischen Charakteren um Nebenfiguren, gerade in Holbergs Komödie hat der Jude nur einen äußerst kurzen szenischen Auftritt. (Vgl. Kap. 2.2.1) In Ifflands Schauspiel ist die Rolle etwas größer und auch für den Gang der Handlung wichtiger. Baruch tritt jeweils zu Beginn der ersten drei Akte auf und ist vorwiegend damit befasst, Geldgeschäfte abzuwickeln. Im fünften Aufzug trägt er dazu bei, die Intrige aufzuklären und wird dabei von Iffland durchaus in einem positiven Licht gezeichnet. 32 In der Saison 1812/ 13 finden sich sechs Abende, 1813/ 14 zehn, 1815/ 16 bis zur Saison 1817/ 18 sind es jeweils neun Abende pro Spielzeit, 1818/ 19 immer noch acht Aufführungen. Dabei ist zu beachten, dass es sich jeweils um seit langer Zeit im Spielplan befindliche Stücke handelt, vor allem von Holberg, P. A. Heiberg sowie Iffland. Dramen, die längere Zeit im Repertoire sind, werden grundsätzlich weniger häufig gespielt. Die einzige Neuigkeit in diesem Zeitraum ist Adam Oehlenschlägers St. Hansaften-Spil, das jedoch nach der Premiere am 6. März 1819 nicht weiter gegeben wird. Thalia Terminator - Die Bühne als Stütze der Nation 149 nahe, dass die Theaterleitung in Kenntnis ihres Publikums sich bewusst für eine Deeskalationsstrategie entscheidet - der Mangel an erprobten Stücken mit jüdischen Figuren kann der Grund nicht sein. Dies hat aber zugleich Auswirkungen auf die Theaterautoren. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fungieren Dramen vor allem als Gebrauchsliteratur für die Bühne und müssen nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Theater ausgerichtet sein, um gespielt zu werden. Neue Stücke werden am Kongelige Teater zunächst von der internen Zensur geprüft, bevor die Direktion ihre mögliche Zustimmung zur Aufführung gibt. Ein mitunter äußerst langwieriger Prozess, der immer wieder auch an den mangelnden finanziellen Mitteln des Theaters scheitert, ein neues Stück aufwendig auszustatten. Die geringen ökonomischen Anreize für Autoren dramatischer Werke habe ich bereits weiter oben thematisiert. 33 Hier werden zwar Verbesserungen erzielt, aber nur in Ausnahmefällen verdient man mit einem Theaterstück Geld. Wenn nun deutlich wird, wie ich gezeigt habe, dass seitens der nationalen Bühne ein Bestreben erkennbar zu sein scheint, jüdische Charaktere in kritischen Zeiten aus dem Repertoire fernzuhalten, verliert die Dramatik in den (literarischen) Auseinandersetzungen über Fragen, die sich um Rechte und Stellung der jüdischen Minderheit drehen, an Attraktivität. Ohne Bühne kein Publikum: Theaterstücke werden veröffentlicht, wenn sie auf dem Spielplan stehen, reine „ Lesedramen “ , die auch ohne Aufführung wahrgenommen werden, sind äußerst selten. 34 Ich sehe daher in der Politik der Theaterleitung einen wichtigen Grund für die Abstinenz jüdischer Protagonisten in der dramatischen Literatur in der Zeit zwischen den Heibergs, eine Politik, deren Ursachen, wie ich meine, aber nicht in antijüdischen Ressentiments begründet liegen muss. Vielmehr scheut das Theater aus Angst vor den Reaktionen des Publikums die Auseinandersetzung. Auf diese Weise lässt sich die Diskrepanz zwischen Erzählliteratur und Dramatik hinsichtlich der Verhandlung jüdischer Emanzipationsbestrebungen teilweise erklären. Zudem wird deutlich, dass Drama und Theater zu Beginn des 19. Jahrhunderts ohne einander nicht gedacht werden können. Die dramatische Literatur bedient zuvorderst das gängige Rollenfachsystem, die erprobte 33 Vgl. Kap. 3.3 34 Es werden auch Dramen verlegt, die nicht gespielt werden: Shakespeare ist trotz seiner Abwesenheit auf dem Nationaltheater bekannt, ebenso Lessing, Schiller und Goethe, die über ihre gespielten Stücke hinaus gelesen werden. Zeitgenössische dänische Dramatik wird jedoch, abgesehen von Oehlenschläger, vorwiegend im Zusammenhang mit Aufführungen rezipiert. 150 Juden im Wunderland? Aufführungspraxis und die bekannte Bühnenästhetik. Um Figuren völlig neu zu zeichnen oder dramaturgische Novitäten umzusetzen, bedarf es daher immer gleich der Veränderung des gesamten Apparates und auf gewisse Weise der Zustimmung des Publikums. Dass Veränderungen sich unter diesen Bedingungen langwieriger darstellen können, ist zu einem wichtigen Teil diesem besonderen Status des Theaters zuzurechnen. Dass sich die angespannte Lage mit dem Ende der gewaltsamen Auseinandersetzung nicht schlagartig löst und das Theater weiterhin streng darauf bedacht ist, keinen Anlass zu judenfeindlichen Äußerungen zu geben, zeigt sich noch 1825 in der Auseinandersetzung um Johan Ludvig Heibergs Vaudeville Kong Salomon og Jørgen Hattemager. Die Diskussionen im Vorfeld der Aufführung drehen sich nicht nur um die Frage, ob die Gattung für das königliche Theater passend ist, sondern thematisieren zugleich die Befürchtungen vor Feindseligkeiten gegen die jüdische Minderheit, welche das Stück wecken könnte. Trotz aller Bedenken feiert Kong Salomon Premiere und Heibergs Hauptfigur, so meine These, fungiert auf der Bühne und auch für das Theater am Kongens Nytorv als eine Art Heilsbringer. 4.3 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude In das nationale Theater mit seinem „ verrückten “ Publikum bringt Johann Ludvig Heiberg 1825 mit Kong Salomon og Jørgen Hattemager nicht nur ein neues Genre, sondern auch die Figuration eines Juden, welche mit dem Rollenfach, mit dem Publikum, mit den übrigen Charakteren und nicht zuletzt mit sich selbst spielt. Eine erste jüdische Hauptrolle, die ambivalent, unsentimental und sicher nicht unberührt von den Geschehnissen der vorangegangenen Dekade reüssiert und wenn auch nicht König bleibt, so aber doch den Hut aufbehält. 4.3.1 „ Das ist doch hier kein Zirkus! “ 35 - Der Streit ums Vaudeville Wie bereits angedeutet, handelt es sich bei Kong Salomon um eine Bearbeitung von Indtoget (Der Einzug), P. A. Heibergs erfolgreichem Sing- 35 Knut Lyne Rahbek ergeht sich im Vorfeld der Premiere von Kong Salomon og Jørgen Hattemager in einem Brief vom 8. Oktober 1825 gegen das Vaudeville im Allgemeinen und meint, das Königliche Theater rücke auf diese Weise dem Zirkus oder dem Theater der Wandertruppe immer näher. „ [V]i rykker Fieleboden nærmare, hvortil jeg er bange, disse Vaudevillespil saare let kunne lede. “ (Borup, Morten: Johan Ludvig Heiberg. Anden Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 151 spiel, das bis 1830 parallel weiter auf dem Spielplan steht. Die Handlungsstränge gleichen einander, auch wenn die Örtlichkeiten variieren und Kong Salomon eine deutlich verzweigtere Struktur aufweist. In beiden Dramen gibt sich ein Jude als reicher Edelmann aus - mal als Baron, in der frühen Version als marokkanischer Prinz - und führt auf diese Weise die Landbevölkerung vor. Zunächst mag es sich daher ungewöhnlich ausnehmen, dass Kong Salomon bereits vor seiner Aufführung für erheblichen Wirbel sorgt. Dies geschieht allerdings weniger wegen des bekannten und erprobten Plots, sondern vor allem wegen seiner Gattungszugehörigkeit. Wo beim alten Heiberg noch „ Singspiel “ ( „ Syngestykke “ ) drauf steht, ist beim Sohn ein Vaudeville drin und die Hauptstadt ergeht sich weit vor (! ) der Premiere über die Frage, inwieweit dieses Genre eine Berechtigung auf der nationalen Bühne hat. Ein wesentlicher Unterschied (und einer der Hauptangriffspunkte) zwischen beiden Gattungen liegt in der Ausgestaltung der musikalischen Nummern. Werden für die Singspiele eigene Kompositionen angefertigt, bedient sich das Vaudeville aus dem reichhaltigen musikalischen Repertoire des Theaters. Über bekannte Lieder, Chöre sowie Arien aus Opern und andere populäre Melodien wird frei verfügt, was zu einer doch recht heterogenen musikalischen Ausformung der Vaudevilles führt. Die Texte zu den bekannten Melodien werden dem Stück entsprechend umgeschrieben und sollen sich organischer als noch im Singspiel in die Handlung einfügen. Ziel ist es, dass die Musiknummern nicht mehr nur als unterhaltsame Ablenkung fungieren, sondern die Aufmerksamkeit des Publikums auf die dramatische Aktion fokussieren. 36 Auch nach dem durchschlagenden Erfolg von Kong Salomon und dessen Nachfolger Recenten og Dyret (Der Rezensent und das Tier) verstummt die öffentliche Auseinandersetzung um die Gattungsfrage nicht. 37 1826 sieht Bog: Manddom 1825 - 1839. København 1948, S. 43. Im Folgenden: Borup II) / / „ Wir sind schon fast eine Schaubude, ich fürchte, diese Vaudeville-Stücke werden uns dorthin führen. “ 36 Marker, Frederik J; Marker, Lise-Lone: A history of Scandinavian theatre. Cambridge 1996, S. 112. Im Folgenden: Marker&Marker 37 So spricht das Conversationsblad beispielsweise von einer „ Vaudeville-Pest “ , die dazu führe, dass bekannte und bisher beliebte Stücke kein Publikum mehr fänden - somit sei das neue Genre verantwortlich für die Verderbung des Zuschauergeschmacks: „ De beklagelige Følger af Vaudevillepesten have allerede viist sig paa det tydeligste, da hverken Stærkodder, eller Don Ranundo de Colibrados, uagtet de næsten i et heelt Decennium havde hvilet, formaaede at fylde de uabonnerede Pladser, langt mindre de gamle / . . . / Lystspil: Bagtalelsens skole, Feiltagelserne, Maskeraden, Henrik og Pernille, der alle, saavelsom Preciosa og Røverborgen vare, dog i forskjellige Grad, lidet besøgte. “ 152 Juden im Wunderland? Heiberg sich daher gezwungen, sämtliche seiner Werke von der Bühne zu nehmen. Kurz darauf veröffentlicht er die Streitschrift Om Vaudevillen 38 (Über das Vaudeville), in der er auf die Bedeutung des Genres für das Nationaltheater fokussiert. Er deklariert darin das Vaudeville zur legitimen Gattung, dessen Hauptaufgabe darin besteht, eine neue nationale Lustspieldichtung zu etablieren. Den Mangel an landessprachlicher Dramatik sieht Heiberg als Grund für den Bedeutungsverlust des nationalen Theaters und die Dominanz deutschsprachiger Importe à la Kotzebue und Iffland. Diese Streitschrift wird schließlich zum Wendepunkt in der Auseinandersetzung. Das Vaudeville - und damit auch Heiberg - sind angekommen und prägen das Theater am Kongens Nytorv für die kommenden Jahrzehnte. 39 Aber der Anfang ist voller Hindernisse, obwohl Heiberg (nicht nur wegen seines Namens) in Kopenhagen kein Unbekannter ist. Bereits 1819 feiert sein erstes Drama Tycho Brahes Spaadom (Tycho Brahes Wahrsagung) Premiere und läuft einigermaßen erfolgreich, ebenso wie dessen Nachfolger Nina. 40 Sein Aufenthalt in Kiel, wo er von 1822 bis 1825 an der Universität lehrt, kann sein Vorhaben, am Kongelige Teater zu reüssieren, nur aufschieben. 41 Und die nationale Bühne ist Heiberg nicht genug - er (Conversationsblad Nr. 31, 9. Sept. 1826) / / „ Die beklagenswerten Folgen der Vaudeville- Pest haben sich schon deutlich gezeigt. Weder Stærkodder noch Don Ranundo de Colibras vermochten, die nicht abbonierten Plätze zu füllen, obwohl sie doch fast ein Jahrzehnt geruht hatten. Noch weniger gelang dies den alten / . . . / Lustspielen: Bagtalelsens skole, Feiltagelserne, Maskeraden, Henrik og Pernille, die alle, genau wie Preciosa und Røverborgen, wenn auch in unterschiedlichem Grad, schlecht besucht waren. “ 38 Heiberg, Johan Ludvig: „ Om Vaudevillen som dramatisk Digtart og om dens Betydning paa den danske Skueplads. En dramaturgisk Undersøgelse (1826). “ In: Heiberg, Johan Ludvig: Samlede Skrifter. Prosaiske Skrifter. Sjette Bind. Kjøbenhavn 1861, S. 1 - 111. Im Folgenden: Om Vaudevillen. 39 Nach den Heiberg ’ schen Erfolgen avanciert die Gattung zum produktiven Genre dänischer Autoren. Neben Hans Christian Andersen verfassen u. a. auch Thomas Overskou, Henrik Hertz, Christian Hostrup und Heibergs Frau Johanne Luise erfolgreich Vaudevilles für das Königliche Theater. Heiberg selbst schreibt noch acht weitere Vaudevilles. Neben Kongs Salomon og Jørgen Hattemager handelt es sich dabei um: Den otte og tyvende Januar (Premiere 28. 1. 1826), Aprilsnarrene (22. 4. 1826), Recensenten og Dyret (22. 10. 1826), Et Eventyr i Rosenborg Have (26. 5. 1827), De Udadskillelige (11. 6. 1827), Køge Huskors (28. 11. 1831), De Danske i Paris (29. 1. 1833) und Nej (1. 6. 1836). Von 1849 bis 1856 leitet Heiberg die nationale Bühne. 40 Nina feiert am 20. März 1824 seine Uraufführung am Königlichen Theater. 41 Ausführlicher schildert Morten Borup Johan Ludvig Heibergs Zeit in Kiel. (Borup, Morten: Johan Ludvig Heiberg. Første Bog: Barndom og Ungdom 1791 - 1825. København 1947, S. 131 - 153) Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 153 hat noch weitreichendere Pläne. Schon 1823 formuliert er die Idee, ein Lustspieltheater in Kopenhagen zu etablieren. Nach französischem Vorbild soll das neue Haus verschiedene Gesellschaftsschichten ansprechen und daher sowohl billige Plätze als auch teure Logen bieten. 42 Gespielt werden sollen vor allem die beliebten Vaudevilles. Während seines Paris-Aufenthalts Anfang der 1820er Jahre 43 kommt Heiberg mit dieser spezifischen Theaterform in Berührung, einer Mischung aus Boulevardtheater und Marktplatzvergnügen, die aktuelle Vorkommnisse aufnimmt und kommentiert und daher als die Stimme der Stadt - „ la voix de la ville “ 44 - bezeichnet wird. Die Idee eines „ Secondtheaters “ 45 scheitert jedoch nicht zuletzt am Monopol der königlichen Bühne, das erst 1848 aufgehoben wird. Mangels Alternativen soll nun am Kongens Nytorv das erste dänische Vaudeville aufgeführt werden. Als hilfreich für die Umsetzung des Vorhabens erweist sich dabei, dass die Saison 1825 schleppend anläuft, das Publikum wegbleibt und das Theater in dieser ökonomisch prekären Situation unbedingt einen Kassenschlager produzieren muss, um wieder auf die Beine kommen. Heibergs Kong Salomon verspricht, der dringend benötigte Erfolg zu werden. Ungeachtet dessen gibt es bereits vor der Premiere auch innerhalb des Theaters heftige Auseinandersetzungen um die Legitimität des Stückes. Knut Lyne Rahbek, inzwischen Mitdirektor am Königlichen Theater, hält die Gattung des Vaudevilles für die Bühne des Königlichen Theaters für nicht schicklich und auch viele der Schauspieler stellen sich zunächst gegen die Aufnahme 42 Borup II, S. 41 f. 43 1819 bricht Johan Ludvig nach Paris auf, um nach fast 20 Jahren seinen Vater wiederzusehen, der dort im Exil lebt. Anders als zunächst geplant, bleibt Johan Ludvig mehr als drei Jahre in der französischen Hauptstadt. (Borup 1947, S. 109 - 129) 44 Kvam I, S. 210 45 Abrahams berichtet in seinen Lebenserinnerungen von einem gemeinsamen Spaziergang mit J. L. Heiberg, auf welchem dieser seine Ideen für die Neuordnung der Kopenhagener Theaterlandschaft thematisiert: „ Vi spadserede / . . . / en Formiddag sammen i Rosenborg Have, og han yttrede da, at i denne Have kunde der være passende at bygge et stort Secondtheater for Vaudeviller og Parodier / . . . / med mange billige Pladser, og færre meget dyre, saa at det kunde blive søgt af beau monde og af de lavere Klasse. “ (Abrahams, Nicolai Christian Levi: Meddelelser af mit Liv. København 1876, S. 186) / / „ Eines Vormittags / . . . / spazierten wir durch den Garten bei Rosenborg, und er äußerte sich, dass dieser Garten passend wäre, um ein großes Secondtheater für Vaudevilles und Parodien zu bauen / . . . / mit vielen billigen und wenigen teuren Plätzen, so dass es sowohl von der beau monde als auch den niederen Klassen besucht werden könne. “ 154 Juden im Wunderland? des Stückes in den Spielplan 46 - nach dem gefeierten Erfolg ist davon allerdings keine Rede mehr. Mitdirektor G. H. Olsen, der neuen Form durchaus aufgeschlossen gegenüber, bemängelt weniger die Gattungszugehörigkeit als vielmehr die aus seiner Sicht heikle Zeichnung der Hauptfigur. Er befürchtet, dass die Darstellung des Salomon Goldkalb in Heibergs Vaudeville antijüdische Ressentiments, die während der Judenfehden deutlich zum Ausdruck gekommen sind, verstärken könnte: Er det passende, efter alle de polemiske Optrin, vi havde oplevet med Mosaiterna baade i Literatur og udenfor samme, nu at opføre paa vort eneste kongelige og National-Theater en Farce, som / . . . / gjør / . . . / Mosaiterne latterlig, / . . . / som neppe paa en saadan Maade kan ønske at fremtræde for det danske Publikum? 47 Ist es passend, nach all den polemischen Auftritten, die wir mit den Mosaiten sowohl in der Literatur als auch darüber hinaus erlebt haben, nun in unserem einzigen, königlichen und nationalen Theater eine Farce aufzuführen, welche / . . . / die Mosaiten / . . . / lächerlich macht, / . . . / die sich wohl kaum wünschen, auf solche Weise vor dem dänischen Publikum aufzutreten. Aus diesen Überlegungen heraus appelliert er dafür, den Titel zu ändern und schlägt als Alternative Indtoget Nr. 2 (Der Einzug Nr. 2) vor. Ich argumentiere dafür, dass durch diesen deutlichen Bezug auf P. A. Heibergs bekanntes und viel gespieltes Singspiel zum einem die Erfolgsaussichten des Dramas gesteigert und zugleich durch die Einschreibung in eine erprobte Aufführungslinie lautstarken Publikumsbekundungen vorgebeugt werden soll. Der Streit um Kong Salomon eskaliert schließlich und erst nach heftigem Insistieren durch den Geschäftsführer (økonomidirektør) Jonas Collin 48 und der Erlaubnis durch den König darf das Stück 46 Vor allem N. P. Nielsen spricht sich scharf gegen Heiberg und dessen Vaudeville aus. (Borup II, S. 43) 47 Overskou IV, S. 785 48 Collin spricht sich gegen die Widerstände zu Kong Salomon schon vor dessen Premiere aus und besteht darauf, das Stück erst zu beurteilen, wenn es auf der Bühne gezeigt worden ist. Zudem weist er auf seine Pflichten als Geschäftsführer hin: „ [J]eg fremmer Opførelsen af saadanne Stykker, som kunde ventes at ville give bedst Huus, naar Intet i dem indeholdes, der strider imod den Ærefrygt, som skyldes Gud, Kongen, Lovene, Sømmelighed og god Smag, af hvilket jeg veed, at der Intet kan udpeges i Heibergs Vaudeville. “ (Overskou IV, S. 783) / / „ Ich fördere die Aufführung solcher Stücke, von denen erwartbar ist, dass sie ein volles Haus bescheren, solange sie nichts enthalten, das Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 155 nach einigen Änderungen angesetzt werden. Den Großteil der Befürchtungen und Kritikpunkte seiner Mitdirektoren ignoriert Collin in der Vorbereitung der Premiere, aber er besteht darauf - sehr zu Heibergs Missfallen 49 - , dass Name und Herkunft der Hauptfigur geändert werden. Und so reist nicht Herr Rothschild von Frankfurt nach Kopenhagen, vielmehr macht sich nun Herr Goldkalb auf den Weg von Steinfurt in die dänische Hauptstadt. 50 Auf diese Weise, so argumentiert Direktor Olsen, könne das Theater verhindern, dass Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zu Animositäten oder „ diplomatischen Verstrickungen “ 51 führten. Dass die Zuschauer trotz der geänderten Namen die Anspielungen verstehen, darf angenommen werden. Die Streitigkeiten im Vorfeld der Aufführung könnten vermuten lassen, dass Heiberg hier nicht nur eine „ unangebrachte “ Theaterform auf die nationale Bühne bringt, sondern auch ein Bild des jüdischen Charakters zeichnet, das antijüdische Ressentiments stützt und schürt. Dass das Vaudeville - schon der Form nach - schwerlich psychologische Bögen oder tiefergehende Portraits liefern kann, ist ein Charakteristikum dieses Genres, Heiberg selbst bezeichnet es als „ Situationsstück “ 52 und „ Farce “ . 53 Meiner Ansicht nach kann gerade in dieser für das Königliche Theater zunächst ungewöhnlich anmutenden Form der Schlüssel zu einer vielschichtigeren Lesart und Wahrnehmung der Figur liegen. Die Doppelbödigkeit des Genres wird im Zusammenspiel mit P. A. Heibergs Indtoget gegen die Ehrfurcht, die wir Gott schulden, den König, die Gesetze, Anstand und guten Geschmack verstößt. Ich weiß, dass in Heibergs Vaudeville nichts dergleichen vorkommt. “ 49 Heiberg äußert sich 1842 in einem Artikel über Theaterzensur zu den Vorgängen um Kong Salomon og Jørgen Hattemager. (Heiberg, Johan Ludvig: „ Om Theatercensuren. “ In: Intelligensblade 1842) 50 In der gedruckten Fassung wird allerdings Frankfurt beibehalten und folgerichtig der Jude als „ [d]en rige Baron Goldkalb fra Frankfurt “ / / „ [d]er reiche Baron aus Frankfurt “ bezeichnet. (Heiberg, Johan Ludvig: „ Kong Salomon og Jørgen Hattemager. “ In: Heiberg, Johan Ludvig: Samlede Skrifter. Poetiske Skrifter. Femte Bind. Kjøbenhavn 1862, S. 171 - 272, hier: S. 181. Im Folgenden: KS) 51 „ [Kong Salomon] kunde give Anledning til diplomatiske Fortredeligheder. “ (Overskou IV, S. 785) 52 Om Vaudevillen, S. 54 53 Heiberg unterscheidet zwischen einer negativen und positiven Bedeutung des Begriffs Farce. Mit der negativen Konnotation verbindet er vor allem dilettantische Stücke, die aber allen Gattungen angehören können. In einem positiven Verständnis der Farce, verstanden als burleskes Drama, verortet er einige seiner Vaudevilles, darunter beispielsweise Kong Salomon og Jørgen Hattemager sowie Recensenten og Dyret. (Om Vaudevillen, S. 73 ff) 156 Juden im Wunderland? besonders deutlich und bietet dabei die Möglichkeit, anhand theaterästhetischer Fragen Verschiebungen und Konstanten in den Darstellungen jüdischer Figuren in den Blick zu nehmen. 4.3.2 Kong Salomon og Jørgen Hattemager - Gang der Handlung Die kleine Gemeinde Korsør erwartet hohen Besuch - es heißt, der unermesslich reiche Baron Salomon Goldkalb passiere auf seinem Weg von Steinfurt nach Kopenhagen den Ort. Die Bürgerschaft ist in heller Aufregung, erhofft sie sich doch Gewinn aus dem Besuch des hohen Herrn. Zunächst jedoch kommt - unerkannt - der begüterte Kaufmann Løve nach Korsør, er ist auf der Suche nach seinem Neffen Eduard, dem er eine (Bildungs-)Reise nach Hamburg finanziert. Statt in die Hansestadt aufzubrechen, ist Eduard jedoch in Korsør gestrandet und hat all sein Geld in Hüte investiert, in der Hoffnung auf diese Weise die Liebe der Hutmachertochter Luise zu gewinnen. Schließlich betritt der titelgebende Jude die Handlungsarena: Salomon Goldkalb kommt zunächst fast unbemerkt in der Stadt an. Wie sich herausstellt, handelt es sich dabei nicht um einen reichen Baron, stattdessen findet ein armer und verfolgter Schacherjude gleichen Namens den Weg in die kleine Gemeinde. Løve erkennt ihn und erfreut sich an der Idee, dass die Bewohner in dem Juden den sehnlich erwarteten Bankier sehen könnten. Goldkalb ist bereit mitzuspielen und die Farce beginnt: Das Dorf liegt dem falschen Juden zu Füßen, bereitet ihm einen wahrhaft königlichen Empfang, ergeht sich in Träumereien über Investitionen, finanzielle Zuwendungen und lukrative Geschäfte. Auch Eduard und sein Diener Henrik gehören zu den Bittstellern, wollen von dem reichen Juden profitieren und hoffen, mit dem geliehenen Geld ihre Schulden bezahlen zu können. Zu guter Letzt kommt es, wie es kommen muss: Goldkalbs (falsches) Spiel fliegt auf, Løve nimmt ihn wie versprochen unter seinen Schutz, die Liebenden finden auch ohne Hüte zueinander und schließlich kann gefeiert, getanzt und getrunken werden. Musik, Gesang und Spiel erfreuen die Bewohner der kleinen Stadt, und was zunächst als Begrüßung für den reichen Baron geplant war, verwandelt sich umgehend in ein Volksfest. Und der Jude tanzt mit. 4.3.3 Eine gottverlassene Gegend - Goldkalb als Retter Heibergs Vaudeville beginnt damit, dass Eduard und sein Diener Henrik sich in einer Art Reiseführer über ihren aktuellen Aufenthaltsort infor- Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 157 mieren. Korsør hat, das wird schnell deutlich, äußerst wenig zu bieten. Dass der Dichter Jens Baggesen in der 1.450 Einwohner zählenden Gemeinde geboren ist, erscheint als Gipfel der touristischen Attraktionen - die nächst größere ist der Hutmacherladen. Und auch dieser zieht die beiden Großstädter weniger auf Grund der geschmackvollen Kopfbedeckungen als vielmehr wegen der Tochter des Meisters an. Eduard hat nahezu all sein Geld in dem Geschäft investiert und inzwischen eine stattliche Anzahl beisammen: Zwölf Hüte und sieben Mützen hat er bereits erworben und scheint weiteren Einkäufen nicht abgeneigt. Das Geld, eigentlich gedacht für die Fahrt nach Hamburg, ist aufgebraucht, auch die Rechnung im Wirtshaus ist noch offen und so sieht er sich gezwungen, seinem Onkel zu schreiben und um mehr zu bitten. Die prekäre ökonomische Lage ist somit - neben der Liebe zu Luise natürlich! - der Grund, warum die beiden Korsør nicht verlassen können. Voller Hoffnung auf Geld vom Onkel erwarten beide nun die Ankunft der Postkutsche. Heiberg schreibt sich mit dieser Grundkonstellation zunächst in die Holberg ’ sche Komödientradition ein. Der Konflikt zwischen Jung und Alt, das von unterschiedlichen Seiten bedrohte Liebesglück und das Verhältnis Herr - Knecht bilden unverkennbare Parallelen. Der Name der Dienerfigur ist sicher nicht zufällig gewählt, auch wenn Heibergs Henrik weniger gewitzt erscheint und kaum Einfluss auf den Gang der Handlung nimmt. Nichtsdestotrotz ist diese stark in der Holberg-Tradition 54 verhaftete Figur eine wichtig Grundfeste der Geschichte, in ihrem Zusammenspiel mit Goldkalb werden Verschiebungen im Status der jüdischen Figur deutlich. Die Postkutsche bringt per Zeitung und Brief nicht nur neues Leben in die abgeschiedene Stadt, sondern gleichzeitig eine neue Figur in die erprobte und vertraute Komödien-Welt: Die Avisen vermelden die Ankunft eines Fremden und die ersten Männer der Stadt - Sering, Brandt und Villing - überschlagen sich im Verkünden der Heilsbotschaften und führen so die Titelfigur auf prominente Weise ein. Salomon Goldkalb wird, ohne in persona zu erscheinen, als reicher Baron aus Steinfurt vorgestellt, der sich auf dem Weg nach Kopenhagen befindet. Zunächst sind die Bürger der Stadt noch überzeugt, den Besucher gar nicht zu Gesicht zu bekommen, da auf Grund der modernen Infrastruktur Reisende nun einen schnelleren Weg per Dampfschiff nehmen können und nicht mehr auf den beschwerlichen Landweg angewiesen sind. Die sich daraus ergebenden ökonomischen Nachteile werden von den Gastronomen als verheerend geschildert. 54 Vgl. Kap. 2.2.3 158 Juden im Wunderland? Dann aber erreicht per Brief die erlösende Nachricht die Gemeinde: Goldkalb, der besungene Held und König, ist doch auf dem Weg nach Korsør! Als Grund für seine Reise auf dem Landweg wird angeführt, dass das Schiff unmöglich die großen Mengen an Silber und Gold hätte transportieren können, die der Baron mit sich führt. Die Postkutsche, so heißt es, sei zu diesem Zweck 41 Mal hin- und hergefahren. Darüber hinaus wird erwähnt, dass sich Goldkalb auf seiner bisherigen Reise als äußert wohltätig und einkaufslustig erwiesen habe und dabei gern deutlich mehr als den üblichen Preis zu zahlen bereit gewesen sei - sogar ein Glas Wasser habe er vergütet. Diese Informationen erscheinen ausreichend glaubhaft, um den Juden aus Sicht der Bevölkerung als Erlöserfigur zu halluzinieren. In dieser gottverlassenen Gegend, abgeschnitten von den modernen Waren- und Informationsströmen, sehnt die Bevölkerung einen neuen Messias förmlich herbei - entgegen aller Logik und Vernunft. Goldkalb fungiert bereits vor seiner Ankunft als Instanz, die zivilisatorische Fortschritte generieren soll. Gerade vor dem Hintergrund der sich etablierenden Moderne, die von den Bewohnern der kleinen Gemeinde als Bedrohung empfunden wird, birgt die Figur des übermäßig reichen Juden Zukunft. In der farcehaften Form des Vaudevilles gibt Heiberg auf diese Weise nicht nur die Landbevölkerung der Lächerlichkeit preis, gleichzeitig spielt er mit der Motivtradition der Erlöserfiguren und -mythen, die gerade in den häufig aufgeführten Dramen Kotzebues und Ifflands ihr festes Zuhause haben. Vom ersten Schock kaum erholt, machen sich die Bewohner an die Arbeit. Die Vorbereitungen auf die Ankunft des reichen Juden nehmen dabei deutlich Anleihe an eine Adventsmetaphorik: Lichter werden in den Fenstern angezündet und eine besondere Wohnung wird dem Gast im Wirtshaus bereitet. Der Eigentümer Sering ist sogar bereit, vorübergehend auf seine Bleibe zu verzichten und in den Stall (! ) zu ziehen. Der Tabakfabrikant Brandt, in seiner besten Uniform, holt die Bevölkerung mit Hilfe von Trommeln und Glocken zusammen - wie die Hirten von den Feldern. Die Traumbilder der Bevölkerung vom reichen Juden in Zusammenspiel mit der ihm zugesprochenen Macht und Stärke kumulieren hier in einer nahezu religiösen Euphorie. Dies führt dazu, dass die tatsächliche ökonomische Potenz in der Person des Kaufmanns Løve abgewiesen wird: Im Wirtshaus findet sich kein Platz für ihn und so endet seine beschwerliche Herbergssuche in einer kleinen Kammer im Haus des Hutmachers. Die neuen ökonomischen Bedingungen und die sich daraus ergebenden strukturellen Veränderungen und Unsicherheiten im gesellschaftlichen Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 159 Leben der kleinen Stadt verdichten sich hier zu einer Überhöhung des jüdischen Charakters, der als Heilsbringer figuriert wird. Er erscheint als Messias, der einer (zu unrecht) vergessenen und von den modernen Verkehrswegen abgeschnittenen Gemeinde durch seine bloße Anwesenheit wirtschaftlichen Aufschwung zu versprechen scheint. Diese Erwartungen kulminieren in der 21. Szene, in welcher der Chor der Bürger sich sammelt, um Goldkalb vor dem Wirtshaus zu huldigen. Ganze Familien, auf lächerliche Art und Weise herausgeputzt, betreten die Bühne. 55 Vor dem Gasthof angekommen, widmen sie Goldkalb ein Lied, das einer Anbetung, einem Gottesbeziehungsweise Götzendienst, ja förmlich einem Tanz - wie der Name verheißt - um das goldene Kalb gleichkommt: Velkommen, store Mand, hertil! Velkommen, velkommen til Staden vær! Med Trommer og Piber og Sang og Spil Vi hilse Dem paa Staden her. De Store komme til os Smaa; Men det er Skam at De skal staae! Nei, vær saa god at sætte Dem ned, Thi Visen varer en Evighed. 56 Willkommen, großer Mann, willkommen hier! Willkommen, willkommen in unserer Stadt! Mit Trommeln und Pfeifen und Gesang und Spiel Grüßen wir Sie in der Stadt hier. Der Große kommt zu uns Kleinen, oh weh, Sie müssen ja steh ’ n! Bitte, bitte - setzen Sie sich, denn unser Lied dauert ewiglich. Der adventlichen Stimmung und der Herbergssuche folgt hier eine Art Palmsonntag. Goldkalb hält Einzug in einem Jerusalem, das ihm zu Füßen liegt und huldigt. Statt mit Palmenzweigen wedeln die Einwohner mit 55 In der Regieanweisung heißt es: „ Borgere, latterlig pyntede, nogle i Uniform, komme farende ind med deres Koner og Børn, og med Musikanter i Spidsen, og stille sig udenfor Vertshuset. “ (KS, S. 243) / / „ Die Büger, lächerlich zurechtgemacht, einige in Uniformen, kommen mit ihren Frauen und Kinder hereingefahren und stellen sich, die Musikanten an der Spitze, vor das Wirtshaus. “ 56 KS, S. 245 160 Juden im Wunderland? Bittschriften, mit denen sie ihn anschließend überhäufen: Er möge sie retten, beschenken und Zukunft ermöglichen. In einer auf der Bühne sicher äußert komisch anmutenden Szene lässt Goldkalb die Gesuche immer wieder auf den Boden fallen, woraufhin die Bürger sie aufheben und ihm erneut in die Hände drücken: Borgerne komme alle hen med Ansøgninger til Salomon; ogsaa Fruentimmerne og Børnene bringe ham. Han tager imod Papirene med en latterlig fornem Mine. Naar han har faaet en heel Deel samlet, taber han dem paa Jorden, Borgerne samle dem op igjen og give ham dem, hvorpaa han taber dem paany, o. s. v. 57 Die Bürger kommen alle mit Bittschreiben zu Salomon, auch Frauen und Kinder bringen welche. Er nimmt die Papiere mit einer lächerlich vornehmen Mine entgegen. Sobald er einen ganzen Stapel beisammen hat, lässt er ihn auf den Boden fallen, die Bürger sammeln die Zettel wieder auf und geben sie ihm zurück, woraufhin er sie erneut fallen lässt, usw. Und Goldkalb macht weiter: Er lässt sich feiern, er spielt mit den Einheimischen, er gibt sich herrisch und kürzt deren patriotisches Willkommenslied ab, er versichert Brandt, Villing und Sering genau nachzurechnen, inwieweit er bei ihnen investieren kann. Goldkalb gibt als phantastischer Schauspieler, als imaginierter und maskierter Messias seinen Einzug. Auf diese Weise wird er zum Sympathieträger des Publikums, das mit und nicht über ihn lacht, da er immer nur das von den Bewohnern Behauptete darstellt: „ Den König spielen die anderen! “ - dieser alten Theaterweisheit erweist Heiberg hier seine Referenz. Auf diese Weise fungiert die jüdische Figur als Protagonist und wird ermächtigt, aktiv zu handeln und das Geschehen zumindest teilweise zu steuern. Und Goldkalb hat sichtlich Spaß daran. Im Vergleich mit dem „ Vorbild “ Indtoget wird diese Lesart noch deutlicher. Beim alten Heiberg ist es der Dorfmusiker Bræger, der Hoffnung hegt, durch die Fürsprache des marokkanischen Prinzen eine Anstellung als Hofmusiker zu bekommen, hier wird also der individuelle Aufstieg zur Triebfeder der Handlung. Mehr oder weniger begeistert singt die Stadt mit und die Bürger müssen sich immer wieder ihr Fehlverhalten dem adligen Gast gegenüber vorhalten lassen. Salomon Joseph fungiert in Indtoget als 57 KS, S. 249 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 161 Hoffnungsträger eines Individuums, die Dorfgemeinschaft scheint (auch ökonomisch) intakt und erweist sich - marokkanischer Prinz hin oder her - als voll funktionsfähig. Kong Salomon verschiebt diesen individuellen Ansatz hin zu einem gesamtgesellschaftlichen. Die ganze Stadt baut in Zeiten der Verunsicherung auf einen imaginierten Erlöser. Goldkalb ist der Protagonist, auf den Hoffnungen und Erwartungen projiziert werden und der sich als aktiv Gestaltender in den Handlungsprozess einbringt. Diese Verschiebung zwischen den beiden so ähnlich gelagerten Figuren wird auch anhand ihres theatralischen Status ’ erkennbar. 4.3.4 Dressed for success - Theatralischer Status und (Ver-)Kleidung Der theatralische Status der Judenfiguren in den Heiberg ’ schen Schauspielen ist eng an deren (Ver-)Kleidung geknüpft. Die Bedeutungen der äußeren Erscheinung der jüdischen Theaterfiguren habe ich am Beispiel der Holberg ’ schen Dramen sowie anhand der Kostümierung in P. A. Heibergs Singspiel Chinafarerne bereits thematisiert. In einem Theaterstück, das wie Kong Salomon og Jørgen Hattemager bereits im Titel auf (die Produktion von) Kopfbedeckungen referiert, scheint dem Äußeren eine besondere Funktion zuzukommen. Zunächst fällt auf, dass bereits vor seinem ersten Auftritt nicht nur Goldkalb als Person, sondern gleichzeitig auch seine äußere Erscheinung von den Bewohnern Korsørs thematisiert und hervorgehoben wird. In einem gemeinsamen Gesang wird die besondere Qualität der (Ver-) Kleidung in den Mittelpunkt gestellt und ein vestimentäres Traumbild des Juden besungen: Hr. Goldkalb triumferer, Han holder Verden i sin Haand, Han Krig og Fred dicterer, Man kalder ham Kong Salomon. En Sol for Potentater, Hans Dragt er Sølv fra Top til Taa, Og hollandske Ducater Som Knapper bærer han derpaa. 58 58 KS, S. 183 162 Juden im Wunderland? Herr Goldkalb triumphiert, Er hält die Welt in seiner Hand, Er diktiert Krieg und Frieden, Man nennt ihn König Salomon. Eine Sonne für Potentaten, Seine Kleidung Seide, von Kopf bis Fuß, Mit holländischen Dukaten, Die er als Knöpfe daran trägt. Goldkalb wird in imposanten Vergleichen und überzogenen Bildern gezeichnet, im starken Kontrast dazu steht sein erster Auftritt. Løve sieht den Juden kommen und mit ihm weiß auch der Zuschauer um die Diskrepanz zu dem gezeichneten Bild: „ Was kommt dort für eine merkwürdige Figur? Nun glaub ich wirklich, dass die Goldkalb ’ sche Maskerade gleich beginnt! “ 59 Dass der Jude hier als merkwürdig bezeichnet wird, liegt zum einen an seiner äußeren Erscheinung, zum anderen an seinem Gebaren. Goldkalb betritt in einer aberwitzigen Aufmachung die Bühne: Er trägt einen Seidenrock, auf dem Kopf eine Nachthaube und in der Hand einen Stock mit Messingknauf. 60 Darüber hinaus wird er offensichtlich von Kindern verfolgt, die ihn mit Kot bewerfen und gegen die er sich lautstark und mit Hilfe des Stockes wehren muss. S ALOMON (slaaer med Stokken ud i Coulissen): Ja ich skal Gott strafe mig lære jer mores, I verfluchte Gassenjungen! Kan I inte lade en stille Mand gaae in Frieden? - Ach mein Herr! Wollen Sie nicht meine Salvegarde seyn? Die Gassenjungen schmeißen mich mit Koth. 61 S ALOMON (schlägt mit dem Stock in die Kulissen): Bei Gott, ich werd Euch Mores lehren, Ihr verfluchten Gassenjungen! Könnt Ihr nicht einen ruhigen Mann in Frieden lassen? - Ach mein Herr! Wollen Sie nicht meine Rettung seyn? Die Gassenjungen schmeißen mich mit Kot. 59 „ Men hvad er dog det for en mærkværdig Figur, som der kommer anstigende? Nu toer jeg sandelig, at den goldkalbske Maskerade begynder. “ (KS, S. 215) 60 „ Han er klædt i en Sølvmors-Dragt. Paa Hovedet har han en hvid Nathue, i Haanden en Stok med Messing-Knap. “ (KS, S. 216) 61 KS, S. 216 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 163 Ganz in der Holberg-Tradition des jüdischen Rollenfaches bedient er sich einer deutsch-dänischen Sondersprache, er betritt die Bühne auf der Flucht, klagend über sein Schicksal und in seiner körperlichen Unversehrtheit bedroht. Sein nicht rollenfachkonformes Äußeres scheint sich aus den unglücklichen Umständen seiner Reise zu erklären: Zunächst ist ihm unterwegs seine Kleidung gestohlen worden und ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich ein Theaterkostüm anzuziehen, das er einem Schauspieler zuvor abgekauft hatte. 62 Auch die Nachthaube ist eine Improvisation, denn Goldkalbs neu gekauften Hut - Eduard ist also nicht der Einzige mit einer Vorliebe für Kopfbedeckungen - hat ihm ein heftiger Sturm während der Überfahrt vom Kopf geblasen. Dass der Jude die Bühne in einem vermeintlichen Kostüm betritt, halte ich für einen bemerkenswerten dramaturgischen Vorgang. Von Anfang an wird Goldkalb so als ein Maskierter gezeichnet, es gibt keine Trennlinie mehr zwischen Kleidung und Verkleidung. Deutlich wird, dass bereits der erste Auftritt als perfekter Holberg-Jude - inklusive „ Ach waih mir! “ 63 - Teil des Spiels ist, Teil der „ Schicksals-Tragödie “ , 64 als die es Goldkalb selbst bezeichnet. In dieser Lesart rückt die (Ver-)Kleidung in den Mittelpunkt der Betrachtung und verweist auf den besonderen theatralischen Status des jüdischen Protagonisten: Er ist immer schon ein Maskierter - ein Original, in das er am Ende zurückverwandelt werden kann, existiert bei Heiberg nicht. Auch die inhaltlichen und charakterlichen Verortungen des Immer-schon- Verkleideten folgen hier besonderen Mechanismen, die Uneindeutigkeiten evozieren und das Rollenfach als solches deutlich machen können: In Kong Salomon stellt sich der Protagonist als verschuldet dar, in seinem (gesungenen) Reisebericht ist augenfällig, dass Goldkalb sich als immer wieder Betrogenen, Bestohlenen und Misshandelten erzählt. Er hat kein Geld - von Kleidung und Hut ganz zu schweigen - er ist ein Nichts und Niemand. Zudem scheint er furchtsam und verweigert sich fortschrittlichem Denken: Er hat Angst vor Kanonen ( „ Das verbitte ich mir, ich habe das Kanonenfieber “ 65 ), Dampfschiffen ( „ Niemals. Früher ging ich immer mit den Paketboot. Men mit de neue Dampfschiffe will ich mich nicht 62 Wahlweise lässt sich dieses Kostüm für die Rolle als Apollo oder aber als brasilianischer König benutzen. (KS, S. 218) 63 KS, S. 217 64 KS, S. 218 65 KS, S. 221 164 Juden im Wunderland? einlassen. “ 66 ) und vor den Bewohnern nicht nur Korsørs sondern ganz Dänemarks ( „ An anderen Orten wollten die braten und brenne uns, und hier. . . . “ 67 ). Dies eruptive Leid, das sich so in kürzester Zeit auf die Bühne ergießt, und das zunächst denunzierend anmutende Äußere lassen sich leicht als negative Verortung der jüdischen Figur lesen. Gerade aber in der Übertreibung der bekannten Bilder liegt auch ein subversives Potenzial. Heiberg greift in Goldkalbs erstem Auftritt sämtliche Bilder und Motive der Rollenfachtradition auf und verdichtet sie in einer Figur, in einer einzigen Szene. Darüber hinaus wird klar, dass nicht nur die Figur des Juden deutlich übertrieben gezeichnet wird - auch Goldkalbs Gegenpart Løve in seiner Position als reicher, zurückhaltender, nachsichtiger und beschützender Großstädter persifliert die bürgerlichen Tugenden der Kotzbue ’ schen Dramen auf pikante Weise. Durch diese Kumulation von Klischees gelingt es meiner Meinung nach, das Konstruierte in der bekannten Darstellung des jüdischen Rollenfaches deutlich zu machen. Heiberg rückt die spezifischen Zeichen der Judendarstellung in den Mittelpunkt und macht sie als solche sichtbar. Darüber hinaus lässt die Verortung Goldkalbs in einem theatralischen Kontext - als immer schon Verkleideter - bereits seinen ersten Auftritt als eine von vielen Rollen verstehen. Wer dahinter steckt, bleibt unklar, die Suche nach dem „ wahren Juden “ muss zwangsläufig scheitern. Dieser besondere theatralische Status des Protagonisten wird umso deutlicher, wenn er im Vergleich zum „ Vorbild “ Indtoget gelesen wird. In P. A. Heibergs Singspiel wird die (Ver - )Kleidungsfrage auf ganz andere Art thematisiert. In der neunten Szene betritt Salomon Joseph erstmals die Bühne, klar gezeichnet als fahrender Schacherjude, der laut Regieanweisung ein Bündel Kleider auf dem Rücken trägt. 68 Mit der Eingangsreplik - „ Was zu schakren? “ 69 - versetzt er die Bewohner, die nach allen Seiten auseinander laufen, in Angst und Schrecken. Nur Johan von Thuren bleibt, er kennt den Juden von früher und sieht eine günstige Gelegenheit, diesen für seine eigenen Zwecke zu gebrauchen. Der Akt der Verkleidung, das Hineinschlüpfen in eine andere Rolle findet in Indtoget auf offener Szene 66 „ Nei aldrig. In gamle Dager ging ich immer mit den Paketboot. Men mit de nie Dampfschiffe will ich mich inte indlade. “ (KS, S. 220) 67 „ Po andre Stellen har de jo villet stege und brenne uns, und hier. . . “ (KS, S. 222) 68 „ Salomon Joseph (med en stor Hoben Klæder paa Ryggen.) “ (P. A. Heiberg: „ Indtoget. “ In: P. A. Heiberg: Samlede Skuespil. Tredie Deel. Kjøbenhavn 1806, S. 343 - 411, hier S. 372. Im Folgenden: IN) 69 IN, S. 372 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 165 statt. Johan agiert dabei als Regisseur: Er macht dem Juden das Rollenangebot, fragt ihn nach seinen Bühnenerfahrungen und verspricht ihm eine gute Bezahlung. Salomon wählt ein Kostüm aus dem Kleiderbündel, das er auf dem Rücken trägt, ordert einen Hut und bestimmt, dass er ein Gefolge von mindestens fünf Personen benötigt, um glaubhaft den Prinzen zu geben. Der alte Heiberg bietet somit das zunächst bekannte Rollenbild, das auf der Bühne in einem Verkleidungsakt umgewandelt wird. Dass er nur Theater spielt, dass es sich um eine Rolle handelt, aus der er schließlich wieder in das Original zurückversetzt werden kann, bleibt für den Zuschauer erkennbar: S ALOMON : Ich schpille Comoedie min Herre! wissen Sie was? ich will mich verobligeren die schønste Comoedie ganz alleine zu schpillen. Verstehen Sie? Denn ich agere Frauenzimmer, alter Mann, junger Bursch, Officier, Bauer, kurz: was sie nur wollen. Das ist nur Kinderspiel for Salomon Joseph. So ein Mann bin ich. Verstehen Sie? / . . . / Ich har paa een Aften [an einem Abend] spillet Pagens Rolle, und Kønig Hinrich den Vierte, und Emilia Galotti, und den Desentør aus Mutterleib. Verstehen Sie? So ein Mann bin ich. / . . . / Aber Kleider / . . . / ja die kann ich wohl finden hier in mein Bylt [Bündel]. Ein galloneret Hat muß noch dazu. Und so muß ich en Gefolge haben. Verstehen Sie? 70 Ganz am Ende, nach der Auflösung der Intrigen und der Rückverwandlung des Juden, erfährt die Stadt zudem, dass der „ echte “ marokkanische Prinz unbemerkt durch die Stadt gefahren ist. Anders als in Kong Salomon wird hier die Demaskierung zu Ende geführt. Salomon Joseph ist wieder der alte, arme Jude - der marokkanische Prinz längst in Kopenhagen. Der reiche Goldkalb hingegen hat sich nie in Korsør blicken lassen und so bleibt zum Schluss möglicherweise ein letzter Zweifel und eine Ungewissheit, ob nicht doch der scheinbar Verkleidete der Ersehnte war. 4.3.5 Wir haben noch lange nicht genug - Karneval in Korsør Und nicht nur der Jude trägt eine (Ver-)Kleidung. Brandt und Villing als Vertreter des dänischen Bürgertums haben sich zur Begrüßung des 70 IN, S. 375 f. Hierbei handelt es sich um das Original, ich habe auf Grund der guten Verständlichkeit der Sondersprache auf eine Übersetzung verzichtet. 166 Juden im Wunderland? Ehrengastes herausgeputzt - man könnte auch meinen: verkleidet - und begrüßen ihn in einem überhöflichen und falschen Deutsch, sind begeistert von seinen Dänischkenntnissen und glauben ihm seine absurden Geschichten: Goldkalb berichtet beispielsweise, dass er während der Überfahrt auf der „ Sprachinsel “ 71 gelandet sei und er daher nun auch dänisch könne. Sie nennen ihn „ Hochgeborenster Hr. Baron “ , 72 bezeichnen sich als seine „ untertänigsten Diener “ 73 und hoffen vor allem auf Gewinn und Geschenke: eine Golddose - mit üppigem Inhalt natürlich - ist das Mindeste, was sie erwarten. 74 Zum einen zeichnet Heiberg hier eine in ihren moralischen Werten verformte bürgerliche Gesellschaft, die für einen möglichen finanziellen Gewinn bereit ist, alles zu tun. Zum anderen wird deutlich, wie die anfangs als jämmerlich gezeichnete jüdische Figur an Statur gewinnt und - ganz im Sinne des Theaters im Theater - sich in ihre neue Rolle findet und diese bravourös darbietet. Diese neue Spielart geht mit einer Umdeutung der Figur des Juden auf der Bühne einher. Heiberg verortet in einem ersten Schritt Goldkalb klar in der Rollenfachtradition, bricht diese aber auf, indem er sie durch Verfremdung und Übertreibungen sichtbar und damit durchlässig macht. In einem zweiten Schritt erfährt die Rolle nun eine Neubewertung im Zusammenspiel mit den bürgerlichen Würdenträgern Korsørs, eine Veränderung, die auf eine „ moralische “ Ebene zielt. Überraschend erweist sich der Jude in diesem Punkt als überlegen. Es sind die Bürger, die in der Hoffnung auf Geld und gute Geschäfte ihre Grundsätze über den Haufen werfen und abstruse Geschichten beklatschen, solange die Aussicht besteht, dass Geld fließt - Charakteristika, die zuvor vor allem jüdische Figuren auszeichneten. Wo bei Holberg Ephraim und seine 71 Die besondere Komik erschließt sich nur im Dänischen. Sprogø ist eine Insel, die im Belt auf halbem Weg zwischen Nyborg und Korsør liegt, sozusagen auf Goldkalbs Weg in die Hauptstadt. Dass der Jude vorgibt, auf dieser kaum bewohnten Insel (Sprog(Sprache)- Ø (Insel)) irgendetwas gelernt zu haben, dürfte das zeitgenössische Publikum sehr amüsiert haben. „ Tal De kun Danske! Ich ferstaaer Deres Sprog. / . . . / Ich har den lært paa Sprogø, wo ich maatte gaae in Land for den contrarie Vind. Den Ø hedder Sprogø, fordi man der beginner at studere Sproget. “ (KS, S. 224) / / „ Sprechen Sie nur dänisch! Ich versteh ’ Ihre Sprache. / . . . / Ich habe sie auf Sprogø/ der Sprachinsel gelernt, wo ich wegen des Gegenwindes an Land gehen musste. Die Insel heißt Sprachinsel, weil man dort beginnt, Sprachen zu lernen. “ 72 KS, S. 223 73 „ Allerunderdanigste Tjener! “ (KS, S. 225) 74 Brandt: „ Vi faae vist Hver en Gulddaase. “ / / „ Wir bekommen sicher jeder eine Golddose. “ Villing: „ Ja med Ducater i. “ / / „ Ja, mit Dukaten drin. “ (KS, S. 227) Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 167 „ Brüder “ als Kontrastfolie der bürgerlichen Gesellschaft dienen, an denen sich diese ihrer eigenen Überlegenheit vergewissern kann, 75 zeigt Heiberg hier eben jene bürgerlich-ländliche Gesellschaft in moralischer Auflösung begriffen. Goldkalb führt die ehrenwerten Bürger vor und das Publikum ergreift Partei für ihn. Es kann gar nicht anders, als die Männer auszulachen, die untertänig buckeln und dabei glauben, Wohlstand und Reichtum wären kurz davor, sich ihnen zu Füßen zu legen. Selbst der Diener Henrik, seit Holberg der Inbegriff der Verschlagenheit und immer wieder siegreicher Gegenspieler der jüdischen Charaktere, folgt dem Spiel bedingungslos und hat dabei jeden Verstand und Witz verloren. Heiberg dreht den Spieß schließlich sogar um und lässt Goldkalb wirsch gegen Henrik auftreten: „ Halt ’ s Maul und laß mich reden! “ , 76 herrscht er ihn an. Es ist die späte Rache Ephraims an seinem hundert Jahre alten Widersacher. Goldkalb feiert ungestraft weiter und spielt dabei seine Rolle immer virtuoser, er kommandiert die Bewohner und gibt Anweisungen, ergeht sich in einem ausgefallenen Geschmack und ereifert sich, als ihm der Hutmacher erklärt, dass kein neuer weißer Hut aufzutreiben sei: Men ich kan ingen sorte Hatter bruge. Ich muß einen weißen habe. Han seer det ja vel ind: ich bin so weiß angezogen wie die Unschuld, und die Unschuld verträgt keinen Flecken, und ich kan inte ferdrage sodanne sorte Contraster paa min Hoved. 77 Aber ich kann keine schwarzen Hüte brauchen. Ich muß einen weißen habe. Er sieht das wohl ein: ich bin so weiß angezogen wie die Unschuld, und die Unschuld verträgt keinen Flecken, und ich vertrage keine schwarzen Kontraste auf meinem Kopf. Dass den Hüten in Kong Salomon eine besondere Bedeutung zukommt, erzählt bereits der Titel des Dramas. Kirsten Wechsel hat in ihrer Analyse des Heiberg ’ schen Vaudevilles die spezifischen Funktionen der Hüte und Mützen herausgearbeitet: In der ständischen Gesellschaft Dänemarks in den 1820er Jahren fungieren sie zunächst als Zeichen, die ihren Träger in einem bestimmten öffentlichen Kontext verorten. Darüber hinaus werden 75 Vgl. Kap. 2.2.2 76 KS, S. 248 77 KS, S. 228 168 Juden im Wunderland? die Hüte im Verlauf des Dramas in einen beständigen Kreislauf gesetzt, in dem sie ihre Funktion alterieren und damit den jeweiligen Besitzer und dessen gesellschaftliche Funktion (de-)legitimieren. 78 Ein Großteil der Handlung spielt mit und um diese Kopfbedeckungen - sie werden gekauft, um die Liebe der Hutmachertochter zu gewinnen, von Eduard verpfändet, um seine Schulden zu begleichen und von Luise zurückgeholt, damit ihr Vater sie für viel Geld dem vermeintlich reichen jüdischen Baron anbieten kann. Dass der bürgerliche Hut seinen finalen Weg auf Goldkalbs Kopf findet, trotz aller Tauschprozesse, Pfändungen und Verwechslungen, symbolisiert, dass der Jude in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die Nachthaube nimmt er ab und hinterlässt sie den Bewohnern Korsørs als „ Reliquie “ , wo sie - wie Brandt versichert - im Rathaus als Andenken für kommende Generationen aufbewahrt werden soll. Sicherlich pointiert Heiberg hier einmal mehr den messianischen Irrglauben der Bevölkerung, aber die wichtigere Geschichte handelt doch von den getauschten Hüten. Goldkalb hat seinen weißen Hut bekommen, seine Eintrittskarte in die Gesellschaft und auch wenn zum Ende klar wird, dass er den reichen Bankier nur spielt - wer er wirklich ist, bleibt die Frage - behält er ihn auf, den neuen Hut. Diesen Vorgang in den Mittelpunkt des Geschehens zu rücken, lese ich auch als (späte) Stellungnahme des Theaters und natürlich Heibergs zu den Auseinandersetzungen um die Frage der rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Minderheit: Zumindest auf der Bühne darf der Jude teilhaben, bei Heiberg wird er kurzzeitig gar gekrönt. Diese Krönung Goldkalbs mit den bürgerlichen Insignien stellt in ihrem Höhepunkt ein karnevaleskes Moment dar, das auf sämtliche Bewohner ausstrahlt. Denn Goldkalb bleibt nicht der einzige Spieler, bald ist die ganze Stadt verkleidet und feiert ein Fest, das sich, so meine These, stark in die Tradition des Karnevals einschreibt. Die Verhältnisse haben sich nicht nur in der Beziehung zwischen Henrik und Goldkalb verschoben, das närrische Treiben erreicht seinen Höhepunkt im Aufmarsch der Bevölkerung vor dem Wirtshaus. Liest man diesen Auftritt der Bürger und ihren Gesang als Karnevalszug, öffnet sich eine zusätzliche Ebene der Interpretation: Idealtypisch gilt der Karneval als verkehrte Welt, als Antistruktur und Inversionsritual, in dem sich Gesellschaften für die Dauer eines Augenblicks 78 Wechsel, Kirsten: „ Lack of money and good taste. Questions of value in Heiberg ’ s vaudeville. “ In: Stewart, Jon [Hrsg.]: Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, litterateur, dramaturge and political thinker. Copenhagen 2008, S. 395 - 417, hier: S. 406 f Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 169 unter der Prämisse selbst inszenieren, dass alles auch ganz anders sein könnte. 79 Heibergs Figuren feiern hier ein Fest, das karnevalstypisch „ die alltägliche Ordnung mit ihren sittlichen, moralischen und sozialen Normen “ für einen Moment außer Kraft zu setzen scheint. 80 Vor diesem Hintergrund kann der Jude als Messias fungieren und die Bewohner der Stadt zu irrwitzigen Handlungen treiben. In einer Bachtin ’ schen Lesart des Karnevals, verstanden als Fest der Umstülpung und Parodie der Hochkultur durch die Volkskultur, 81 kommt gerade dem Genre des Vaudevilles eine besondere Bedeutung zu. Denn nicht nur in der Zeichnung der Hauptfigur Goldkalb bereichert Heiberg, so meine These, die herrschende Kultur und Rollentradition durch einen subversiv verschobenen Ansatz. Er bringt Gesetze, Verbote sowie Beschränkungen der Bühne und des Rollenfaches in Bewegung. Darüber hinaus ist es das Genre an sich, das zumindest anfangs die „ Hochkultur “ umzustülpen scheint. Das Vaudeville karnevalisiert das Theater und so vermischen sich in Kong Salomon Momente der Figurenzeichnung als auch der dramatischen Form auf eine Weise, welche die (Handlungs-)Bedingungen des Protagonisten teils neu ausformen. Der Karneval bildet in dieser Lesart jedoch nicht nur einen Raum der Möglichkeiten, sondern gleichzeitig fungiert er als Begrenzung und Legitimierung eines Einzelfalls. Das bürgerliche Zeitalter kann eine jüdische Hauptfigur (möglicherweise) nur so lange zulassen, wie dieser Ausnahmezustand begründet Überhand nehmen darf. Denn das Glück kennt Grenzen und so scheint es unwahrscheinlich, dass nach der Krönung des Karnevalskönigs der übliche Sturz ausbleibt. Heibergs Jude braucht das karnevaleske Treiben, um sich Öffnungen und Gelegenheiten zu schaffen und die Zuschauer benötigen diese spezielle theatralische Form, um die Einmaligkeit und Exzeptionalität dieser Ermächtigung angstfrei bejubeln zu können. Dies wird durch die Verortung der jüdischen Figur(en) in einem exotischen Kontext zusätzlich unterstützt. 79 Schindler, Norbert: „ Karneval, Kirche und die verkehrte Welt. Zur Funktion der Lachkultur im 16. Jahrhundert. “ In: Jahrbuch für Volkskunde. 1984 (1), S. 9 - 75 80 Fischer-Lichte, Erika: Kurze Geschichte des deutschen Theaters. Tübingen und Basel 1999 [2. Aufl.], S. 35 81 Bachtin, Michail: Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt am Main 1985 170 Juden im Wunderland? 4.3.6 Strangers in the night - Exotische Fremde In beiden Heiberg ’ schen Dramen überrascht zunächst, dass die (partielle) gesellschaftliche Teilhabe nicht an eine äußere Amalgamierung gekoppelt scheint, ganz im Gegenteil: In Indtoget wird Salomon Joseph in einen orientalischen Zusammenhang hineingezeichnet, er spielt einen marokkanischen Prinzen, der sich auf der Durchreise in die dänische Hauptstadt befindet, um dort an einer Hochzeitsfeier teilzunehmen. Die möglichen historischen Vorbilder haben Morten Borup und Bent Blüdnikow aufgearbeitet und verweisen dabei auf ein Ereignis im Jahr 1787. Der als „ Prinz von Marokko “ bekannte Jude Joseph Sumbel kommt nach Kopenhagen, um das von seinem Vater Samuel 1752 im Auftrag des Sultans von Marokko in dänischen Banken angelegte Kapital zu kassieren. 82 Seine Ankunft erweckt große Aufmerksamkeit, auch wegen seines ungewöhnlichen Äußeren, was sich nicht zuletzt in seinem Turban und dem juwelenbesetzten Goldsäbel manifestiert. Darin avanciert er zum stadtbekannten Exoten und bei Hof gern gesehenen Gast. 83 Diese Geschichte des jüdisch-marokkanischen „ Prinzen “ wird zum Aufhänger für P. A. Heibergs Singspiel. Religiöse oder kulturelle Identitäten werden hier nicht weiter ausdifferenziert, vielmehr unter einem exotischen Ganzen subsumiert. Der Gesangslehrer Bræger bezieht sich darauf, wenn er den marokkanisch-jüdischen Adligen noch vor seiner Ankunft in Bildern wie aus Tausendundeiner Nacht zeichnet: „ Die Marokkaner haben so viel Gold, dass sie gar nicht wissen, wohin damit / . . . / . Ich habe einmal gehört / . . . / , dass in Marokko Apfelbäume wachsen, die goldene Früchte tragen. “ 84 Salomon Joseph ist sich der Erwartungen bewusst und weiß die exotischen Vorstellungen zu bedienen, wie sein Einzug in die Stadt beweist: Getragen von acht Bauern in ihren besten Anzügen sitzt er auf einer Bahre und trägt goldene Stiefel, einen roten, pelzbesetzten Mantel, eine lange, weiße Perücke und schließlich einen Pelz-Hut. 85 Nicht ohne lapidar und 82 Borup II, S. 45 83 Blüdnikow, Bent: Sladder og Satire. Københavnerliv i 1780 ’ erne. København1988, S. 99 84 „ De Maroccaner, de har saa meget Guld, saa de ikke veed, hvor de skal gjøre af det / . . . / . Jeg har engang hørt / . . . / at der voxede Æbletræer i Marocco, som bare Guldæbler. “ (IN, S. 387) 85 In der gedruckten Fassung ist das Kostüm wie folgt beschrieben: „ Otte Bønder i deres beste Klæder, bærende en Liigbør med et stort Liig-Klæde over, hvorpaa Salomon Joseph sidder, med gule Støvler paa, en rød Klædes Kappe besadt med Galluner, en stor hvid Paryk paa Hoveded, og der oven paa en galluneret Hat. “ (IN, S. 391) / / „ Acht Bauern in ihren besten Kleidern tragen eine Bahre mit einem großen Leichentuch darüber, auf der Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 171 zur Belustigung des Publikums anzufügen: „ [D]ie Marrokkaner sind ja Juden. Daß weiß ich von Kopenhagen her. “ 86 Trotz dieser Fremdheit ist die Kommunikation mit dem Neuankömmling dann glücklicherweise kein Problem. Bræger kann beglückt feststellen, dass der Fremde dänischdeutsch spricht und ihn unerwarteter Weise versteht. Schließlich übersetzt der vermeintliche Prinz sogar sein „ marokkanisches Lied “ ins Deutsche, damit die Bewohner es verstehen können. 87 Als Parodie auf die gängige Volksliedernachahmung gipfelt es in einem bombastischen Kehrreim und stellt so dem Exotischen eine musikalisch vertraute Sprache zur Seite. Dies gilt ebenfalls für Salomon Josephs Ariette „ En Jede muß sin Konst forschtaae “ 88 ( „ Ein Jud ’ muss seine Kunst versteh ’ n “ ) zum Abschluss des ersten Aktes. Auch hier fungiert Schulz ’ Komposition eher als komisches denn als exotisches Element. Die Gesangspartie erweckt durch die wiederkehrenden Synkopen den Eindruck, „ als biete jemand mit lauter Stimme seine Waren an. “ 89 Die sparsame Orchestrierung, bei der das Fagott deutlich hervorsticht, steigert den komischen Effekt weiter. Auf diese Weise bleibt der Jude demnach ein Einheimischer, ein Daheimgebliebener, der trotz seiner fremden Herkunft musikalisch bestens verstanden werden kann. Anders gelagert ist die Exotisierung in der Zeichnung Goldkalbs in Kong Salomon. Zunächst fällt auf, dass bereits vor seinem Auftreten sehr klare Vorstellungen von ihm herrschen. Henrik beispielsweise weiß zu berichten, dass der reiche Baron „ aus dem inneren Afrika kommt, und über dreißig Kamele mit sich hat, beladen mit Gold und Edelsteinen. “ 90 Natürlich muss er daher „ kohlschwarz “ 91 sein, woraus der Diener schlussfolgert, dass es eine Leichtigkeit sein müsse, ihn um 100.000 Taler zu bitten - eine Aufforderung ebenso unverschämt wie irrwitzig. Dass dies mit dem tatsächlichen Bild des Fremden wenig zu tun hat, erweist sich als unwichtig. Alle irgendwie als fremd und damit partiell gefährlich konnotierten Bilder werden hier auf den Juden projiziert und - das ist das Novum - positiv Salomon Joseph sitzt, er trägt goldene Stiefel, einen roten Mantel besetzt mit Zierstreifen, eine lange weiße Perücke und dazu einen galonierten Hut. “ 86 IN, S. 375 87 IN, S. 398 88 IN, S. 377 89 Krogh, Torben: Zur Geschichte des dänischen Singspiels im 18. Jahrhundert. Berlin 1923, S. 204 90 Henrik: „ Ja men har De hørt, at han er kommen fra det Indre af Afrika, og har over tredive Kameler med sig, ladede med Guld og Ædelstene? “ (KS, S. 231) 91 Henrik: „ [H]an er kulsort som en Morian. “ (KS, S. 231) 172 Juden im Wunderland? umgewertet. Salomon Goldkalb ist nicht nur deutscher Bankier, er ist zugleich ein Widergänger des alten Israel in Gestalt des Königs Salomon, er ist schwarz und reist mit Kamelen, bei P. A. Heiberg firmiert er als Prinz und mit ihm werden alle Marokkaner zu Juden. Die Aufladung der jüdischen Figuren mit exotischen Bildern, diese Über-Fremdung, impliziert jedoch keine Bedrohung, vielmehr scheint damit eine Aufwertung verbunden. Je fremder, desto besser! Hans-Peter Bayerdörfer hat gezeigt, dass die Bühne im 19. Jahrhundert zu einem Umschlagplatz von Bildern wird, die mit exotischen Reizen die wachsende Schaulust des Publikums zu befriedigen suchen. 92 Dies gilt nicht nur für den deutschsprachigen Raum sondern ebenso für das dänische Theater. 93 Beide Heiberg ’ schen Dramen verbindet, dass sie der inszenierten Fremdheit keine Widerstände entgegensetzen, sondern vielmehr das Exotische feiern. Gerade in der Überhöhung Goldkalbs zeigt sich, dass das ultimativ Fremde als einzige Rettung der demoralisierten und rückständigen Dorfgemeinschaft erscheint - zumindest bis sich Løve in Deus-ex-Machina-Manier zu erkennen gibt und dann nicht nur Korsør, sondern förmlich die ganze Komödienwelt rettet. Die Inszenierung von Fremdheit geht hier nicht einfach in Inhalten und Stoffen von historischem und exotischem Interesse auf, im Sinne des Spektakulären bleibt sie zunächst ein Wert an sich, der ein eigenes Reizpotential entfaltet. Aber auch hier lässt sich ein ambivalenter Ansatz erkennen. Die Exotisierung der jüdischen Charaktere als auch die Überlagerung verschiedener Bilder des Fremden führen dazu, sie aus der Gemeinschaft heraus zu schreiben, beziehungsweise die individuelle Akzeptanz in den Vordergrund zu stellen: Wenn der Jude von weit herkommt, dann wird er mit großer Sicherheit auch dorthin wieder zurückkehren. Auf diese Weise stellt er weder eine Gefahr für die vermeintliche Homogenität der Gesellschaft dar, noch fordert er eine Teilhabe über seinen kurzen, touristisch anmutenden Besuch hinaus. Die Verhandlung über Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe wird somit obsolet. Die Bewohner als auch die Zuschauer 92 Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Theater im Jahrhundert des Bühnenbildes - Fremdheit im Angebot. Ein kleines theatergeschichtliches Repetitorium. “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter et al. [Hrsg.]: Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jahrhundert. Berlin 2007, S. 289 - 314, hier: S. 313 93 Siehe dazu: Neiiendam, Klaus: „ Drømmen om Cathay. Kina som inspiration for europæisk teater og særlig dansk teater i 1700og 1800-tallet. “ In: Neiiendam, Klaus [Hrsg.]: Danske teaterhistoriske Studier. Selskabet for Dansk Teaterhistorie 2000 (a), S. 143 - 193 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 173 sind aus der Gefahrenzone und es bereitet daher keine Schwierigkeiten, Goldkalb schließlich einzugemeinden. Brandt hält eine Rede - laut Regieanweisung „ begeistert “ 94 - in der er Goldkalb in die Gemeinschaft aufnimmt: „ Ein Fremder? Nein, der Baron ist uns nicht fremd. Das selbe Band verbindet sein Herz mit unserem. Was für ein Volksfest! Alle Stände, alle Geschlechter, alle Generationen sind versammelt! Und alle bringen ihre aufrichtigen Gefühle zum Ausdruck! “ 95 Kurz vor seiner „ Enttarnung “ erreicht Goldkalbs Stellung ihren Höhepunkt. Er hat den Hut auf und gehört dazu, eine karnevaleske Krönung. So führt die Exotisierung und ausgestellte Fremdheit der jüdischen Figuren dazu, diese als ungefährlich wahrzunehmen, da sie sich für die Lebenswirklichkeit der Bewohner als wenig relevant darstellen. Es ist eine zeitlich begrenzte Aufnahme in die Gesellschaft, denn beide sind nur auf der Durchreise, zudem verspricht die kurzzeitige Integration der Fremden ökonomische Vorteile: In Indtoget zumindest für den Einzelnen, in Kong Salomon gleich für die ganze Dorfgemeinschaft. Dort darf dann auch gefeiert werden, das Fest kein Ende finden und Goldkalb mittendrin das Tanzbein schwingen. 4.3.7 Jodelnde Deutsche und Dirty Dancing - Heibergs Vaudeville- Musiken Und wo getanzt wird, braucht es Musik. Auf die musikalischen Besonderheiten der Vaudevilles habe ich eingangs hingewiesen: Heiberg bedient sich für seine neue Theaterform aus heutiger Sicht recht ungeniert und vielseitig des bekannten Theaterrepertoires. 96 Diese außerordentlich geschickte Selektion trägt nicht unwesentlich zum rauschenden Erfolg von Kong Salomon und dessen Nachfolgern bei. 97 Betrachtet man die Quellen genauer, wird schnell deutlich, wie sehr die Musikwahl den karnevalesken Charakter des Stückes unterstreicht. Torben Krogh hat 94 KS, S. 258 95 „ En Fremmed? Nei Baronen er os ikke fremmed. Det samme Baand omslynger vore Hjerter og hans. O hvilken Folkefest! Alle Stænder, alle Kjøn, alle Aldre forsamlede! Og Alle udtrykkende Hjertets uskrømtede Følelser! “ (KS, S. 258) 96 Eine Ausnahme bildet hier das Vaudeville Et Eventyr i Rosenborg Have, das sich nicht bekannter Melodien bedient. Vielmehr komponiert Weyse eine komplett neue Musik für dieses Stück. 97 Krogh, Torben: Heibergs Vaudeviller. Studier over Motiver og Melodier. København 1942, S. 3 174 Juden im Wunderland? gezeigt, dass musikalische Aktualität und die Verortung in populären kulturellen Strömungen als konstituierende Charakteristika des Genres fungieren. 98 Heiberg setzt mit Kong Salomon auf diese Weise einen Trend, dem verschiedene Autoren folgen und so das Vaudeville zur beliebtesten und häufig aufgeführten Theaterform im Goldenen Zeitalter machen. Die musikalischen Grundlagen verändern sich kaum und die verschiedenen Autoren schöpfen aus einem ähnlichen Fundus. Die vier wichtigen Einflussgebiete sind neben dem französischen Vaudeville und der deutschen Liederposse sowohl Bellmann als auch die zeitgenössische Oper. Elemente aus diesen Bereichen finden sich in nahezu allen Vaudevilles der 20er und 30er Jahre des 19. Jahrhunderts. Kong Salomon greift exemplarisch all diese Bereiche auf: Neben einer Melodie aus Mozarts Don Giovanni findet sich Carl Maria von Webers Jägerchor aus dem Freischütz ebenso wie die Arie Einsam bin ich, nicht allein aus dessen Oper Preciosa. 99 Darüber hinaus gibt es Kompositionen von Weyse 100 und Kuhlau, 101 ebenso französische Chansons und patriotische Lieder. Einer der gefeierten Höhepunkte des Abends ist Luises Liebeslied, das auf einem Ländler aus der deutschen Liederposse Die Wiener in Berlin von Karl von Holtei fußt. 102 Das Stück wird mit großem 98 Krogh 1942, S. 3 99 Carl Maria von Webers Oper Preciosa feiert am 29. Oktober 1822 Premiere am Königlichen Theater und erfreut sich großer Beliebtheit. Bereits in der ersten Saison erfolgen sechs Aufführungen, bis 1887 insgesamt 104. 100 Christoph Ernst Friedrich Weyse, ursprünglich aus Altona, komponiert verschiedene Werke für das Theater. Zu den meistgespielten gehört Sovedrikken (Premiere 1809), das über 100 Vorstellungen erlebt. Aus diesem Singspiel bedient sich auch Heiberg in Kong Salomon: Der Gesang, in dem die Bevölkerung Goldkalbs (Ver-)Kleidung imaginiert, ist eine Melodie aus Weyses erfolgreichstem Werk. 101 Daniel Frederik Rudolph Kuhlau, geboren in Uelzen, feiert seinen ersten großen Erfolg am Theater mit dem Drama Røverborgen (Premiere 1814), aus dem sich Heiberg für Kong Salomon ebenfalls bedient. Darüber hinaus komponiert er unzählige kleinere und größere Stücke für die Bühne. Sein größter Triumph wird jedoch die Zusammenarbeit mit Johan Ludvig Heiberg in Elverhøi, dem nationalen Singspiel und bis heute meistgespieltem Stück am Königlichen Theater. 102 Heiberg selbst schreibt in Om Vaudevillen, dass er das Stück mehrmals in Hamburg gesehen habe, ehe es zum Kopenhagener Gastspiel kommt. (Om Vaudevillen, S. 70) Krogh sieht in Die Wiener in Berlin einen der wichtigen Auslöser dafür, dass Heiberg sich diesem Genre zuwendet und mit der Arbeit an Kong Salomon beginnt. (Krogh 1942, S. 21) Diese Annahme verfestigt sich, bedenkt man, dass Heiberg in mehreren seiner Vaudevilles Melodien aus dieser deutschen Liederposse einarbeitet. Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 175 Erfolg 1825 in Kopenhagen als Gastspiel gegeben 103 und die Hamburger Sängerin Emilie Pohlmann jodelt sich mit dieser Melodie in die Herzen der dänischen Hauptstadt. Eine Tatsache, die Heiberg in seiner Bearbeitung aufgreift und zudem nicht unkommentiert lässt: Nachdem Luise mit diesem bekannten und geschätzten Lied ihrem Herzensleid Ausdruck verliehen hat, tritt Eduard auf und überrascht mit der Bemerkung: „ Was für eine schöne Melodie. Die hörte ich Fräulein Pohlmann in Kopenhagen singen; aber ich bin mir sicher, dass jeder, der sie aus Eurem Mund hört, mit mir darin übereinstimmt, dass Sie genauso schön singen wie Fräulein Pohlmann. “ 104 Hier zeigt sich zum einen die breite Streuung der musikalischen Einflüsse, vor allem aber die Bezugnahme auf aktuelle Geschehnisse, welche zum Erfolg des Genres ungemein beitragen. Dabei fällt auf, dass häufig der neue Text die Originalkomposition parodiert, was zu äußerst komischen Effekten führt. In der Regel kann man davon ausgehen, dass das Publikum mit den Originalen vertraut ist, sowohl mit deren Text als auch mit dem Zusammenhang, für den sie geschrieben sind. 105 Heiberg weist in seiner Schrift Om Vaudevillen explizit darauf hin, dass es wichtig sei, dass das Publikum die Melodien erkenne. Dadurch sieht er den epischen Effekt gewährleistet, dass sich die Zuschauer mehr auf den Inhalt der Gesangsnummer konzentrierten statt auf deren musikalische Ausformung. 106 Goldkalbs gesungener Reisebericht in der 13. Szene, in dem er beschreibt, wie ihm die Kleidung geraubt und später sein Hut vom Wind weggeweht wird, dient als ein charakteristisches Beispiel dafür. Die Melodie stammt aus einem Singspiel von Dalayrac mit dem Titel Azemia eller De Vilde 107 (Azemia oder die Wilden). Das bekannte Stück handelt von einem Europäer, der gemeinsam mit seiner Tochter und einem Pflegesohn viele Jahre 103 Das Gastspiel wird auf Deutsch gegeben. Interessant dabei ist, dass bis auf Emilie Pohlmann alle Schauspieler aus dem Ensemble des Königlichen Theaters stammen. Eine damals durchaus gängige Praxis. Die Premiere erfolgt am 20. Mai 1825, bis 1827 folgen noch neun weitere Vorstellungen. 104 „ Det er en deilig Melodie. Jeg har hørt Mamsel Pohlmann synge den i Kjøbenhavn; men jeg troer vist, at Enhver, som havde hørt den af Deres Mund, vilde finde med mig, at De synger den ligesaa smukt som hun. “ (KS, 187 f) 105 Krogh 1942, S. 3 106 Om Vaudevillen, S. 43 107 Azémia ou les sauvages, Singspiel in drei Akten, Musik von Dalayrac, das Libretto stammt von Poisson de la Chabeaussière. Die Übersetzung besorgt auch hier N. T. Bruun und für die Choreographie zeichnet Galeotti verantwortlich. Die Premiere erfolgt am 29. Oktober 1810, bis 1827 wird es insgesamt 35 Mal gespielt. 176 Juden im Wunderland? auf einer Südseeinsel verbringt. Damit es zu keinen Intimitäten zwischen den Heranwachsenden kommt, lässt er die Tochter stets in Männer(ver-) kleidung auftreten. Nichtsdestotrotz - oder gerade deswegen - erwacht in dem jungen Mann die Liebe, und er besingt in einer Arie die Unsicherheiten seinen eigenen Gefühlen gegenüber: Aussitôt que je t ’ aperçois (Immer, wenn ich Dich anschau ’ ) ist eine der bekanntesten Melodien aus diesem Singspiel. 108 In Kong Salomon wird die Melodie des jungen Liebhabers nun vom alten Juden Goldkalb gesungen, in der üblichen Mischung aus dänisch und deutsch. Weder geht es um Liebe oder Begehren, vielmehr um eine groteske und lächerliche Situation: Der Jude stellt fest, dass ihm seine Kleidung geraubt wurde. In der zweiten Strophe dichtet er: Nun sprang ich splitternackend op, Men han var uden Døre; Ich hatte Schjorten po min Krop, Und weiter nichts, ich schwöre. Zum Glück lag noch min Silfmoors-Tracht Im Koffer zierlich eingepackt. Den trak ich po, gik over Vandet, Men midt po Belten reent forbandet Mich Vinden tog i Nakken fat, Und fløiten gik min Silkehat. 109 Nun sprang ich splitternackend auf, Aber er war aus der Tür; Ich hatt ’ nur Unterhosen an, Und weiter nichts, ich schwör ’ . Zum Glück lag noch meine Seiden-Tracht Im Koffer zierlich eingepackt. Die zog ich an, ging übers Meer, aber mitten auf dem Belt, Verdammt! , packte mich der Wind im Nacken Und flöten ging mein teurer Hut. Dass diese an sich schon komische Szene ihren Witz dadurch steigert, dass sie zu einer bekannten Liebesmelodie gesungen wird, unterstreicht einmal 108 Krogh 1942, S. 109 f 109 KS, S. 219 Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 177 mehr, wie sich Heiberg das Genre zunutze macht, um Ambivalenzen in der Darstellung seines Protagonisten zu erzeugen. Zum einen gibt er dem bestohlenen und halbnackten Juden durch die Erzählung eine jämmerliche und lächerliche Zeichnung, aber er ergänzt sie durch eine bekannte und beliebte, nicht wirklich „ passende “ Melodie. Indem Goldkalb das Theater und dessen Repertoire parodieren darf, gewinnt er an Statur und Sympathie. Genretypische Elemente und Figurenzeichnung verschmelzen in der musikalischen Erzählung zu einem parodistischen Narrativ, das weder sich selbst noch das Theater ernst zu nehmen scheint. Aus dieser Nonchalance zieht die Figur ihre Attraktivität und löst sich damit von der einseitigen (textlichen) Zeichnung des ausgeraubten Schacherjuden. Dieses parodistische Element nutzt Heiberg auch, um die Dorfgemeinschaft zu desavouieren. Zu Beginn der zweiten Szene erklingt das Posthorn, daraufhin stürmen die Würdenträger der Stadt und andere Gäste aus dem Wirtshaus auf die Strasse. Brandt hat noch die Serviette um den Hals und Villing hält einen Knochen in der Hand, den er abnagt. Diese merkwürdige und lächerliche Versammlung stimmt nun den berühmten Jägerchor aus Carl Maria von Webers Freischütz an, natürlich mit geändertem Text. Vad ligner, Korsør, din politiske Glæde, Naar Posten er kommen fra kongelig Stad? Ved Klangen af Hornet paa Torv og i Stræde Man glemmer sin Flaske, man glemmer sin Mad. Statstidenden kommer i Ledtog med Dagen, Og Nyheder bringer fra sikker Kanal, Mens Morgenog Aftenblad værner om Smagen, Og Damerne slaaes om den franske Journal. 110 Korsør, was gleicht Deiner Freude, Wenn die Post aus der Hauptstadt eintrifft? Ertönt der Klang des Horns auf Markt und Straßen Vergisst man seine Flasche, vergisst man sein Mahl. Die Zeitungen kommen im Laufe des Tages Und bringen Neuigkeiten auf sich ’ rem Kanal, Während die Abendzeitungen den Geschmack bemühen, Schlagen die Damen sich um das französische Journal. 110 KS, S 181 178 Juden im Wunderland? Gerade im Vergleich mit dem deutschen Original 111 wird das parodistische Element überdeutlich: Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen? Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich? Beim Klange der Hörner im Grünen zu liegen, Den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich. Ist fürstliche Freude, ist männlich Verlangen Erstarket die Glieder und würzet das Mahl. Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen Freier und freud'ger der volle Pokal! 112 Es ist kein stolzer Jägerchor, sondern eine lächerliche Dorfversammlung, für die in Ermangelung von Abwechslung die Ankunft der Postkutsche den Höhepunkt des Tages bildet. Die majestätische Melodie und der heroische Impetus der Weber ’ schen Jäger stehen den vom Essen aufgesprungenen Bürgern der kleinen dänischen Gemeinde konträr gegenüber. Auch hier nutzt Heiberg erneut ein aktuelles und beliebtes Werk aus dem Repertoire des Theaters und deutet es für seine karnevaleske Revue um. Diese Verschiebung funktioniert nur unter der Voraussetzung, dass die Zuschauer das Original kennen und verorten können und generiert auf diese Art den komischen Effekt. Für das Finale, dem in allen Vaudevilles eine besondere Bedeutung zukommt, wählt Heiberg einen schwungvollen Tanz. In der Regel stehen während der Schlussnummer alle Darsteller in Rampennähe in einer Reihe auf der Bühne, je nachdem in welchen Konstellationen sie das Drama zusammengeführt hat. Wer gerade singt, tritt einen Schritt hervor und fasst kurz und humorvoll die Geschehnisse aus seiner Sicht zusammen. Dabei wird das Publikum direkt adressiert und durch besonders eingängige Melodien noch einmal in Hochstimmung versetzt. In Kong Salomon ist das Finale als strophisches Lied mit wiederkehrendem Chorrefrain gestaltet, der eine Aufforderung zum Mitmachen beinhaltet: „ Auf zum Tanz! Zum 111 Der Freischütz gehört in den 1820er Jahren zu den meistgespielten Opern am Königlichen Theater. Die Premiere erfolgt am 26. April 1822. Die Uraufführung findet kurz zuvor am 18. Juni 1821 im Hamburger Schauspielhaus statt. In den ersten vier Spielzeiten erfolgen ungewöhnliche 25 Vorstellungen. Die Übersetzung in Dänische besorgt kein geringerer als Adam Oehlenschläger. 112 Der Freischütz, III. Akt, 6. Szene. (Weber, Carl Maria von; Kind, Friedrich: Der Freischütz. Leipzig 1822) Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 179 Tanz! Zum Tanz! “ 113 Dem folgen alle Darsteller und so ergehen sich die Bewohner Korsørs zur Melodie eines französischen Kontretanzes in Paaren auf der Bühne. Mit dieser schwungvollen Nummer, die im Original aus einer bekannten französischen Liedersammlung stammt und nicht dem Tanz sondern der Liebe huldigt - „ C ’ est l ’ amour, l ’ amour, l ’ amour “ - , schreibt Heiberg seinem Karneval einen musikalischen wie szenischen Höhepunkt. Denn nicht nur darf der Jude mitsingen, vielmehr tanzt er im großen Finale mit dem Hutmacher. Ob das dann die Liebe ist, wie das französische Original andeutet, darf dahingestellt bleiben, aber es wird vor allem Goldkalbs nächste Rolle: Er spielt den Juden aus Holbergs Abracadabra, sein Karneval geht weiter. Und anders als in der Vorlage, 114 die den Zuschauern am Kongens Nytorv bekannt und präsent ist, wird der Jude diesmal nicht vom Diener Henrich zum Tanzen gezwungen und mit Schlägen zum Weitermachen animiert. Goldkalb bildet vielmehr einen selbstverständlichen Teil des Volksfestes, er emanzipiert sich von seinem dramatischen Vorgänger und gibt selbst den Takt an. Dass hier zwei Männer miteinander tanzen, ist in dieser Lesart somit kein Zeichen prekärer Männlichkeit und Unfruchtbarkeit, wie Kirsten Wechsel schreibt, 115 vielmehr unterstreicht es die neue Qualität der Zeichnung des jüdischen Charakters im Zusammenspiel mit der populären Theaterform: Bei Heiberg bilden nicht die jungen Liebenden den Schluss- und Höhepunkt, sondern die beiden Titelfiguren, ein komisches Paar aus Hutmacher und König, die als Sympathieträger fungieren und vielleicht ein wenig - im Commedia-Verständnis - die Rolle der Vecchi übernehmen, der listigen Alten, welche die Welt immer noch ein Stück verändern können, die den Bürgern ihre merkwürdige Moral und der Stadt ihre Verlogenheit vorhalten. Und dabei weder sich noch den großen Holberg noch das Königliche Theater allzu ernst nehmen. 113 „ Op til Dands! til Dands! til Dands! “ (KS, S. 268) 114 Vgl. Kap. 2.2.2 115 Wechsel, Kirsten: „ Herkunftstheater. Zur Regulierung von Legitimität im Streit um die Gattung Vaudeville. “ In: Gestrich, Constanze; Mohnike, Thomas [Hrsg.]: Faszination des Illegitimen. Alterität in Konstruktionen von Genealogie, Herkunft und Ursprünglichkeit in den skandinavischen Literaturen seit 1800. Würzburg 2007, S. 39 - 59, hier: S. 57 180 Juden im Wunderland? 4.3.8 Homme de théâtre - Heiberg als Theaterrevolutionär Zum Schluss also die Errettung? Der reiche Kaufmann Løve greift voller Weisheit und aufgeklärter Haltung in das Geschehen ein: Der Jude wird enttarnt, die Liebenden einander zugeführt und das Dorf ergeht sich - nach einigem Ärger über das freche Auftreten Goldkalbs - in einem Volksfest. Auffällig ist, dass anders als in den bekannten Komödien hier nicht das Liebespaar im Zentrum der Handlung steht, sondern die bürgerliche Gesellschaft samt ihrer Erlöserphantasien. Goldkalb fungiert dabei als die zentrale Figur, um die alles Denken und Handeln kreist. Wie in einem Brennglas fokussiert er gesellschaftliche Konflikte, Umbruchphasen sowie Unsicherheiten und die daraus resultierenden Ängste der Bevölkerung, die sich in der überschwänglichen, lächerlichen und dabei völlig unvernünftigen Erwartungshaltung der Bürger an den neuen (jüdisch-deutschen) Erlöser manifestieren. Erst Løve, der Hauptstädter, kann ihnen die Augen öffnen. Letztlich führt also die Dramaturgie dieses Heiberg ’ schen Vaudevilles vordergründig ebenfalls über die Demaskierung des Juden. Mit Blick auf die Ausgangslage - die Betrachtung des jüdischen Charakters als immer schon Verkleideten - fällt jedoch die Frage nach der Demaskierung differenzierter aus. Sicherlich wird Goldkalb seinen Status als salomonische Titelfigur los, aber es ist eben nur ein Wechsel in eine neue Rolle, nicht in einen wie auch immer gearteten „ Originalzustand “ . Bei Goldkalb, das macht Heiberg deutlich, gibt es kein Dahinter, keinen „ wahren “ Juden. Und wenn dieser abschließend mit dem Hutmacher feiert, spielt er zugleich mit dem Publikum, das seinen Holberg kennt, er spielt mit dem Rollenfach, das merkwürdig sichtbar und auf diese Weise durchlässig wird, und er spielt mit den Bewohnern, denen er noch einmal auf der Nase herumtanzt, anstatt sich zeternd von der Bühne zu scheren. Und er tanzt mit großem Erfolg. Die Kassen des Theaters sind voll, allein in der ersten Saison erlebt das Stück unglaubliche 15 Aufführungen vor vollem Haus. Die Eintrittskarten verkaufen sich wie selten zuvor und es gibt regelmäßig Tumulte und Schlägereien um die letzten Tickets. Ein regelrechter „ Theaterwahnsinn “ 116 bricht aus und die Stadt kennt nur noch ein Thema: Heibergs Triumph. Hans Christian Andersen, ein eifriger Theaterbesucher und selbst mal mehr mal weniger erfolgreich als Dra- 116 Die von Kela Kvam herausgegebene Theatergeschichte Dänemarks überschreibt passend das Kapitel zum Goldenen Zeitalter und Heibergs rauschenden Erfolgen mit „ Den store teatergalskab “ / / „ Der große Theaterwahnsinn “ . (Kvam I, S. 177) Kong Salomon - Heibergs erlösender Jude 181 matiker, überschlägt sich förmlich in seiner Begeisterung über Kong Salomon und steht damit stellvertretend für die Hauptstadt: „ Das war ein dänisches Vaudeville, Blut von unserem Blut / . . . / und wurde daher mit Jubel aufgenommen und verdrängte alles andere. Thalia feierte Karneval auf der dänischen Bühne und Heiberg war ihr erklärter Favorit. “ 117 Thalia hatte auch schon Holbergs Theater segnen und die Schirmherrschaft über die Anfänge der dänischen Bühne übernehmen müssen. Andersen knüpft daran an und unterstreicht auf diese Weise die nationale Bedeutung des neuen Genres, er lässt den Wunsch nach einer originär landessprachlichen Dramatik aufleben, und Heibergs erfolgreiche Bemühungen, eine neue dänische Lustspieltradition zu begründen, haben die besten Aussichten, endlich die Ifflands und Kotzebues von der Bühne zu verjagen. Mit Blick auf die nackten Zahlen wird noch deutlicher, wie sehr Heiberg und die Etablierung des Vaudevilles das Königliche Theater ab 1825 prägen. Seine Original-Vaudevilles - daneben zeichnet er für die Übersetzung von über 30 vorwiegend französischen und deutschen Stücken verantwortlich - werden zu seinen Lebzeiten unglaubliche 738 Mal aufgeführt und erreichen allein in den Jahren zwischen 1825 und 1835 eine Zuschauerzahl von ca. 345.000. 118 Heiberg avanciert auf diese Weise zum meistgespielten Autor seiner Zeit, weit vor Henrik Hertz, Holberg oder gar Adam Oehlenschläger. Das Theater kann sich dank des Erfolgs finanziell weitgehend sanieren. Darüber hinaus entsteht eine wahre Flut neuer und erfolgreicher landessprachlicher Dramatik, das Königliche Theater festigt seine Funktion als Leitmedium in einer neuen Zeit. Architektonisch als auch kulturell dominiert das Haus am Kongens Nytorv das tägliche Leben der Hauptstadt: Man trifft sich im Theater, man redet über das Theater, man liebt das Theater. So bietet Kong Salomon auch die Möglichkeit, Johan Ludvig Heiberg als Theatermenschen - als „ homme de théâtre “ 119 - in den Blick zu rücken. Das Bild des konservativen und nahezu reaktionären Repräsentanten des 117 „ Det var en dansk Vaudeville, Blod of vort Blod / . . . / och den blev derfor med Jubel optaget og fortrængte ganske alt Andet. Thalia holdt Carneval paa den danske Scene, og Heiberg var hendes Udkaarne. “ (Andersen, Hans Christian: Mit Livs Eventyr I. Herausgegeben von H. Topsøe-Jensen. Kopenhagen 1975, S. 99) 118 Vinten-Johansen, Peter: „ Johan Ludvig Heiberg and his audience in nineteenth-century Denmark. “ In: Stewart, Jon [Hrsg.]: Kierkegaard and his contemporaries. The culture of Golden Age Denmark. Berlin und New York 2003, S. 343 - 355, hier: S. 353. 119 Nagy, András: „ Either Hegel or dialectics: Johan Ludvig Heiberg. Homme de théâtre. “ In: Stewart, Jon [Hrsg.]: Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, litterateur, dramaturge and political thinker. Copenhagen 2008, S. 357 - 394, hier: S. 359 182 Juden im Wunderland? absolutistischen Dänemarks unter Frederik VI., 120 das häufig den Diskurs über diesen vielseitigen Dichter und Denker bestimmt, 121 lässt sich mit Blick auf die Vaudevilles und deren subversives und theaterästhetisch revolutionäres Potential auffächern. Darüber hinaus bringt Heiberg in Kong Salomon eine neue und modernere Ausformung des jüdischen Rollenfachs auf die Bühne. Goldkalb ist der erste neue jüdische Charakter am Kongens Nytorv seit über 30 Jahren, der erste, der nach den Judenfehden dem Rollenfach ein neues Gesicht gibt. Dass dieser triumphale Einzug die Kassen des Theaters - und auch Heibergs - füllt und zudem die nationale Bühne in eine glanzvolle Periode führt, ist vielleicht das größte Verdienst des Genres und dessen Schöpfers. Und Goldkalb bleibt nicht der Einzige, vielmehr scheinen fortan jüdische Figuren zu einem Erfolgsrezept des Theaters zu werden. Keine Pfiffe, nirgends. 4.4 We are family I - Integrationsgefälle in Thomas Overskous Østergade og Vestergade Drei Jahre später steht erstmals eine ganze jüdische Familie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Thomas Overskous Lustspiel Østergade og Vestergade eller Det er Nytaarsdag i Morgon! 122 (Oststraße und Weststraße oder Morgen ist Neujahr) thematisiert mit großem Erfolg das bürgerliche Leben in der Hauptstadt, eine zeitgenössische Milieuschilderung, zu der jüdische Figuren - Vater Golz und seine erwachsenen Kinder Joseph und Esperance - ganz selbstverständlich dazugehören. Im Anschluss an Goldkalbs Erfolg erweitert sich hier das Spektrum der jüdischen Figuren, zugleich treten Konfliktlinien zwischen den Generationen deutlich hervor und die Frage nach einer glaubwürdigen Darstellung jüdischer Charaktere wird zum wichtigen Angelpunkt in der Rezeption der Aufführung. Die besten Kräfte des Theaters tragen zum rauschenden Erfolg des Stückes bei 123 und schnell 120 Kvam I, S. 216 121 Schrøder, Vibeke: Tankens våben. Johan Ludvig Heiberg. København 2001, S. 9 122 Die Premiere erfolgt am 31. Dezember 1828. 123 „ Den oprindelige Udførelse hørte till Theatrets bedste Kunst; Stage som Belton, Liebe som Zacharias, / . . . / Ryge som den jødiske Parvenu og fremfor Alt Winsløw som hans Søn lagde for Dagen, at Skuepladsen havde de fortrinligste Kræfter rede til den nationale Komediedigtning, som nu var begyndt at gry. “ (Hansen II, S. 482) / / „ Die ursprüngliche Aufführung gehörte zur besten Kunst des Theaters; Stage als Belton, Liebe als Zacharias, / . . . / Ryge als jüdischer Parvenü und vor allem Winsløw als sein Sohn erbrachten den We are family I 183 entwickelt sich die Tradition, Overskous Drama jährlich am Silvesterabend zu geben: Mit den Juden ins neue Jahr. 4.4.1 Gang der Handlung Im wohlhabenden Teil der Stadt - der Østergade - wohnt Mikkel Stolpe mit seiner Familie, sein Bruder Jesper hat sein Haus in der Vestergade, einem weniger reichen Viertel. Beide haben etwa gleichaltrige Töchter: Julie und Une, die das Interesse ihres Cousins Zacharias geweckt haben. Eine von beiden muss dieser noch vor dem Beginn des neuen Jahres heiraten, sonst geht ihm ein stattliches Erbe verloren. Die Eltern der jungen Damen wissen darum und sind sehr daran interessiert, ihre Töchter unter die Haube zu bringen. Mikkel ist auf das Geld durch die Heirat angewiesen, da er sich bei dem englischen Kaufmann Belton hoch verschuldet hat und ihm die Pfändung droht - Faulkland, der Gesandte des Engländers ist bereits in Kopenhagen. Zu allem Unglück hat Julie sich in ihn verliebt, da sie aber um die prekäre wirtschaftliche Lage ihres Vaters weiß, erklärt sie sich bereit, Zacharias zu heiraten und auf die Liebe ihres Lebens zu verzichten. Jesper will sich die gute Partie nicht entgehen lassen, winkt doch bei einer Heirat ein gesellschaftlicher Aufstieg. Der Druck ist enorm, denn es ist bereits Silvester und wenn das Erbe nicht verloren gehen soll, muss noch am Abend die Verlobung erfolgen - mit wem auch immer! Damit nicht genug, denn neben Zacharias buhlen weitere Männer um die schönen Töchter. Der alte Jude Golz und der Student Thostrup haben es auf Une abgesehen und Julie wird nicht nur von Faulkland sondern zugleich auch von Golz junior verehrt. Daraus entwickeln sich Intrigen, Verstrickungen und Missverständnisse. Briefe werden geschrieben und vertauscht, Identitäten vertuscht und verkleidet, Liebesschwüre erneuert und revidiert, schließlich drohen die Konkurrenten einander gar mit dem Tod. Die unschuldigen Frauen werden dabei mehr und mehr zum Spielball der unterschiedlichen Interessen und beschließen letztlich, gemeinsame Sache zu machen und die anderen an der Nase herumzuführen. Am Ende, kurz vor Mitternacht des Silvesterabends, lösen sich die Intrigen und Verirrungen, die Frauen bekommen ihre Männer und die Verschmähten bleiben mit gebrochenen Herzen zurück: Une und Zacharias heiraten und sichern sich das Erbe, Julie bekommt Faulkland, der - wie sich herausstellt Beweis, dass die Bühne die besten Kräfte für die nationale Komödiendichtung, die nun zu erblühen begann, zur Verfügung hatte. “ 184 Juden im Wunderland? - der reiche Belton selbst ist. Somit sind beide Familien ökonomisch aufgestiegen, Thostrup und die Juden gehen hingegen leer aus. 124 Trotzdem wird gefeiert und man wünscht sich gegenseitig ein frohes neues Jahr. 4.4.2 Christliche Juden Thomas Overskous Lustspiel thematisiert die Lebensumstände assimilierter Juden in Kopenhagen. Spannend erscheint dabei, wie sich die von Overskou angestrebte Verortung im bürgerlichen Milieu 125 mit den Konventionen des Rollenfachtheaters mischt und auf welche Weise sich im Zuge dessen die ästhetische Tradition öffnet und um neue Aspekte bereichert wird. Zunächst fällt auf, dass die jüdischen Figuren erstmals als eine biologische Familie auftreten. Vater, Sohn und Tochter stehen dabei nicht nur für die Ablösung der typischen Vereinzelung der jüdischen Charaktere, sie spiegeln stellvertretend auch den unterschiedlichen Stand der jüdischen Emanzipation wider. Vater Golz ist in vielen Punkten ein typischer Vertreter des bekannten Rollenfaches: Er bedient sich der jüdischen Sondersprache, ist stereotyp auf seinen Profit bedacht, handelt an der Börse und zeigt sich „ für ein halbes Prozent “ 126 immer bereit, mit den anderen ins Geschäft zu kommen. Gleichzeitig scheint er jedoch ein akzeptiertes Mitglied der Gesellschaft zu sein, er verkehrt freundschaftlich mit seinen Nachbarn, wohnt im wohlhabenden Teil der Stadt, der Østergade, und ist als äußerst humorvoller Charakter gezeichnet. Von Unes Eltern wird er gar als potentieller Bräutigam für ihre Tochter akzeptiert. Dass die Verbindung nicht zustande kommt, liegt eher am 124 Die vielschichtigen, zu großen Teilen mit wirtschaftlichen Interessen verbundenen Beziehungsgeflechte zwischen den Dramatis Personae hat Klaus Müller-Wille herausgearbeitet. (Müller-Wille, Klaus: „ Ende gut, alles gut? Das Imaginäre der Ökonomie und die Konstitution des Populärtheaters (Fasting, P. A. Heiberg, Overskou, Hertz). “ In: Müller-Wille, Klaus; Schiedermair, Joachim [Hrsg.]: Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. Tübingen und Basel 2013, S. 193 - 213, hier: S. 203 f) 125 Im 1840 geschriebenen Vorwort zur gedruckten Ausgabe, bezeichnet Overskou sein Drama als „ Comedie, der henter sit Stof ud af Samtidens borgerlige Liv og Sæder. “ / / „ Komödie, die ihren Stoff aus dem zeitgenössischen bürgerlichen Leben und dessen Traditionen bezieht. “ (Overskou, Thomas: „ Østergade og Vestergade eller Det er Nytaarsdag i Morgon! “ In: Overskou, Thomas: Comedier. Andet Bind. Kjøbenhavn 1851, S. 1 - 133, hier: S. 5. Im Folgenden: Østergade.) 126 „ [G]jør mig lykkelig, lad mig være Deresses Agent - De har mig for en halv Percent. “ (Østergade, S. 74) We are family I 185 Altersunterschied und Unes Entscheidung für Zacharias als in der Tatsache begründet, dass es sich bei Golz um einen Juden handelt. Und eigentlich ist er auch kein „ richtiger “ Jude mehr, denn im Zuge seiner Emanzipationsbestrebungen hat er sich taufen lassen. Die Taufe ist in Overskous Drama unabdingbare Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe - Gesetzgebung hin oder her. Seine Tochter verheiratet man nur mit einem Christen, wie Unes Vater seiner Frau zu verstehen gibt: J ESPER : Er du gal, Moer? Har Du ikke mere Christendom i Livet, end at Du vil gifte Dit Barn med En af den mosaiske Nation? T RINE : Nei, Faer, nu er han nok af den christelige Nation, for han skal have ladet sig døbe om. 127 J ESPER : Bist Du verrückt, Mutter? Hast Du nicht so viel christlichen Glauben, dass Du Dein Kind mit einem Juden verheiraten willst? T RINE : Nein, Vater, er ist doch jetzt Christ, er hat sich doch taufen lassen. Overskou bezieht hier aktuelle Entwicklungen in Dänemark in sein Drama mit ein. In Folge der Judenfehden nehmen ab den 1820er Jahren die Taufen von Juden zu 128 und spiegeln den Wunsch von Teilen der jüdischen Minorität, am gesellschaftlichen Leben stärker teilhaben zu können. Nathan David, der Übersetzer von Det unge Menneske paa 60 Aar, später Theaterkritiker und Universitätsprofessor, wie auch Henrik Hertz, nach Heiberg der meistgespielte Autor des Goldenen Zeitalters, sind zwei prominente Beispiele dafür. 129 Deutlich wird, dass Integration nur auf der Basis einer Anpassung der Minderheit an die Mehrheit vorstellbar scheint. Overskous Drama postuliert einmal mehr, dass eine erfolgreiche Emanzipation darin mündet, dass die Juden in der Gesellschaft aufgehen und ununterscheidbar werden. Die unterschiedliche Ausprägung einer geglückten Integration zeigt Overskou im Zusammenspiel der gesamten jüdischen Familie. Golz ’ Kinder Joseph und Esperance verkörpern in ihrer Zeichnung bürgerliche Ideale der Aufklärung, daher steht ihre Teilhabe am bürgerlichen Leben nie zur Debatte: Joseph ist ein Boheme, ein (nicht sonderlich erfolgreicher) 127 Østergade, S. 45 128 Haxen, Ulf: „ Skandinavien. “ In: Kotowski, Elke-Vera et al. [Hrsg.]: Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Bd. 1: Länder und Regionen. Darmstadt 2001, S. 487 - 500, hier: S. 491 129 Schyberg, Frederik: Dansk Teaterkritik. København 1937, S. 192 186 Juden im Wunderland? Dichter und wird als gebildet und belesen dargestellt. Die große Novität besteht darin, dass es mit Esperance eine erste bedeutende weibliche Judenfigur auf dem Königlichen Theater gibt. Sie erweist sich als gut befreundet mit den Damen in der Østergade, berät diese in Modefragen und nimmt sich selbstbewusst vor, den wohlhabenden Kaufmann Belton zu heiraten. Beide Kinder sprechen akzentfrei dänisch - in Esperances Fall auch gern mit französischen Einsprengseln - und werden als potenzielle Ehegatten gehandelt. Das Integrationsgefälle zwischen ihnen und dem Vater wird zudem dadurch unterstrichen, dass beiden der ungebildete und sich der jüdischen Sondersprache bedienende Vater immer wieder äußerst unangenehm ist. Overskou feiert hier nun aber keineswegs eine durchweg erfolgreiche Emanzipation oder die Aufhebung des Rollenfaches, vielmehr bleiben seine Charakterzeichnungen ambivalent. Leif Ludwig Albertsen stellt in seiner Analyse des Dramas deutlich heraus, dass es sich um eine durch und durch lächerlich gezeichnete jüdische Familie handele, „ mit falschen Gefühlen, ohne Ehre, erfüllt von dem Drang, Bedeutung zu erlangen “ bediene sie gängige Vorurteile: der Vater als lüsterner Freier, die Tochter als arrogante und freche Hochstaplerin sowie Joseph als erfolgloser Romantiker und Dichter. 130 Klaus Müller-Wille findet „ alle negativen Eigenschaften einer am Schein orientierten Ökonomie “ durch die Familie Golz repräsentiert. 131 Ähnlicher Kritik seiner Zeitgenossen sieht sich Overskou bereits kurz nach der Uraufführung des Dramas ausgesetzt und geht in seinem 1840 geschriebenen Vorwort zur Druckfassung ausführlicher darauf ein. Im Zuge der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, sein Stück zeichne ein unvorteilhaftes Bild der jüdischen Charaktere und diese seien darüber hinaus für den Gang der Handlung irrelevant, stellt Overskou heraus, dass es ihm gelungen sei, gegen die üblichen Theaterkonventionen eben keine Schacherjuden auf die Bühne zu bringen, sondern ein naturalistisches Bild der Juden in Kopenhagen für die Bühne zu zeichnen. Natürlich mache sich die Familie hin und wieder lächerlich, aber sie begehe „ keine Niederträchtigkeiten “ und bemühe sich, in der Gesellschaft aufzugehen. 132 Over- 130 Albertsen 1984, S. 63 131 Müller-Wille 2013, S. 204 132 „ [M]in Jødefamilie er kun latterlig, den begaaer ikke nogen Nederdrægtighed [. . .] men den henhører till den Klasse af Mosaiter, der gjerne amalgamerer sig med den store Verden. “ (Østergade, S. 12) We are family I 187 skou formuliert hier eine literarisch-theatralische Umsetzung von Christian Dohms Traum einer bürgerlichen Verbesserung der Juden. 133 4.4.3 Bürgerliche Juden Diese Gratwanderung zwischen der bekannten Rollenfachtradition und einer ästhetisch-inhaltlichen Neuausrichtung der jüdischen Figuren spiegelt sich deutlich in der Aufführung und deren Rezeption wider. Bereits am äußeren Erscheinungsbild der Figuren materialisiert sich oben beschriebenes Integrationsgefälle. Aus einem Brief des Schauspielers Johan Christian Ryge 134 an die Theaterleitung sowie der kurz darauf erstellten Kostümliste lassen sich Details ablesen. 135 Ryge fungiert ab 1816 unter anderem als Verantwortlicher für den Fundus des Theaters und die Ausstattung von Neuproduktionen 136 und agiert in Østergade og Vestergade in der Rolle des Ephraim Golz. Sein eigenes Kostüm besteht wie üblich aus einer Mischung alter und neuer Teile: Ein dunkelblauer Spencer, ein brauner Rock und die bunte Weste befinden sich im Fundus. Die violetten Beinkleider samt der Stiefel und Galoschen sollen neu angeschafft werden. Darüber hinaus trägt er einen Pelzmantel. 137 Gerade letzterer zusammen mit der doch recht farbenfrohen Aufmachung kann als typisch jüdisch konnotierte Kostümierung gesehen werden. 138 Bei den Kindern von Golz ist dies hingegen nicht der Fall. Esperance trägt anfangs ein Kleid aus dem Vaudeville Syv militære Piger 139 (Sieben Sol- 133 Vgl. Kap. 4.1 134 Ausführlicher beschäftige ich mit Johan Christian Ryge in Kap. 5.3. 135 Brief von J. C. Ryge an die Theaterleitung, 22. Dezember 1828; Kostümliste von J. C. Ryge, 26. Dezember 1828. (Det Kongelige Teaters Arkiv och Bibliotek, KTB) 136 1816 übernimmt Ryge das eigens für ihn geschaffene Amt des Beauftragten für die internen Abläufe des Theaters ( „ Theatrets indre og daglige Økonomi “ ), in dem er u. a. auch für den Fundus und die Neuanschaffung von Kostümen verantwortlich zeichnet. (Hansen II, S. 128) 137 „ Som Golz i Østergade og Vestergade önsker jag at vara klædt paa føljande Maade: Mørkblaae Spencer, bruun Kiol med gula Knappar, broget Vest, meget lyse lange Beenklæder, et Par smaae Toistövlar / . . . / samt Galoscher. / . . . / Spencern, Kiol og Vesten findes i garderoben, men övriga Kostym önsker jag nya. “ (Brief von J. C. Ryge an die Theaterleitung, 22. Dezember 1828, KTB) Die zwei Tage später erstellte Kostümliste verifiziert die Angaben, hier wird wie ebenfalls im Regiprotokol auch der Pelzmantel erwähnt. (Kostümliste von J. C. Ryge, 26. Dezember 1828; Regiprotokol 1816, KTB) 138 Vgl. Kap. 3.4.6 139 Les jolis soldats, Vaudeville in einem Akt von Francis, Armand und Théauolon, übersetzt und eingerichtet von Johan Ludvig Heiberg, Premiere am 5. April 1827. 188 Juden im Wunderland? datenfrauen), versehen mit etwas Pelz und im weiteren Verlauf des Abends ein rosa Kleid über einem weißen Unterrock aus Atlas - beide Kostüme sind erst kurz zuvor vom Theater angeschafft worden und zeichnen eine moderne bürgerliche junge Frau. Auch die Tatsache, dass sie ein Monokel trägt, verortet sie in diesem Kontext. Für die Figur des Joseph Golz gibt es keine detaillierten Angaben, nur die Anweisung, ein „ elegantes und modernes Kostüm “ 140 zu wählen, das es bisher im Fundus nicht gibt und welches angeschafft werden muss. Dazu eine Mütze und ein modernes Brillengestell, das ebenfalls neu angefertigt werden soll. 141 Wie das Kostüm schließlich ausgesehen hat, lässt sich aus einem Selbstportrait des Schauspielers Carl Winsløw in der Rolle des Joseph Golz ablesen. 142 Diese Zeichnung (Abb. 5) gehört zu einem der wichtigen Theaterbilder des Goldenen Zeitalters und zeigt erstmals einen assimilierten Juden: Ohne Bart, Perücke und langen Rock findet auf der Bühne eine optische Amalgamierung statt. Verglichen mit den bis dato bekannten Darstellungen lässt sich Joseph Golz nicht mehr als Teil einer jüdischen Minderheit oder in einem nach äußeren Gesichtpunkten gestalteten Rollenfach verorten. Bereits die Kostüme spiegeln also den Assimilationsgrad der Figuren wider und verorten diese mit ihrem ersten Auftreten in einem bestimmten Kontext. Abb. 5: Carl Winsløw als Joseph Golz in Østergade og Vestergade. 140 „ Elegant moderne Paaklædning for Betaling. “ (Kostümliste von J. C. Ryge, 26. Dezember 1828, KTB) 141 „ Et Par moderne Briller. “ (Kostümliste von J. C. Ryge, 26. Dezember 1828, KTB) 142 Ein Abdruck des Bildes findet sich beispielsweise bei: Gelfer-Jørgensen, Mirjam [Hrsg.]: Danish Jewish art. Jews in Danish art. København 1999, S. 470 We are family I 189 Aber die äußere Erscheinung bleibt nur ein Teil des Gesamten. Die Gratwanderung zwischen der bekannten Rollenfachtradition und Neuerungen sowie Verschiebungen wird bei einem Blick auf die Rezensionen deutlich. Overskou selbst lobt in seiner Theatergeschichte die Aufführung als erfolgreich und gut besucht. Besonders hebt er die Darstellung des Joseph Golz durch Winsløw hervor, welcher aus dem Juden eine „ naturgetreue Figur “ 143 entwickelt habe. Ebenso lobt der Autor auch Ryge, der als alter Jude hinsichtlich „ seines Jargons und Wesens “ eine beeindruckende Vorstellung gegeben habe, wenn auch nicht mit vollem Engagement. 144 Deutlich detaillierter und differenzierter beschreibt der uns bereits bekannte Nathan David in Kjøbenhavns Flyvende Post 145 seine Eindrücke. Nicht ungewöhnlich für die damalige Zeit handelt es sich um eine Kritik, die ein Jahr nach der Premiere erscheint und einen Zusammenschnitt verschiedener Aufführungen am Königlichen Theater beleuchtet. Nathan David fokussiert in seiner Rezension vor allem auf die Frage nach „ Natürlichkeit “ und Glaubwürdigkeit der Darstellung der einzelnen Charaktere. Eine naturalistische Zeichnung meint dabei nicht die psychologische Durchdringung einer Figur, wie sie spätestens im Zuge des Modernen Durchbruchs auf der Bühne Einzug hält. Vielmehr geht es darum, die gängigen Konventionen und Bilder sowie eine dem Publikum vertraute Spielweise zu präsentieren. Nathan David beschreibt dies als nur teilweise gelungen und bemängelt die kaum glaubhafte und karikierende Ausführung einiger Partien. Besonders eingehend beschäftigt er sich mit der jüdischen Familie. Gleich zu Beginn macht er deutlich, dass er die Verkörperung von Golz durch Ryge für wenig gelungen hält - was er zum größeren Teil dem Schauspieler und weniger dem Autor anlastet. Er mokiert vor allem die Kostümierung. 143 Overskou IV, S. 864 144 Overskou IV, S. 864 145 Kjøbenhavns Flyvende Post wird von Johan Ludvig Heiberg von 1828 bis 1830 sowie von 1834 bis 1837 herausgegeben. In den ersten drei Jahrgängen nehmen Theaterkritiken eine herausragende Stellung ein, zunächst schreibt Heiberg selbst, 1830 kann er Nathan David als Kritiker gewinnen. In Folge einer recht scharfen Analyse der Spielzeit (Betragtninger over Repertoiret, Nr. 76 - 78 1930) kommt es zwischen dem Königlichen Theater und Heiberg, der inzwischen dort angestellt ist, zum Streit. Außerdem tritt Nathan David im Herbst 1830 eine Professur für Nationalökonomie an und gibt daher seinen Posten als Kritiker auf. (Ausführlicher zu Nathan Davids Zeit bei der Flyvende Post: Schyberg 1937, S. 192 ff) In Folge dessen nehmen Besprechungen aktueller Aufführungen immer weniger Platz ein. 190 Juden im Wunderland? Men istedet derfor see vi Figurer, der ved et Slags Costume-Anomalie med Nutidens, og ved en markeret Carrikering kun synes beregnede paa at opvække Hobens Latter. / . . . / [M]on en jødisk Galanteriehandler paa Østergade, som i sin Pengestolthed vil gjøre Figur, nu kommer i Selskab, paa Bal, og gaaer paa Frierie, klædt og opførende sig som en Skakkerjøde i Læderstræde? 146 Stattdessen sehen wir Figuren, die durch eine Art Kostüm-Anomalie zur Gegenwart und durch ein markiertes Karikieren bloß darauf aus scheinen, die Menge zum Lachen zu bringen. / . . . / [G]laubt man, dass ein jüdischer Galanteriehändler aus der Østergade, der auf Grund seines Vermögens eine gute Figur machen will, wenn er zu einer Gesellschaft kommt, auf einen Ball oder auf Freiersfüßen wandelt, sich wie ein Schacherjude aus der Læderstræde kleidet und aufführt? Der (Holberg ’ sche) Schacherjude bleibt das Parameter, an dem andere jüdische Figuren gemessen werden. Glaubwürdigkeit wird, das verdeutlich der Kritiker, vor allem über die Kleidung verhandelt. Im Fall der Ausgestaltung des alten Golz werden Kostüm und Handlung als inkongruent dargestellt - und damit als wenig „ natürlich “ . Interessanterweise lastet der Kritiker dieses Vorgehen nicht nur dem Schauspieler, sondern zu einem Teil auch dem Publikum an, das durch seinen Beifall - und Nathan David lässt keinen Zweifel daran, dass Ryges Spiel mit lautstarkem Applaus bedacht wird - und seine Lust am Übertriebenen das Vorgehen des Schauspielers evoziert. Der Kritiker bemängelt damit indirekt, dass Ryges Spiel vor allem die Schaulust der Zuschauer befriedigen will, auch wenn dies auf Kosten einer glaubwürdigen Schilderung geht. Differenzierter fällt sein Urteil aus, wenn es um die Darstellung von Joseph durch Winsløw und Esperance durch Fräulein Clausen 147 geht: Der staaer nu kun tilbage at omtale de to israeliske Poder, der af Forfatteren paa nogle faa Træk nær ere aflistede Naturen. Den ene af disse, Joseph, blev af Herr Winsløw jun. næsten fremstillet ligesaa characteristisk, som den anden, Esperance, blev af Jfr. Clausen givet mat og characteersløs. Her var neppe 146 Kjøbenhavns Flyvende Post, Nr. 4; 8. Januar 1830 147 Die ersten acht Vorstellungen der Premierensaison spielt Johanne Luise Pätges, die spätere Frau Heiberg. Sie scheint die Rolle nicht besonders geschätzt zu haben und so spielt ab dem 26. Oktober 1829 Frl. Clausen die Partie. (Jørgensen, Niels Peder: „ The Stage Jew. “ In: Gelfer-Jørgensen, Mirjam [Hrsg.]: Danish Jewish art. Jews in Danish art. København 1999, S. 470 - 479, hier: S. 474) We are family I 191 noget andet end de sorte Haar Jødinden, medens hist næsten Alt, Maneer og Bevægelse, Foredrag og Tale var Jøden. Kun beklager Anm., at ogsaa Herr Winsløw undertiden for øiensynligen stræbte efter at opvække Latter, og at han for ofte lod sin romantiserende Jøde forglemme, at han taler med og for dem, som han vil blænde med sin ydre Cultur og sit drømte Talent. En Person som Joseph veed sikkert i et christent Selskab at vogte sig for den lave Pøbels Jargon, omendskjøndt han ikke kan blive Herre over den Dialekt, der tydeligt nok røber denne Stammes Børn. I dette ene Punct var Jfr. Clausen correctere, men den Dialekt, hvorved denne Konstnerinde vilde betegne Esperances Oprindelse, var ikke godt vedligeholdt, og lod sig kun nu og da hændelseviis høre, istedet for at den hos saadanne Personer aabenbarer sig constant i visse Bogstavers Lyd og i en vis marqueret Betoning. Heller ikke syntes Jrf. Clausen at erindre, at Esperance, som alle Mennesker, hos hvem Culturen kun er en Rolle, skal være anderledes, naar intet paalægger hende Tvang, i Scenerne med sin Broder og sin Fader (Act 4 Scene 3 og 8), end naar hun i Selskab med sine christne Venner stræber efter at ligne og overgaae dem. 148 Jetzt bleibt noch, über die beiden israelischen Sprösslinge zu sprechen, die vom Verfasser bis auf ganz wenige Züge der Natur abgelauscht wurden. Der eine, Joseph, wurde von Herrn Winsløw jun. fast genauso charakteristisch dargestellt wie der andere, Esperance, von Frl. Clausen matt und konturlos gegeben wurde. An ihr war außer dem schwarzen Haar kaum etwas die Jüdin, während bei ihm alles, die Art und Weise sowie die Bewegung, der Vortrag und die Sprache typisch jüdisch waren. Nur beklagt der Rezensent, dass auch Herr Winsløw mitunter zu offensichtlich darauf bedacht war, das Publikum zum Lachen zu bringen und dabei seinen romantisierenden Juden vergessen ließ, mit und zu denen zu sprechen, die er mit seiner oberflächlichen Kultur und seinem erträumten Talent blenden wollte. Eine Person wie Joseph weiß in einer christlichen Gesellschaft mit Sicherheit, den Jargon des niederen Pöbels zu meiden, wenn er auch nicht Herr über den Dialekt werden kann, der die Kinder dieses Stammes deutlich verrät. In diesem einen Punkt war Frl. Clausen korrekter, aber der Dialekt, mit dem die Künstlerin die Herkunft Esperances verdeutlichen wollte, war nicht durchgängig aufrechterhalten, sondern ließ sich nur hin und wieder hören, statt dass er sich - wie bei solchen Personen üblich - konstant bei bestimmten Lauten oder anhand merkwürdiger Betonungen offenbarte. Auch schien Frl. Clausen vergessen zu haben, dass Esperance, wie alle Menschen, bei denen Kultur nur eine Rolle ist, sich anders geben müsste, wenn ihr nichts Zwang auferlegt, beispielsweise in den Szenen 148 Kjøbenhavns Flyvende Post, Nr. 5; 11. Januar 1830 192 Juden im Wunderland? mit ihrem Bruder oder ihrem Vater (4. Akt, Szene 3 und 8), als wenn sie in Gesellschaft ihrer christlichen Freunde danach strebt, diesen zu ähneln oder sie zu übertreffen. David zeichnet hier ein gegensätzliches Bild zu der Darstellung, die sich in Kostüm und Selbstportrait Winsløws vermittelt. Die Juden auf dem Theater - so kann man den Kritiker verstehen - müssen erkennbar bleiben, sei es durch Ausdrucksweise, Körperhaltung oder die Haarfarbe. Natürlich kann es keine blonde Jüdin geben! David macht deutlich, dass körperliche Einschreibungen des Jüdischen existieren müssen, die trotz aller Assimilationsbestrebungen unauslöschlich bleiben und er unterstreicht, wie essentiell sich dies für eine glaubwürdige Darstellung auf der Bühne ausnimmt. Bildung, dichterisches Talent oder modische Versiertheit können demnach nur als Fassade dienen, welche die „ wahre Natur “ , die immer wieder durchbricht, verdeckt. Davids Beschreibung der Aufführungen enthält somit ein Soll-Bild des Bühnenjuden, mit dem die konkrete Darstellung abgeglichen wird und das sich scheinbar seit der Etablierung des Theaters wenig verändert hat. 149 Auf diese Weise ergibt sich ein Dreieck aus geschriebenem Text, der Verkörperung durch unterschiedliche Schauspieler und einem Idealbild des Bühnenjuden, in welchem die jeweilige Aufführung vom Publikum gelesen, interpretiert und bewertet wird. Overskous Lustspiel zeigt, dass innerhalb dieses Rahmens die Möglichkeiten des Rollenfaches erweitert werden und wie gleichzeitig die Verortung im Rollenfach Brüche aufweicht und glättet. Im Gesamtbild der Aufführung entstehen auf diese Art Ambivalenzen, die das Bild der jüdischen Figuren im Goldenen Zeitalter verschiedenfarbig schimmern lassen. Die Größe dieser Bandbreite zeigt sich auch mit einem Blick auf Adam Oehlenschlägers Judenfiguren. 4.5 Wunderland ist abgebrannt - Oehlenschlägers Aladdin Adam Oehlenschläger, der große Antipode Heibergs, wird heute auf den dänischen Bühnen kaum häufiger aufgeführt als sein langjähriger Widersacher, der Großteil seiner Stücke ist in Vergessenheit geraten. Welche Bedeutung er für die nationale Bühne hat(te), lässt sich aber daran ablesen, dass seine Statue überlebensgroß den Eingang zum Königlichen Theater 149 Vgl. Kap. 2.3 Wunderland ist abgebrannt - Oehlenschlägers Aladdin 193 schmückt. Am Kongens Nytorv sitzen Holberg und Oehlenschläger entspannt in ihren Sesseln und scheinen ruhig lächelnd Thalias Tempel zu bewachen. In der Zeit zwischen den beiden Heibergs ist Oehlenschläger der einzige dänische Autor, dessen Stücke in wahrnehmbarer Zahl Uraufführungen erleben und beständig gespielt werden. Mit seinen romantischen Heldenepen setzt er einen neuen Ton und seine Tragödien bilden einen festen, wenn auch nicht allzu häufig aufgeführten Bestandteil des nationalen Repertoires. Dramen wie beispielsweise Hakon Jarl, Palnatoke und Axel og Valborg (Axel und Walburg) ziehen ihre Handlung vor allem aus der (glorreichen) nordischen Geschichte und zeichnen sich durch eine besonders ausgefeilte Sprache aus - besseres Dänisch, so der Theaterhistoriker Jens Engberg, sei wohl kaum jemals geschrieben worden. 150 Juden tauchen in Oehlenschlägers Dramen verschiedentlich auf; dass er hier nur am Rande Erwähnung findet, ist der Tatsache geschuldet, dass diese Stücke kaum oder erst sehr spät aufgeführt werden. 151 Wichtig ist Oehlenschlägers Autorschaft hinsichtlich der Ausgestaltung jüdischer Charaktere, weil er vorwiegend negative Bilder auf die Bühne bringt und daher ein Blick auf seine jüdischen Figuren die Auffächerung des Rollenfachs im Goldenen Zeitalter unterstreicht. Ich werde dies an einem prominenten Beispiel verdeutlichen: Das Lustspiel Aladdin, eller den forunderlige Lampe (Aladdin und die Wunderlampe) erscheint bereits 1805 und behandelt den aus Tausendundeiner Nacht bekannten Stoff. Eine Aufführung des Dramas steht zunächst nicht zur Disposition, die Premiere findet erst 1839 in einer mit Oehlenschlägers Zustimmung stark gekürzten Fassung statt. Diese entwickelt sich dann aber mehr und mehr zu einem beachtlichen Erfolg, 152 was nicht zuletzt der üppigen Ausstattung der 150 „ Meget bedre dansk er næppe nogensinde skrevet. “ (Engberg I, S. 188) 151 Neben Aladdin enthalten drei weitere Stücke aus Oehlenschlägers Œ uvre jüdische Figuren: Sanct Hans Aftenspil (St. Johannesnacht-Spiel) wird einmalig am 6. März 1819 im Rahmen einer Benefice für den Solotänzer Funck aufgeführt, Rübezahl wird 1832 zwei Mal gespielt, Fiskeren og hans Børn (Der Fischer und seine Kinder) erlebt 1840 drei Vorstellungen. Auf Grund dieser geringen Aufführungszahlen und der ausbleibenden Rezeption sehe ich von einer Behandlung dieser Dramen im Rahmen der Arbeit ab. 152 Die Premiere erfolgt am 17. April 1839. Die Angestellten des Theaters wählen Oehlenschlägers dramatisches Gedicht für eine Benefizveranstaltung aus, um möglichst viel Geld für die Opfer der Sturmflut zu sammeln, welche die Westküste Jyllands massiv beschädigt hat. Oehlenschläger gibt seine Zustimmung zu einer gekürzten Fassung und so machen sich die ersten Schauspieler der nationalen Bühne unter Leitung von Bournonville, Overskou und Holst daran, den exotischen Stoff auf die Bühne zu bringen. Der Premierenabend - die Eintrittskarten werden zu doppelten Preisen verkauft - wird zu einem Triumph und noch in der ersten Spielzeit erlebt das Stück 194 Juden im Wunderland? exotischen Settings, der gelungenen Arbeit des Choreographen August Bournonville und der geschickten musikalischen Kompositionen von Kuhlau und Niels Gade geschuldet ist. Auch wenn die Geschichte zu großen Teilen in Persien spielt, ist es doch eigentlich eine Kopenhagener Begebenheit, die vom Glück des armen Schneider-Sohnes Aladdin erzählt, der nach Um- und Abwegen nicht nur die Prinzessin, sondern das halbe Königreich gleich mit dazu bekommt. Aber der Weg dorthin ist schwierig und von Betrügern förmlich belagert. Zu den Übelsten zählt ein Jude; im zweiten Akt finden sich zwei Szenen zwischen Aladdin und einem jüdischen Händler. Aladdin ist bereits im Besitz der Lampe und will nun das wertvolle Geschirr, in dem der Geist ihm Essen bringt, verkaufen, um an Bargeld zu kommen. In der dritten Szene kommt er mit dem Juden über ein silbernes Gefäß ins Geschäft, kurz darauf will er eine größere Schale veräußern, wird aber von einem christlichen Kaufmann - einem Goldschmied - darüber aufgeklärt, dass ihn der Jude betrügt und die teure Ware weit unter Wert abgenommen hat. Er bietet ihm nun ein Vielfaches. Dem Juden bleibt dieser Handel nicht verborgen, schäumend vor Wut wirft er sich auf Aladdin und den Kaufmann, verlangt auch das zweite Gefäß erwerben zu dürfen und als alles nichts hilft, läuft er in seiner Verzweiflung über das entgangene Geschäft förmlich Amok: „ Hei! Stehen bleiben! Gewalt! Ha, Schuft! du Christenhund! Beraubst du mich hinterlistig meines Erwerbs? Was? “ 153 Nicht genug damit, dass den Juden durchweg niedere Beweggründe zu seinem Handeln veranlassen und er als nahezu unmenschliches Wesen dargestellt wird, bedient er darüber hinaus alle bekannten Klischees: Er hat einen roten Bart, 154 wird von Aladdin verprügelt und beschimpft und in seiner Fixierung auf Gewinnmaximierung durch Betrug als Inbegriff des Niederträchtigen ausgewiesen. Sein Leben hängt, wie er betont, an Gold und Silber. Die Hände zittern, sobald er das wertvolle Metall berührt, und zehn weitere Vorstellungen. (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Femte Deel. Kjøbenhavn 1864, S. 352 ff. Im Folgenden: Overskou V) 153 „ Hei! holdt! Gevalt! Ha, Skarn! du Christenhund! / Berøver du mig lumsk min Næring? hvad? “ (Oehlenschläger, Adam: „ Aladdin eller den forunderlige Lampe. “ In: Oehlenschlägers Poetiske Skrifter. Første Del. Udgivne af F. J. Liebenberg. Kjøbenhavn 1857, S. 69 - 362, hier: S. 139. Im Folgenden: Aladdin) 154 „ Guldsmeden: Ti! eller jeg skal rykke dig saa længe i / Dit røde Skiæg, du gamle, blege Snyder, / At du skal aldrig snyde Nogen meer. “ (Aladdin, S. 139) / / „ Goldschmied: Schweig! Oder ich zerre so an Deinem roten Bart, Du alter, bleicher Betrüger, dass Du nie wieder jemanden betrügen wirst. “ Wunderland ist abgebrannt - Oehlenschlägers Aladdin 195 seine gierigen Blicke verschlingen förmlich das kostbare Geschirr. Reichtum fungiert für ihn als Lebenselixier, daher kennt seine Wut keine Grenzen. Auf dem Höhepunkt seiner Tirade holt er zu einem gotteslästerlichen Rundumschlag aus: „ Wenn es darum geht zu betrügen, betrüge ich alle Menschen, und sei es unser Herrgott selbst. “ 155 Als alles nichts hilft und Aladdin und der Goldschmied gemeinsam abgehen, beschließt der Jude schließlich, seinem Leben ein Ende zu setzen. Ha, jeg vil hænge mig! ja, jeg vil hænge! Jeg havde sikkerlig giort Regning paa Det skiønne Fad. Det hvide, blanke Sølv! Ak! hvad er Livet uden Sølv og Guld? Hvis jeg for Døden laae med brustne Øine, Og Een kun vilde komme hid og holde Et saadant Fad hen over mine Blik, Saa fik de Liv igien, og jeg blev frisk; Tilbage i de dødblaae Fingerender Da Blodet foer, og de fik Muskelkraft, Og rørte sig med Vellyst op mod Sølvet. - Nu er jeg syg, jer ryster, jeg er kold. Det Fat var en uhyre Summe værd. Jeg hænger mig; thi efter dette Smæk Har jeg ei længer til at leve Raad. Jeg hænger mig! Men først vi jeg gaae hen I næste Christenbod, og stiæle Strikken. 156 Ha, ich will mich aufhängen! Ja, ich will hängen! Ich hatte sicher mit der schönen Schüssel gerechnet. Dieses weiße, blanke Silber! Ach, was ist das Leben ohne Silber oder Gold? Läge ich im Sterben, mit gebrochenen Augen und es käme jemand und hielte eine solche Schüssel in meinen Blick, begänne ich wieder zu leben und würde gesund; das Blut strömte zurück in die totblauen Fingerspitzen, sie bekämen wieder Kraft 155 „ Naar kun det gielder om at snyde, snyder / Jeg alle Mennesker, om det saa var / Vor Herre selv. “ (Aladdin, S. 140) 156 Aladdin, S. 140 f 196 Juden im Wunderland? und bewegten sich voller Wollust zum Silber. - Nun aber bin ich krank, ich zittre, es ist kalt. Die Schüssel war eine bedeutende Summe wert. Ich häng mich auf, denn nach diesem Schlag fehlt mir das Geld zum Leben. Ich häng mich auf! Aber zuvor eile ich ins nächstgelegene Christenhaus und stehle dort den Strick. Verglichen mit anderen jüdischen Charakteren überrascht Oehlenschläger durch die brutale und eindeutig negative Zeichnung seines Juden, die es so auf dem dänischen Theater kaum anderweitig gibt. Der jüdische und der christliche Händler stehen sich grell gegenüber, wobei der Jude als „ grimmige Bestie “ 157 gezeichnet wird, die den ahnungslosen, jugendlichen (und damit zukunftstragenden) Helden hinters Licht führt. Nur der Christ kann ihn noch retten. Hinzu kommt, dass die Figuren für den Fortgang der Handlung völlig unbedeutend sind: Weder der Jude noch der christliche Kaufmann treten erneut auf oder erfüllen eine dramaturgische Funktion. Es geht vielmehr um eine Milieuschilderung der belebten Heimatstadt Aladdins - dass damit immer auch Kopenhagen gemeint ist, steht außer Frage. Und die dänische Hauptstadt scheint für Oehlenschläger ohne jüdische Wucherer nicht glaubhaft darstellbar. Für die stark gekürzte Theaterversion werden 1839 die beide Auftritte des Juden nicht gestrichen, vielmehr zu einer großen Juden-Szene zusammengelegt. Auf diese Weise, so meine ich, bekommt sie zusätzlich Gewicht. Verglichen damit erscheinen die jüdischen Charaktere bei Holberg als nahezu positiv gezeichnete Figuren. Dass Aladdin bis 1842 über zwanzig Mal gespielt und zum Inbegriff des romantischen Geistes in Skandinavien wird, 158 verdeutlicht dabei, wie präsent - in unterschiedlichem Grad - sehr verschiedene Bilder jüdischer Figuren auf der Bühne am Kongens Nytorv in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind. Und damit nicht genug. 157 Albertsen, Leif Ludwig: „ Faust und Aladdin. Zu Goethes und Baggesens Faustdichtungen und zu Oehlenschlägers Aladdin. “ In: Bohnen, Klaus [Hrsg.]: Dänische Guldalder-Literatur und Goethezeit. Vorträge des Kolloquiums am 29. und 30. April 1982. Kopenhagen und München 1982, S. 109 - 34, hier: S. 113 158 Marker&Marker, S. 101 f Wunderland ist abgebrannt - Oehlenschlägers Aladdin 197 4.6 Exodus - Christian Hostrups Gjenboerne Jens Christian Hostrups Singspiel Gjenboerne (Die Nachbarn) stellt auf gewisse Weise den Schlusspunkt der Vaudeville- und Lustspieltradition im Geiste Heibergs und Hertz ’ dar. Das 1844 verfasste und vier Jahre später erstmals aufgeführte Drama steht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf dem Spielplan des Königlichen Theaters. Der Theaterhistoriker Hansen bezeichnet es als „ eine der populärsten nationalen Dichtungen, eine Volkskomödie im besten Sinne des Wortes: verstanden und geliebt vom Volk als Ausdruck seines schlichten, heiteren Wesens. “ 159 Ähnlich wie bei vielen dramatischen Dichtern des 19. Jahrhunderts ist Hostrups Œ uvre in der Forschung kaum beachtet, neben Gjenboerne 160 zeichnet er für weitere populäre Theaterstücke verantwortlich, am erfolgreichsten läuft Eventyr paa Fodrejsen (Abenteuer einer Wanderung). 161 Gjenboerne ist eine der damals beliebten Studentenkomödien, die klar in der Tradition der Vaudevilles verfasst sind, aber weniger die bürgerliche Familie in den Mittelpunkt der Handlung stellen als vielmehr auf das universitäre Milieu fokussieren. Natürlich müssen auch hier die Liebenden zueinanderfinden, muss bürgerlichen Werten und Moralvorstellungen Genüge getan werden, gleichzeitig lassen sich jedoch mehr Anspielungen auf politische, ästhetische und gesellschaftliche Fragen verhandeln. Hostrups Singspiel steht mit seinem revueartigen Charakter exemplarisch für diese Gattung: Hauptsächlich junge Männer, allesamt Studenten, bilden das Zentrum des Geschehens. Die Kernfamilie um den handwerkenden Vater hat als Ideal ausgedient. Juristen, Theologen, Mediziner und andere Akademiker bevölkern die Bühne und setzen einen neuen Ton. Man trinkt Punsch, man singt und man debattiert: Über Theaterbesuche, politische Entwicklungen, Zeitungsartikel und natürlich auch die Liebe. Über Søren Kierkegaard, Frau Heiberg und Hans Christian Andersen. 159 „ [E]n af Nationens kjæreste dramatiske Digtninger, en Folkekomedie i Ordets bedste Betydning: opfattet og elsket af Folket som Udtryk for dets eget jevne, joviale Væsen. “ (Hansen II, S. 494) 160 Die Premiere am Kongens Nytorv erfolgt am 19. März 1848, vorher wird das Stück bereits mit einigen Aufführungen als Sommertheater gezeigt. Bis 1889 steht es insgesamt 136 Mal auf dem Spielplan. 161 Die Premiere findet am 15. Mai 1848 statt, bis 1887 wird das Drama insgesamt 167 Mal gegeben. 198 Juden im Wunderland? Im Mittelpunkt der Handlung stehen die beiden Freunde und Zimmergenossen Klint und Basalt sowie die Suche nach der großen Liebe. Gleich im ersten Akt kommt es jedoch zu einer unvermuteten und merkwürdig erscheinenden Begegnung: Klint sitzt nach einem anstrengenden Tag allein in seinem Zimmer und singt eine selbstgedichtete Studentenweise, als es plötzlich an seiner Tür klopft und ein Unbekannter eintritt. Die zunächst sehr realistisch anmutende Situation - ein älterer Mann auf der Flucht sucht bei einem Studenten Unterschlupf - entwickelt zunehmend eine phantastische Struktur. Schnell wird klar, dass der Schuhmacher, wie er bei Hostrup heißt, weder vor körperlicher Gewalt flieht noch Angst hat, bestohlen zu werden. Die Szene erscheint vielmehr wie eine Traumsequenz, in welcher Hostrup der jüdischen Figur schlechthin - Ahasverus - eine Stimme verleiht. 162 Der ihn verfolgt ist der Dichter Tuborg, ein Freund des Studenten Klint. Und auf Autoren, das wird schnell klar, ist die jüdische Figur nicht gut zu sprechen. Sie plagen und verfolgen den Juden ohne Gnade, wollen seine Abenteuer hören, um diese zu verarbeiten und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sein ganzes Leben, so Ahasverus, solle auf dem Theater gezeigt werden. 163 Den Vorgang des Erzählens stellt der Jude als schmerzhaftes und grausames Ritual dar. Die Autoren - Tuborg ist nicht der erste - zwingen ihn, seine Geschichten unter großen Qualen preiszugeben, um damit Geld zu verdienen: „ Sie quälen und plagen mich, damit ich ihnen alles erzähle, was ich erlebt, gehört und beobachtet habe, sie wollen mit mir Geschäfte machen und zeigen mich 162 Der Mythos vom „ Ewigen Juden “ Ahasverus hat vielfältige Ausformungen erfahren. Der Legende nach verwehrt ein Jerusalemer Schuhmacher Jesus auf seinem Kreuzweg eine Ruhepause auf seiner Türschwelle. Daraufhin wird er verflucht, bis ans Ende der Zeit ruhelos durch die Welt zu wandern. Diese Legende ist in Literatur und Kunst häufig Gegenstand der Auseinandersetzung geworden. (Zur Ahasverus Figur in der dänischen Literatur des Goldenen Zeitalters: Brøndsted, Mogens: Ahasverus. Jødiske elementer i dansk litteratur. Odense 2007, S. 18 ff. Allgemeiner mit dem Ahasverus-Mythos und dessen Ursprüngen und unterschiedlichen Ausformungen hat sich beispielsweise Halbach beschäftigt: Halbach, Frank: Ahasvers Erlösung. Der Mythos vom ‚ Ewigen Juden ‘ im Opernlibretto des 19. Jahrhunderts. München 2009, S. 19 - 43) 163 „ Skomager: Ja [en Stykke] om mig, om Jerusalems Skomager - en stor Stykke, som skal traktere hele mit Liv ligefra Begyndelsen til Enden og forestilles paa det kongelige Theater. “ (Hostrup, Christian: „ Gjenboerne. “ In: C. Hostrups Komedier. Første Bind. Kjøbenhavn 1889, S. 1 - 99, hier: S. 29. Im Folgenden: Gjenboerne) / / „ Schuhmacher: Ja, [ein Stück] über mich, über Jerusalems Schuhmacher - ein großes Drama, das mein ganzes Leben von Anfang bis Ende behandelt und auf dem Königlichen Theater gezeigt wird. “ Exodus - Christian Hostrups Gjenboerne 199 herum wie einen Affen, obwohl ich doch ein alter Mann bin, der in sein neunzehnhundertstes Jahr geht. “ 164 Die konkrete Situation transzendiert und der Schuhmacher rechnet mit den dänischen Literaten ab. Der Dialog zwischen Klint und dem Juden wechselt in eine Gedichtform, die der Geschichte des verfolgten Ahasverus eine zusätzliche Überhöhung verleiht und den Traum-Charakter der Szene unterstreicht. Typisch für Studentenkomödien finden sich viele Anspielungen auf zeitgenössische politische sowie kulturelle Diskurse und so schildert Ahasverus zunächst zwar seine Flucht aus Deutschland, kommt aber schnell auf seine aktuellen Erfahrungen in Dänemark zu sprechen. Neben dem bereits erwähnten Tuborg folgt nun eine Tirade auf die Autoren Bernhard Severin Ingemann und Hans Christian Andersen. Die Anklage gegen beide lautet auf Entführung, Misshandlung und Freiheitsberaubung: Ingemann gick sig en Morgentur og saa mig ligge og sove i Græsset. Væk var min Ro - han tog mig hjem, jeg maatte nære hans Dr œ mmerier, jeg maatte klynke min Smerte frem efter hans smægtende Melodier. Endelig lod han mig atter gaa, da hans Dagbok var færdig til Trykken, men saa kom Andersen ovenpaa, og saa begyndte en Jammer, saa end det løber mig koldt over Ryggen. / . . . / Ach jeg løb jo hvert Øjeblik bort, styrted afsted i Angst og Pine, men jeg gamle kom altid tilkort, for han kjørte med Dampmaskine. / . . . / Da Andersen slap mig - o, hvor det letted! Men Tuborg er værre, det kan De tro, og alt hvad jeg stred og alt hvad jeg sprætted, saa slap jeg dog ikke ud af hans Klo. / . . . / Der maa jeg da sidde i Fængselsnat, mens høit efter Frihed min Længsel flyver; 164 „ [D]e piner og plager mig, for at jeg skal fortælle dem alt hvad jeg har oplevet og hørt og observeret, de vil gjøre mig til Indtægt og vise mig frem som en Abekat, skjønt jeg er en gammel Mand, der gaar i mit nittenhundrede Aar. “ (Gjenboerne, S. 29) 200 Juden im Wunderland? men Timen, jeg vented, er kommen brat, nu ser jeg min Frelse, nu har jeg den fat! 165 Ingemann spazierte am Morgen und sah mich schlafend im Gras liegen. Dahin war die Ruh - er nahm mich mit, ich musste seine Träumereien nähren, ich musste zu seinen schmachtenden Melodien meinen Schmerz bejammern. Als sein Buch fertig war, ließ er mich endlich wieder gehen, aber da kam schon Andersen, und so begann ein Elend, vor dem es mir immer noch schaudert. / . . . / Ich lief fort, wann immer ich konnte, gehetzt in Angst und Pein, doch ich war stets zu langsam, reiste er doch per Dampfmaschine. / . . . / Dann ließ Andersen endlich los - oh, welch Erleichterung! Aber Tuborg war noch schlimmer, glaub mir, was ich versuchte, wie ich auch kämpfte, entkam ich nicht aus seinen Klauen. / . . . / Nun sitz ich in dunkler Gefangenschaft und nach Freiheit verlangt meine Sehnsucht; aber die Stunde ist gekommen, ich seh ’ meine Erlösung, nun ist sie da! Dass er abschließend doch entfliehen kann, gelingt - so erzählt der Jude - nur mit Hilfe seiner Handwerkskunst. Er habe sich ein Paar Glücksgaloschen genäht, die es ihm ermöglichen, im Handumdrehen an jeden Ort zu gelangen und dabei zugleich unsichtbar zu bleiben. Nicht zum ersten Mal verfüge er über solch Schuhwerk, aber das vorherige Paar sei ihm von Hans Christian Andersen abgezwungen und so intensiv genutzt worden, dass es danach nicht mehr zu gebrauchen gewesen sei: „ Andersen / . . . / ist in ihnen wie ein Verrückter / . . . / umhergefahren und hat sie so weit zerdehnt, dass ich sie schlicht nicht mehr benutzen konnte. “ 166 165 Gjenboerne, S. 30 f 166 „ Andersen / . . . / foer / . . . / omkring i dem, som han var gal, og videde dem saadan ud, at jeg slet ikke kunde bruge dem mere. “ (Gjenboerne, S. 32) Exodus - Christian Hostrups Gjenboerne 201 Nicht gerade diskret spielt Hostrup hier auf Andersens 1838 erschienenes Märchen Lykkens Kalosker (Die Galoschen des Glücks) 167 an, das er in dieser Lesart nur mit Hilfe des Juden hat schreiben können - ein Plagiat: Ein Vorwurf, der sicher in ähnlicher Weise auf Andersens Kun en spillemand (Nur ein Spielmann) und Ingemanns Den gamle rabbin (Der alte Rabbi) gemünzt ist. Hier findet eine bedeutende Verschiebung statt. Noch in Chinafarerne bestätigt Ascher das Vorurteil, Juden könnten nicht dichten und hätten keine kreative Kraft. 168 Hostrup kehrt dies nun um: Die jüdische Figur wird zur Muse, ohne die den Dichtern Inspirationen zu fehlen scheinen. Sie muss ihre Geschichten erzählen, weil es keine besseren gibt; sie stellt Schuhe her, derer sich Andersen frech bedient - um die Welt zu sehen und daraus eine erfolgreiche Autorschaft zu komponieren. Der Schuhmacher, seit knapp zweitausend Jahren in den Wirren der Welt unterwegs - immer wieder festgehalten und auf verschiedene Weise gequält - verwandelt sich auf Hostrups Bühne in die Muse des 19. Jahrhunderts, in einen Zauberer und Erfinder, der nicht nur die besten Stoffe für Dramen und Romane liefert, sondern zudem humorvoll, selbstironisch und mit einer großen Selbstverständlichkeit eine Art geheimnisvolles Zentrum der Komödie bildet. Und der - endlich einmal! - entkommt. Zuvor muss er Klint noch für eine Nacht die Galoschen leihen. Dieser benötigt sie, um sich in Liebesdingen Klarheit zu verschaffen. Nicht ganz freiwillig gibt der Schuhmacher sie her, aber er wird dieses Mal nicht enttäuscht. Um Mitternacht - wie vereinbart - ist der Student von seiner Reise zurück, liefert die Zauberschuhe ab und der Jude macht sich davon. Er kehrt dem kühlen Norden und dem zugigen Theater den Rücken. Naar Klokken slaar tolv paa Regensens Ur, da flyver jeg ud fra min Fængselsmur, langt bort fra Nordens Kulde og Nød til Asiens frugtbare Moderskjød, og hviler min Krop, og kvæger de arme, 167 Andersens Märchen beginnt in einem Salon in Kopenhagen, in dem darüber gesprochen wird, wie es wäre, durch Zeit und Raum reisen zu können. Während die Gesellschaft schwätzt, sitzen im Vorzimmer eine junge und eine ältere Dame - in Wirklichkeit zwei Feen. Die jüngere hat Geburtstag und darf etwas Besonderes verschenken: die Galoschen des Glücks. Wer die anzieht, wird augenblicklich an den Ort und in die Zeit versetzt, wo er am liebsten sein will. Und so probieren im Verlauf des Märchens verschiedene Figuren die Schuhe an, bekommen ihre Wünsche erfüllt und merken recht schnell, dass sie sich in ihrem Leben doch am wohlsten fühlen. 168 Vgl. Kap. 3.4.5 202 Juden im Wunderland? forfrosne Lemmer i Solens Varme. / . . . / Lad Digterne lede, til de bliver gale! Jeg sidder saa lunt i Libanons Dale, og glæder mig over min Friheds Skat, og slipper den aldrig. - God rolig Nat! 169 Wenn die Uhr zwölf schlägt, entfliehe ich aus meinem Gefängnis, weit weg von der Kälte und der Not des Nordens, in den fruchtbaren Mutterschoß Asiens, dort ruh ich mich aus und erquicke meinen armen, verfrorenen Leib in der wärmenden Sonne. / . . . / Lass die Dichter suchen, bis sie verrückt werden! Während ich in einem Tal im Libanon sitze und mich am Schatz meiner Freiheit erfreue, die gebe ich nie wieder her. - Gute Nacht! Deutlich wird: Auf die jungen, aufgeklärten und weltgewandten Studenten ist Verlass. Klint flunkert zwar, um die Galoschen leihen zu können, aber natürlich gibt er sie in einem guten Zustand zurück. Eine neue Generation betritt das Theater, die sich um die Angefasstheiten ihrer (literarischen) Väter wenig kümmert und keine Berührungsängste auf der Bühne zu kennen scheint. Die Überhöhung der jüdischen Figur durch die geheimnisvoll wirkende Verortung im Ahasverus-Narrativ zeigt aber auch, dass für Hostrup die Darstellung „ realer “ Juden keine Relevanz mehr hat. Die möglichst naturalistische Zeichnung (assimilierter) Juden im bürgerlichen Milieu Kopenhagens hat ihren Reiz und vielleicht damit auch ihre Bedeutung verloren. Zuerst scheint es so, dass Hostrup seinen Schuhmacher streng in der Holberg ’ schen Rollenfachtradition verortet und die Auffächerungen, die seit Beginn des 19. Jahrhunderts deutlich spürbar werden, nicht aufnimmt. Mehr Rollenfach geht nicht: Ein bärtiger, zweitausend Jahre alter Schuhmacher, einsam, verfolgt und merkwürdig dichtend. Aber Hostrup schreibt ihn inhaltlich heraus. Der Jude wird als Muse der Literatur dargestellt, als gewiefter Zauberer und phantasmagorischer Inspirator. Er hat die Welt gesehen und nun verlässt er den kühlen Norden 169 Gjenboerne, S. 34 Exodus - Christian Hostrups Gjenboerne 203 mit all seine strengen Dichtern und Denkern und niemand wird ihn aufhalten können. Die Bühne fungiert hier als doppelter Imaginationsort, der einerseits die Figur des Ahasverus erschafft und kanonisiert, zugleich aber - zumindest in Hostrups Fall - ein Entrinnen daraus ermöglicht. Was wir hier sehen, ist nicht die Rettung durch einen Zaubertrick, vielmehr lese ich die Flucht als Ermächtigungsstrategie, welche Autorschaft als Möglichkeit des Entkommens aus minorisierenden Diskursen propagiert. Hostrup zeigt, dass es möglich ist, (auf) dem Theater zu entfliehen - nicht nur einer individuellen Verfolgung oder einer geschichtlichen Wirklichkeit, sondern zugleich ein Stück weit auch einer Motiv- und Rollenfachtradition. 4.7 Das Ende des jüdischen Rollenfachs? Das so genannte Goldene Zeitalter bringt, wie ich gezeigt habe, eine Vielzahl jüdischer Figuren hervor, die in unterschiedlichen Funktionen und Zeichnungen auf der Bühne des Königlichen Theaters ein Zuhause finden. Ausgehend von den Holberg ’ schen Vorbildern erweitern sie das Rollenfach und ermöglichen auf diese Weise neue Facetten der Figurenzeichnung: Erstmals gibt es bei Johan Ludvig Heiberg einen jüdischen Protagonisten, Thomas Overskou bringt eine ganze Familie auf die Bühne und mit ihr den ersten weiblichen jüdischen Charakter, Adam Oehlenschläger zeichnet bösartige Judenkarikaturen und Jens Christian Hostrup lässt seinen Ahasverus mit den zeitgenössischen Dichtern abrechnen und schließlich aus der Motivtradition entfliehen. Dabei ist das Goldene Zeitalter mit den neuen Möglichkeiten, welche es seinen jüdischen Charakteren bietet, sicherlich kein theatralisches Wunderland und die Auffächerung des Rollenfaches wie es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu beobachten ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die jüdischen Figuren durchgehend in einem positiveren Licht gezeigt werden. Aber die neue Vielfalt lässt die Frage aufkommen, ob mit Kong Salomon und seinen Nachfolgern eine theaterästhetische Emanzipation der jüdischen Figuren stattgefunden hat, die ein eigenes jüdisches Rollenfach, wie ich es seit Holbergs Zeiten annehme, überflüssig macht. Ein Blick auf die Aufführungspraxis am Kongens Nytorv mag helfen, sich dieser Fragestellung zu nähern. Dass die Stücke alle (! ) so erfolgreich laufen, liegt - so meine These - zu einem wichtigen Teil an den Darstellern. Und anders als auf dem europäischen Kontinent sind es die großen Stars des Theaters, die in den jüdischen Rollen reüssieren und ihnen dadurch ein 204 Juden im Wunderland? besonderes Gewicht verleihen. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts fungieren die Schauspieler als wichtigstes Glied dieser inzwischen staatstragenden Kunst, ihr Status ändert sich und sie werden ein akzeptierter Teil der bürgerlichen Gesellschaft. Sie sind die prägenden Protagonisten dieser glanzreichen Theaterepoche, bevor ab der Mitte des Jahrhunderts mehr und mehr der Regisseur und die Vorstellung eines Gesamtkunstwerkes an Einfluss gewinnen. Die Verkörperung jüdischer Figuren durch wenige große Schauspieler verdeutlicht, dass die Frage nach dem vermeintlichen Ende des jüdischen Rollenfaches in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts nur im Zusammenspiel mit dessen Darstellern differenziert zu betrachten ist. Wie spielen die großen Stars „ ihre “ Juden? Wie viel Rollenfach bleibt, wie viel Exodus ist möglich? Könnten wir das Licht am Kongens Nytorv noch einmal anschalten, um einen Blick auf die tumulthaften Theaterabende des Goldenen Zeitalters zu erhaschen, wären wir vielleicht verwundert, als wie prägend sich die Handschrift weniger berühmter Darsteller in der Ausformung der unterschiedlichen jüdischen Charaktere erweist. Ein aussichtloses Unterfangen. Natürlich. Trotzdem: Vorhang auf! Wenigstens ein kleines Stück. Das Ende des jüdischen Rollenfachs? 205 5. Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten - Judendarsteller am Königlichen Theater I m März 1829 spielt Carl Winsløw auf der Königlichen Bühne zum ersten Mal die Rolle des edlen Juden Schewa in Richard Cumberlands Drama Jøden (The Jew). Das Publikum nimmt seine Verkörperung des jüdischen Protagonisten begeistert auf, Søren Kierkegaard ist noch Jahre später von der Aufführung gefangen 1 und der Kritiker Nathan David schwärmt - jenseits der dramaturgischen Mängel, die er dem Autor anlastet - von der meisterhaften Darstellung des jungen Schauspielers, der bescheidenen Art und seinem stummen Spiel: Anm. beundrede ikke saa meget hos ham, at han havde opfattet Characterens Grundtone og søgte harmonisk at udvikle denne, som at han ved sit stumme Spil viste, at Scheva derfor ikke bryder sig om Verdens Agtelse, fordi han har nok i sin egen, og er ufølsom mod Verdens Dom, fordi han føler, at han har en Dommer over sig, som bedømmer Christne og Jøder eens. Hans Øie var mere veltalende end hans Læber, og ikke hvad han sagde, men hvad han ikke sagde viste os, hvad Scheva led, og tillige hvad Scheva høstede / . . . / . [Dette] havde Hr. Winsløw tegnet med en Mesterpensel. 2 Der Kritiker bewunderte an ihm [Winsløw] nicht so sehr, dass er den Grundgehalt des Charakters erfasst hatte und diesen harmonisch zu entwickeln suchte, vielmehr aber, dass er durch sein stummes Spiel zeigte, dass sich Schewa um die Achtung der Welt nicht scherte, da er sich selbst genug war, und dass er gegen das Urteil der Welt unempfindlich war, da er fühlte, dass er einen Richter über sich hatte, der Christen und Juden gleich beurteilte. Seine Augen waren beredter als seine Lippen und nicht was er sagte, sondern was er nicht sagte, zeigte uns, was Scheva litt und genauso was Scheva erntete / . . . / . [Dies] zeichnete Hr. Winsløw mit einem Meisterpinsel. Die von Carl Winsløw so gelungen dargestellte Figur ist dem Publikum am Kongens Nytorv aber keineswegs unbekannt. Das Drama steht seit 1795 1 Tudvad, Peter: Kierkegaards København. København 2004, S. 238 2 Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 57; 12. Mai 1830 immer wieder auf dem Spielplan und beschert schon 30 Jahre vor Winsløw dem Schauspieler Hans Christian Knudsen in der Titelrolle wahre Triumphe. Winsløw als „ neuer “ Schewa entzückt den Kritiker dennoch und Nathan David konstatiert am Ende seiner Ausführungen, dass er nicht in der Lage sei, dieses Meisterwerk der Schauspielkunst adäquat zu beschreiben. Ein größeres Lob könne es für einen Schauspieler seiner Ansicht nach jedoch nicht geben, als „ wenn sich alle einig sind, dass die Darstellung ein Meisterwerk ist, aber niemand genau sagen kann, was so mitreißend daran war. “ 3 Nathan David zitiert hier eine Beschreibung, die er einige Monate zuvor für den Schauspieler Johan Christian Ryge und dessen Verkörperung des Michel Angelo in Oehlenschlägers Drama Correggio verwendet hat und stellt auf diese Weise die beiden Schauspieler und ihre Fähigkeiten, das Publikum zu faszinieren, auf eine Stufe. Wir erfahren so nicht nur etwas über die Ausgestaltung der jüdischen Figur Schewa, sondern zugleich mehr über die Abläufe und Hierarchien am Königlichen Theater. In einer Reihe mit dem großen Star Johan Christian Ryge genannt zu werden, bedeutet für Winsløw eine erhebliche Aufwertung. Bemerkenswert daran ist zudem, dass hier zwei Schauspieler miteinander verglichen werden, die teilweise um dieselben Rollen konkurrieren und - das ist kein Geheimnis - nicht sonderlich gut aufeinander zu sprechen sind. Winsløw beispielsweise schreibt einem Freund, dass es ihm egal sei, was Ryge tue oder lasse, denn „ was ein Esel spricht, das acht ich nicht. “ 4 Ryge, der ältere und erfahrenere, bezeichnet Winsløws Rollengestaltung höhnisch als „ Filigranarbeiten “ 5 und setzt kurz nach dessen Premiere als Schewa seinen „ Herzenswunsch “ 6 durch und übernimmt die Rolle selbst - eine offene Kränkung des Kollegen, der heftige Kämpfe auch innerhalb der Theaterleitung vorausgehen. Ryge geht es vor allem darum, so schreibt der Theaterhistoriker Hansen später, eine andere und aus seiner Sicht richtige Deutung der Rolle dem Publikum zugänglich zu machen. Dass Winsløws 3 „ [D]et er sikkert den høieste Roes for den sceniske Konstner, naar alle ere einige om at ansee hans Fremstilling for et Mesterværk, og naar dog ingen veed at angive, hvad det var, der henrev i Fremstillingen. “ (Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 57; 12. Mai 1830) 4 Brief von Carl Winsløw an J. Dahl, Juli 1833. In: Neiiendam, Robert [Hrsg.]: Breve fra danske skuespillere og skuespillerinder. Den nyere tid. Dr. Ryges Selvbiografi. Emil Wiehes Erindringer. København 1912, S. 175. Der Kommentar zu Ryge ist im Original auf deutsch geschrieben. 5 Zinck, Otto: Joachim Ludvig Phister. Et teaterliv. København 1896, S. 37. 6 Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Femte Deel. Kjøbenhavn 1864, S. 41. Im Folgenden: Overskou V 208 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten „ eindringliche psychologische “ 7 Gestaltung der Partie besser ankommt, dürfte dem beliebten Ryge durchaus missfallen haben. Neben den persönlichen Animositäten, die hier eine Rolle spielen, zeigt sich aber auch, dass die Figur des Juden Schewa jahrzehntelang und in unterschiedlichen Besetzungen eine große Anziehung auf die Zuschauer ausstrahlt und gleichzeitig ein bei den Schauspielern begehrter Charakter ist - egal in welchem Rollenfach sie engagiert sind. Ausgehend von diesem Beispiel werde ich im folgenden Kapitel den Schwerpunkt auf die Verkörperer jüdischer Figuren legen, also auf jene Schauspieler, die auf prominente Weise Ephraim und seine Geschwister auf die Bühne bringen. Ob nun der mächtige Schauspieler Ryge seine Figuren mit „ breitem Pinsel “ 8 zeichnet oder aber der filigrane, kleine und schmächtige Winsløw versucht, mit Bescheidenheit und psychologischer Durchdringung dieselbe Figur darzustellen, unterstreicht, dass sowohl die körperliche Präsenz als auch das unterschiedliche Verständnis der Rolle die Ausgestaltung einer dramatischen Figur auf der Bühne erheblich beeinflussen können. Gerade im Hinblick auf die Darstellung von Juden - die ja schon in den Texten durch besondere körperliche Einschreibungen gekennzeichnet sind 9 - ist die Bedeutung der physischen Präsenz der Darsteller nicht von der Hand zu weisen. Den Schauspieler in seiner körperlichen Verfasstheit und sozialen Position in den Blick zu nehmen, statt ihn ausschließlich als Ausdrucksmittel der Intentionen des Autors oder als „ Erfüller “ der Rollenfachtradition zu lesen, kann somit eine zusätzliche Bedeutungsschicht freilegen. Dabei geht es sowohl um die individuelle Auffassung einer Rolle, als auch um physische Kennzeichen wie Stimme, Modulation, Mimik, Gestik usw., denn die Bühnenjuden existieren ja nicht jenseits der Körper der Schauspieler, vielmehr ist umgekehrt der Schauspieler mit seiner spezifischen Körperlichkeit die Voraussetzung und ein wichtiger Teil der Darstellung. Die Frage Wer spielt den Juden? meint damit auch immer: Welcher Körper stellt ihn dar, welche Stimme gibt seine sondersprachlichen Gesänge oder schallenden Flüche wieder, wessen Gesicht grimassiert ärgerlich, wenn der neue Hut nicht schnell genug auf dem Kopf landet, wer ist der edle Freund der (christlichen) Familie und wer will als Shylock das Pfund Fleisch Antonio aus dem 7 Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 311. Im Folgenden: Hansen II 8 Zinck 1896, S. 37 9 Vgl. Kap. 2.3 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten 209 Körper schneiden? In welchem Verhältnis stehen die jüdischen Figuren zu den anderen vom Schauspieler dargestellten Charakteren - auf welche Weise interagieren also verschiedene Rollen in der Wahrnehmung des Publikums miteinander? Im Spannungsfeld zwischen Text, Rollenfachtradition und individueller Darstellungsweise kann es gelingen, so meine These, die jüdischen Charaktere und ihre Position innerhalb des theatralischen Gefüges von unterschiedlichen Seiten zu beleuchten und auf diese Weise ein mehrdimensionales Bild zu zeichnen. Betrachtet man die Darstellung jüdischer Charaktere auf der Bühne des Königlichen Theaters vom Ende des 18. bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts kommt meiner These eine besondere Bedeutung zu, da Theatertext und Schauspielerkörper auf besondere Weise miteinander verwoben sind. Ich habe dargelegt, dass ich die jüdischen Figuren seit Holberg als ein eigenes Rollenfach lese - mit besonderen äußeren Attributen, spezifischen körperlichen Einschreibungen und gesonderten Funktionen. Wie sich diese Tradition in den Texten und im Theater manifestiert, habe ich in den vorangegangenen Kapiteln aufgezeigt. Schaut man sich nun zudem die Darsteller-Körper genauer an, zeigt sich, dass es auch hier eine Rollenfachtradition gibt, die sich durch ihre Einzigartigkeit auszeichnet: Fast alle jüdischen Charaktere werden jeweils von einem Schauspieler gespielt, eine Tradition, die sich über viele Jahrzehnte erstreckt. Der erste große Judendarsteller ist Hans Christian Knudsen, der von 1786 bis 1816 am Kongens Nytorv spielt und unter anderem als Schewa und Salomon Joseph zu sehen ist. Sein Nachfolger wird Johan Christian Ryge, der ab 1813 nicht nur als Moses in Chinafarerne, sondern auch als Holberg ’ scher Ephraim und Heibergs Goldkalb figuriert. Aufgrund seines äußerst kurzen Engagements am Königlichen Theater soll Ryges Zeitgenosse Carl Winsløw, der vor allem in seiner Rolle als Joseph Golz Furore macht 10 sowie mit seiner Verkörperung des Schewa, wie eingangs dargestellt, Kritiker und Zuschauer gleichermaßen entzückt, im Rahmen dieses Kapitels nur am Rande Beachtung finden. Der letzte große Judendarsteller ist Johan Ludvig Phister, der bis 1873 unter anderem in der Rolle des Schuhmachers in Hostrups Gjenboerne auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, reüssiert. 10 Ausführlicher zu Winsløws Verkörperung des Joseph Golz Kap. 4.4.3 210 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten 5.1 Sein oder Nichtsein - Der Beruf des Schauspielers zu Beginn des 19. Jahrhunderts Mit der Aufwertung des Theaters zu Beginn des 19. Jahrhunderts ändert sich zunehmend auch die soziale Verortung der Schauspieler. Mehr und mehr werden sie zu einem akzeptierteren Teil der bürgerlichen Mitte und die führenden Kräfte der Bühne erlangen spätestens im Zuge des vaudevillschen „ Theaterwahnsinns “ Kultstatus und werden als Stars verehrt. Die alltäglichen Arbeitsbedingungen für die einfachen Ensemblemitglieder hingegen stellen sich am Kongens Nytorv als durchaus schwierig dar, die Abläufe des Theaterbetriebs unterscheiden sich von den heute üblichen auf deutliche Weise. Die Position des Schauspielers im theatralischen Gefüge im späten 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beeinflusst die Rollengestaltung auf besondere Weise. Mit Blick auf die Verkörperung jüdischer Figuren erscheint die Betrachtung der Arbeitsbedingungen der Schauspieler als wichtige Voraussetzung für das Verständnis der sich etablierenden spezifisch dänischen Darstellungstradition. Ein detailliertes und über die Jahre gewachsenes Reglement 11 definiert die Arbeit der Schauspieler: Von der zulässigen Menge der zu lernenden Texte, 11 Das wichtigste Reglement ist die am 28. Dezember 1754 erlassene Instruction for Troupen ved den danske Skueplads i Kjøbenhavn (Instruktion für das Ensemble des dänischen Theaters in Kopenhagen), welche im Lauf der Zeit immer wieder verändert und angepaßt wird, erstmals umfassend die Aufgaben der Schauspieler ordnet und praktische Fragen im Hinblick auf die Ausführung der Stücke klärt. Der erste Punkt widmet sich den Darstellern und ihrer Spielweise auf der Bühne. Betont wird vor allem die Wichtigkeit einer natürlichen Darstellung der Charaktere - ein outrierendes Agieren, Übertreibungen und Obszönitäten, um das Publikum zum Lachen bringen, seien unbedingt zu unterlassen. Diese Regelung lässt vermuten, dass eine eher gegenläufige Tendenz - also starkes Extemporieren - auf der Bühne üblich ist. Die Schauspieler werden darüber hinaus aufgefordert, alles was Anstoß erregen könnte, sei es in den Texten der aufgeführten Dramen, sei es im Spiel auf der Bühne, umgehend der Direktion zu melden, damit Veränderungen vorgenommen beziehungsweise die Stücke im äußersten Fall abgesetzt werden könnten. Denn das Spiel der dänischen Truppe soll, so die Regelung Nr. 2, „ den Zuschauern nicht nur ein unschuldiges Vergnügen [bereiten], sondern darüber hinaus, (wenn dies möglich ist), lieber Fehler ausmerzen als gute Sitten zu verderben. “ ( „ thi de danske Spil bør ikke alene opføres Tilskuerne til uskyldig Forlystelse, men derhos, (om muligt er), heller tjene til at rette Feil end at fordærve gode Sæder. “ Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Anden Deel. Kjøbenhavn 1856, S. 161. Im Folgenden: Overskou II) Die gewünschte Vorbildfunktion des Theaters, seine „ Natürlichkeit “ und damit Glaubhaftigkeit soll sich auch in der Ausgestaltung der Kostüme wiederfinden: Ausdrücklich werden die Schauspieler darauf hingewiesen, ihre Kleidung Sein oder Nichtsein 211 über Bezahlung und Probenzeiten bis hin zur Vorbereitung und Durchführung einer Aufführung ist alles klar geordnet. So beginnt eine Theatervorstellung am Königlichen Theater um 17 Uhr. Ungefähr. Die Schauspieler sind aufgefordert, sich spätestens eine Stunde vor Vorstellungsbeginn im Kostüm im Foyer einzufinden. Hier werden praktische Dinge miteinander geklärt, vielleicht kurze Dialogpassagen repetiert und die neuesten Entwicklungen miteinander besprochen. In der Regel werden zumeist zwei Stücke an einem Abend aufgeführt. Neben den Darstellern sind vor allem der Souffleur und der Maskinmester für den reibungslosen Ablauf verantwortlich. Ersterer hilft den Spielenden bei Textschwierigkeiten, letzterer ist für das Bühnenbild und die Umbauten während der Szenenwechsel zuständig. Hinter der Bühne herrschen beengte Verhältnisse, das Theater ist gerade für einfache Ensemblemitglieder kein bequemer Arbeitsplatz: Es ist dunkel, gedrängt und zugig, Ratten und anderes Ungeziefer gibt es zuhauf und nur die erfahrenen Stars verfügen über eigene Garderoben. Rechtlich sind die Schauspieler direkt dem König unterstellt, das Reglement wird von der Theaterleitung streng überwacht und bei Verstößen mit teils schweren Strafen sanktioniert. Dies geht soweit, dass ein eigenes Gefängnis für die Akteure existiert, der so genannte Blaataarn (Blaue Turm). 12 Das hierarchische Gefälle ist groß und bedeutet, dass die führenden Kräfte des Hauses recht unbesorgt nach eigenem Gutdünken schalten und walten können. Geprobt werden in der Regel nur neue Stücke oder Umbesetzungen. Wenn Dramen über Jahre auf dem Spielplan stehen und teilweise über längere Perioden nicht gespielt werden, liegt es in der Verantwortung für die Bühne dem zu spielenden Charakter angemessen zu wählen. Allerdings darf man sich nicht der Vorstellung hingeben, dass es deshalb eine naturalistische Ausstattung der Aufführungen in unserem heutigen Sinn gegeben hat. Allein die schwache Beleuchtung der Bühne macht es notwendig, farbige und reflektierende Stoffe zu tragen, um für die Zuschauer besser sichtbar zu sein. Die abschließenden Punkte regeln vor allem den organisatorischen Ablauf der Proben, die Zeit, die für das Erlernen der Texte zur Verfügung steht, Disziplinarmaßnahmen bei Verspätungen, bei mangelnder Rollenkenntnis, bei unanständigem Benehmen und Krankheit. 12 Noch 1831 wird die Tänzerin Andrea Krætzmer dort eingesperrt, weil sie aufgrund einer Krankheit die Premiere des Bournonville-Balletts Faust nicht spielen kann. Der herbeigerufene Amtsarzt behandelt sie mit Blutegeln, spanischen Fliegen und Brechmittel, der Theaterchef Holstein erklärt die Erkrankung für einen Bluff und lässt die junge Mutter in Haft nehmen. Erst nach 31 Tagen kommt sie wieder frei. Dieses Ereignis ist ein Beleg für die teilweise äußerst schwierigen Bedingungen, unter denen die Schauspieler ihrer Tätigkeit nachgehen, verdeutlich aber auch die erheblichen Unterschiede innerhalb des Ensembles: Wären Herr Ryge oder Hans Christian Knudsen nicht aufgetreten - niemand hätte sie eingesperrt. 212 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten des Einzelnen, den Text zu memorieren und szenische Arrangements zu erinnern. Auch für neue Dramen werden im Vergleich zu heute äußerst kurze Probenzeiten angesetzt, eine Praxis, die auch im übrigen Europa durchaus üblich ist. Das Rollenfachtheater mit seinen festen Charakteren erfordert weniger Proben, vielmehr wird von jedem Darsteller erwartet, dass er sich im Vorfeld eingehend mit seinem Text und der Ausformung der jeweiligen Figur befasst. Der eingangs erwähnte Schauspieler Christian Ryge beispielsweise war bekannt für seine penible und langwierige Vorbereitung auf eine Partie. Johanne Luise Heiberg, lange Jahre eine der wichtigen Bühnenpartnerinnen Ryges, beschreibt in ihrer Autobiographie, wie Ryge auf ihre Frage, wann er denke, dass ein neues Stück aufgeführt würde, antwortete: „ Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Ich habe diese Rolle schon lange in komplettem Kostüm allein für mich in meinem Zimmer gespielt, so gut werde ich sie nie auf dem Theater spielen, und ich weiß, dass ich mein größtes Vergnügen also bereits gehabt habe. “ 13 Inwieweit dieses Gespräch in der Tat so stattgefunden hat, mag dahingestellt bleiben, es zeugt aber auf sehr eindringliche Art und Weise von der Probenpraxis am Kongens Nytorv: Der Schauspieler ist das Zentrum der Bühnenhandlung - von der Vorbereitung der Rolle bis zur Auswahl des Kostüms liegt es in seiner Hand, einen Charakter zu gestalten. Die Proben dienen eher organisatorischen Zwecken und so verwundert es kaum, dass am Königlichen Theater das Motto gilt: „ Je mehr Proben, umso schlechter die Vorstellungen. “ 14 In der Regel erfolgen vor der Premiere eines Dramas eine Leseprobe und lediglich zwei bis drei Bühnenproben. Dies ändert sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Auftauchen des Regisseurs in unserem heutigen Verständnis. Die Aufgabe des Instrukteurs beziehungsweise Regisseurs besteht zur damaligen Zeit vor allem darin, Auf- und Abgänge zu organisieren und junge Kollegen bei der Erarbeitung ihrer ersten Partien zu unterstützen. Zur Leseprobe finden sich im Idealfall 15 alle 13 „ Jeg ved det ikke, og det er mig også ligegyldigt. Jeg har i lang tid i fuldt kostume spillet denne rolle i ensomhet for mig selv i min stue, så godt kommer jeg næppe nogensinde til at spille den på teatret, og jeg ved, at min bedste nydelse har jeg alt haft. “ (Heiberg, Johanne Luise: Et liv genoplevet i erindringen. Bind I 1812 - 42. København 1973, S. 368) 14 „ Jo flere Prøver, jo slettere Forestillinger. “ (Neiiendam, Klaus: Dr. Ryges dagbog Paris 1831. København 1979, S. 26) 15 Dass die Leseproben häufig nicht den Idealvorstellungen entsprechen, ist vielfältig überliefert. Oft werden die Rollenbücher hier erst ausgeteilt, so dass die einzelnen Darsteller unvorbereitet erscheinen müssen, häufig sind zudem nicht alle Schauspieler anwesend und teilweise nutzt der Souffleur die Leseprobe vor allem, um die Rol- Sein oder Nichtsein 213 Akteure zusammen und lernen auf diese Weise den gesamten Stoff der Handlung kennen, denn die individuellen Rollenbücher enthalten nur die eigenen Repliken sowie die jeweiligen Stichworte für den Auftritt. Im weiteren Verlauf der kurzen szenischen Proben ist man in der Regel nur bei seinen eigenen Szenen anwesend, wobei gerade die erfahrenen Kräfte ihre Partien häufig nur markieren und vor allem die Möglichkeit nutzen, ihren Text zu repetieren - während der Vorstellungen bieten sie häufig völlig andere Szenen und Deutungen an, als zuvor abgesprochen. Sobald jedoch einfache Ensemblemitglieder dies wagen, müssen sie gerade bei Ryge mit wütenden Tiraden rechnen. 16 Mit Blick auf die äußere Zeichnung und körperliche, vor allem stimmliche Verortung jüdischer Figuren erscheint es von besonderer Bedeutung, die Kommunikation zwischen Bühne und Publikum in den Blick zu nehmen, da sie für die Ausgestaltung dieser Charaktere wichtige Parameter setzt und überdies anderen Regeln als heute üblich folgt. Dies beginnt damit, dass beispielsweise der Zuschauerraum mit Beginn der Aufführung nicht verdunkelt wird. Darüber hinaus ist es üblich, dass die Zuschauer das Theater während des Spiels verlassen oder erst später hinzukommen. Es wird geraucht und getrunken, man tauscht sich miteinander über das Dargebotene aus, applaudiert bei gelungenen Auftritten auf offener Szene und versteckt auch den Unmut über schlechte Leistungen, Textunsicherheiten oder Äußerungen anderer Zuschauer nicht. Bei begehrten Vorstellungen kann es äußerst beengt und lebhaft zugehen, da die Plätze nicht nummeriert verkauft werden und gerade die Logen teils völlig überfüllt sind. Dies hat verständlicherweise Auswirkungen auf die Spielweise: Zumeist wird vorn an der Rampe agiert, was auch auf die Beleuchtung zurückzuführen ist; die Bühne wird lediglich mit Talglichtern erhellt, von denen nur einige wenige in den Seitenkulissen angebracht sind. 17 Zudem gilt die Akustik des Hauses als äußerst bescheiden, was im Zusammenspiel mit dem lebhaften Publikum eine große Herausforderung darstellt. Will lenbücher mit seinem Text abzugleichen. Immer wieder werden wegen der ungemütlichen und vor allem zugigen Bedingungen im Theater die Proben in die Wohnungen der Akteure verlegt, was laut Overskou dazu führt, dass statt Proben eher ein Art Kaffeeklatsch stattfindet. (Overskou II, S. 311) 16 So ist beispielsweise überliefert, wie Ryge nach einer Aufführung von Elverhøj aus Verärgerung über einen Kollegen, der sich wiederholt nicht an Absprachen gehalten hatte, diesen noch auf der Bühne wild beschimpft und in der Garderobe mit einer Waffe bedroht. 17 Eingehend mit der Beleuchtung im Theater beschäftigt sich Niels Friis. (Friis, Niels: Det Kongelige Teater. Vor nationale Scene i Fortid og Nutid. København 1943, S. 112 ff ) 214 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten man gesehen oder gehört werden, muss man so weit als möglich vorne stehen. Im Übrigen ist die Bühne möglichst leer: Das Bühnenbild besteht vor allem aus den gemalten, perspektivisch angeordneten Kulissen, die hin und wieder durch einzelne Möbelstücke oder Requisiten ergänzt werden. Beides wird so sparsam wie möglich eingesetzt, um Szenenwechsel nicht zu erschweren und in den Ensembleszenen eine möglichst freie Spielfläche zur Verfügung zu haben. Das Ensemble rekrutiert sich auf unterschiedlichste Weise - die Wege ans Theater sind äußert vielschichtig. Eine Schauspielausbildung im heutigen Verständnis existiert nicht 18 und so ist es gängige Praxis, dass die Jüngeren die Partien von den Erfahrenen erlernen und später übernehmen. Auf diese Weise vervielfältigt sich die Rollenfachästhetik, denn nicht nur spielt man in einem Fach, darüber hinaus ist es am Kongens Nytorv von Bedeutung, sich innerhalb der etablierten Figurenauffassungen zu bewegen und auf diese Weise zum einen eine Traditionslinie fortzuschreiben und zum anderen das eigene Geschick und die Kunstfertigkeit im Handwerk unter Beweis zu stellen: „ Hatte ein Schauspieler erst einmal eine Deutung einer Rolle geschaffen, blieb seinem Nachfolgern kaum ein anderer Weg, als diese zu übernehmen und es war sozusagen Teil des Handwerks, dass man dazu in der Lage war. “ 19 Schon dieser kurze Einblick in die Aufführungs- und Probenpraxis des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zeigt exemplarisch, dass die Funktion des Schauspielers nicht nur während der Aufführung zentral ist, sondern macht darüber hinaus deutlich, wie wichtig der Darsteller für die Erarbeitung und das Verständnis eines dramatischen Charakters ist. Die darauf fußende Annahme von beispielsweise Torben Krogh, dass es sich am Kongens Nytorv um „ primitive “ Bühnenverhältnisse handele, 20 führt als Gedankengang in eine, wie ich meine, falsche Richtung. Die von unserer heutigen Theaterauffassung abweichende Ästhetik setzt vielmehr 18 1805 unternehmen Rahbek und Rosing den Versuch, die Ausbildung zu professionalisieren. Die von ihnen initiierte Schauspielschule ist vor allem darauf ausgerichtet, Nachwuchs für das Königliche Theater zu rekrutieren und auszubilden. Bereits 1816 schließt die Schule und nur wenige der Absolventen finden den Weg auf die Bühne. (Henriques, Alf: Historien om en skuespillerskole. Den Kongelige dramatiske skole 1804 - 1815. København 1974) 19 „ Havde en Skuespiller en Gang skabt en Tradition paa en Rolle, var der ofte ingen anden Udvej for hans Efterfølger end at overtage den, og det hørte saa at sige med til Haandværket at kunne gøre det. “ (Krogh, Torben: Skuespilleren i det 18de Aarhundrede. Belyst gennem danske Kilder. København 1948, S. 45) 20 Krogh 1948, S. 3, 7, 8 Sein oder Nichtsein 215 andere Schwerpunkte und versteht vor allem den Schauspieler - und weniger den Autor und schon gar nicht den Regisseur - als zentrales Element einer Aufführung. Gerade im Hinblick auf die jüdischen Charaktere erscheint es daher lohnenswert, sich mit den Darstellern dieses Faches auseinanderzusetzen und ihre Position innerhalb des Theaters in den Blick zu nehmen. 5.2 Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 21 Die Rolle des edlen Juden Schewa wird, wie eingangs erläutert, zu einer der wichtigsten und herausragenden Partien in Hans Christian Knudsens Repertoire. Zunächst sieht jedoch alles danach aus, als würde es dazu gar nicht kommen. Aber die (Um-)Wege ans Theater sind vielfältig: 1763 wird Knudsen in ärmlichen Verhältnissen geboren, absolviert in jungen Jahren eine Maurerlehre und bewirbt sich am Kongens Nytorv. Dort wird er nicht angenommen, da es unmöglich erscheint, einen Handwerkerlehrling an das ehrwürdige Haus zu engagieren. Knudsen wechselt die Profession und kommt als Diener bei Erbprinz Frederik zunehmend in Kontakt mit der Bühne. Am Hof tritt er in kleineren Rollen auf und erhält schließlich die Chance zum Vorsprechen am Königlichen Theater. Am 14. Dezember 1786 gibt er dort sein Debüt als Oldfux in Holbergs Den Stundesløse (Der Vielgeschäftige) - ein großer und gefeierter Erfolg. 22 Viele Mitglieder des Schauspiel-Ensembles wollen zunächst wegen seiner Herkunft nicht mit ihm zusammen auf der Bühne stehen, sie lehnen es ab, mit einem „ Kalkschläger und Schmarotzer “ 23 zusammenzuarbeiten. Der damalige Theaterdirektor Warnstedt setzt Knudsens Debüt jedoch gegen diese Widerstände durch. 24 Auch der führende Kritiker dieser Zeit, Knud 21 „ Krigsgudens Harlekin “ (Neiiendam, Robert: Skuespiller og Patriot. Uddrag af H. C. Knudsens Dagbøger. Kjøbenhavn 1925, S. 22) 22 Zinck 1896, S. 43 23 „ Kalkslager og Tallerkenslikker “ (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Tredie Deel. Kjøbenhavn 1860, S. 353. Im Folgenden: Overskou III) 24 Warnstedt nutzt gleichzeitig die Möglichkeit, die Schauspieler eindringlich darauf hinzuweisen, sich vielmehr auf und abseits der Bühne um ihren guten Ruf zu kümmern, statt dies an der neuen Besetzung festmachen zu wollen. (Engberg, Jens: Til hver mands nytte. Historien om det Kongelige Teater 1722 - 1995, Bind I. København 1998, S. 142. Im Folgenden: Engberg I) 216 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Lyne Rahbek, spricht sich zunächst ungewöhnlich scharf dagegen aus, „ Philister, welchen die einfache menschliche Bildung fehlt “ 25 am Kongens Nytorv zu beschäftigen, revidiert diese Aussage aber kurz darauf. Denn Knudsen überzeugt und wird schon in den ersten Rezensionen als talentierter Darsteller gefeiert, der es versteht, die komischen Elemente der Rolle zu bedienen, ohne „ mit Hilfe von Karikaturen einige dumme Zuschauer zum Lachen zu bringen. “ 26 Auch seine zweite große Rolle als Henrik in Holbergs Henrik og Pernille (Henrik und Pernille) findet laut Rahbek Anklang 27 und bestärkt den Kritiker in der Hoffnung, dass Knudsen „ zweifelsfrei der Mann werden kann, der es versteht, Holberg in dessen Geist zu spielen / . . . / und nach Beifall zu streben, der ihm zu Ehre gereicht. “ 28 Deutlich wird hier, dass Werktreue als wichtiges Kriterien hinsichtlich einer gelungenen Rollenverkörperung für den Kritiker und späteren Theaterdirektor Rahbek besonderes Gewicht besitzt - dies gilt vor allem für die Holberg-Aufführungen. Rahbek ist aufgewachsen mit dem berühmten Darsteller Gert Londemann, 29 der seit der Wiedereröffnung des Theaters am Kongens Nytorv die großen komischen Partien spielt und - Holberg erlebt die Neueröffnung und schreibt für dieses Theater weitere Stücke - vom Meister persönlich in die Deutung und Auslegung der Rollen eingewiesen wird. Daher gelten seine Verkörperungen als Originale und Vorbilder, denen nachfolgende Generationen möglichst zu entsprechen haben. Londemann wird von Adam Gottlob Gjelstrup 30 beerbt, dieser 25 Overskou III, S. 353 26 Minerva, December 1786 27 Minerva, Januari 1787 28 Minerva, December 1786 29 Londemann ist seit der Wiedereröffnung des Theaters 1747 Mitglied des Ensembles, er wird von Holberg und dem Bühnenchef Pilloy nach einem Vorsprechen sofort eingestellt. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 1ste del. Kjøbenhavn 1889, S. 182. Im Folgenden: Hansen I) Londemann besticht schon früh durch sein komisches Talent, das sich vor allem in seinen Henrik-Darstellungen manifestiert. Darüber hinaus ist er bekannt für seine harlekinesquen Improvisationen und Lazzi. 30 Gjelstrup gibt 1777 sein zunächst wenig geglücktes Debüt, übernimmt bald jedoch wichtige Partien im Holberg-Repertoire. Er glänzt als Jeppe ebenso wie als Arv und besticht vor allem als „ Dialektschauspieler “ (Hansen I, S. 407) mit seinen vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten. Mit zunehmendem Alter kommt es vermehrt zu Konflikten mit jüngeren Ensemblemitglieder sowie der Theaterleitung. 1803 nimmt er seinen Abschied. Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 217 wiederum von Ferdinand Lindgreen, 31 der seinerseits Ludvig Phister ausbildet. Die Aufnahme in diese Traditionslinie zeichnet dabei eine besonders gelungene und originalgetreue Darstellung der Figuren aus. Rahbeks Rezension macht zudem schon sehr früh eine Skepsis der Kritik gegenüber dem Publikum und dessen Reaktionen deutlich. Lacher und Applaus der Zuschauer sind kein Wert an sich, nur wenn sie auf geschmackvolle und der Figurentradition entsprechende Weise zustande kommen. Die Warnungen vor karikierenden oder lächerlichen Darstellungen gerade der jüdischen Figuren ziehen sich, wie ich im Folgenden noch genauer zeigen werde, durch zahlreiche Beschreibungen und Kritiken. Beide Punkte - das Bestehen auf Werktreue und die Mahnung zu geschmackvollem Spiel - sind erkennbare Konstanten in Rahbeks Theaterschriften. Die Hoffnungen, die Rahbek in Knudsens Debüt setzt, enttäuscht dieser nicht. In kürzester Zeit avanciert er zum großen Star des Theaters - ein begnadeter Komiker, der über die Grenzen der Hauptstadt hinaus Bewunderung genießt. Neben seinen enorm prägenden Henrik- und Oldfux- Darstellungen gibt er vorwiegend „ derbe Seemänner, Spitzbürger, ganz normale Menschen, die von verschiedenen Stadien des Betrunkenseins beherrscht sind - jedoch keine Personen aus vornehmen Stand. “ 32 Zu Abb. 6: Hans Christian Knudsen, hier dekoriert mit der Ehrennadel des Dannebrog-Ordens. Knudsen ist der erste Schauspieler, dem diese Ehre zuteil wird. 31 Lindgreen debütiert 1788, zwei Jahre später feiert er seinen ersten großen Erfolg als Holberg ’ scher Bauernjunge in Den pansatte Bondedreng (Der verpfändete Bauernjunge). Nach Gjelstrups Abschied übernimmt er viele Partien von ihm, als stilprägend erweisen sich dabei seine Henrik-Figuren und vor allem die Verkörperung des Jeppe. 32 Neiiendam 1925, S. 7 218 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten seinen großen Triumphen am Königlichen Theater zählen aber vor allem seine Judendarstellungen: I / . . . / Syngestykke Chinafarerne skabte Knudsen en meget tiltalende Skikkelse af den stilfærdige, retskafne Jøde Moses, som hans Kunst overhovedet havde et helt Galleri af træffende karakteriserede Jødefiguren at opvise, først og fremmest det gribende Karakterbillede af Hovedpersonen Scheva i Cumberlands navnkundige Skuespil Jøden, den snurrige Baruch i Ifflands Embedsiver, 33 Pinkus i Stephanie den Yngres Komedie De aftakkede Officerer, 34 Salomon Joseph i Indtoget og, fra en noget senere Tid, den ædle Jøde i Kotzebues Reisen til Ostindien, 35 foruden en Del lavkomiske Jødecharger i forskjellige, ogsaa holbergske, Stykker. Den fine Opfattelse og den taktfulde Gjengivelse, som de noble Figurer i dette Galleri fordre for at forene det dybere Karakterindhold med den letkomiske Overflade, stiller store Krav til en Skuespillers Intelligens og Følelse, og det er et ubedrageligt Tegn paa Ægtheden af Knudsens Kunst, at hans Samtid just nævner disse Roller blandt hans bedste. 36 Im / . . . / Singspiel Chinafarerne (Die Chinafahrer) schuf Knudsen eine sehr ansprechende Figur des ruhigen, rechtschaffenden Juden Moses, wie seine Kunst überhaupt eine ganze Galerie von treffend charakterisierten Judenfiguren aufwies, vor allem das ergreifende Charakterbild der Hauptperson Schewa in Cumberlands berühmten Schauspiel Der Jude, den drolligen Baruch in Ifflands Dienstpflicht, Pinkus in Gottlieb Stephanies Komödie Die abgedankten Offiziere, Salomon Joseph in Indtoget (Der Einzug) und, aus etwas späterer Zeit, den edlen Juden in Kotzebues Reise nach Ostindien, darüber hinaus eine Menge derb-komischer Judenchargen in verschiedenen auch Holberg ’ schen Stücken. Die feine Auffassung und die taktvolle Wiedergabe, welche die noblen Figuren in dieser Galerie fordern, um den tieferen Charakterinhalt mit der leicht komischen Oberfläche zu vereinen, stellen große Herausforderungen an die Intelligenz und das Einfühlungsvermögen eines Schauspielers, und es ist ein untrügliches Zeichen der Echtheit Knudsen ’ scher Kunst, dass seine Zeitgenossen gerade diese Rollen zu seinen besten zählen. 33 Dienstpflicht, Komödie in fünf Akten von Iffland, übersetzt von Th. Thaarup. 34 Die abgedankten Offiziere, Komödie in fünf Akten von Gottlieb Stephanie, übersetzt von P. D. Bast. 35 Reise nach Ostindien, Schauspiel in drei Akten von Kotzebue, übersetzt von N. T. Bruun. 36 Hansen I, S. 440 Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 219 Die vielfältigen Hinweise auf die Wichtigkeit der Judenrollen für Knudsens schauspielerisches Œ uvre - neben Hansen äußern sich auch Rahbek 37 sowie Otto Zinck in diesem Sinn 38 - und deren Erfolg sind augenfällig. Natürlich gibt es bereits in der Zeit vor ihm erfolgreich dargestellte jüdische Charaktere auf der Bühne. Knudsen lässt jedoch als erster diese Figuren zu einer Art Markenzeichen werden und begründet auf diese Weise eine Traditionslinie, die in Analogie zu den Holberg-Darstellern bald zu einer festen Größe und einem wichtigen Referenzpunkt wird. Auf welche Weise Knudsen die einzelnen jüdischen Charaktere ausformt, lässt sich auf Grund der noch in den Anfängen steckenden Theaterkritik nur in groben Linien nachzeichnen. 39 Knudsen, als groß und gutaussehend beschrieben, 40 ist vor allem ein begnadeter Komiker. Berühmt und beliebt ist er beispielsweise dafür, wie er sich in verschiedenen Rollen auf der Bühne immer wieder auf seinen ausgestopften Bauch fallen lässt und auf diesem hin- und herschaukelt. 41 Dass er sein komisches Talent und Improvisationsvermögen auch für das jüdische Rollenfach fruchtbar macht, darf angenommen werden. So berichten Zuschauer von Knudsens „ selbst erfundenem Judentanz “ 42 als Salomon Joseph in P. A. Heibergs 37 Rahbek, Knud Lyne: Om Ludvig Holberg som Lystspildigter og om hans Lystspil. Anden Deel. Kjøbenhavn 1816, S. 84 f 38 „ I Syngestykket Kinafarerne skabte han / . . . / en / . . . / mesterlig Figur, den stille og retskafne Jøde Moses og gjorde ved sit karakteristiske og dramatiske Sangforedrag stor Virkning. Han skabte i Aarens Løb et helt lille Galleri af forskellige karakteristiske Jødefigurer, nogle komiske som i Holbergs Lystspil, andre sympatetiske som Schewa i Jøden. “ (Zinck 1896, S. 44) / / „ Im Singspiel Die Chinafahrer schuf er / . . . / eine / . . . / meisterliche Figur, den stillen und rechtschaffenen Juden Moses und erzielte mit seinem charakteristischen und dramatischen Gesang große Wirkung. Im Laufe der Jahre schuf er eine ganze Galerie verschiedener charakteristischer Judenfiguren, einige komisch wie in Holbergs Lustspielen, andere sympathisch wie Schewa in Der Jude. “ 39 Zur Entstehung und Geschichte der dänischen Theaterkritik sowie deren Hauptakteuren: Schyberg, Frederik: Dansk Teaterkritik. København 1937; Jørgensen, Johan Chr.: Det danske anmelderis historie. Den litterære anmeldelsens opståen og udvikling 1720 - 1906. Frederiksberg 1994 40 Zinck beschreibt Knudsen als „ mittelgroß, gut gebaut mit einem jovialen, beweglichen Gesicht, aus dem ein Paar lebhafte Augen strahlten. ( „ / . . . / af Middelhøjde, velvoksen med et jovialt, bevægligt Ansigt, hvorfra et Par livlige spillende Øjne lyste “ Zinck 1896, S. 44) Rahbek bescheinigt ihm, dass die „ Natur es / . . . / sehr gut mit ihm gemeint hat “ . ( „ Naturen har / . . . / været ham meget gunstig. “ Minerva, December 1786) Overskou schildert ihn als „ kräftig und schön gebaut “ . ( „ kraftigt og smukt bygget “ Overskou III, S. 354) 41 Collin, Edgar: „ Holbergske Skuespiller. “ In: Liebenberg, F. L. [Hrsg.]: Jubeludgave af Ludvig Holbergs samtlige Com œ dier. Tomus III. København 1883 - 1888, S. 77 42 Collin 1883 - 1888, S. 77 220 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Indtoget, wo er unter dem stürmischen Gelächter des Publikums „ die verrücktesten Sprünge ausführte und Pirouetten auf den Fersen drehte. “ 43 Dass er für seine jüdischen Figuren die markante Sondersprache verwendet, ist Teil der Rollenfachtradition. Dass Knudsen seine Juden dabei keineswegs nur als lächerliche Karikaturen auslegt, geht aus den oben zitierten Beschreibungen hervor. Dabei spielt sicher auch seine hervorragende Gesangsstimme eine wichtige Rolle. Nicht nur in den damals populär werdenden Singspielen ist diese von Bedeutung, musikalische Nummern finden sich in nahezu allen Aufführungen. Ganze Liederabende bestreitet Knudsen und wird damit weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus berühmt. Als prägend erweisen sich seine Programme im März 1801, als er im Angesicht der herannahenden englischen Flotte an drei aufeinander folgenden Abenden als Matrose gekleidet im Königlichen Theater auftritt und nationales Liedgut zu Gehör bringt. Die Zuschauer stimmen immer wieder in die Gesänge ein und ziehen nach Vorstellungsende singend und in „ patriotischer Ekstase “ 44 durch die Straßen der Hauptstadt. Thomas Overskou beschreibt dies wie folgt: Knudsen sang med den ham egne Inderlighed, simple Høihed og henrivende Ild flere for Øieblikket passende Sange, som Kong Christian stod ved høien Mast, Abrahamsons Vi Alle Dig elske, livsalige Fred og især Falsens: Til Vaaben! see, Fjenderne komme! , hvori han lagde en saadan Varme og Vælde, at, som Foersom udtryckte sig, „ han gjennemrystede og gjennemrislede Folk, saa at Begeistring for Fædrelandet sprang dem ud af alle Porer. “ Det var som om han ved sine Sange havde løst Folketanken til fri og kraftig Yttring: Publikum faldt ind med Chor, forlangte dem gjentagne, jublede efter hver Strofe og udbrød i „ Leve! “ paa „ Leve! “ for Fædrelandet, Kongen, Kronprindsen, Danmarks Krigere og Sømagt. 45 Knudsen sang mit der ihm eigenen Innerlichkeit, einfachen Hoheit und hinreißendem Feuer mehrere zur aktuellen Lage passende Lieder, wie Kong Christian stod ved høien Mast 46 (König Christian stand am hohen Mast), Abrahamsons 43 Neiiendam 1925, S. 7 44 Hansen I, S. 442 45 Overskou III, S. 763 46 Der Liedtext stammt von Johannes Ewald (1788) und behandelt die Seeschlacht auf der Kolberger Heide im Jahr 1644 zwischen Schweden und Dänemark. Die Musik dazu stammt von Johann Hartmann. Für das Singspiel Elverhøj komponiert Friedrich Kuhlau Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 221 Vi Alle Dig elske, livsalige Fred (Wir alle lieben dich, seeliger Frieden) und besonders Falsens: Til Vaaben! see, Fjenderne komme! (Zu den Waffen! Seht, die Feinde nahen! ), in welches er eine solche Wärme und Gewalt legte, dass, wie Foersom sich ausdrückte, „ er die Menschen durchschüttelte und durchdrang, so dass die Begeisterung für das Vaterland ihnen aus allen Poren sprang. “ Es war, als hätte er durch seine Lieder dem Volksgedanken zu freier und kräftiger Äußerung verholfen: Das Publikum sang mit, verlangte Wiederholungen und brach nach jeder Strophe in „ Hoch! “ -Rufe auf das Vaterland, den König, den Kronprinzen, Dänemarks Krieger und Seestreitkräfte aus. Die besondere Güte des Knudsen ’ schen Gesangs lässt sich vielleicht am besten mit dem beschreiben, was Roland Barthes die „ Rauheit der Stimme “ nennt. 47 Barthes macht in seinen Ausführungen deutlich, dass es Stimmen von besonderer Qualität gibt, deren Vortrag „ nicht die Seele [im Verständnis einer besonders ausgefeilten Technik], sondern die Wollust hervortreten “ 48 lässt. Daher fungieren diese Stimmen als Objekte des Begehrens und machen das Zuhören zu einem aktiven Vorgang, der auf genau diese Sinnlichkeit reagiert. Dies impliziert, dass sich in Knudsens Fall die Zuschauer nicht nur zum Gesagten, also zur rein textliche Bedeutung der patriotischen Lieder verhalten, sondern gleichzeitig auch zu den vielfältigen Spuren des singenden, begehrenswerten Körpers. Glaubt man Overskous Bericht, materialisiert sich in seinen Beschreibungen genau diese spezifische Qualität der Knudsen ’ schen Stimme. Diese „ Rauheit “ überträgt sich, wie ich meine, auf Knudsens übrige Rollen; eine Stimme, die bei den Zuschauern an etwas rührt, lässt auch die jüdischen Figuren nicht unbeeinflusst und verändert deren Wahrnehmung. Hier treffen körperliche Einschreibungen der schwächlichen Bühnenjuden auf eine „ kräftige und wohlklingende “ 49 Stimme des Schauspielers. Meine These ist, dass sich die dramatischen Charaktere durch den Körper des Akteurs wandeln. Darstellung und Existenz, Repräsentation 1828 eine neue Melodie. In dieser Fassung fungiert Kong Christian stod ved høien Mast bis heute als eine der beiden dänischen Nationalhymnen. 47 Barthes, Roland: „ Die Rauheit der Stimme. “ In: Barthes, Roland: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Kritische Essays III. Frankfurt am Main 1990, S. 269 - 278. Doris Kolesch hat in ihrer Einführung zu Barthes auf die Schwierigkeiten dieser Begrifflichkeit hingewiesen und schlägt stattdessen „ Das Korn der Stimme “ als treffendere Übersetzung vor. (Kolesch, Doris: Roland Barthes. Frankfurt am Main 1997, S. 124.) Ich verwende die etablierte Übersetzung, um eine bessere Verständlichkeit zu gewährleisten. 48 Barthes 1990, S. 273 49 Overskou III, S. 354 222 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten und Präsentation lassen sich in dieser Lesart nicht voneinander trennen. Dieser Befund hebt die zentrale Stellung des einzelnen Schauspielers im Prozess der (Be-)Deutungsproduktion jüdischer Figuren hervor, denn er fungiert auf diese Weise nicht nur als Textproduzent, vielmehr fließt in die Betrachtung mit ein, dass der Darsteller immer auch er selbst bleibt, „ eine vitale und energische Größe, die sich zeigt und erfahren wird. “ 50 Dieser Doppelcharakter des Schauspielers, zum einen als semiotischer als auch als phänomenaler Körper, 51 unterstreicht zudem, dass beide Seiten - also Text und Körper - im Prozess des Darstellens involviert sind. 52 Zu diesen körperlichen Einschreibungen und Verortungen tritt bei Knudsen ein politisches Element, das die Rezeption und Entwicklung jüdischer Charaktere zusätzlich beeinflusst. Neben seiner zweifelsfrei erfolgreichen Schauspielerkarriere zeichnet sich Knudsen vor allem als patriotisch gesinnter Wohltäter und national verankerter Künstler aus. Diese Entwicklung erfolgt maßgeblich im turbulenten ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, das Dänemark politisch und ökonomisch zutiefst verunsichert. Im Frühjahr 1801 kommt es nach mehrjährigen Auseinandersetzungen zum ersten bewaffneten Konflikt mit den Briten, der in der Niederlage der Dänen in der Seeschlacht von Kopenhagen mündet. 53 Knudsen besucht in dieser Zeit immer wieder die Soldaten und Matrosen, um ihnen Mut 50 Fischer-Lichte, Erika: „ Einleitung. Diskurse des Theatralen. “ In: Fischer-Lichte et al. [Hrsg.]: Diskurse des Theatralen. Tübingen und Basel 2005, S. 11 - 34, hier: S. 12 51 Christel Weiler hat darauf hingewiesen, dass Verkörperungsdiskurse häufig davon ausgehen, dass der Körper des Schauspielers „ einfach da wäre. “ Sie betont jedoch, dass es sich im Hinblick auf das Theater immer um Körper handelt, die bestimmten, die Bühne betreffenden Regeln folgen und auf spezifische Weise ausgebildet sind. (Weiler, Christel: „ Haschen nach dem Vogelschwanz. Überlegungen zu den Grundlagen schauspielerischer Praxis. “ In: Weiler, Christel; Lehmann, Hans-Thies [Hrsg.]: Szenarien von Theater und Wissenschaft. Berlin 2003, S. 204 - 214, hier: S. 204) 52 Klein, Gabriele: „ Körper und Theatralität. “ In: Fischer-Lichte et al. [Hrsg.]: Diskurse des Theatralen. Tübingen und Basel 2005, S. 35 - 47, hier: S. 41 53 Der Konflikt zwischen England und Frankreich führt dazu, dass die englische Flotte zunächst die holländischen Häfen blockiert. Kopenhagens begüterte Kaufleute erwerben die überseeischen Warenlager der niederländischen Handelsgesellschaften und verzeichnen entsprechende Gewinne. Dies wird von den Engländern als Umgehung der Blockade gewertet, in Folge dessen bringen sie zahlreiche Schiffe auf und konfiszieren deren Ladungen. Der Konflikt eskaliert, als Anfang 1800 die Engländer innerhalb eines Monats 149 Schiffe beschlagnehmen. Dänemark bemüht sich andererseits um Bündnispartner und schließt ein bewaffnetes Neutralitätsabkommen mit Russland. Am 1. April greift die britische Flotte unter Lord Nelson Kopenhagen zu See an, nach harten Kämpfen gibt sich Dänemark schließlich geschlagen. (Findeisen, Jörg-Peter; Husum, Poul: Kleine Geschichte Kopenhagens. Regensburg 2008, S. 91 f ) Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 223 zuzusprechen und beginnt sofort nach der militärischen Niederlage, Geld für die Kriegswitwen und -waisen zu sammeln. Dafür reist er durch Dänemark, tritt mit seinem Gesangsprogramm in Rathäusern und Kirchen auf und bringt auf diese Weise beachtliche Summen zusammen. Das alles erweist sich jedoch nur als Vorspiel im eskalierenden Konflikt mit den Engländern. Im September 1807 wird Kopenhagen erneut angegriffen und tagelang heftig bombardiert. Schließlich muss die Stadt kapitulieren, verliert einen großen Teil der Flotte und sieht sich Verlusten unbekannten Ausmaßes gegenüber. 54 Knudsen engagiert sich in Folge dessen verstärkt für den Neuaufbau der dänischen Seestreitkräfte, nimmt an allen Schiffstaufen teil und setzt darüber hinaus seine Wohltätigkeitsveranstaltungen im ganzen Land fort - diesmal mit dem Ziel, die Kriegsgefangenen in England finanziell zu unterstützen. Er avanciert auf diese Weise zum „ populärsten Schauspieler “ 55 seiner Zeit, der landesweite Bekanntheit genießt 56 und gesellschaftliche Anerkennung erfährt. 57 Als er - wohl auch als Folge seiner regen und anstrengenden Reisetätigkeit - 1816 im Alter von nur 53 Jahren stirbt, löst dies eine (gefühlte) Landestrauer aus, wahre Menschenmassen folgen seinem Sarg. In den Nachrufen wird neben seinem Dienst am Vaterland vor allem die Darstellung des Juden Schewa als Höhepunkt seiner Schauspielerkarriere dargestellt. Rahbek bezeichnet sie als eines der „ vollendetsten Kunstwerke auf unserer Bühne “ 58 und „ Triumph “ 59 , Malte Conrad Bruun schreibt noch zu Knudsens Lebzeiten in seinem Theaterblatt Svada, dass er sich nichts „ perfekteres als Herr Knudsens Spiel in dieser Rolle “ vorstellen könne, 60 Hansen sieht „ die ergreifende Charakterdarstellung der Hauptperson Schewa in Cumberlands bekanntem Schauspiel Jøden “ als Höhepunkt 54 300 Häuser sind komplett zerstört und über 1.000 beschädigt. (Findeisen; Husum 2008, S. 94 f) 55 Zinck 1896, S. 45 56 Neiiendam 1925, S. 16 57 Der König verleiht ihm in Anerkennung seiner Verdienste als erstem Schauspieler 1809 die Ehrennadel des Dannebrog-Ordens (Dannebrogs Hædertegn). Diese auch Silberkreuz genannte Auszeichnung wird seit 1808 für besondere Verdienste um das Vaterland vergeben und rangiert unter dem Ritterkreuz. Das Ritterkreuz des Ordens kann Knudsen nicht verliehen werden, da ihm als Schauspieler jegliche Ehrentitel versagt sind. 58 „ Schewa / . . . / regnes blandt vor Skuepladses allermest fuldtendte Kunstværker. “ (Rahbek 1816, S. 85) 59 Rahbek, Knud Lyne: „ Fortale. “ In: Beeken, L. [Hrsg.]: Kongelig Skuespiller og Dannebrogsmand Hans Christian Knudsens Minde. Kjøbenhavn 1816, S. 1 - 32, hier: S. 25 60 Svada. Et Magasin for Theatrets Philosophie, Litteratur og Historie Nr. 22, 1796 224 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Knudsen ’ scher Schauspielkunst 61 und auch Overskou zählt diese Rolle zu „ einem der größten Meisterwerke des genialen Knudsen. “ 62 Es sind somit vor allem drei Aspekte, deren Zusammenspiel die Knudsen ‘ schen Judenfiguren prägen und deren Rezeption maßgeblich beeinflussen. Erstens fällt Knudsens körperliche Konstitution ins Gewicht. Ein großer und nach damaliger Auffassung gutaussehender Mann, der mit einer besonderen stimmlichen Begabung, seiner Musikalität und seinem „ glänzenden komischen Talent “ 63 zum Publikumsliebling avanciert. Diese körperlichen Einschreibungen stehen den textlichen Verortungen jüdischer Figuren entgegen, die gerade bei Holberg als schwächlich und jammernd, teilweise bösartig Agierende häufig schimpfend von der Szene gejagt werden. 64 Zweitens hat Knudsens Popularität und sein nationales Œ uvre Einfluss auf die Verortung seiner jüdischen Figuren im theatralischen Gefüge. Das heißt keineswegs, dass seit Knudsens Schewa nur noch edle Juden auf der Bühne stehen und lächerliche und karikierende Zeichnungen ausbleiben. Gerade ein Blick auf die Beschreibungen der „ Galerien “ unterschiedlichster Bühnenjuden in Knudsens Repertoire zeigt das Gegenteil. Aber die Verkörperung durch den beliebten Schauspieler, in dessen Person sich die Bedeutung des Theaters als nationale Institution gerade in Zeiten der Krise manifestiert, beeinflusst die Wahrnehmung der dargestellten Charaktere. Denn das Publikum, so meine These, begegnet im Theater des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts zuerst dem Schauspieler und dann der Rolle, d. h. die Wahrnehmung des beliebten Schauspielers - häufig genug der wichtigere Grund eine Vorstellung zu besuchen als die aufgeführten Stücke - geht in bedeutender Weise in die Rezeption des dramatischen Charakters mit ein. Drittens fällt auf, dass Knudsen nahezu alle jüdischen Rollen spielt, die am Kongens Nytorv gegeben werden. Indem er die Darstellung jüdischer Figuren zu seinem persönlichen Markenzeichen entwickelt, begründet er eine Traditionslinie, die zu einer Personalisierung und damit Verstärkung des Rollenfachs führt. Diese drei Elemente überlagern einander, interagieren und bedingen sich teilweise. Deutlich wird, dass im Zusammenspiel zwischen Dramentext, Schauspielerkörper, zeitgenössischer Ästhetik und gesellschaftlicher Verortung der Bühne die jüdischen Figuren am Königlichen Theater eine 61 Hansen I, S. 440 62 Overskou III, S. 660 63 Overskou III, S. 352 64 Vgl. Kap. 2.3 Hans Christian Knudsen - „ Der Harlekin des Kriegsgottes “ 225 spezifische Ausformung erfahren. Die damit einhergehende Prominenz und der Erfolg des Rollenfachs tragen wesentlich dazu bei, sowohl Autoren als auch die Theaterleitung zu ermutigen, auf vielfältiger gestaltete jüdische Charaktere zu setzen und deren Bedeutung innerhalb der Dramen und für die Bühne neu zu bewerten. Auf diese Weise wird am Kongens Nytorv ein recht einmaliger Zustand etabliert: Jüdischen Rollen, egal ob groß oder klein, edel oder grotesk werden zu nachgefragten Partien, die den führenden Schauspielern ihrer Zeit vorbehalten bleiben. 5.3 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ Knudsens wohltätiges Engagement und sein daraus resultierender Ruhm färben auf das Theater positiv ab, es fungiert in den unruhigen Jahren zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkt als nationaler Bezugspunkt und politisches Instrument in Zeiten der Krisen und Kriege. 65 Knudsens häufige Abwesenheiten stellen das Theater jedoch im Hinblick auf die Spielplangestaltung vor personelle Probleme. Hinzu kommt, dass die Bühne im Jahr 1810 einige bedeutende Abgänge in den männlichen Rollenfächern zu verzeichnen hat: Peter Saabye 66 stirbt, Frederik Schwarz verabschiedet sich in den Ruhestand, 67 Michael Rosing 68 ist durch eine schwere Krankheit 65 Vgl. Kap. 4.2 66 Peter Rasmus Saabye debütiert 1781 und bespielt erfolgreich das Fach des Ersten Liebhabers sowie Helden und avanciert auf diese Weise zum Publikumsliebling und Favoriten der Gesellschaft (Hansen I, S. 429 f). Als einer der wenigen Schauspieler seiner Zeit ist er gern gesehener Gast in bürgerlichen Vereinen und Clubs. 1810 stirbt er unerwartet. 67 Frederik Schwarz, aufgrund seines breitgefächerten Repertoires eine der zentralen Figuren der Bühne am Kongens Nytorv, begründet seinen frühen Abgang mit nur 57 Jahren (1810), indem er darauf hinweist, dass er eine Kunst ausübe, „ die ihre Jünger stetig in solche Affekte bringt, dass sie, mehr als ein Mensch in anderer Stellung, nach Frieden und Sinnesruh suchen müssen “ ( „ ikke mere at kunne drive en Kunst, som stadigt bringer sine Dyrkere saaledes i Affekt, at de, mere end et Menneske i nogen anden Stilling, maa søge Fred og Sindsro “ ) und er sich daher endlich sich selbst und seiner Familien widmen möchte. (Agerholm, Edvard: Dr. Ryge. Et Bidrag til Belysningen af Det Kgl. Teaters indre Historie i den første Halvdel af det forrige Aarhundrede. København 1913, S. 24) 68 Rosing feiert sein Debüt 1777, avanciert zu einem der wichtigen Akteure im tragischen Fach und arbeitet außerdem als Instrukteur. Sein Gesundheitszustand lässt ab 1804 nur noch ein eingeschränktes Mitwirken auf der Bühne zu, schließlich muss er gänzlich auf seine Auftritte am Theater verzichten. 226 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten arbeitsunfähig und anders als erwartet, bringt auch die 1805 gegründete Schauspielschule in diesen Fächern keinen Nachwuchs hervor. Die Theaterleitung befürchtet, unter diesen Umständen den normalen Spielbetrieb nicht mehr aufrecht erhalten zu können, da die wenigen verbliebenen Kräfte schlichtweg überfordert sind. So bittet die Direktion beim König um Erlaubnis, sich nach „ dem einen oder anderen talentierten Subjekt “ 69 umschauen zu dürfen. Nachdem der König sein Einverständnis gegeben hat, sucht das Theater per Zeitungsannonce in Adresseavisen im Juli 1811 nach Schauspielern und Sängern in gleich drei Fächern: Väter, Helden beziehungsweise Erste Liebhaber sowie nach einem Tenor. Erfolgreichen Anwärtern wir eine Belohnung in Höhe von 1.000 Rdl. in Aussicht gestellt. Diese Ausgabe der Zeitung fällt durch einen Zufall Johan Christian Ryge in die Hände, dem später so gefeierten Schauspieler. 5.3.1 (Um-)Wege - Von Flensburg nach Kopenhagen. Geboren 1780 praktiziert Ryge nach seinem abgeschlossenen Militärdienst und erfolgreichem Studium seit 1807 als Arzt in Flensburg, wo er sich eine bürgerliche Existenz aufbaut. Er ist verheiratet und hat Kinder, seine Praxis läuft gewinnbringend und er ist ökonomisch gut versorgt. Schon seit jungen Jahren ist er auch in einer dramatischen Gesellschaft aktiv und sammelt so erste schauspielerische Erfahrungen. Schließlich lässt ihm - wie er im September 1812 an die Theaterdirektion schreibt - der „ Hang zu dieser Kunst keine Ruhe und hindert mich, mit dem gebotenen Eifer die wichtigen Pflichten meines jetzigen Amtes zu erfüllen. “ 70 Und so bewirbt sich der Flensburger Arzt am Königlichen Theater in Kopenhagen. Bereits in seinem Bewerbungsschreiben klingen die kräftige körperliche und stimmliche Konstitution sowie die (gewünschte) Verortung im Heldenfach an, die Ryges Spiel später auszeichnen und gerade hinsichtlich der Gestaltung der jüdischen Charaktere von besonderer Wichtigkeit sind: Hvad min person angaaer da er jeg nu 32 Aar, af Størrelse er jeg høj og temmelig stærk, dog proportioneret af Lemmer, jeg har et sundt Udseende og en god Teaterfigur. Jeg har en stærk, sonor og temmelig dyb Stemme, og da jeg er 69 Agerholm 1913, S. 24 70 „- min Tilbøjelighed til denne Kunst lader mig ingen Ro, og hindrer mig i, med den tilbørlige Iver at opfylde mit nærværende Embeds vigtige Plikter. “ (Brief von Ryge an die Theaterdirektion, September 1812. Neiiendam 1912, S. 116 f) Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 227 musikalsk og har lært at synge efter Regler, saa er jeg ikke ubrugelig som Bassist. / . . . / Jeg tør paatage mig enhver Rolle, / . . . / dog er den kraftfulde Mand og den mandige Helt med Mod og Ild i Brystet de Roller, jeg helst spiller. 71 Was meine Person angeht, bin ich nun 32 Jahre, groß und ziemlich kräftig, jedoch mit proportionierten Gliedmaßen, ich habe ein gesundes Aussehen und eine gute Theaterfigur. Ich habe eine kräftige, sonore und ziemlich tiefe Stimme, und da ich musikalisch bin und gelernt habe nach Noten zu singen, bin ich nicht untauglich als Bassist. / . . . / Ich könnte jede Rolle übernehmen, / . . . / doch sind der kraftvolle Mann und der männliche Held mit Mut und Feuer in der Brust die Rollen, die ich am liebsten spiele. Im Anschluss daran beginnt ein reger Briefwechsel zwischen dem Theater und Ryge. Die Direktion will ihn zunächst davon abbringen, seine gesicherte und gut dotierte Stellung als Arzt für den schlecht bezahlten und unsicheren Schauspielerberuf aufzugeben - ein deutlicher Hinweis auf die immer noch recht prekäre soziale Stellung der Akteure des Königlichen Theaters. Ryge lässt sich davon nicht abhalten, er will „ der Kunst dienen, die nach meinem Dafürhalten mich einzig und allein glücklich machen kann. “ 72 Es ist ihm so ernst, dass er - noch bevor er sich im Herbst 1812 auf den Weg nach Kopenhagen macht, um dort eine nichtöffentliche Probe abzulegen - sein Arztbesteck versteigert. 73 Eine Rückkehr scheint für ihn ausgeschlossen. Am 22. April 1813 folgt sein öffentliches Debüt am Abb. 7: Johan Christian Ryge in jüngeren Jahren. 71 Brief von Ryge an die Theaterdirektion, September 1812. (Neiiendam 1912, S. 118) 72 „ dyrke den Kunst, der efter min fuldkomneste Overbevisning ene og alene kan gøre mig lykkelig. “ (Agerholm 1913, S. 29) 73 Agerholm 1913, S. 32 228 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Kongens Nytorv in der Titelrolle des Oehlenschläger Dramas Palnatoke. Seine zweite große Rolle gibt er kurze Zeit später als Hakon Jarl in Oehlenschlägers gleichnamigem historischem Schauspiel. Publikum und Kritiker sind hingerissen und Thomas Overskou, der kurz nach Ryge ans Theater engagiert wird, beschreibt die Wirkung des neuen Stars wie folgt: „ Johan Christian Ryge hatte die Bühne betreten und als Heldengestalt mit Stimmkraft, tragischem Ton und Pathos imponiert, sein Auftreten stellte etwas ganz Neues und eigentümlich Großartiges auf der dänischen Bühne dar. “ 74 So ist es keine Überraschung, dass Ryge wenig später seine Festanstellung als Schauspieler erhält. Einziger Streitpunkt ist zunächst sein Titel, denn es ist gängige Praxis, dass Darsteller diese ablegen, so lange sie am Theater angestellt sind. Ist auch die königliche Bühne längst fester Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft, gilt dies für die dort Angestellten keineswegs. Ryge setzt jedoch durch, dass er seinen Doktortitel behalten darf, da dieser nicht vom Monarchen verliehen sondern selbst erarbeitet ist. Dies hat zur Folge, dass in allen Drucksachen des Theaters das neue Ensemblemitglied immer als „ Dr. Ryge “ bezeichnet wird, ein Beispiel, dem der ehemalige Arzt im Übrigen selbst in seinen zahlreichen Briefen und Eingaben folgt - sämtliche unterschrieben mit „ Ryge, Dr. “ Das mag zunächst ungewöhnlich wirken, bedeutet aber, dass Ryges sozialer Status nach seinem Berufswechsel deutlich über dem seiner Kollegen angesiedelt ist und wirkt - so meine These - auf die Wahrnehmung des Schauspielers in seinen Rollen auf der Bühne zurück. „ Herr Doktor “ spielt sowohl die Helden als auch die Väter 75 und verkörpert in den 29 Jahren, die er am Theater engagiert ist, an die 400 Charaktere. 76 Zwar gibt sich Ryge zunächst überzeugt, dass „ vor allem Helden und Tyrannen zu meinem feurigen Talent passen “ 77 - im 74 „ Johan Christian Ryge [havde] betraadt Scenen og imponeret ved en saadan Helteskikkelse, Stemmekraft, tragisk Tone og Pathos, at hans Fremtræden var noget aldeles nyt og eiendommeligt Stort paa den danske Skueplads. “ (Overskou, Thomas: Den danske Skueplads i dens Historie fra de første Spor af dansk Skuespil indtil vor Tid. Fjerde Deel. Kjøbenhavn 1862, S. 280. Im Folgenden: Overskou IV) 75 Da er in beiden Fächern engagiert wird, drängt Ryge darauf, die ausgelobten 1.000 Rdl. zweimal zu erhalten Diesem Anliegen wird schließlich durch König Frederik VI. stattgegeben, der am 6. Dezember 1817 verfügt, die sechs Jahre zuvor ausgelobte Belohnungen an Ryge auszubezahlen. 76 Agerholm, S. 56. Zudem fungiert Ryge am Kongens Nytorv als Verantwortlicher für die Finanzen (Økonomus), Regisseur (Instruktør) und zeichnet für die Auswahl und Neuanschaffung von Kostümen verantwortlich. 77 Neiiendam 1979, S. 14 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 229 Laufe der Jahre zeigt sich jedoch, dass er auch als Komiker reüssiert. So spielt er nicht weniger als 30 Holberg-Partien und wirkt dabei prägend auf die Verkörperungstradition auch der komischen Charaktere. 78 Kurze Zeit steht er noch zusammen mit Knudsen auf der Bühne, aber schon kurz nach dessen Tod erbt Ryge die Judenrollen des beliebten Darstellers und erweitert in den folgenden Jahren das Repertoire in diesem Fach. Er übernimmt nicht nur Deutungen wie damals üblich von seinem Vorgänger - gleichzeitig schreibt er die Tradition fort und fest, dass die jüdischen Charaktere wichtige Rollen sind, die dem ersten Schauspieler des Hauses zustehen. Und Ryge kann wie keiner zuvor ein breites Spektrum jüdischer Figuren zu seinem Repertoire rechnen, die sich als prägend für seine Karriere darstellen: Allerede de nævnte [Oehlenschläger]Roller gave Ryge et stort og meget vikgtigt Repertoire, men han havde andu mange andre af høist forskjellig Natur, og iblandt dem vare fornemmelig hans Jøder interessante, idet de, i deres store Forskjellighed, alle vare mageløst ypperligt gjennemførte og hver for sig i Udseende, Dialect, Gebærder og Egenheder havde en ganske bestemt Individualitet, uden at der i den fri, kjække Fremstilling var et Træk, som man skulde antage for smaaligt beregnet. 79 Schon die genannten Rollen [Oehlenschlägers Heldenfiguren] gaben Ryge ein großes und sehr wichtiges Repertoire, aber er hatte noch viele andere von höchst unterschiedlicher Natur und unter diesen waren vornehmlich seine Juden interessant, da sie, in ihrer großen Unterschiedlichkeit, alle unvergleichlich glänzend ausgeführt waren und jede für sich in Aussehen, Dialekt, Gebärden und Eigenschaften eine bestimmte Individualität hatte, ohne dass sich in der freien, flotten Darstellung ein Zug fand, den man als kleinlich berechnend hätte annehmen können. Anders als Knudsen, der schon auf Grund von Stimme und Aussehen als Publikumsliebling fungiert, überzeugt Ryge zunächst nicht mit als attraktiv wahrgenommenen körperlichen Attributen, vielmehr ist es seine unglaubliche Präsenz, Intensität und präzise sowie detailverliebte Vorbereitung, mit denen er Wirkung erzielt. Collin äußert sich wie folgt: 78 Bournonville, August: Mit Theaterliv. Første Deel. København 1848, S. 57; Hertz, Henrik: Et og andet om Skuespillerkunst. København 1946, S. 51; Overskou V, S. 363 79 Overskou IV, S. 534 230 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Han var en høi, kraftig bygget Mand med en Holdning, over hvilken der vel ikke var udbredt nogen Elegance, men til Gjengjæld stor Værdighed og Fasthed. Vel var hans Hoved temmelig lille i Forhold til det svære Korpus, Benene vel tynde og Halsen noget for kort, og vel fandt man ved at tale med ham, at hans Organ var noget pjættet og lidt vulgairt, men næppe var Prøven begyndt, næppe havde denne Kolos aabnet Munden for de første Repliker, før de tilstedeværende Skuespillere forbavsede betragtede hverandre. 80 Er war ein großer, kräftig gebauter Mann mit einer Körperhaltung, die nicht gerade Eleganz ausstrahlte, dafür aber große Würde und Standhaftigkeit. Auch war sein Kopf ziemlich klein im Verhältnis zu dem schweren Körper, die Beine recht dünn und der Hals etwas zu kurz und auch fand man im Gespräch mit ihm, dass sein Organ etwas Albernes und leicht Vulgäres hatte, aber kaum hatte die Probe begonnen, kaum hatte dieser Koloss den Mund zu den ersten Repliken geöffnet, sahen sich die anwesenden Schauspieler erstaunt an. Ryges physische Verfasstheit und die daraus resultierende Wirkung auf das Publikum erstreckt sich dabei sicher auch auf seine jüdischen Charaktere, die besonders häufig Gegenstand der Auseinandersetzung sind und von Kritikern, Autoren und Kollegen teilweise detailliert beschrieben werden. Diese Quellen entstehen natürlich nicht ungefärbt von Animositäten, Verklärungen oder tradierten Narrativen und zudem oft erst viele Jahre später. Allerdings meine ich, dass sie im Zusammenspiel mit den dramatischen Texten und unter Berücksichtigung der Aufführungspraxis am Königlichen Theater wichtige Charakteristika und Darstellungskonventionen von Ryges jüdischen Figuren deutlich machen können. 5.3.2 Ryge als Salomon Goldkalb Von den zahlreichen jüdischen Charakteren, die Ryge im Lauf seiner langen Bühnenkarriere spielt, werde ich im Folgenden eine Rolle genauer in den Blick nehmen. Als Heibergs Hauptfigur in Kong Salomon og Jørgen Hattemager (König Salomon und Jürgen Hutmacher) brilliert er in einem neuen und erfolgreichen, wenn auch zunächst heftig umstrittenen Genre 81 80 Collin 1883 - 1888, S. 100 f. Auf ähnliche Weise beschreibt ihn der Choreograph Bournonville, der von seinem nicht sehr vorteilhaften Äußeren spricht, auf den kurzen Hals und den kleinen Kopf verweist und sowohl den robusten Körperbau als auch den ordinären Klang der Stimme als Kennzeichen anführt. (Engberg I, S. 154) 81 Vgl. Kap. 4.3 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 231 und ist in keiner jüdischen Rolle häufiger auf der Bühne zu erleben. 82 Ryge übernimmt viele seiner Bühnenjuden von Knudsen 83 - Salomon Goldkalb erlebt jedoch erst in seiner Verkörperung die Premiere am Königlichen Theater. Nichtsdestotrotz darf davon ausgegangen werden, dass Ryge auch in dieser Partie an tradierte Muster anknüpft, gerade was die äußere Erscheinung und die sprachliche Gestaltung betrifft. Seit den Anfängen des dänischen Theaters mit Ludvig Holbergs Stücken ist eines der hervorstechenden Charakteristika jüdischer Figuren deren Sondersprache. Diese textliche Tradition findet sich auch auf der Bühne wieder, wo der richtige „ Dialekt “ eines der Hauptkriterien für eine glaubhafte und erfolgreiche Darstellung zu sein scheint. Bereits in den ersten dänischen Theaterkritiken zu Beginn der 1770er Jahre von Peter Rosenstand-Goiskes in Den dramatiske Journal, die lange vor Knudsen und Ryge einen ersten Blick auf die Aufführungspraxis ermöglichen, wird dies als konstituierendes Moment der jüdischen Figuren aufgegriffen. So äußert Rosenstand-Goiskes hinsichtlich einer Aufführung von Holbergs Diederich Menschen- Skræk (Dietrich Menschenschreck) zunächst sein Missfallen über die Improvisationen des Ephraim-Darstellers, der in gefährlichen Situationen unpassenderweise immer wieder „ ein halbes Dutzend Judennamen “ 84 ins Parterre ruft. Der Kritiker attestiert ihm jedoch, dass „ er ansonsten gutes Jüdisch redete. “ 85 Rahbek beschreibt einige Jahre später wie der große Komiker und Holberg-Darsteller Gjelstrup als Jude in demselben Stück glänzt und legt ähnliche Kategorien an wie zuvor Rosentand-Goiskes: „ Vor allem geht wieder ein großes Lob an Gjeldstrups Juden, dessen Dialekt, Aussehen und Benehmen so israelisch wie möglich waren. “ 86 An anderer Stelle spricht Rahbek über einen Schauspieler, der mit einem „ besonders 82 Ryge spielt die Partie des Salomon Goldkalbs insgesamt 45 Mal. 83 Ryge übernimmt unter anderem folgende Partien von Knudsen: Moses in Sheridans Bagtalelsens skole (The School for Scandal, der Charakter wird später auch von Winsløw und Phister gespielt), Moses in P. A. Heibergs Chinafarerna (Winsløw spielt in diesem Singspiel sowohl Ascher als auch Ephraim und auch Phister ist als Ephraim zu sehen), Salomon Joseph in Indtoget, Schewa in Cumberlands Jøden (The Jew) und Baruk in Ifflands Embedsiver (Dienstplicht) - um nur einige zu nennen. 84 „ Hr. P. / . . . / , da han seer Leander ved Henrikes Hielp forsøge at klyve op til Jomfruen, raabte / . . . / et halvt Dosin Jødenavne; / . . . / med Ansigtet til Parterret. “ (Den dramatiske Journal Nr. 7, November 1772) 85 „ [E]ller snakkede han godt Jødiskt. “ (Den dramatiske Journal Nr. 7, November 1772) 86 „ / . . . / dog roses saavel Gjeldstrups Jøde igjen, hvis Dialect, Udseende og Adfærd var saa israelitiskt som muligt. “ (Rahbek, Knud Lyne: Om Ludvig Holberg som Lystspildigter og om hans Lystspil. Tredie Deel. Kjøbenhavn 1817, S. 84) 232 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten guten Judendialekt “ 87 den Ephraim in Abracadabra (Abrakadabra) spielt und damit dem entspricht, was der Kritiker selbst in seiner ersten schauspieltheoretischen Schrift aus dem Jahr 1782 88 hinsichtlich der sprachlichen Ausgestaltung jüdischer Figuren fordert: „ Judenrollen fordern insbesondere den Dialekt, der nicht genau beschrieben werden kann und zudem ein eigennütziges, verdächtiges Aussehen, eine hohle und tiefe Stimme - so wollen die Dichter sie haben. “ 89 Die Vermutung, dass mit der Forderung nach einer besonderen jüdischen Sprache eine Abwertung oder negative Setzung der Rollen einhergeht, ist zunächst nicht von der Hand zu weisen. Deutlich erkennbar haftet der jüdischen Sondersprache etwas Komisches und Lächerliches an; dies zeigt sich beispielsweise, als Ryge den jüdischen Dialekt in einer nicht-jüdischen Rolle benutzt. Ein erboster Kritiker wirft ihm vor, auf diese Weise „ den Pöbel zu amüsieren “ und fordert, den Schauspieler ins Gefängnis zu stecken, da er mit seiner Verkörperung antijüdische Ressentiments schüre. 90 Anderseits ist zu bedenken, dass den Darstellern begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, die unglaublich zahlreichen Rollen - bei Ryge an die 400 - voneinander abzusetzen. Kostümierung und Sondersprachen sind dabei die am häufigsten verwendeten Mittel der Differenzierung und werden dementsprechend umfangreich, wenn auch nicht immer unumstritten, eingesetzt. So sieht Rahbek beispielsweise auch für Bauern eine starke linguistische Zeichnung vor 91 und sowohl Knudsen als auch Ryge bedienen 87 „ [D]en unge Mand, som da med en særdeles god Jødedialect spillede Ephraim. “ (Rahbek 1817, S. 404) 88 Rahbek bringt 1782 die in Briefform gehaltene Schrift Breve fra en gammel Skuespiller til hans Søn (Briefe eines alten Schauspielers an seinen Sohn) heraus, in der er die Grundzüge des Schauspieler-Handwerks beschreibt. Damit begründet Rahbek seinen Ruf als wichtiger Kritiker und Theatertheoretiker Dänemarks. Über die Entstehung dieses Buches und Rahbeks Theaterlaufbahn als Kritiker und späterer Mitdirektor des Königlichen Theaters: Kyrre, Hans: Knud Lyne Rahbek, Kamma Rahbek og Livet paa Bakkehuset. København 1929, S. 61 - 74 und 145 - 167; Rasmussen, Ole: Rahbeks teaterkritik og hans betydning for Teatret før 1800. København 1962 89 „ Jøderollen kræver især Dialekten, som ikke kan beskrives, og saa noget egennyttigt, skummelt i Udseende, noget huult og dybt i Stemmen; saaledes vil Digterne have dem. “ (Rahbek, Knud Lyne: Breve fra en gammel Skuespiller til hans Søn. Kiøbenhavn 1782, S. 356) 90 Neiiendam 1912, S. 210 91 „ Bønder bør udmerkes først ved deres Dialekt, der bør være forskiellig, mere sammendraget og mindre bogstavelig, end de Fornemmeres; og herved maae iagttages, at ikke i det samme Stykke Bønder, som siges at være fra samme Sted, tale forskiellige Bondedialekter. “ (Rahbek 1782, S. 354) / / „ Bauern sollten sich vor allem durch ihren Dialekt auszeichnen, der anders, mehr zusammengezogen und weniger buchstabengetreu sein Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 233 sich in einer Vielzahl von Rollen - ob jüdisch oder nicht - unterschiedlicher Dialekte: Während der großen Feierlichkeiten zum 100jährigen Jubiläum der Theatergründung in der Grønnegade 1822 spielt Ryge die Titelfigur in Holbergs Komödie Ulysses von Ithacia auf norwegisch 92 - mit großer komischer Wirkung. 93 Auch die Rolle des Dr. Mørk in Henrik Hertz ’ Lustspiel Emma gibt er eine gewisse Zeit auf norwegisch, was von Publikum und Kritik allerdings höchst unterschiedlich aufgenommen wird. 94 Der Autor selbst billigt zwar das Vorgehen des Schauspielers, 95 Ryge sieht sich im Zuge der Auseinandersetzungen schließlich aber gezwungen, seine Rollengestaltung öffentlich zu erklären 96 und kehrt schließlich wieder dahin zurück, die Partie auf dänisch zu spielen. Die sprachliche Gestaltung der Rollen kann also von Vorstellung zu Vorstellung variieren. Dies gilt jedoch nicht für die jüdischen Figuren, die tradierten Mustern folgen. Auch in anderen Rollenfächer ist die Improvisationsmöglichkeit stark begrenzt: So wird beispielsweise kein Bauer fehlerfreies Dänisch reden und nicht nur in Holbergs Dramen sind viele Partien dialektal gezeichnet. 97 Wie Ryge seine jüdische Sondersprache konkret gestaltet, erfahren wir aus einem Brief des Schauspielers an die Theaterdirektion. In einem Schreiben vom 15. November 1827 an Jonas Collin bittet Ryge um die Erlaubnis, seine Rolle in Kjerlighed og Politie 98 (Liebe und Politik) ausnahmsweise auf Plattdeutsch spielen zu dürfen, obwohl vorgesehen ist, die Partie in einem Sprachgemisch aus deutsch und dänisch zu geben. Am selben Abend, so Ryge, stehe er jedoch in Kong Salomon og Jørgen Hattemager auf der Bühne und es sei ihm daran gelegen, beide Rollen nicht mit demselben Dialekt zu spielen, um sie besser sollte als bei den Vornehmen; man sollte darauf achten, dass in einem Stück die Bauern, von denen es heißt, sie stammten aus derselben Gegend, nicht unterschiedliche Bauerndialekte sprechen. “ 92 Conversationsblad Nr. 47, 22. 2. 1825 93 Das Publikum zeigt sich in Ryges Fall äußerst begeistert von der „ mundartlichen “ Gestaltung. (Collin 1883 - 1888, S. 103) Norwegen ist bis 1814 Teil des dänischen Reiches. Die Sprache des Nachbarlandes wird immer wieder in komischen oder grotesken Rollen auf der königlichen Bühne verwendet, haftet ihr aus dänischer Sicht doch etwas Unbeholfenes und Hinterwäldlerisches an. 94 Overskou V, S. 104 f 95 Neiiendam 1912, S. 210 f 96 Kjøbenhavnsposten, Nr. 30, 1831 97 Vgl. Kap. 2.2 und 2.3 98 Kærlighed og Politie, Vaudeville in einem Akt von Henrik Hertz, Premiere am 18. November 1827, insgesamt 5 Mal gespielt. Ryge ist in der Rolle des Zwiebel zu sehen. 234 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten voneinander abzusetzen. 99 Seine jüdische Sondersprache auf der Bühne besteht, so lässt sich aus Ryges Brief schließen, aus einer Mischung aus deutsch und dänisch und ist nicht - wie noch in Holbergs Texten angelegt - mit plattdeutschen Einsprengseln versehen. Ryges perfektes, den Bühnenkonventionen entsprechendes „ Jüdisch “ trägt sicher zum Triumph des Heiberg ’ schen Vaudevilles bei - als sich der Vorhang zur Premiere des neuen Stückes Kong Salomon og Jørgen Hattemager am 28. November 1825 hebt, steht jedoch keineswegs fest, dass dem Theater einer seiner größten Erfolge bevorsteht. 100 Die teils heftigen Diskussionen im Vorfeld der Aufführung finden nicht zuletzt in der großen Nervosität des Ensembles ihren Ausdruck. Dies führt dazu, dass das erste Stück des Abends - Claus Schalls Tro ingen for vel (Trau, schau, wem? ) - zum Leidwesen der Zuschauer mit übergroßer Hast dargeboten wird. Als dann endlich das sehnlich erwartete Hauptstück beginnt, reagiert das Publikum zunächst äußerst zurückhaltend. Dies ändert sich jedoch zu Beginn der dritten Szene mit dem erstem großen Auftritt der Hutmachertochter Luise und ihrem Lied Skjøn Jomfru, som sidder. Anna Wexschalls Darbietung der aus Die Wiener in Berlin bekannten Melodie reißt das Publikum zu Ovationen hin, die den Rest des Abends anhalten, die Anspannung verfliegt und auf der Bühne als auch im Zuschauerraum wird ein wahres Theaterfest gefeiert. Heiberg erlebt seinen großen Durchbruch als Verfasser, das Theater bekommt den dringend benötigen Kassenschlager und Ryge erweitert sein Repertoire um eine weitere Juden(haupt) rolle. Und nicht nur in der sprachlichen Gestaltung knüpft er an seine 99 „ Da den episodiske Rolle jeg ska spille paa Søndag i Kjerlighed og Politie er foreskrevet at skulle spilles paa halv Tydsk og halv Dansk, hvilket ogsaa paa en Maade er Tilfældet med Salomon Goldkalb, som jeg skal spille samme Aften, saa ønskede jeg, for at sætte den første ud fra den sidste, Tilladelese til at spille Zwiebel paa Platttydsk, hvilket er saa meget mere passende, da han selv siger, at han er en Meklenburger / . . . / . Kan De, og vil De nu give mig denne Tilladelse, saa ska jeg nok aftale det Fornødne med mine Medspillende og Soufleuren. “ (Brief von Ryge an Jonas Collin, 15. Februar 1827. Neiiendam 1912, S. 133) / / „ Da die episodische Rolle, die ich am Sonntag in Kjerlighed og Politie spielen soll, halb auf Deutsch und halb auf dänisch geschrieben ist, welches ja gleichermaßen für Salomon Goldkalb gilt, den ich am selben Abend spiele, bitte ich, damit ich die erste von der zweiten [Rolle] absetzen kann, um Erlaubnis, den Zwiebel auf Plattdeutsch zu spielen, was auch passender erscheint, da er selbst sagt, er sei Mecklenburger / . . . / . Können und wollen Sie mir die Erlaubnis geben, werde ich das Nötige mit meinen Mitspielern und dem Souffleur absprechen. “ 100 Vgl. Kap. 4.3 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 235 Vorgänger an, denn spätestens seit Knudsens berühmten Judentanz in Indtoget scheinen Einfälle, die das spezifisch Jüdische einer Rolle markieren sollen, eine gewisse Tradition zu haben. Dieser Reichtum an Improvisationen ist ein charakteristisches Merkmal der Schauspielkunst am Kongens Nytorv. Die Kritiken zu Kong Salomon gewähren dabei einen konkreten Eindruck in Ryges Verkörperungstechniken: Ved første Forestilling havde Ryge, som dog saa moersomt og høist gemytlig gav Jøden efter Forfatterens Charakteristik, den Taktløshed / . . . / at stjæle en Sølvskee; ved en af de følgende tillod han sig paa egen Haand at inflette i den satiriske Vise ved Punchebollen et selvgjort yderst flaut og stødende Vers / . . . / , og ved alle skreg han efter Skaalen: Hep! Hep! Hep! 101 Bei der ersten Vorstellung hatte Ryge, der den Juden doch so unterhaltend und höchst lustig entsprechend der Charakterisierung des Verfassers gab, die Taktlosigkeit, einen Silberlöffel zu stehlen; bei einer der folgenden erlaubte er sich / . . . / , in das satirische Lied beim Bowletrinken einen selbstgemachten, äußerst flachen und störenden Vers einzuflechten / . . . / und bei allen schrie er nach dem Anstoßen: Hep! Hep! Hep! Die Zuschauer, so schreibt Hansen später, lachen vor Begeisterung 102 - ganz im Gegensatz zu Heiberg. Dessen Unmut über den gestohlenen Löffel und vielleicht noch mehr den umgedichteten Vers samt des anti-jüdischen Hetzrufes Hep! Hep! Hep! 103 ist überliefert. 104 Anders als das Publikum reagieren auch Kritiker und Presse auf Ryges „ Einfälle “ und „ geschmacklose Übertreibungen “ 105 überwiegend negativ und führen sie als weiteres Argument gegen die neue Theaterform an. Improvisationen dieser Art und das häufige Fluchen hätten auf der Bühne des Königlichen Theaters nichts zu suchen, sie seien dafür verantwortlich, so schreibt der Kritiker Ove 101 Overskou IV, S. 786 f 102 Hansen II, S. 454 103 Die Anspielung auf die 1819 eskalierenden, sich von Deutschlands bis nach Kopenhagen ausbreitenden judenfeindlichen Hep-Hepp-Unruhen sind offenkundig. Vgl. Kap. 4.1 104 Borup II, S. 46; Wechsel, Kirsten: „ Herkunftstheater. Zur Regulierung von Legitimität im Streit um die Gattung Vaudeville. “ In: Gestrich, Constanze; Mohnike, Thomas [Hrsg.]: Faszination des Illegitimen. Alterität in Konstruktionen von Genealogie, Herkunft und Ursprünglichkeit in den skandinavischen Literaturen seit 1800. Würzburg 2007, S. 39 - 59, hier: S. 55 f 105 Hansen II, S. 454 236 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Thomsen in Kjøbenhavns Morgenblad, dass die Zuschauer am Kongens Nytorv geradezu zu „ Pöbeleien “ erzogen würden. 106 Was hier und an anderer Stelle deutlich wird, beleuchtet die herausgehobene Position des Schauspielers in der Kommunikation mit dem Publikum und lenkt zugleich den Blick auf eine Entwicklung im europäischen Theater seit dem 18. Jahrhundert. Mehr und mehr wird der Bühne eine moralische und geschmackliche Vorbildfunktion zugeschrieben, verbunden mit der Aufgabe, das Publikum zu bürgerlichen Werten zu erziehen. In diesem Zusammenhang wird der Schauspieler von Theaterkritik und -theorie zunehmend als unzuverlässiges Element wahrgenommen. 107 Infølelse - Verkörperung - wird das neue Schlagwort, nach dem schauspielerische Leistungen bewertet werden. Fischer-Lichte hat darauf hingewiesen, dass der Begriff dabei ursprünglich darauf abzielte, der zentralen Position des Schauspielers im Rollenfachtheater zu begegnen und seinen Einfluss zu begrenzen. Der Darsteller sollte vor allem die vom Autor im Text produzierten Bedeutungen mit Hilfe seines Körpers dem Publikum zugänglich machen. Dafür wurde es als nötig angesehen, dass der Schauspieler sich quasi entleibte, sein körperliches „ In-der-Welt-Sein “ hinter die Textbedeutung zurückstellte und auf diese Weise seinen phänomenalen Körper in einen semiotischen verwandelte. 108 In diesem Sinne meint Verkörperung zum Ausklang des 18. Jahrhunderts immer auch Entkörperung, ein Zurücktreten des Körpers hinter die Textbedeutung oder vielmehr das Ausfüllen der Textbedeutung mit körperlichen Mitteln. Dies wird in Dänemark vor allem darin deutlich, dass in den Kritiken zunehmend die Intention des Autors thematisiert und die Gestaltung einer Rolle daran gemessen wird. So bescheinigt beispielsweise Overskou Ryge, 106 Ove Thomsens Rezension von Kong Salomon og Jørgen Hattemager erscheint in Kjøbenhavns Morgenblad Nr. 148 - 150, 1825 107 Dies spiegelt sich auch in den ersten dänischsprachigen theater- und schauspieltheoretischen Texten wider, die sich vor allem an deutschen (Lessing) und französischen (Diderot) Vorbildern orientieren. Knud Lyne Rahbek erweist sich mit seinen Schriften auf diesem Gebiet als Vorreiter. (Rahbek 1782; Rahbek, Knud Lyne: Om Skuespillerkunsten. Forelæsninger holdne paa den Kongelige dramatiske Skole ved K. L. Rahbek, Professor og Teaterdirekteur. Kiøbenhavn 1809; Rahbek, Knud Lyne: Lommebog for Skuespilyndere. Kiøbenhavn 1788) Darüber hinaus steuert auch Schwarz in seinen Sammelbänden wichtige Beiträge bei. (Schwarz, Fridrich [Hrsg.]: Lomme-Bog for Skuespilyndere. Vol 1 - 3. Kiøbenhavn 1784 - 86) 108 Fischer-Lichte, Erika: „ Verkörperung/ Embodiment. Zum Wandel einer alten theaterwissenschaftlichen in eine neue kulturwissenschaftliche Kategorie. “ In: Fischer-Lichte, Erika et al. [Hrsg.]: Verkörperung. Tübingen und Basel 2001, S. 11 - 25, hier: S. 13 Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 237 wie oben zitiert, den Juden im Sinn des Autors gegeben zu haben - abgesehen von dem gestohlenen Löffel. 109 Hansen mokiert Improvisationen und die farcehafte Spielweise und dringt darauf, dass Heiberg seine Schauspieler „ über das Fehlerhafte in dieser Auffassung belehren “ müsse. 110 Ryge lässt sich von seinen Improvisationen jedoch nicht abbringen 111 und sein Erfolg besänftigt schließlich die Kritiker. Trotzdem wird erkennbar, dass - zumindest in der Theaterkritik - eine Verschiebung stattfindet. Als Paradigmen gelungener Verkörperungen gelten nun weniger die Rollenfach-Vorbilder als vielmehr die Intentionen der Autoren. Dass jedoch gerade seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Kopenhagen eine zunehmende Begeisterung für die großen Stars des Theaters zu verzeichnen ist - man denke neben Knudsen und Ryge nur an Johanne Luise Heiberg und das Ehepaar Nielsen 112 - , zeigt anschaulich, wie die Körper der Schauspieler dieser Deutung Widerstand entgegensetzen. Daher bietet sich eine Verortung der Rollengestaltung im Spannungsfeld zwischen physischer Existenz und Repräsentation geradezu an. Betrachtet man Ryges Darstellung jüdischer Charaktere, erscheint es lohnenswert, diese darüber hinaus zusammen mit dem übrigen Repertoire des Schauspielers zu lesen. Er wird bekannt als großer Heldendarsteller in 109 Overskou IV, S. 787 110 „ Men hvor uimodstaaelig morsom Ryge end var som Goldkalb, delte han dog med adskillige af sine Medspillende den Vildfarelse, at i den nye Genre maatte Hovedvægten lægges paa det Farcemæssige, og at derved tillod, ja anbefalde en Opgivelse af Ævret, som ikke behøvede at vrage noget selvopfundet Indfald eller nogen nok saa smagløs Overdrivelse, naar Improvisationen blot fremkaldte Publikums Latter. Heiberg maatte senere belære Skuespillerne om det Feilagtige i denne Opfattelse. “ (Hansen II, 454) / / „ Aber wie unwiderstehlich lustig Ryge als Goldkalb auch war, teilte er doch mit etlichen seiner Mitspielenden den Irrglauben, dass in dem neuen Genre das Hauptgewicht auf das Farcemässige gelegt werden müsse, dadurch erlaubte er, ja befahl es förmlich, die Flinte ins Korn zu werfen und keinen selbsterfundenen Einfall oder noch so geschmacklose Übertreibung zu verschmähen, wenn die Improvisation nur Lacher im Publikum weckte. Heiberg musste später die Schauspieler über das Fehlerhafte dieser Auffassung belehren. “ 111 Overskou IV, S. 787 112 Anna Nielsen (geb. Brenøe, verw. Wexschall) ist eine der großen Mitbeziehungsweise Gegenspielerinnen von Johanne Luise Heiberg. Sie reüssiert als Liebhaberin, gilt als begnadete Sängerin (sie spielt beispielsweise die Luise in Kong Salomon og Jørgen Hattemager) und feiert auch im Alter als Charakterschauspielerin große Erfolge. Zusammen mit ihrem Mann Nicolai Peter Nielsen setzt sie sich vor allem für einen zunehmen realistischeren Spielstil und gegen das Heiberg ’ sche Postulat des guten Geschmacks ein. N. P. Nielsen debütiert 1820 am Königlichen Theater und verdient sich großes Ansehen als Heldendarsteller und Liebhaber. 238 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Oehlenschlägers Dramen, die vor allem um Figuren der (national aufgeladenen) nordischen Geschichte kreisen. Seit seinem Debüt als Palnatoke und Hakon Jarl scheint Ryge untrennbar mit dem Werk des Dichters verknüpft und fungiert als Prototyp des Helden in diesem romantischen Genre. Zwar wird Oehlenschläger nicht allzu oft aufgeführt, wie Klaus Neiiendam richtigerweise hervorhebt, 113 aber auch die viel gespielten deutschen Rührstücke und Ritterdramen von Kotzebue, Iffland und Schröder verorten Ryge ganz eindeutig in diesem Fach. Auch wenn er immer wieder komische Partien übernimmt, erscheint vor allem die „ Kraft - und gerade seine erdrückende Heldenkraft - als das Charakteristische an diesem Schauspieler “ . 114 Dass nun in Kong Salomon Held und Jude in der Person Ryges miteinander verschmelzen, spielt für die Wahrnehmung des jüdischen Charakters meiner Ansicht nach eine wichtige Rolle. Dies manifestiert sich nicht zuletzt auch in Ryges körperlicher Figuration, die der textlichen Verortung der Bühnenjuden entgegensteht. Seine imposante Erscheinung habe ich weiter oben bereits beschrieben und ähnlich wie bei Knudsen ist es seine Stimme, die einen besonderen Eindruck hinterlässt. August Bournonville, der berühmte Choreograph und Zeitgenosse Ryges, beschreibt sie wie folgt: „ Seine Worte klangen wie Schwertschläge auf einem Kupferschild, sie drängten sich in die Seele wie Runen in einen Feldstein; seine Stimme tönte wie die schrille Lure durch die Brandung des Nordmeers. “ 115 Welche physischen Abb. 8: Johan Christian Ryge. 113 Neiiendam 1979, S. 13 114 „ Kraft - og netop knusende Heltekraft - [er] det karakteristiske hos denne Skuespiller. “ (Agerholm 1913, S. 36) 115 „ Hans Ord klang som Sværdslag paa Kobberskjold, de trængte til Sjælen som Runer i Kampesten; hans Stemme tonede som den skingrende Lur gennem Nordhavets Dr. Johan Christian Ryge - „ Held mit feurigem Talent “ 239 Belastungen mit dieser Art der Darstellung verbunden sind, hat Frederick Marker herausgearbeitet, 116 dass dieses stimmliche Gewicht vor allem im Hinblick auf die Gestaltung der jüdischen Figuren die Rezeption beeinflusst, hat bisher jedoch keine Berücksichtigung erfahren. Wenn der große Oehlenschläger-Held auch den Juden gibt, stärkt dies meiner Ansicht nach die Wahrnehmung der Rolle auf ähnliche Weise, als wenn der Patriot den Moses singt. Anhand des Rollenbeispiels Salomon Goldkalb lässt sich die herausragende Bedeutung Ryges für die Verkörperung jüdischer Figuren in besonderer Weise nachvollziehen. Er führt die mit Knudsen begonnene Tradition weiter, zugleich erreicht mit ihm die personengebundene Judendarstellung ihren Höhepunkt und manifestiert auf diese Weise die besondere Stellung des dänischen Theaters im europäischen Kontext. 5.4 Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ Mit Johan Ludvig Phister endet die Tradition, „ alle “ Juden auf der Bühne von einem Schauspieler darstellen zu lassen. Die Personalisierung des Rollenfachs franst während seiner Zeit am Kongens Nytorv beträchtlich aus, aber es sind (mit) seine Verkörperungen, die das Bild des Juden am prägendsten ins 20. Jahrhundert transportieren. Phisters Weg ans Theater beginnt früh, er wird 1817 im Alter von zehn Jahre Schüler der Ballettschule und übernimmt ab 1819 bereits kleinere Statistenrollen am Königlichen Theater. Sein offizielles Debüt feiert er im Mai 1825 als Per Nielsen in Holbergs Den pansatte Bondedreng (Der verpfändete Bauernjunge). Seine Verkörperung des Knechts wird - nicht zuletzt dank seines „ seeländischen Bauerndialekts “ 117 - ein großer und gefeierter Erfolg. In diese Rollentradition weist ihn sein langjähriger Lehrer Lindgreen ein, sicherlich der bedeutendste Holberg-Interpret des frühen 19. Jahrhunderts. Sogar der immer kritische Rahbek zeigt sich von Phisters Premiere so begeistert, dass er ihn mit einer Einladung zum gemeinsamen Punschtrinken adelt. Als gutaussehend sowie beweglich beschrieben und mit einer Brændinger. “ (Mantzius, Karl: Skuespilkunstens Historie i det nittende Aarhundrede. København 1922, S. 56) 116 Marker, Frederick J.: Hans Christian Andersen and the romantic theatre. A study of stage practices in the prenaturalistic Scandinavian theatre. Toronto 1971, S. 188 117 „ sjællandsk Bondedialekt “ (Zinck 1896, S. 48) 240 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten schönen Gesangsstimme ausgestattet, glänzt Phister zunächst in komischen Partien. Vor allem sein vielschichtiges Holberg-Repertoire lässt ihn im Verlauf seiner langen Karriere als einen der Bedeutenden in dieser Ahnenreihe stehen. So fügen sich in seiner Person die Tradition der Holbergsowie der Judendarsteller zusammen und er transportiert die Verkörperungskonventionen des Goldenen Zeitalters bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein. Zu Beginn seiner Laufbahn steht er 1825 bei der Premiere von Kong Salomon og Jørgen Hattemager zusammen mit Ryge auf der Bühne, 118 er gibt über 40 Jahre den Jeppe, eine der zentralen komischen Figuren des Holberg ’ schen Œ uvres, und gegen Ende seiner Karriere erlebt er die ersten Erfolge von Ibsen. Seine über fünf Jahrzehnte Bühnenerfahrung am Kongens Nytorv - das wird stetig betont - führen dazu, dass er in späteren Jahren immer mehr als Original und Instanz einer vergangenen Epoche bewundert wird. So erinnert Johanne Luise Heiberg - anders als ihr Mann dem Menschen Phister wenig freundlich gesinnt - an die Tragweite der Phister ’ schen Epochenkenntnisse: Hvilken fordel har ikke Phister haft af som dreng at være blevet fortrolig med de forudgående mestre i de roller, han senere selv overtog. Hvor ofte går ikke Abb. 9: Johan Ludvig Phister. 118 Mit Ryge bestreitet Phister viele Theaterabende und beide verbindet darüber hinaus sogar eine Art Freundschaft, häufig trifft man sie vormittags beim gemeinsamen Punschtrinken. (Zinck 1896, S. 39) Dass Ryge in Phister keinen Konkurrenten sieht - anders als dies beispielsweise bei Winsløw der Fall ist - , liegt vor allem darin begründet, dass der Jüngere vor allem im komischen Rollenfach reüssiert. Als Phister nach Ryges Tod die Rolle des Salomon Goldkalb angetragen wird, lehnt er ab, da er nicht glaubt, dass sie ihm gelingen würde. (Friis, Aage [Hrsg.]: Fra det Heibergske hjem. Johan Ludvig og Johanne Luise Heibergs indbyrdes brevveksling. København 1940, S. 305) Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ 241 alle de ældre afdøde skuespillere igen på vor scene: Frydendahl, Ryge, Foersom, Winsløw, Lindgreen. 119 Phister hatte den Vorteil, als Junge mit den früheren Meistern in den Rollen, die er später selbst übernahm, vertraut zu sein. Wie oft erscheinen [durch ihn] nicht alle die alten, verstorbenen Schauspieler wieder auf unserer Bühne: Frydendahl, Ryge, Foersom, Winsløw, Lindgreen. Und auch der berühmte Choreograph August Bournonville sieht in Phister einen Zeugen einer vergangenen Theaterepoche und Bewahrer langer Traditionslinien: Phister / . . . / i hvilken man troer at gjenkjende en af Oldtidens fortrinligste Mimer, der endog halvveis beskyldtes for Troldom; noget Saadant er ikke saa langt fra vor store Komikers Væsen, thi vel har man hørt og læst endeel om en Garrick, en Devrient den Ældre, og vi have jo selv eiet en Ryge, der kunde skifte Maske, Stemme og Characteer i en Grad, der gjorde Gjenkjendelsen umulig; men at Phister, indenfor Lystspillets Omraade, har skabt mere end trehundrede forskjellige komiske Roller, der alle ligge færdige til at afbenyttes paa befalet Tid och Sted, hører virkelig til den dramatiske Kunst ’ s Underværker. / . . . / [M]en naar man betænker, at Moliere, Holberg, Heiberg, Hertz, Overskou og alle saavel nyere som ældre Lystspildigtere have ved Phisters Medvirkning vundet en genial og indtil de fineste Nuancer gjennemtænkt og correct Udførelse, / . . . / da maae man i Sandhed beundre det mangsidige Talent og troe paa Geniets Troldom. / . . . / En Skuespiller, der som Phister fortriinsviis har glimret i Tjenerfaget, / . . . / vilde ved et franskt Theater udelukkende blive henviist til denne Specialitet, dersom ikke saadanne Fremstillinger som Den evige Jøde, Skriverhans / . . . / og fremfor Alt den uforlignelige Klokker Link stemplede ham som Charakteerskuespiller af første Rang. 120 In Phister / . . . / glaubte man, einen der vortrefflichsten Mimen der Vergangenheit wiederzuerkennen, der zeitweise gar der Zauberei bezichtigt wurde; so etwas ist nicht weit entfernt vom Wesen unseres großen Komikers, denn natürlich hat man eine Menge über einen Garrick, einen Devrient gehört und gelesen, und wir haben ja selbst einen Ryge besessen, der Maske, Stimme und Charakter in einer Weise verändern konnte, die eine Wiedererkennung 119 Heiberg, Johanne Luise: Et liv genoplevet i erindringen. Bind III: Syv teaterår 1849 - 56. København 1974, S. 51 120 Bournonville, August: Mit Theaterliv. Anden Deel. Kjøbenhavn 1865, S. 415ff 242 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten unmöglich machte; aber dass Phister auf dem Gebiet der Lustspiele mehr als dreihundert verschiedene komische Rollen geschaffen hat, die alle bereit liegen, um zu gegebener Zeit und Stelle abgerufen zu werden, gehört wirklich zu den Wunderwerken der dramatischen Kunst. / . . . / [W]enn man zudem bedenkt, dass Molière, Holberg, Heiberg, Hertz, Overskou und alle sowohl älteren als auch neueren Lustspiel-Autoren durch Phisters Mitwirken eine geniale und bis in die kleinsten Nuancen durchdachte und korrekte Ausführung gewonnen haben, / . . . / muss man in Wahrheit dessen vielseitiges Talent bewundern und an die Zauberei des Genies glauben. / . . . / Ein Schauspieler wie Phister, der vorwiegend im Dienerfach geglänzt hat, / . . . / würde in einem französischen Theater einzig auf diese Spezialität beschränkt bleiben. Darbietungen wie Der ewige Jude, Skriverhans / . . . / und vor allem der unvergleichliche Glöckner Link zeichneten ihn hingegen als Charakterschauspieler ersten Ranges aus. Die Bandbreite des Phister ’ schen Repertoires zwischen Komiker und Charakterschauspieler spiegelt sich auch in seinem jüdischen Rollenfach wider, wobei sich zwei Partien als prägend erweisen: Zum einen sind es seine Henrik-Darstellungen in Holbergs Komödien, in denen der Diener sich immer wieder als Jude verkleidet, zum anderen handelt es sich um Jerusalems Schuhmacher in Hostrups Gjenboerne (Die Nachbarn), den er am Kongens Nytorv von 1848 bis 1873 spielt. 121 Die Verkörperungen des Holberg ’ schen Dieners durch Phister sind teils detailliert überliefert. Der junge Theaterkritiker P. E. Hansen gibt in seinen 1863 erstellten Dramaturgiske Optegnelser (Dramaturgischen Beobachtungen) akribische Beschreibungen, in denen er Szene für Szene die Aufführungen schriftlich fixiert. Seine Beobachtungen zielen dabei vor allem auf Phisters Darstellungen ab. Diese Aufzeichnungen dienen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts beispielsweise Olaf Poulsen als Grundlage für die Erarbeitung seiner Holberg-Partien. 122 Der Auftritt Phisters als Henrich in Mascarade (Maskerade), 123 der sich zu Beginn des dritten Aktes als Jude verkleidet, um unerkannt zu bleiben, ist von Hansen sehr anschaulich beschrieben: „ Henrich (Wenner als Jude verkleidethereinkommt,überhöhterseineUnkenntlichkeit, indemermitnachinnengebeugtenKniengeht.Wenneralleinist,richtetersich 121 Die Premiere am Königlichen Theater erfolgt am 19. März 1848, vorher wird das Stück bereits mit einigen Aufführungen als Sommertheater gezeigt. 122 Jacobsen, Kirsten: P. Emanuel Hansen og Holberg. Omkring Eman. Hansens Dramaturgiske Optegnelser. Lyngby 1984, S. 22 123 Vgl. Kap. 2.2.4 Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ 243 zu seiner natürlichen Größe auf.) “ 124 Phisterwähltalsoneben der Verkleidung 125 und der Sondersprache eine körperliche Verortung, die den Juden als schwächlich, krumm und klein darstellt. Da Phister sämtliche Holberg-Parteien von Lindgreen gelernt hat, darf man davon ausgehen, dass diese Darstellungstradition nicht erst seit Phisters Debüt auf der Bühne gängige Praxis ist. Auffällig ist dabei, dass die körperliche Verwandlung von Jude zu Henrik auf offener Bühne stattfindet - und zwar nicht, indem das Kostüm gewechselt wird, vielmehr dadurch, dass sich Phister aufrichtet und seine „ natürliche “ Köperhaltung wieder einnimmt. Diese Sichtbarmachung der unterschiedlichen Körperlichkeit beider Figuren rückt die Zeichen, derer sich das Theater zur Herstellung jüdischer Figuren bedient, auch in den Mittelpunkt der Zuschauerwahrnehmung. Dies führt einerseits zu einer Konnotierung des jüdischen Körpers als schwach, anderseits macht es die Zeichen als solche sichtbar. Hier zeigt sich, dass eine überdeutliche Zeichnung keineswegs eine Verengung des Rollenfaches bedeuten muss. Abb. 10: Johan Ludvig Phisters berühmte Darstellung des Juden in Gjenboerne. Das Foto stammt aus dem Kopenhagener Theaterarchiv. (Det kongelige Teaters Arkiv og Bibliotek) 124 „ Henrich (Da han kommer ind forklædt som Jöde har han forhöjet sin Ukendelighed, ved at gaa med indadböjede Knæ. Naar han er alene, retter han sig op til sin naturlige Höjde.) “ (Hansen, P. Emanuel: Dramaturgiske Optegnelser. Handschrift 1863, KTB) 125 Aus dem Regiprotokol geht hervor, dass Henrich sich als Jude rollenfachtypisch verkleidet: „ [S]ort Robe, nedslagen Hat, Peryk og Skiæg. “ / / „ Schwarze Robe, heruntergeschlagener Hut, Perücke und Bart. “ (Krogh, Torben: Holberg i det Kgl. Teaters ældste Regieprotokoller. København 1943, S. 47) 244 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Ebensowenig lässt sich behaupten, dass ein Verzicht auf diese Zeichen eine besonders positive Verortung der jüdischen Figuren mit sich bringt. Dies unterstreicht das Beispiel der anderen wichtigen Judenrolle Phisters. Betrachtet man Fotos 126 von Phister in der Ahasverus-Kostümierung in Gjenboerne (Abb. 10) könnte der Jude kaum stereotyper gezeichnet sein: dichter Vollbart, lockige dunkle Perücke, große Nase und ein langer kaftanähnlicher Rock. 127 Ein echter ewiger Jude. Und Phister geht noch einen Schritt weiter. Nicht nur zieht er seinen Juden an, wie ein Jude angezogen sein soll, er lässt ihn auch so sprechen, wie ein Jude auf der Bühne zu sprechen hat - unabhängig von Hostrups Textvorlage, wie Georg Brandes beschreibt: Hr. Phister, hvis hele Fremstilling af Jøden er en Sammensmeltning - saa magisk som en heldig Guldmagers - af det Burleske og det Rædselsfulde til én Støbning af det ædleste Metal, har af de givne Antydninger skabt en ejendommelig Mundart. Den har, foruden den almindelige jødiske Særegenhed i Betoning og Lyd, ved Siden heraf stærke tyske Elementer. Mon disse sidste ikke skulde kunne undværes rent eller dog i alt Fald indskrænkes betydeligt? Thi skønt Hostrup med uforlignelig Naivitet lader Manden betegne Ahasverus som sit Døbenavn, kan der vel ingen Tvivl være om hans israelitiske Oprindelse. Mon det da ikke skulde have været muligt for en Skuespiller som Phister at give os en Ahasverus, ved hvem man i mindre høje Grad følte, at han har maatet passere Tyskland paa den lange Vej fra Palæstina til os? Men Knuden er vel, at den udmærkede Fremstiller af Rollen af Natur er en Iagttager ligesaavel som dens Digter, og at han derfor ligesom denne føler sig bunden til hvad han har set og hørt. Herr Phister, dessen ganze Verkörperung des Juden eine Verschmelzung des Burlesken und des Schrecklichen zu einem Guss von edelstem Metall war - so magisch wie die eines erfolgreichen Goldmachers - , hat aus den gegebenen Andeutungen eine eigentümliche Mundart geschaffen. Diese hat, außer der allgemeinen jüdischen Besonderheit hinsichtlich Betonung und Klang darüber hinaus starke deutsche Elemente. Sollten diese nicht ganz unterbleiben oder doch in jedem Fall deutlich eingeschränkt werden? Wenn auch Hostrup mit unvergleichlicher Naivität den Mann Ahasverus als seinen Taufnamen bezeich- 126 Bei den Rollenfotos der Schauspieler handelt es sich in der Regel um Atelier-Aufnahmen, keineswegs um Proben- oder Aufführungsfotografien. 127 Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 3die del. Kjøbenhavn 1896, S. 90. Im Folgenden: Hansen III Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ 245 nen lässt, kann es doch keinen Zweifel an seiner israelitischen Herkunft geben. Sollte es da für einen Schauspieler wie Phister nicht möglich sein, uns einen Ahasverus zu zeigen, bei dem man in geringerem Grad merkte, dass er auf seinem langen Weg von Palästina zu uns Deutschland passieren musste? Aber der Kern ist wohl, dass der herausragende Darsteller dieser Rolle von Natur aus genauso wie deren Dichter ein Beobachter ist, und dass er daher genau wie dieser sich dem, was er gesehen und gehört hat, verpflichtet fühlt. 128 Dass die textliche Verortung der sondersprachlichen Verkörperung eigentlich entgegensteht, also der Schumacher letztlich nicht nur dem Studenten sondern gleichzeitig auch dem Rollenfach entfliehen kann, habe ich im vorherigen Kapitel ausgeführt. 129 Aber ähnlich wie Ryge wird auch Phister hier zur Instanz erklärt, die den richtigen „ jüdischen Ton “ der (Theater-) Natur abgelauscht hat, die weiß, wie die Rolle zu spielen ist und die auf diese Weise über mögliche Kritik an der sprachlichen Umgestaltung der Partie erhaben scheint. Und die letztlich sogar besser als der Verfasser selbst weiß, wie ein Jude auf der Bühne darzustellen ist. En lille Rolle / . . . / var den evige Jøde i Genboerne. Hostrup, der overværede Prøverne, var ikke tilfreds med hans Opfattelse af Rollen, som var ganske modsat den, han havde set i Kr. Mantzius ’ s Udførelse, da Stykket som Studenterkomedie opførtes i Studenterforeningen. Phister havde instuderet Rollen med stor Lyst og Flid og med et sikkert Blik for Virkningen. Han kunde derfor ikke bøje sig for Forfatterens Indvendinger, men bad ham opsætte sin endelige Dom til Forestillingsaftenen. Paa denne fik da Hostrup ogsaa Øjnene op for, hvad Phister havde faaet ud af Rollen. Paa Publikum virkede hans Skomager ligefrem betagende; det sad i spændt Forventning og, hvor dæmpet han end talte, hvert Ord blev hørt i den Dødsstilhed, der under denne Scene herskede i Huset. Da han sagde Slutningsreplikken: „ naar Klokken slaar 12 paa Regensens Ur osv., “ herskede der en ligefrem højtidelig Stemning blandt Publikum, som ved hans Udgang af Scenen brød ud i et jublende Bifald. Hostrup skriver i sine Erindringer / . . . / : „ Phister var aldeles uforlignelig som Skomageren, der gick i sit 19de Hundrede Aar. Ved sin store Fantasi og sin enestaaende Evne til at forvandle sin Person havde han gjort sig saa skyggeagtig, saa at den Illusion, han frembragte, var helt betagende. “ 130 128 Brandes, Georg: Kritiker og Portraiter. Kjøbenhavn 1870, S. 132 f 129 Vgl. Kap. 4.6 130 Zinck 1896, 121ff 246 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Eine kleine Rolle / . . . / war der ewige Jude in Gjenboerne. Hostrup, der den Proben beiwohnte, war nicht zufrieden mit seiner [Phisters] Rolleninterpretation, die sich ziemlich von der unterschied, die er in Kr. Mantzius Ausführung gesehen hatte, als das Stück als Studentenkomödie in der Studentenvereinigung aufgeführt wurde. Phister hatte die Rolle mit großer Lust und Fleiß und einem sicheren Blick für deren Wirkung einstudiert. Er konnte sich daher den Einwänden des Verfassers nicht beugen, bat diesen aber, sein abschließendes Urteil bis zum Tag der Vorstellung aufzuschieben. Da gingen dann auch Hostrup die Augen dafür auf, was Phister aus der Rolle gemacht hatte. Auf das Publikum wirkte sein Schuhmacher geradezu beeindruckend; es saß in gespannter Erwartung und - wie gedämpft er auch sprach - jedes Wort wurde in der Totenstille, die während dieser Szene im Haus herrschte, gehört. Als er seine Abschlussreplik sagte: „ Wenn die Uhr zwölf schlägt usw. “ herrschte eine geradezu andächtige Stimmung im Publikum, das bei seinem Abgang von der Bühne in jubelnden Beifall ausbrach. Hostrup schreibt in seinen Erinnerungenn / . . . / : „ Phister war ganz unvergleichlich als Schuhmacher, der in sein neunzehnhundertstes Jahr ging. Mit seiner großen Phantasie und seiner einzigartigen Begabung sich zu verwandeln, hatte er sich so schattenhaft gemacht, dass die Illusion, die er hervorbrachte ganz hinreißend war. “ Der ewige Jude verlässt die Bühne und es herrscht Totenstille - allein die Erwähnung dieser Tatsache deutet darauf hin, dass es sich dabei um einen recht unüblichen Vorgang im Theater handelt. Phister beherrscht die Szene, das Publikum hängt an seinen (flüsternden) Lippen. Und mit ihm der Autor, der einsehen muss, dass der Schauspieler - zumindest wenn es um die Juden geht - doch mehr vom Theater versteht als ein Schriftsteller, so jedenfalls erzählt es Otto Zinck. Diese auch äußerlich sehr eindrucksvolle Partie spielt Phister fast 90 Mal, er wird damit zum Inbegriff des Juden in der Zeit nach Ryge, auch wenn sein Repertoire in diesem Fach nicht annähernd so groß ist wie das seines Vorgängers. 131 Aber er erhält das Rollenfach am Leben, bringt es mit der großen Holberg-Tradition zusammen und zeigt auf bestechende Art, dass die Verwendung deutlicher jüdisch konnotierter Zeichen keineswegs eine negative Setzung der dramatischen Charaktere beinhalten muss. Schaut man sich die Lobpreisungen an, die Phister in diesem Fach hervorruft, gerät schnell in Vergessenheit, dass seine Karriere als Jude 131 So ist Phister beispielsweise als verkleideter Jude in Holbergs Mascarade und Diederich Menschen-Skræk zu sehen, außerdem als Jude in Oehlenschlägers Aladdin, als Jabal in Cumberlands Jøden, als Moses in Sheridans Bagtalelsens skole sowie als Ephraim in Chinafarerne. Johan Ludvig Phister - „ Charakterschauspieler ersten Ranges “ 247 wenig erfolgreich beginnt. Seine Premiere in diesem Fach absolviert er zeitgleich mit Winsløws gefeiertem Schewa in Cumberlands Jøden. Phister spielt den Diener Jabal und wird vom Kritiker, der wie eingangs erwähnt den Hauptdarsteller hymnisch feiert, deutlich negativ beurteilt. Er habe, so der Rezensent Nathan David, an Phister so gar nichts charakteristisch Jüdisches finden können: „ Herr Phister bemühte sich oft, dieser charakterlosen Figur Leben einzuhauchen, aber das Leben, das er in sie legte, war an sich nicht charakteristisch; das Plumpe und Ungezogene des armen Juden beim Stehlen wusste er darzustellen, aber das Kennzeichnende eines Juden, wenn man dies nicht in der bloßen Maske sucht, vermisste der Kritiker. “ 132 So findet David zwei untypische Judenfiguren auf der Bühne wieder: Winsløws Darstellung geht über das Bekannte hinaus und lässt den Kritiker sprachlos zurück; der junge Phister in seiner ersten Judenrolle hingegen versteht es noch nicht in ausreichendem Maße, die jüdisch konnotierten Zeichen glaubhaft zu transportieren. In diesem Zwischenraum entsteht eine leicht brüchige Aufführung, die verdeutlicht, wie stark das Rollenfach von Knudsen und Ryge geprägt ist, auf welche Weise Winsløw es dehnbar macht und wie Phisters Hineinwachsen in die Tradition ein zeitaufwendiges Unterfangen darstellt. Fertige Juden fallen auch am Kongens Nytorv nicht vom Himmel. 5.5 Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg Die Prominenz Schewas im Repertoire des Königlichen Theaters verdeutlicht einmal mehr, dass die Bühne am Kongens Nytorv nicht abgetrennt von äußeren Einflüssen agiert. Wie im Verlauf der Arbeit immer wieder anklingt, erweisen sich europäische Verschränkungen als bedeutend für die Entwicklung der nationalen dänischen Bühne: Holbergs Theater atmet Molière und Racine und orientiert sich unter seinem Leiter Montaigu auch schauspielästhetisch am Pariser Vorbild. Der 100 Jahre später einsetzende Vaudeville-Wahnsinn Heiberg ’ scher Prägung ist ohne die französischen Vorbilder dieses Genres nicht denkbar. Das Œ uvre der Oper ruht zu einem großen Teil auf italienischen Schultern und die Dominanz von Autoren wie 132 „ Hr. Phister stræbte ofte at oplive denne charakteersløse Figur, men det Liv, han lagde i den, var ikke selv charakteristisk; det Plumpe og Uvorne hos den fattige Jødes Tyvende vidste han vel at fremstille, men det Betegnende hos Jøden, naar man ikke søker dette i den blotte Maske, savnede Anm. “ (Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 57; 12. Mai 1830) 248 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Iffland und Kotzebue auf dem Spielplan seit Beginn des 19. Jahrhunderts unterstreicht, wie prägend sich die deutschsprachige Dramatik für die Bühne am Kongens Nytorv ausnimmt. Betrachtet man die jüdischen Figuren auf dem dänischen Theater, fallen die europäischen Verschränkungen deutlich instabiler aus und deuten auf eine Sonderstellung der Bühne am Kongens Nytorv hin, die so bisher nicht wahrgenommen wurde. Ausgehend von den Holberg ’ schen Komödien, die - wie ich gezeigt habe - das jüdische Rollenfach begründen, bis hin zu den vielschichtig aufgefächerten Charakteren des so genannten Goldenen Zeitalters bringt das dänische Theater eine Galerie von Bühnenjuden hervor, die im europäischen Kontext als exzeptionell verstanden werden müssen. Diese Wahrnehmung verstärkt sich mit einem Blick auf die Figuren, die an der nationalen Bühne nicht gegeben werden. Die Leerstellen Shylock und Nathan sind augenfällig und unterstreichen einmal mehr die spezifische Ausformung des Rollenfachs in Dänemark. Im Folgenden werde ich anhand der erfolglosen Aufführung von Der Kaufmann von Venedig 133 der Frage nachgehen, worin die Abwesenheit dieser prominenten europäischen Theaterfigur begründet liegt. Meine These ist, dass neben bühnenästhetischen Bedingungen, die Shakespeares Dramen grundsätzlich entgegenstehen, vor allem im personengebundenen jüdischen Rollenfach der Hauptgrund für die fehlende Notwendigkeit Shylocks am Kongens Nytorv zu suchen ist. Zwar findet, anders als 133 Die Handlung von Shakespeares Drama dürfte bekannt sein: Antonio, ein Venezianischer Kaufmann, leiht sich beim Juden Shylock Geld, um seinen Freund (und Geliebten? ) Bassanio zu unterstützen. Der Jude ist bereit, auf seine Zinsen zu verzichten und verlangt stattdessen, falls Antonio das Geld nicht rechtzeitig zurückzahlen kann, ein Pfund Fleisch aus dessen Körper. Antonio willigt ein, ist er doch sicher, dass seine Handelsschiffe reich beladen und pünktlich zurückkehren. Bassanio hält in der Zeit um die Hand der schönen Portia an und kann sie für sich gewinnen. Zurück in Venedig zeigt sich, dass Antonios Schiffe verschollen scheinen - Shylock besteht auf Einhaltung des Vertrags und will sich das Pfund Fleisch aus dem Körper des Schuldners schneiden. Schließlich tritt die verkleidete Portia als Richterin auf und präsentiert die Lösung: Zwar habe Shylock das Recht auf Vollstreckung des Vertrags, aber kein Recht auf das Blut Antonios. Er dürfe das Fleisch nur ohne Blutvergießen herausschneiden, sonst würde er wegen Mordes belangt werden. Zudem verliert Shylock all seine Reichtümer, da er als Fremder einem Bürger der Stadt nach dem Leben getrachtet hat. Letztlich ist also Shylock auf die Gnade seiner Gegner angewiesen. Diese gewähren ihm Verzeihung unter der Bedingung, dass er seiner Tochter erlaubt, einen Christen zu heiraten und zudem selbst konvertiert. Der gebrochene Shylock willigt ein und fast alle Liebenden feiern im fünften Akt die glückliche Vereinigung in Portias Schloß in Belmont. Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 249 Nathan, 134 Shylock, verkörpert von keinem geringeren als Dr. Ryge, seinen Weg auf die königliche Bühne, aber dieser Weg erweist sich als kurz und erfolglos. Die Premiere von Der Kaufmann von Venedig erfolgt am 18. Januar 1828, die vierte Vorstellung am 11. Februar desselben Jahres ist bereits die letzte - erst 1867 steht das Stück wieder auf dem Spielplan. Erstaunlich ist, dass trotz des ausbleibenden Erfolgs eine im Vergleich zu anderen Aufführungen unerhört umfassende mediale Reaktion erfolgt. Shylock ist also offensichtlich nicht irgendwer. Die wenigen Aufführungen und die in der Presse geführten Auseinandersetzungen sind dabei exemplarisch für die Shakespeare-Rezeption in Dänemark während des Goldenen Zeitalters. Die Wiederentdeckung des Autors auf vielen europäischen Bühnen spätestens zu Beginn des 19. Jahrhunderts geht am Königlichen Theater zunächst nahezu unbemerkt vorbei. 1813 findet mit Hamlet 135 das erste Shakespeare-Drama auf die Bühne und trotz einer großartigen Besetzung bleiben die Zuschauer weg. 136 Bis 1830 erfolgen darüber hinaus einzelne Aufführungen von König Lear, Die lustigen Weiber von Windsor und Romeo und Julia. Aber auch hier werden nur wenige Vorstellungen gespielt, einzig Macbeth hält sich mit einigem Erfolg bis 1850 im Repertoire. Die Aufnahme der Dramen in den Spielplan geht dabei häufig auf einzelne Schauspieler zurück, die unbedingt eine der großen Rollen darbieten möchten: Ohne den beständigen Einsatz von Stars wie Foersom - dem ersten Hamlet - und Ryge dürfte die Zahl der aufgeführten Stücke noch geringer ausgefallen sein. Auch darin manifestiert sich der Einfluss der führenden Schauspieler auf die inhaltliche und ästhetische Ausrichtung des Theaters. Trotz der spärlichen Präsenz Shakespeare ’ scher Dramen auf der Bühne ist das Werk des Dichters keineswegs unbekannt - wer etwas auf sich hält, kennt die Stücke des berühmten englischen Dramatikers, zuvorderst in den Schlegel-Übersetzungen. 137 Kierkegaard, so heißt es, habe den gesamten Shakespeare auswendig beherrscht. Auf deutsch. 138 134 Vgl. Kap. 3.4.4 135 In einem ersten Versuch, Shakespeare auf die Bühne zu bringen, wird die Handlung stark vereinfacht. So werden alle Schauspieler-Szenen sowie die Figur des Fortinbras gestrichen. 1826 erfolgt eine erneute Umarbeitung, die vor allem durch den geänderten Schluss für Diskussionen sorgt: Laertes rächt den König und besteigt selbst den Thron. 136 1829 ist Hamlet nach nur 16 Vorstellungen abgespielt. 137 Dänische Übersetzungen erscheinen vor allem im Zusammenhang mit Aufführungen am Königlichen Theater. 138 Kvam, Kela et al.: Dansk Teaterhistorie. Bd. 1: Kirkens og kongens teater. København 1992, S. 204. Im Folgenden: Kvam I 250 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten In diese ambivalente Gemengelage - ein bekannter und geschätzter Dichter, der jedoch kaum gespielt wird - fällt die Uraufführung des Kaufmanns, die von der Kritik zunächst sehr positiv aufgenommen wird. Auch das Publikum scheint bei der Premiere zunächst angetan und bedenkt die Spielenden „ während und nach der Vorstellung mit außergewöhnlichem Applaus. “ 139 Dass das Theater weder Kosten noch Mühen scheut, scheint sich auszuzahlen: Es bietet ein aufwendiges Bühnenbild samt umfangreicher Neukostümierung der Spielenden auf. Für die Szenerie bedient man sich bei bekannten und erprobten Inszenierungen 140 und es ist zudem ungewöhnlich, dass verhältnismäßig zahlreiche Umbauten stattfinden. Insgesamt sieht das Maskinmesterprotokol 141 in den fünf Akten sechzehn Szenenwechsel vor, wobei die allermeisten in den ersten drei Akten stattfinden. Im vierten - der Gerichtssequenz - fällt vor allem die üppige Möblierung auf: Über die gesamte Bühnentiefe ist mittig eine Balustrade errichtet. Diese wird ergänzt durch zwei große Bänke auf der rechten Seite, einen Tisch und zusammen zehn Sitzgelegenheiten - vom goldenen Thron bis zum einfachen Stuhl - , die im Bühnenraum verteilt aufgestellt sind. 142 Auf die sonst freie Spielfläche wird hier zugunsten eines möglichst opulenten optischen Eindrucks verzichtet. Die Umbauten müssen sich als einigermaßen kompliziert dargestellt und einer gewissenhaften Vorbereitung bedurft haben. Bemerkenswert ist, dass anders als sonst üblich viele Kostüme für diese Shakespeare-Premiere neu angeschafft und nur wenige Teile aus dem Fundus eingesetzt werden. 143 Zudem bietet das Theater personell auf, was es nur kann. Die wichtigen Partien sind äußerst prominent besetzt - neben Ryge stehen Publikumslieblinge wie Madam Andersen (Portia) sowie die 139 Overskou IV, S. 844 140 Unter anderem werden Bühnenbilder oder - versatzstücke aus Kleists Kätchen von Heilbronn, Samsøes Dyveke, Heibergs Tycho Brahe und Boyelidieus Zoraïme og Zulnar verwendet - durchweg Aufführungen, die den Kopenhagener Geschmack treffen. 141 Maskinmesterprotokol Skuespillet (Komedier) 1824/ 25, KTB 142 Maskinmesterprotokol Skuespillet (Komedier) 1824/ 25, KTB 143 Seit 1816 zeichnet Ryge auch für den Fundus und die Kostüme verantwortlich. Seine zahlreiche Korrespondenz gewährt einen detaillierten Einblick in die Kostüme der Neuproduktionen. In zwei Briefen aus dem Januar 1828 stellt er die für die Premiere anzuschaffenden Kleidungsstücke zusammen. (Brief von J. C. Ryge, 5. Januar 1828, KTB). Hier geht es zunächst um Shylock, Bassanio, Graziano und Lorenzo. In einem weiteren Brief drei Tage später (Brief von J. C. Ryge, 8. Januar 1828, KTB) führt Ryge die detaillierte Liste weiter und ergänzt einen Großteil der verbleibende Dramatis Personae, die er ähnlich umfangreich ausstattet. Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 251 Herren Nielsen (Bassanio), Rosenkilde (Lanzelot) und Liebe (Antonio) auf der Bühne, für die übrigen Rollen wird nahezu das gesamte Ensemble benötigt. Darüber hinaus befinden sich ein Großteil des Chores, des Balletts sowie etliche Statisten und Balletteleven im Einsatz - insgesamt bringt die Aufführung von Der Kaufmann von Venedig über 70 Personen auf die Bühne. 144 Es lässt sich konstatieren, dass sich das Theater bezüglich der Ausstattung (Bühne, Kostüme, Personal) alle erdenkliche Mühe gibt, dem Drama zum Erfolg zu verhelfen und es ästhetisch soweit wie möglich den Sehgewohnheiten der Zuschauer anzupassen. Warum nun scheitert trotz Starbesetzung und aufwendiger Ausstattung die Aufführung des Kaufmann von Venedig, woran liegt es, dass das Kopenhagener Publikum den vielleicht berühmtesten Juden der dramatischen Literatur nahezu ignoriert? Zum Misserfolg des Kaufmanns trägt meiner Ansicht nach zum einen die bühnenästhetische Fremdheit des Shakespeare ’ schen Theaterkosmos ’ bei, die den Sehgewohnheiten der Zuschauer entgegensteht. Das Repertoire des Königlichen Theaters bestimmen zu dieser Zeit - stark vereinfacht ausgedrückt - zuvorderst geschlossene Dramen deutscher oder französischer Provenienz, die größtenteils in einem bürgerlichen Setting verortetet sind und einer realistisch anmutenden Charakter- und Ortsdramaturgie folgen. Die Premiere des Kaufmanns erfolgt während der Hochzeit der vaudevillschen Theaterperiode, die Uraufführung von Kong Salomon ist keine drei Jahre her, die erfolgreichen Nachfolger 145 beweisen, dass die anfänglichen Diskussionen um die Zulässigkeit der neuen Gattung verstummt sind. 146 Ende 1828, ein Dreivierteljahr nach den Kaufmann-Aufführungen, hat schließlich das bis heute meistgespielte Stück am Kongens Nytorv Premiere: Heibergs und Kuhlaus Singspiel Elverhøj 147 (Elfenhügel) vermengt mythische Stoffe mit burlesken Elementen, verortet die Handlung in einem bürgerlichen Wertekosmos und avanciert - wie Georg Brandes schreibt - zu „ einer Art Nationalhymne in fünf Akten “ . 148 Vor diesem Hintergrund wird 144 Regiprotokol 1816, KTB 145 Innerhalb weniger Jahre feiern Heibergs Vaudevilles wahre Triumphzüge: Aprilsnarrene (Premiere am 22. 4. 1826), Recensenten og Dyret (22. 10. 1826), Et Eventyr i Rosenborg Have (26. 5. 1827) und De Udaskillelige (11. 6. 1827). 146 Vgl. Kap. 4.3.1 147 Elverhøj, als Auftragswerk Frederik VI. anläßlich der Hochzeit seiner jüngsten Tochter geschrieben, ist seit der Premiere am 6. November 1828 über 1.000 Mal am Königlichen Theater gezeigt worden. 148 „ Et Slags Nationalsang i fem Akter. “ (Kvam I, S. 214) 252 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten deutlich, dass die ästhetischen Paradigmen am Kongens Nytorv Shakespeares Schauspielen entgegenstehen. Bei diesen handelt es sich um offene Dramen, die für eine zum großen Teil leere Bühne konzipiert sind; Texte mit häufigen und schnellen Schauplatzwechseln, vielfältigen Handlungssträngen, teils grober Sprache und brutalen Vorgängen, die darüber hinaus einer umfangreichen personellen Ausstattung bedürfen. Zum anderen kommt - so meine These - dem personengebundenen Rollenfach und dessen Auswirkungen auf die Rezeption jüdischer Figuren hinsichtlich des ausbleibenden Publikumserfolges eine besondere Bedeutung zu. Dies erschließt sich nicht auf den ersten Blick, gibt Ryge den Shylock doch zur allgemeinen Zufriedenheit. Thomas Overskou, der selbst als Bote Salerio auf der Bühne steht, findet Ryges Darstellung „ wirklich gelungen “ , 149 auch wenn er nicht umhin kommt darauf hinzuweisen, dass nicht Wenige die Meinung geäußert hätten, Winsløw mit seiner eher poetischen Darstellungsweise wäre der bessere Shylock gewesen. Hier deuten sich die Auseinandersetzungen der beiden Schauspieler um die Rolle des Schewa ein Jahr später bereits an. Aber Ryge gilt als die sicherere Bank und zudem traut man sich nicht, ihn zu übergehen. Gelungen findet Overskou vor allem „ das typisch Jüdische “ an Shylock, weniger überzeugt ihn Ryges Darstellung der „ psychologischen Entwicklung der menschlichen Seite des Charakters und das unerschütterliche Rachebedürfnis des Unterdrückten “ . 150 Der Theaterhistoriker Hansen bescheinigt Ryge später, den Shylock aufgrund seiner „ mächtigen Persönlichkeit mit großer Wirkung “ 151 und „ mit vortrefflich charakterisierten Rassenmerkmalen “ 152 gespielt zu haben. Zwei bedeutende zeitgenössische Kritiker, Nathan David und Johann Ludvig Heiberg, gewähren in ihren Rezensionen tiefergehende Einblicke in die Aufführung und spiegeln dabei eindringlich, wie wichtig sich sowohl ästhetische Fragen als auch die besondere Rollenfachtradition für die Rezeption der berühmten Judenfigur ausnehmen. 149 Overskou IV, S. 843 150 „ Ryge / . . . / vilde bleve ypperlig, och det blev han ogsaa virkelig, men mere hvor Jøden fremtraadte end i den psychologiske Udvikling af Charakterens reent Menneskelige og den Undertryktes urokkelige Hævnbegjærlighed. “ (Overskou IV, S. 844) 151 „ I Kjøbmanden var Ryges mægtige Personlighed af stor Virkning som Shylock. “ (Hansen II, S. 550) 152 „ [H]an spillede Shylock i Kjøbmanden i Venedig med fortræffelig Karakteristik af Racemærket. “ (Hansen II, S. 293) Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 253 Nathan Davids Besprechung im Theaterblad 153 erstreckt sich über drei Nummern und fokussiert dabei vor allem Ryges Darstellung des Shylock und die Frage nach dessen Beweggründen, das Pfund Fleisch von Antonio zu fordern, und widmet sich zudem einer genaueren Analyse der schauspielerischen Ausformung dieser Rolle durch Ryge. Wie später auch Heiberg beschäftigt sich David vor allem mit den Ambivalenzen der jüdischen Figur und lobt dabei Shakespeare für sein Bemühen, bei der Darstellung des Juden auf holzschnittartige Zeichnungen verzichtet zu haben, um eine realistischeres Bild der Hauptfigur zu zeichnen. Havde Shakespeare villet afmale den jødiske Havesyge i sin hele Hæslighed, da havde han ladet Antonio staae i det reneste Lys, for at sætte Shylok og med ham den jødiske Natur i den mørkeste Skygge, men da han havde et andet og større Maal for Øie, maatte han dele Lyset og Skygge, for med Sandhedens Pensel at skildre en eneste Scene af Oplysningshistoriens store Sorgespil. 154 Hätte Shakespeare die jüdische Habsucht in ihrer ganzen Hässlichkeit abbilden wollen, hätte er Antonio im reinsten Licht erscheinen lassen, um Shylok 155 und mit ihm die jüdische Natur in den dunkelsten Schatten zu stellen, aber da er ein anderes und größeres Ziel vor Augen hatte, musste er Licht und Schatten teilen, um auch nur eine einzige Szene des großen Trauerspiels der Aufklärung mit dem Pinsel der Wahrheit zu schildern. An diese Doppeldeutigkeit der Figur knüpft David weitere Überlegungen: Ist Shylock der böse und nach Rache dürstende Jude oder liegt vielmehr in seiner Geschichte und in der Art und Weise, wie er von der Mehrheitsgesellschaft behandelt wird, die Ursache für sein Tun? Ist er von Natur aus schlecht oder sind seine Taten vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Missstände und Judenverfolgung nicht geradezu nachvollziehbar? Hinsichtlich dieser Fragen hält er Ryges Darstellung mit wenigen Ausnahmen für äußerst gelungen und wegweisend: Er lobt dessen Ruhe und Kälte am Anfang des Dramas, das vorsichtig Abwägende in Geldangelegenheiten, er billigt die typisch jüdische Sondersprache - die weder in Rahbeks Über- 153 Die Besprechung der Kaufmann von Venedig-Aufführung erstreckt sich über drei Nummern der Zeitung Theaterblad. (Nr. 12 - 14, 1828) 154 Theaterblad Nr. 12, 1828 155 Nathan David wählt durchgehend die Schreibweise Shylok. Sowohl im Textbuch als auch in den Drucksachen des Theaters findet sich das aus dem Original übernommene Shylock. 254 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten setzung 156 noch im Original vorgesehen ist - da sie dazu dienen könne, „ das Fremde, das von christlichen Gebräuchen Abweichende hervorzuheben “ . 157 Die Befürchtung, dass Shylock dadurch komisch oder lächerlich wirken könne, teilt er nicht, da Ryge, so David, den jüdischen Akzent in dieser Partie weder übertreibe noch ins Lächerlich ziehe. Kritisch äußert sich David über die teils zu große Abgeklärtheit in Ryges Spiel. Gerade wenn es darum gehe, die Gefühlsregungen Shylocks während der Vertragsverhandlungen darzustellen, sollte klarer werden, wie ernst die Forderung des Juden nach dem Pfund Fleisch gemeint sei. Der Kritiker verweist darauf, dass „ ein seltener Grad von Bildung, den Shylock weder hat noch haben kann, dazugehört, um in jeder Situation Herr über seine Leidenschaftlichkeit zu sein, so dass diese nicht durch die Heftigkeit des Ausdrucks / . . . / herausbricht. “ 158 Der Versuch, seiner unterdrückten Gefühle Herr zu werden, müsse in Ryges Spiel besser erkennbar und die emotionale Ausnahmesituation intensiver geschildert werden. Gerade zu Beginn des dritten Aktes, nachdem seine Tochter ihn verlassen hat und Shylock gefragt wird, wozu er das Pfund Fleisch wolle, und er darauf antwortet, „ Speist es nichts anderes, so speist es doch meine Rache. “ 159 könne das Menschliche an Shylock deutlicher zur Geltung gebracht werden. Dies erfordere, so David, eine langsame und intensive Rede, die Ryge jedoch nicht gelinge, „ da er durch den schnellen Vortrag dieser Replik scheinbar die bei diesem Volk übliche mechanische Lebendigkeit zeigen wollte, die nicht nur die äußere Beweglichkeit des Juden charakterisiert, sondern auch seine inneren, oft merkwürdig konstruierten 156 Die Übersetzung von The Merchant of Venice unter dem Titel Kjøbmanden af Venedig für das Königliche Theater besorgt offiziell Knud Lyne Rahbek. (Shakespeare, William: Kjøbmanden af Venedig. Lystspil i fem Acter. Fordansket til Skuepladsens Brug ved Prof. K. L. Rahbek. Kjøbenhavn 1827) Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass Rahbek lediglich die ersten Szenen übersetzt hat, den Großteil liefert A. E. Boyle. (Henriques, Alf: Shakespeare og Danmark indtil 1840. Vurdering, opførelse, oversættelse, efterligning. København 1941, S. 152) Als das Stück 1867 wieder aufgeführt wird, fertigt E. Lembcke eine Neuübersetzung an, die unter dem Titel Kjøbmanden i Venedig läuft. Allerdings wird in der Theatergeschichtsschreibung nahezu durchgängig der letztere Titel für sämtliche Aufführungen verwendet. 157 „ Selv den jødiske Accent billiger Anm. aldeles, thi den maa tjene til at udhæve det Fremmede, det fra christne Sæder Afvigende. “ (Theaterblad Nr. 12, 1828) 158 „ [D]er hører en sjelden Grad af Dannelse, som Shylok hverken har eller kan have, til i ethvert Tilfælde at være saaledes Herre over sin Lidenskabelighed, at den ikke skulde / . . . / bryde ud igjennem Udtrykkets Heftighed. “ (Theaterblad Nr. 13, 1828) 159 „ [F]øder det ikke andet, føder det dog min Hævn. “ (Shakespeare 1827, S. 54) Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 255 Gedankengänge. “ 160 Dies bürge die Gefahr, die Figur zu karikieren und so die komische Seite Shylocks stärker zum Tragen zu bringen. Als Vorbilder, die diese Passagen hervorragend gemeistert hätten, führt der Kritiker explizit die berühmten Schauspieler Edmund Kean und Ludwig Devrient an. Beide erweisen sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts prägend für neue, wenn auch sehr unterschiedliche Darstellungsweisen des venezianischen Bühnenjuden und werden europaweit rezipiert. Kean, der am 26. Januar 1814 seine Premiere im Londoner Drury Lane Theatre gibt - übrigens nach nur einer Probe, die am Vormittag desselben Tages stattfindet 161 - , bricht auf deutliche Weise mit den überkommenden Darstellungstraditionen des englischen Theaters, die vor allem auf Macklin 162 zurückgehen. So verzichtet er beispielsweise auf die monströse Hakennase, die rote Judasperücke sowie den gleichfarbigen Bart und jegliche sondersprachliche Färbung. 163 Heinrich Heine, der Kean auf einer Auslandsreise sieht, zeigt sich in einem Brief an August Lewald tief beeindruckt und gibt dabei viel über Keans Verkörperung des Juden preis: Der Jude von Venedig war die erste Heldenrolle die ich ihn spielen sah. Ich sage Heldenrolle, denn er spielte ihn nicht als einen gebrochenen alten Mann, als eine Art Schewa des Hasses, wie unser Devrient that, sondern als einen Helden. So steht er noch immer in meinem Gedächtnisse, angethan mit seinem schwarzseidenen Roquelaure, der ohne Aermel ist und nur bis ans Knie reicht, so daß das blutrothe Untergewand, welches bis zu den Füßen hinabfällt, 160 „ da han derimod ved det hurtige Foredraget af denne Replik syntes at ville vise den hos dette Folk almindelige mekaniske Livfuldhed, der ikke blot charakteriserer Jødens udvortes Bevægelighed, men ogsaa hans Tankekangs indre ofte vidunderlige Construction. “ (Theaterblad Nr. 13, 1828) 161 Mantzius 1922, S. 37 162 Charles Macklin debütiert 1733 am Drury Lane Theatre und reüssiert später auch am Covent Garden. Er ist maßgeblich daran beteiligt, eine realistischere Spielästhetik zu etablieren. Seine größten Erfolge feiert er als Shylock, den er nicht mehr als Spottgestalt sondern vielmehr als „ dämonischen Rächer “ und „ erschreckenden Schurken “ ausformt. (Höfele, Andreas: „ Judengestalten im englischen Theater (1700 - 1900). “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 115 - 28, hier: S. 121) 163 Goerden, Elmar: „ Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte des Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts. “ In: Bayerdörfer, Hans- Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 129 - 163, hier: S. 145 256 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten desto greller hervortritt. Ein schwarzer / . . . / Filzhut, der hohe Kegel mit einem blutrothen Bande umwunden, bedeckt das Haupt, dessen Haare, so wie auch die des Bartes, lang und pechschwarz herabhängen, und gleichsam einen wüsten Rahmen bilden zu dem gesundrothen Gesichte. / . . . / In der rechten Hand hält er einen Stock, weniger als Stütze, denn als Waffe. 164 Ähnlich wie Kean, wenn auch auf verschiedene Weise, bricht Devrient mit Bühnentraditionen und tritt mit seiner Darstellung Shylocks vor allem in Konkurrenz zu Ifflands Verkörperung. Er behält zwar dessen ostjüdisch konnotierte Kostümierung, 165 an der sich auch Ryge orientiert, 166 weitestgehend bei, verzichtet aber völlig auf Improvisationen und nutzt Anklänge an das Bühnenjüdisch nur insoweit, als sie das Versmaß nicht beeinträchtigen. Als besondere Neuerung - und darauf spielt David an - erweist sich die körperliche Präsentation der Rolle. Devrient spielt einen ruhigen, physisch starken Juden, der mit „ großen Schritten auf der Bühne [umhergeht] “ 167 und damit seinen Shylock mimisch, gestisch und proxemisch deutlich von Ifflands Darstellung absetzt. Dieser hüpft immer wieder auf der Stelle, gestikuliert heftig mit Armen und Händen und fällt durch seine schiefe Haltung und die nach innen gekehrten Füße auf. 168 Durch Devrients Ernsthaftigkeit der Körperlichkeit wirke sein Hass glaubwürdiger und bedrohlicher, wie der Zeitgenosse Funck formuliert: „ Wenn Iffland sagte: ‚ Ich will den Schein, ich will nicht reden hören! ‘ konnte man 164 Heine, Heinrich: „ Kean als Shylock. “ In: Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Herausgegeben von Manfred Windfuhr. Band 12/ I. Hamburg 1980, S. 487 165 Goerden 1992, S. 162 166 Für seine Rolle als Shylock orientiert sich Ryge bei der Auswahl des Kostüms eher an den Vorbildern Iffland und Devrient, weniger an Kean. Aus einem Brief an die Theaterleitung kennen wir Details seiner Ausstattung: Er trägt eine Pelzmütze, einen talarähnlichen Überrock mit einem Pelzkragen und rotten Stoffeinsätzen und dazu einen Unterrock, der als Kaftan bezeichnet wird, aus pariserblauer Merinowolle. ( „ Til Lystspillet Kjöbmanden af Venedig tager jeg mig den underdanige Frihet, forelöbigen at foreslaar följande Garderobstykker anskaffede. / . . . / 4. til Dr. Ryge som Shylok: En Pelshue, en Overkjole (en Slags Talar) af lilla Circas, . . . med Pelsverks . . . og röd. . ., en Underkjole (Kaftan) af pariserblaat fransk Merinus. “ Brief von J. C. Ryge, 5. Januar 1828, KTB) 167 Rellstab, Ludwig: Gesammelte Schriften. 9. Band. Leipzig 1860, S. 335 168 Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Harlekinade in jüdischen Kleidern? Der szenische Status der Judenrollen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. “ In: Horch, Hans Otto; Denkler, Horst [Hrsg.] Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. Zweiter Teil. Tübingen 1989, S. 92 - 117, hier: S. 100ff Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 257 lächeln; während man bei Devrient die Zähne zusammenbiß. “ 169 Diesen von David als Idealpräsentation verstandenen Vorbildern entspricht Ryge nur teilweise, letztlich zeigt sich der Kritiker trotz dieser Einwände zufrieden, da es ihm in dieser Rolle gelinge, als „ ein Meister der Charakterzeichnung “ 170 sowohl das typisch Jüdische als auch Shylocks Persönlichkeit auf die Bühne zu bringen. Durch die Situierung der Ryge ’ schen Verkörperung in einem europäischen Rahmen verdeutlicht David, dass der Kopenhagener Kaufmann keineswegs abgetrennt von den Diskursen in Deutschland und England stattfindet. Dies spiegelt sich auch in der vom Kritiker vorgenommenen Zweiteilung der Shylock-Figur in „ Jude “ und „ Mensch “ wider. Dabei geht es nicht darum, den (Bühnen-)Juden das Menschliche abzusprechen, vielmehr ist diese Unterteilung vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Theaterästhetik zu verstehen. Das typisch Jüdische - auf das neben David beispielsweise auch Overskou anspielt - bezeichnet die Erfüllung der Darstellungskonventionen, das „ Menschliche “ macht deutlich, dass die Shylockfigur über das Rollenfach hinausgeht und zunehmend in Richtung Charakterrolle tendiert, was auf der Bühne Ergänzungen zu den bekannten Verkörperungen notwendig werden lässt. Davids Kritik zeigt auf eindrückliche Weise, dass Ryge das Rollenfach beherrscht, dass jedoch das Gleichgewicht zwischen universal-menschlicher Darstellung und jüdischer Eigenart, welches die Rolle erfordert, sich teilweise noch brüchig transportiert. Johan Ludvig Heibergs sehr umfassende Rezension in Kjøbenhavns flyvende Post verortet den Kopenhagener Kaufmann - wenn auch indirekt - ebenfalls in einem europäischen Kontext und beleuchtet Shakespeares Drama vor allem hinsichtlich der ästhetischen Ausrichtung des Königlichen Theaters. In seiner ausführlichen Besprechung fällt zunächst auf, dass Heiberg kaum auf die Umsetzung des Stücks auf der Bühne sondern fast ausschließlich auf dessen Struktur und Personenführung fokussiert. Es handelt sich also eher um eine Dramenanalyse als um eine Aufführungsbesprechung, die abschließend ein vernichtendes Urteil über den Autor fällt: Heiberg hält Shakespeares Schauspiel schlichtweg für nicht gelungen und zeigt sich überzeugt, dass jeder Zuschauer sofort merken werde, dass er 169 Jacobs, Monty: Deutsche Schauspielkunst. Zeugnisse zur Bühnengeschichte klassischer Rollen. Berlin 1954, S. 351 170 „ Dr. Ryge [gjengav Shylok] som en Mester i Charakteerstegning. “ (Theaterblad Nr. 13, 1828) 258 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten hier keineswegs ein Meisterwerk vorfände. 171 Dies liege vor allem darin begründet, dass der Kaufmann ein unentschiedenes Stück sei, in dem nicht deutlich werde, ob es sich um eine Komödie oder um eine Tragödie handele. Heutzutage, so Heiberg, würde ein Dichter aus dem Stoff „ ein so genanntes ernstes Drama “ 172 machen. Zudem sieht er gravierende Mängel im Aufbau des Schauspiels, wie beispielsweise die parallelen Handlungsstränge, den überflüssigen fünften Akt und die Vielschichtigkeit der dramatischen Charaktere, die Heiberg im Gegensatz zu David scharf kritisiert. Gerade der Jude sei, so Heiberg, viel zu positiv dargestellt: [H]vor slet han end er, saa er han dog endnu ikke ganske foragtelig, thi han har i det mindste et Skin af Ret paa sin Side, nemlig hans Nations Undertrykkelse, der synes at berettige ham til det voldsomme Christenhad. / . . . / [H]vergang han optræder, indgyder [Shylok] 173 os baade Had og Beundring, at vi endelig endog føle Medlidenhed med ham, da Retten ikke blot dømmer ham til at miste sine Midler, men endog til at christnes, en Overilelse, hvorved vi ikke kan andet end træde noget over paa hans Parti. 174 [W]ie schlecht er auch ist, so ist er doch nicht verachtenswert, denn er hat zumindest den Anschein des Rechts auf seiner Seite, nämlich die Unterdrückung seiner Nation, die ihn zu dem gewaltsamen Christenhass zu berechtigen scheint. / . . . / [J]edesmal wenn er auftritt, flößt [Shylok] uns sowohl Hass als auch Bewunderung ein, so dass wir schließlich doch Mitleid mit ihm fühlen, wenn das Gericht ihn nicht nur dazu verurteilt, seinen Besitz zu verlieren, son- 171 Heiberg bleibt zeitlebens ein scharfer Kritiker Shakespeares und so verwundert es wenig, dass in seiner Zeit als prägende Figur des Königlichen Theaters wenige Dramen des englischen Dichters auf dem Programm stehen. Die Auseinandersetzungen um Shakespeare stehen dabei stellvertretend für Heibergs ästhetisches Verständnis. Shakespeares Stücke erscheinen ihm zu brutal, ungeschminkt - ja schlicht geschmacklos. Peder Ludvig Møller, ein Gegner Heibergs in dieser Frage, spricht in dem Zusammenhang gar von der Notwendigkeit, den „ armen und stark mitgenommenen Shakespeare vor Prof. Heibergs Hegel ’ scher Guillotine “ retten zu müssen. ( „ [Vi] / . . . / søge at redde den stakkels, haardt medtagne Shakespeare fra Prof. Heibergs hegelske Guillotine. “ Møller, Peder Ludvig: „ Lidt om Shakespeare: Shakespeare og Prof. Heiberg. (1842.) “ In: Møller, Peder Ludvig: Kritiske Skizzer fra aarene 1840 - 47. Et udvalgt ved Hans Hertel. København 1971, S. 165 - 172, hier: S. 165 f) 172 „ / . . . / et saakaldet alvorligt Drama. “ (Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 24; 24. März 1828) 173 Auch Heiberg wählt wie Nathan David abweichend vom Textbuch die Schreibweise Shylok. 174 Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 24; 24. März 1828 Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 259 dern auch dazu, sich taufen zu lassen, eine Übereilung, aufgrund der wir nicht anders können, als teilweise seine Partei zu ergreifen. Die ambivalenten Reaktionen, die Shylock auf diese Weise beim Publikum auslöse, verstießen - so Heiberg - gegen die Regeln der Kunst. Klarheit in der Figurenzeichnung verlange, dass Shylock „ als ein Unmensch gezeichnet werden muss, für den wir in keinem Augenblick Bewunderung empfinden, geschweige denn Mitleid; er muss so abstoßend sein, dass sein Anblick nichts als Hass, Abscheu und Verachtung erweckt. Mit einem Wort: Er muss gemein sein, statt wie bei Shakespeare auf gewisse Weise sublim. “ 175 Heibergs Kritik richtet sich hier nicht gegen eine teilweise positive Darstellung eines einzelnen jüdischen Charakters. Es ist keine Abrechnung mit den Schauspielern, dem Autor oder dem Publikum. Heibergs eigene Stücke sind - wie im vorherigen Kapitel gezeigt - weit von antijüdischer Propaganda entfernt und er muss sich immer wieder seine „ Verbindungen mit Juden “ vorwerfen lassen. 176 Meiner Ansicht nach geht es ihm hier vielmehr um ästhetische und dramaturgische Paradigmen. Der Jude muss, so Heiberg, als das böse Prinzip im Stück fungieren. Daher sei es wichtig, dass der Zuschauer kein Interesse an seinen Beweggründen und seiner Vorgeschichte fasse. Ähnliches gelte für Antonio, der als das gute Prinzip „ wie ein Engel “ geschildert werden müsse. 177 Heiberg verlangt hier nicht etwa, die jüdische Figur als solche zu denunzieren, sondern die aus seiner Sicht verlorengegangene Ordnung in Shakespeares dramatischer Welt wiederherzustellen. Die deutlich herausgearbeiteten Gegensätze von Gut und Böse könnten dann, so schlägt Heiberg vor, in einem neu geschriebenen Schlussakt gelöst werden: Endelig maatte femte Act saaledes forandres: Alle de onde Personer omvende sig, og blive skikkelige, især Shylok, rørt over at Lorenzo ikke vil tage imod de ham tildømte Midler, og at Jessica, hos hvem man allerede i Forveien maatte have seet Sorg og Anger over at hun har forladt sin gamle Fader, ikke vil ægte Lorenzo, førend hun har modtaget sin Faders Velsignelse, hvilken hun da til- 175 „ [Shylok] maatte være skildret som en Umenneske, for hvilket vi intet Øieblik føle Beundring, send sige Medlidenhed; han maatte være saa vederstyggelig, at Synet af ham ikke opvækte andet en Had, Afsky og Foragt. Med eet Ord: han maatte være gemeen, istedenfor at han hos Shakespeare er paa en vis Maade sublim. “ (Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 24; 24. März 1828) 176 „ Connexioner med Jøder “ (Schyberg 1937, S. 187 f) 177 Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 25; 28. März 1828 260 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten sidst opnaaer. Paa denne Maade vilde Stykket ende harmonisk, istedetfor at nu Handlingen er ude med 4de Act, og Resten kun dreier sig om Bagateller. Schließlich müsste der fünfte Akt folgendermaßen verändert werden: Alle schlechten Personen bekehren sich und werden anständig, besonders Shylok, gerührt davon, dass Lorenzo die ihm zugesprochenen Mittel nicht annehmen will und dass Jessica, bei der man bereits im Vorhinein die Sorge und das Bedauern, ihren alten Vater verlassen zu haben, gesehen haben muss, Lorenzo nicht heiraten will, bevor sie nicht den Segen ihres Vaters erhalten hat, den sie schließlich bekommt. Auf diese Weise würde das Stück harmonisch enden, statt dass nun die Handlung mit dem vierten Akt vorbei ist und es sich bei dem Rest nur noch um Bagatellen handelt. 178 Heiberg zeigt sich überzeugt, dass diese Änderungsvorschläge einen Gewinn für das Publikum und das Theater darstellten. Er lehnt Shakespeare in seiner Rezension jedoch nicht grundsätzlich ab, vielmehr spricht er sich für weitere Aufführungen von Dramen des berühmten Engländers aus, gerade weil die Schauspieler den Kaufmann von Venedig exzellent dargestellt hätten - was er in einem kurzen Nebensatz abhandelt: „ In dieser Hinsicht ist es sicher wünschenswert, dass wir mehr Lustspiele von Shakespeare auf unserer Bühne zu sehen bekommen, und dass diesen eine ähnlich vorzügliche Ausführung zuteil wird wie dem Kaufmann, in dem besonders Herr Dr. Ryges meisterliche Darstellung allgemein anerkannt ist und daher keiner weiteren Lobesreden bedarf. “ 179 Dass Ryges Ausführung der Rolle keine eingehende Untersuchung und Bewertung erhält, verdeutlicht die Stoßrichtung des Heiberg ’ schen Beitrags. Die tatsächliche Verkörperung des Juden spielt eine untergeordnete Rolle, vielmehr geht es in der Auseinandersetzung um die Frage, wie Shakespeares Drama dem zeitgenössischen Kunstideal angepasst werden kann - Jude hin oder her. Dies mag gerade im Hinblick auf die in Deutschland und England geführten Auseinandersetzungen über die Bedeutung und richtige Darstellungsweise dieses berühmten Bühnenjuden überraschen. Im deutschsprachigen Raum, das haben beispielsweise die Theaterhistoriker Bayerdörfer und Goerden gezeigt, 178 Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 25; 28. März 1828 179 „ I denne Henseende er det vist nok ønskeligt, at vi faae flere af Shakespeares Lystspil at see paa vor Scene, og at der maa blive dem en lige saa fortrinlig Udførelse tildeel, som Kjøbmanden, hvori især Hr. Dr. Rygs mesterlige Fremstilling er almindelig anerkjendt, og trænger ikke til nogen videre Lovtale. “ (Kjøbenhavns flyvende Post, Nr. 25; 28. März 1828) Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 261 gibt es teils heftige Streitigkeiten rund um die Aufführungen des Kaufmann von Venedig, die zuvorderst darum kreisen, auf welche Weise der dargestellte Shakespeare-Jude vor dem Hintergrund einer zunehmenden rechtlichen Gleichstellung der jüdischen Minorität deren Assimilationsbestrebungen untergräbt und damit dem aufklärerischen Auftrag des Theaters zuwiderläuft. 180 Trotz oder gerade wegen dieser Diskussionen avancieren die Aufführungen, in denen die Stars der Theaterwelt wie Kean, Iffland oder Devrient zu sehen sind, zu großen Erfolgen. In Dänemark gibt es hingegen weder Streitigkeiten um die Aufführung - Davids sachte Kritik an Ryges Spiel bezieht sich auf Nuancen und Heiberg rechnet nicht mit den Schauspielern oder dem Theater sondern vielmehr mit dem Autor ab - noch wird der Kaufmann in irgendeiner Hinsicht ein Erfolg. Die starke personelle Verknüpfung des Rollenfaches mit Ryge führt meiner Ansicht nach dazu, dass die Auseinandersetzung über die Bedeutung und richtige Darstellungsweise der Shylock-Figur nicht geführt wird. Dieses zentrale Moment des dänischen Theaters, alle Juden von einem Schauspieler verkörpern zu lassen, noch dazu vom ersten Mann des Hauses, macht die Frage nach einer richtigen beziehungsweise falschen Deutung eines jüdischen Charakters obsolet. In der Wahrnehmung des Publikums als auch der Kritiker verfügt Ryge offensichtlich über das nötige Wissen und handwerkliche Geschick, um jüdische Figuren auf geeignete Weise darzustellen. Sein umfangreiches Juden-Repertoire verhilft ihm somit zu einer Sonderstellung und in Folge dessen fungieren seine Verkörperungen als jüdische Prototypen. Wie sehr er dabei als Instanz wahrgenommen wird, zeigen nicht nur die Rezensionen von Heiberg und vor allem David, überdeutlich wird dies einige Jahre später im Streit um Overskous Komödie Østergade og Vestergade. 181 Im Vorwort zur gedruckten Fassung seines 180 In Wien erwirkt die jüdische Gemeinde ein Aufführungsverbot des Stückes, das erst 1827 unter strengen Vorgaben aufgehoben wird. (Goerden 1992, S. 150) Anlässlich des Frankfurter Kaufmanns schimpft der Heine-Freund und Kritiker Ludwig Börne über die künstlerische Unredlichkeit des Hauptdarstellers, der sich am Ende der Vorstellung für das unmoralische Verhalten des Juden entschuldigt. (Goerden 1992, S. 149 f) Gerade der Gebrauch der jüdischen Sondersprache führt immer wieder zu Auseinandersetzungen auch über die Figur des Shylock hinaus. So kommt es beispielsweise 1798 im Rahmen von Ifflands Gastspiel als Schewa in Cumberlands Der Jude in Berlin zum Konflikt mit Teilen des Publikums wegen des offensiven Gebrauchs der jüdischen Sondersprache, die - so die Kritik - den wahren Stand der jüdischen Emanzipation nicht widerspiegele. (Bayerdörfer 1989, S. 98) 181 Vgl. Kap. 4.4 262 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten Drama geht der Autor und Theaterhistoriker Thomas Overskou auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein, die jüdische Familie in seinem Schauspiel sei unrealistisch dargestellt und zudem für den Gang der Handlung völlig irrelevant. Overskou sieht sich zunächst gezwungen, die Wichtigkeit der Figuren für den Handlungsverlauf herauszustellen und führt in einem zweiten Schritt einen wichtigen Zeugen an, um die glaubwürdige Schilderung der Familie Golz zu beweisen: „ Man hat mir gesagt, dass der große Künstler [Ryge], der den Golz spielt und durch die Ausführung dieses und vieler anderer Juden auf das Unmissverständlichste seine tiefen Kenntnisse des Charakters und der Gebräuche dieses Volkes bewiesen hat, erklärt hat, dass diese Familie gut geschildert sei. “ 182 Offensichtlich wird hier, dass Ryge ob seiner Erfahrung im jüdischen Rollenfach die Kompetenz nicht nur für dessen Darstellung zugesprochen, sondern seine Expertise weit über die Bühne hinaus geschätzt wird. Auf diese Weise fungiert Ryge als Instanz, welche die Qualität des literarischen Produkts zuverlässig bewerten kann. Ein Körper, der so viele Juden auf der Bühne dargestellt hat, so impliziert es der Autor, weiß sich zum einen des theatralischen Werkzeugkasten des Rollenfaches zu bedienen und verfügt aufgrund seiner Erfahrung über fundiertes Wissen, aus dem sich die Autorität des Urteils herleitet. Wer, wenn nicht Ryge, erkennt einen gelungen Juden? Unter diesen Bedingungen spielt Shylock daher - im Übrigen genauso wenig wie Nathan - bei der Verhandlung über die Funktion und „ richtige “ Darstellungsweise jüdischer Figuren im dänischen Theater keine Rolle. Wo im deutschen und englischen Theater diese Komplexe anhand dramatischer Charaktere diskutiert werden, legen am Kongens Nytorv die Schauspieler in ihrem personengebundenen Rollenfach die Standards der Verkörperung fest und werden dabei als Autoritäten akzeptiert. Auf diese Weise verliert Shylock seine Brisanz, er reiht sich in Ryges umfassendes Juden-Repertoire als eine von vielen Rollen ein. Dass der jüdische Protagonist unter diesen Gegebenheiten nicht annähernd (Theater-)Skandal-Potential entwickelt, stellt sich für die Anziehungskraft des Schauspiels dabei als wenig hilfreich dar. 182 „ [M]an har sagt mig, at den store Kunstner [Ryge], som spiller Golz, og som, ved sin Udførelse af denne og mange andre Jøder, paa det umiskjendeligste har beviist sin dybe Kunskab om dette Folks Charakteer og Sæder, har erklæret denne Familie for meget godt skildret. “ (Overskou, Thomas: „ Østergade og Vestergade eller Det er Nytaarsdag i Morgon! “ In: Overskou, Thomas: Comedier. Andet Bind. Kjøbenhavn 1851, S. 1 - 133, hier: S. 11) Shylocks Misserfolg - Ein dänischer Sonderweg 263 5.6 Körper von Gewicht 183 - Und wenn sie nicht gestorben sind, dann „ jüdeln “ sie noch heut Betrachtet man Darstellungen von Juden seit den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts bis in die Mitte des 19. wird deutlich, wie Wahrnehmungen, Repertoire und Verortung dieser Charaktere einer Transformation unterworfen werden. Diese vollzieht sich in Dänemark auf eine spezifische Weise, die gerade mit Blick auf andere europäische Bühnen an Schärfe gewinnt. Für das deutsche Theater lassen sich die Grundparameter einer Rollengeschichte vor allem an der Konstellation Nathan und Shylock festmachen. 184 Diese Pole dienen sowohl dramatischen Arbeiten, schauspielerischen Verkörperungen als auch wissenschaftlichen Auseinandersetzungen als Orientierungspunkte, zwischen denen die jeweiligen jüdischen Figuren verortet werden. Für das englische Theater stellt vor allem Shylock einen Fixpunkt dar, an dem sich letztlich auch die positiv geschilderten Judenfiguren orientieren, indem sie dem tradierten Theaterbild insoweit treu bleiben, als sie es umkehren: Der abgrundtief böse Shylock, so Höfele, spiegele sich im „ abgrundtief gut[en] “ 185 Schewa, was dazu führe, dass die Bühne „ bis Ende des 19. Jahrhunderts das Ghetto einer bedarfsweise lachhaften und schauerlichen Judenkarikatur [bleibt], an der sich ein bequemes Wir-Gefühl des englischen Publikums konsolidieren kann “ . 186 Am Königlichen Theater lassen sich diese Pole, welche die Extrempositionen jüdischer Figuren markieren und zwischen denen eine Bestimmung des Bühnengeschehens stattfinden kann, nicht erkennen. Aufgrund der personalisierten Rollenfachtradition am Kongens Nytorv wird diese Einbettung, wie ich gezeigt habe, unnötig. Der jeweilige Judendarsteller führt in seiner Person die unterschiedlichen textlichen Verortungen zusammen und wird als Instanz begriffen, die eine glaubwürdige Verkörperung 183 Ich benutze hier den deutschen Titel von Judith Butlers Werk Bodies that matters. (Butler, Judith: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts. Berlin 1995) 184 Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Judenrollen und Bühnenjuden. Antisemitismus im Rahmen theaterwissenschaftlicher Fremdheitsforschung. “ In: Bergman, Werner; Körte, Mona [Hrsg.]: Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Berlin 2004, S. 315 - 351, hier: S. 323 185 Höfele 1992, S. 123 186 Höfele 1992, S. 127 264 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten garantiert. Die andernorts üblichen Auseinandersetzungen um die angemessene Darstellung jüdischer Charaktere auf der Bühne erfolgt nahezu ausschließlich im Umfeld der Premiere von Kong Salomon og Jørgen Hattemager. Aber auch dort geht es letztlich um eine ästhetische und dramaturgische Beurteilung des Genres und nicht um die tatsächliche Verkörperung des Protagonisten. 187 Dies unterstreicht einmal mehr, dass durch die personelle Ausgestaltung des Rollenfachs der performative Vorgang des Jüdischseins auf der Bühne kaum thematisiert oder problematisiert wird. Die dauerhaft prominente Besetzung der jüdischen Figuren trägt wesentlich dazu bei, dass deren Verkörperungen kaum hinterfragt werden und zeugt zudem davon, wie die Überlappungen von Rolle und Schauspieler der Rezeption der Bühnenjuden eine wichtige Ebene hinzufügen. Dies führt auch dazu, dass die Auffächerungen des Rollenfaches in den Texten durch die Zusammenführung der dramatischen Charaktere in einer Person geglättet werden und das jüdische Rollenfach als solches bestehen bleibt: Ein Jude ist ein Jude ist ein Jude. Aber in Kopenhagen ist es nicht der messerwetzende venezianische Geldverleiher, der das Bild prägt - vielmehr ein Hochstapler mit einem gestohlenen Löffel, ein (flüsternder) Schuhmacher mit Glücksgaloschen an den Füßen und sondersprachliche Komiker, deren kräftige Stimmen das Haus am Kongens Nytorv erfüllen. Trotz aller gesellschaftlicher Assimilationsbestrebungen bleiben die Juden auf der Bühne sichtbar, das Theater bildet ob seiner Tradition und der damit verknüpften literarischen Vorlagen einen Ort, an dem das Jüdische einfach erkennbar und identifizierbar ist, der sonst nicht immer wahrnehmbare Unterschied zwischen Juden und Nicht-Juden 188 bleibt so erfahrbar und das Publikum kann den klar gezogenen Grenzen (beruhigt? ) vertrauen. Diese zunächst als performative Stigmatisierung erlebte Grenzziehung kann jedoch möglicherweise auch die Kraft entfalten, Integration nicht auf Basis der Assimilation der Minderheit an die Mehrheit zu verstehen. Vielleicht öffnet sich in einem utopischen Moment am Kopenhagener Theater ein Raum von Möglichkeiten: Goldkalb und Palnatoke, Shewa und Hamlet, Ephraim und Jeppe bespielen ebenbürtig die Bretter, 187 Hinzuweisen wäre hier auch auf die literarische Judenfehde, die 1813 über mehrere Monate den hauptstädtischen Diskurs prägt (Vgl. Kap. 4.1), sich jedoch nicht mit dramatischen Charakteren oder deren Darstellung auf der Bühne befasst. 188 Gilman, Sander L.: „ Der jüdische Körper. “ In: Schoeps, Julius; Schlör, Joachim [Hrsg.]: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Frankfurt am Main 1995, S. 167 - 179, hier: S. 167 Körper von Gewicht 265 welche die Welt bedeuten. Deutlich voneinander abgehoben und klar gezeichnet, aber dennoch auf Grund der Personalisierung des Rollenfaches als gleichberechtigte Charaktere - dramatische Körper mit Gewicht. 266 Mit gestohlenen Löffeln und merkwürdigen Dialekten 6. Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden W ährend der Schauspieler Johan Christian Ryge in Kopenhagen als Salomon Goldkalb, Schewa und Vater Golz reüssiert und damit die Tradition, das jüdische Rollenfach prominent zu besetzen, einen Höhepunkt erreicht, hat das norwegische Theaterpublikum kaum Möglichkeiten, diese erfolgreichen Bühnenstücke zu erleben. Anders als in Dänemark oder Schweden, wo die nationalen Bühnen spätestens zum Ende des 18. Jahrhunderts etablierte Größen im gesellschaftlichen Leben darstellen, öffnet das Nationaltheater in Norwegen erst 1899 seine Türen. Die Entwicklungslinien dahin stellen sich weitaus konfliktreicher und verzweigter als in den Nachbarstaaten dar. Die norwegische Bühnenlandschaft im 19. Jahrhundert prägen zuvorderst Gastspielensembles und private Theaterunternehmen, die sich vor allem in der Hauptstadt Christiania, dem heutigen Oslo, ab den 1830er Jahren etablieren. Mit Blick auf die lange gemeinsame Geschichte Norwegens und Dänemarks - von 1380 bis 1814 bilden beide Staaten eine Union - verwundert es kaum, dass bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts die Bühne der norwegischen Hauptstadt dänisch spricht und aus Kopenhagen nicht nur ihr Personal rekrutiert, sondern auch den Spielplan nach dem Vorbild gestaltet. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass die am Kongens Nytorv so populären jüdische Figuren in Christiania eine Seltenheit bleiben. Die oben aufgeführten Charaktere werden nur vereinzelt oder gar nicht gespielt 1 und auch Holbergs Bühnenjuden bleiben vorwiegend - ganz im Gegensatz zu Jeppe oder Vielgeschrei - „ zu Hause “ . 2 1 So spielt das Christiania Theater vor 1849 vereinzelt Dramen mit jüdischen Charakteren. Es lässt sich allerdings aufgrund der schwierigen Quellenlage nicht immer ermitteln, wie viele Vorstellungen dieser Stücke gegeben werden. Als sicher gilt, dass P. A. Heibergs Indtoget drei Mal gespielt wird und Hostrups Gjenboerne ab 1847 auf dem Spielplan steht. Wie viele Aufführungen von Kong Salomon og Jørgen Hattemager sowie Østergade og Vestergade stattfinden, lässt sich nicht feststellen. Einen ausführlichen Überblick über das Repertoire des Theaters seit der Gründung 1827 liefern Trine Næss (Næss, Trine: Christiania Theater forteller sin historie 1877 - 1899. Oslo 2005) sowie Øyvind Anker (Anker, Øyvind: Christiania Theaters Repertoire 1827 - 1899. Fullstendig registrant over forestillinger, forfattere og komponister. Sesongregister. Oslo 1956). 2 Holbergs Komödien werden seit der Eröffnung des Theaters 1827 immer wieder aufgeführt. Dabei ist zu erkennen, dass eine Verengung des Repertoires auf wenige, Ein Blick auf historische Entwicklungslinien mag zunächst als einleuchtendes Erklärungsmodell für diese spezifische Ausformung des Theaters in Norwegen dienen: Per Verfassung verwehrt das Land zu Beginn des 19. Jahrhunderts Juden den Zutritt zum Staatsgebiet. Die fehlende Präsenz im Land, so ein naheliegendes Argument, spiegelt sich auf der Bühne wider. Im Folgenden möchte ich jedoch zeigen, dass gerade in ihrer nahezu vollständigen Abwesenheit den Juden eine wichtige Rolle zukommt. In ihrer augenfälligen Absenz, so meine These, bleiben sie auf spezifische Weise anwesend: Sie fungieren als Orte und Objekte des Geheimen. 3 Anhand eines Beispiels aus der dramatischen Literatur - dem Vaudeville 4 En Jøde i Mandal 5 (Ein Jude in Mandal) des in Dänemark geborenen Schauspielers Adolph Rosenkilde - möchte ich diese Verfasstheit der jüdischen Präsenz in Norwegen zur Mitte des 19. Jahrhunderts und damit einen norwegischen Sonderweg beleuchten, der keineswegs nur die rechtliche Stellung der jüdischen Minderheit betrifft, sondern sich auch performativ manifestiert und dabei genuine Handlungsspielräume generiert. Das Drama zeigt, welche Bilder dem Unbekannten zugewiesen werden, um es verständlich und damit aufführbar zu machen. Das Geheimnisvolle des jüdischen Protagonisten entwickelt sich bereits mit einem Blick auf die Dramatis Personae, unter denen er nicht auftaucht. Die gleichzeitige An- und Abwesenheit des Titelhelden wird damit bereits als Leerstelle in das Personenverzeichnis eingeschrieben. Aus dieser Beobachdafür umso häufiger aufgeführte Dramen stattfindet. Jeppe paa Bjerget erlebt bis zur Eröffnung des Nationaltheaters 1899 100 Aufführungen, Den Stundesløse 60, Den politiske Kandestøber 52, Erasmus Montanus 40. Die Stücke, in denen jüdische Charaktere figurieren, werden nur in verschwindend geringen Ausmaßen beziehungsweise gar nicht aufgeführt: Mascaraden läuft 13 Mal, Huus-Spøgelse eller Abracadabra neun Mal, Diederich Menschenschreck (norwegische Schreibweise) acht Mal und Ulysses von Ithacia drei Mal. (Sommerfeldt, Wilhelm Preus: Ludvig Holbergs opførelser på Christiania Theater 1827 - 1899. Oslo 1954) 3 Im Rahmen der 22. Internationalen Sommerakademie des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs in Wien hatte ich erstmals die Möglichkeit, diese Ideen vorzustellen. Der interdisziplinäre Austausch über das Thema „ Juden und Geheimnis “ hat in besonderer Weise das Kapitel zu Norwegen bereichert. (Räthel, Clemens: „ Gibt es denn hier niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? Adolf Rosenkildes Drama Ein Jude in Mandal (1848) und die Auseinandersetzungen um die rechtliche Stellung der Juden in Norwegen. “ In: Oberhauser, Claus [Hrsg.]: Juden und Geheimnis. Interdisziplinäre Annäherungen. Innsbruck 2015, S. 51 - 65) 4 Mit den Charakteristika des Vaudevilles, seiner Popularität, musikalischen Ausformung und thematisch aktuellen Bezügen beschäftige ich mich in Kap. 4.3. 5 Rosenkilde, Adolph: En Jøde i Mandal. Vaudeville i een Act. Christiania 1849. Im Folgenden: En Jøde 268 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden tung leite ich die These ab, dass es mit Hilfe des Theaters möglich wird, diskursiv relevante Bilder des Jüdischen sichtbar zu machen, sowie der Frage nachzugehen, welche Vorstellungen und Narrative virulent sein müssen, damit in einem Land ohne Juden diese auf der Bühne verstanden werden und Handlungsrelevanz entwickeln können. So schärft Rosenkildes Vaudeville - auch als zugegebenermaßen recht kleine Episode - den (Forschungs-)Blick auf die Vielfalt jüdischer Charaktere in den skandinavischen Ländern. In einem ersten Schritt werde ich untersuchen, welcher Bilder sich Rosenkilde in seinem Drama bedient, um das Unbekannte zu visualisieren; gefragt werden soll nach der ästhetischen und gesellschaftlichen Bedeutung eines performativen Experimentierens mit Markierungen des Anderen. In einem zweiten Schritt lese ich Rosenkildes Vaudeville als politische Stellungnahme vor dem Hintergrund der norwegischen Debatten um die rechtliche Stellung der Juden und verorte es zudem im zeitgenössischen Theaterkontext. Abschließend werde ich zeigen, wie Brechungen und Verschiebungen in den jüdisch konnotierten Zeichen einen semiotischen Vertrauensverlust evozieren. 6.1 „ Gibt es niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? “ 6 - (Theater-)Geheimnisse Am 19. Januar 1849 feiert in Christiania Adolph Rosenkildes Vaudeville En Jøde in Mandal Premiere und sorgt schon bei der Uraufführung für einige Aufregung. 7 Das Stück beginnt damit, dass eine Kleinstadt an der Südspitze Norwegens - jenes titelgebende Mandal - Kopf steht. Irgendetwas muss geschehen sein, das die Bürger aus der Ruhe bringt, ja sogar in Angst und Schrecken versetzt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Einwohner im Stich gelassen fühlen, da keine der lokalen Autoritäten verfügbar scheint. Der Vogt, eine Art Bürgermeister, ist verreist, den Pfarrer plagen die Röteln und er muss das Bett hüten, der Küster ist zum Fischen aufs Meer gefahren, der Kaufmann zu einer Parlamentssitzung in die Hauptstadt und selbst die Hebamme, die doch „ die Einzige ist, auf die man sich in kritischen 6 „ Er der da Ingen, som veed hvordan en Jøde seer du? “ (En Jøde, S. 15) 7 Mendelsohn, Oskar: Jødenes historie i Norge gjennom 300 år. Bind 1, 1660 - 1940. Oslo 1969, S. 256 Gibt es niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? “ 269 Situationen verlassen kann “ , 8 hält sich außerhalb der Stadt auf. Nur noch der Schreiber Bøhme und Gnaverud, in Personalunion Kaufmann, Gastwirt und Vertreter der örtlichen Fährschiffagentur, werden als Autoritäten wahrgenommen und sollen die Situation unter Kontrolle bringen. „ Was ist passiert? “ , fragt man sich auch im Stück allerorten. Die Bürger werden mobilisiert, um sich in der Gastwirtschaft Gnaveruds zu versammeln, nur dessen Frau Karen scheint von der ganzen Aufregung nichts mitbekommen zu haben. Ihr Gatte ist allerdings zu beschäftigt, um ihre drängenden Fragen zu beantworten, und so ergeht sie sich gemeinsam mit den Ankommenden in wilden Mutmaßungen, welche die Zuschauer das Schlimmste befürchten lassen: Sind die Russen im Anmarsch? Ist die Vögtin in Abwesenheit ihres Gatten niedergekommen? Sind irgendwo Sklaven ausgebrochen? Schließlich kommt in zahlreicher Begleitung der Schreiber Bøhme, der das Geheimnis, also den Grund für die gemeinschaftliche Ausnahmesituation kennt, in den Gasthof. Vor Überforderung und Aufregung bringt er zunächst kein Wort über die Lippen, weist dann jedoch die angestellten Spekulationen zurück und erklärt, dass weit Schlimmeres zu erwarten sei. Die Verunsicherung der Stadtbevölkerung steigert sich schließlich in reine Verzweiflung. Die versammelte Bürgerschaft steht singend vor Bøhme, der einer Ohnmacht nahe langsam und stotternd jenen Brief verliest, der Klarheit bringen soll. Es handelt sich dabei um ein Schreiben eines nicht näher bezeichneten königlichen Beamten, also wichtige Post aus der Hauptstadt, die Handlungsanweisungen für die vermeintlich prekäre Situation enthält. Der Brief im Wortlaut: „ Deres Velædelhed! / . . . / [Jeg] tillader mig herved tjenstlig at anmelde / . . . / at jeg, som nu i Løbet af otte Dagar forgjeves har ladet anstille Efterforskninger / . . . / for at komme paa Spor efter en høist fordægtig Person, som allerede i nogen Tid ukjendt har opholdt sig heromkring og indjaget Folk, fornemmelig Handelsstanden, Uro og Bekymring ved sin Nærværelse, / . . . / har bragt i Erfaring, at bemeldte Person for Tiden ganske bestemt opholder sig i Mandal, for at trænge videre ind i Landet, og muligen til Kongsberg, hvilket er saameget mere foruroligende paa en Tid, da Tropperne ligge i Skaane, og Landet saaledes er uden Beskyttelse. Jeg haaber, at De vil anvende al Flid paa Subjectets 8 „ Gjordemoderen, som er den Eneste man kan stole paa i et critisk Øieblik, er i Praxis. “ (En Jøde, S. 6) 270 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden Paagribelse. Han lyder Navnet Israel Levi, hvilket ogsaa hans Papirer skulle udvise, er Probenreuter af Bedrift og bekjender sig til den mosaiske Tro - ja, Herr Foged - en Jøde! / . . . / P. S. Saasnart De har paagrebet Jøden, har De øieblikkelig at expedere ham sendt med første Dampbaad ud af Landet! “ 9 „ Euer Ehren, / . . . / ich will mir erlauben, dienstlich an Sie heranzutreten. / . . . / Ich habe in den letzten acht Tagen vergeblich Nachforschungen anstellen lassen, / . . . / um einer höchst verdächtigen Person auf die Spur zu kommen, die sich schon seit einiger Zeit unerkannt in der Gegend aufhält und die Bevölkerung, vornehmlich Händler, in Unruhe und Sorge versetzt, / . . . / ich habe in Erfahrung gebracht, dass sich diese unbekannte Person mit großer Sicherheit zur Zeit in Mandal aufhält, um weiter ins Landesinnere vorzudringen, möglicherweise gar bis Kongsberg, was umso beunruhigender ist, da unsere Truppen gerade in Schonen 10 liegen und das Land somit völlig ohne Schutz ist. Ich hoffe, Sie werden all Ihre Geschicklichkeit aufbringen, um dieses Subjekt zu ergreifen. Es hört auf den Namen Israel Levi, auf den auch seine Papiere ausgestellt sein sollten, ist Faulpelz 11 von Beruf und bekennt sich zum mosaischen Glauben - ja, Herr Vogt - ein Jude! / . . . / PS: Sobald Sie den Juden ergriffen haben, müssen Sie ihn augenblicklich expedieren und mit dem nächsten Dampfschiff außer Landes schaffen. “ Die Zuhörer fahren erschrocken auseinander und niemand ist bereit, dem armen Schreiber zu helfen, sich der vermeintlichen Herkulesaufgabe anzunehmen, den Juden zu ergreifen und - wie es das Schreiben fordert - auf das nächste Dampfschiff zu eskortieren und nach Dänemark abzuschieben. Die Bedrohung stellt sich als noch existentieller dar, wenn man bedenkt, dass es sich bei dem im Brief erwähnten Kongsberg um eines der wichtigen Bergbauzentren Norwegens handelt, das mit seinen im 17. Jahrhundert eröffneten Silberminen in nicht unbeträchtlichem Maß den norwegischen Staatshaushalt finanziert. 12 Es geht nicht mehr nur um Mandal - nein, das ganze Land schwebt in Gefahr! Eine nahezu verwegen gezeichnete Bürgerin wagt schließlich doch zu fragen, was denn das Problem sei, schließlich bräuchte man den Juden nur 9 En Jøde, S. 11ff 10 Schonen (Skåne) ist der südliche Teil Schwedens. Dass norwegische Truppen dort zu finden sind, liegt darin begründet, dass Norwegen von 1814 bis 1905 in einer Union mit Schweden vereint ist. 11 Der dänische Begriff „ Probenreuter “ dient als Schimpfwort für deutsche Händler sowie für als wenig tüchtig empfundene Personen. 12 Tuchtenhagen, Ralph: Kleine Geschichte Norwegens. München 2009, S. 88 f Gibt es niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? “ 271 zu fassen, das Dampfschiff würde im Verlaufe des Tages eintreffen und die Angelegenheit sich nahezu von selbst erledigen. Der Ärger des Schreibers trifft sie mit voller Wucht: So einfach ginge das nicht. Zum einen besitze der Jude eine unglaubliche körperliche Stärke, schließlich habe ein einziger von ihnen 4.000 Philister allein mit einem Kiefernknochen erschlagen. Zum anderen - und hier stellt sich das noch viel größere Problem - müsse man ihn zuvorderst identifizieren. Und niemand in der ganzen Stadt scheint bisher Kontakt zu einem Juden gehabt zu haben, woraufhin der Schreiber verzweifelt ausruft: „ Gibt es denn hier niemanden, der weiß, wie ein Jude aussieht? “ 13 Als Antwort erhält er ein vielstimmiges „ Nein! “ . Die Angst dem Unbekannten gegenüber nimmt daraufhin groteske Formen an, der Schreiber vermutet sogar, dass die Furcht vor dem Juden Mensch und Tier aus der Stadt vertreiben könnte. „ Hätten wir doch nur Militär vor Ort, mir zittern die Knie und der Angstschweiß bricht mir aus! “ 14 ist alles, was er voller Verzweiflung noch hervorbringt. Seine Beteuerungen, sich aus reiner Vaterlandsliebe in den Kampf gegen den übermächtig erscheinenden Gegner zu werfen, klingen weniger nach Mut als vielmehr wie eine Beschwörung: „ Sie sollen bloß nicht glauben, liebe Mitbürger, dass ich Angst habe; nein! He, he! Ich habe keine Furcht, es ist Patriotismus! Ich verachte die Gefahr für mich selbst, aber ich fürchte um das Vaterland! “ 15 Deutlich wird hier, dass die Verbindung aus physischer Abwesenheit und diskursiver Präsenz eine Sphäre des Geheimen beziehungsweise Geheimnisvollen generiert, die dem Juden besondere Kräfte und Charakteristika zuschreibt, welche sich für die Gesellschaft als potenziell gefährlich erweisen. Daniel Jütte hat in anderen Zusammenhängen darauf hingewiesen, dass das Geheimnis nicht nur durch seine inhaltliche Aufladung wirkmächtig ist, sondern gleichzeitig auch auf Grund der aus seinem bloßen Vorhandensein erwachsenden Handlungsmuster. Dass die Dramatis Personae in En Jøde i Mandal um das Geheimnis wissen - es jedoch nicht kennen - und ihr Tun danach ausrichten, zeugt davon, dass die „ prinzipielle Wißbarkeit “ des Geheimnisses ein wichtiges Kriterium seiner Existenz darstellt. 16 13 „ Er der da Ingen, som veed hvordan en Jøde seer du? “ (En Jøde, S. 15) 14 „ Bare man dog havde her / En lille Smule Militair - / Gud, hvor skjælve mine Knæer; / Pf - jeg sveder Angstens Sved. “ (En Jøde, S. 15) 15 „ De maae ikke troe, mine Medborgere, at jeg er bange; nei! He, he! det er ikke Frygt jeg nærer, det er Patriotisme. Jeg foragter Faren for mig selv, men jeg skjælver for mit Fædrelande, jeg - “ (En Jøde, S. 16) 16 Jütte, Daniel: Das Zeitalter des Geheimnisses. Juden, Christen und die Ökonomie des Geheimen (1400 - 1800). Göttingen 2011, S. 20 272 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden Wie kann es nun aber sein, dass ein einzelner Jude im Jahr 1849 in einer Stadt (oder wie hier auf einer Bühne) solch Schrecken auslösen und - wie sich noch zeigen wird - durch seine bloße Anwesenheit, genauer gesagt eigentlich durch seine Abwesenheit, seine Unauffindbarkeit zu einer Reihe unglaublicher Verwicklungen Anlass geben kann? Welche Geheimnisse birgt einer, der durch sein bloßes Dasein scheinbar einen ganzen Staat bedroht? Diese Fragen erscheinen umso dringender, wenn sie vor dem historischen Hintergrund betrachtet werden, denn Norwegen ist zum Zeitpunkt der Premiere des Theaterstückes 1849 tatsächlich ein Land ganz ohne Juden. 6.2 Die „ Judenfrage “ in der norwegischen Verfassung Norwegen ist über viele Jahrhunderte kein eigener, souveräner Staat: Seit 1380 gehört es zu Dänemark und wird von dort regiert. Dies ändert sich erst in Folge der Napoleonischen Kriege, in denen Dänemark auf französischer Seite kämpft und daher im Frieden von Kiel im Jahr 1814 erhebliche Zugeständnisse machen muss. Im Zuge dieser territorialen Umgestaltung (Nord-)Europas wird Norwegen dem schwedischen König zugesprochen. 17 Die Norweger weigern sich zunächst, diesen Friedensvertrag anzuerkennen und kämpfen für ihre Unabhängigkeit. Eindrucksvollster Beweis dafür ist das in kürzester Zeit erstellte neue Grundgesetz - die Verfassung von Eidsvoll, die bis heute mit nur wenigen Änderungen Gültigkeit besitzt. Diese Verfassung ist stark von den Freiheitsrechten ihrer französischen und amerikanischen Vorbilder beeinflusst, verwebt diese mit norwegischen Rechtstraditionen 18 und gilt zum damaligen Zeitpunkt als eine der modernsten und liberalsten Europas, ja sogar der Welt. 19 Letztlich muss sich Norwegen aber dem militärischen Druck Schwedens beugen und in die Union mit dem Nachbarn einwilligen. Es gelingt jedoch, die Eidsvoll- 17 Dänemark darf Grönland, Island und die Färöer behalten, weil dem dänischen Unterhändler der Beweis gelingt, dass diese Gebiete nie zu Norwegen gehört hätten. Es bekommt zudem Südpommern und Rügen von Schweden und muss Helgoland an die Briten abtreten. (Petrick, Fritz: Norwegen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Regensburg 2002, S. 115 ff) 18 Tuchtenhagen 2009, S. 104 19 Sagmo, Ivar: „ Der Judenartikel in der norwegischen Verfassung von 1814 in der Sicht deutscher Kommentatoren. “ In: Sirges, Thomas; Schöndorf, Kurt Erich [Hrsg.]: Haß, Verfolgung und Toleranz. Beiträge zum Schicksal der Juden von der Reformation bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 2000, S. 73 - 87, hier: S. 79 f Die „ Judenfrage “ in der norwegischen Verfassung 273 Verfassung mit nur kosmetischen Anpassungen zu erhalten, was zur Folge hat, dass dem norwegischen Parlament (Storting) deutliche Gestaltungsmöglichkeiten bleiben und lediglich die Außen- und Verteidigungspolitik von Stockholm bestimmt werden. 20 Erstaunlich an der neuen Verfassung mutet an - gerade auch im Hinblick auf die oben genannten Vorbilder - wie stark an prominenter Stelle die Religionsfreiheit eingeschränkt wird. Der zweite Paragraph lautet: § 2. Den evangelisk-lutterske Religion forbliver Statens offentlige Religion. De Indvaanere, der bekjende sig til den, ere forpligtede til at opdrage sine Børn i samme. Jesuitter og Munkeordener maae ikke taales. Jøder ere fremdeles udelukkede fra Adgang til Riget. 21 § 2. Die evangelisch-lutherische Religion bleibt die offizielle Religion des Staates. Alle Einwohner, die sich dazu bekennen, sind verpflichtet, ihre Kinder in derselben zu erziehen. Jesuiten und Mönchsorden dürfen nicht geduldet werden. Juden ist weiterhin der Zugang zum Reich verwehrt. Die Verfügung, dass die lutherische Kirche als Staatsreligion fungiert, stellt einen in den skandinavischen Ländern durchaus üblichen Vorgang mit langer Tradition dar. Schweden hat diese feste Verbindung zwischen Staat und Kirche erst Anfang 2000 aufgehoben, Norwegen nach langwierigen Diskussionen im Mai 2012, in Dänemark besteht die Union zwischen Staat und Kirche weiterhin fort. Das Verbot jüdischer Präsenz im Land hingegen steht im scharfen Kontrast zur Politik der Nachbarländer. In Dänemark erlangen die Juden 1814 das nahezu volle Bürgerrecht, nachdem bereits seit den 1790er Jahren eine schrittweise Angleichung begonnen hat. 22 Im benachbarten Schweden werden den ansässigen Juden zwar erst 1870 die uneingeschränkten Staatsbürgerrechte zugesprochen, doch zumindest erhalten sie dort bereits 1778 die Erlaubnis, sich in eingeschränktem 20 Petrick 2002, S. 112 21 Constitution for Kongeriget Norge. 1814 22 Blüdnikow, Bent; Jørgensen, Harald [Hrsg.]: Indenfor murene. Jødisk liv i Danmark 1684 - 1984. Udgivet af Selskabet for dansk-jødisk historie, i anledning af 300-året for grundlæggelsen af Mosaisk Troessamfund. København 1984, S. 76 ff (Vgl. Kap. 4.1) 274 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden Umfang niederzulassen und bestimmten Tätigkeiten nachzugehen. 23 In Norwegen erfolgt hingegen die Institutionalisierung des Aufenthaltsverbots für Juden, das zudem auch streng befolgt wird. Die Hintergründe für die Einführung des „ Judenparagraphen “ sind unterschiedlich interpretiert worden. Einige Forscher gehen davon aus, dass es sich zuvorderst um ein Missverständnis oder eine Zufälligkeit handelt. 24 Sie argumentieren, dass damit lediglich die Forderung nach einem Geleitbrief für Juden aufrechterhalten werden sollte. 25 Andere wiederum betonen, dass es sich gerade vor dem Hintergrund der Entwicklung im übrigen Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts kaum um ein Versehen oder einen „ Arbeitsunfall “ gehandelt haben könne. Vielmehr sei der norwegische Sonderweg so eklatant sichtbar, dass ein Bruch mit den europäischen Entwicklungen wissentlich gestaltet wird. 26 Nachvollziehen lässt sich, dass in den Beratungen zur Eidsvoll-Verfassung eine Vielzahl unterschiedlicher Standpunkte ausgetauscht wird. Zu den Verfechtern einer absoluten Religionsfreiheit gehören beispielsweise Vertreter der Kirche, Gegner befürchten vor allem wirtschaftliche Nachteile durch jüdische Einwanderung, wieder andere wollen den Zuzug strengen Regeln unterwerfen und so beispielsweise nur wohlhabenden und gebildeten Juden Zugang nach Norwegen gewähren. Deutlich wird, dass der „ Judenfrage “ keineswegs ausschließlich religiöse Motive zugrunde liegen. Aus den Berichten über die Konstitutionsverhandlungen geht hervor, dass vor allem sozial begründete Vorurteile und Furcht vor ökonomischen Nachteilen als ausschlaggebende Argumente in der Debatte angeführt werden. Die Angst bleibt, dass die Einwanderer die unsichere Lage in Folge des Krieges und der britischen Handelsblockade dazu nutzen könnten, wirtschaftlichen Einfluss zu gewinnen. 27 Rosenkilde greift dies in seinem 23 Haxen, Ulf: „ Skandinavien. “ In: Kotowski, Eke-Vera; Schoeps, Julius H. [Hrsg.]: Handbuch zur Geschichte der Juden in Europa, Bd. 1: Länder und Regionen. Darmstadt 2001, S. 487 - 500, hier: S. 497 (Vgl. Kap. 7.4) 24 Mendelsohn 1969, S. 42 - 49; Harket, Håkan: „ Danmark-Norge: Jødenes adgang til riket. “ In: Eriksen, Trond Berg et al. [Hrsg.]: Jødehat. Antisemittismens historie fra antikken til i dag. Oslo 2009, S. 207 - 232, hier: S. 207 f 25 1687 erlässt der dänisch-norwegische König Christian V. ein Gesetz, das bis 1814 Gültigkeit besitzt und den Zugang jüdischer Händler nach Norwegen regelt. Juden dürfen demzufolge nur mit Geleitbrief nach Norwegen einreisen. Für den Fall, dass dieser nicht vorgewiesen werden kann, werden empfindliche Geldstrafen verhängt. 26 Skorgen, Torgeir: „ Toleransens grenser. Wergeland og jødeemansipasjonen i Europa. “ In: Agora. Journal for metafysisk spekulasjon. Nr. 1 - 2, 2010. Oslo 2010, S. 56 - 88, hier: S. 57 27 Mendelsohn 1969, S. 48 f Die „ Judenfrage “ in der norwegischen Verfassung 275 Drama auf: Nicht gerade diskret spielt der eingangs erwähnte Brief des königlichen Beamten eben auf die ökonomischen und nicht die religiösen Aspekte an, indem es besonders Händler sind, die der Fremde in Angst und Schrecken versetzt. So nimmt das Geheimnisvolle nicht nur in der (Un-) Bekanntheit des Juden seinen Ausgang - es etabliert sich auch auf der Folie seines für die dramatischen Charaktere nicht erklärbaren professionellen Erfolgs. Auf diese Weise rückt En Jøde i Mandal nicht nur das Geheimnis selbst als Objekt in den Fokus, sondern das Drama verdeutlicht auch, wie sehr das Geheimnis Handlungsräume gestaltet, da es, wie Jütte hervorhebt, nicht „ künstlich vom Modus des Handelns / . . . / , den es generiert, getrennt werden [kann]. “ 28 Der erste Verfassungsentwurf enthält den „ Judenparagraphen “ überraschenderweise nicht, erst auf Drängen des Prinzregenten Christian Frederik findet dieser Abschnitt seinen Weg in die letztlich gültige Verfassung. 29 Nun bewirkt dieser Paragraph keineswegs einen großen Aufschrei oder jüdischen Exodus aus Norwegen. Ganz im Gegenteil passiert zunächst überhaupt nichts, denn es gibt auch vorher keine Juden in diesem Teil Skandinaviens. Abgesehen von der Bitte um die Ausstellung eines Geleitbriefes, die zwei Juden zur Mitte des 17. Jahrhunderts an den dänischen König richten, sowie der Erwähnung eines jüdischen Händlers in Trondheim im Jahr 1690 ist über jüdische Ansiedlungen in Norwegen während des 17. und 18. Jahrhunderts praktisch nichts bekannt. Die Tatsache, dass es in Norwegen zum Zeitpunkt der Ausarbeitung der neuen Verfassung gar keine Juden gibt, erweitert die Diskussionen um den Paragraphen 2 um eine zusätzliche Komponente. Hier wird etwas verboten, das es nicht gibt, ein Unbekanntes dadurch als solches „ wißbar “ gemacht und auf diese Weise als Geheimnis etabliert. Wie im Drama En Jøde i Mandal passiert es allerdings nach 1814 immer wieder, dass Juden - meist ohne Kenntnis der geltenden Gesetzeslage - nach Norwegen kommen, was sich als folgenreich für die Betroffenen darstellt, da der unerlaubte Aufenthalt mit Gefängnis und Bußgeldern bestraft wird. 30 Das augenfälligste Beispiel für die strikte Einhaltung des Einreiseverbots für Juden ereignet sich im Dezember 1817, als ein Schiff vor der Küste Norwegens havariert und sich unter den Gestrandeten auch ein polnischer Jude befindet. Dieser wird umgehend und unter Polizeiaufsicht 28 Jütte 2011, S. 20 29 Mendelsohn 1969, S. 42 - 49 30 Mendelsohn, Oskar: Jødene i Norge. Historien om en minoritet. Oslo 1992, S. 16 276 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden zunächst nach Bergen, dann nach Christiania und schließlich ins schwedische Göteborg abtransportiert. 6.3 Nur ein gefangener Jude ist ein guter Jude Ein Land - keine Juden. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund erscheinen das Bedrohliche und Geheimnisvolle des vermeintlichen Eindringlings in Rosenkildes Vaudeville sowie die sich daraus ergebenden grotesken Ängste und Übertreibungen der handelnden Charaktere in einem neuen Licht. Die Bewohner Mandals stehen im Drama nun vor der Frage, wie man den Juden außer Landes bringen soll, wenn man noch nie einen gesehen hat. Anders gefragt: Wie soll man ein Geheimnis verraten, das man nicht kennt - von dem man nur weiß, dass es existiert? Die vermeintliche Lösung tritt in der Person des Studenten Hermann Vold auf, der zur allgemeinen Erleichterung etwas Licht ins Dunkel bringen kann, denn er hat den gesuchten Juden offenbar gesehen. Dass er ihn nicht gleich ergriffen hat, wird ihm als unpatriotisch ausgelegt, nichtsdestotrotz kann er wenigstens eine Art Phantombild liefern, eine Beschreibung des Unbekannten: „ Er ist ähnlich groß wie ich, langer Bart, grüne Brille. Ansonsten sieht er aus wie jeder andere auch. “ 31 So überrascht es kaum, dass zur Mitte des Dramas die Bevölkerung anhand dieser Beschreibung den Juden ergreifen kann und Bøhme sich an der Spitze des Zuges voller Stolz und Erleichterung auf den Weg zu seinem Freund Gnaverud macht. Dieser bemerkt ihn schon von fern und vermutet, dass der Fremde nun endlich aufgespürt sei, sähe es allerdings lieber, dass sein Haus verschont bliebe. „ Hol mich der Teufel, so einen will ich nicht einmal mit einem Feuerhaken berühren! “ 32 Als sich die Einwohner mit dem gefangenen Juden dem Haus Gnaveruds nähern, betrachtet der dort einquartierte dänische Gast Ugeløse das Spektakel, wendet sich an den Hausherren und fragt ungläubig: „ Geht man hierzulande auf die Jagd nach Juden, wie nach Wölfen oder Bären? “ 33 Scheinbar mit den Verhältnissen in Norwegen nicht vertraut, muss er sich erklären lassen, dass sobald ein Jude ergriffen werde, man ihn schleunigst außer Landes zu schaffen habe. Der dänische Gast 31 „ Omtrent som jeg af Høide. Stort Skjæg, grønne Briller. Forresten som et andet Menneske. “ (En Jøde, S. 22) 32 „ Jeg vil Død og Pine ikke røre ved saadan En med en Ildtang. “ (En Jøde, S. 79) 33 „ Gaaer man paa Jagt her i Landet efter Jøder, ligesom efter Ulve og Bjørne? “ (En Jøde, S. 78) Nur ein gefangener Jude ist ein guter Jude 277 merkt daraufhin süffisant an, dass unter diesen Umständen Juden wohl zu einem Hauptexportartikel Norwegens avancierten. Hier thematisiert Rosenkilde den Gegensatz zwischen beiden Ländern hinsichtlich der Frage der rechtlichen Stellung der Juden offensiv: Der aufgeklärte Däne steht als Symbol für einen Staat, dem die Integration der jüdischen Minderheit, deren rechtliche Gleichstellung und Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft gelungen scheint. Dem norwegischen Publikum wird gleichzeitig die eigene Rückständigkeit sowie die Verhaftung in überkommenen und lächerlich anmutenden Juden(angst-)bildern vor Augen geführt. Aber Ugeløse, der gute Däne, ist dann doch kein Heiliger. Zwar hat er keine Einwände gegen Juden, jedoch, wie sich herausstellt, gegen Norweger. Hier kennt seine Toleranz merkliche Grenzen - zumindest sobald es um seine Tochter Emilie geht. Diese hat sich in eben jenen norwegischen Studenten Vold verliebt, der wie oben geschildert den Juden gesehen und beschrieben hat. Ein mittelloser Student, noch dazu Norweger, ist aus Sicht Ugeløses nun wahrlich keine Partie für (s)eine dänische Bürgerschönheit. Schließlich betritt der lang gesuchte und endlich gefasste Jude erstmals die Bühne. Deutlich erkennbar entspricht das von Vold gezeichnete Phantombild der Wahrheit: Ein Mann mit langem Bart und grüner Brille. In einer Art Festzug feiern die Bürger sich selbst und besingen stolz ihre Heldentat: Mandal wird es in die Zeitung schaffen, als letztes Bollwerk gegen den Feind. Hvilken Ære for vor By! Mandal komme ska i Rye - Hedning og Mahomedan Selv Jøder trodser man. 34 Welch ein Ruhm für uns ’ re Stadt! Mandal wird umjubelt sein - Heide und Mohammedan Selbst den Juden trotzt man. Besonders Bøhme, der eingangs so ängstliche Schreiber, brüstet sich mit seinem Kampfesmut und wird von seinen Mitstreitern in den höchsten Tönen gelobt. Sie besingen, dass er „ tapfer standgehalten “ und „ wie ein 34 En Jøde, S. 79 f 278 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden Löwe Tod und Blut getrotzt “ habe. 35 Bøhme verspricht im Gegenzug seinen Helfern, ihren Einsatz den königlichen Beamten detailliert zu schildern. Ganz gegensätzlich wird der gefangene Juden gezeichnet, sein erster Satz lautet: „ Sey barmherzig - lass mich laufen - Ich lasse mich sogleich auch taufen! “ 36 Die euphorisierten Bürger verbieten ihm das Wort, mahnen sich gegenseitig zur Wachsamkeit dem Gefangenen gegenüber und bedrängen ihn solange, bis er vorn an der Bühnenkante zum Stehen kommt. Er bittet immer wieder um Erbarmen und Nachsicht ( „ Ohne Rettung hier ich stehe - Gnade, Gnade! hørt, ich flehe! “ 37 ) und zetert sich über die Bühne. Auffällig bedient er sich durchweg einer Sondersprache, die dem seit Holberg auf der Kopenhagener Bühne etabliertem Modus nachempfunden ist. 38 Sie besteht aus einer Mischung von teils falschem Dänisch-Norwegisch sowie Deutsch, wird dabei aber von allen offensichtlich verstanden. Lediglich der dänische Gast hat Mitleid mit dem „ armen Juden, den sie außer Landes treiben wollen “ 39 und versucht unter Zuhilfenahme seines (rudimentären) deutschen Wortschatzes sich mit ihm zu verständigen. Glücklicherweise stellt sich heraus, dass der Jude ausreichend norwegisch spricht und so Ugeløse von seinen langen Reisen und seiner ständigen Flucht, die sicher nicht ungewollt in einem Ahasverus-Narrativ verortet wird, 40 berichten kann. Jeg skal sige Dem, min Herr - ich kam hertil i en saa giselig Geschwindigkeit. Ich war in Frühjahr in Paris - in Geschäfte - so kam den forskrækkelige Revolution - je maatte flichte over Hals og Hode - men Revolutionen rendte s ’ gu efter mig. Hvor jeg kom hen - var Revolution. Ich war in Berlin - Revolution! - ich kam nach Wien - Revolution! Och da jeg so flichtede tilbage til Berlin igjen, so war der baade Revolution og Cholera morbus - nu kan De tænke Dem. Det nyttede ikke hvor jeg flichtede hen. Hvor jeg gik und hvor jeg stod - havde jeg Revolutionen under den ene Arm, och Cholera morbus under den anden. / . . . / Jeg har været forfulgt som den evige Jede. / . . . / Na - so heerte jeg i 35 „ Bøhme: Det skal rygtes i vort Land! / Bøhme tappert jo holdt Stand? Chor: Som en Løve Manden stod, / Og trodsed Død og Blod. “ (En Jøde, S. 80) 36 „ Sey barmherzig - lad mig løbe - / Jeg skal strax mid lade døbe. “ (En Jøde, S. 80) 37 En Jøde, S. 81 (Hier handelt es sich um das Original, Rosenkilde lässt die jüdische Figur an dieser Stelle nur deutsch sprechen.) 38 Vgl. Kap. 2 39 „ Men jeg har ordentlig Ondt af den stakkels Jøde, som de drive ud af Landet. “ (En Jøde, S. 83 40 Ausführlicher mit dem Ahasverus-Mythos und dessen Darstellung auf der dänischen Bühne beschäftige ich mich in Kap. 4.6 und 5.4. Nur ein gefangener Jude ist ein guter Jude 279 Traverminde, at det norske Sturthing hade inviteret Jederne til at komme ind i Landet. Jeg blev so fernøiet, und so reiste jeg strax hertil. Man hade mig forsikkret, at der slet ikke var Revolution her. Na - jeg kom til Christiania. Tænk Dem nu min sture Ferbauselse - jeg skulde natürlichviis betragte Biens Merkwürdigheder - jeg gick op paa Sturthinget, und - Gott strafe mich, dersom jeg liver - jeg, Israel Levi, stod paa Galleriet dengang Jederne dumpede igjennem. De kan tænke Dem min Forskrækkelse. Na - jeg vilde flichte til Sverrig, men saa tog jeg Feil af Veien, - und so kam jeg til Mandal. 41 Ich sage Ihnen, mein Herr - ich kam hierher in einer rasenden Geschwindigkeit. Ich war im Frühjahr in Paris - in Geschäften - da kam die schreckliche Revolution - ich musste Hals über Kopf flüchten - aber die Revolution rannte mir hinterher. - Wohin ich auch kam - war Revolution. Ich war in Berlin - Revolution! - ich kam nach Wien - Revolution! Und als ich dann wieder zurück nach Berlin floh, so war dort sowohl Revolution als auch Cholera - stellen Sie sich vor! Es nützte nichts, wo ich auch hin floh. Wo ich ging und wo ich stand - hatte ich die Revolution unter dem einen Arm und die Cholera unter dem anderen. / . . . / Ich war verfolgt wie der ewige Jude. / . . . / Na - dann hörte ich in Travemünde, dass das norwegische Storting die Juden eingeladen hatte, ins Land zu kommen. Ich war sehr erfreut und reiste sofort hierher. Man hatte mir auch versichert, dass es hier überhaupt keine Revolution gäbe. Na - dann kam ich nach Christiania. Denken Sie sich nun mein großes Erstaunen - ich wollte natürlich die Merkwürdigkeiten der Stadt betrachten - ich ging zum Parlamentsgebäude hinauf, und - Gott strafe mich, weil ich lebe - ich, Israel Levi, stand auf der Galerie als die Juden [bei der Abstimmung] durchfielen. Sie können sich mein Entsetzen vorstellen. Na - dann wollte ich nach Schweden fliehen, nahm aber den falschen Abzweig - und so kam ich nach Mandal. Die Verortung des Juden im Ahasverus-Narrativ - als Inkarnation eines Volkes, wie Hans Mayer hervorhebt, auf ruheloser Wanderschaft unter fremden Völkern 42 - erfährt hier eine ironische Brechung. Die vermeintliche Einladung des norwegischen Parlaments an die Juden, sich in Norwegen niederzulassen, spielt auf eindeutige Weise auf die langjährigen Auseinandersetzungen um die Abschaffung des „ Judenparagraphen “ an. Auf diese Weise werden zudem die so friedlich anmutenden norwegischen Verhältnisse als trügerisch identifiziert. Das Ausbleiben der Revolution 41 En Jøde, S. 84 f. 42 Mayer, Hans: Außenseiter. Frankfurt am Main 1975, S. 315 280 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden bedeutet somit den Verzicht, aufgeklärten Entwicklungen in Fragen der rechtlichen Stellung der Juden Raum zu geben. So muss auch die letzte Flucht misslingen, denn Mandal ist, wie sich herausstellt, kein sicherer Ort - im Gegenteil: Das Dampfschiff für die Abschiebung nach Dänemark hat bereits festgemacht. So kann der vermeintlich gefährliche und unliebsame Eindringling ohne größere Schwierigkeiten auf das Boot verfrachtet und nach Kopenhagen verschifft werden. Mandal, seine Bewohner und mit ihnen scheinbar ganz Norwegen können wieder ruhig schlafen. Der Bevölkerung in Rosenkildes Schauspiel gelingt es also - dank der Beschreibung Volds - den Gesuchten zu fassen. Die äußerlichen als auch charakterlichen Zeichnungen des Juden sowie seine sondersprachlich gefärbten Berichte über Flucht und Vertreibung erscheinen dabei angesichts der dänischen Vorbilder (ungewohnt) vertraut. Ein Blick auf die zeitgenössische Theaterpraxis kann helfen, die Strategien der Sichtbarmachung, derer Rosenkilde sich bedient, um das (Un-)Bekannte zu bebildern und so das Geheimnis verhandelbar zu machen, nachzuvollziehen. 6.4 Das Theater als Bildermacher des Geheimen In einem Land, in dem es keine Juden gibt und geben darf, kann das Theater offensichtlich auf bekannte Bilder jüdischer Figuren zurückgreifen. Denn es ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg, dass sich die Bühne nur solcher (spezifisch jüdisch konnotierter) Zeichen bedient, die für die Zuschauer erkenn- und verstehbar sind. 43 Vorstellungen von und über Juden, das zeigt sich hier, scheinen unabhängig von deren „ realer “ Existenz gesellschaftlich virulent. Das Theater dient als Kontrastfolie, welche diese „ unsichtbaren “ Bilder und kulturellen Vorstellungen erkennbar werden lässt. Rosenkilde schreibt sich in die lange (dänische) Bühnentradition von Judendarstellungen ein, die sich, wie ich gezeigt habe, aufgrund der besonderen Rollenfachästhetik im 18. und 19. Jahrhundert herausbildet. Er bedient sich der spezifischen Bilder, die das Theater für die Darstellung jüdischer Charaktere gefunden hat: Augenfälligste Zeichen dieser Tradition sind dabei der Bart, die Sprache sowie die körperliche Verfasstheit. En Jøde i Mandal zeigt, dass die Kraft und Macht „ jüdischer “ Bärte unabhängig von der tatsächlichen Präsenz von Juden im „ wirklichen 43 Fischer-Lichte, Erika: Semiotik des Theaters. Band 1. Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1998 [4. Aufl.], S. 19 Das Theater als Bildermacher des Geheimen 281 Leben “ für das Theater eine ungeheure Strahlkraft besitzt. Auf die sondersprachliche Färbung, das zweite wichtige Kennzeichen, habe ich bereits weiter oben hingewiesen. Und mit Blick auf die Szene, in welcher die Dorfbevölkerung die Gefangennahme des Juden feiert und all die vermeintlich wackeren Kämpfer ihn auf der Bühne festhalten und bedrängen, fällt neben der äußeren Zeichnung auch die pointierte körperliche Schilderung auf, die dem gängigen Theaterbild des körperlich Schwachen und beständig Klagenden entspricht. Die Frage bleibt, wie diese jüdischen Bilder ihren Weg auf die Bühne in Christiania finden und warum sie dort verstanden werden können, also auf welche Weise sich die jüdische Rollenfachtradition in Norwegen etabliert. Ein Blick auf die Theatergeschichte des Landes erscheint hier sinnvoll: Aufgrund der langen Zugehörigkeit zu Dänemark ist das norwegische Theater stark von seinem Nachbarn geprägt. Anders als die Hauptstädte Kopenhagen und Stockholm verfügt Christiania lange Jahre nur unregelmäßig über ein festes Theaterensemble. Private dramatische Gesellschaften sowie gastierende Truppen, vorwiegend aus Dänemark, prägen das Theaterangebot. Der Schwede Johan Peter Strömberg eröffnet 1827 die erste öffentliche Bühne. 44 Es handelt sich dabei um eine private Unternehmung, die Bühne muss ohne Unterstützung durch staatliche Stellen auskommen. 45 Die mit königlicher Erlaubnis engagierten dänischen Schauspieler verkörpern die Ausrichtung der neuen Bühne: Sprachlich, inhaltlich und ästhetisch bleibt Kopenhagen das große Vorbild. 1835 brennt das Theater ab, wird aber zwei Jahre später in einem imposanten Neubau wiedereröffnet. Am Bankplassen entsteht eines der größten Theater Skandinaviens, das mit einer Portalbreite von 20 Metern, reichhaltiger Verzierung und über 800 Plätzen die Bühnen der Nachbarländer teilweise in den Schatten stellt. 46 Eröffnet wird der Neubau mit Kong Sverres Ungdom (Die Jugend König Sverres), einem Drama des Norwegers Andreas Munch. Trotz dieses vermeintlich „ nationalen “ Auftaktes zeigt ein Blick in die Reper- 44 Die Eröffnung des Theaters erfolgt am 30. Januar 1827 mit Kotzebues Die deutsche Hausfrau (Hustruen) und einer Tanz-Performance. 45 Es wird Strömberg gar verboten, den Namen Kongeligt Nationaltheater (Königliches Nationaltheater) zu führen. (Schmiesing, Ann: Norway ’ s Christiania Theatre, 1827 - 1867. From Danish showhouse to national stage. Madison, N. J. 2006, S. 33) 46 Anfangs bietet das Theater Platz für 805 Zuschauer, 1853 wird ein zusätzlicher Balkon eingezogen, der die Kapazität auf 900 Besucher steigert. Bedenkt man, dass Christiania 1837 ca. 25.000 Einwohner zählt, mutet die Größe der Bühne erstaunlich an. (Schmiesing 2006, S. 79) 282 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden toirelisten der Eröffnungssaison, dass norwegische Beiträge die Ausnahme bleiben. Zudem stellt sich die mangelnde Größe der Hauptstadt als schwierig für die Spielplangestaltung heraus. Noch in den 1860ern konstatiert der Theaterleiter und Autor Bjørnstjerne Bjørnson, dass eine Handvoll Aufführungen eines Stückes genügten, damit im Grunde die gesamte theateraffine Bevölkerung der Hauptstadt das Drama gesehen habe. 47 Dies hat verständlicherweise Auswirkungen auf die Spielplangestaltung: Es wird notwendig, ein breites, ständig wechselndes Repertoire zu bieten, 48 was zum einen wegen mangelnder Proben auf die schauspielerische Qualität drückt 49 und zum anderen dazu führt, andernorts erprobte, leicht erlernbare Stücke zu spielen, woraus sich die Popularität (dänisch geprägter) Vaudevilles erklärt: Danish traditions continued to dominate the theatre, and (perhaps as a consequence) very little drama of significance was written by Norwegians. Although a number of original plays were submitted to Christiania Theatre, few new works were performed and even fewer enjoyed success. 50 En Jøde i Mandal bleibt eines dieser wenigen norwegischen Dramen, das Erfolge vorweisen kann - wobei es so norwegisch gar nicht ist: Die Aufführungen finden wie üblich in dänischer Sprache statt, auch der Autor Adolph Rosenkilde ist kein Norweger. Geboren in Kopenhagen, arbeitet er eine zeitlang als Schauspieler am Kongens Nytorv, bevor er nach Christiania übersiedelt. 51 Besser könnten die Verschränkungen zwischen den beiden 47 Schmiesing 2006, S. 36 48 Die erste Saison des neugebauten Theaters bietet 101 Vorstellungen, insgesamt 60 verschiedene Stücke in einer achtmonatigen Periode. Dabei dominieren vor allem französische Dramen (30), gefolgt von Stücken dänischer (18) sowie deutscher (10) Provenienz. (Marker, Frederik J; Marker, Lise-Lone: A history of Scandinavian theatre. Cambridge 1996, S. 134 f. Im Folgenden: Marker&Marker) 49 Edvard Brandes beschreibt seinen Besuch des Theaters in der norwegischen Hauptstadt als ernüchternd, beklagt die Sprachvermischung auf der Bühne, das mangelnde Talent der Darsteller, spricht von einer „ Kolonie der Kopenhagener Bühne “ ( „ det norske Theater var en Koloni fra Kjøbenhavnerscenen “ ) und einem „ Provinztheater “ ( „ Provinstheater “ ). (Brandes, Edvard: „ Kristiania Theater. En rejseerindring. “ In: Brandes, Edvard: Fremmed Skuespilkunst. Studier og portræter. Kjøbenhavn 1881, S. 1 - 35, hier: S. 8 ff) 50 Marker&Marker, S. 136 51 Rosenkildes Weg führt früh ans Theater, 1837 debütiert er am Kongens Nytorv. Sein Vater Christen Niemann Rosenkilde ist eine der wichtigen Kräfte des Königlichen Theaters in Kopenhagen. Der ständige Vergleich mit ihm veranlasst Adolf Rosenkilde 1839 nach Christiania zu gehen, wo er als Schauspieler wertvolle Erfahrungen sammelt. (Hansen, Das Theater als Bildermacher des Geheimen 283 Ländern auf der Bühne gar nicht zu Tage treten und es verwundert kaum, dass Rosenkilde die tradierten Charakteristika der Judendarstellung zunächst nahezu unverändert übernimmt. Rosenkildes Zeichnung des Juden ist somit nicht seine eigene Erfindung, vielmehr schreibt er sich deutlich in eine Tradition ein, die auch in Norwegen bekannt scheint. Denn das dänische Theater fungiert als Orientierungspunkt in ästhetischen Fragen. Vor allem ist hier Ludvig Holberg zu erwähnen, der 1722 mit seinen Komödien in der Landessprache die dänische Bühne aus der Taufe hebt. 52 In Dänemark avanciert er bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zum meistgespielten Autor. Da er in Bergen geboren ist, wird Holberg zur Mitte des 19. Jahrhunderts als Norweger (wieder-)entdeckt, als „ Vater der dänisch-norwegischen Literatur “ 53 verehrt, und seine Schauspiele, in denen etliche Juden auftreten, werden wie eingangs beschrieben vielfältig rezipiert. Rosenkildes Judenfigur entspricht äußerlich und sprachlich den gut 120 Jahre älteren Holberg ’ schen Vorbildern bis ins Detail; sein Vaudeville bedient sich auf diese Weise am reichhaltigen Bildervorrat des dänischen Theaters und schreibt diesen zunächst fort. Aber das Drama - und damit auch die Darstellung des Juden - hält noch eine unerwartete Wendung bereit. 6.5 Schauspieler und Falschspieler Denn es stellt sich heraus, dass der Jude gar kein Jude ist, das Geheimnis ein Bluff und dessen Träger ein gewitzter Bürger. Hermann Vold, jener eingangs erwähnte Student, nach dessen Beschreibung es gelingt, den vermeintlichen Juden zu fassen, steckt selbst hinter der Maskerade. Mit Hilfe zweier (dänischer) Schauspieler - diese werden in Mandal als „ Pfand “ festgehalten, weil ihre Truppe die Rechnung beim Wirt nicht bezahlen konnte, und warten nun auf ihre Einlösung - gelingt ihm das Meisterstück. Vold ist es auch, der den anfangs zitierten Brief aufsetzt und damit das Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 431 f ) 1851 kehrt er nach Dänemark zurück, reüssiert als gefeierter Komiker zunächst am Casino-Theater und später an seiner ursprünglichen Wirkungsstätte. (Ansteinsson, Eli: Teater i Norge. Dansk scenekunst 1813 - 1863. Kristiansand - Arendal - Stavanger. Oslo 1968, S. 149) 52 Vgl. Kap. 2 53 Bull, Francis: Fra Holberg til Nordal Brun. Studier i norsk aandshistorie. Kristiania 1916, S. 44 284 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden Geheimnis in die Welt trägt. Aber wozu? Wie so oft sind es das Geld und die Liebe: Vold bedient sich des jüdischen Geheimnisses, um „ zwangsverschifft “ zu werden. Er hat sich beim Kaufmann Gnaverud verschuldet und scheint zunächst nicht in der Lage, den Betrag fristgerecht zurückzuzahlen. Genretypisch erwartet ihn zwar eine große Erbschaft in Kopenhagen, aber für diese muss er in die dänische Hauptstadt reisen. Gnaverud glaubt dem Studenten nicht und lässt aus Angst vor dessen Flucht Volds Pass in Beschlag nehmen, was eine legale Ausreise unmöglich macht. Darüber hinaus - und das ist der viel wichtigere Grund, das Schiff zu erreichen - befindet sich die geliebte Emilie, Ugeløses Tochter, auf dem Dampfer nach Kopenhagen. Zusammen mit ihr will er, das Verbot des Vaters ignorierend, in der dänischen Hauptstadt glücklich werden. Hier wird deutlich, dass die Verortung in einer Sphäre des Geheimnisvollen keineswegs negativ konnotiert sein muss, vielmehr zeigt sich, wie sich dadurch Handlungsmöglichkeiten und Kontaktzonen eröffnen, da auf diese Weise, wie Georg Simmel treffend anmerkt, „ eine ungeheure Erweiterung des Lebens erreicht [wird], weil vielerlei Inhalte desselben bei völliger Publizität überhaupt nicht auftauchen können. “ 54 So macht Vold sich als Verkleideter, als Falschspieler, die Kraft des Unbekannten zu Nutze und bedient sich der Ängste und Vorurteile der Kleinbürgerstadt, um einen persönlichen Vorteil zu erringen. Auf diese Weise fungiert er in Rosenkildes Drama als Agent, der die Geschichte des Juden sowohl „ produziert “ als sie schließlich auch „ aufführt “ und damit eine Mischung aus Faszination und Schrecken auslöst. Er verkörpert nicht nur das Geheimnisvolle dieser Figur, sondern er verortet sich (und sie) in einer der Bühne eigenen Materialität, indem er sowohl als Zeichen als auch dessen Träger fungiert. 55 Die Figuration des Juden und die Verfasstheit des Theaters überlappen hier und zeichnen auf diese Weise den jüdischen Charakter als Inbegriff des Theatralischen schlechthin. Dass der Jude gar kein echter Jude ist, er dennoch (oder gerade deswegen? ) eine tiefgreifende Beunruhigung verbreiten kann, macht ihn umso gefährlicher. Auf der Folie des Fremden, des Exotischen, der in die Provinzialität der norwegischen Küstenlandschaft eindringt und eine wahre Hysterie auslöst, erscheint der norwegische Sonderweg in der „ Judenfrage “ umso 54 Simmel, Georg: „ Das Geheimnis und die geheime Gesellschaft. “ [1906] In: Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Georg Simmel-Gesamtausgabe, Bd. 11. Frankfurt am Main 1992, S. 383 - 455, hier: S. 406 55 Mersch, Dieter: „ Paradoxien der Verkörperung. “ In: Nöth, Winfried; Hertling, Anne [Hrsg.]: Körper - Verkörperung - Entkörperung. Kassel 2005, S. 17 - 41, hier: S. 26 Schauspieler und Falschspieler 285 absurder. Die Inszenierung von Fremdheit in Rosenkildes Drama dient dabei weniger der Schaulust des bürgerlichen Publikums 56 als vielmehr der Bebilderung der stark ausgeprägten Ängste der Bevölkerung. Die Verkleidung des Studenten Vold mag zwar unecht sein, die (Angst-)Bilder, die er evoziert, sind es nicht - diese bleiben über die Demaskierung hinaus bestehen und können nicht abgeschoben werden. Sie stellen Fragen nach Bedingungen gesellschaftlicher Teilhabe und scheinen durch ihre Wirkmächtigkeit die vermeintliche Homogenität der Gesellschaft in Zweifel zu ziehen. Rosenkilde weist seiner Titelfigur damit auch eine Funktion in der zeitgenössischen politischen Debatte zu. Denn der norwegische „ Judenparagraph “ ist nicht unumstritten und führt über viele Jahre hinweg zu immer wieder heftig aufflammenden Diskussionen. Einer der prominenten Streiter in diesem Zusammenhang ist Henrik Wergeland, der sich auf vielfältige Weise für die Abschaffung des Einreiseverbots für Juden einsetzt. 57 Durch Zeitungsartikel, Gedichtzyklen, Gesetzesvorschläge und Pamphlete versucht er über viele Jahre, eine Verfassungsänderung herbeizuführen, scheitert aber vier Mal. 58 1851 wird der Paragraph 2 schließlich geändert, was zu großen Teilen als Verdienst Wergelands gilt, auch wenn er 56 Bayerdörfer, Hans-Peter: „ Theater im Jahrhundert des Bühnenbildes - Fremdheit im Angebot. Ein kleines theatergeschichtliches Repetitorium. “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter et al. [Hrsg.]: Bilder des Fremden. Mediale Inszenierung von Alterität im 19. Jahrhundert. Berlin 2007, S. 289 - 314, hier: S. 313 57 Darüber hinaus fungiert Wergeland als eine der zentralen Figuren im Streit für ein genuin norwegisches Theater. Seine Auseinandersetzungen mit Johan Sebastian Welhaven bestimmen viele Jahre die Diskussionen über die Ausrichtung der hauptstädtischen Bühne. Als Dramatiker tritt er vor allem mit seinem Stück Campbellerne eller den hjemkomne Søn in Erscheinung, das in der ersten Saison des neugebauten Theaters 1838 den zweiten Preis des Stückewettbewerbs gewinnt - hinter Andreas Munchs Kong Sverres Ungdom - und bei dessen Aufführungen sich der Streit zwischen den Anhängern Wergelands beziehungsweise Welhavens in dauernden Pfeifkonzerten respektive Beifallsbekundungen manifestiert. (Schmiesing 2006, S. 41 ff ) 58 Dieser Prozess erstreckt sich über einen langen Zeitraum, da die Verfassung nur vom Storting geändert werden kann, das lediglich alle drei Jahre zusammentritt. Oskar Mendelsohn schildert in seiner ausführlichen Geschichte der norwegischen Juden eingehend Wergelands politische Motive, seine Vorgehensweisen, die unterschiedlichen Anläufe, den Judenparagraphen aus der Verfassung zu entfernen sowie die Reaktionen der Befürworter und Gegner (Mendelsohn 1969, S. 61 ff). Katharina Bock hat dargelegt, wie es Wergeland mit Hilfe seiner Gedichtzyklen Jøden (Der Jude) und Jødinden (Die Jüdin) gelingt, auch das literarische Feld in der politischen Auseinandersetzung fruchtbar zu machen. (Bock, Katharina: Blühende Dornenzweige - Henrik Wergelands Gedichte und der „ Judenparagraph “ in der norwegischen Verfassung. Masterarbeit, Berlin 2011) 286 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden es selbst nicht mehr miterlebt. Sein Name bleibt mit dem Kampf um die rechtliche Stellung der Juden in Norwegen untrennbar verbunden. Kurz nach Bekanntwerden seines Todes 1845 beginnen bezeichnenderweise die schwedischen Juden, Geld für ein Denkmal zu sammeln, das zunächst in Schweden hergestellt, dann aber im Juli 1848 in Christiania auf dem Grab des Dichters errichtet wird. Zu diesem Anlass dürfen ausnahmsweise drei Juden aus dem Nachbarland, ausgestattet mit einem Geleitbrief, legal in die norwegische Hauptstadt einreisen. 59 Aber auch Rosenkildes Drama bildet einen wichtigen literarischen Beitrag, der bisher kaum Beachtung gefunden hat. Nicht umsonst positioniert Rosenkilde sein Theaterstück genau zu einem Zeitpunkt, an dem heftige Debatten über die „ Judenfrage “ den öffentlichen Diskurs prägen, 60 er positioniert sich als Fürsprecher der Abschaffung des „ Judenparagraphen “ , indem er mit seinem Drama zum einen die Unsinnigkeit des Verbots zeigt, gleichzeitig aber auch auf die Rückständigkeit Norwegens in dieser Frage anspielt. Dabei bedient er sich deutlich erkennbar tradierter (Theater-) Bilder des Jüdischen, die er jedoch immer wieder durchlässig macht. Auf diese Weise bietet En Jøde i Mandal die Möglichkeit, der Frage nach spezifischen Strategien der Sichtbarmachungen jüdischer Figuren nachzugehen, diese erkennbar zu machen und im Zuge der „ Entlarvung “ der Titelfigur zumindest teilweise zu dekonstruieren. Die Bühne verfügt, wie ich dargelegt habe, über die Möglichkeiten, eine abwesende Figur zu erzählen und zu bebildern, die doch auf gewisse Art bekannt sein muss. 6.6 Semiotischer Vertrauensverlust - Wer ist wer? Wie es sich für ein Vaudeville gehört, erfolgt zum Ende scheinbar die Erlösung der kleinstädtischen Ausnahmesituation. Aufs Schiff verfrachtet, lässt Vold per Boten mitteilen, dass er seiner Geliebten wegen die Verkleidung gewählt habe und nur unter der Bedingung zur Umkehr bereit sei, dass Ugeløse der Verbindung beider zustimme, andernfalls würden sie auf Nimmerwiedersehen nach Amerika verschwinden. So muss der aufgeklärte Däne der Heirat seiner Tochter mit einem Norweger zustimmen, Gnaverud ungläubig feststellen, dass sein Schuldner es auch ohne Pass geschafft hat, ihn zu narren und Bøhme traurig eingestehen, dass seine 59 Mendelsohn 1969, S. 196ff 60 Mendelsohn 1969, S. 240ff Semiotischer Vertrauensverlust - Wer ist wer? 287 Heldentat gar keine war. So können schließlich der Student - dem die dänischen Schauspieler attestieren, er sei als Jude „ superb “ 61 gewesen - und Emilie vom Schiff zurückkehren und die allgemeine Versöhnung feiern. Beide sind wohlauf und Vold beeilt sich zu versichern, dass auch in religiöser Hinsicht durch seine Maskerade keine schwerwiegenden Folgen zu befürchten seien: Kjæreste, bedste Hr. Ugeløse! / . . . / [F]or at / . . . / skaane Emilie for store Ubehagligheder, besluttede jeg, at vi Begge skulde reise til Danmark for at erholde Deres Kones, og senere - Deres Samtykke. Men Hr. Gnaverud lagde mig skrækkelige Hindringer i Veien. Han havde nær gjort mig catholsk i Hovedet, men saa besluttede jeg mig til, for en kort Tid, at gaae over til den mosaiske Troe, men er nu atter vendt tillbage til Moderkirken, og beder Dem nu om et ikke aftvunget Samtykke til, at Emilie maa blive min? 62 Liebster, bester Herr Ugeløse! / . . . / [U]m / . . . / Emilie große Unannehmlichkeiten zu ersparen, beschloss ich, dass wir beide nach Dänemark reisen sollten, um zunächst die Einwilligung Ihrer Frau - und später dann die Ihrige zu erhalten. Aber Herr Gnaverud legte mir schreckliche Hindernisse in den Weg. Er hätte mich fast katholisch im Kopf gemacht, aber da beschloss ich, für kurze Zeit, zum mosaischen Glauben zu wechseln, aber nun bin ich wieder in die Mutterkirche zurückgekehrt und bitte Sie um Ihre wohlmeinende Zustimmung, dass Emilie die meinige werden darf. Das liebesbedingte Religions-Hopping ist beendet, der protestantische (wenn auch norwegische) Schwiegersohn wird akzeptiert. Auch die sonstigen Zeichen seiner Posse hat er abgelegt: Kein Bart ist zu sehen, keine sondersprachlichen Eigenheiten mehr zu hören - Vold ist wieder ganz Vold. So wie er vorher ganz Jude war. Aber eine latente Unruhe bleibt. Kann man ihm trauen? Wer steckt hinter welcher Verkleidung? En Jøde i Mandal zeigt somit einerseits, dass (Theater-)Bilder des Juden unabhängig von der physischen Anwesenheit einer jüdischen Minderheit virulent sind und diskursiv verhandelt werden; die Abwesenheit des Juden erscheint in diesem Drama sogar als Voraussetzung seiner geheimnisvollen Präsenz und etabliert das Theater als einen Imaginationsraum, der scheinbar Geheimes und vermeintlich Bekanntes zusammenführt. Andererseits 61 En Jøde, S. 100 62 En Jøde, S. 104 288 Geheimnisvolle Präsenz - Norwegen und seine/ keine Juden werden durch die finale Demaskierung diese bekannten Zeichen als möglicherweise unglaubwürdig entlarvt. Rosenkildes Vaudeville manifestiert so ein Misstrauen gegenüber semiotisch generierter Eindeutigkeit; die Unzuverlässigkeit der äußeren Erscheinung sowie die willkürlich anmutende Aneignung jüdisch konnotierter Bilder und Charakteristika bergen eine (unausgesprochene) Gefahr, welche die Angst der handelnden Charaktere im Drama doppeldeutig erscheinen lässt: Zunächst als Furcht vor der geheimnisvollen, scheinbar übermächtigen Figur des gesuchten Juden, gleichzeitig aber auch als Befürchtung, den Zeichen nicht mehr trauen zu können, längst „ unterwandert “ zu sein von weniger deutlich markierten Figuren. Auf diese Weise bleibt der Jude auch nach seiner Demaskierung präsent - die Entlarvung, die Auflösung der Verkleidung kann die Anwesenheit des Juden gerade durch seine Abwesenheit nicht mehr leugnen: Norwegen und keine/ seine Juden. Ein Land, das Juden per Verfassung den Zugang zum Staatsgebiet verwehrt und dieses Verbot auch konsequent durchsetzt, hat - auf den ersten Blick betrachtet - keine Juden. Wie ich versucht habe zu zeigen, hat es aber seine Juden, die als (Angst-)Bilder, als Geheimnisvolle und als Geschichte(n) den Weg auch auf die Bühne finden. Semiotischer Vertrauensverlust - Wer ist wer? 289 7. Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm D er schwedische König erlässt 1741 eine Verordnung, die es „ allen Juden, Savoyarden, Seiltänzern, Komödianten sowie Gauklern oder wie auch immer sie heißen mögen “ 1 verbietet, das Land zu bereisen. Ein Gesetz, das sich mit Blick auf die Theaterwelt der Nachbarländer zu diesem Zeitpunkt fast liberal ausnimmt - in Dänemark und Norwegen 2 dürfen seit 1738 generell keine Aufführungen stattfinden. Die schwedischen Einschränkungen hingegen erstrecken sich lediglich auf fahrende Gesellschaften; 3 das Hoftheaterleben in der Hauptstadt blüht weiter, darüber hinaus darf auch die schwedischsprachige Theatertruppe in Stockholm immer wieder Vorstellungen für die Allgemeinheit geben. Auffällig jedoch erscheint die Zusammenführung des Theater- und Judenverbots in einem Gesetz. Was verbindet die fahrenden Schausteller mit den jüdischen Straßenhändlern? Welche Angstbilder evoziert ihre Anwesenheit? Oder anders gefragt: Was verbindet die Juden mit dem Theater in Schweden zur Mitte des 18. Jahrhunderts? Diese Fragenkomplexe bleiben in gleicher Weise von Bedeutung, auch wenn sich 30 Jahre später die Theaterwirklichkeit sowie die rechtliche Stellung der Juden stark verändern. Die Regierungszeit Gustavs III. (1771 - 1792) erweist sich für das schwedische Kulturleben als prägende Epoche. In Stockholm entstehen zwei (königliche) Bühnen nahezu aus dem Nichts und erlangen schnell große Bedeutung über die Hauptstadt hinaus: Zunächst etabliert Gustav III. ein Opernhaus, einige Jahre später folgt die 1 „ [A]lle Judar, Savoyarer, Lin-Dansare, Comoedianter, med flere Gycklare, hwad namn de hafwa måga / . . . / . “ (Sauter, Willmar: „ Barocken - illusionism på svensk scen. “ In: Hammergren, Lena et al. [Hrsg.]: Teater i Sverige. Hedemora 2004, S. 39 - 48, hier: S. 47) Savoyarden, überwiegend fahrende Händler, wandern aus Mangel an Erwerbsmöglichkeiten aus Frankreich aus und sind seit Ende des 17. Jahrhundert verstärkt im deutschsprachigen Raum anzutreffen. 2 Norwegen ist über viele Jahrhunderte kein eigener, souveräner Staat: Seit 1380 gehört es zu Dänemark und wird von Kopenhagen aus regiert. Daher gilt auch dort das dänische Theaterverbot von 1738, auch wenn aus den ersten Jahren noch Aufführungen in Norwegen (und auch Holstein) überliefert sind. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 1ste del. Kjøbenhavn 1889, S. 156) 3 1759 wird das Verbot auf alle Universitätsstädte ausgeweitet, in denen dann grundsätzlich Theateraufführungen verboten bleiben. (Sauter 2004, S. 47 f ) Gründung eines Sprechtheaters. Die Geschichte dieser nationalen Institutionen unterscheidet sich dabei in den Anfangsjahren merklich von ihrem dänischen Pendant - sowohl was die Entwicklung als auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung betrifft. Anders als in Kopenhagen, wo die erste landessprachliche Bühne auf eine private Initiative zurückgeht, sich - unterbrochen von einer jahrzehntelangen Pause - unstetig entwickelt und erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts ihren Status als nationales Leitmedium erlangt, 4 geschieht dies in der schwedischen Hauptstadt innerhalb weniger Jahre. Ebenfalls in diese Epoche fällt die Geburt der jüdischen Gemeinde in Stockholm. 1775 stellt Gustav III. erstmals einen Schutzbrief für den aus Brandenburg stammenden Aaron Isaac aus, der vielen als „ Pionier “ der jüdischen Migration nach Schweden gilt. 5 Ab 1782 bestimmt das so genannte judereglement die Lebens- und Arbeitsbedingungen der neuen, vorwiegend aus dem deutschsprachigen Raum stammenden Migranten. Deutlich wird, dass unter Gustav III. nicht nur das Theater und die Künste einen (Neu-)Anfang und eine ungeahnte Blüte erleben, auch das jüdische Leben etabliert sich nach und nach. Was gemeinsam verboten war, darf nun zusammen erwach(s)en. Diese Beobachtungen legen die Frage nahe, ob die Entwicklungslinien des Theaters und der jüdischen Einwanderung auf spezifische Weise miteinander verwoben bleiben. Dabei geht es mir nicht darum, die performativen Künste als Abbild einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit wahrzunehmen und die „ realen “ Juden mit denen auf der Bühne zu vergleichen. Vielmehr möchte ich den Blick auf die ökonomischen und politischen Aufgaben richten, die dem Theater aber auch der entstehenden jüdischen Gemeinde zugedacht werden. Dazu erscheint es mir wichtig, Gustavs Bühnen als politisches Instrument zu verstehen, auf denen mal mehr, mal weniger unverblümt die gesellschaftliche Agenda des Monarchen verhandelt und transportiert wird. Kriege, wirtschaftliche Herausforderungen, patriotische Heldentaten sowie erwünschte historische Vorbilder fungieren immer wieder als handlungsbestimmende Elemente der Aufführungen. Auffällig erscheint jedoch, dass die Bühnenjuden sich einer solchen Instrumentalisierung zu verweigern scheinen. Die Frage stellt sich, warum ihnen in einem politisch aufgeladenen Theater eine apolitische Funktion zufällt. Im 4 Vgl. Kap. 3 5 Isaac (1730 - 1816) wird in Treuenbrietzen, südlich von Berlin geboren. Später zieht er nach Mecklenburg. Über Stralsund, Ystad und Malmö kommt er am 24. Juni 1774 erstmals nach Stockholm. 292 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm ersten Teil des Kapitels werde ich zunächst auf die Entstehung der Gustavianischen Bühnen und deren Funktion im gesellschaftlichen Gefüge eingehen. Im Anschluss daran werde ich am Beispiel des Dramas Välgörandet på Prof (Wohltätigkeit auf Probe) von Olof Kexél exemplarisch die Ausgestaltung jüdischer Figuren in den Anfangsjahren des schwedischen Theaters beleuchten. Dabei fokussiere ich sowohl die textlichen als auch die schauspielerischen Parameter, die sich - wie Kexéls Stück zeigt - augenfällig bedingen. 7.1 Am Vorabend des großen Theaters Mit Blick auf die (Theater-)Geschichtsschreibung in und über Schweden verfestigt sich schnell der Eindruck, mit Gustav III. hätte alles seinen Anfang genommen. 6 Dass sich die Motive für den Aufbau sowie die Ausgestaltung der Königlichen Theater vielschichtiger darstellen und eine Verengung auf die vermeintlich eine schöpferische Kraft - gemeint ist der Monarch selbst - den Blick für das Mehrdimensionale der Theatergründungen häufig verstellen, wird in Anbetracht der Vorgeschichte deutlich. 7 Denn Gustav III. hat das Theater nicht erfunden. Auch nicht das schwedische. Lange vor seinem Regierungsantritt finden Aufführungen in Schweden statt. Bereits im 16. Jahrhundert kommen ausländische Wandertruppen bis nach Stockholm, 8 auf Einladung Königin Kristinas (1632 - 1654) bereisen später italienische Commedia dell ’ arte Gesellschaften das Land 9 und spätestens unter Gustavs Mutter, Königin Ulrika Lovisa, 6 Derkert, Kerstin: „ Dramatiska teatern under den gustavianska tiden. “ In: Rosenqvist, Claes [Hrsg.]: Den svenska nationalscenen. Traditioner och reformer på Dramaten under 200 år. Höganäs 1988, S. 9 - 69, hier: S. 9 7 Für meine Analyse jüdischer Figuren erweist sich diese Schwerpunktsetzung als sehr hilfreich, auch wenn sie verständlicherweise die Theatergeschichtsschreibung der Gustavianischen Bühnen und der Entwicklung des Nationaltheaters in Schweden zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht in Gänze gerecht werden kann. Diese Zeitspanne ist jedoch eingehend Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung, ein Verweis auf die wichtigen Werken erscheint mir hier ausreichend: Levertin, Oscar: Teater och drama under Gustaf III. Literaturhistorisk studie. Stockholm 1889; Personne, Nils: Svenska Teatern I - V. Stockholm 1913 - 1919; Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917 (Im Folgenden: Nordensvan I); Derkert 1988 8 Nordensvan I, S. 1 9 Fisher, James: The theatre of yesterday and tomorrow: Commedia dell ’ arte on the modern stage. Lewiston 1992, S. 160ff Am Vorabend des großen Theaters 293 etabliert sich ein regelmäßiger Vorstellungsbetrieb in den Lustschlössern Drottningholm 10 und Ulriksdal, in denen italienische und französische Ensembles auftreten. 11 Zudem erblüht ein eifriges, vom Hof selbst gestaltetes, Amateurtheaterleben. 12 Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein bietet sich so ein heterogenes Bild der Bühnenverhältnisse. Grob zugespitzt lassen sich zwei wichtige Stoßrichtungen ausmachen: Zum einen finden mit zunehmender Regelmäßigkeit öffentliche Aufführungen in Stockholm statt, zum anderen bieten die höfischen Theater exklusive, nichtöffentliche Spektakel unterschiedlichster Natur für den königlichen Haushalt und seine Gäste. Beide Sphären interagieren kaum miteinander. Als wichtigster öffentlicher Theaterort der Hauptstadt fungiert das Bollhus (Ballhaus). Errichtet in den 1620er Jahren für sportliche Aktivitäten wird es zu Beginn des 18. Jahrhunderts in ein permanentes Theater umgewandelt und dient für knapp 100 Jahre verschiedenen Truppen als Bühne. Dort etabliert sich 1737 das erste landessprachliche Ensemble, 13 welches unter dem Namen Den svenska komedien 14 (Die Schwedische Komödie) Dramen 10 Das Schlosstheater in Drottningholm ist heute noch zu großen Teilen erhalten. Fertig gestellt 1753 fällt es 1762 einem verheerenden Brand zum Opfer, wird jedoch wieder aufgebaut und 1766 feierlich neueröffnet. (Beijer, Agne: Drottningholms slottsteater pa Lovisa Ulrikas och Gustaf III: s tid. Stockholm 1981, S. 11 - 29) In den Jahren nach dem Tod Gustavs III. wird das Theater zunächst noch weiter bespielt, aber mehr und mehr gerät es in Vergessenheit und dient als Möbellager. Erst 1921 wird es vom Theaterhistoriker Agne Beijer wiederentdeckt und in den folgenden Jahren instand gesetzt. Viele der Originalkuliussen, sowie der gesamte technische Apparat stammen noch aus der Zeit Gustavs III. (Hilleström, Gustaf: Drottningholmsteatern. Förr och nu. Stockholm 1980, S. 11 ff) 11 Die französische Truppe wird 1753 von Ulrika Lovisa engagiert, die Italiener folgen dem Ruf der Königin ein Jahr später. (Sperling, Martina: Glucks Reformopern in der Gustavianischen Epoche. Eine Repertoirestudie im Kontext europäischer Hoftheater in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Uppsala 2004, S. 41) 12 Neben Aufführungen von Werken hauptsächlich französischer Dramatiker im Schlosstheater finden auch in den Parks von Drottningholm immer wieder oppulente Spektakel statt. (Marker, Frederik J; Marker, Lise-Lone: A history of Scandinavian theatre. Cambridge 1996, S. 71. Im Folgenden: Marker&Marker) 13 Das Ensemble besteht aus schwedischsprachigen Schauspielern, die Leitung überträgt man dem Franzosen Langlois, der bereits in den 1720er Jahren mit einer französischen Truppe nach Stockholm kommt und nach deren Abreise als Händler in der Hauptstadt bleibt. 14 Inwieweit Svenska komedien als Selbstbezeichnung des neuen Theaterunternehmens fungiert, lässt sich schwer nachvollziehen, jedoch taucht in verschiedenen Urkunden und Berichten aus dieser Zeit der Name häufiger auf. Darüber hinaus liegt die Verbindung zur berühmten Comédie-Française auf der Hand. Auch die Bezeichnung Svenska 294 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm schwedischer Verfasser aufführt. 15 Der anfängliche Enthusiasmus lässt schnell nach und so bleiben nach kurzer Zeit fast ausschließlich Bearbeitungen spielplanbestimmend - auf diese Weise finden Autoren wie Molière und Holberg ihren Weg ins Repertoire. Die Truppe teilt sich das Bollhus mit unterschiedlichen ausländischen Ensembles und bietet dem Publikum die Möglichkeit, Stücke in der Landessprache zu sehen. 16 Keine gänzlich neue Idee, die sich in ihrer Ausführung (bewusst) an die erste dänische Bühne anlehnt, allerdings ohne einen Hausautoren wie Holberg. Als Darsteller fungieren zunächst vorwiegend Studenten, der französische Mime Charles Langlois unterweist die Neulinge in der Schauspielkunst, deren handwerkliche Unerfahrenheit und andere Schwierigkeiten führen immer wieder zu längeren Unterbrechungen des ohnehin unregelmäßigen Spielbetriebs. Dass der Gründung der neuen Bühne neben künstlerischen Ambitionen auch politische und ökonomische Motive zugrunde liegen, hat vor allem durch Kirstin Derkerts Arbeit Eingang in die Theatergeschichtsschreibung gefunden. 17 Derkert zeigt auf, dass Politikern der Hattparti, 18 einem losen Zusammenschluss von Abgeordneten, die zu dem Zeitpunkt den Reichstag und damit die Politik des Landes bestimmen, die ausländischen Wandertruppen ein Dorn im Auge sind. Sie argumentieren, diese schwächten die Wirtschaftskraft, indem sie Geld außer Landes brächten. Zugleich - so die vorherrschende Meinung - könne ein eigenes Theater dabei helfen, das patriotische Bewusstsein der Bürgerschaft zu stärken. 19 Erkennbar wird hier, dass die politische Instrumentalisierung des Theaters, wie sie Gustav III. immer wieder attestiert wird, ihre Vorläufer bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts findet. 20 skådeplatsen scheint üblich gewesen. (Byström, Tryggve: Svenska komedien 1737 - 1754. Stockholm 1981, S. 20 f) 15 Gespielt werden unter anderem Karl Gyllemborgs Svänska sprätthöken, Erik Wrangels Tragödien Fröken Snövit und Torilla sowie Reinhold Gustaf Modeés Fru Rangsjuk und Håkan Smulgråt. (Byström 1981, S. 58 ff) 16 Byström 1981, S. 22 17 Derkert 1988 18 Ausführlicher zur Geschichte und Entstehung der hattparti: Roberts, Michael: Frihetstiden. Sverige 1719 - 1772. Stockholm 1995, S. 157ff 19 Derkert 1988, S. 10 20 Beijer, Agne: „ Om Teaterhistoria. Föredrag vid ett av Stockholms Högskolas studentkår och Teaterhistoriska föreningen anordnat upplysningsmöte på kårhuset den 19 oktober 1956. “ In: Nya teaterhistoriska studier. Skrifter utgivna av Föreningen Drottningholmsteaterns vänner XII. Stockholm 1957, S. 9 - 25, hier: S. 17 Am Vorabend des großen Theaters 295 1741 kommt es nach dem Tod der Königin Ulrika Eleonora zur ersten längeren Pause. Die verordnete Staatstrauer erstreckt sich auf jegliche Form von Aufführungen und aus Mangel an finanziellen Perspektive geben etliche der Darsteller ihre Karriere auf und wechseln in einen sichereren Beruf. 21 Nach dem Ende der Trauerzeit beginnt 1743 das Theaterleben wieder zaghaft zu blühen, aber immer nur kurzzeitig und unter zunehmenden - vor allem finanziellen - Schwierigkeiten: Steuererhöhungen und ein mangelndes Publikumsinteresse setzen der auf wackeligen Beinen stehenden Bühne zu und so fällt 1753 vorerst der Vorhang des schwedischsprachigen Theaters in der Hauptstadt. Neben dem Bollhus spielen die höfischen Theater eine wichtige Rolle. Die Darbietungen erfolgen zum großen Teil auf Französisch, teilweise auf Italienisch - Schwedisch als Bühnensprache hingegen ist hier undenkbar. 1753 engagiert der neu gekrönte König Adolf Frederik, wohl vor allem um seiner Gemahlin Lovisa Ulrika, einer Schwester Friedrich des Großen, die Übersiedlung vom preußischen Hof in den Norden angenehmer zu gestalten, ein Pariser Ensemble. Dieses erhält die Erlaubnis, neben Auftritten am Hof auch öffentliche Vorstellungen zu geben, und übernimmt zu diesem Zweck das Bollhus von der schwedischen Truppe. Deren Wunsch, das Haus mit dem französischen Ensemble zu teilen, wird abgelehnt, da die Königin die landessprachlichen Aufführungen als zu schlecht empfindet. Das Hoftheaterleben bestreiten allerdings nicht nur die neuen Schauspieler aus Paris, es zeichnet sich darüber hinaus durch das Mitwirken vieler Amateure aus, die in großen Spektakeln das ganze Schloss und den Park in eine Bühne verwandeln. At Drottningholm, life itself (to paraphrase Taine) was an opera. In the park of this Baltic Versailles, outdoor pageants and pastoral entertainments were enacted by self-conscious lords and ladies-in-waiting disguised as shepherds and shepherdesses, nymphs and satyrs. 22 Auch die königlichen Hoheiten beteiligen sich eifrig an diesen Ereignissen, Gustav wirkt bereits in jungen Jahren in vielen Aufführungen mit. Das alles erscheint aber lediglich als Vorspiel, denn mit dem Regierungsantritt des jungen Königs wird das (öffentliche) Theater zur Staatsangelegenheit. 21 Byström 1981, S. 39 22 Marker&Marker, S. 71. Die Autoren nehmen hier Bezug auf den französischen Philsophen Hippolyte Taine. 296 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm 7.2 Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) Als alles beginnt, ist der neue König zunächst gar nicht da. Die Nachricht vom Tod seines Vaters am 12. Februar 1771 erreicht Gustav auf einer Bildungsreise in Paris. Bereits im März, noch im Ausland, kündigt er der französischen Theatertruppe und begibt sich zurück nach Stockholm. Zunächst wird es still auf den Bühnen der Stadt, ein ganzes langes Jahr. Dann erlaubt der Monarch einer landessprachlichen Truppe unter Leitung von Petter Stenborg im März 1772 zwei Vorstellungen im Bollhus zu geben, zur Eröffnungspremiere erscheint überraschenderweise die königliche Familie in versammelter Stärke und man kann davon ausgehen, dass Gustav hier zum ersten Mal einer Theateraufführung in schwedischer Sprache beiwohnt. Wie ungewöhnlich sich dies für das adlige Publikum ausnimmt, bezeugt Gustaf Johan Ehrensvärd, Vertrauter des Königs und später erster Leiter des Theaters. Er schildert eindrücklich den Effekt, den der „ plagende “ Klang der Sprache auf ihn ausübt, der „ das Gehör bei jedem Wort verletzte. “ 23 Glaubt man seinen Ausführungen, erinnert das schwe- 23 „ Jag var närvarande vid denna repetition. Jag kan aldrig nog beskrifva, hvad den samma plågade mig. Hörseln var sårad vid hvart ord. Acteurernes spel var så osmakligt at man icke utan en bedröfvelig häpenhet kunde se det samma. Jag hade nyss sett de bästa och af hela Europa mest berömde franske acteurer. Piece, ord, uttal, spel, kläder, gång, gråt och skratt var alt lika osmakligt. Jag trodde icke då, at mig bereddes den tunga hedern at föra directionen öfver ett sådant folk och en sådan troupe. Representation af dessa piecer svarade alldeles emot repetitionen, men jag har aldrig sett en så talrik samling af folk; man applauderade vid hvart ord, man tycktes hafva en innerlig glädje at se ett svenskt spectacle, och därigenom tycktes allmänheten bedja Hans Maj: t at ett sådant beskydda. Vid denna representation togs ock af Hans Maj: t beslutet at inrätta ett svenskt spectacle, men hurudant det skulle bli och huru man skulle börja, det kunde ingen förutse. “ (Ehrensvärd, Gustaf Johan: Dagboksanteckningar förda vid Gustaf III: s hof. Utgifna af Dr. E. V. Montan. Första Delen. Journal från åren 1776 och 1779 samt berättelse om svenska teaterns uppkomst. Stockholm 1877, S. 214) / / „ Ich war auf dieser Probe anwesend. Ich kann nicht beschreiben, wie sehr es mich plagte. Das Gehör wurde bei jedem Wort verletzt. Das Spiel der Akteure war so geschmacklos, dass man es nicht ohne eine bedauerliche Verblüffung ansehen konnte. Und ich hatte doch kurz zuvor die besten und von ganz Europa bewunderten französischen Schauspieler gesehen. Stück, Worte, Aussprache, Spiel, Kostüme, Gänge, Weinen und Lachen - all das war hier gleichermaßen geschmacklos. Damals hätte ich nie geglaubt, dass mir die schwere Ehre zuteil würde, einmal die Direktion über solche Leute und eine solche Truppe zu führen. Die Präsentatiton dieses Stückes war gegen alle Regeln der Kunst, aber nie zuvor hatte ich eine so zahlreiche Menschenmenge gesehen; man applaudierte bei jedem Wort, die Allgemeinheit schien eine innerliche Freude an dem schwedischen Spektakel zu haben Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) 297 dische Theater vor allem an die deutschen Harlekinaden und erscheint gerade vor dem Hintergrund der klassischen französischen Komödie, wie sie am Hof damals üblich ist, überaus befremdlich: Man besökte svenska theatern för at skratta åt det aldra sämsta man sig kunde inbilla. Man lät efter behag börja med sista acten af en tragedie och sluta med den första, man hängde den olycklige naken i en vippgalge; Jeppe på Berget låg på en dynghög på theatern; man utviste den acteur man icke tyckte spela roligt nog; då de skulle gråta i tragedien, tvingade man dem at skratta, och vid det löjligaste i comedien betalte man dem för at gråta. Spektateurerne deltogo äfven så mycket i piecerna som sjelfva acteurerne. 24 Man besuchte das schwedische Theater, um über das Billigste zu lachen, was man sich nur vorstellen kann. Nach Belieben ließ man mit dem letzten Akt der Tragödie beginnen und hörte mit dem ersten auf, den Unglücklichen hängte man nackt in einen Wippgalgen, Jeppe vom Berge lag in einem Misthaufen auf der Bühne; die Schauspieler, die eine Rolle nicht witzig genug spielten, schickte man hinaus; immer wenn sie in einer Tragödie weinen sollten, zwang man sie zu lachen und an den lustigsten Stellen in der Komödie bezahlte man sie fürs Weinen. Die Zuschauer machten bei den Stücken genauso mit wie die Akteure. Mit einiger Sicherheit lässt sich annehmen, dass Ehrensvärd hier übertreibt, verschiedene Geschehnisse zusammenrafft und zuspitzt. Erkennbar bleibt jedoch der starke Gegensatz zwischen der Aufführungspraxis der öffentlichen und der höfischen Theaterwelt, der - wie hier anschaulich geschildert - nicht nur in der sprachlichen Form Ausdruck findet. Der Hof unterhält sich mit französischen Dramen 25 sowie italienischer Oper 26 und frönt darüber hinaus selbst dem Theaterspiel, einem der „ vornehmsten und auf diese Weise seine Majestät zu bitten, es unter seine Fittiche zu nehmen. Während der Vorstellung fasste seine Majestät dann auch den Entschluss, eine schwedische Bühne einzurichten. Aber auf welche Weise das geschehen und wie man es anfangen sollte, konnte niemand vorhersagen. “ 24 Ehrensvärd 1877, S. 212 25 Zum Repertoire der französischen Truppe: Beijer, Agne: Les troupes françaises à Stockholm, 1699 - 1792. Listes de repertoire. Uppsala u. a. 1989 26 Die von Adolf Frederik 1753 engagierte französische Truppe bleibt 18 Jahre in Schweden, die italienische Operngesellschaft immerhin zehn. 298 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm gesellschaftlichen Vergnügungen “ 27 in der damaligen Zeit. Gerade vor dem Hintergrund der kurz zuvor abgeschlossenen Frankreich-Reise und im Vergleich mit den dortigen Aufführungen stellt sich für Ehrensvärd das Spiel in der ihm fremden Ästhetik als ausnehmend geschmacklos dar. Überrascht zeigt er sich vom Erfolg der Vorstellung und dem begeisterten Applaus des Publikums. Welche Eindrücke sich für den Monarchen entscheidend ausnehmen, ist nicht überliefert. Allerdings fasst er kurz nach dem Besuch der Aufführung den Entschluss, ein landessprachliches Theater zu etablieren. 28 Stenborgs Spektakel dient dabei nur bedingt als Vorbild, denn Gustav will den großen Wurf und keine Jahrmarktsbühne. 29 Und so öffnet sich wenige Jahre nach seiner Thronbesteigung der Vorhang zum größten Spektakel in der schwedischen Theatergeschichte, wobei es gelingt, die beiden so verschiedenen Theaterformen mit ihrem unterschiedlichen Publikum zusammenzuführen und unter dem Dach einer nationalen Institution zu vereinen. Zunächst stehen jedoch handwerkliche Herausforderungen im Fokus: Es gibt weder ausgebildete Schauspieler, die der schwedischen Sprache mächtig sind, noch existiert eine landessprachliche Dramatik, die für die Bühne geeignet scheint. 30 Daher dürfte die Entscheidung, zunächst ein 27 Nordensvan I, S. 2; überliefert ist zudem, dass Gustav sich schon in jungen Jahren als talentierter Tragöde auszeichnet, vornehmlich in Stücken von Racine, Molière oder Voltaire. (Marker&Marker, S. 71) 28 Hedwall, Lennart: „ The Stenborg stage. “ In: van Broer, Bertil H. [Hrsg.]: Gustav III and the Swedish stage. Opera, theatre, and other foibles. Essays in honor of Hans Åstrand. Lewiston 1993, S. 103 - 116, hier: S. 104 29 Marker&Marker, S. 77 30 Äußerst eindringlich schildert Ehrensvärd, der als erster Direktor des neuen Theaters fungiert, die große Skepsis gegenüber dem Gustavianischen Unternehmen: „ Tusende planer formerades, huru detta svenska skådespel skulle bli, och huru man skulle inrätta ett spectacle i ett land, där man icke egde några theaterarbeten, där de enda acteurer som funnos voro uslare än de sämsta landstrykande comedietrouper, där nationens genie var vändt til tröghet, där fattigdomen var i tiltagande, smak och insigter i aftagande, och där regeringssättets natur gjorde, at man häklade alt hvad som företogs. Att inrätta en comedietroupe var det aldra äfventyrligaste; man hade nyss förlorat en af de bästa franska. Örat hade vänt sig vid detta angenäma språk, de nyaste piecer med de lifligaste målningar och de artigaste uttryck hade nyss intagit oss; huru kunde man då förvänta at lyckas med ett ohöfsadt folk, med ohöfsade piecer och jag vågar säga med ett ohöfsadt theaterspråk? “ (Ehrensvärd 1877, S. 215) / / „ Tausende Pläne wurden entwickelt, wie dieses schwedische Theater aussehen könnte, und wie man ein Theater in einem Land einrichten würde, das keine eigenen Theaterarbeiten besaß, in dem die einzigen Schauspieler erbärmlicher waren als die schlechteste, übers Land fahrende Theatertruppe, in dem der Genius der Nation der Trägheit zugewandt war, in dem die Armut Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) 299 Opernhaus zu etablieren, sich vor allem auf praktische Gründe 31 gestützt haben: Ein Orchester sowie Teile des Balletts existieren bereits und über bekannte, gut gebildete Stimmen verfügt die Stadt in ausreichendem Maß. 32 Umfangreiche Anstrengungen werden unternommen, damit schon am 18. Januar 1773 die erste schwedische Oper in Stockholm gezeigt werden kann. Das Bollhus - nun Spielstätte des Königlichen Theaters - wird renoviert, die Bühne umgebaut, eine Loge für den König eingezogen und der gesamte Salon aufwendig verziert. Ein großes Unternehmen nimmt Gestalt an, für das weder Kosten noch Mühen gescheut werden. Gustav beteiligt sich auch an der künstlerischen Ausgestaltung dieser Bühne. Nach seiner Idee ensteht das von Johan Wellander verfasste Libretto der Eröffnungspremiere Thetis och Pelée (Thetis und Peleus), die Kompositionen liefert der italienische Chef der Hofkappelle Francesco Uttini und auch das Ballett unter der Leitung des Franzosen Louis Gallodier wird selbstverständlich eingebunden. Schon im Erstlingswerk fährt die Oper eine große Besetzung auf - über 80 Mitwirkende 33 tragen zum Erfolg bei, zu-, Geschmack und Bildung abnahm und in dem die Art der Regierung dazu führte, dass man an allem herumkritisierte, was auf der Agenda stand. Eine Komödientruppe aufzubauen, war ein einziges Abenteuer - hatte man doch gerade eine der besten französischen verloren. Das Ohr hatte sich an diese angenehme Sprache gewöhnt, die neuesten Stücke mit lebendigen Charakterisierungen und geschmackvollem Ausdruck hatten uns eingenommen. Wie konnte man da erwarten, mit unschicklichen Menschen, unschicklichen Stücken und - ich wage zu sagen - einer unschicklichen Theatersprache zu reüssieren? “ 31 Für die Zeitgenossen manifestiert sich in der Etablierung eines Opernhauses fast aus dem Nichts die besondere Stellung der schwedischen Nation im internationalen Rahmen. Ehrensvärd schreibt in patriotischem Duktus: „ Hvad utväg skulle man då taga at vinna ett svenskt spectacle? Jo at börja med det, hvarmed andra nationer slutat: at inrätta en stor opera. “ (Ehrensvärd 1877, S. 216) / / „ Welcher Ausweg blieb, um eine erfolgreiche schwedische Bühne zu gründen? Genau damit anzufangen, womit andere Nationen aufgehört haben: eine große Oper einzurichten. “ 32 Die Hofkapelle, die auch die Schlosstheater bespielt, übernimmt nun an der Oper, die Tänzer rekrutieren sich zuvorderst aus der französischen Truppe und für den Chor engagiert das Theater stimmgewaltige Bürger der Hauptstadt. Die Hauptrollen übernehmen Elisabeth Olin, die damit über Nacht zum ersten Star des Theaters wird und Carl Stenborg, erfahrener Schauspieler der landessprachlichen Truppe und später Leiter der privaten Stockholmer Bühne. 33 Als problematisch erweist sich, die Sängerinnen zu bewegen, eine Karriere im Theater zu beginnen. Die negativen Konnotationen, die der Beruf der Schauspielerin mit sich bringt, erweisen sich für einige als schwere Hürde. Auf Konzerten zu singen ist eine Sache, aber ans Theater zu wechseln etwas ganz anderes. Elisabeth Olin wird vom König persönlich „ überredet. “ (Nordensvan I, S. 4) Um den speziellen Status der Oper zu betonen und den Befürchtungen der Sängerinnen und deren Familien - allesamt keine 300 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm das begeisterte Publikum 34 erlebt über zwanzig Vorstellungen. Im Mai folgt ein Ballett zu Händels Acis och Galathea (Acis und Galatea), im November schließlich feiert Glucks Orphée och Eurydice (Orpheus und Eurydike) Premiere - allesamt Aufführungen, deren Stoffe dem heroischen Genre zuzuordnen sind. Das Bollhus erweist sich für die aufwendigen Produktionen bald als zu klein und der Neubau eines Musiktheaters nach Plänen des Architekten Carl Fredrik Adelcrantz 35 beginnt bereits 1775. An dem Platz, wo auch noch heute die Oper ihr Zuhause hat, 36 eröffnet am 30. September 1782 das imposante Gebäude mit Cora och Alonzo (Cora und Alonzo) von Gudmund Jöran Adlerbeth (Libretto) und Johann Gottlieb Naumann (Musik). Das festlich begangene Ereignis erweckt große Aufmerksamkeit und bildet eines der „ pompösesten Geschehnisse in der Geschichte des Gustavianischen Theaters. “ 37 Die eingangs angesprochene Funktion des Theaters als politisches Instrument spiegelt sich vor allem in der Spielplangestaltung wider. Am einleuchtendsten lässt sich dies anhand der Oper Gustaf Vasa 38 verunbedeutenden Größen der Stockholmer Gesellschaft - entgegenzutreten, werden alle Aufführungen im Namen der Kungliga Musikaliska Akademien (Königliche Musikakademie) gegeben. (Derkert 1988, S. 12) Diese wird im September 1771 gegründet. In den Anfangsjahren setzt sie sich vor allem aus Adligen zusammen und zielt darauf, Musik und Dichtkunst zu unterstützen und für deren Verbreitung zu sorgen. Zudem gibt sie einheimischen Musikern die Möglichkeit, eine Ausbildung zu absolvieren. Zu diesem Zweck wird unter dem Dach der Akademie ein Konservatorium gegründet. Schließlich richtet die Akademie ein Orchester, bestehend aus Profimusikern und Laien, ein, um öffentliche Konzerte zu realisieren. (Sperling 2004, S. 50) Dass die Arbeit von Schauspielerinnen bis weit ins 19. Jahrhundert hinein argwöhnisch betrachtet wird und mit vielen Einschränkungen verbunden ist, hat eindrucksvoll Ingeborg Nordin Hennel aufgezeigt. (Nordin Hennel, Ingeborg: Mod och försakelse. Livsoch yrkesbetingelser för Konglig Theaterns skådespelerskor 1813 - 1869. Stockholm 1997) 34 Nordensvan I, S. 5 35 Adelcrantz zählt zu den wichtigen schwedischen Architekten des 18. Jahrhunderts. Er ist maßgeblich an der Gestaltung des Schlossbaus in Stockholm beteiligt und zeichnet darüber hinaus für die Theater in Drottningholm und Ulriksdal sowie etliche Kirchen verantwortlich. 36 Allerdings handelt es sich beim heutigen Opernhaus um ein Gebäude aus dem Jahr 1898, das nach den Plänen des Architekten Axel Anderberg entsteht. 37 „ / . . . / mest lysande tilldragelserna i den gustavianska teaterns historia. “ (Personne, Nils: Svenska teatern under gustavianska tidehvarvet. Jämte en återblick på dess tidigare öden. Stockholm 1913, S. 156. Im Folgenden: Personne I) 38 Das Libretto von Kellgren geht auf einen Entwurf Gustavs III. zurück, der eigentlich für die Einweihung der Statue Gustaf Adolfs gedacht ist. Da sich deren Fertigstellung immer weiter verzögert - sie wird erst 1796 enthüllt - wird die Idee einer Umsetzung auf der Bühne laut. Die Musik besorgt wieder Naumann. (Personne I, S. 180) Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) 301 deutlichen, die am 19. Januar 1786 Premiere feiert und vom schwedischen Theaterhistoriker Nordensvan als „ erstes schwedisches nationales Musikdrama “ 39 bezeichnet wird. Der Aufführung ist ein enormer Erfolg beschieden, 40 was sicher nicht nur dem nationalen Duktus, sondern auch der üppigen Ausstattung zu verdanken ist. 41 Das Stück entwickelt sich in Kürze zum kulturellen Allgemeingut und spielt auch über das Theater hinaus eine wichtige Rolle. Jeder „ gebildete Schwede “ - so behauptet zumindest Nordensvan - kann einen Großteil des Textes auswendig 42 und die für die Gustav-Vasa-Partie komponierte Arie Ädla skuggor, vördade fäder (Edle Schatten, verehrte Väter) fungiert bald als eine Art Nationalhymne. 43 Einen weiteren Meilenstein des nationalen Repertoires bildet die Vertonung des von Gustav III. geschriebenen Schauspiels Gustaf Adolf och Ebba Brahe (Gustaf Adolf und Ebba Brahe) im Januar 1788. 44 Wiederum prachtvoll ausgestattet, finden sich teilweise über 200 Beteiligte gleichzeitig auf der Bühne, die Wagen werden von echten Pferden gezogen und der Publikumsansturm bleibt nicht aus. Auf Grund des erfolgreichen Spielplangestaltung gelingt es innerhalb weniger Jahre mit einem internationalen Ensemble 45 39 „ det första svenska nationella musikdramat “ (Nordensvan I, S. 16) 40 Das Publikum stürmt förmlich das Theater, noch im ersten Winter läuft die Oper weitere 23 Mal vor ausverkauftem Haus. 41 Allein an den Dekorationen arbeitet der berühmte französische Bühnenbildner Desprèz, der 1784 nach Stockholm engagiert wird, an die zwei Jahre. (Stribolt, Barbro: „ On Desprez as a set designer in Sweden. An orientation. “ In: van Broer, Bertil H. [Hrsg.]: Gustav III and the Swedish stage. Opera, theatre, and other foibles. Essays in honor of Hans Åstrand. Lewiston 1993, S. 167 - 190, hier: S. 170) Nils Personne beschreibt die gefeierte Premiere wie folgt: „ Det fosterländska ämnet i Kellgren sköna vers, den slösande prakt, hvarmed pjäsen var uppsatt, mängden af agerande, omkring etthundrafyrtio personer utom statister och komparser, i lysande dräkter, solisternas briljanta sång och spel, den härliga musiken, allt detta inramadt i Desprèz ’ förträffliga dekorationer verkade fullkomligt elektriserande på publiken. “ (Personne I, S. 180 f.) / / „ Das nationale Thema in Kellgrens schönen Versen, die verschwenderische Pracht, mit der das Stück aufwartete, die große Zahl der Mitwirkenden - um die 140 Personen plus Statisten und Komparsen - in leuchtenen Kostümen, der brillante Gesang und das Spiel der Solisten, die herrliche Musik: All das, eingerahmt von Desprèz ’ vortrefflichen Dekorationen, wirkte vollkommen elektrisierend auf das Publikum. “ 42 Nordensvan I, S. 16 43 Åstrand, Hans: „ Gustaf Wasa as music drama. “ In: Mattson, Inger [Hrsg.]: Gustavian opera. An interdisciplinary reader in Swedish opera, dance and theatre 1771 - 1809. Stockholm 1991, S. 281 - 292, hier: S. 281 44 Das Opernlibretto verantwortet erneut Kellgren, die Musik steuert Vogler bei. 45 Neben schwedischen Opernstars übernehmen auch internationale Berühmtheiten tragende Partien. Zu nennen sind hier u. a. die Dänin Karoline Müller, Fräulein Baptiste aus Frankreich, Fräulein Stading aus Deutschland und die Polin Frau Karsten. Im 302 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm ein Opernhaus von Rang zu etablieren, das dem Vergleich mit anderen Theatern standhalten kann und internationales Renommee besitzt. 46 Darüber hinaus schafft sich die Oper durch ihre zunehmende Fokussierung auf nationale Thematiken ein Alleinstellungsmerkmal und spielt nicht „ nur “ die bekannten und international erprobten Partien nach. Aber Gustavs Engagement entsteht nicht nur aus Liebe zum Theater. Die Gründung der Oper muss im Zusammenhang mit der Verfassungsänderung von 1772 betrachtet werden, 47 im Zuge derer der Monarch die königliche Macht festigt sowie die Rechte des Reichstages und vor allem des Adels empfindlich beschneidet. Im Aufbau einer nationalen Bühne spiegeln sich demnach nicht (nur) die künstlerischen Ambitionen eines Monarchen, der theaterspielend aufgewachsen ist und zudem leidenschaftlich gern dramatische Arbeiten produziert, das Theater dient vor allem, wie Kerstin Derkert schreibt, als „ Propagandamittel sowohl nach innen als auch nach außen. “ 48 So besteht die dringlichste Aufgabe der neuen Bühne in der Stärkung einer als genuin schwedisch wahrgenommenen kulturellen Identität mit der Absicht, die heterogene Ständegesellschaft hinter dem Gedanken der einheitlichen Nation, symbolisiert durch den König, zusammenzuführen. 49 Beispielhaft lässt sich dies an den beiden oben genannten Gustaf-Opern nachvollziehen, deren starke politische Aufladung Marie Christine Skuncke und Anna Ivarsdotter herausgearbeitet haben. 50 Nicht nur verhandeln diese Werke historische Größen der schwedischen Geschichte und schreiben auf diese Weise Gustav III. selbst Orchester finden sich viele italienische und deutsche Musiker, das Ballett ist geprägt von französischen und italienischen Tänzern und Artisten. Denkt man an die heutigen Theaterverhältnisse erscheint diese spezifische Ausformung des Ensembles durchaus vertraut. 46 Aus Briefen französischer Reisender geht hervor, dass Dekorationen, Maschinerie und vor allem die Kostüme dem internationalen Vergleich standhalten. (Nordensvan I, S. 19) 47 Die Zeit zwischen 1718 und 1772 wird gemeinhin als frihetstid (Freiheitszeit) bezeichnet, in der vor allem der Reichstag und der Reichsrat die Geschicke des Landes bestimmen und die durch eine heraugehobene Stellung des Adels charakterisiert wird. 48 „ [F]ör Gustav III var teatern det stora propagandamedlet både inåt och utåt. “ (Derkert 1988, S. 13) 49 Daher darf die Oper kosten, was sie will, das Theater ist weder besonderen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen noch muss es gewinnorientiert geführt werden. Die Kosten, die die aufwendigen Aufführungen hervorrufen, steigen kontinuierlich - aber der König investiert weiter. Die Oper wird nahezu vollständig aus der Handkasse des Monarchen bezahlt, der 4/ 5 seiner jährlichen Zuwendungen dafür bereitstellt. 50 Skuncke, Marie-Christine; Ivarsdotter, Anna: Svenska operans födelse. Studier i gustaviansk musikdramatik. Stockholm 1998, S. 243 Theater und Politik - Gustav III. erfindet das Theater (neu) 303 in eine erfolgreiche dynastische Linie ein, sondern sie richten sich auch thematisch an den politischen Bedürfnissen des Monarchen aus. Gustaf Vasa feiert zu einer Zeit Premiere, als (langgehegte) Pläne für einen Krieg mit Dänemark Gestalt annehmen. In diesem Zusammenhang fungiert der historische Gustaf Vasa, der Schweden zu Beginn des 16. Jahunderts von dänischer Herrschaft befreit, als perfektes Propagandasymbol - gerade durch die Gegenüberstellung mit dem einsamen und verhassten dänischen Tyrannen Christian im Opernlibretto. Am Sieg sind maßgeblich auch „ die schwedischen Helden und Rittersleute “ 51 beteiligt. Ein musikalisches Werben um die Unterstützung des schwedischen Adels, den Gustav III. seit seiner Machtübernahme auf vielfältige Weise verprellt hat. Eine andere Ausrichtung liegt der Oper Gustaf Adolf och Ebba Brahe zugrunde. Hier figuriert Gustaf Adolf zu allererst als treu sorgender Landesvater, verehrt von seinem Volk. Gerade zu einer Zeit, in welcher der schwedische Absolutismus heftiger Kritik aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ausgesetzt ist, bedient sich Gustav III. hier eines weiteren Vorbildes, das sich ihm im politischen Alltag dienlich zeigt. 52 7.3 Das Theater lernt sprechen Die Entwicklung einer landessprachlichen Sprechtheaterbühne nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch als die Etablierung des Opernbetriebs, die Wege dorthin erscheinen recht unwegsam. Auch hier fungiert der König als treibende und gestaltende Kraft, die klar das Ziel verfolgt, dem Mangel an schwedischer Dramatik sowie schauspielerischen Talenten Abhilfe zu schaffen. Der Grundstein für die Sprechtheaterbühne wird bereits zu Beginn der 1780er Jahre gelegt. Als Gustav 1781 eine neue französische Truppe für seinen Hof engagiert, 53 deutet zunächst wenig in diese Richtung. Vielmehr scheint eine Rückbesinnung auf die Theater- 51 Dies wird besonders in der berühmten Arie Ädla skuggor, vördade fäder herausgestellt, in der „ Sverges Hjeltar och Riddersmän “ besungen werden. (Kellgren, Johan Henrik: „ Gustaf Wasa. Lyrisk tragedie i tre acter. “ In: Samlade Skrifter av Johan Henrik Kellgren. Tredje delen. Teaterstycken. Utgivna av Sverker Ek och Allan Sjöding. Stockholm 1942, S. 123 - 197, hier: S. 155) 52 Skuncke, Ivarsdotter 1998, S. 243 53 Die Leitung der Truppe übernimmt Boutet de Monvel, einer der herausragenden Schauspieler der Pariser Comédie-Française. (Personne I, S. 193) 304 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm verhältnisse vor seinem Regierungsantritt zu erfolgen. 54 Mit dem Engagement der Franzosen betreibt Gustav jedoch keineswegs eine rückwärtsgerichtete oder sentimentale Theaterpolitik. Vielmehr zeigt sich, dass die starke internationale Ausrichtung seiner Theater, also die Bindung unterschiedlicher Künstler aus verschiedenen Ländern, darauf zielt, deren Wissen und Können für den eigenen Nachwuchs fruchtbar zu machen und so langfristig eine qualitativ hochwertige personelle Ausstattung der Bühnen sicherzustellen. 55 So wird Monvel, dem Leiter der französischen Truppe, die Aufgabe übertragen, eine Schauspielschule aufzubauen. Anders als in Dänemark bringt diese viele erfolgreiche Darsteller hervor, der berühmteste ist dabei wohl Lars Hjortsberg, der als Monvels Elev zum bedeutendsten Mimen der ersten Jahrzehnte der neuen Bühne avanciert. 56 Dem Mangel an schwedischer Dramatik begegnet der Monarch auf zwei verschiedene Arten. Zum einen gründet er 1782 die Förbättringssällskap för svenska språket (Gesellschaft zur Verbesserung der schwedischen Sprache), die sich überwiegend aus Amateur-Schauspielern des Hoftheaters rekrutiert. 57 Deren Aufgabe besteht vor allem darin, neue Theaterstücke zu lesen und nach Möglichkeit aufzuführen. Dies regt die Produktion in dieser Gattung merklich an und stellt einen weiteren Zwischenschritt zur Gründung einer landessprachlichen Sprechtheaterbühne dar. Ein ähnliches Ziel verfolgt die 1786 ins Leben gerufene Svenska akademien (Schwedische Akademie), die durch die Auslobung jährlich vergebener Dramatikerpreise Autoren ermutigen soll, in diesem Genre zu reüssieren. 58 54 Die neu angestellte Truppe, bestehend aus anfangs neun Herren und fünf Damen, spielt zunächst abwechselnd in den Lustschlössern Drottningholm, Ulriksdal und Gripsholm. Diese Aufführungen sind einem elitären Zirkel vorbehalten, zu einer Vorstellung eingeladen zu werden, bedeutet eine herausragende Auszeichnung. Im Herbst 1783 weitet sich der Wirkungskreis der Franzosen und sie geben öffentliche Vorstellungen im Bollhus. Überwiegend werden französische Dramen aufgeführt, eine ausführliche Übersicht über das Repertoire der Truppe findet sich bei Georg Nordensvan. (Nordensvan I, S. 15) 55 Neben der französischen Theatertruppe beruft Gustav weitere wichtige internationale Künstler an seinen Hof: Musiker, Maler, Tänzer, Bildhauer, Kunsthandwerker beeinflussen und gestalten die Ausformung des im Erwachen begriffenen schwedischen Theaters entscheidend mit. 56 Mit ihm prägen weitere Schüler Monvels das schwedische Theater in den kommenden Jahrzehnten wie beispielsweise Maria Ruckman, Frederika Löf und Charlotte Neuman. (Personne I, S. 193) 57 Marker&Marker, S. 86 f 58 Die Schwedische Akademie ist eine weitere, bis heute das öffentliche Leben prägende Institution, die auf Gustav III. zurückgeht, u. a. verleiht sie jährlich den Literaturnobel- Das Theater lernt sprechen 305 Zum anderen fungiert der König selbst als Urheber einer Vielzahl von Dramen, in denen er den Schwerpunkt vor allem auf historische Persönlichkeiten der schwedischen Geschichte legt. 59 Die Dramen werden zwischen 1783 und 1785 am Hof aufgeführt und bilden später eine wichtige Grundlage für das Repertoire des Sprechtheaters. Im Juni 1787 ist es dann endlich soweit: In Stockholm öffnet ein neues Theater unter dem Namen Svenska dramatiska teatern (Schwedisch dramatisches Theater) seine Pforten. Verantwortlich für die Bühne zeichnet zunächst Adolf Fredrik Ristell, der „ auf eigene Kosten, eigenes Risko und eigenen Vorteil “ 60 zwei Mal pro Woche Komödien und Tragödien in schwedischer Sprache aufführen darf. Materielle Unterstützung erhält Ristell insofern, als er das Bollhus - zusammen mit der französischen Truppe 61 - umsonst nutzen kann, ebenso wie Kostüme und Bühnenbilder aus dem Fundus der Oper. Die Hilfe des Königs manifestiert sich auch darin, dass er regen Anteil an den Aufführungen nimmt und regelmäßige Besuche abstattet. Die Verschränkungen mit dem Königlichen Theater sind vielfältig: So rekrutiert sich das Personal vor allem aus Mitgliedern des Opernensembles, die Direktion der nationalen Bühne übernimmt die Abnahme der Stücke und auch die Hofkappelle ist bei Ristell beständig im Einsatz. Das enorm große Ensemble bestehend aus 18 Damen und 19 Herren, unter ihnen die später gefeierten Komiker Gabriel Schylander und Lars Hjortsberg, kann sicher als ein Grund für die finanziellen Schwierigkeiten gesehen werden, denen sich Ristell bald ausgesetzt sieht. Noch ist die erste Spielzeit nicht vorbei, da muss das Theater Konkurs anmelden und sein Leiter außer Landes fliehen. Um die Bühne vor dem schnellen Ende zu bewahren, übernimmt der König selbst preis. Am 20. März 1786 vom König ins Leben gerufen, dient sie vor allem der Förderung schwedischer Literatur. In seiner Eröffnungsrede umreißt der Monarch die Agenda „ seiner “ Akademie, die vor allem darauf zielt, in friedlichen Zeiten durch das Streben nach literarischer Ehre die Leidenschaft am Leben zu halten, die in Kriegszeiten notwendig sei. Dies könne vor allem durch die Fokussierung auf Helden der Vergangenheit gelingen, die in literarischer Form den Bürgern als Vorbild aufgezeigt werden könnten. (Derkert 1988, S. 34) 59 In dieser Zeit entstehen u. a. Gustav Adolfs ädelmod, Odin och Frigga, Gustav Adolf och Ebba Brahe sowie Drottning Kristina. 60 „ med egen bekostnad, risk och förmån “ (Nordensvan I, S. 22) 61 Der Reiz der Aufführungen der französischen Truppe lässt nach, und mehr und mehr findet sich nur noch ein elitärer, frankophiler Kreis von Bürgern mit ausreichenden Sprachkenntnissen zu den Vorstellungen ein. 306 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm das Ruder. 62 Er lässt eine neue Organisationsstruktur schaffen, 63 verzahnt seine Theater miteinander, 64 regelt die Bezahlung der Spielenden 65 sowie der Autoren 66 und stellt sein Sprechtheater, das von nun an unter dem Titel Kungliga svenska dramatiska teatern (Königlich schwedisches dramatisches Theater) läuft - umgangssprachlich Dramaten - unter die Leitung der Svenska Akademien. Dem König geht es darum, „ eine nationale Bühne zu gründen und zu stärken, an der Arbeiten schwedischer Dramatiker von schwedischen Schauspielern zur Förderung der Sprache, des Geschmacks und der Sitten für die Allgemeinheit aufgeführt werden. “ 67 Der Nationaltheater-Gedanke findet also spätestens mit der Gründung des Dramaten seinen vollen Ausdruck. In der praktischen Umsetzung kommt die neue Bühne diesem Auftrag nach, indem sie die Aufführung landessprachlicher Theaterliteratur in den Fokus rückt. Bearbeitungen sind erlaubt, reine Übersetzungen hingegen untersagt - wobei die Übergänge hier sicher fließend sind und diese Grenzziehungen auch keineswegs durchgängig eingehalten werden können. 68 In diesem 62 Verglichen mit der Oper nehmen sich die finanziellen Zuwendungen des Königs an sein Sprechtheater äußerst bescheiden aus. Die Oper erhält jährlich etwa 83.000 Rdl, das Dramaten hingegen nur 2.200. (Bergman, Gösta M.: „ Dramaten - från Bollhuset till Nybroplan. “ In: Bergman, Gösta M. [Hrsg.]: Dramaten 175 år. Studier i svensk scenkonst. Stockholm 1963, S. 9 - 74, hier: S. 17) 63 Marker&Marker, S. 93 64 So steht der neuen Bühne das Bollhus kostenfrei zur Verfügung, die Hofkapelle spielt umsonst, auch kann das neue Theater auf die Bühnenbilder und den Kostümfundus der Oper zurückgreifen. 65 Die Entlohnung der Schauspieler richtet sich nach einem komplizierten System, dem die Größe der Rollen beziehungsweise des Rollenfaches zugrunde gelegt und das auf Basis der Kasseneinnahmen berechnet wird. (Personne I, S. 199) Darüber hinaus wird ein so genanntes Fleißgeld (flitpengar) eingeführt, das besonders häufiges Mitwirken belohnt. Dies führt dazu, dass auch kleinere Rollen attraktiv werden. Die Schauspieler müssen im Gegenzug viele der im Zusammenhang mit einer Aufführung anfallenden Kosten selbst tragen: den Transport zum und vom Theater, den Friseur, Ankleider, moderne Kostüme und häufig auch die Requisiten. Das Einkommen der Akteure ist somit größeren Schwankungen ausgesetzt, erst 1834 wird eine feste Bezahlung eingeführt, die sich nicht mehr an den Einnahmen des Theaters orientiert. (Derkert 1988, S. 23) 66 Die Höhe der Autorenvergütung richtet sich nach Art, Länge und Anzahl der Aufführungen ihrer Dramen. Darüber hinaus erhalten die Autoren in der Regel freien Eintritt ins Theater. (Personne I, S. 200) 67 „ / . . . / grunda och stadga inrättningen av ett nationellt spektakel, där svenska dramatiska författeres arbeten av svenska aktörer till språkets, smakens och sedernas odling för allmänheten skulle uppföras. “ (Nordensvan I, S. 23) 68 Skuncke, Marie-Christine: Sweden and European drama 1772 - 1796. A study of translations and adaptations. Stockholm 1981, S. 13 Das Theater lernt sprechen 307 Geist erfolgt am 17. Mai 1788 die Wiedereröffnung unter königlichem Patronat mit Gustaf Fredrik Gyllenborgs Tragödie Sune Jarl eller Sverkers död (Sune Jarl oder Sverkers Tod). 69 Es folgen Stücke von Gustav III., Carl Michael Bellman und Olof Kexél. 70 Augenfällig ist, welch herausragende Rolle Gustav III. bei der Gestaltung selbst der kleinsten Details des Theaterlebens einnimmt und welch wichtige Funktion seine Bühnen als politische Institutionen in den turbulenten Jahren zwischen 1788 und 1790 71 übernehmen. Auf Gustavs Agenda steht nicht nur das Theater. Er führt Kriege mit seinen Nachbarn und nimmt starke Veränderungen in der politischen Ordnung des Landes vor. Seine Position ist dabei keineswegs unbestritten oder gefestigt und so fungiert das Theater nicht nur als Propagandamittel, sondern dient zugleich den erklärten Royalisten als Sammelpunkt und damit Ausdrucksmöglichkeit ihrer politischen Gesinnung. Anhand eines Beispiels möchte ich das verdeutlichen: Kurz nach der Eröffnung seines neuen Sprechtheaters verlässt der König Stockholm in Richtung Finnland. Die Animositäten mit Russland drohen zu eskalieren. Kurz zuvor wird sein Drama Helmfelt 72 aufgeführt, geschrieben 1783 als bereits alles auf eine Auseinandersetzung mit dem großen Nachbarn hindeutet. Die im Drama enthaltenen politischen Anspielungen, welche die aktuelle Lage genau zu treffen scheinen, werden vom Publikum jubelnd aufgenommen: 73 Der König und mit ihm sein Theater ziehen in den Krieg. Aus einem Brief des Vertrauten Schröderheim an den König geht hervor, dass im Zuschauerraum eine stark national aufgeladene Stimmung herrscht - die Parallelen zu Knudsens Liederabenden in der dänischen Hauptstadt sind nicht von der Hand zu weisen 74 - , zudem wird genau registriert, wer sich im Theater blicken lässt und wer nicht erscheint. 75 Die pro-royale Stimmung zielt damit zum einen gegen den Feind von außen, zum anderen dient die Bühne 69 Es handelt sich dabei um ein durchaus erprobtes Drama, das bereits 1783 in Drottningholm von der höfischen Gesellschaft dargeboten wird. 70 Detaillierte Angaben zum Repertoire finden sich bei Nordensvan I, S. 24 und Personne I, S. 201 71 Zwischen 1788 und 1790 führt Gustav III. Krieg mit Russland. Dieser schwedisch-russische Krieg endet 1790 mit dem Frieden von Värälä; er bleibt für beide Seiten weitgehend folgenlos. Weder kommt es zu territorialen noch zu politischen Veränderungen. 72 Das Drama handelt vom schwedischen Feldmarschall Simon Grundel-Helmfelt, der sich im Dreißigjährigen Krieg als gewiefter Kämpfer erweist. 73 Derkert 1988, S. 18 74 Vgl. Kap. 5.2 75 Der Brief im Wortlaut findet sich bei Derkert 1988, S. 19 308 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm als politisches Instrument des Königs im Kampf gegen die Gegner im eigenen Land. 76 Thalias Tempel fungiert somit nicht nur als ein Hort der (Landes-)Sprache, vestimentärer Pracht oder Handlungsarena nordischer Helden und griechischer Götter, sondern auch als Mittel im Kampf um die Spitze des Staates und die politische Ausgestaltung des Gemeinwesens. Die innensowie außenpolitischen Auseinandersetzungen beeinflussen das Theater auf unterschiedliche Weise. Zum einen reüssieren Stücke, die auf den Krieg oder innerschwedische oppositionelle Bestrebungen anspielen. Anderseits behindert die lange Abwesenheit des Königs infolge des mehrjährigen russischen Krieges die administrative Arbeit der Bühne, da der Monarch in alle Entscheidungen eingebunden sein will. 77 Zudem wird erkennbar, wie sehr das strenge Reglement mit dem Bestehen auf neu geschriebener landessprachlicher Dramatik die Spielplangestaltung einschränkt. Es werden in der Kürze der Zeit schlicht nicht genug neue und spielbare Stücke produziert. Das Publikumsinteresse wachzuhalten, erweist sich unter diesen Umständen als ausnehmend schwierig, zumal die Konkurrenz nicht unerheblich ist. Denn anders als beispielsweise in Kopenhagen besitzen die Königlichen Bühnen kein Monopol 78 und sehen sich daher attraktiven Mitbewerbern ausgesetzt, wobei vor allem das Privattheater Stenborgs beim Publikum Anklang findet. 79 76 Für Gustav stellt sich diese Unterstützung als enorm wichtig heraus, die politischen Veränderungen werden keineswegs widerstandslos hingenommen. Eine Gruppe Offiziere schließt sich in Opposition zum Monarchen zum so genannten anjalaförbund zusammen: Sie halten den Krieg gegen Russland für einen Angriffskrieg, den der König ohne Genehmigung des Reichstages nicht hätte führen dürfen, verlangen Friedensverhandlungen, die Einberufung des Reichstages und zielen auf eine mögliche Abdankung des Königs. 77 Für die Theatergeschichtsschreibung erweist sich die räumliche Trennung von Theater und König als sehr gewinnbringend, da die vielen Briefe des Theaterleiters Niklas Clewberg, in denen er Gustav regelmäßig über die aktuellen Entwicklungen umfassend informiert, einen einzigartigen Blick hinter die Kulissen der königlichen Bühne erlauben. Clewberg wird 1789 wegen seiner Verdienste um das Theater geadelt und führt von da an den Namen Edelcrantz. (Forselles, Jenny af: A. N. Clewberg-Edelcrantz och hans omgifning. Helsingfors 1903, S. 226 ff) 78 Das Theatermonopol wird erst nach dem Tod Gustavs im Jahr 1799 eingeführt. Der König kauft das private Theater Stenborgs samt der Stücke und übernimmt etliche der Schauspieler. Er schützt damit die eigene Bühne vor der erfolgreichen Konkurrenz und etabliert auf diese Weise ein Theatermonopol, das laut Bergman „ katastrophale Auswirkungen “ (Bergman 1963, S. 26) auf die Qualität der beiden Königlichen Theater bis fast zur Mitte des 19. Jahrhunderts hat. Das Monopol wird erst 1842 aufgehoben. 79 Unter wechselnden Namen, in verschiedenen Lokalen und mit unterschiedlichen Ausrichtungen gelingt es Carl Stenborg, eine weitere Bühne in Stockholm zu etablieren Das Theater lernt sprechen 309 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass innerhalb weniger Jahre nach dem Regierungsantritt Gustavs das kulturelle Leben der Hauptstadt grundlegende Veränderungen durchläuft und den Zuschauern zum Ende der 1780er Jahre eine vielfältige Auswahl unterschiedlicher Theaterformen bietet: Die Oper spielt in dem neuen und repräsentativen Gebäude am Norrmalstorg, die Pariser Truppe unterhält außer an den höfischen Theatern regelmäßig im Bollhus die Zuschauer mit französischen Dramen, Stenborgs Munkbroteater bietet als eine Art Volkstheater Operetten sowie Komödien und im Dramaten steht neue schwedische Dramatik auf dem Spielplan. Für eine Stadt mit einer Einwohnerzahl von ca. 70.000 80 ein üppiges Angebot. Unter diese 70.000 mischen sich 1775 erstmals legal zwei jüdische Einwanderer. Ihnen folgen dank einer gesetzlichen Novellierung des eingangs erwähnten Judenverbots bald etliche nach: Nicht nur in Stockholm, auch in Göteborg und Norrköping entstehen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts jüdische Gemeinden. Und es dauert nicht lange, bis sie auch auf der Bühne des Königlichen Theaters ein Zuhause finden. und (s)ein „ Privattheater “ unverzichtbar zu machen. Er übernimmt 1780 die Leitung der Truppe von seinem Vater Petter Stenborg. Einen detaillierten Überblick über die Entwicklung des Repertoires der privaten Theatergesellschaft liefert Marie-Christine Skuncke. (Skuncke 1981, S. 50 ff) Gustav III. steht dem Konkurrenten seines eigenen Theaters äußerst aufgeschlossen gegenüber, besucht immer wieder Vorstellungen und fördert auf diese Weise eine Bühne, die für die theatralische Vielfalt der Hauptstadt einen Gewinn darstellt. Indem er Stenborg das Monopol für die Aufführung von Operetten zuspricht und seine Bühne als einzige auch sonntags spielen darf, sichert er dem Privattheater einen Wettbewerbsvorteil, der es auch ohne finanzielle Zuwendungen aus der Kasse des Königs überleben und gedeihen lässt. Neben Operetten finden Aufführungen von beispielsweise Molière, Holberg und Voltaire statt. Die Stenborg ’ schen Unternehmungen finden schließlich im Munkbroteater im Herbst 1788 unter dem Namen Svenska komiska teatern eine institutionalisierte Spielstätte. Es handelt sich dabei um ein recht überschaubares Haus, das Platz für ca. 400 Zuschauer bietet und dessen Aufführungen sich häufig durch derben Humors auszeichnen. Nach Meinung des Theaterhistoriker Nordensvan herrscht dort „ ein Geschmack, der nicht der aller kultivierteste war. “ (Nordensvan I, S. 26) Einige der Schauspieler, die hier ihre Karriere beginnen, werden später gefeierte Stars am Dramaten. 80 Sauter 2004, S. 46; Bergman geht von einer Einwohnerzahl von 75.000 aus. (Bergman, Gösta M.: „ Ur teaterhistoriens bilderbok. “ In: Bergman, Gösta [Hrsg.]: Teater. Stockholm 1954, S. 7 - 68, hier: S. 54) 310 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm 7.4 Die Anfänge jüdischen Lebens in Schweden In den Regierungsjahren Gustavs III. kommen erstmals vermehrt Juden legal nach Schweden, aber mit Blick auf die Verordnung von 1741 scheint klar, dass es auch vor dem berühmten König Juden oder zumindest die Angst vor ihnen gegeben haben 81 und die jüdisch-schwedische Geschichte älter als 1771 sein muss. 82 Aber mit dem neuen Monarchen bekommt diese Beziehung eine andere Qualität und (eine) spezifische Funktion(en). Denn die wenigen Juden, die bis dato den Weg nach Schweden gefunden hatten, lassen sich entweder in großen, bedeutungsschwangeren Inszenierungen taufen 83 oder stehen als „ Experten “ - vorwiegend Ärzte und Gelehrte - unter dem persönlichen Schutz des jeweiligen Herrschers. 84 Mit dem 1782 erlassenen judereglement schafft Gustav III. erstmals einen gesetzlichen Rahmen, der jüdisches Leben in Schweden ermöglicht. In europäischer Perspektive, darauf weist Carlsson hin, nimmt Schweden in der Verhandlung der „ Judenfrage “ eine Sonderstellung ein, da die Einwanderung vergleichsweise spät und darüber hinaus in äußerst überschaubarer Zahl erfolgt. 85 Im Vorfeld der Gesetzgebung gibt es über deren Ausgestaltung erhebliche Differenzen, grob lassen sich zwei Standpunkte 81 Das erste Mal werden Juden in einem Kirchengesetz von 1686 offiziell erwähnt, nachdem sie im Jahr zuvor in einem königlichen Dekret als „ Christi und der Kirche geschworene Feinde “ ( „ Kristi och hans kyrkas svurna fiender “ ) bezeichnet werden. Ein weiteres Gesetz regelt, dass „ Juden, Türken, Mohren und Heiden “ ( „ Judar, Turkar, Morianer och hedningar “ ), die nach Schweden kommen, im rechten Glauben zu unterrichten seien und sich schließlich taufen lassen müssen, wollen sie im Land bleiben. (Dencik, Lars: Judendom i Sverige. En sociologisk belysning. Uppsala 2006, S. 18) 82 So beschreiben Glück, Neumann und Stare in ihrem Buch Sveriges judar in einer Überschrift Schweden als ein „ ein Land ohne Juden (vor 1775) “ ( „ ett land utan judar (före år 1775) “ ). (Glück, David et al. [Hrsg.]: Sveriges judar. Deras historia, tro och traditioner. Stockholm 1997, S. 16) Gleichzeitig machen sie klar, dass es auch vor diesem Datum bereits jüdische Einwanderung gibt, deutlich wird jedoch die Wichtigkeit der Gustavianische Wende in der „ Judenfrage “ . 83 Die erste bedeutende Taufe zweier jüdischer Familien ereignet sich 1681. In Anwesenheit der königlichen Familie wird in der Tyska kyrkan die Taufe vollzogen. Bis 1775 finden um die 25 solcher Taufen statt, die alle große Aufmerksamkeit und Anteilnahme auslösen. (Glück et al. 1997, S. 17 f) 84 In einem Verzeichnis von 1557 findet sich ein jüdischer Name unter den Ärzten Gustav Vasas; Königin Kristina steht in engem Kontakt mit jüdischen Zeitgenossen. (Glück et al. 1997, S. 16 f) 85 Carlsson, Carl Henrik: „ Judisk invandring från Aaron Isaac till idag. “ In: Müssener, Helmut [Hrsg.]: Judarna i Sverige - en minoritets historia. Fyra föreläsningar. Uppsala 2011, S. 17 - 54, hier: S. 18 Die Anfänge jüdischen Lebens in Schweden 311 skizzieren, welche die Diskussionen über weite Teile des 18. Jahrhunderts prägen. Gegner einer jüdischen Einwanderung weisen zuvorderst auf die in der Verfassung festgeschriebene konfessionelle Uniformität des Staates 86 hin und befürchten neben einer Erosion dieser gesamtgesellschaftlichen Übereinkunft vor allem wirtschaftlichen Schaden für einheimische Entrepreneure. Fürsprecher einer jüdischen Migration fokussieren hingegen immer wieder auf den ökonomischen Gewinn. Mit Verweis auf Vorbilder wie Amsterdam oder Altona, die vor allem auf Grund der Einbindung jüdischer Geschäftsleute eine überaus erfolgreiche Handelspolitik betreiben können, dringen insbesondere Wirtschaftspolitiker auf ein Umdenken und eine Neupositionierung. Diese Pole der Auseinandersetzung spiegeln sich im 1782 erlassenen judereglement. 87 Notwendig wird dieses Gesetz, da Gustav bereits 1775 dem jüdischen Händler Aaron Isaac und seinem Bruder einen Schutzbrief ausstellt und ihnen ein Jahr später die Erlaubnis erteilt, eine Gemeinde zu gründen 88 sowie einen Friedhof anzulegen. Aaron Isaac gilt vielen damit als Pionier, dem es als erstem gelingt, sich in Schweden niederzulassen ohne konvertieren zu müssen. Seine umfangreichen Memoiren 89 gewähren einzigartige Einblicke in den Beginn des „ legalen “ jüdischen Lebens in Stockholm, in die Schwierigkeiten, Differenzen und Herausforderungen auch innerhalb der neuen Gemeinde. Zunächst führt das neue Reglement eine Reihe von Einschränkungen auf, die jedoch nicht nur auf jüdische Einwanderer zielen, sondern grundsätzlich Bürger betreffen, die nicht der schwedischen Staatskirche angehören: Verzicht auf Anstellung im Staatsdienst, weder aktives noch passives Wahlrecht, das Verbot, eigene Schulen zu betreiben und zu missionieren. Detailliert ist geregelt, auf welche Weise Juden an einen Schutzbrief 86 1593 wird die konfessionelle Uniformität auf dem sogenannten Treffen von Uppsala (Uppsala möte) festgeschrieben. Darauf gründet der Sieg der Reformation in Schweden und die Etablierung der schwedischen Staatskriche. In die Verfassungen (regeringsform) der Jahre 1634, 1719, 1720 und 1772 erfährt dieser Passus ebenfalls Aufnahme. 87 Carlsson sieht in der Regelung vor allem eine Kompromisslinie zwischen „ der positiven Einstellung des Königs und der Bürokratie und der Judenfeindschaft der Bürgerschaft und der Kirche. “ ( „ kungens och byråkratins positiva inställning kontra borgerskapets och prästerskapets judefientlighet. “ Carlsson 2011, S. 19) 88 Dies bedeutet, dass weitere jüdische Einwanderer nach Schweden kommen, denn um einen Gottesdienst abzuhalten, bedarf es der Teilnahme von mindestens zehn Männern, die älter als 13 Jahre sind. 89 Sowohl in Schweden als auch in Deutschland sind in jüngerer Zeit neu editierte Ausgaben dieser für das jüdische Leben in Skandinavien wichtigen Schrift erschienen: Isaak, Aaron: Lebenserinnerungen. Textfassung und Einleitung von Bettina Simon. Berlin 1994; Isaac, Aaron: Minnen. Ett judiskt äventyr i svenskt 1700-tal. Stockholm 2008 312 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm gelangen, wobei es vor allem darum geht, über ausreichend Barmittel zu verfügen. Wer legal nach Schweden einwandern will, muss 2.000 Reichstaler in bar oder in Wechseln nachweisen - eine enorme Summe, bedenkt man, dass der durchschnittliche Jahreslohn eines Arbeiters sich auf ungefähr 100 Taler beläuft. 90 Im Land geborene Juden müssen 1.000 Reichstaler vorweisen, um den Schutzbrief zu erhalten. Darüber hinaus ist ihr Aufenthalt auf die drei Städte Stockholm, Göteborg und Norrköping 91 beschränkt und auch die Berufswahl unterliegt strengen Regeln: Die Arbeit in einem Zunfthandwerk sowie jeglicher Straßenhandel sind untersagt, zudem dürfen Juden keine schwedischen Bediensteten anstellen und nur untereinander heiraten. 92 Als Betätigungsfeld bleibt ihnen der internationale Handel, sowie „ Kunstmalerei, Gravieren, Petschieren, Diamantenschleiferei und Schleiferei anderer edler Steine, optische Glasschleiferei, Herstellung mathematischer und mechanischer Instrumente, Musterzeichnung, Brodieren, Kunststickerei, Korkschneiden sowie die Herstellung von Lacken und Stiften. “ 93 Deutlich wird in dem Reglement und auch in dessen Auslegung, welche verschiedenen Interessenlagen eine Rolle spielen, 94 aber auch wie sich in Folge der Etablierung eines, wenn auch bescheidenen jüdischen Lebens, die Wahrnehmung der Minderheit im öffentlichen Raum leicht verschiebt: „ Der Blick auf die jüdische Präsenz in Schweden unterlief einer Schwerpunktverschiebung: Statt die Juden weiter als nicht erwünschte religiöse Dissidenten wahrzunehmen, wurden sie als nützliche ökonomische Akteure willkommen geheißen. “ 95 In europäischer Perspektive, beispielsweise 90 Glück et al. 1997, S. 24 91 Zusätzlich gibt es ab 1782 eine Ausnahmegenehmigung für Karlskrona. Dort handelt Fabian Philip mit der Admiralität der Flotte eine Sondererlaubnis aus, die vorsieht, dass er Segeltuch zu besonders günstigen Konditionen liefert. Das Geschäft wird später von Joakim Moses Rubin weitergeführt, daraus erwächst eine kleine, äußerst überschaubare Gemeinde. (Carlsson 2011, S. 20 f) 92 Glück et al. 1997, S. 24ff 93 „ / . . . / konstmålning, gravering, pitschaftstickning, diamantslipning och slipning av andra ädla stenar, optisk glasslipning, tillverkning av matematiska och mekaniska instrument, desseinoch mönsterritning, brodering, konstsömnad, korkskärning samt förfärdigande av lack och pennor. “ (Valentin, Hugo: Judarnas historia i Sverige. Stockholm 1924, S. 190) 94 Valentin 1924, S. 193 f 95 „ En tyngdpunktsförskjutning hade skett i synen på judisk närvaro i Sverige: från att betrakta judarna som icke-önskvärda religiösa dissidenter, förändrades synen till att välkomna dem som nyttiga ekonomiska aktörer. “ (Bredefeldt, Rita: „ De svenska judarna 1782 - 1830. Ekonomiska strategier, självuppfattning och assimilering. “ In: Müssener, Die Anfänge jüdischen Lebens in Schweden 313 mit Blick auf das Toleranzedikt Josephs II. oder Dohms epochaler Emanzipationsschrift, 96 nimmt sich der Erlass allerdings recht „ altmodisch “ aus und orientiert sich zuvorderst am deutschen, vor allem preußischen Vorbild. 97 Auf Grund der doch recht aufwendigen Prozeduren zur Erlangung eines Schutzbriefes, hält sich die jüdische Einwanderung in engen Grenzen, bis 1815 finden insgesamt knapp 800 den Weg nach Schweden. 98 Trotz ihrer numerischen Unscheinbarkeit werden die Juden auf dem Theater zu gefeierten Charakteren und bespielen durchaus lebhaft und erfolgreich die Bühnen. Im Folgenden möchte ich anhand des Dramas Välgörandet på Prof beispielhaft aufzeigen, auf welche Weise jüdische Figuren in den Anfangsjahren des schwedischen Nationaltheaters dargestellt und welche Funktionen ihnen dabei zugedacht werden. Mit Blick auf die politische Ausrichtung des Theaters unter Gustav III. stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die Auseinandersetzungen um die rechtliche Stellung und die Integration der Juden dabei eine Rolle spielen, und inwieweit der König als Befürworter und Förderer jüdischer Einwanderung seine Bühne dazu nutzt, für seine Position zu werben. 7.5 Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof Das neu etablierte Sprechtheater bietet den Zuschauern in den ersten Jahren seines Bestehens eine überschaubare Anzahl jüdischer Figuren. Neben Richard Sheridans Tadelskolan (The School for Scandal), August von Kotzebues Den okände sonen (Das Kind der Liebe) prägt vor allem Olof Kexéls Välgörandet på Prof eller Den oförväntade Mågen (Wohltätigkeit auf Probe oder Der unerwartete Schwiegersohn) das Bild des Bühnenjuden. 99 Anhand von Kexéls Drama lassen sich exemplarisch wichtige Charakteristika jüdischer Figuren auf der Stockholmer Bühne nachzeichnen, zudem Helmut [Hrsg.]: Judarna i Sverige - en minoritets historia. Fyra föreläsningar. Uppsala 2011, S. 55 - 75, hier: S. 61) 96 Vgl. Kap. 4.1 97 Valentin 1924, S. 193 98 Zu diesem Zeitpunkt leben 481 Juden in Stockholm, 215 in Göteborg, 54 in Norrköping und 35 in Karlskrona. (Glück et al. 1997, S. 29) 99 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch Ludvig Holbergs Diedrich Menschenskräck, das zwar erst 1795 Premiere feiert, aber bereits vorher an Stenborgs Privattheater reüssiert. 314 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm handelt es sich um das erste aufgeführte Stück eines schwedischen Autors, das prominent einen Juden figuriert. Mit Blick auf die Galerie jüdischer Figuren erscheint besonders interessant, dass diese trotz ihrer recht kurzen Präsenz - von der Gründung des Theaters bis zu Gustavs Ermordung vergehen keine fünf Jahre - das Bild des Juden bis weit ins 19. Jahrhundert prägen. Dabei überrascht, dass sie in der Forschung bisher kaum wahrgenommen werden. 100 7.5.1 Gang der Handlung Am 30. Januar 1790 feiert Kexéls Stück seine Premiere am Dramaten. Die Komödie in drei Akten spielt im Haus des Großhändlers und Bankiers Wexeldorff. 101 Der Hausherr muss feststellen, dass die Zahlungsmoral seiner Schuldner einen Tiefpunkt erreicht hat und ihn Ausstände in immenser Höhe belasten. Am Kaufmann Hederson, der ihm die enorme Summe von 6.000 Reichstalern schuldet und offensichtlich nicht fristgerecht zurückzahlen kann, soll nun ein Exempel statuiert werden: Wexeldorff beschließt, den alten Mann ins Gefängnis werfen zu lassen, weil er sich von ihm betrogen und hintergangen fühlt. Den Argumenten seines Buchhalters Multiplex - einmal eingesperrt, könne Hederson das Geld nie zurückzahlen - verschließt sich der Bankier, denn er fürchtet, seinen guten Ruf zu verlieren und an der Börse als genarrter Geldverleiher verlacht zu werden. Mitten in all der Aufregung erscheint Kommerzienrat Zifferstein, einer der reichsten Männer der Stadt und seit drei Wochen verwitwet, und hält bei Wexeldorff um die Hand von dessen einziger Tochter Sophie an. Der Vater bevormundet sein Kind nicht und überlässt ihm die Ent- 100 Die sehr verdienstvolle Arbeit von Willmar Sauter verortet den ersten Juden auf der schwedischen Bühne erst im Jahr 1800 mit der Premiere von Richard Cumberlands Drama Juden (The Jew). (Sauter, Willmar: „ Svensk-judisk teaterhistorik. “ In: Bornstein, Idy [Hrsg.]: Nya judiska perspektiv. Essäer tillägnade Idy Bornstein. Stockholm 1993, S. 201 - 233, hier: S. 203) Auch andere Arbeiten (beispielsweise Nordin Hennel, Ingeborg; Lagerroth, Ulla-Britta: „ Nystart på Arsenalen. “ In: Forser, Tomas [Hrsg.]: Ny svensk teaterhistoria 2. 1800-talets teater. Hedemora 2007, S. 13 - 28) setzen in ihren Untersuchungen an gleicher Stelle an. In der neueren Forschung weist lediglich Derkert (Derkert 1988, S. 37) auf Kexéls Komödie hin. In der älteren Theatergeschichtsschreibung gehen Nordensvan und Personne jedoch auf die genannten Dramen zumindest kurz ein. 101 Teilweise findet sich auch die Schreibweise Wäxeldorff. Ich orientiere mich an der gedruckten Fassung. (Kexél, Olof: „ Välgörandet på Prof, eller Den oförväntade Mågen. “ In: Kexél, Olof: Skrifter. Samlade af P. A. Sondén. Förra Delen. Stockholm 1837, S. 271 - 337. Im Folgenden: Välgörandet) Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 315 scheidung. Sophie jedoch, gerade von einem Besuch bei der Tante auf dem Lande zurück, hat ihr Herz bereits an den Unbekannten verschenkt, der ihr das Leben gerettet hat: Auf dem Weg zurück in die Stadt überfallen russische Gefangene ihren Wagen und nur das heldenhafte Eingreifen des jungen Mannes verhindert Schlimmeres. Dem Vater erzählt Sophie von all dem zunächst nichts, aus Angst er würde ihr zukünftige Ausflüge dieser Art untersagen. Auch wer der unbekannte Schöne ist, bleibt (zunächst) ein Geheimnis. Die Tante kennt nur seinen Namen - Hederson (! ) - und so nehmen die Verwicklungen ihren Lauf. Kurz nachdem Sophie Zifferstein abgewiesen hat - gut erzogen, lehnt sie sein Angebot nicht ab, erbittet sich vielmehr eine Bedenkzeit von anderthalb Jahren - , erscheint unvermittelt der junge Held, bittet bei Wexeldorff um Gnade für seinen verschuldeten Vater und bietet an, selbst ins Gefängnis zu gehen. Der Antrag wird abgelehnt. Aber Sophie hat den Retter aus ihrem Versteck heraus erkannt und nimmt das Heft des Handelns selbst in die Hand. Sie verpfändet die von ihrer Mutter geerbten Juwelen und setzt zudem ein großzügiges Geldgeschenk ihrer Tante ein, um den Vater ihres Retters freizukaufen. Die Abwicklung dieses Geschäftes übernimmt der von Multiplex beauftragte Jude Moses, der schließlich mit den 6.000 Reichstalern auftaucht. Zugleich erscheint erneut der junge Hederson, offenbart Wexeldorff, dass seine Tochter und der Buchhalter hinter dem Deal stecken, Wexeldorff sagt sich daraufhin von beiden los, bis Sophie ihm vom Überfall und dem geheimnisvollen Beschützer berichtet. Schließlich erkennen die Geliebten einander, Wexeldorffs Herz ist erweicht und auch der alte Hederson kommt frei. Die jungen Liebenden dürfen einander natürlich heiraten, der Vater Besserung geloben und seinen unerwarteten Schwiegersohn in die Arme nehmen. 7.5.2 Moses als Teilhaber Der Jude übernimmt in diesem Drama einen wichtigen Part. Zu Beginn des ersten Aktes taucht er auf, um bei Wexeldorff einen Kredit in Höhe von 4.000 Talern zu erbitten, was dieser auf Grund seiner hohen Ausstände ablehnen muss. Die Weigerung auf das Geschäft einzugehen, liegt dabei nicht in Moses ’ Person, sondern vielmehr in der angespannten Lage des Bankiers begründet. Am Ende des dritten Aktes obliegt es dem Juden - von Multiplex beauftragt - die Juwelen zu beleihen und den offenen Betrag an Wexeldorff zu übergeben, um die Freilassung des alten Hedersons zu erwirken. 316 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm Die Zeichnung des Juden überrascht dabei zunächst: Nicht die Tatsache, dass er Moses heißt oder mit Geldangelegenheiten in Verbindung gebracht wird, vielmehr erstaunt, wie selbstverständlich er als Teil der gehobenen bürgerlichen Gesellschaft agiert und von den handelnden Charakteren als solcher akzeptiert ist. Er nimmt eine Mittlerrolle ein und wird von den Beteiligten als integere Person dargestellt. Wexeldorff bezeichnet ihn als „ guten Kerl, der zumeist pünktlich bezahlt “ 102 und auch Multiplex nennt ihn einen „ Ehrenmann “ , 103 dem man im Schlussakt ohne Zögern das Gold und die Juwelen für den Freikauf von Hedersons Vater anvertrauen kann. Nachdem alle Verwirrungen gelöst und die Liebenden zusammengeführt sind, sichert Wexeldorff darüber hinaus zu, Moses ’ Anfrage zu entsprechen und den eingangs gewünschten Kredit zu gewähren. Die jüdische Figur bewegt sich mit großer Selbstverständlichkeit durch das Geschehen, was weder von ihr noch von einer der anderen Dramatis Personae als ungewöhnlich empfunden oder auf besondere Weise kommentiert wird. In dieser Lesart erscheint auch der Name nicht mehr als Symbol für eine Außenseiterposition, wie es Moses, der jüdische (Theater-)Name schlechthin, zunächst impliziert. Mit Blick auf die übrigen Figuren fällt auf, dass auch deren Namen eher programmatischer Natur als dem Stockholmer Stadtbild entlehnt sind. Der Bankier heißt Wexeldorff, der reiche Brautwerber ist Kommerzienrat und nennt sich Zifferstein, der edle Retter sowie sein zu Unrecht im Gefängnis sitzender Vater hören auf den Namen Hederson (Heder=Ehre) und den allgegenwärtigen, treuen Diener, der das Geschehen lenkt und führt, tauft Kexél anerkennend Multiplex. Lediglich durch die sehr stark herausgearbeitete Sondersprache hebt sich der Jude auf der Bühne von den anderen ab. Die Ausgestaltung des jüdischen „ Dialekts “ bei Kexél unterscheidet sich von seiner dänischen Entsprechung 104 vor allem dadurch, dass Moses nahezu durchgehend deutsch spricht und auf die beispielsweise bei Holberg und Heiberg übliche Sprachvermischung größtenteils verzichtet wird. Das oft als „ Jargon “ 105 bezeichnete Judensprech löst Kexél in zweisprachigen Dialogen auf: 102 „ [N]i är en bra karl, som helst betalar på dagen. “ (Välgörandet, S. 324) 103 „ hedersman “ (Välgörandet, S. 318) 104 Vgl. Kap. 2 105 Neubauer, Hans-Joachim: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994, S. 130ff Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 317 M OSES : Wie geht ’ s? M ULTIPLEX : Tackar - rätt bra - och ni sjelf? [Danke, recht gut. Und Ihnen? ] M OSES : Wie Sie sehen, schlecht und recht, aber doch zierlich. M ULTIPLEX : Hvad är till tjenst? [Womit kann ich dienen? ] M OSES : Glauben Sie, dass ich die Ehre kann haben mit Herr Wexeldorff zu sprechen? M ULTIPLEX : Är det något som jag kan uträtta? [Kann ich etwas ausrichten? ] M OSES : Dat kann wohl nicht heimlich seyn vor den Herr Multiplex. Ein gewisser Herr sucht 4000 R: dr auf ein grosses und ungraviret Haus zu lehnen. - Jou, das ist ein sehr accurater Herr. 106 Die Zweisprachigkeit in den Unterhaltungen wird auch in den übrigen Szenen mit anderen Figuren nie thematisiert. Ein angesehener, gebildeter Jude, so lässt sich dies interpretieren, spricht formvollendet „ seine “ Sprache, welche die übrigen, natürlich ebenfalls gebildeten Bürger, problemlos verstehen. Darüber hinaus hat er an keiner Stelle Schwierigkeiten, dem Schwedischen zu folgen und zeigt sich sogar in der Lage, Wortspiele mitzugestalten. In einer einzigen Szene, einem Gespräch mit dem Dienstmädchen Lisette, verlässt Moses sein sprachliches Muster und bedient sich auffällig häufig schwedischer Wörter oder Satzteile und kauderwelscht frei von der Leber: L ISETTE (till Moses): Hvem frågar Herrn efter? M OSES : Jak fråger man efter inken. L ISETTE : Hvad söker Herrn? M OSES : Ingen ding. L ISETTE : Får jag lof att fråga, hvad Herrn gör här? M OSES : Hun ser schon selbst wat jak gere, min lille vän! L ISETTE : Herrn förstår mig intet. - Jag vill veta, hvad Herrn vill och hvem Herrn söker. M OSES : Jou, gewiss will ich etwas, und gewiss such ich wohl etwas. 107 L ISETTE (zu Moses): Nach wem fragt der Herr? M OSES : Ick fragen nach keenem. L ISETTE : Was sucht der Herr? 106 Välgörandet, S. 280 f 107 Välgörandet, S. 320 318 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm M OSES : Nix. L ISETTE : Darf ich fragen, was der Herr dann hier macht? M OSES : Sie sieht schon noch selbst, was ick machen tu, mein kleiner Freund! L ISETTE : Der Herr versteht mich nicht - ich will wissen, was der Herr will und wen der Herr sucht. M OSES : Jou, gewiss will ich etwas, und gewiss such ich wohl etwas. Dass er sich hier vermehrt schwedischer Satzbausteine bedient, hat meiner Ansicht nach vor allem mit der sozialen Stellung seiner Dialogpartnerin zu tun. Vom Dienstmädchen, so lässt sich die Szene lesen, kann kaum erwartet werden, dass sie über eine ausreichende Bildung verfügt, um mit dem Juden deutsch sprechen zu können. So ist der bewusste Einsatz verschiedener Abstufungen des „ Dialektes “ ein besonderes Zeichen der sozialen Kompetenz der jüdischen Figur und ihrer integrierten gesellschaftlichen Stellung. Zum Ende der Szene mit Lisette darf Moses dem notorisch neugierigen Dienstmädchen dann noch einen Streich spielen, indem er vorgibt, es in sein großes Geheimnis einzuweihen. Schnell wird dem Zuschauer jedoch klar, dass er sich nur lustig machen will. Wütend begräbt Lisette schließlich die Hoffnung, über den Plan informiert zu werden: „ Ach, damit kommt er und will was hermachen, genau wie der alte Affe Multiplex. “ 108 Gerade im Vergleich zu Holbergs Ausformung der Beziehung zwischen dem Diener und dem Juden, in der Henrich als gewiefter und gewitzter Publikumsliebling Ephraim und dessen Brüder immer wieder vorführt und sich auf deren Kosten amüsiert, fällt Kexéls Gestaltung dieser Paarung besonders ins Auge. Er dreht die Hierarchie um und deutet das Verhältnis neu. Fast könnte man also meinen, Välgörandet på Prof sei eine Milieuschilderung des Stockholmer Lebens, in der sich das bürgerliche Publikum - theaterkonform zugespitzt - wiederfindet. Man lacht über neugierige und dennoch ahnungslose Dienstmädchen, finanzielle Transaktionen und deren (un-)absehbare Folgen, unsittliche Heiratsanträge älterer Herren und erfreut sich an den Liebesschwüren der jugendlichen Helden. Zudem geizt Kexél nicht mit Anspielungen auf aktuelle politische Zusammenhänge. Zur Premiere im Januar 1790 befindet sich das Land im Krieg mit Russland, der König und sein Heer stehen in Finnland und ein patriotischer Geist durchweht das Theater. So nimmt es sich wenig verwunderlich 108 „ Ah! der kommer den med, och vill göra sig till, liksom den gamla markattan Multiplex. “ (Välgörandet, S. 323) Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 319 aus, dass die Kutsche der schönen Sophie ausgerechnet von entflohenen russischen Gefangenen, die plündernd durch das Land ziehen, überfallen wird. Dass die feigen Ausländer sich gegen einen einzelnen ehrenhaften Schweden nicht zu helfen wissen und dieser Sophie befreien und unbeschadet in Sicherheit bringen kann, stimmt für die Kämpfe mit dem mächtigen Nachbarstaat zuversichtlich. Wer solche Söhne hat, braucht den Feind nicht zu fürchten! Und nicht nur im Kampf gegen die Russen dienen die handelnden Charaktere als Vorbilder. Zwar erscheint Wexeldorffs vorübergehende Herzlosigkeit keinen erstrebenswerten Charakterzug darzustellen, aber er sieht am Ende seinen Fehler ein und gelobt Besserung. Zudem zeichnet Kexél ihn als wahren Patrioten und (teilweise) aufgeklärten Geist, weswegen seine Verfehlungen weniger ins Gewicht fallen. Bemerkenswert ist vor allem, dass er einen großen Teil seines Geldes in Staatsanleihen anlegt und auf diese Weise den König und dessen Projekte mitfinanziert. Darin besteht der Grund, warum er Moses ’ Bitte um einen Kredit abschlägig behandeln muss: W EXELDORFF : [J]ag har lemnat största delen af mina Capitaler till Riksgälds- Contoret. Kronan behöfver penningar, och jag kan aldrig bättre använda dem, än till Konungens och Rikets tjenst, som nu som bäst behöfver dem. Det är en billig och kär skyldighet för hvar och en redelig köpman att hjelpa det almänna framför allt annat. 109 W EXELDORFF : [I]ch habe den größten Teil meines Kapitals in Staatsanleihen angelegt. Die Krone braucht jetzt Geld, und ich kenne für meines keine bessere Verwendung als für den Dienst an Reich und König, die es jetzt so gut gebrauchen können. Es ist nur recht und billig für jeden redlichen Kaufmann, zuallererst der Allgemeinheit zu helfen. Auch im Gespräch mit dem Brautwerber Zifferstein spricht Wexeldorff dies an. Er verstehe es als seine Pflicht, über genügend Geld zu verfügen, um „ im Notfall König und Land beispringen zu können, die Künste zu ermuntern, die Gewerbetätigkeit zu unterstützen, verfallene Handelszweige wieder zu beleben und nützliche Handelsunternehmen zu gründen, die 109 Välgörandet, S. 324 320 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm doch das einzige Mittel sind, ein Land reich und mächtig zu machen. “ 110 Wexeldorff wird hier Gustavs politisch-ökonomische Agenda in den Mund gelegt, verbunden mit der deutlich transportierten Aufforderung an die anwesenden Bürger, es ihm gleichzutun. Dass es letztlich nicht zu der Verbindung zwischen den beiden reichen Familien kommt, liegt darin begründet, dass der Vater es in aufklärerischer Pose seiner Tochter überlassen will, ihren Mann zu wählen. Schon Nils Personne beschreibt Kexél als typischen Repräsentant des „ glücklichen Stockholms unter Gustav III. “ , 111 dem es ausnehmend gut gelänge, die (zumeist französischen) Vorlagen im Milieu der Hauptstadt anzusiedeln. 112 Führt man diesen Gedanken weiter, erscheint nicht nur Wexeldorff als patriotischer Botschafter, auch Moses steht in dieser Lesart für ein emanzipatorisches Judenbild, das deutlich macht, wie weit die Minderheit es in der Hauptstadt gebracht hat, wie selbstverständlich sie dazugehört und wie scheinbar problemlos die Integration ihren Weg nimmt. Moses ist ehrlicher Geschäftsmann, rechtschaffend und ein edler Helfer: Der eingangs angefragte Kredit dient einem sauberen Immobiliengeschäft, die Parteinahme und sein Mitgefühl für den unglücklichen Hederson und schließlich die tatkräftige Unterstützung des Plans zu dessen Freikauf zeichnen den Juden von Anfang an als einen, der auf der richtigen Seite steht, der bürgerlichen Werten und Moralvorstellungen entsprechend handelt und damit teilweise gar als positiver Gegenentwurf zu Wexeldorff figuriert wird. Moses dient Multiplex dann auch als integeres Vorbild, als dieser seinem Herrn dessen harte Haltung gegenüber dem Schuldner erneut zum Vorwurf macht: „ Schließlich ist es nicht mein Fehler, dass ein Jude ihn [den alten Hederson] in seinem Unglück weniger hart beurteilt, als Ihr es tut. “ 113 Wexeldorffs ambivalente Charakterisierung, die zwischen Hartherzigkeit und Patriotismus oszilliert, kontrastiert die jüdische Figur, die in der Erfüllung ihrer bürgerlichen Pflichten einen tugendhaften und faszinierend klaren Weg einschlägt. Zugleich hebt Moses 110 „ / . . . / i nödfall kunna bispringa Konungen och Riket, att uppmuntra konsterna, understödja idogheten, upphjelpa förfallna handelsgrenar och grundlägga de nyttiga företag i handelsvägen, som äro de enda medel att göra ett land rikt och mäktigt. “ (Välgörandet, S. 290 f) 111 Personne I, S. 246 112 Personne I, S. 247 113 „ Intet är det mitt fel, att en Jude dömmer mindre hårdt om honom i sin olycka, än Herrn sjelf behagar göra. “ (Välgörandet, S. 285) Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 321 sich dadurch auch von den offenbar gängigen Judenbildern ab, indem er ihnen, wie Multiplex anklingen lässt, so gar nicht ähnelt. 7.5.3 Judenfiguren als theatralisches Erfolgsrezept Wirft man einen genaueren Blick auf die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte des Dramas bietet sich die Möglichkeit, diese Lesart zu hinterfragen. Die Archive der Königlichen Theater 114 gewähren Einblicke in diese Prozesse. Das dort erhaltene handschriftliche Manuskript von Välgörandet på Prof 115 bietet hinsichtlich der Ausgestaltung der jüdischen Figur eine Überraschung: Die Rolle des Juden ist nachträglich in das bereits fertiggestellte Drama eingefügt. Der ursprüngliche Plan des Autors sieht statt des Juden Moses den Makler Dividerius vor. Die jüdische Figur wird nun nicht zusätzlich hinzugefügt, vielmehr ersetzt sie den Makler und übernimmt auch dessen Funktion. Er bittet am Anfang um einen Kredit, narrt im dritten Akt das Dienstmädchen, beteiligt sich am Plan von Sophie und Multiplex und besorgt in deren Auftrag die nötige Summe, um Hedersons Vater auszulösen. Dass die Umarbeitung sehr kurzfristig erfolgt, bezeugt das erhaltene Buch. Man kann durch das gesamte Manuskript verfolgen, dass der Text von Dividerius durchgestrichen ist und Moses ’ Repliken darüber oder daneben eingefügt werden. Offensichtlich ließ sich in der Kürze der Zeit kein neues Exemplar anfertigen, weshalb Kexél seine Änderungen in das bestehende Dokument einarbeitet. Die Funktion der Figur innerhalb der Handlung bleibt erhalten, nur ändert sich die sprachliche Ausgestaltung der Figur. Beispielhaft lässt sich dies an der sechste Szene des ersten Aktes nachvollziehen: Ursprüngliche Fassung / / Geänderte Fassung: D IVIDERIUS : Tjänar, tjänar, min Herr Multiplex! / / Moses: Tjenere, tjenere, min Herr Multiplex! M ULTIPLEX : Dito, dito, min Herr Diverderius / / Dito, dito, min Herr Moses! D IVIDERIUS : Wie geht ’ s? / / Moses: Wie geht ’ s? M ULTIPLEX : Tackar - rätt bra - og ni sjelf? [Danke, recht gut. Und selbst? ] 114 Die Sammlung an Theaterstücken des Theaters (Kungliga Teatrarnas Pjässamling) befindet sich im Archiv der Königlichen Theater (Kungliga Teatrarnas Arkiv, KTA) und bietet einen nahezu einmaligen Schatz an handschriftlichen Dramen, Rollenheften und Souffleurexemplaren seit den Anfängen des Theaters. 115 KTA Pjäs: V.016 322 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm D IVIDERIUS : Som ni ser, schlecht und recht, aber doch zierlich. / / Moses: Wie sie sehen, schlecht und recht, aber doch zierlich. M ULTIPLEX : Hvad är till tjänst? [Womit kann ich dienen? ] D IVIDERIU s: Jag vill gärna talt vid Hr Wexeldorff. / / Moses: Glauben Sie, dass ich die Ehre kann haben, mit Herr Wexeldorf zu sprechen? M ULTIPLEX : Är det något som jag kan uträtta? [Kann ich etwas ausrichten? ] D IVIDERIUS : Det kan just intet vara någon hemlighet för Hr Multiplex. En vis förnäm Herre söker få låna 4000 R: dr på ett ograveradt hus: det är en accurat och säker man. / / Moses: Dat kann wohl nicht heimlich seyn vor den Herr Multiplex. Ein gewisser Herr sucht 4000R: dr auf ein grosses und ungraviret Haus zu lehnen. - Jou, das ist ein sehr accurater Herr. M ULTIPLEX : Jag skall säga er, Herr Dividerius / / Herr Moses, Herr Wexeldorff har nästan afsvurit att gå in i några penningesaker med particuliere. / . . . / [Ich kann Ihnen sagen, Herr Dividerius / / Moses, Herr Wexeldorff hat geschworen, sich in keine Geldgeschäfte mehr einzulassen.] D IVIDERIUS : Man måste dock göra åtskillnad på folk. Med den Herrn, som jag proponerar, blir ingen ting att riskera - Tänk bara efter, ett ograveradt stenhus på Regeringsgatan, som är värderadt till 10,000 R: dr! / / Moses: Man muss so bischen Unterscheid machen zwischen Menschen. På meine Seele, vir kann nichts verloren auf ihm. Denken Sie mahl, ein ungraviret Haus zum Drottninggasse, der werdiret ist auf zehntausend Reixthaler! M ULTIPLEX : Det kan bli godt en annan gång / . . . / . [Vielleicht ein andern Mal.] D IVIDERIUS : Ah, ah, jag förstår - det är Hr Hedersom som mankerat. / / Moses: Jou, jak verschtår, das ist wohl Herr Hederson, der har manquiret. M ULTIPLEX : Precist! [Genau.] D IVIDERIUS : Han har låtit arrestera honom i sitt hus. / / Moses: Das ist Schade, dass man ihn arrestiret hat in seinem Haus. M ULTIPLEX : Ni kan vara viss på, att det intet varit jag, som rådt honom dertill. [Ihr könnt Euch sicher sein, dass nicht ich es war, der ihm dazu geraten hat.] D IVIDERIUS : Det gör mig rätt ondt om Hr Hederson: det är en ganska hederlig man. 116 / / Moses: Das ist, auf meiner Seele, Schade, das ist ein sehr honnetter Mann. 117 116 KTA Pjäs: V.016 117 Välgörandet, S. 280 f Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 323 Es handelt sich, das wird aus dem Beispiel deutlich, kaum um eine Umarbeitung, vielmehr um eine Übersetzung der Repliken des schwedischen Kaufmanns ins „ Theaterjüdisch “ . Dass die übrigen Partien keinerlei Änderungen unterzogen werden, von Namen einmal abgesehen, unterstreicht dies auf eindrückliche Weise. Mit Blick auf die Bearbeitung erscheint die Stellung des Juden als akzeptiertes Gesellschaftsmitglied brüchiger, steht doch hinter Moses ’ Äußerungen und Handlungsmustern der schwedische Bürger Dividerius. Meine These lautet, dass Kexél auf diese Weise den komischen Charakter seines Dramas herauszustellen sucht, er fügt den Juden in das Stück ein, um am Dramaten zu reüssieren. Die hier bereits anklingenden Interaktionen zwischen Bühne, Text, Schauspieler und Verfasser werde ich im Folgenden genauer nachzeichnen und auf diese Weise die komisch intendierte Umformung des Stoffes belegen. Zunächst rückt die Sonderstellung der Autoren an der Königlichen Bühne in den Fokus. Diese resultiert aus dem Bestreben des Monarchen, die landessprachliche Dramatik zu fördern und spiegelt sich in Reglement des Theaters wider, das die Rechte 118 und die Vergütung klar definiert. 119 118 Bereits das Prozedere zur Annahme eines neuen Dramas folgt detaillierten Bestimmungen. Nachdem ein Stück beim Theater eingereicht ist, wird dem Autor die Möglichkeit eingeräumt, dieses vor dem gesamten Ensemble vorzulesen, erklärende Statements abzugeben und Fragen zu beantworten. In Abwesenheit des Autors äußern sich die Ensemblemitglieder über das Für und Wider. Innerhalb eines Monats fällt die Entscheidung, ob das Drama auf den Spielplan gesetzt wird.Weitere Regelungen sehen vor, dass Änderungen im Text mit dem Verfasser besprochen, aber nur von ihm selbst durchgeführt werden dürfen, zudem wird ihm das Recht eingeräumt, die Besetzung zu bestimmen. Weigert sich ein Schauspieler, eine Rolle zu übernehmen, muss er den höchst möglichen Strafsatz zahlen. Auch im Prozess der Gestaltung seiner Stücke für die Bühne übernimmt der Verfasser eine wichtige Funktion: Seine Anwesenheit bei den Proben ist erwünscht und ihm wird die Möglichkeit eingeräumt, die Spielenden über seine Auffassung der Verkörperung einzelner Figuren zu instruieren. Inwieweit die Autoren davon Gebrauch machen, lässt sich kaum nachvollziehen. Ob es sich hierbei, wie Kerstin Derkert meint, um eine frühe Form der Theaterregie handelt (Derkert 1988, S. 35), halte ich jedoch für diskussionswürdig. Gerade die erfahrenen Schauspieler wie Schylander, Hjortsberg oder Waltman werden sich in ihrer Arbeit kaum von außen beeinflussen haben lassen, ganz abgesehen von der Frage, inwieweit die Verfasser ein Interesse daran hatten, sich mit den wichtigen Darstellern zu zerstreiten. Es lässt sich dennoch konstatieren, dass auf diese Weise eine klare, rechtlich fundierte Stellung der Autoren vorliegt, die Auswahl der Stücke transparent gestaltet sowie eine Art frühes Copyright für die Dramatiker eingeführt wird. 119 Die ökonomischen Rahmenbedingungen zielen ganz klar darauf, die Produktion landessprachlicher Dramatik anzuregen, denn der finanzielle Gewinn gestaltet sich erfolgs- und genreabhängig. Autoren von Drei- oder Fünfaktern stehen die Einnahmen aus der dritten, fünften, neunten und 19. Vorstellung ihrer Stücke zu, für Einakter gibt es 324 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm Wichtig hinsichtlich der „ Einwechslung “ des Judens erweisen sich dabei zwei Aspekte. Zum einen darf ein Autor die Besetzung seiner Stücke selbst bestimmen, zum anderen richtet sich die Vergütung nach dem Erfolg der Aufführungen. Verständlicherweise liegt einem Autor daran, möglichst viele Aufführungen seiner Dramen zu ermöglichen, er ist also aus ökonomischen Gründen darauf angewiesen, den Geschmack des Publikums zu treffen, nicht nur was die textliche Ausgestaltung betrifft, sondern auch in Bezug auf die Auswahl der Darsteller. Die Umarbeitung des Stoffes korrespondiert bei Kexél mit der Besetzung seiner neuen Figur durch einen erfolgreichen Komiker. Olof Kexél wählt als Darsteller seines Juden Kjell Kristian Waltman aus. Waltman spielt seit 1789 am Königlichen Theater 120 und feiert gut zwei Monate vor der Uraufführung von Välgörandet på Prof einen großen Erfolg in Sheridans Drama Tadelskolan. 121 In dieser Komödie, die Premiere erfolgt am 21. November 1789, reißt er die Zuschauer mit seiner Darstellung des Juden Abraham 122 zu wahren Begeisterungsstürmen hin. Der schwedische Adlige de Besche berichtet in einem Brief seinem König: Ändtligen har Tadelskolan blifvit upförd och det med särdeles allmän aprobation. - Sedan Siri Brahe speltes har jag inte sett så mycket folk på Dramatiska die Hälfte. Dies gilt ausschließlich für Werke, die als Originale eingereicht werden. Für Bearbeitungen, so genannte Imitationen, erhält der Autor nur die Einnahmen aus der neunten und 19. Vorstellung, bei Übersetzungen lediglich aus der 19. Vorstellung. Ab der 20. Aufführung verfallen sämtliche Rechte. Diese ökonomischen Anreize zielen klar auf die Förderung original schwedischer Dramatik ab, Bearbeitungen oder gar Übersetzungen sind vor diesem Hintergrund kaum attraktiv. 120 Seine ersten Auftritte auf der Bühen hat Waltman in Göteborg, wo ihn der König als Figaro sieht und sofort an sein Theater in Stockholm engagiert. (Personne I, S. 205 f) 121 Tadelskolan ist ein Beispiel dafür, dass ausnahmsweise Übersetzungen erlaubt werden. Abraham de Broen, einer der wichtigen Darsteller der königlichen Bühne, setzt durch, dass dieses Stück aufgeführt werden darf und hinsichtlich der Vergütung gar als Original eingestuft wird. (Marker&Marker, S. 93) Dass seine Frau als Übersetzerin fungiert, trägt sicher nicht unwesentlich zu de Broens Engagement in dieser Sache bei. Nachdem die Übersetzung zunächst nicht angenommen wird, bahnt sich ein Skandal an, weil de Broen dies nicht hinnehmen will. Aus einem Brief von Edelcrantz and Gustav geht hervor, dass anschließend das gesamte Theater im Zusammenhang mit Tadelskolan nur noch von „ dem Stück meiner Frau “ ( „ [. . .] Min Hustrus piece ty så kallar hela Theatern Tadelskolan. “ Brief von Edelcrantz an Gustav III., 29. September 1789. In: Lewenhaupt, Eugène [Hrsg.]: Bref rörande teatern under Gustaf III. 1788 - 1792. Upsala 1894, S. 110) spricht. Gegen alle Widerstände verfügt Gustav die zugesagte Bezahlung als Original-Stück. 122 In Sheridans Original heißt die Figur noch Moses. Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 325 Spectaclet. [. . .] i denne piece spelar Valtman jude och det till den perfection att han ådragit sig allment aplaudement. 123 Endlich ist Tadelskolan aufgeführt worden und das mit allgemeiner Zustimmung. - Seit Siri Brahe gespielt wurde, habe ich nicht mehr so viele Menschen beim dramatischen Spektakel gesehen. [. . .] in diesem Stück spielt Valtman den Juden und dies mit einer solchen Perfektion, dass er sich großen Applaus sicherte. De Besche liefert hier die Erklärung, warum Kexél (s)einen Moses in das Stück „ einwechselt “ . Der komische Jude in Tadelskolan beschert dem Theater gut besuchte Vorstellungen und damit dem Autoren, in diesem Fall dem Übersetzer, gute Einnahmen. 124 Warum sollte das nicht wiederholbar sein? Noch dazu, wo Waltman über Erfahrungen in diesem Fach verfügt und zudem zu den Publikumslieblingen des Theaters zählt. 125 Verbunden mit der Besetzung Waltmans ändert Kexél zudem die Genrebezeichnung 123 Brief von De Besche an Gustaf III., ohne Datum. Lewenhaupt 1894, S. 131 124 Edelcrantz beschwert sich zunächst bei Gustav darüber, dass de Broen eine Vergütung für die Übersetzung fordert, die eigentlich Originalstücken vorbehalten ist: „ Debroen påstår sig redan under det gamla reglementet, som förbjuder öfversättnigar hafva erhållit kongl. Maj: ts särskildta nådiga tilstånd att upföra Tadel-Scholan. I anseende därtil påstår Debroen för sin piece 3: dje, 9: de och 19: de representationerna, som samma reglemente tillägnar originaler; ehuruväl efter det nya, under hvilket piecen kommer at upföras, han ej har rättighet till mera än den 19: de. “ (Brief von Edelcrantz an Gustaf III. vom 4. September 1789. Lewenhaupt 1894, S. 102 f.) / / „ Debroen behauptet, schon unter dem alten Regelment, das Übersetzungen verbietet, die Erlaubnis seiner Majestät erhalten zu haben, Tadelskolan aufzuführen. Im Hinblick darauf verlangt er die dritte, neunte und 19. Vorstellung, die besagtes Reglement für Originale vorsieht, obgleich er nach dem neuen, unter dem es aufgeführt wird, nur das Recht auf die 19. hätte. “ Gustav III. zeigt sich gnädig und stimmt der ursprünglichen Vereinbarung mit de Broen zu: „ Om de Broen är viss at Piecen reuserar så kan detta väl tillåtas emedan Lagen kan ej hava en retroactive werkan. Mig tyckes at här sällies skinnet på Biörn innan den är skuten. “ (Brief von Gustav III. an Edelcrantz vom 11. September 1789. Lewenhaupt 1894, S. 103) / / „ Wenn de Broen sich sicher ist, dass das Stück reüssiert, so kann dies wohl erlaubt werden, da das Gesetz nicht retroaktiv angewendet werden kann. Mich dünkt, hier wird das Fell des Bären verteilt, ehe er erlegt ist. “ 125 „ Kjell Waltman var en ypperlig komiker [. . .] och blef en stor gunstling hos publiken. Han behöfde bara visa sig för att mottagas med bifallsskratt. “ (Personne I, S. 205) / / „ Kjell Waltman war ein außergewöhnlicher Komiker / . . . / und wurde ein großer Publikumsliebling. Er brauchte sich nur zu zeigen, um mit Beifall und Gelächter empfangen zu werden. “ 326 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm seines Werkes. Aus einem bürgerlichen Schauspiel 126 wird eine Komödie. Diese Umdeutung lässt sich in der Handschrift nachvollziehen, die nun die Bezeichnung „ Comedie “ 127 trägt, aber auch aus Briefen von Edelcrantz an den König geht hervor, dass Kexél die erste Version seines Dramas im Spätsommer 1789 noch in der Originalbesetzung mit Dividerius anstelle der jüdischen Figur Moses einreicht. 128 Die ökonomischen Erfolg versprechende Komödie - und mit ihr der Jude - halten demnach erst kurz vor der Premiere Einzug, es vergehen keine zwei Monate nach der Premiere von Tadelskolan und schon findet der „ neue “ Jude (s)einen Weg auf die Stockholmer Bühne. Und es zeigt sich, dass Kexéls Kalkül aufgeht: Välgörandet på Prof wird ein Erfolg und Waltman reüssiert als Jude, wie der Rezensent der Stockholmsposten von der Uraufführung 129 berichtet: 126 „ Tvänne nya piecer äro åter inkomne: Det mislyckade frieriet, original: Två acter, och Välgörandet på prof, fri öfversättning, lämpad till Svenska seder; Dram i 3 acter. Den förra lär ej kunna antages. Den sednare synes äga förtjenst. “ (Brief von Edelcrantz an Gustaf III., 4. September 1789. Lewenhaupt 1894, S. 93) / / „ Zwei neue Stücke sind eingereicht worden: Det mislyckade frieriet Original in zwei Akten, und Välgörandet på prof, freie Übersetzung, den schwedischen Sitten angepasst, bürgerliches Schauspiel in 3 Akten. Das erste kann nicht angenommen werden. Letzteres scheint gelungen. “ 127 KTA Pjäs: V.016 128 Die schwedische Genrebezeichnung dram meint nicht Drama, sondern knüpft an den französischen Begriff drame an. Dieses Genre genießt seit den 1790er Jahren zunehmend Erfolg auf den Stockholmer Bühnen. Nicht nur verbindet es tragische und komische Elemente, vielmehr richtet es sich zuvorderst am bürgerlichen Publikum aus und spiegelt dies auch in seinen Dramatis Personae. (Skuncke 1981, S. 144 ff ) Im Deutschen lässt sich dram am besten als bürgerliches Schauspiel übersetzen. 129 Ob vom Kritiker bemängelte Textunsicherheiten ihren Grund in der kurzfristigen Umarbeitung haben oder sich auf Grund der enorm kurzen Probenzeiten eher gewöhnlich bei Uraufführungen ausnehmen, wage ich nicht zu beurteilen. „ Man nödgas klaga at Executionen af denna Comedie, då den första gången upfördes, icke fullkomligen svarade mot dess godhet och de fläste Spelandes vanliga skicklighet, hvilket snart lärer rättas, så vida det förmodeligen blott härrört deraf, at man ej nog hunnit lära sina roler. Vi känna ej väl den method som härvid vanligen följes, men den naturligaste tycks vara, at först fästa rolen så väl i minnet, at man ej felar på en bokstaf, innan man ens börjar declamera eller agera den. Så besvärande det är, at finna Acteuren brydd, stapplande, osäker, i hvad scen som hälst, äfven i de kallaste reciter, så aldeles sönderslitande, när det händer i tirader af strömmande känsla, af utbrytande passion. “ (Stockholmsposten, 3. 2. 1790) / / „ Man sieht sich gezwungen, über die Ausführung dieser Komödie zu klagen, die bei ihrer ersten Vorstellung nicht in Gänze der Qualität des Stücks und der Schicklichkeit der meisten Darsteller entsprach. Es lässt sich annehmen, dass sich dies bald bessert, rührt es doch vermutlich daher, dass nicht genügend Zeit blieb, die Rollen zu studieren. Wir kennen die Methode, nach der hier verfahren wird, nicht gut genug, aber das Natürlichste scheint doch, zunächst die Rolle so gut im Gedächtnis zu verankern, dass man auch nicht bei einem Buchstaben fehlt, Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 327 Denna Piece, hvilken närmar sig til den högre Comiken, är som man ser, mera gjord at interessera, än väcka et häftigt löje. HufvudCaractererne äro ädla; situationerne ofta rörande; Intrigen simpel; moralen god. Den talträngda Lisette (Fru Remi), hvars nyfikenhet ständigt dåras; det gamla Pedantiska CommerseRådet Zifferstein, som talar långsamt, inblandar mellan hvart ord: Thet är wäl; thet är wäl / . . . / och ändteligen Juden Moses (så mästerligen spelt af Hr Waltman), bidraga dock at sprida öfver Piecen en glättighet, som ej skadar känslan. 130 Dieses Stück, das sich der höheren Komödie nährt, ist, wie man sieht, eher dazu gedacht, Interesse zu wecken statt heftigem Gelächter. Die Hauptfiguren sind edel, die Situation oft rührend, die Intrige simpel, die Moral gut. Die redselige Lisette (Frau Remi), ständig von ihrer Neugierde verführt, der alte pedantische Kommerzrat Zifferstein, langsam sprechend und ständig „ So ist es wohl, so ist es wohl! “ in seine Sätze einfließen lassend / . . . / und schließlich der Jude Moses (so meisterlich gespielt von Herrn Waltman) tragen dazu bei, eine Heiterkeit über das Stück zu verbreiten, die dem Gefühl nicht schadet. Mit Blick auf Waltmans Repertoire lässt sich erkennen, dass an der Stockholmer Bühne - ähnlich wie in Dänemark - eine Personalisierung des jüdischen Rollenfachs erfolgt. Waltman spielt nicht nur den eingewechselten Juden in Välgörandet på Prof, er baut ihn zu seiner Paraderolle aus. Er glänzt als Jude in Kotzebues Den okände sonen 131 und wie bereits erwähnt als Abraham in Sheridans Tadelskolan, 132 darüber hinaus ist er in Holbergs Diedrich Menschenskräck 133 als Ephraim zu sehen. Details zu den Aufführungen der Holberg ’ schen Komödie finden sich kaum, aber dass ihr Erfolg beschieden ist, steht außer Zweifel 134 - über 70 Mal wird sie bevor man überhaupt damit beginnt, sie zu deklamieren und zu spielen. So beschwerlich es ist, die Schauspieler in welcher Szene auch immer, selbst in den einfachsten Repliken, verlegen, holprig und unsicher zu sehen, so ist es zerreißend, wenn dies in Tiraden voll überströmender Gefühle und aufbrechender Passion geschieht. “ 130 Stockholmsposten, 3. 2. 1790 131 August von Kotzebues Stück Den okände sonen (Das Kind der Liebe) feiert seine Premiere am 23. August 1794 am Königlichen Theater. Die Übersetzung besorgt Gabriel Eurén. 132 Sheridans wohl berühmteste Komödie Tadelskolan wird erstmals am 21. November 1789 in der Übersetzung von Frau de Broen aufgeführt. 133 Ich orientiere mich hier an der schwedischen Schreibweise des Dramas. 134 Nordensvan I, S. 59 328 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm in Stockholm gezeigt. 135 Als bezeichnend mit Blick auf die jüdische Figur erweist sich vor allem, dass diese zum Titelhelden (mit-)avanciert, denn in Schweden läuft der dänische Kassenschlager unter dem Titel Didrich Menschenskräck eller den narrade Juden (Didrich Menschenskräck oder der genarrte Jude). 136 Zwar steht in Holbergs Drama weniger der Jude auf der Verliererseite als vielmehr der Frauenheld Menschenskräck, welcher auf eine heimliche Affäre mit der schönen Hiacinte aus ist und Ephraim lediglich als Mittelsmann benutzt. 137 Der schwedische Untertitel steht jedoch exemplarisch für das Verständnis der Judenfiguren des Gustavianischen Theaters - sie werden klar dem komischen Fach zugeordnet. Kexéls Umarbeitung spiegelt das eindrucksvoll wider und trägt gleichzeitig dazu bei, diese Ausrichtung des Rollenfachs weiter zu verstärken. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für den Darsteller Waltman. 7.5.4 Juden- und „ Rockrollen “ Die Ausgestaltung der jüdischen Charaktere erhält durch Waltman besondere Konnotationen. Zunächst spielen die linguistischen Setzungen eine wichtige Rolle, die der Schauspieler aufnimmt und zugleich formt. Auf das komische Potenzial der sondersprachlichen Färbung der jüdischen Figuren habe ich im Zusammenhang mit dem dänischen Theater hingewiesen. 138 Der starke deutsche Einfluss, das vermeintliche Jiddeln der Charaktere, wird durch Kexéls Umarbeitung evident. Da er die Partie direkt für Waltman schreibt, darf angenommen werden, dass er dessen Rollengestaltung bedient und eine gängige Tradition aufgreift. Auch die übrigen jüdischen Partien zeichnet Waltman auf ähnliche Weise. 139 Dies 135 Blomkvist, Magnus: Nöjeslivet i Stockholm 1773 - 1806. En förteckning via dagsoch veckopressen. Stockholm 1972; Personne II, S. 55 136 Die Schreibweise des Titels variiert zum Teil innerhalb desselben Manuskriptes. Hinsichtlich des Untertitels findet sich auch die Formulierung „ eller den bedragne Juden “ (KTA Pjäs: D.005) / / „ oder der betrogene Jude “ . 137 Vgl. Kap. 2.2.3 138 Vgl. Kap. 2.3 139 Holbergs Didrich Menschenskräck steht zwar erst ab 1795 auf dem Spielplan des Königlichen Theaters, aber bereits seit 1779 reüssiert es an Stenborgs privater Bühne, natürlich mit Waltman als Juden. Aus dem Souffleur-Exemplar ist die sondersprachliche Gestaltung der Rolle klar zu erkennen. Die zwölfte Szene beginnt der Jude mit: „ Wass ist for ein allarme off min derr? / . . . / Schtill, Schtill! / . . . / Christopher Maurbrecker? det war ein skräckliger Name. / . . . / Lite Geduldt, mein Herr! Womit kann jach tjene? “ (KTA Pjäs: D.005) Auch wenn das Manuskript zu Sheridans Tadelskolan keine linguistische Markierung vorsieht (KTA Pjäs: T.013), wird der berühmte Darsteller Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 329 zeigt zum einen, dass die linguistischen Markierungen der schwedischen Bühnenjuden sich an das dänische Vorbild anlehnen, zum anderen wie sehr Waltman für die Ausgestaltung des jüdischen „ Dialekts “ stilbildend ist. Neben die Sprachkomik tritt Waltmans Verortung als Darsteller vor allem witziger Figuren. Sein bloßes Auftreten, so beschreibt es Nils Personne, bringe das Publikum bereits zum Lachen. 140 Seine bedeutendste Rolle zu dieser Zeit ist neben Figaro im Barberaren i Sevilla (Der Barbier von Sevilla) der groteske Polykarpus aus Karl Envallssons Kronfogdarna (Die Kronvögte). 141 Darüber hinaus zeichnet er sich in einem Fach aus, das es zu dieser Zeit nur in Stockholm zu geben scheint: Waltman spielt häufig Frauenrollen. 1787 tritt er als Mutter Bobi (Mor Bobi) in der Opéra comique Colin och Babet (Colin und Babet) in Stenborgs Theater auf und setzt dabei einen neuen, aber altbekannten Trend. 142 Von da an wird es auf der Bühne in Stockholm für eine gewisse Zeit üblich, ältere weibliche Charaktere von Männern spielen zu lassen. In Anlehnung an den Terminus „ Hosenrolle “ 143 wähle ich für diese Partien wie Tiina Rosenberg den Begriff meiner Ansicht nach kaum auf die Markierung seiner jüdischen Figur auf sprachlicher Ebene verzichtet haben. Die Ursache für das Fehlen derselben im Manuskript sehe ich eher darin begründet, dass sich die Übersetzerin am englischen Original orientiert, das ebenfalls ohne den besonderen „ Dialekt “ auskommt. (Sheridan, Richard Brinsley: The school for scandal. Edited by F. W. Bateson. London/ New York 1995) 140 Personne I, S. 205 141 Kronfogdarana feiert zunächst am Munkbroteatern Premiere (bereits dort gibt Waltman den Polykarpus), später reüssiert es auch an der königlichen Bühne. Envallssons Drama, ein Volksstück mit Musik, zählt zu den meistgespielten Stücken des schwedischen Theaters (Personne I, S. 252). 142 Große Teile des klassischen Theaterrepertoires, darunter die antiken Dramen sowie die Stücke Shakespeares, sind für männliche Schauspieler geschrieben. Männer, die Frauencharaktere spielten, stellen für diese Theaterformen also vielmehr Konvention denn Experimentierfeld dar. Marjorie Garber vertritt in ihrer Arbeit sehr einleuchtend die These, dass das transvestische Theater die Norm und nicht die Abweichung ist - das, was wir heutzutage bei theatralischen Darstellungen als „ natürlich “ ansehen (Männer spielen Männerrollen, Frauen Frauenrollen) selbst eine besondere Tropenbildung aus und zu der transvestischen Norm darstellt. (Garber, Marjorie: Verhüllte Interessen: Transvestismus und kulturelle Angst. Frankfurt am Main 1993, S. 61) 143 Hosenrollen bezeichnen im Theater Partien, die von weiblichen Darstellern gespielt werden und männliche Charaktere darstellen. Dabei kann der „ Verkleidungsakt “ während des Stückes erfolgen, jedoch finden sich gerade in der Opernliteratur etliche Beispiele dafür, dass Partien durchgehend als Hosenrolle konzipiert sind. Ausführlicher mit den historischen Hintergründen und Entwicklungslinien dieser Rollengeschichte beschäftigt sich Tiina Rosenberg. (Rosenberg, Tiina: Byxbegär. Göteborg 2000) 330 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm „ Rockrolle “ . 144 Neben Waltman ist Gabriel Schylander 145 der wichtigste Vertreter dieses Rollenfachs und ob seiner Frauendarstellungen ein gefeierter Star. 146 Zumeist handelt es sich bei diesen Partien um komische Portraits wie „ bärbeißige ältere Frauen, Frauen aus der Oberklasse und Plappertaschen. “ 147 Ob des großen Erfolgs schreibt der Autor 1788 Waltmans beliebter Mutter Bobi unter dem Titel Bobis Bröllop (Bobis Hochzeit) eine Fortsetzung, in der die gestrenge und mürrische Alte sich sogar in den Lehrer verlieben und diesen schließlich ehelichen darf; im selben Jahr steht Schylander in Gustavs Verwechslungskomödie Den Ena för den Andra (Die Eine statt der Anderen) als Fröken Lejonqvist auf der Bühne. Etliche weitere Partien lassen sich aufführen, 148 deren Besonderheit der Zeitgenosse Kellgren folgendermaßen umreißt: „ Es steht fest, dass diese Rollen, wenn sie von Männern mit der Geschicklichkeit eines Herrn Waltman oder Herrn Schylander gespielt werden, einem durch die Imi- 144 Rosenberg, Tiina: „ Klädd i kön - kjolroller och byxroller. “ In: Hammergren, Lena et al. [Hrsg.]: Teater i Sverige. Hedemora 2004, S. 49 - 63 145 Carl Gabriel Schylander beginnt seine Laufbahn an der Stenborg ’ schen Bühne und debütiert 1788 am Königlichen Theater, immer wieder wechselt er zwischen beiden Bühnen. (Nordensvan I, S. 44) Er fungiert bis zu seinem überraschenden Tod 1811 als eine der führenden Kräfte des Theaters. Neben seiner Arbeit als Schauspieler zeichnet er zudem für die Übersetzung einer Vielzahl von Dramen verantwortlich. (Dahlgren, Fredrik August: Förteckning öfver svenska skådespel uppförda på Stockholms theatrar 1737 - 1863 och Kongl. theatrarnes personal 1773 - 1863 med flera anteckningar. Stockholm 1866, S. 443) 146 Hedwall 1993, S. 111 147 „ De tre vanligaste rollertyperna var den vresiga äldre kvinnan, överklasskvinnan och sladdertackan. “ (Rosenberg 2004, S. 52) 148 In der Komödie Den ena för den andra von Gustav III. spielt Schylander die alte Jungfer Fröken Lejonhjärta, welche von allen anderen als hässlich beschrieben wird, sich selbst jedoch als äußerst attraktiv wahrnimmt. In Cousinerna eller Famille Squallret zeichnet Envallsons zwei komische Frauenportraits, Schylander und Waltman stehen als Fru Etternäbb und Fru Spion gemeinsam auf der Bühne. Sie geben zwei Klatschtanten, die versuchen, eine Hochzeit zu verhindern, was ihnen schlussendlich natürlich nicht gelingen kann. Ebenfalls in Fiskmångelskorna stehen beide gemeinsam auf der Bühne. In Gustavs III. Den bedragne Bachan von 1789 spielt Schylander in Mor-Bobi-Manier die Amme, die sich im Verlauf des Dramas jedoch von ihrem Vorbild löst und zu einer handlungsentscheidenden Figur avanciert. In Carl Lindegrens Den Försonade Fadren reüssiert Schylander als Majorin Emerentja Högfeldt, eine Dame der höheren Gesellschaft, die ihre Umgebung mit ihren Ansprüchen an Benehmen und Umgangsformen traktiert. Besonders hervorzuheben ist sicher auch Carl Envallsons Parodie Iphigenie den Andra eller De grekiska Historierna, die im Jahr 1800 ihre Premiere feiert. (Rosenberg 2004, S. 54) Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 331 tation immer eine zusätzliche Freude bereiten. “ 149 Auf diese Weise etabliert sich in den ersten Jahren der Gustavianischen Bühne eine Tradition, die gerade aus der Dissonanz zwischen der Geschlechtsidentität des Darstellenden und der Dargestellten ihre Komik zieht und als Bestandteil der Aufführungsästhetik begriffen werden muss. Mit Schylanders Tod 1811 nimmt die Bedeutung dieses Rollenfaches ab, spätestens zu Beginn der 1830er Jahre verschwindet es völlig von der Bühne und es wird wieder die Regel, Frauen von Frauen spielen zu lassen. 150 Die Zusammenführung der jüdischen Charaktere mit den „ Rockrollen “ auf der Bühne in Person des beliebten Komikers Waltman - später glänzt auch Schylander als jüdische Haushälterin Rachel in Cumberlands Drama Juden - erscheint so auffällig, dass sie die Rezeption der Bühnenjuden beeinflusst haben muss. Deutlich wird, wie die Verkörperung Moses ’ durch Waltman die Wahrnehmung dieser Figur verändert. Statt des integrierten Mit-Bürgers steht Moses komisches Potenzial im Vordergrund, das Einfügen des Juden in das Stück dient Kexél vor allem der Steigerung der komischen Wirkung. Waltman knüpft in seiner Verkörperung einerseits an seine gefeierte Judendarstellung in Tadelskolan an, zugleich führt er diese mit seinem Rollenfach als Frauendarsteller zusammen. Die Besetzung sämtlicher Bühnenjuden mit Waltman beeinflusst die Wahrnehmung dieser Partien maßgeblich. Anders als in der dänischen Hauptstadt verkörpert jedoch weder der Patriot noch der Heldendarsteller den Juden Moses samt seiner „ Geschwister “ , vielmehr liegen diese Rollen in den Händen des großen Unterhalters und beliebtesten Travestiedarstellers des Theaters. So werden die jüdischen Figuren zuvorderst als groteske Gestalten sichtbar, den lächerlichen alten Jungfern näher als den bürgerlichen Vätern. 149 „ Det är likväl visst, at när dessa rôler spelas af karlar med den skicklighet som af Hr Waltman och Hr Schylander, äger man alltid et nöje mer, af imitationen. “ (Stockholmsposten, 27. 7. 1790) 150 Dass der Übergang sich zunächst schwierig darstellt, bezeugt Nils Personne: „ Då teatern hade den sorgen att 1811 förlora en af sina bästa krafter inom det komiska facket, Gabriel Schylander, fick mamsell Anna Frodelius öfvertaga många af hans fruntimmersroller, hvilka hon säkerligen spelade med mera sanning än han, ehuru den stora publiken ej var lika road af hennes naturliga spel som af hans oemotståndeligt lustiga karrikatyrer. “ (Personne, Nils: Svenska teatern under Karl Johanstiden 1810 - 1818. Stockholm 1915, S. 62) / / „ Als das Theater 1811 eine seiner besten Kräfte im komischen Fach, Gabriel Schylander, verlor, durfte Anna Frodelius viele seiner Frauenrollen übernehmen, die sie sicher mit mehr Wahrheit als er spielte. Aber das Publikum mochte ihr natürliches Spiel weniger als seine unwiderstehlichen, lustigen Karikaturen. “ 332 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm Välgörandet på Prof beleuchtet exemplarisch die Frage nach der Ausgestaltung jüdischer Figuren und deren Funktion auf der Gustavianischen Bühne. Sicherlich nicht unbeeinflusst von den Nachbarländern und ihren Bühnenjuden spielen das Theater und sein Darsteller mit den Konventionen und Bildern und gestalten sie auf eine spezifische Weise aus. Auffällig erscheint dabei, dass die jüdischen Charaktere für politische Zwecke kaum instrumentalisiert werden, beziehungsweise die königliche Bühne hinsichtlich der Fragen nach der rechtlichen Stellung der Juden keinerlei Positionierung erkennen lässt. Das Theater bleibt in der „ Judenfrage “ ein apolitischer Raum, was gerade hinsichtlich der propagandistischen Funktion der Bühne überrascht. Moses und seine Geschwister scheinen in ihren komisch konnotierten Gestaltungen eine Bilderwelt des Publikums zu bedienen - und damit zu bestärken - , die sich mit dem Auftreten der wenigen „ realen “ Juden auf den Straßen Stockholms kaum deckungsgleich ausnimmt. Dass jüdische Charaktere dennoch verständlich bleiben, einem jungen Dramatiker gar als Erfolgrezept erscheinen, lässt erkennen, wie stark Vorstellungen „ des Juden “ im gesellschaftlichen Kontext verankert sind. Gustavs Bühne, auf der er hemmungslos für Kriege wirbt, historische Vorbilder vereinnahmt, seine (wirtschafts-)politische Agenda feiert, stößt hier an Grenzen. Die als „ nützliche ökonomische Akteure “ 151 ins Land geholten Migranten bleiben im Theater komisch-groteske Figuren. Die eingangs angesprochenen (Angst-)Bilder des Juden zeigen einmal mehr ihre Gültigkeit und gesellschaftliche Virulenz, was im Theater darin zum Ausdruck kommt, dass sich die festgeschriebenen Konventionen der jüdischen Bühnencharaktere als äußert stabil und wenig verhandelbar erweisen. Text und Bühne, Autor und Schauspieler interagieren dabei auf vielfältige Weise miteinander; erst mit Blick auf die Verschränkungen und gegenseitigen Einflussnahmen lassen sich die jüdischen Charaktere konturiert wahrnehmen. Die bisher in der Forschung kaum beachtete Ausformung dieser Figuren in den Anfangsjahren der nationalen Bühne beeinflusst zudem maßgeblich die Darstellungstradition in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhundert. 151 Bredefeldt 2011, S. 61 Der eingewechselte Jude - Olof Kexéls Välgörandet på Prof 333 7.6 PS: Und da er nun gestorben ist . . . Das Feld ist also bestellt im Jahr 1792. Gustav III. etabliert in kurzer Zeit ein reichhaltiges kulturelles Leben in Stockholm. Er gründet zwei Nationalbühnen, lässt intensiv die Hoftheater bespielen, fördert private Aufführungen und sorgt mit dem Neubau des Opernhauses im Herzen der Stadt für eine architektonische Manifestation seines künstlerischen Programms. Am 16. März 1792 wird genau dort während eines Maskenballs ein Attentat auf den Monarchen verübt, dem er wenige Tage später erliegt. Dieser - man ist geneigt zu sagen - theatralische Höhepunkt seiner Herrschaftszeit ist in der Literatur und Musik immer wieder thematisiert worden. 152 Kurz, prägnant und sicher nicht ungetrübt von patriotischem Pathos fasst der Theaterhistoriker Georg Nordensvan den berühmten Abend zusammen: Den 16 mars 1792 reste konungen in från Haga, bevistade franska spektaklet i Bollhuset, åkte därifrån till operan, superade i sin våning och gick sedan ner på maskeraden, där de sammansvurna väntade. I det sånggudinnornas hemvist, hans „ patriotism för konsterna “ skapat, mördades han av en svensk fanatiker. 153 Am 16. März 1792 reiste der König aus [seinem Schloss] Haga an, besuchte das französische Spektakel im Bollhus, fuhr von dort zur Oper, aß in seinen Gemächern 154 und ging daraufhin hinab zum Maskenball, wo die Verschwörer ihn erwarteten. In der Heimstatt der Gesangsgöttinnen, die sein „ Patriotismus für die Künste “ geschaffen hatte, wurde er von einem schwedischen Fanatiker ermordet. 152 Verwiesen sei hier nur auf C. J. L. Almqvists Roman Drottningens juvelsmycke (Das Geschmeide der Königin) sowie Eugène Scribes Drama Gustave III ou le bal masqué, das zudem als Vorlage für Verdis Oper und die sicher heute bekannteste Auseinandersetzung mit der Thematik Un ballo i Maschera (Ein Maskenball) dient. 153 Nordensvan I, S. 36 154 Der König lässt sich im Opernhaus eine eigene geräumige Wohnung einrichten (Henrikson, Alf: Kungliga teatern. En återblick. Stockholm 1994, S. 10), in der er sich häufig aufhält, isst, Gäste empfängt und die Zeit vor und nach den Vorstellungen verbringt. 334 Aus Gustavs Zeit - Das Königliche Theater in Stockholm Der Tod des Königs hat Auswirkungen auf „ seine “ Bühnen, denn Gustavs Nachfolger 155 messen ihnen in keiner Weise eine ähnliche Bedeutung zu wie der ermordete Monarch. Als Folge dessen stellt sich der finanzielle Rahmen der Theater als fortwährend unsicher heraus, die spezielle Förderung landessprachlicher Dramatik entfällt. Die jüdischen Figuren von Kexél, Holberg, Sheridan und Kotzebue verschwinden nach und nach von der Bühne. Was bleibt, sind die Auseinandersetzungen über die rechtliche Rahmung des jüdischen Lebens in Stockholm, Göteborg und Norrköping. Das zunehmend als restriktiv wahrgenommene judereglement bleibt in Kraft und es vergehen (unruhige) Jahrzehnte, ehe es 1838 zu nicht unumstrittenen Veränderungen kommt. Am königlichen Theater hält man sich mit Positionierungen in der „ Judenfrage “ weiterhin zurück, nur Richard Cumberlands Drama Juden (The Jew) wird (weiter-)gespielt und zunehmend als politische Stellungnahme wahrgenommen. 155 Mit dem Tod Gustavs übernimmt zunächst dessen Bruder Herzog Karl die Regierungsgeschäfte, da der Kronprinz Gustav Adolf noch minderjährig ist. Am 1. November 1796 wird dieser als Gustav IV. Adolf gekrönt. Nach dem verlorenen Krieg mit Russland muss er 1809 abdanken und das Land verlassen. Zunächst wird Gustavs Bruder als Karl XIII. eingesetzt, dieser ist kinderlos und adoptiert den französischen General Bernadotte, der ab 1810 als Kronprinz in Schweden weilt und die Regierungsgeschäfte größtenteils übernimmt. (Lagerqvist, Lars O.: Sveriges regenter. Från forntid till nutid. Stockholm 1996, S. 309 ff) PS: Und da er nun gestorben ist . . . 335 8. „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ 1 - Richard Cumberlands Juden als Evergreen am Dramaten D as Jahr 1838 bringt in Bezug auf die rechtliche Stellung der jüdischen Minderheit wichtige Entwicklungen mit sich und prägt damit den Beginn einer Epoche, die häufig als „ die Zeit der jüdischen Emanzipation “ 2 bezeichnet wird. Entscheidend nimmt sich dabei aus, dass das judereglement aufgehoben und die jüdische Minderheit in vielen Punkten gleichgestellt wird. 3 Der neue Status kommt am deutlichsten darin zum Ausdruck, dass nun nicht mehr von Juden die Rede ist, sondern vielmehr von „ Schweden mit mosaischem Glauben. “ 4 Der Erlass der Verordnung fällt in politisch turbulente Zeiten, in denen sich die Regierung mit heftiger Kritik und Straßenunruhen konfrontiert sieht. 5 Um die gereizte Stimmung nicht weiter anzuheizen, wird die Aufhebung des judereglements am 30. Juni 1838 zunächst nicht kommuniziert und erst Monate später veröffentlicht. 6 Heftige Anfeindungen 1 So antwortet der Protagonist des Dramas - Schewa - im ersten Akt auf den Vorwurf, seine Armut sei nur gespielt und er verfüge in Wirklichkeit über bedeutende Reichtümer. ( „ Verlden känner mig föga eller inte. “ Cumberland, Richard: Juden. I. Akt, 6. Szene. Übersetzung: Carl Lindegren. KTA pjäs: J.014. Im Folgenden: Juden) 2 „ den judiska emancipationstiden “ (Glück, David et al. [Hrsg.]: Sveriges judar. Deras historia, tro och traditioner. Stockholm 1997, S. 31) 3 Das 1838 erlassene Emanzipationsedikt ist nur der Anfang einer liberaleren Gesetzgebung. Weitere Verbesserungen folgen, so erhalten Juden 1849 das Recht vor Gericht als Zeuge auszusagen, 1854 fallen die Restriktionen hinsichtlich der Wahl des Wohnortes und 1863 wird das Verbot von Ehen zwischen Christen und Juden aufgehoben. 4 „ Svenskar av mosaisk trosbekännelse. “ (Bredefeldt, Rita: Judiskt liv i Stockholm och Norden. Ekonomi, identitet och assimilering 1850 - 1930. Stockholm 2008, S. 49) 5 Die Ausschreitungen im Sommer 1838 entzünden sich an der Verurteilung des Publizisten Magnus Jacob Crusenstolpe, der in seinem Journal Ställningar och förhållanden behandlade i bref die Ernennung eines Hofmarschalls zum Major an einem Sonntag als Verstoß gegen die Feiertagsruhe bezeichnet. Die durch langjährige Oppositionstätigkeit Crusenstolpes bereits angespannte Stimmung zwischen dem Skribenten und dem Monarchen eskaliert daraufhin und Crusenstolpe wird wegen Majestätsbeleidigung zu drei Jahren Festungshaft verurteilt. Das als überaus hart empfundende Urteil führt zu heftigen Protesten und Ausschreitungen. 6 Valentin, Hugo: Judarnas historia i Sverige. Stockholm 1924, S. 361ff aus der Presse 7 sowie gewalttätige Ausschreitungen sowohl gegen jüdische als auch staatliche Einrichtungen sind die Folge. Dass die Verordnung ohne die Zustimmung des Reichstages in Kraft tritt, stößt den dort vertretenen Ständen besonders auf. Kommerzrat Skogman, der federführend den neuen Erlass gestaltet, wird vorgeworfen, von der jüdischen Gemeinde gekauft zu sein. 8 Die Stimmung eskaliert schließlich soweit, dass sich das Militär zum Eingreifen gezwungen sieht. 9 Die Angriffe - ob publizistischer oder gewalttätiger Natur - gegen die jüdische Bevölkerung erreichen im Herbst 1838 ihren Höhepunkt, erst im Jahr darauf beruhigt sich die Lage wieder. Hier zeichnet sich jedoch nicht einfach eine situative Pogromstimmung ab, vielmehr kumulieren Entwicklungslinien, die einer langen Tradition auch in Schweden folgen. Denn seit Erlass des judereglements 1782 bis zu dessen Aufhebung dominieren in unterschiedlicher Stärke immer wieder Diskussionen über die Ausgestaltung jüdischer Teilhabe die öffentliche Debatte. 10 Die Verbindungslinien zu den Judenfehden in Dänemark sind augenfällig, auch was die Rolle der nationalen Bühne betrifft. Ich habe dargelegt, dass in der Hochphase der auch gewalttätigen Auseinandersetzungen das dänische Theater vor allem dadurch Stellung bezieht, dass es darauf verzichtet, Stücke mit jüdischen Figuren auf den Spielplan zu setzen, um auf diese Weise keine Plattform für judenfeindliche Ressen- 7 Sauter, Willmar: „ Svensk-judisk teaterhistorik. “ In: Bornstein, Idy [Hrsg.]: Nya judiska perspektiv. Essäer tillägnade Idy Bornstein. Stockholm 1993, S. 201 - 233, hier: S. 205 8 Derkert, Kerstin: „ Dramatiska teatern under den gustavianska tiden. “ In: Rosenqvist, Claes [Hrsg.]: Den svenska nationalscenen. Traditioner och reformer på Dramaten under 200 år. Höganäs 1988, S. 9 - 69, hier: S. 55 9 Valentin 1924, S. 363 f 10 Ein weiteres prominentes Beispiel sind die als Grevesmöhlska fejden bekannten Debatten im Jahr 1815, die über Monate den öffentlichen Diskurs prägen. Ihren Ausgang nimmt der Streit in einer Schrift des Publizisten Karl August Grevesmöhlen, der auf eine Reihe von Pamphleten reagiert, in denen die jüdische Minderheit für den Niedergang der Wirtschaft verantwortlich gemacht und zudem der Fälscherei beschuldigt wird. Grevesmöhlens Stellungnahme evoziert ihrerseits eine Reihe von Antworten, die sich mal für mal gegen die Argumente des Verfassers richten und sich zu einem „ Sturzbach von Schriften und Gegenschriften “ (Glück et al. 1997, S. 29) auswachsen. Längst geht es dabei nicht mehr nur um die „ Judenfrage “ , langjährige politische Feindschaften werden hier mit aller Härte öffentlich ausgefochten und zunehmend dominieren andere Themenfelder die Agenda. Von den insgesamt über 150 in diesem Zusammenhang erschienenen Schriften befassen sich lediglich gut 30 mit der Stellung der jüdischen Minderheit in der schwedischen Gesellschaft. (Valentin 1924, S. 311 f ) Die Fehde endet schließlich damit, dass etliche Skribenten mit Strafzahlungen belegt werden, einer im Gefängnis landet und Grevesmöhlen das Land verlassen muss. 338 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ timents zu bieten. 11 Die Situation am Königlichen Theater in Stockholm stellt sich ähnlich dar - mit einer prominenten Ausnahme: Richard Cumberlands großer Theatererfolg Juden (The Jew) reüssiert und bildet ab 1800 über gut 40 Jahre in mehr als 100 Vorstellungen an wechselnden Orten, unter verschiedenen Theaterleitungen und turbulenten politischen Verhältnissen eine Konstante im Spielbetrieb des Dramaten. Dabei entwickelt diese auch im internationalen Vergleich exzeptionell erfolgreiche Aufführung ihre Relevanz und Bedeutung aus der spezifischen Ausformung des Stoffes: An der Stockholmer Bühne wird Juden als Komödie gespielt. Ich verorte in dieser Lesart Cumberlands Drama, anders als in der Forschung üblich, nicht in Anlehnung an Lessings Aufklärungsarbeiten Nathan der Weise 12 oder Die Juden, 13 vielmehr knüpft die schwedische Version an die zugegeben kurze, dennoch prägnante eigene Bühnentradition komisch konnotierter Juden an. 14 Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Rollenbesetzung zu. Die begehrte Partie des edlen Protagonisten Schewa 15 wird fast über den gesamten Zeitraum von einem Schauspieler, Lars Hjortsberg, dargeboten, der ob seiner Ausformung dieses Charakters immer wieder hymnisch gefeiert wird. Schewa mit dem führenden Komiker des Hauses zu besetzen, widerspricht dabei gängiger (west-)europäischer Theaterpraxis, jedoch liegt gerade in der „ abweichenden “ Rollenverteilung der Erfolg der Aufführung begründet und rückt vor dem Hintergrund der parallelen Entwicklungen in anderen Ländern das Besondere im Hinblick auf die Ausformung der schwedischen Bühnenjuden in den Fokus. Im Folgenden werde ich darlegen, auf welche Weise Hjortsberg diese berühmte Theaterpartie verkörpert und welche Stellung ihr im Repertoire der Bühne zukommt. Die zentrale Bedeutung der personengebundenen Komik gewinnt mit Blick auf die übrigen jüdischen Charaktere Jabal und Rachel zusätzlich an Tiefenschärfe. Dass diese Ausformung der jüdischen Partien dabei nicht einer Lächerlichmachung gleichkommt, wird im zweiten Teil des Kapitels untermauert. Zunächst stellt sich jedoch die Frage, auf welche Weise sich die Stellung und die Ausrichtung des Theaters 11 Vgl. Kap. 4.2 12 Derkert 1988, S. 55 13 Rosenberg, Edgar: From Shylock to Svengali. Jewish stereotypes in English Fiction. Stanford 1960, S. 40 14 Vgl. Kap. 7 15 Ich behalte hier die im deutschsprachigen Raum übliche Schreibweise des Namens bei. „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ 339 nach dem Tod Gustavs III. verändern, unter welchen Voraussetzungen der edle Jude im Jahr 1800 auftritt. 8.1 Das Ende des Autorentheaters Die Blütezeit des Theaters ist kurz, und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zehrt die Bühne vor allem von den unter Gustav III. angestoßenen Initiativen und dem gefestigten künstlerischen Ensemble. Den Spielplan bilden Teile des etablierten Repertoires und zunehmend Übersetzungen vor allem französischer und deutscher Provenienz. Kotzebue bestimmt wie auch in Deutschland und Dänemark spätestens seit der Jahrhundertwende den Spielplan, 16 der nahezu gesamte Katalog seiner Werke wird auf der Bühne gezeigt, und so avanciert er zum meistgespielten Autor in dieser Zeit. 17 Der französische Einfluss verschafft sich vor allem auf dem Gebiet der Komödie Geltung. Die nachlassende Bedeutung des Theaters manifestiert sich auch nach Außen, am offensichtlichsten 1806, als der König anordnet, das Opernhaus zu schließen. Sicherlich spielen dabei finanzielle Erwägungen eine Rolle, aber die Entscheidung zieht vor allem einen Schlussstrich unter das Erbe Gustavs III. 18 Nordensvan bezeichnet diese Jahre als „ eine Periode des Niedergangs, sowohl für das Theater als auch die Literatur und die bildende Kunst - eine kulturelle Eiszeit. “ 19 Dabei gäbe es Anlässe genug, das Theater als Protagonisten in 16 Der erste Erfolg gelingt Kotzebue mit seinem Drama Menschenhass und Reue, das in Stockholm unter dem Titel De okända eller Världsförakt och ånger am 30. Juni 1791 Premiere feiert. 17 Nordin Hennel, Ingeborg; Lagerroth, Ulla-Britta: „ Nystart på Arsenalen. “ In: Forser, Tomas [Hrsg.]: Ny svensk teaterhistoria 2. 1800-talets teater. Hedemora 2007, S. 13 - 28, hier: S. 17 18 Gut 33 Jahre nach der gefeierten Premiere wird die Oper geschlossen und damit auch das gut 25 Jahre alte Gebäude überflüssig. Das Opernhaus wird zunächst zur Kaserne der Finnischen Garde umfunktioniert, kurze Zeit später fasst der König den Entschluss, das Gebäude abzureißen, mit dem Hinweis auf den dort verübten Mord an seinem Vater. Der Krieg mit Russland und Dänemark verhindert die Umsetzung dieses Plans und das Theater dient vorübergehend als Lazarett. Ab 1806 gibt es also nur noch das Sprechtheater im Arsenal, in dem zunehmend allerdings auch Operetten und Singspiele aufgeführt werden. 19 „ [E]tt skede av nedgång för teatern liksom för litteratur och bildande konst. Det är kulturens järnår. “ (Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917, S. 81. Im Folgenden: Nordensvan I) 340 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ den gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu positionieren. Nach dem verlorenen Krieg gegen Russland 1809 wird Gustavs Sohn als König abgesetzt und sein Onkel übernimmt den Thron. Zugleich beendet eine neue Verfassung das absolutistische politische System, eine neue dynastische Linie wird etabliert, 20 und die im Zuge der tryckfrihetsförordning 21 (Verordnung zur Pressefreiheit) gelockerte Zensur birgt das Potenzial, auf der Bühne kontroverse Themen aufzugreifen und sich mit den Reformprozessen kritisch auseinanderzusetzen. Jedoch bringt die Umwandlung der staatlichen Ordnung 1809 dem Theater zuvorderst tiefgreifende administrative Reformen. 22 Die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten prägen das Geschick der Bühne in den kommenden Jahren, Theaterchefs sowie organisatorische Neuerungen lösen einander in schneller Folge ab und eine langfristige programmatische und personelle Planung erweist sich als schwierig. Dies hat vor allem Auswirkungen auf die Produktion schwedischer Dramatik, die nach Gustavs Tod merklich abnimmt. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Zum einen entfällt die Förderung landessprachlicher Autoren und dem Theater wird gestattet, Übersetzungen zu spielen; anderseits verliert die königliche Bühne mehr und mehr ihren Status als kulturelles Leitmedium, was die Dramatik als Form der literarischen Auseinandersetzung hinsichtlich gesellschaftlich oder politisch relevanter Fragen unattraktiv erscheinen lässt. Beide Ursa- 20 Karl XIII. wird erst im Alter von 60 Jahren König und bleibt kinderlos. Die Gründe für die Wahl Jean Baptiste Bernadottes als Nachfolger des alternden Monarchen auf dem Reichstag in Örebro sind unter Historikern umstritten, denn es stehen verschiedene Kandidaten zur Wahl. Als sicher gilt, dass sich die Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Frankreich als mitentscheidend herausstellt. Bernadotte nimmt als Kronprinz 1810 den Namen Karl Johan an und wird vom König adoptiert. Schon weit vor seiner Krönung als Karl XIV. Johan 1818 lenkt er die Geschicke des Landes. (Lagerqvist, Lars O.: Sveriges regenter. Från forntid till nutid. Stockholm 1996, S. 331 ff) 21 Unter Gustav III. herrscht in Schweden eine sehr eingeschränkte Pressefreiheit. Erst nach der Einführung der neuen Verfassung (regeringsform) 1809 werden diese Rechte gestärkt. Am 9. März 1810 erlässt der Reichstag eine neue Verordnung (tryckfrihetsförordning), welche die Zensur von Zeitschriften, Zeitungen und Büchern nur in wenigen Fällen zulässt. (Funcke, Nils: Tryckfriheten. Ordets män och statsmakterna. Stockholm 2006, S. 29 ff) 22 Erstmals bekommt die Bühne zwar finanzielle Zuwendungen vom Reichstag zugesprochen, ist also nicht mehr nur auf den König angewiesen, aber im Vergleich zu den ökonomischen Ressourcen, die dem Dramaten unter seinem Gründer zustehen, nimmt sich der neue Geldsegen äußerst bescheiden aus. Übrig bleibt ca. ein Viertel der vormals zur Verfügung stehenden Mittel. (Bergman, Gösta M.: „ Dramaten - från Bollhuset till Nybroplan. “ In: Bergman, Gösta M. [Hrsg.]: Dramaten 175 år. Studier i svensk scenkonst. Stockholm 1963, S. 9 - 74, hier: S. 33 f ) Das Ende des Autorentheaters 341 chen bedingen sich und haben zur Folge, dass sich die „ schwedischen Autoren ungewöhnlich still verhalten “ 23 und Schweden - wie der Theaterhistoriker Agne Beijer konstatiert - im Gegensatz zu seinen Nachbarn in dieser Epoche keine großen Dramatiker „ wie beispielsweise Holberg in Dänemark und Norwegen, Shakespeare in England, Goethe und Schiller in Deutschland, Molière, Corneille und Racine in Frankreich “ 24 hervorbringt. Debatten über die Ausformung der politischen Ordnung oder des gesellschaftlichen Miteinanders werden im Theater nicht geführt. Dies spiegelt sich auch in einer zentralen Frage des frühen 19. Jahrhunderts - dem Ringen um die rechtliche Stellung der Juden. Keineswegs kann davon die Rede sein, dass Autoren sich diesbezüglich nicht äußern, das oben konstatierte Stillhalten bezieht sich lediglich auf die Form der Debattenbeiträge: Das Drama und damit die Bühne erweisen sich in diesem Zusammenhang als unattraktives Feld, vielmehr übernimmt die aufblühende Presselandschaft die Funktion, aktuelle Themen abzuhandeln. So überrascht es nicht, dass in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kaum jüdische Charaktere auf der Bühne ein Zuhause finden. Die Gustavianischen Bühnenjuden verschwinden, nur Cumberlands edler Schewa bleibt im Theater präsent. Im Jahr 1800 feiert das Stück Premiere und bildet über vier Jahrzehnte eine feste Größe im Repertoire. Die Frage stellt sich, auf welche Weise die konstante, nur wenig veränderte Aufführung eines Dramas, das im Zentrum seiner Handlung die Debatte um die gerechte oder ungerechte Behandlung der jüdischen Minderheit führt, mit der in den 40 Aufführungsjahren sich immer wieder verändernden Stellung sowohl des Theaters als auch der Juden interagiert. Welche Ausformung erfährt die jüdische Hauptfigur im Jahr 1800 - wer ist dieser Schewa? 23 Bergmann 1963, S. 48 24 „ på det sätt som exempelvis Holberg är det i Danmark och Norge, Shakespeare i England, Goethe och Schiller i Tyskland, Molière, Corneille och Racine i Frankrike. “ (Beijer, Agne: „ Om Teaterhistoria. Föredrag vid ett av Stockholms Högskolas studentkår och Teaterhistoriska föreningen anordnat upplysningsmöte på kårhuset den 19 oktober 1956. “ In: Nya teaterhistoriska studier. Skrifter utgivna av Föreningen Drottningholmsteaterns vänner XII. Stockholm 1957, S. 9 - 25, hier: S. 24) 342 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ 8.2 Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden Schewa ist nicht Cumberlands erster Jude, aber sein erfolgreichster. 25 Die Uraufführung feiert The Jew im Mai 1794 am Drury Lane Theatre in London, kurz darauf tritt es seinen dramatischen Siegeszug durch Europa an, nicht nur an unterschiedlichen Bühnen in Deutschland sowie Frankreich, 26 auch am Königlichen Theater in Kopenhagen bildet es ab 1795 einen beliebten Teil des Repertoires. 27 So ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Stockholm der edle Jude seinen großen Auftritt hat. 8.2.1 Gang der Handlung Fredric, der Sohn des reichen englischen Geschäftsmanns Sir Bertram, verschafft seinem armen Freund Charles Ratcliffe eine Stellung bei seinem Vater. Fast zeitgleich heiratet er in aller Heimlichkeit dessen selbstverständlich ausnehmend attraktive Schwester Elisa. Als problematisch an dieser Verbindung stellt sich dar, dass Fredrics Vater ihm bereits eine wohlhabende Braut ausgesucht hat. Als der Sohn sich weigert, setzt Bertram ihn vor die Tür und kündigt zugleich Charles die Stellung. Fredric bittet nun den reichen Juden Schewa um ein Darlehen für seinen Freund, da dieser wegen seiner Verfehlung mittellos dasteht. Zugleich verheimlicht er Schewa nicht, dass er das Geld in nächster Zukunft nicht zurückzahlen kann, da er durch die Heirat bei seinem Vater in Ungnade gefallen ist. Sehr zu Fredrics Verwunderung willigt der Jude dennoch ein, die benötigte Summe zu gewähren. Diese Freigiebigkeit berührt den jungen Bertram zutiefst, behandelte Fredric den Juden doch bisher nach dem Muster seines Vaters: Dieser, von Vorurteilen und Abneigung gezeichnet, benutzt Schewa vor allem als dienstbaren Geist, der Geschäftliches für ihn regelt. Nachdem Charles von der Hochzeit seiner Schwester erfahren hat, kann er sich kaum beruhigen. Er befürchtet, die Verbindung von Elisa mit einem Sohn aus reichem Haus könnte den Ruf der Familie schädigen, stünde sie doch als geldgierig da, die Hochzeit als kalkuliertes Unterfangen, um an das 25 In dem 1772 erschienen Stück The fashionable Lover liefert Cumberland mit der Figur des Juden Naphtali einen Gegenstück zu Schewa: „ [A] typical scoundrel of the old school, an ugly little monkey with a broken accent, who subscribes to the ethics of the profiteer. “ (Rosenberg 1960, S. 43) 26 Dircks, Richard J.: Richard Cumberland. Boston 1976, S. 71 27 Vgl. Kap. 5 Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 343 Erbe des reichen Geschäftsmanns zu kommen. Zudem stellt sich Charles ’ finanzielle Situation als zunehmend prekär heraus: Ohne Anstellung muss er fürchten, sich nicht mehr um seine Familie kümmern zu können. Hier zeigt sich einmal mehr Schewas Großzügigkeit, denn er ist bereit, dem jungen Ratcliffe zu helfen, mit dem ihn schon länger eine freundschaftliche Beziehung verbindet, seit dieser ihn vor Angriffen einer pöbelnden Meute beschützte und damit das Leben rettete. Nachdem Schewa von der Hochzeit erfahren hat, zahlt er für die junge Braut als Zukunftssicherung heimlich eine finanzielle Zuwendung in Höhe von 50.000 Pfund auf ein Konto ein. 28 Als Sir Bertram über Umwege davon erfährt, schenkt er der Nachricht keinen Glauben, liegt es doch jenseits seiner Vorstellungskraft, dass Schewa zu einer solchen Großzügigkeit fähig wäre. Das Edle und Hilfsbereite des Juden wird durch die Darstellung seiner häuslichen Sphäre aufgefächert. Seine Haushälterin Rachel 29 und insbesondere der Knecht Jabal klagen über den Geiz ihres Dienstherren - im Haus des vermögenden Juden herrscht Mangelwirtschaft. Jabal plagt beständig der Hunger, statt Wein kann Schewa seinen Gästen nur Wasser auftischen und auch sein Äußeres lässt kaum darauf schließen, dass es sich bei ihm um einen wohlhabenden Mann handelt. Seine Sparsamkeit erklärt er immer wieder damit, dass er auf diese Weise den Armen besser helfen könne. Nur ungenügend lässt sich die Frage beantworten, warum Schewa so gut ist und vor allem, warum Schewa - abgesehen von öffentlich geäußerten Allgemeinplätzen über menschlichen Anstand - seine Wohltätigkeit im Geheimen verübt, warum niemand weiß, wofür er sein Geld einsetzt und auf diese Weise die öffentliche Meinung, er sei geizig, sich mehr und mehr verfestigt. Die Klage des edlen Juden - „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ 30 - gewinnt so eine programmatische Tiefe. Charles kann Fredric die heimliche Hochzeit trotz Bitten seiner Schwester nicht verzeihen und so kommt es im letzten Akt zum Duell der beiden Freunde, das jedoch in einer großen Versöhnungsszene endet. Zusammen mit Schewa, der als Streitschlichter herbeieilt, begeben sich die beiden in das Haus der Familie Ratcliffe. Dort erkennt die Mutter in Schewa den Juden, den ihr verstorbener Mann vor Jahren im Angesicht einer Horde wütender Christen in Cadiz vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Nicht nur dem Sohn, sondern auch dem Vater verdankt der Jude sein Leben. Zu 28 Im englischen Original handelt es sich um eine Summe von 10.000 Pfund. 29 Im englischen Original nennt Cumberland sie Dorca. 30 „ Verlden känner mig föga eller inte. “ (Juden, KTA pjäs: J.014) 344 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Tränen gerührte deckt Schewa auf, dass er hinter den 50.000 Pfund steckt, zudem setzt er Charles als seinen Erben ein. In diesem Moment trifft auch Sir Bertram ein, tief beschämt über die Verachtung, die er seinem jüdischen Geschäftspartner über all die Jahre gezeigt hat. Zum Schluss versöhnen sich Vater und Sohn, Juden und Nicht-Juden, Arme und Reiche in allgemeiner Glückseligkeit. Und die Welt ist ein Stück besser geworden. 8.2.2 Juden und andere Komödien im Repertoire des Theaters um 1800 Cumberlands Stück und dessen Umsetzung im Dramaten dient der schwedischen Theatergeschichtsschreibung häufig - und völlig zurecht - als wichtiger Ausgangspunkt, wenn es um die Analyse jüdischer Figuren auf der Bühne geht. Dabei steht immer wieder die politische Dimension dieser Aufführung im Mittelpunkt. So sieht Kerstin Derkert in der Aufnahme von Juden in den Spielplan zuvorderst eine Entscheidung, die das gesellschaftlich virulente, negativ konnotierte Bild der jüdischen Migranten positiv umformen solle: Här gällde det att skapa opinion hos en teaterpublik som antagligen till stora delar var judefientlig. Att Dramaten skulle ha satt upp Juden av en slump eller för att den erbjöd så många tacksamma roller är högst osannolikt. Ingen kan ha blundat för tendensen. 31 Hier ging es um Stimmungsmache bei einem Theaterpublikum, das wahrscheinlich zu großen Teilen judenfeindlich gesinnt war. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass das Dramaten Juden zufällig oder wegen der vielen dankbaren Rollen ansetzt. Niemand kann vor der dahinterliegenden Absicht die Augen verschlossen haben. Willmar Sauters Analyse zielt in eine ähnliche Richtung, wenn er dem Theater attestiert, dass es in Zeiten, in denen die „ Judenfrage “ die gesellschaftliche Debatte prägt, durch die Spielplangestaltung an der öffentlichen Diskussion zumindest teilhaben will. 32 Beide schlussfolgern daraus, dass das Theater durch seine Repertoirepolitik dazu beiträgt, die öffentliche 31 Derkert 1988, S. 55 32 Sauter bezieht in seine Argumentation auch die Aufführungen von Der Kaufmann von Venedig (1854) und Nathan der Weise (1863) mit ein. (Sauter 1993, S. 210) Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 345 Auseinandersetzung mit positiv gezeichneten jüdischen Figuren zu bereichern. Ingeborg Nordin Hennel und Ulla-Britta Lagerroth gehen noch einen Schritt weiter und betonen die Wichtigkeit der Aufführung als Meilenstein auf dem Weg zur Aufhebung des judereglements im Jahr 1838, welche die rechtliche Gleichstellung der Juden einleitet. 33 Das Theater nähme hier in einer Zeit „ weit verbreiteter Judenfeindschaft “ 34 eine Minderheit öffentlichkeitswirksam in Schutz. Mit Blick auf die Frage nach der Ausgestaltung dieser berühmtesten jüdischen Figur des Stockholmer Theaters in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erscheint es mir sinnvoll, anders als bisher, sowohl die Vorgänger als auch die Mitstreiter Schewas in die Betrachtung mit einzubeziehen, 35 denn die komischen Judenfiguren der Gustavianischen Epoche üben einen bedeutenden Einfluss auf die ästhetische Positionierung Schewas aus, zugleich stehen mit Rachel und Jabal zwei weitere, zumeist völlig vergessene Charaktere mit auf der Bühne, die das Bild vielseitiger erscheinen lassen. Darüber hinaus sehe ich es als wichtig an, das Drama zunächst vor dem Hintergrund der schwedischen Uraufführung 1800 zu lesen, statt es sofort in den Unruhen 1838 als politisches Schwergewicht zu feiern. Im Jahr der Premiere stoßen drei dramatische Neuheiten auf besonderes Interesse, die allesamt aus der Feder Carl Lindegrens 36 stammen und Hjortsberg in wichtigen Rollen zeigen: In General Eldhjälm (General Feuerhelm) gibt er den Titelhelden, in Kärlek och hemsjuka (Liebe und Heimweh) übernimmt der Schewa-Darsteller den Part des Oberst Glover und schließlich begegnet ihm das Publikum in Lycksökaren (Der Glückssucher) als Karl-Moor 37 -Karikatur namens Svindler. Lindegrens an Kotzebue ’ sche Vorbilder angelehnte Stücke 38 verdrängen vor allem ältere schwedische Dramen vom Spielplan. Neben diesen romantischen Lustspielen setzt man verstärkt auf Komödien und Parodien, die häufig aktuelle Ereignisse, Personen aber auch bekannte Theaterstücke zum Gegenstand 33 Nordin Hennel; Lagerroth 2007, S. 24 34 „ utbredd judefientlighet “ (Nordin Hennel; Lagerroth 2007, S. 24) 35 Sauter geht davon aus, dass es zu Zeiten Gustavs III. keine Juden auf der Bühne gibt. (Sauter 1993, S. 203) 36 Lindegren besorgt auch die Übersetzung des Cumberland ’ schen Dramas The Jew. 37 Karl Moor ist eine der Hauptfiguren in Schillers Drama Die Räuber. In der zentralen Auseinandersetzung mit seinem Bruder Franz figuriert Karl als freiheitsliebender Gegenpart zum intriganten und berechnenden gräflichen Hof. 38 Nordensvan I, S. 94 346 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ haben. Meine These ist, dass Juden seinen anfänglichen Erfolg vor allem daraus zieht, dass es die beiden populären Genres mischt und so als eine Art komödiantisches Lustspiel in Stockholm reüssiert. Nicht nur die Besetzung legt dies nahe, auch die im Theaterarchiv erhaltenen handschriftlichen Manuskripte zur Aufführung deuten in diese Richtung, tragen sie doch sämtlich die Genrebezeichnung „ Comedie “ . 39 Um diese Lesart zu untermauern, werde ich zunächst auf die Besetzung des Protagonisten und seine Ausgestaltung durch Lars Hjortsberg genauer eingehen. Nahezu vier Jahrzehnte gibt dieser die Rolle des edlen Juden, auf die er scheinbar das „ alleinige Recht “ hat. 40 Cumberlands Titelfigur Schewa und deren Darsteller Hjortsberg sind so auf besondere Weise miteinander verwoben, der Schauspieler gibt über knapp 40 Jahre den Juden, nach seinem Rückzug von der Bühne und der Umbesetzung der Titelpartie lässt die Beliebtheit des Stücks rapide nach und es wird schließlich vom Spielplan genommen. 41 Dies unterstreicht, dass hier nicht nur ein Drama sondern vor allem die Ausformung des Protagonisten die Grundlage der Rezeption darstellt. Die Darsteller sind die Stars der Bühne, das Publikum besucht ihretwegen das Theater; ihr Geschick und ihre Arbeit entscheiden über den Erfolg oder Misserfolg einer Aufführung. Die Verkörperung Schewas durch Hjortsberg besonders in den Blick zu nehmen, verspricht, eine bisher wenig beleuchtete Facette in der Figuration jüdischer Charaktere in den Fokus zu rücken. 8.2.3 Lars Hjortsberg - Der erste Starschauspieler des Dramaten Lars Hjortsberg ist einer der Protagonisten des „ neuen “ Sprechtheaters. Früh kommt er in Kontakt mit der Bühne 42 und erhält bei Monvels französischer Truppe Schauspielunterricht. 43 Darüber entsteht auch der 39 Juden, KTA pjäs: J.014 40 Ansonsten ist es üblich, dass unterschiedliche Schauspieler in einer Rolle alternieren, Doppelbesetzungen ( „ dubbleringar “ ) sind an der Tagesordnung. (Derkert 1988, S. 29) 41 Die letzte Aufführung findet 1846 statt. 42 Es ist wahrscheinlich, dass Hjortsberg, dessen Mutter als Schauspielerin arbeitet, im Alter von sechs Jahren 1778 seinen ersten Auftritt absolviert. Vier Jahre später steht er als Coras Bruder bei der Eröffnung des neuen Opernhauses in der Aufführung von Cora och Alonzo auf der Bühne. 43 Seine erste Ausbildung erfährt er bei dem bekannten Ehepaar Müller - er ist Konzertmeister, sie Sängerin. Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 347 direkte Kontakt zu Gustav III., der ihn zunächst als Page 44 sowie später als Lektor der Schlossbibliothek in Haga anstellt. 45 Diese Periode, konstatiert der Theaterhistoriker Brunius, prägt den Schauspieler merklich für den Rest seiner Laufbahn. 46 Der von seinem langjährigen Lehrer Monvel stark französisch inspirierte Spielstil verändert sich über die Jahre nur sehr wenig. 47 Dabei zeichnen Hjortsberg vor allem seine als natürlich wahrgenommene Darstellungsweise und die verständliche sprachliche Ausführung seiner Rollen aus: „ Er ist berühmt für sein kristallklares Spiel, seine perfekte Diktion. Hinzu kommt die fein abgestimmte, unübertroffene 44 Hjortsberg arbeitet als so genannter garçon bleu für den Monarchen. In dieser Funktion meldet er dem König Gäste, serviert Tee, betätigt sich als Vorleser und wird vom König liebevoll „ le petit Jortsberg “ genannt. (Nordensvan, Georg: „ Lars Hjortsberg. En förstudie. “ In: Ord och Bild, Nr. 1 1916) 45 Er folgt in dieser Funktion Gustav III. auch auf seinen Reisen, so beispielsweise während des Krieges mit Russland 1790 nach Finnland sowie später nach Aachen und Spa. (Personne II, S. 46) Auch auf den tödlichen Maskenball 1792 begleitet er den König. (Hedberg, Frans: Svenska skådespelare. Karakteristiker och porträtter. Stockholm 1884, S. 12) 46 Brunius, Niklas: „ Alltid ny och alltid densamma. Studier i Lars Hjortsbergs spelstil. “ In: Bergman, Gösta M. [Hrsg.]: Dramaten 175 år. Studier i svensk scenkonst. Stockholm 1963, S. 104 - 149, hier: S. 105 47 In diesem Zusammenhang wird häufig von „ la tradition monvélienne “ gesprochen. (Nordin Hennel, Ingeborg: „ Vägar till en scenkarriär. “ In: Forser, Tomas [Hrsg.]: Ny svensk teaterhistoria 1. Teater före 1800. Hedemora 2007, S. 239 - 250, hier: S. 242) Wie stark Hjortsberg diese Tradition verinnerlicht, bezeugt eindrucksvoll sein Zeitgenosse Arfvidsson, der nach einer Parisreise wie folgt von seinen Theaterbesuchen berichtet: „ Hans [Hjortsbergs] skola var den franska, Molièrska komedins, och huru väl traditionerna, den tiden åtminstone, ännu bibehållit sig, visar den omständigheten, att när jag, flere år efter det H. [Hjortsberg] lemnat scenen, på Théatre Français såg de samma Molières pjeser, hvari jag många gånger sett honom, t. ex. Tartuffe, Précieuses ridicules, L ’ Avare, tyckte jag mig i Provost, Guyan, m. fl., som spelade H: s roller, igenkänna elever eller kamrater till honom. Det var till och med i detaljer en förvånande likhet, och han hade dock lika lite sett desse, som de troligen någonsin hört talas om honom. “ (Arfvidsson, Nils: Teaterbilder från fordom. Ur ett efterlemnad manuscript från slutet af 1850-talet. Stockholm 1885, S. 8) / / „ Seine [Hjortsbergs] Schule war die französische, Molières Komödie, und wie gut sich die Tradition, zu dieser Zeit jedenfalls, bewahrt hatte, zeigt der Umstand, dass ich, mehrere Jahre nachdem H. [Hjortsberg] die Bühne verlassen hatte, am Théatre Français die Stücke Molières sah, in denen ich ihn so oft gesehen hatte, beispielsweise Tartuffe, Précieuses ridicules, L ’ Avare und in Provost, Guyan und anderen, die Hs Rollen spielten, Schüler oder Kameraden von ihm wiederzuerkennen glaubte. Es war selbst in den Details eine erstaunliche Ähnlichkeit und doch er diese nie gesehen, genauso wenig, wie sie wahrscheinlich je von ihm gehört hatten. “ 348 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Mimik, die ihm sicherlich Monvel beigebracht hat. “ 48 Seine Verkörperungen gelten als „ authentisch “ , er moduliert Stimme und Mimik auf eine Weise, die für die zeitgenössischen Zuschauer den Anschein erwecken, er stelle „ die Menschen so dar, wie sie sind, und nicht wie sie sein könnten oder sollten. “ 49 Mit diesen Fähigkeiten ausgestattet, gelingt es dem jungen Schauspieler schnell, sich in die Herzen des Publikums zu spielen. Als einzigen wirklich großen Star bezeichnet ihn Frans Hedberg, 50 Nils Arfvidsson als „ in seinem Fach den Größten, den Schweden je hatte, und einen der Vollkommensten, den es je gab. “ 51 Nordensvan nennt ihn „ Schwedens größte dramatische Berühmtheit “ 52 sowie „ den Stolz der schwedischen Bühne “ 53 und Gustaf Hilleström feiert ihn als „ bedeutendsten Schauspieler, den unser Land je hatte. “ 54 Zu seinen wichtigsten Partien zählt Cumberlands Schewa, den er offenbar auf eine Weise verkörpert, die ihn in eine Reihe mit anderen bedeutenden Abb. 11: Lars Hjortsberg. 48 „ Han är berömd för sin kristallklara spel, sin perfekta diktion. Därtill kommer den fint avvägda, oöverträffade mimiken, som Monvel säkerligen också övat upp hos honom. “ (Brunius 1963, S. 106) 49 „ [H]an framställde menniskorna sådana de äro, icke sådana de kunde eller borde vara. “ (Hedberg 1884, S. 13) 50 „ Vårt land har haft många framstående, många goda skådespelare, men det har hittills endast haft en verklig stor, och det var Lars Hjortsberg. “ (Hedberg 1884, S. 11) 51 „ [I]nom sitt fack den största Sverige egt och en af de fullkomligaste, som någonsin funnits. “ (Arfvidsson 1885, S. 50) 52 „ Sveriges största dramatiska celebritet. “ (Nordensvan 1916) 53 „ svenska scenens stolthet. “ (Nordensvan I, S. 340) 54 „ främsta skådespelare vårt land någonsin haft. “ (Hilleström, Gustaf: „ Det låg ett skimmer. . . “ In: Hoogland, Claes; Kjellin, Gösta [Hrsg.]: Bilder ur svensk teaterhistoria. Stockholm 1970, S. 107 - 136, hier: S. 131) Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 349 europäischen Mimen stellt: „ Die Rolle ist dankbar, Ludvig Devrient in Deutschland und Winslöw in Dänemark zählten sie zu ihren Glanzstücken - genauso wie Hjortsberg bei uns. “ 55 Dieser Vergleich legt zunächst nahe, dass die Darstellung des berühmten Juden in Stockholm einem ähnlichen Weg folgt wie in Kopenhagen oder Berlin: Ein wichtiger und beliebter Darsteller gibt den womöglich ersten ernsthaften Juden. Allerdings wird mit Blick auf die schwedische Tradition und die Ausführung der Partie durch Hjortsberg deutlich, dass sich die (skandinavischen) Schewas möglicherweise stärker voneinander unterscheiden, als der erste Eindruck vermuten lässt. 1795 feiert Jøden seine Premiere in Dänemark, der Patriot Knudsen gibt den edlen Juden mit großem Erfolg, später reüssieren vor allem Winsløw und der große Heldendarsteller Ryge in dieser Rolle. 56 Ähnlich wie Hjortsberg gehören sie zu den herausragenden Kräften des Theaters und zu den beliebtesten Schauspielern ihrer Zeit, aber anders als diese ist Lars Hjortsberg in einem vollkommen anderen Rollenfach engagiert. Bis zum Ende seiner Laufbahn 1840 wirkt er in über 400 Stücken mit, verfügt also über ein ähnlich großes Repertoire wie sein Zeitgenosse Ryge auf der dänischen Bühne, mit dem Unterschied, dass Hjortsberg vornehmlich in Komödien, burlesken Dramen und Singspielen glänzt. 57 Auf gleiche Weise 55 „ Rollen [Schewa] är tacksam, Ludvig Devrient på den tyska scenen och Winslöw på den danska räknade den till sina glansroller - likaså Hjortsbergs hos oss. “ (Nordensvan I, S. 91) 56 Vgl. Kap. 5 57 Zu seinen populärsten Charakteren zählen unter anderem Kapten Puff aus dem gleichnamigen Drama Kexéls, ein Großsprecher, der alle seine Chancen in Liebe und Leben vergibt, weil er sich beständig um Kopf und Kragen redet: „ I / . . . / stycket utförde Lars Hjortsberg den pratsamme kaptenen, hvilken roll han under årens lopp utarbetade till en oöfverträfflig företeelse och spelade ända till 1841, inalles etthundrafemtio gånger. Dråplig lär han i synnerhet ha varit i den scen, då han pratar ut den ena efter den andra af de talföra damerna, ända till dess han står ensam och talar för sig själf. “ (Personne, Nils: Svenska teatern under Gustavianska tidehvearfvet, samt en återblick på dess tidigare öden. Stockholm 1913, S. 201) / / „ In / . . . / dem Stück gab Lars Hjortsberg den gesprächigen Kapitän, eine Rolle, die er im Lauf der Jahre zu einer unübertrefflichen Erscheinung ausarbeitete und bis 1841 spielte, insgesamt 150 Mal. Urkomisch soll er besonders in der Szene gewesen sein, in der er eine der zahlreichen Frauen nach der anderen von der Bühne redet, bis er zum Schluss ganz allein bleibt und mit sich selbst spricht. “ Kapten Puff wird häufig als Nachspiel zu Juden aufgeführt. Es ist damals gängige Praxis, den Zuschauern nach einem Hauptstück eine weiteres, kürzeres Drama zu präsentieren. (Gram Holmström 1988, S. 70 f) Eine weitere wichtige Partie bildet der Alkoholiker Winberg in Bildhuggaren (Der Bildhauer), das in einer Übersetzung von Hjortsberg den Weg ins Repertoire des Theaters findet. Es handelt sich um eine leicht 350 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ interessant erscheinen im Hinblick auf Hjortsbergs Gestaltung Schewas die Rollen, die ihm misslingen. Bezeichnenderweise herrscht unter den Zeitgenossen Einigkeit darüber, dass Hjortsberg zwar ein famoser Schauspieler sei, dass die wirklichen Heldenpartien in den Tragödien oder auch bürgerlichen Schauspielen ihm jedoch nicht lägen. Die wenigen Versuche, die er auf diesem Gebiet unternimmt, stellen sich nahezu durchgehend als Niederlagen heraus. 58 Seine Spielweise, sonst Garant für die großen Triumphe, scheint für das Tragische und Ernste nicht zu passen. Selbst ihm wohlgesinnte Beobachter raten zu einer „ passenderen “ Rollenauswahl: [Hjortsberg] var ju som komiker den uppskattade och tilljublade mästaren, men själf längtade han efter de tragiska rollerna, ehuru han därvid möttes af publikens oförstående och hån, och hans Cæsar i La mort de Pompé förlöjligades af både vänner och fiender. När man fick se Hjortsbergs jovialiska gestalt, iförd den österländska dräkten, uppklifven på den höga koturnen, talande alexandrinernas högtrafvande språk, skrattade man helt obarmhärtigt och respektlöst. / . . . / Hvarken Hjortsbergs figur eller röst lämpade sig för framställning af detta slags roller. Han fick något krystadt och uppstyltadt öfver sig, som alldeles fördärfvade intrycket. 59 moralisierende Komödie, in der Hjortsberg den Musiker Winberg gibt, der sich ausufernd dem Alkohol hingibt. In dieser Rolle tritt er auch das letzte Mal auf der Bühne des Königlichen Theaters im Jahr 1842 auf, insgesamt spielt er sie an die 150 Mal. Schließlich brilliert er auch als Marktschreier in Armfelts Tillfället gör tjuven (Gelegenheit macht Diebe), den er von Bellman übernimmt. Bellman spielt die Rolle 1783 bei der Premiere im Schlosstheater Ulriksdal, wahrscheinlich schreibt er diesen Part sogar selbst. Ob Hjortbergs Bellmans Verköperung gesehen hat, darf bezweifelt werden, da er zu dieser Zeit noch über keine Verbindungen zum Hof verfügt. (Brunius 1963, S. 127) Er spielt den Marktschreier überwiegend auf Deutsch und mit unablässigem Erfolg. 58 Weder als Axel Oxenstierna in Kellgrens Drottning Christina (Königin Christina) noch in Oehlenschlägers oder Voltaires Dramen kann er überzeugen. Der Theaterhistoriker Henrikson zählt Oxenstierna neben Omar in Voltaires Mahomet zu den großen Misserfolgen in Hjortsbergs Repertoire: „ Men som Omar i Voltaires Mahomet lär han ha varit särdeles misslyckad, och han sägs också ha gjort en krystad figur av Axel Oxenstierna i Kellgrens Drottning Christina. “ (Henrikson, Alf: Kungliga teatern. En återblick. Stockholm 1994, S. 211) / / „ Als Omar in Voltaires Mahomet soll er besonders erfolglos gewesen sein, und man sagt, auch sein Axel Oxenstierna in Kellgrens Königin Christina sei eine gekünstelte Figur gewesen. “ 59 Personne, Nils: Svenska teatern IV. Under Karl Johanstiden. 1818 - 1827. Stockholm 1916, S. 84 f. Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 351 [Hjortsberg] war als Komiker ein geschätzter und bejubelter Meister, aber er selbst sehnte sich nach den tragischen Rollen, auch wenn er dabei von Seiten des Publikums auf Unverständnis sowie Hohn traf, und sein Cäsar in La mort de Pompé sowohl von Freunden als auch Feinden lächerlich gemacht wurde. Sah man Hjortsbergs joviale Gestalt, in orientalische Gewänder gehüllt, auf das höchste Podest geklettert, hochtrabend Alexandriner sprechen, lachte man ganz unbarmherzig und respektlos. / . . . / Weder Hjortsbergs Gestalt noch Stimme eigneten sich für die Darstellung dieser Art von Rollen. Er wirkte gekünstelt und schwülstig, was den Eindruck ganz und gar verdarb. In ähnlicher Weise äußern sich sowohl Arfvidsson, der ihm Eitelkeit und Fehler bei der Rollenauswahl vorwirft, 60 als auch Rydqvist in seiner Zeitschrift Heimdall, 61 der seine unzureichende Begabung im tragischen Fach konstatiert. 62 Immer wieder werden auch seine physischen „ Mängel “ angeführt, die scheinbar den edleren Heldenrollen entgegenstehen. Brunius beschreibt die körperliche Situierung des Schauspielers als „ klein und rundlich “ und damit als „ untauglich für edle Rollen, / . . . / [p]hysisch gesehen war er untauglich für die Tragödie. “ 63 Zudem führt er Hjortsbergs schwächliche Stimme als Hinderungsgrund an. 60 „ Men det var äfven bland Hjortsbergs svagheter, att han missaktade sitt eget röllfält och gerna ville spela högförnäma roller, när det så bar till, t.ex. Axel Oxenstjerna. “ (Arfvidsson 1885, S. 5) / / „ Aber es war auch eine von Hjortsbergs Schwächen, dass er sein eigenes Rollenfeld missachtete und viel lieber, sobald sich die Möglichkeit ergab, vornehme Rollen spielen wollte, wie z. B. Axel Oxenstjerna. “ 61 Die Zeitschrift Heimdall erscheint wöchentlich zwischen 1828 - 1832 und zeichnet sich zuvorderst durch die umfassende Berichterstattung bezüglich des Königlichen Theaters aus. Ihr Herausgeber J. E. Rydqvist verfasst die meisten der knapp 50 Rezensionen selbst und fungiert in dieser Zeit als einer der führenden kulturpolitischen Köpfe Stockholms. (Gram Holmström 1988, S. 74 ff) 62 „ Hr Hjortsberg spelte Erkebiskop Erland [i Oehlenschlägers Axel och Valborg]. / . . . / Hr Hjortsberg har för mycket snille, för mycket theater-vana och artistiskt sinne, för att kunna i någon personnage alldeles mislyckas; men det gifves dock ett långt afstånd härifrån till det fullkomliga. “ (Heimdall No 53, 1829) / / „ Herr Hjortsberg spielte den Erzbischof Erland [in Oehlenschlägers Axel und Walburg]. / . . . / Herr Hjortsberg hat zu viel Genie, zu viel Theatererfahrung und artistischen Sinn, um in einer Rolle vollständig zu versagen, aber der Abstand zwischen seinem Erzbischof und dem Vollkommenen ist doch beachtlich. “ 63 „ Redan Hjortsbergs växt, liten och knubbig, gjorde honom olämplig för ädlare roller, / . . . / fysiskt sett var han olämplig till tragedien. “ (Brunius 1963, S. 108) 352 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Abb. 12: Lars Hjortsberg. Unter diesen Umständen leuchtet zunächst wenig ein, dass Hjortsberg für die Partie des Schewa ausgewählt wird, und die Erfolge, die er damit feiert, überraschen. Gerade diese Besetzung stellt jedoch einen Schlüssel zur Verfügung, der es erlaubt, Ambivalenzen in der Darstellung des Protagonisten wahrzunehmen, aus der sich die Anziehungskraft der Aufführung erklären lässt. Schon in den unterschiedlichen Beschreibungen, die Hjortsbergs Spiel aufnehmen und bewerten, klingt dies im Verlauf der vielen Jahre immer wieder an. Von verschiedener Seite wird deutlich gemacht, auf welch berückende Art und Weise es ihm zu gelingen scheint, den „ Juden in einer vorteilhaften Gestalt darzustellen “ 64 und nicht wie sonst üblich, das Karikierende in den Vordergrund zu rücken. 65 Schewa sei eine „ außerordentliche Darstellung, “ 66 Hjortsberg überzeuge in dieser Rolle durch sein „ genialisches Spiel “ 67 und seine „ vortreffliche Interpretation und Wieder- 64 „ [E]n Jude i en fördelaktig gestalt. “ (Freja, 4. Dezember 1838) 65 Brunius 1963, S. 118 66 „ Som utmärkta framställningar / . . . / nämnes hans / . . . / Schewa i Juden af Cumberland. “ (Hedberg 1884, S. 14) 67 „ Juden, en af de bättre pieser, som uppföras, har dertill lyckan af Hr. Hjortsbergs genialiska spel. “ (Heimdall No 36, 1828) Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 353 gabe dieser eigentümlichen Figur “ und feiere darin einen seiner größten Triumphe. 68 Gleichzeitig betonen Kritiker immer wieder die komische Ausprägung der Darstellung, was nahe legt, dass Hjortsberg der am Dramaten bis dato üblichen Verortung jüdischer Figuren folgt und damit in puncto Sprache und Kleidung eine Richtung einschlägt, die beispielsweise auch Iffland für seine Schewa-Verkörperung in Berlin wählt. 69 Folgt man den im Archiv des Königlichen Theaters bewahrten Rollenheften, ist dies nicht sofort ersichtlich, deutet doch nichts auf den Gebrauch der typischen Sondersprache hin. Schewa verwendet fehlerfreies Schwedisch, ebenso sein Diener Jabal sowie die Haushälterin Rachel. 70 Es wirkt, als gewährte uns der Text Einblicke in einen assimilierten Haushalt, der nicht nur etliche Christen zu seinen Freunden zählt, sondern darüber hinaus angepasst an die nationalen Sitten parliert. Mit Blick auf die Aufführung stellt sich dieses Bild brüchiger dar. Hjortsberg behält „ den speziellen Dialekt “ 71 des jüdischen Rollenfaches nämlich bei, vor allem die zeitgenössischen Gravuren von Chiewitz lassen darauf schließen. Auf einem der bekanntesten Theaterbilder dieser Epoche sehen wir Hjortsberg als Schewa. Die Bildunterschrift „ Att vare tacksam mot sin Välgerer kaller jach min poeng d ’ honneör. “ 72 ( „ Seine Wohltäter dankbar zu seyn, nenn ick mein poeng d ’ honneör. “ ) deutet klar auf den Gebrauch der jüdischen Sondersprache hin. Darüber hinaus zeigtdas Bild, dass der Schauspieler zusätzlich in nicht unbeträchtlichem Maße maskenbildnerische Akzente setzt. Die Nase wird mit Hilfe von Kitt vergrößert, ebenso werden die Wimpern durch Schminke hervorgehoben. 73 Der übliche Bart fehlt ebenso wenig wie der typisch jüdische, dreieckige Hut. Mit Blick auf Cumberlands Vorlage, die den 68 „ I titelrollen, juden Schewa, firade Lars Hjortsberg genom sin förträffliga uppfattning och återgifvande af denna egendomliga karaktär en af sina varaktigaste triumfer. “ (Personne II, S. 147 f) 69 Iffland erntet für seine Darstellung auch Kritik. Ihm wird vorgeworfen, dem Publikum eine „ Harlekinade in jüdischen Kleidern “ zu zeigen, weil er „ den Juden und seinen Diener gerade von dem allergemeinsten Schlage, vom Jargon der Sprache als auch der Kleidung “ dargestellt habe. (Goerden, Elmar: „ Der Andere. Fragmente einer Bühnengeschichte des Shylocks im deutschen und englischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts. “ In: Bayerdörfer, Hans-Peter [Hrsg.]: Theatralia Judaica. Emanzipation und Antisemitismus als Momente der Theatergeschichte. Von der Lessing-Zeit bis zur Shoa. Tübingen 1992, S. 129 - 163, hier: S. 136) 70 Juden, KTA pjäs: J.014 71 „ den speciella dialekten “ (Brunius 1963, S. 118) 72 Chiewitz, Elis: Svenska teater-galleriet. Stockholm 1826 73 Brunius 1963, S. 119 354 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Protagonisten ärmlich und in teils zerrissener Kleidung zeichnet, erscheint die bürgerliche Situierung des Bühnenkostüms umso auffälliger. In Gehrock, Weste und Stock erinnert nichts an die von Schewa selbst betonte Ärmlichkeit seiner äußeren Erscheinung. 74 Hjortsberg vermischt so tradierte mit neuen Bildern: Er trägt Bart und „ jüdelt “ , aber Kleidung und Frisur repräsentieren eine bürgerliche Figur. Natürlich handelt er mit Geld und an der Börse, aber er ist ein Wohltäter, der in die Gesellschaft hineinwirkt und dabei bereit ist, selbst auf einen luxuriösen Lebensstil zu verzichten. Diese ambivalenten Spannungsfelder, innerhalb derer sich Schewa bewegt, gewinnen an Tiefenschärfe, wenn man die übrigen jüdischen Figuren des Dramas - Rachel und Jabal 75 - mit in die Betrachtung einfließen lässt. Cumberland zeichnet eine „ jüdische Familie “ und die Bühne steht dem in nichts nach. Abb. 13: Lars Hjortsberg als Schewa in Richard Cumberlands Juden. 74 Verglichen mit der erhaltenen Kostümliste werden auf dem Bild gewisse Unstimmigkeiten sichtbar, die aber zum einen darin begründet liegen können, dass es Hjortsberg als großem Star des Theaters erlaubt ist, sein Kostüm selbst zusammenzustellen, dies wird in den Aufzeichnungen des Theaters sogar explizit erwähnt: „ Schewa, Lars Hjortsberg: kläder sig sjelf. “ (Kostymlistor med dekor-, attributoch personanteckningar, alfabetiskt ordnade på pjäs, KTA) / / „ Schewa, Lars Hjortsberg: kleidet sich selbst an. “ Zum anderen darf nicht vergessen werden, dass sich diese Partie fast 40 Jahre im Repertoire des Künstlers findet und daher gewisse Anpassungen und Veränderungen nicht ausbleiben. Letztlich zeichnet aber auch die Kostümliste des Königlichen Theaters einen gutbürgerlichen Charakter: „ Frack og Byxer af gråbrunt Kläde. En / . . . / Kattun Väst, en trekantig hatt, Strumpor och Skor. “ (Kostymlistor med dekor-, attributoch personanteckningar, alfabetiskt ordnade på pjäs, KTA) / / „ Frack und Hosen aus graubraunem Stoff. Eine / . . . / Kattun-Weste, ein dreieckiger Hut, Strümpfe und Schuhe. “ 75 Hier liegt zumindest die Vermutung nah, dass Cumberland mit dieser Personenkonstellation auf das Shakespeare ’ sche Vorbild anspielt. Auch in Der Kaufmann von Venedig steht Shylock nicht allein auf der Bühne, seine Tochter Jessica und vor allem der Diener Tubal ergänzen seine jüdische Familie. Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 355 8.2.4 We are family II - Schewa, Jabal, Rachel Die drei jüdischen Figuren bilden eine Hausgemeinschaft, die weit über das übliche Herr-Diener Verhältnis hinausgeht und als dramatische Familie verstanden werden kann: Jabal gibt nach außen den mürrischen Knecht, der den Wohltaten seines Herren unverständlich gegenüberstehend sich zeternd durch die Handlung schleicht. Ständig sucht er nach etwas Essbarem und knüpft sowohl in der sprachlichen Ausgestaltung als auch mit Blick auf seine Handlungsmotive an alte Stereotype der Judendarstellung an. Im Drama dient er teilweise als Kontrastfigur, die aber niemals ihren Herren heimlich verlassen, sondern trotz der Unzufriedenheit für dessen Sicherheit kämpfen würde. Auch Rachel, die Haushälterin, zeigt sich Schewa treu ergeben, rechtfertig immer wieder sein Handeln und lobt ihn ob seiner Großzügigkeit und Güte. Schewa, Jabal, Rachel - dieses dramatische Triptychon deckt erst in seiner Gänze die verschiedenen Facetten jüdischer Theaterbilder ab. Die Charaktere werden von Cumberland als fest miteinander verbunden gezeichnet und müssen daher gemeinsam wahrgenommen werden. Dies bietet zudem die Möglichkeit einer differenzierteren Lesart, die mit einer Engführung der Analyse auf den edlen Schewa nicht gegeben scheint. Gerade mit Blick auf die Aufführung in Stockholm erweist sich eine familiäre Verortung als hilfreich, tritt doch hier neben die dramatische eine performative Familie: Nicht nur zeigen sich die handelnden jüdischen Personen als eng miteinander verknüpft, auch die Schauspieler sind in ihrer gemeinsamen Arbeit dem Publikum vertraut, sie bilden einen wichtigen Teil des Ensembles und stehen häufig miteinander auf der Bühne: Hjortsberg, Louis Deland (Jabal) und Gabriel Schylander (Rachel) brillieren in unzähligen Stücken - vor allem in Komödien und Parodien - als kongeniale Partner. Diese performative Familie fungiert als Erfolgsrezept und lässt die Rezeption des jüdischen Haushaltes in Cumberlands Lustspiel nicht unberührt. 76 Zunächst rückt hinsichtlich der Besetzung der Haushälterin Rachel mit Gabriel Schylander die im vorherigen Kapitel bereits angesprochene Verkörperung in der Ästhetik der „ Rockrollen “ in den Fokus. 77 Dass 76 Deland und Schylander stehen in ihren Rollen nicht 40 Jahre auf der Bühne. Schylander stirbt 1811 und Deland verlässt einige Zeit später aufgrund einer sich abzeichnenden Demenz das Theater. Sie erweisen sich jedoch für die Etablierung des Rollenverständnisses ihrer Charaktere als wegweisend. Ihre Nachfolger dürften - entsprechend der damaligen Tradition - die Rollengestaltung so weit als möglich beibehalten haben. 77 Vgl. Kap. 7.5.4 356 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ gerade Schylander als Haushälterin besetzt wird, lässt sich damit erklären, dass er kurz zuvor einen seiner größten Triumphe in diesem Genre einfährt. In der Parodie Iphigenie den Andra eller De grekiska Historierna (Iphigenie die Zweite oder Die griechischen Geschichten) übernimmt er die Hauptrolle der schönen Iphigenie, singt die Heldin im Baß und rettet, getreu dem antiken Vorbild, seinen/ ihren Bruder Orest vor dem sicheren Tod. Dieser wird - natürlich! - von Hjortsberg gegeben. Das Stück orientiert sich an den Gluck ’ schen Opern, 78 die beide auf dem Spielplan des Königlichen Theaters stehen, und parodiert diese in Grund und Boden: Neben Schylander sind auch die übrigen Priesterinnen mit Männern besetzt, was dem komischen Effekt der Aufführung sicher nicht abträglich ist. Von den Zuschauern gefeiert, von der Kritik verrissen - „ die armseligste Form einer Farce “ 79 - hält sich Iphigenie den Andra bis 1833 auf dem Spielplan. 80 Das Stück reüssiert nicht zuletzt auch wegen des genialen Zusammenspiels zwischen Hjortsberg und Schylander. 81 Die Zuschauer lieben Hjortsbergs immer neue, groteske Abb. 14: Louis Deland als Jabal in Richard Cumberlands Juden. 78 Hierbei handelt es sich um die bekannten Werke Iphigenie en Aulide sowie Iphigenie en Tauride. 79 „ [D]et uslaste slag av alla farser. “ So abwertend äußert sich Malla Silfverstolpes Journal. (Nordensvan I, S. 88) 80 Nach Schylanders Tod 1811 wird die Titelrolle von Karl Friedrik Berg übernommen, der damit die Tradition der „ Rockrollen “ noch einige Jahrzehnte weiterführt. (Rosenberg, Tiina: „ Klädd i kön - kjolroller och byxroller. “ In: Hammergren, Lena et al. [Hrsg.]: Teater i Sverige. Hedemora 2004, S. 49 - 63, hier: S. 56) 81 Einen der Höhepunkte des Abends stellt die komische Kerkerszene dar, in der Orest (Hjortsberg) und Iphigenie (Schylander) den gemeinsamen Tod erwarten. Beide wollen sich für den jeweils anderen opfern und fallen einander in die Arme. Iphigenie beschwört Orest: „ Söta bror, vad du i mitt hjärta är kär, vad du i min själ tillbedes! “ / / „ Süßer Bruder, wie mein Herz Dich liebt, wie meine Seele Dich doch anbetet! “ Dieser nimmt die Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 357 Einfälle - so zündet er sich beispielsweise in einer Vorstellung zu Beginn während eines Gewitters seine Pfeife an einem Blitz an 82 - und liegen Schylanders „ zarter Priesterin “ zu Füßen. Beispielhaft lässt sich hier nachvollziehen, auf welche prägnante Weise sich das Paar Schylander - Hjortsberg in einen komischen Themenzyklus einschreibt. Auch die zweite jüdische Nebenfigur fungiert am Dramaten als Teil dieser Familie, was bereits im Text angelegt ist: In einer zentralen Szene im Haus des edlen Juden treffen wir auf den Diener Jabal (Abb. 14), der wieder einmal über Hunger und den Geiz seines Herrn klagt, worauf die Haushälterin Rachel ihn mit allerlei Ratschlägen und Weisheiten zu beruhigen sucht. Dass der recht korpulente Louis Deland den halb verhungerten Diener verkörpert, während die durchdringende Stimme der Haushälterin vom Publikum als Schylanders Bass vernommen wird, bereichert das Gespräch der beiden um eine zusätzlich groteske Note: 3die Scenen Shevas hus R ACHEL Jabal! Jabal! hvar är du? fort hit, Dagdrifvare. J ABAL kommer Hej! här är jag, Mutter Rachel. Ach, hvilken hungrig planet är jag född under, som blifvit dömd att vara den rika Judens fattiga Dräng. - Ingen ro när man sofver, ingen frid när man vakar. - Om ni visste hur gällt Er clarinettstämma klingar i detta tomma hus. R ACHEL Barn! Barn! Det duger inte att vara lat här i huset. J ABAL Vad vill ni att jag ska göra då? Sopa de nakna väggarna för att få frukost. En fattig Spindel får inte ihop en middag på dem en gång. R ACHEL Ingen fara. Jag går i god för att din mage redan är full som ett ägg - Din Filfras! / . . . / J ABAL Jag vill önska att jag i stället vore Stekvändare på den sämsta krog i England. / . . . / Jag fick då åtminstone äta fisk och kött med ögonen. - Men i det här stora tomma huset, får man lof att lefva stort också - det vill säga lefva af bara väder och vind. Nej, att vara / . . . / [Shevas] arfving, det kan få vara, men att vara hans Dräng det ger jag Fan. - Schwester in den Arm, wendet sich an das Publikum und klagt: „ Kan någon tavla ges mer skön och rörande? Ack, varför finns ej här en målare? “ / / „ Kann man sich ein schöneres oder rührenderes Bild vorstellen? Ach, warum findet sich hier kein Maler? “ (Nordensvan I, S. 85) 82 Nordensvan I, S. 88 358 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ R ACHEL Hvem vet hvad som kan hända? herrn har ingen enda slägting i hela vida verlden. J ABAL Det tror jag aldeles för han har svällt ihjäl dem alihopa. R ACHEL Fy skäm ut dig Baktalare. Tro mig! hans goda gärningar skola nog skina i sinom tid. J ABAL Jag ska inte stå dem i ljuset. De kunna till och med skina tvärt igenom mig; ty jag har på det närmaste blifvit transparent i hans tjenst. 83 Dritte Szene Schewas Haus R ACHEL Jabal! Jabal! Wo bist Du? Komm her, Du Faulenzer. J ABAL kommt herein Hallo! Hier bin ich, Mutter Rachel. Ach, unter welchem hungrigen Stern bin ich geboren, verdammt der arme Diener des reichen Juden zu sein. - Man hat keine Ruhe, wenn man schläft, keinen Frieden, wenn man wach ist. - Wenn Ihr nur wüsstet, wie schrill Eure Klarinettenstimme in diesem leeren Haus klingt. R ACHEL Kind! Kind! Es hilft nichts, in diesem Haus zu faulenzen. J ABAL Was wollt Ihr, dass ich tue? Die nackten Wände putzen, damit ich Frühstück kriege? Eine arme Spinne würde daran kein Mittagessen finden. R ACHEL Egal. Ich bin mir sicher, dass Dein Magen schon voll wie ein Ei ist - Du Vielfraß! J ABAL Ich wünschte, ich wäre Grillmeister in der schlechtesten Kneipe Englands. / . . . / Dort könnte ich Fisch und Fleisch wenigstens mit den Augen verspeisen. - In diesem großen, leeren Haus hingegen leben wir auf großem Fuß! Nämlich von Luft und Licht. [Shewas] Erbe zu sein / . . . / mag angehen, aber sein Knecht - hol mich der Teufel! R ACHEL Wer weiß, was noch passieren kann. Der Herr hat ja auf der ganzen weiten Welt keinen Erben. J ABAL Das glaub ich sofort, er hat sie alle verhungern lassen. R ACHEL Schäm Dich, Du Verleumder! Glaub mir, seine guten Taten werden zu gegebener Zeit noch erstrahlen. J ABAL Ich werde ihnen nicht im Licht stehen. Sie können sogar durch mich hindurch strahlen, denn in seinem Dienst bin ich fast transparent geworden. 83 Juden, KTA pjäs: J.014 Ein Welterfolg in Schweden - Richard Cumberlands Juden 359 Die Besetzung dieser Partie mit Louis Deland 84 stellt der komisch konnotierten dramatischen Familie eine weitere performative Entsprechung zur Seite. Deland gilt als einer der führenden Komiker, der - so beschreibt es ein Zeitgenosse - schon von Natur aus alle Voraussetzungen mitbringt, um das Publikum zu amüsieren. Sein Aussehen wird als „ fröhlich und jovial “ beschrieben und er reüssiert als Jabal, den er als „ Tölpel und einfältige Person “ anlegt. 85 Bekannt und beliebt ist er vor allem als kongenialer Bühnenpartner Hjortsbergs, mit dem er unzählige Male gemeinsam auf der Bühne steht und dabei stets um die Gunst des Publikums wetteifert. 86 Neben den textimmanent lustigen Momenten weist vor allem die Besetzung der drei jüdischen Charaktere mit den großen Komikern des Dramaten in eine Richtung, die für die Interpretation der Aufführung wegweisend ist. Anknüpfend an die Judendarstellungen der Gustavianischen Epoche verdichtet sich hier ein Bild des Bühnenjuden, das ob seiner Linearität überraschend anmuten mag, aus dem sich aber die Resonanz auf das Cumberland ’ sche Dramas erklären lässt. 84 Deland (1772 - 1823) stammt aus Luxemburg und erhält seine Ausbildung als Schauspieler in Paris. 1791 kommt er ans Königliche Theater in Stockholm und arbeitet dort als Sänger, Tänzer, Ballettmeister, Komponist und Schauspieler. Ähnlich wie Hjortsberg wird ihm eine als natürlich wahrgenommene Spielweise attestiert: „ Hans komik skildras som helt och hållet osökt, och han liksom Hjortsberg gjorde intryck av att icke spela en roll utan vara den person, han föreställde. “ (Nordensvan I, S. 140 f ) / / „ Seine Komik wird als ganz und gar natürlich beschrieben, und er vermittelte genau wie Hjortsberg den Eindruck, keine Rolle zu spielen sondern die Person zu sein, die er darstellte. “ Früh macht sich bei ihm eine Demenz bemerkbar und so tritt er bereits 40-jährig von der Bühne ab. 85 Dahlgren beschreibt ihn folgendermaßen: „ [E]n af de bästa komiska skådespelare svenska scenen egt. Naturen hade danat honom till komiker, och han behöfde härtill intet bemödande. Hans blotta utseende egde nånting gladt och jovialiskt, samt en viss barnslig treflighet, som aldrig öfvergaf honom / . . . / . Han lyckades förnämligast i att spela tölpar och enfaldiga personer, såsom Jabal i Juden. “ (Dahlgren, Fredrik August: Förteckning öfver svenska skådespel uppförda på Stockholms theatrar 1737 - 1863 och Kongl. theatrarnes personal 1773 - 1863 med flera anteckningar. Stockholm 1866, S. 448) / / „ [E]iner der besten Komiker, die das schwedische Theater besessen hat. Die Natur hatte ihn als Komiker erschaffen, und er musste sich keine Mühe machen. Sein bloßes Aussehen besaß etwas Frohes und Joviales sowie eine gewisse kindliche Freundlichkeit, die ihn nie verließ / . . . / . Er reüssierte vor allem als Töpel oder in einfältigen Rollen, wie Jabal in Juden. “ 86 Nordensvan I, S. 140 f 360 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ 8.3 Komik als Ermächtigungsstrategie Zunächst liegt es nahe, die komische Darstellung der Juden auf der königlichen Bühne als Lächerlichmachung zu lesen, die damit die Intention des Dramas untergräbt oder zumindest verschiebt. Der Erfolg des Stückes muss darunter keineswegs gelitten haben, vielleicht goutieren die Zuschauer diese spezifische Konnotation der Figuren sogar. Darauf zielt beispielsweise Kerstin Derkerts Analyse, die dem Publikum überwiegend judenfeindliche Tendenzen bescheinigt, 87 und auch der Text selbst spiegelt dies wider: Gleich im ersten Akt thematisiert Schewa in einem Gespräch mit dem ihn ungerecht behandelnden Fredric, dass die Dichter sich jüdischer Figuren vorwiegend dazu bedienten, die Zuschauer zu amüsieren. Ach! Vi arma Judar! Vi äga ingen egen plats på jorden - intet färdernesland - intet herre. Mahomedaner, hedningar, och Christna göra narr af oss, alla bespotta oss, alla nyttja oss till mål för sitt hat och föragt! Om en Comedieskrifvare behöfver en Narr eller Skurk att drifva sitt spel med inför publicum, straxt skjusas en stackars Jude fram på Scenen som till alla goda Christnas hjertliga och stora förnöjelse får käppslängar och örfilar hela fem långa acter igenom. - Ett grymt nöje! ett obarmhertigt Spektakel! sannerligen ett tungt öde för oss arma vilsefarande får. 88 Ach, wir armen Juden! Wir haben keinen eigenen Platz auf der Welt - kein Vaterland - kein Reich. Mohammedaner, Heiden und Christen halten uns zum Narren, sie bespucken uns, wir dienen als Zielscheibe für ihren Hass und ihre Verachtung. Wenn ein Komödienschreiber einen Narren oder Schurken braucht, um vor dem Publikum sein Spiel mit ihnen zu treiben, wird sofort ein armer Jude auf die Bühne gebracht, der zur großen Herzensfreude aller guten Christen fünf Akte lang Prügel bezieht und Ohrfeigen einstecken muss. - Ein grausames Vergnügen! Ein unbarmherziges Spektakel! Und vor allem ein schweres Schicksal für uns verlorene Schafe. Der schwedischen Aufführung scheint es zu gelingen, sich aus diesem Narrativ herauszuspielen, denn auch das jüdische Publikum besucht die Aufführung mit großem Interesse und folgt hingerissen Hjortsbergs 87 Derkert 1988, S. 55 88 Juden, KTA pjäs: J.014 Komik als Ermächtigungsstrategie 361 Darstellung: „ Wohin man auch blickte, sah man lange, freudestrahlende Nasen, bisweilen feucht von den Tränen, die in den sowohl gerührten als auch geröteten Augen ihre lange Wallfahrt begonnen hatten. “ 89 Die Anspielung auf die Nasen muss nicht zwangsläufig auf ein jüdisches Publikum zielen, legt dies jedoch nahe. Unmissverständlicher drückt sich Nils Personne aus, der beschreibt, welch große Anerkennung Hjortsbergs Verkörperung auch unter den Mitgliedern der jüdischen Minderheit findet. Då man besinnar, att pjäsen gick öfver hundra gånger, att publiken grät af rörelse, och att judarna i Stockholm, hänförda af Hjortsbergs mästerliga spel, skänkte honom en gulddosa fylld med dukater, kan man förstå, hur hans konstnärsskap under årens lopp mer och mer utvecklat sig. 90 Wenn man sich erinnert, dass das Stück über hundert Mal aufgeführt wurde, das Publikum vor Rührung weinte und die Juden in Stockholm, hingerissen von Hjortsbergs meisterlichem Spiel, ihm eine Golddose gefüllt mit Dukaten schenkten, kann man verstehen, auf welche Weise sich seine Kunstfertigkeit im Laufe der Jahre mehr und mehr entwickelte. Hugo Valentin bestätigt dies und führt die „ Dankbarkeit “ über Hjortsbergs Schewa-Darstellung als Grund für das wertvolle Geschenk der jüdischen Gemeinde an. 91 Dies untermauert, dass Hjortsbergs Spielweise den Erwartungen an eine Komödie zwar gerecht wird, dabei aber keineswegs ins Despektierliche oder Absurde zielt - ganz im Gegenteil liegt in der 89 „ Hvart man vände sig, såg man långa glädjestrålande näsor, stundom fuktade af de tårar, som från de på en gång rörda och röda ögonen började sin långa vallfart. “ (Freja, 4. Dezember 1838) 90 Personne II, S. 148. 91 „ Pjäsen gjorde alltifrån sin premiär på svensk scen en väldig succès, främst tack vare Hjortsbergs utomordentliga framställning av Schevas roll, en av denne store skådespelares bästa prestationer. Det på en gång naiva och rörande hos den gamle juden tolkades här med ett sådant mästarskap, att publiken både skrattade och grät - den åtrådde ej minst det sistnämnda - och de tacksamma Stockholmsjudarna till rollens framställare överräckte en gulddosa, fylld med dukater. “ (Valentin 1924, S. 318) / / „ Das Stück war seit der Premiere in Schweden ein Erfolg, vor allem dank Hjortsbergs außerordentlicher Darstellung Schewas, eine der besten Leistungen dieses großen Schauspielers. Das sowohl Naive als auch Rührende an dem alten Juden wurde hier mit einer Meisterschaft gedeutet, dass das Publikum sowohl lachte als auch weinte - letzteres begehrte es förmlich - und die dankbaren Stockholmer Juden dem Darsteller eine mit Dukaten gefüllte Golddose überreichten. “ 362 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ spezifischen Ausformung der Grund für die Wertschätzung. Um dies zu verdeutlichen, schlage ich ein Interpretationsmodell vor, das sich auf die Komödientheorien von Joachim Ritter und Rainer Warning stützt und von der Prämisse ausgeht, dass komische Aspekte nicht zwangsläufig als Lächerlichmachung verstanden werden müssen. 92 Joachim Ritter betont in seiner Abhandlung zum Lachen, dass gerade in der Komödie keineswegs nur eine durch Lachen bestrafte Normverletzung zum Ausdruck gebracht werde, sondern im Lachen die Norm immer mitbetroffen sei. Indem sie das Nichtkonforme ausgrenze, so Ritter, mache sie dieses nicht zwingend als Negatives kenntlich, sondern vielmehr als etwas, mit dem die Norm, beziehungsweise der „ normative Ernst “ nicht fertig werde, das aber zum „ Lebensganzen genauso dazugehöre, wie das als positiv und wesentlich geltende. “ 93 Im Lachen - verstanden als Ausdrucksmittel „ der Freude, der Lust, des Vergnügens, der Heiterkeit und Laune “ 94 - wird das Ausgegrenzte in eine eigene Positivität überführt und macht auf diese Weise die Norm in ihren Beschränkungen als ausgrenzendes Prinzip sichtbar. Warning schließt daran an, wenn er in der Interaktion von „ komischer Bühne und lachend antwortendem Publikum “ 95 die Möglichkeit sieht, normative Vorstellungen von Andersartigkeit zu hinterfragen. Appliziert auf die Aufführung von Juden erscheint die Lesart naheliegend, gerade in dieser Ausgestaltung der jüdischen Figuren den Erfolg des Stückes zu suchen: Schewa, Jabal und Rachel, wie unterhaltsam auch immer angelegt, werden auf der Bühne nicht verlacht, vielmehr ermöglicht ihre Darstellung am Dramaten eine positive Umformung der als Außenseiter gezeichneten Figuren. Die komische Überwölbung der jüdischen Charaktere kann dazu dienen, die Mechanismen sichtbar zu machen, mit deren Hilfe diese - wie von Schewa selbst angesprochen - als „ Narren oder Schurken “ erzählt werden. So fungiert das Theater als Anwalt derer, die sonst durch die „ Welt des Ernstes “ 96 verdrängt werden. Dies ermöglicht, dass die jüdischen Figuren - allen voran Schewa - menschlich erfahrbar werden und auf diese Art das Publikum erreichen. 92 Ritter, Joachim: „ Über das Lachen (1940). “ In: Ritter, Joachim: Subjektivität. Sechs Aufsätze. Frankfurt am Main 1974, S. 62 - 92 93 Warning, Rainer: „ Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie. “ In: Preisendanz, Wolfgang; Warning, Rainer [Hrsg.]: Das Komische. München 1976, S. 279 - 334, hier: S. 325 94 Ritter 1974, S. 64 95 Warning 1976, S. 326 96 Warning 1976, S. 326 Komik als Ermächtigungsstrategie 363 Dies erweist sich gerade mit Blick auf die dramaturgischen Schwächen, die den edlen Judenfiguren häufig attestiert werden, von großer Bedeutung. Beispielhaft zeigt Rosenberg in seiner Analyse, dass Schewa bei Cumberland vor allem als Sprachrohr der (richtigen) Prinzipien des Autors fungiert; die „ dramatische Insuffizienz “ 97 des Protagonisten lässt diesen mehr als Abstraktion und weniger als Teil des „ Lebensganzen “ erscheinen. Cumberlands Jude ist ein wenig zu gut und zu edel, er macht seine Sache ein wenig zu richtig und zu selbstlos, die Welt behandelt ihn ein wenig zu ungerecht und zu undankbar, als dass er dem wirklichen Leben entlehnt sein könnte. In der Konsequenz bleibt Schewa häufig mehr Formel als Charakter, er erscheint kaum als eine Figur aus Fleisch und Blut: „ [H]e and his type will not bleed if you prick them. “ 98 Aus dieser Figurenzeichnung ergeben sich, wie Neubauer treffend formuliert, kaum Reibungs- oder Identifikationsflächen für die Zuschauer, die den emotionslosen und glatten edlen Juden eher gelangweilt folgen. 99 Die Stärke der Stockholmer Aufführung liegt darin, dass sie diesen dramaturgischen Schwächen mit Komik begegnet. Komik kann, wie Ritter bemerkt, einen „ Lebensbereich da und dort aufstehen [lassen], wo er ernsthafter- und anständigerweise nicht hingehört, und zwar so, dass sie ihn nicht unmittelbar (was witzlos wäre), sondern in der Weise des Anständigen und Zulässigen selbst auftreten lässt. “ 100 Auf diese Weise gelingt Hjortsberg und Co, was der literarischen Vorlage, aber auch anderen Aufführungen versagt bleibt: Schewa erfährt in Stockholm eine Vermenschlichung, die den Protagonisten näher an die Zuschauer rückt, indem sie Reibungssowie Berührungspunkte bietet und die von Hans Mayer herausgearbeitete existenzielle Außenseiterposition des edlen Protagonisten 101 durchlässiger macht. Anders formuliert: Hjortsbergs Jude würde bluten, wenn man ihn ritzte. Folgt man dieser an Ritter und Warnings Theorien angelehnten Interpretation und liest die Komödie als „ Modell komischer Positivierung von Negativität “ , 102 eröffnen sich neue Blickwinkel auf die schwedischen 97 Rosenberg 1960, S. 49 98 Rosenberg 1960, S. 69 99 Neubauer, Hans-Joachim: Judenfiguren. Drama und Theater im frühen 19. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1994, S. 83. Dies gilt für Lessings Nathan sicher in noch größerem Maße als für Schewa und erklärt einleuchtend dessen Bühnenabstinenz in den skandinavischen Ländern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In Schweden findet die Premiere von Nathan der Weise 1863 statt. 100 Ritter 1974, S. 74 101 Mayer, Hans: Außenseiter. Frankfurt am Main 1975, S. 13 ff (Vgl. Kap. 3.4.4) 102 Warning 1976, S. 325 364 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Bühnenjuden, die bisher so nicht wahrgenommen wurden. Dabei zeichnet sich eine erstaunliche Kontinuität der Darstellung jüdischer Figuren ab, in der komische und groteske Elemente als roter Faden erkennbar Gewicht besitzen. Wie ich gezeigt habe, muss dies keinesfalls bedeuten, dass dadurch einseitig karikierende Bilder der Juden deren Wahrnehmung negativ beeinflussen. Vielmehr lässt sich diese Wertung sogar umdrehen. Die Leichtigkeit mit der Schewa, Jabal und Rachel die Bühne für sich einnehmen, die komischen Konnotationen lassen sich auch als befreiendes und belebendes Element verstehen. Die Aufführung von Juden als Komödie setzt auf diese Weise spielerisch-heiter die Rechte der Außenseiter in den Mittelpunkt, indem sie das Lächerliche als Lächerlich-Gemachtes erklärt und deutet. Auf diese Weise spielt sich diese spezielle jüdische Familie in die Herzen der Zuschauer und bleibt über 40 Jahre ein lebendiger Teil des Repertoires sowie eine bestaunenswerte Aufführung. Vor allem Hjortsberg gelingt es in diesem langen Zeitraum, aufgrund der komischen Konnotationen und trotz seines in den späteren Jahren zunehmend als antiquiert empfunden Spielstils, 103 ein positives und teils gar identifikationsstiftendes Bild zu zeichnen. Diese Lesart kann die bisherigen Forschungsergebnisse, die vor allem auf die tagespolitische und pädagogische Dimension der Aufführung zielen, ergänzen. Die wichtigen Ansätze von Derkert, Sauter sowie Nordin Hennel und Lagerroth lesen die Aufführung von Juden nämlich vor allem von ihrem Ende her und beleuchten mit Blick auf die Wiederaufnahme des Dramas 1838 auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Abschaffung des judereglements die politischen Möglichkeiten des Theaters. Meine Analyse legt nahe, dass die Fragen nach der Bedeutung beziehungsweise Verortung des Dramas vielschichtigere Interpretationsmodelle verlangen und ergänzt die bisherigen Forschungsergebnisse um wichtige Aspekte: Zum einen wird deutlich, auf welche Weise sich die Aufführung über einen so langen Zeitraum auf dem Spielplan hält und wie die spezifische Ausformung am Dramaten erst die Voraussetzungen schafft, damit Hjortsbergs Schewa 1838 in gesellschaftspolitischen Debatten Wirkung erzielt. Zum anderen zeigt sich, dass der edle Jude nicht losgelöst von den Traditionen der Bühne funktioniert, sondern diese ganz bewusst aufnimmt und so die Gustavianische Verortung der jüdischen Figuren ins 19. Jahrhundert transportiert. Daher interpretiere ich die Ansetzung des Dramas 1800 weniger als politische Stellungnahme, sondern vielmehr als eine der 103 Brunius 1963, S. 112 Komik als Ermächtigungsstrategie 365 ästhetischen Ausrichtung des Theaters geschuldete Entscheidung, die wichtige Einnahmen verspricht. Gerade in der Mischung aus komischen Elementen und dem Herzschmerz der romantischen Lustspieltradition liegt der Mehrwert des Abends. In dieser Ausformung des Dramas liegt das konstant starke Zuschauerinteresse begründet, erscheint es doch wenig glaubhaft, dass das vermeintlich judenfeindliche Publikum das Theater über 100 Mal mit der Absicht besucht, sich von den eigenen Vorurteilen „ bekehren “ zu lassen. Aber auch, wenn die Ansetzung des Dramas 1800 nicht als Engagement der Bühne in der „ Judenfrage “ intendiert ist, entwickelt sich die Aufführung als Stellungnahme in den Streitigkeiten über die Abschaffung des judereglements 1838, was auf beeindruckende Weise einmal mehr die Austauschbeziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen zwischen dem Theater und der außertheatralischen „ Wirklichkeit “ kenntlich macht und zugleich die Augen dafür öffnet, die performativen Künste in ihren Mehrdeutigkeiten und Möglichkeiten zu einem Sowohl-als-auch wahrzunehmen. So ist Schewa kein „ Heiliger “ , sondern fungiert als einer der zahlreichen ambivalenten Bühnencharaktere, als „ glorreicher Halunke “ des schwedischen Theaters. Dass dabei verschiedene Interpretationsansätze und Lesarten nebeneinander (be-)stehen und einander bereichern können, lädt zudem dazu ein, weiterhin die Auseinandersetzung mit den jüdischen Bühnenfiguren zu suchen. Mit einem Blick auf die Anfänge des Theaters und die Schewa-Darstellung durch Hjortsberg lässt sich konstatieren, dass das Dramaten hier einen ganz eigenen Weg einschlägt, der 1838 noch längst nicht zu Ende ist. Das Gewicht des Theaters in gesellschaftlichen Diskursen nimmt merkbar zu, was vor allem die Reaktionen auf die Präsenz der berühmten Bühnenjuden Shylock und Nathan ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erkennen lassen. Dabei interagieren diese Charaktere mit den Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen der jüdischen Bevölkerung: 1854 fallen die Restriktionen hinsichtlich der Wahl des Wohnortes, zeitgleich findet Shylock den Weg nach Stockholm, 1857 folgt ein Gastspiel des internationalen Bühnenstars Ira Aldridge 104 in derselben Rolle am 104 Aldridge ist einer der ersten internationalen Bühnenstars des 19. Jahrhunderts. Er tritt in ganz Europa auf und wird vor allem für seine Shakespeare-Rollen Macbeth, Lear, Othello und Shylock gefeiert, wobei seine Interpretation des Juden nicht unumstritten ist: Häufig verändert er die Vorlage und streicht den letzten Akt, so dass in seiner Rollengestaltung Shylock als gebrochener Mann den Schlusspunkt des Dramas bildet und nicht die glücklichen Liebenden in Belmont. Ausführlicher mit dem bewegten 366 „ Von mir wisst ihr wenig oder nichts. “ Dramaten. 105 Lessings Nathan betritt die Bühne, als 1863 das Verbot von Ehen zwischen Juden und Christen aufgehoben wird. 106 Die Erweiterung des Personenapparates bringt zudem ästhetische Modifikationen mit sich: die jüdischen Theaterbärte verlieren einen Teil ihrer Länge, mit Ira Aldrigdes Shylock-Verkörperung dessen Haut das Weiß und schließlich auch die berühmten Perücken nach und nach ihr Rot. 107 Seit den 1860er Jahren wird der jüdische Regisseur Ludvig Josephson eine der prägenden Theatergestalten sowohl in Norwegen als vor allem auch in Schweden, 108 seine Inszenierung der Halévy-Oper Judinnan (La Juive) 1866 erfährt große Anteilnahme und setzt erstmals eine jüdische Protagonistin in den Fokus des (schwedischen) Zuschauerinteresses. Weitere Beispiele lassen sich finden, die von der besonderen Bedeutung jüdischer Figuren auf der Bühne des 19. Jahrhunderts zeugen, Aufführungen, die vor dem Hintergrund der gewonnen Erkenntnisse über Schewa, seine Vorgänger und Mitstreiter (weitere) erhellende Analysen verlangen. Leben Aldridges beschäftigt sich ein von Bernth Lindfors herausgegebener Sammelband. (Lindfors, Bernth [Hrsg.]: Ira Aldridge. The African Roscius. Rochester 2007) 105 Ausführlicher zu Aldridges Gastspiel in Schweden hat Ann Fridén gearbeitet. (Fridén, Ann: „ Att vara eller inte vara. Shakespeare på kunglig scen i 1800-talets Stockholm. “ In: Rosenqvist, Claes [Hrsg.]: Den svenska nationalscenen. Traditioner och reformer på Dramaten under 200 år. Höganäs 1988, S. 102 - 123, hier: S. 105 f) 106 Sauter 1993, S. 210 107 Sauter, Willmar: „ Shylock i Sverige. “ In: Teatervetenskap Nr. 20, 1979 108 Rosenberg, Tiina: En regissörs estetik. Ludvig Josephson och den tidiga teaterregin. Stockholm 1993 Komik als Ermächtigungsstrategie 367 9. Schlussbemerkungen G anz am Ende komme ich noch einmal auf die Anfänge zurück: Auf das erste landessprachliche Theater Skandinaviens in der Kopenhagener Lille Grønnegade. Kurz bevor das Haus am 25. Februar 1727 endgültig schließen muss, finden sich abermals die beliebten und prominenten Charaktere der Holberg ’ schen Familie auf der Bühne ein. In der letzten Aufführung - Holbergs kleiner Episode Den danske Com œ dies Liigbegiængelse (Die Beerdigung der dänischen Komödie) - steht wenig überraschend zunächst der populäre und gewitzte Diener Henrich im Mittelpunkt. Zahlungsunfähig, genau wie „ sein “ Theater, verliest er öffentlich die Schulden, welche er beim Wirt des Theaters in den letzten Wochen angesammelt hat: Viel gegessen hat er nicht, wenig nur getrunken, aber die Rechnung kann er dennoch nicht begleichen. Einzig den Tabak braucht er nicht zu bezahlen - man verbucht ihm auf der Habenseite, dass er die Frau des Wirtes ohne Eintrittskarte in eine Loge des Theater geschmuggelt hat, als Jeppe paa Bjerget (Jeppe vom Berg) auf dem Spielplan steht. Wütend beschimpft der Diener daraufhin den Wirt, es bricht förmlich aus ihm heraus: „ Dir soll ein Unglück geschehen, Du Jude! Setze ich Deine Frau auf die Galerie für eine Pfeife? Das ist klar: diese Pfeife ist zehnfach bezahlt. “ 1 Natürlich ist der Wirt kein Jude, und auch der Souffleur des Theaters, der kurz danach auftritt, verkleidet sich nur als solcher - schließlich will auch er offene Rechnungen eintreiben. So bleiben die Juden, oder solche, die es sein sollen oder wollen, bis zum Schluss der Grønnegade-Bühne „ treu “ . Diese kleine dramatische Begebenheit deutet die Ambivalenzen und Widersprüche der jüdischen Figuren der folgenden gut hundert Jahre bereits an, sie macht deutlich, wie unzuverlässig Markierungen sowie Narrative auftreten und wie sich gleichzeitig immer auch stereotype Darstellungen verfestigen. Henrichs Fluchen über den unverschämt dreisten Gläubiger bleibt so nicht der letzte Lacher über die Juden, er verdeutlicht aber eine Stoßrichtung des Figurenverständnisses, zu dem sich - mehr oder weniger deutlich - die jüdischen Charaktere weit über die Mitte 1 „ Gid du faae en U-lykke din Jøde! at sette din Kone paa Galleriet mod en Pibe! det bekiender jeg, den Pibe er 10 dobbelt betalt. “ (Holberg 6: Den danske Com œ diens Liigbegiængelse, 1. Szene, S. 456) des 19. Jahrhunderts hinaus verhalten (müssen). Im Zuge dessen erweitern sich ihre Spielräume, sie lachen, singen und tanzen mit, hin und wieder werden sie verprügelt, zeitweilig sind sie Freunde, die helfen, den Schurken das Handwerk zu legen. So stehen sie mal auf der falschen, mal auf der richtigen, mal auf gar keiner Seite. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Figuren weiter, auch über den Untersuchungszeitraum dieser Arbeit hinaus. Sie bleiben nicht nur spielplanbestimmend, sondern prägen Normen und Wertvorstellungen aktiv mit und verankern das Theater als einen wichtigen gesellschaftlichen Akteur. Am Knotenpunkt zwischen Rollenfachtheater und einer stärker vom Regisseur geprägten Bühne zur Mitte des 19. Jahrhundert setze ich den Schlusspunkt. Die ästhetischen Parameter beginnen sich nachhaltig zu verschieben, der Regisseur tritt ins Rampenlicht und wird eine der bestimmenden Größen des Spielbetriebs. Natürlich erfindet er das Theater nicht neu, der „ Bruch “ vollzieht sich langsam. Das Theater wird dadurch nicht besser oder schlechter, es entwickelt sich (was es immer getan hat) und stellt dem Schauspieler nun einen Partner - manche würden sagen: Herrscher - zur Seite. Wie bereits angedeutet, prägt Ludvig Josephson als „ Pionier “ auf diesem Gebiet die Bühnen in Norwegen und Schweden, seine Inszenierungen erweitern die Möglichkeiten der Bühnen und wirken bis ins 20. Jahrhundert nach, aber auch Henrik Ibsen ist nicht nur Dramatiker, sondern zunächst Theaterleiter und Regisseur, die berühmte Frau Heiberg folgt ihrem Mann als Matriarchin am Kongens Nytorv und prägt dort das Bühnengeschehen für viele Jahre. Und das ist erst der Anfang. Dabei ersetzt der Regisseur den Schauspieler, dessen Anziehungs- und Wirkungskraft nicht, die großen Darsteller bleiben als feste Größe in ihren Rollenfächern verhaftet. Die Spannungsfelder zwischen dem Streben nach dem postulierten „ Gesamtkunstwerk “ und der weiter virulenten Rollenfachästhetik, zwischen Regisseur, Schauspieler und der sich ändernden Position der Dramatiker versprechen spannende und herausfordernde Untersuchungen. Daher drängt die Frage Wie viel Bart darf sein? nach weiteren Antworten, nach neuen Perspektiven und zusätzlichen Spielfeldern. Diese Schlussbemerkungen lassen sich so auch als eine Art Wunschzettel lesen, als ein Frei- und Ideenraum, der neugierig anmaßend seine Fühler in die Zukunft streckt und fragt: Wie geht es weiter mit den Bühnenjuden, wie begegnen uns die bekannten Gesichter im 20. Jahrhundert, welche neuen Figuren betreten die Bretter, die die Welt bedeuten? Wie wird Holberg im 20. und 21. Jahrhundert gespielt? Auf welche Weise avancieren „ die Juden “ in Henri Nathansens 370 Schlussbemerkungen Dramas Indenfor murene (Hinter Mauern) hoch offiziell zum Teil des dänischen Kulturkanons? Wie positionieren sich jüdische Theaterschaffende in den bekannten Darstellungstraditionen, wie erweitern und/ oder erlösen sie das Rollenfach? Welche Auswirkungen haben Weltkrieg und Holocaust auf das Bühnengeschehen? Was geschieht mit dem norwegischjüdischen Geheimnis nach der Abschaffung des „ Judenparagraphen “ ? Und welche Figurationen etablieren sich abseits der königlichen Bühnen in den sich auffächernden Theaterlandschaften? Auch wenn mein Wunschzettel abgearbeitet würde, wäre die Frage Wie viel Bart darf sein? wohl kaum abschließend beantwortet. Immer wieder stellt sie sich anders, lässt verschiedene Blickwinkel und Lesarten zu, immer wieder werden Zuschauende, Spielende und Forschende mit ihr ringen, nach Nuancen suchen und Schewa, Ephraim, vielleicht auch wieder einmal Goldkalb nach ihren Bärten befragen. Immer neu gilt die Aufforderung, weiter zu denken, zu schauen, zu graben - und am Ende steht wohl mit wunderbarer Regelmäßigkeit der Wunsch, noch mehr Seiten (be-)schreiben zu können, um offenen Fragen Herr zu werden. In diesem stets Unfertigen begegnen sich Theater und Wissenschaft vielleicht am innigsten. Glauben wir dem großen jüdischen Regisseur Peter Zadek - und warum sollten wir das nicht tun - sind die Herausforderungen der Bühne und der Proben nämlich ganz ähnlich: „ Das ist ja eigentlich der Witz, man arbeitet und arbeitet, und es wird immer chaotischer. Wenn es nicht fertig wird, ist es eben unfertig. “ 2 Und vielleicht liegt genau in diesem Unvollendeten der große Gewinn, vielleicht macht das Arbeiten am und über das Theater deshalb solch eine Freude. Vorhang auf! 2 Völker, Klaus: Peter Zadek. Mit dem „ Fertigen “ gab er sich nicht zufrieden. Berlin 2011, S. 67 Schlussbemerkungen 371 Literaturverzeichnis Nicht veröffentlichte Quellen - Archive Det Kongelige Teaters Arkiv og Bibliotek, Kopenhagen (KTB) Chinafarerne; Indtoget (P. A. Heiberg) Maskinmesterplan Maskinmesterprotokol Regiprotokol 1784 Kong Salomon og Jørgen Hattemager (J. L. Heiberg) Maskinmesterprotokol Regiprotokol 1816 Østergade og Vestergade (Th. Overskou) Brief von J. C. Ryge an die Theaterleitung, 22. Dezember 1828 Kostümliste J. C. Ryge, 26. Dezember 1828 (Ryge) Regiprotokol 1816 Kjøbmanden af Venedig (W. Shakespeare) Brief von J. C. Ryge, 5. Januar 1828 Brief von J. C. Ryge, 8. Januar 1828 Maskinmesterprotokol Skuespillet (Komedier) 1824/ 25 Regiprotokol, 1816 Hansen, P. Emanuel: Dramaturgiske Optegnelser. (Handschrift 1863) Det kongelige Bibliotek, Kopenhagen (KB) Schall, Claus: Chinafarerne (Repetiteur Parti). 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Stockholm 1991, S. 281 - 292 388 Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Christiansen, Rasmus: I Grønnegadeteatret under Opførelsen af „ Jeppe paa Bjerget “ (Den Danske Skueplads. Billeder fortæller Teatrets Historie fra 1772 til i Dag. København 1943, S. 5) Abb. 2: Unbekannter Maler: Eigtveds Hus. (Langberg, Harald: Kongens Teater. Komediehuset på Kongens Nytorv 1748 - 1774. København 1974, S. 37) Abb. 3: Bruun, Thomas: Dekorationsudkast till P. A. Heibergs „ Chinafarerne “ 1792. (Det kongelige Teaters Arkiv og Bibliotek, KTB) Abb. 4: Juel, Jens: Scenebillede fra II. akts 8. Scene i „ Chinafererne “ . Den kongelige Kobberstiksammling, Statens Museum for Konst. (Neiiendam, Klaus: „ Drømmen om Cathay. Kina som inspiration for europæisk teater og særlig dansk teater i 1700og 1800-tallet. “ In: Neiiendam, Klaus [Hrsg.]: Danske teaterhistoriske Studier. Selskabet for Dansk Teaterhistorie 2000 (a), S. 143 - 193, S. 178) Abb. 5: Bruun, C.: Winslöw jun. Som Ioseph Golz. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 310) Abb. 6: Unbekannter Maler: Hans Christian Knudsen. (Den Danske Skueplads. Billeder fortæller Teatrets Historie fra 1772 til i Dag. København 1943, S. 20) Abb. 7: Lübbers, Th. C.: Johan Christian Ryge. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 122) Abb. 8: Unbekannter Maler: Dr. J. C. Ryge. (Den Danske Skueplads. Billeder fortæller Teatrets Historie fra 1772 til i Dag. København 1943, S. 27) Abb. 9: Balsgaard, C.: Phister. (Hansen, Peter: Den danske Skueplads. Illustreret Theaterhistorie. 2den del. Kjøbenhavn 1892, S. 326) Abb. 10: Paetz, Harald: Ludvig Phister, Photographie. (Det kongelige Teaters Arkiv og Bibliotek, KTB) Abb. 11: Sandberg, J. C.: Lars Hjortsberg 1823. (Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917, S. 225) Abb. 12: Cardon, O.: Lars Hjortsberg. (Personne, Nils: Svenska teatern IV. Under Karl Johanstiden. 1818 - 1827. Stockholm 1916, S. 153) Abb. 13: Chiewitz, E: Lars Hjortsberg. Scheva i „ Juden “ . (Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917, S. 89) Abb. 14: Litographie nach einer Zeichnung von L. H. Roos: Louis Deland. Jabal i „ Juden “ . (Nordensvan, Georg: Svensk teater och svenska skådespelare från Gustav III till våra dagar. Förra delen 1772 - 1842. Stockholm 1917, S. 141) ISBN 978-3-7720-8579-6 Die Darstellung von Juden auf der Bühne ist so alt wie das europäische eater selbst. Zumeist tre en dabei negativ gezeichnete Figuren auf ihre in au lärerischer Absicht erscha enen edlen Glaubensgenossen. Die Auseinandersetzungen, die um diese Darstellungen geführt werden, spiegeln dabei häu g gesellscha lich virulente Diskurse über das Verhältnis der nicht-jüdischen Mehrheit zur jüdischen Minderheit: Wie (un-)sichtbar soll der Andere au reten, welche Bedingungen werden an gesellscha liche Teilhabe geknüp - oder anders gefragt: Wie viel Bart darf sein? Dieser Band untersucht die bisher außer Acht gelassenen jüdischen Bühnen- guren in den skandinavischen Nationaltheatern im 18. und 19. Jahrhundert. In der Begegnung zwischen Au ührungspraxis, gesellscha spolitischen Prozessen und dramatischen Texten entsteht ein lebendiges Bild, das mehrdimensional die Sonderstellung dieser Länder beleuchtet. Zugleich hinterfragt das Buch die Annahme von vermeintlich homogenen nordeuropäischen Gesellscha en und bereichert aktuelle Integrationsdebatten um eine historisch-ästhetische Dimension. www.francke.de Clemens Räthel Wie viel Bart darf sein? Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater Clemens Räthel