ISBN:
3492040691
Language:
German
Pages:
335 Seiten
Year of publication:
2001
Keywords:
Frankl, Viktor E.
Abstract:
Unter den Wegbereitern der modernen Psychologie finden wir überdurchschnittlich viele Juden. Das gilt nicht nur für die Psychoanalyse, unter deren Gründervätern Sigmund Freud und Alfred Adler nur die bekanntesten Namen sind, und die deshalb manchmal als eine "jüdische Wissenschaft" diffamiert wurde, sondern auch für andere Richtungen. Zu dieser Gruppe der hervorragenden Pioniere muß man auch den Wiener Psychotherapeuten Viktor Emil Frankl (1905-1997) zählen, der als Begründer der Logotherapie berühmt geworden ist. Frankls Bücher erreichten Millionenauflagen; seine Arbeiten wurden oft übersetzt, insgesamt in vierundzwanzig Sprachen. Er hat an mehr als zweihundert Universitäten in der ganzen Welt Vorträge gehalten und achtundzwanzig Ehrendoktorate erhalten. Diese beeindruckenden Zahlen stehen in einem lesenswerten Buch über das Leben und das Werk von Frankl, das sein Schüler Alfried Längle (Jahrgang 1951) schon ein Jahr nach dem Tod des Meisters publiziert hat. Der Autor war in den achtziger Jahren einer der engsten Mitarbeiter von Frankl, und er kann sich auf viele Gespräche im Arbeitszimmer und am Familientisch stützen. Warum es später zu einem Bruch zwischen Frankl und Längle kam, wird zwar an mehreren Stellen erklärt, bleibt aber letztlich doch etwas rätselhaft. Längle ist heute Vorsitzender der Internationalen Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse mit Sitz in Wien, er dürfte einer der besten Kenner des Werkes von Frankl sein; seine Darstellung der Entwicklung des Konzepts ist ausgezeichnet. Was ist Logotherapie? Sie ist eine psychotherapeutische Behandlungsmethode, die mittels Sinnfindung und durch Bearbeitung von Sinnverlusten praktiziert wird. Frankl prägte die Formel: "Sinnlehre gegen die Sinnleere". Persönlich war der Begründer der Logotherapie ein religiöser Mensch, aber er hat ausdrücklich gesagt, daß seine Behandlungsmethode niemals im religiös-weltanschaulichen Bereich etwas indoktrinieren oder zu einer bestimmten weltanschaulichen Haltung verführen dürfe; vielmehr solle diese Therapieform den Menschen dabei helfen, ihren eigenen Weg und ihre eigene Haltung zu finden. Viktor Frankl hat 1995 eine Autobiographie unter dem Titel Was nicht in meinen Büchern steht veröffentlicht. Längle hat dieses Erinnerungsbuch, von dem Frankl ihm 1985 eine frühere Fassung übergeben hat, sorgfältig ausgewertet. Er setzt sich auch mit unfreundlichen Bemerkungen zu Frankls Biographie auseinander, die der amerikanische Historiker Timothy Pytell 1997 in einer Fachzeitschrift publiziert hat. Längles Porträt von Frankl ist jedoch alles andere als eine unkritische Lobhudelei, das Allzumenschliche hat der Autor keineswegs ausgeblendet, die narzißtischen Züge des großen Psychologen werden vielleicht sogar zu oft erwähnt. Frankl wird als ein zielstrebiger Einzelgänger geschildert, der sehr von sich eingenommen war. Kritisch beleuchtet Längle auch Frankls Verhältnis zu Weiterentwicklungen der Logotherapie: "Frankl hat diese Entwicklungen noch alle miterlebt und sich gegen keine von ihnen ausgesprochen. Er hat aber auch keine von ihnen unterstützt oder in Vorträgen und Publikationen erwähnt." Verständlich, daß die ausgebliebene öffentliche Würdigung Längle und andere Logotherapeuten etwas gekränkt haben mag. Viel zum Ruhm von Frankl hat die Tatsache beigetragen, daß er zu den Überlebenden des Holocaust gehörte und doch konsequent die Kollektivschuldthese entschieden verneinte. Sein Bericht Ein Psychologe erlebt das KZ wurde später unter dem Titel ... trotzdem Ja zum Leben sagen ein Bestseller. Frankl war im Gegensatz zum Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, nicht antireligiös eingestellt; er war stolz darauf, ein Abkömmling des Maharal von Prag zu sein, fühlte sich jedoch als ein moderner Jude, der nicht durch die Halacha gebunden ist. So kam es, daß Frankl zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau im KZ Bergen-Belsen in Wien eine Katholikin heiratete; seine einzigeTochter wurde christlich getauft. In einem Brief an einen israelischen Freund, den Längle nicht erwähnt und möglicherweise nicht kennt, berichtete Frankl, daß er allmorgendlich Tefillin legte: "Meine Gebete sind zwar hebräisch, aber sicher ganz und gar nicht die vorschriftsmäßigen." Längle analysiert sowohl Frankls Verhältnis zur Religion als auch sein Verhältnis zur Politik so ausführlich, daß Frankls Standpunkte überaus deutlich werden. Mehr kann man von einer Biographie nicht erwarten. Äußerst gewissenhaft hat Längle fast jede Angabe durch eine Anmerkung belegt. Und doch ist ihm ein Fehler unterlaufen, auf den ich im Hinblick auf eine verbesserte zweite Auflage aufmerksam machen möchte. Wir lesen: "Innig verbunden fühlte sich Frankl mit dem Frankfurter Rabbiner Pinchas Lapide. Es kam meines Wissens zu zwei (drei?) Begegnungen und einigen Telefonaten. Frankl sagte mir einmal, daß er sich wünschte, von ihm einst begraben zu werden, wenn das möglich sein sollte. Doch Lapide verstarb noch vor Frankl, Anfang 1997." Hier irrt der Autor: in Wirklichkeit ist Professor Lapide nicht Anfang 1997 gestorben, sondern am 24.Oktober vergangenen Jahres - einige Wochen nach Frankl. (von Yizhak Ahren)
Permalink