Language:
German
Pages:
57 Min.
Year of publication:
2006
Keywords:
Conference on Jewish Material Claims Against Germany
Abstract:
Eine kleine Gruppe Amerikaner, die mehrere auf Vorstandsebene verzahnte Verbände kontrollierte, begann 50 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine Kampagne von großem öffentlichen Interesse. "Im Namen der Opfer" wollte sie Staaten und Privatunternehmen zwingen, von den Nazis beschlagnahmtes Vermögen an die ehemaligen Besitzer zurückzugeben. Dabei berief sie sich auf das Entschädigungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel aus dem Jahr 1952. Mit Hilfe von Sammelklagen, einer starken politischen Lobby und der Androhung wirtschaftlicher Sanktionen setzte diese kleine Gruppe einige der größten Unternehmen und mächtigsten Staaten der Welt mit Forderungen in Milliardenhöhe gewaltig unter Druck. Diese Kampagne ging durch alle Medien. Doch nur wenige bemerkten, dass der moralische Kreuzzug schließlich in skrupellose Scharmützel ausartete. Zwar profitierten eine Reihe jüdischer Wohlfahrtsverbände von der Rückübertragung von Immobilien, die Opfer jedoch, in deren Namen die Kampagne geführt wurde, gingen so gut wie leer aus. Erschüttert wird der Zuschauer Zeuge, wie ein Feldzug für Gerechtigkeit in kleinlicher Streiterei und Habgier steckenbleibt und edle Motive missbraucht werden. Zugleich ist der Film eine Fallstudie über die kontroverse Frage, inwiefern finanzielle Entschädigung zu Gerechtigkeit führt und ob sie für die Betroffenen oder auf historischer Ebene einen Schlussstrich ziehen kann. Der Film stellt dazu erschütternde Einzelschicksale der Menschen vor, in deren Namen die Entschädigungskampagne ins Leben gerufen wurde. Doch die Summen in Milliardenhöhe, die im Verlauf von zehn Jahren ausgezahlt wurden, kamen weder den hier porträtierten Personen noch den vielen Tausenden weiteren Holocaust-Opfern zugute. Da ist zum Beispiel Gabriele Hammerstein, deren Eltern vor dem Krieg ein Sanatorium und eine Klinik in Schwerin besaßen. 1992 wurden ihr diese Grundstücke von der Bundesregierung zugesprochen. Dennoch musste sie gegen die Claims Conference prozessieren, um ihr Recht durchzusetzen. Die Claims Conference, eine 1952 gegründete jüdische Organisation, bezeichnet sich als kollektive Vertretung der Holocaust-Opfer, deren Besitz im Zweiten Weltkrieg von den Nazis beschlagnahmt wurde. Gabriele Hammerstein ist kein Einzelfall. Mehrere Tausend weitere Opfer oder deren Angehörige liegen seit Jahren mit der Claims Conference im Rechtsstreit, denn diese Organisation allein hat sämtliche "aufgegebene" jüdische Vermögenswerte in Deutschland übernommen, ohne zu versuchen, die ursprünglichen Eigentümer ausfindig zu machen. Sie beruft sich dabei auf eine formaljuristische Konstruktion, derzufolge sie nicht als Treuhänder der Grundstücke und Immobilien auftritt, sondern als deren Besitzer mit uneingeschränkten rechtlichen Entscheidungsbefugnissen. Das Beispiel der Gabriele Hammerstein bietet einen erschütternden Einblick in die größten Immobiliengeschäfte, die in Europa "im Namen der Opfer" abgewickelt wurden. Der Name Greta Beer steht stellvertretend für den nächsten großen Fischzug im Entschädigungsbusiness: die schweizerische Bankenaffäre. Greta Beers vergebliches Bemühen, Zugriff auf ein schweizerisches Konto ihres Vaters aus der Zeit vor dem Holocaust zu erlangen, diente als Anlass für eine spektakuläre publizistische und juristische Kampagne, mit der die Schweizerische Bankenvereinigung nach zwei Jahren gezwungen wurde, über eine Milliarde Dollar für ruhende Konten zu zahlen, deren jüdische Inhaber im Holocaust umgekommen waren. Und dies, obwohl eine internationale Prüfung der Bankunterlagen lediglich den Nachweis über 200 Millionen US-Dollar erbrachte, die möglicherweise Holocaust-Opfern bzw. deren Angehörigen zustanden. Allerdings konnte im Rahmen dieser Prüfung, übrigens der teuersten aller Zeiten, kein Konto von Greta Beers Vater nachgewiesen werden. Dieses wurde erst vor einigen Monaten ausfindig gemacht - aber nicht in der Schweiz, sondern in Israel! Mathias Hausfeter: Im Jahr 1923 erwarb der damals im rumänischen Bakku ansässige Avraham Hausfeter die Hälfte einer vier Hektar großen Parzelle im Karmelgebirge. Dieses Grundstück ist heute Teil einer exklusiven Wohngegend der Stadt Haifa mit herrlicher Aussicht auf das Mittelmeer. Sein Sohn Mathias, der den Krieg überlebte, führt seit 33 Jahren einen scheinbar vergeblichen Kampf gegen unzählige staatliche Behörden und private Unternehmen, um den Grundbesitz seines Vaters einzuklagen. Auf seiner kafkaesken Reise durch ein Labyrinth von Ministerien und Privatunternehmen stellte Mathias Hausfeter fest, dass sich über 16 000 Hektar dieser exklusiven Wohngegend von Haifa einst im Besitz Tausender osteuropäischer Juden befanden, von denen viele im Holocaust umkamen. Ihr Land ist heute Millionen wert. Erst kürzlich entdeckte ein parlamentarischer Ausschuss in israelischen Banken über 200 Millionen Dollar auf ruhenden Konten, die einst Menschen wie Greta Beers Vater gehörten. Doch bis heute wurde nicht das Geringste unternommen, um dieses Vermögen seinen rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben. Nicht eine der jüdischen Organisationen, die so erfolgreich gegen westliche Regierungen und Unternehmen vorgegangen ist, hat sich des Falles von Holocaust-Opfern wie Mathias Hausfeter angenommen. Die Claims Conference und ähnliche Organisationen spendeten Millionen ihres frisch gewonnenen Vermögens für den Bau des beeindruckenden neuen Holocaust-Museums Yad Vashem in Jerusalem, weigerten sich jedoch, das Budget eines israelischen Wohlfahrtsverbandes für Überlebende aufzustocken, von deren Mitgliedern 14 000 immer noch auf ihre dritten Zähne warten müssen. Die hier porträtierten Personen stehen für jeweils einen Aspekt des Geschäfts mit den Entschädigungen. Ihr Kampf um Gerechtigkeit gleicht einer kafkaesken Reise in das verworrene Labyrinth der "Entschädigungsbranche", die "im Namen der Opfer" ins Leben gerufen wurde. Diese Thematik und ihre historische und moralische Bedeutung sind filmisches Neuland. Der Kampf von Menschen wie Gabriele Hammerstein, Greta Beer und Mathias Hausfeter ist Teil einer umfassenderen Auseinandersetzung mit der Erinnerung an den Holocaust. Die Dokumentation setzt stilisierte sowie echte Aufnahmen ein und kombiniert Archivmaterial mit nachgestellten Szenen, Fotografien aus dem Familienalbum und Bildmaterial öffentlicher Versammlungen. Mit filmischen Mitteln ermöglicht sie die Reflexion über einen historischen Prozess, in dessen Verlauf das Gedenken an den Holocaust dem Einzelnen entrissen und zur Domäne von Verbänden und bürokratischen Apparaten gemacht wurde. So entstand eine regelrechte Industrie, die einst für die Opfer und in ihrem Namen gegründet wurde, mittlerweile jedoch nur noch mit der Ausweitung ihrer eigenen Machtposition und Stellung in der Geschichte beschäftigt ist.
Note:
Mitschnitt: Arte, 25.5.2007
,
Nur für den internen Gebrauch
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